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Full text of "Die Christliche Kunst; Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst und Kunstwissenschaft"

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DIE  CHRISTLICHE  KUNS' 

FÜNFTER  JAHRGANG  i9o8/i.;o9 


DIE  CHRISTLICHE  KUNST 

MONATSCiiRIFT 

FÜR  ALLE  GEBIETE  DER  CHRISTLICHEN  Kl!NST 

UND  DER  KUNSTWISSENSCHAFT  SOWIE  FÜR 

DAS  GESAMTE  KUNSTLEBEN 


FÜNFTER  JAHRGANG  1908/ 1909 


IX  \i;i<BiNi)LK(;  MIT  di;r 

DEUTSCHEN  GESELLSCHAIT  lÜR  CIIRIS'n.ICIll-   KL'XST 

m:RAUSGEGr-:Hi:N  vcw  üini 

GESELLSCHAFT  FÜR  CHRISTLICHE  KUNST 

G.  M.  B.  11. 

MÜNCHEN 


INHALT 


A.  LITERARISCHER  TEIL 

1.  (jiiilk-re  Abhandlungen 

II.  Kimstausstellungsbcrichte 

III.  Kleinere  Aufsätze 

IV.  Von  Kunstausstellungen,   Sammlungen  usw. 
V.  Künstlerische   Wettbewerbe 

VI.  Mitteilungen   liber   sonstiges   KunstschnfTen 

VII.  Fersonalnotizen 

VIII.  Besprochene   Blicher 

IX.  Verschiedenes 

B.  REPRODUKTIONEN 

I.    Kimstbeilagen 
II.    Abbildungen   im   Text 
(Die  Entwürfe  zu  Grabdenkmälern  und  Illustrationen  zu 
kuiisthistorischeii  Aufsätzen  sind  am  Schlüsse  aufgeführt) 


Nachbildung  der  enthaltenen  Kunstwerke  ist  nicht  gestattet 


INHALT  DES  FÜNFTEN  JAHRGANGES 

A.  LITERARISCHER  TEIL 
I.  GRÖSSERE  ABHANDLUNGEN 


Blum-Ehrliard,  A.,    Sulpiz  BoisserOe  und  sein  Werk 

340  11.353 
Endres,  Dr.  J.  A.,  Hin  Thomaszyklus  in  Regensburg  2(ii> 

Fürst,  Max.,  Historienmaler  Ludwig  Seitz IUI 

Gleye,  Dr.  C.  E.,  Julius  von  Klever 242 

Gutensohn,  E.,  Die  Kunst  im  bürgerlichen  Heim..  298 
Haas,  Ed.,  Maximilian  Liebenwein 225 

—  —  Karl  Schade 8(1 

Halm,  Dr.  Vh.  M.,  Wolf  Huber  und  der  Donaustil    65 
Hautmann,  Dr.  Max,  Das  Bamberger  Elfenbeinrelief 

Cim.  57 I2:i 

Heilmeyer,    Alexander,    Moderne  religiöse  l'lastik  1.      1 
Plastik  II  Heinr.  Waderc i.i 

—  Die  kirchliche  Kunst  auf  der  Ausstellung  München 
1908 11»3 

Kleinschmidt,  P.  Beda,  ().  1-.  M.,  Die  Miniaturen 
der  Hxultet-RoUen   177 

Kuhn,  Dr.  P.  .\lbert,  Die  neuesten  Werke  von  Frirz 
Kunz 97 

Lüthgen,  Dr.  G.  E.,  Spätgotische  Holzplastik  des 
Inn-  und  Salzach-Gebietes   129 

Mallinger,  Dr.  Leo,  Ein  französisches  Künstlerpaar 
(Duhem) 1 1,7 

Prumler,  Raoul  Eugen,  Der  Freskenschatz  von 
-Muggia 1 38 

Scipinelli,  Carl  Conte,  Ernst  Stückelberg 140 

Schmitt,  Frz.  Jak.,  Kaiser  Otto  des  Großen  Erzbischöf- 
liche Metropolitankirche  in  Magdeburg 257 

Schwarz,  Dr.  M.,  Das  einstige  Oratorium  bei  St.  Maria 
in  \'allicella    186  u    202 

Steffen,  Hugo,  Die  Peterskirche  in  München HO 

—  Die  ehemalige  Augustinerkirche  in  iMünchen .  .  .  235 

II.  BERICHTE  ÜBER  AUSSTEL- 
LUNGEN  (.Vgl.  auch  IV.) 
Berlin,  Große   üerliner    Kunstausstellung  I'JOS  von 
Dr.  Hans  SchmiJkunz Hell.  ;i.  u.  i5 

—  Ausstellung  Belgischer  Kunst.  Von  Dr.  Hans 
Schmidkunz 119 

—  Wilhelm  Steinhausen-.'Xusstellung  von  Dr.  Hans 
Schmidkunz    173 

—  Das  Märkische  Museum  von  Dr.  Hans  Schmidkunz  349 
Berliner   Kunstbriefe.     Von    Dr.  Hans   Schmidkunz 

Beil.  3,   157.  220,  Boil.  37,  282,  374 

Breslau,  Ausstellung  kirchlicher  Kunst Beil.    'is 

Danziger  Kunstbrief.     Von  B    Makowski Bell.    .|6 

Düsseldorf.    Sinkel-Ausstellung    in    der   Kunsthalle. 

Von  Dr.  K.  Bone   61 

Düsseldorfer  Kunstbericht.  Von  Dr.  K.  Bone Beil.     2t 

148,  252 
Große  Kunstausstellungen  Düsseldorf  1909.      Von 

Dr.  K.  Bone 277.  314,  321  u.  358 

Kölner  Kunstbrief    Von  Dr.  H.  Heiners 175 

—  Kunstbericht.    Von  Dr.  G.  i:.  Lüthgen   156  Beil.     29 
München,  Die  kirchliche  Kunst  auf  der  Ausstellung 

München   1908.    Von  Alex.  Heilmeyer 193 

—  Ausstellung  im  Kgl.  Glaspalast  1908-  Von  Franz 
Wolter 18,  44  u.  103 

—  Die  Winteraussiellung  der  Secession.    (Hans  von 

.Marees.)    Von  Franz  Woher Beil.     i'S 

—  Die    Früh  Jahrsausstellung    der    Secession.     Von 

Franz  Wolter 240 

Die  X.  Internationale  Kunstausstellung   in  Mün- 
chen 1909.  Von  Franz  Wolter 328  u.  306 

—  Aus  dem  Kunstverein.  Von  Franz  Wolter. 

Heil.  10,   151,34,  45U.S3 

—  Ausstellung  von  Werken  der  Pilotyschulc  von 
Franz  Wolter 272 


Regensburg,  Sonderausstellung  liir  chiistliclie  Kunst  352 

Stuttgarter  Kunstbericht.  Von  lernst  Stöckhardt 214 

Venedig,  VIII.  Internationale  Kunstausstellung.  Von 

Dr.  O.  Doering o«;) 

Wcstf  Kunstverein  Minden Heil.     M 

III.  KLEINERE  AUFSÄTZE 

Dombart,  Th.,  Die  Zukunft  der  .\ugustinerkirclic  in 

München Beil.    33 

Doering,  Dr.  ü.,  Kleinporträtkunst 370 

Hasak,  Die  llohkönigsburg 234 

Herbert,  M.,  .Michel  Angelo  (Gedicht)  .  (14 

—  Lionardo  (Gedicht) 64 

—  Der  .Miniaturmaler  (Gedicht) .     96 

—  Orpheus  begrüßt  das  Licht  (Gedicht) 128 

Lasser,  Moritz,  Baron  von,  Die  neuen  Geschäftsräume 

der  Kgl.  Bayer.  Porzellan-Manufaktur  Nymphen- 
burg   Beil.      S7 

Lochner  von  Hüttenbach,  Dr.  Oskar  Frhr.,  Weihe- 
gabe kath.  Edelleute  für  die  Dormiiionskirche  in 
Jerusalem 9(1 

Mader,  Dr.  Felix,  Die  Malierin  des  Domes  zu  lücli- 
stätt 12 

—  Das  Grabdenkmal  für  Bischof  Franz  Leopold  von 
Leonrod    1 7 

Mankowski,  H.,  Das  ehemalige  Cisterzienserkloster 

in  Oliva H:, 

Staudhamer,  Das  künstlerische  Titelblatt 57 

Die    Klosterkirche    zum    Guten  Hirten    in  .Münster 

i.    W Heil.         II 

Grabdenkmal 88 

Kirche  und  Pfarrhaus   in  Reinach-Menziken 93 

Ein  neuer  Taufstein 95 

Gabriel  von  Seidl   .    ,      134 

Lichtbildervorträge Hell.     39 

Neue  Grabmäler  von  Josef  Kopp Beil.    61 

Wettbewerb  für  einen  Zierbrunnen.  Von  A.  H.  Beil.      1 
Ergebnis   des  Wettbewerbs   für  eine  Pfarrkirche   in 
Ürdingen 310 

IV.  VON  KUNSTAUSSTELLUNGEN, 
SAMMLUNGEN,   KUNSTVEREINEN 

Aachen,  Sucrmondt-.Museum    ...      Hcii.i'j  u.  'ja 

Baden-Baden,  Kunsthalle..  Bnl.  40 

Barmen,  Kunstvercin Beil.  11  u.  41 

Berlin,    Gesellschaft    für    deutsche   Kunst    im   Au.s- 

lande Heil.  27 

—  Freie  Vereinigung  der  Graphiker B«iL  2« 

—  P.  Cassirer:  Leistikow-.Ausstellung Beil.  27 

—  Kunstsalon  Schulte Beil.  11,  sou.  1« 

—  Kgl.  .Xkademie:  Schadow-.\usstellung  . .      .  He^i.  JO 

—  Verein  (ür  deutsches  Kunstgewerbe..            Bc^i.  6 
Breslau,  Ausstellung  kirchlicher  Kunst.                 Heil.  4» 

D.inzig,  Kunstausstellung Heil  41 

Düsseldorf,  Ausstellung  lür  christliche  Kunst  H..I  0  u.  27 

—  .\kademie:  Kurse  für  kirchliche  Kunst  ....  Heil  so 
Elberfeld,  .Vusstellung  der  Neuklassizistcn  .         "«l  » 

Karlsruhe,  Hans  Thoma  Museum "ei  a 

Köln,  Kunstverein '  11 

—  Kunstsalon  Lcnobcl.                                        '  n 

—  KunsLsalon  Schulte  .                                      ■  '•■  ■  x 

—  Walraf-RichartzMuscum Heil.  11 

Leipzig,  Sammlung  von  Dr.  v.  Weissen bach. . .  B«ii.  ij 

Londoner  N.i;iM,..!Mki.e Beil.  »7 

München,  f.                        der  bildend.  Künste  .  H<ii.  43 

—  Albrech;                          Heil,  l» 

—  Generali. ......;,,.„.;;  u.  Nalionalmuseum.  ><- ' 

—  Gesellschall  tur  christliche  Kunst 


\'l 


A.  LITERARISCHER  TEIL 


München,  Galerie  Heineniann    iscii.  19  "•  -3 

—  X.  Internationale  Kimst.iusstcllunsj;  im  Ky;!.  Cjlas- 

palast ■ Beii!  2;!,    17  11.  Sä 

—  Secession »eil  c  12,  2"  u.  10 

—  Ausstellung  bayerischen  Porzellans Heil.  17 

—  Königliches  Münzkabinett Heil.  10 

—  Verein  iür  christliche  Kunst Hnl  27  n.  So 

Rom,  Vatikanische  Pinakothek  ...                  .    •  Beil.  40 

Toledo,  l')l  Greco-Museum Beil.  50 

Wien,  Moderne  Galerie .  Beil.  a 

—  Jahresausstellung  im  Künstlerhaus Beil.  4S 

V.  WETTBEWERBE 

Brunnen  am  Joscphsplatz  in  München Beil.  11 

Denkmal Beil.  0 

Eichendorfi'-Denkmal  in  Breslau     Beil.  .v. 

Kath,  Kirche  und  Pfarrhaus  in  Memmingeu  .  .  Beil.  49 

Kath.  Kirche  mit  Pfarrhaus  in  Uerdingen  Beil.   S.  25.  50 

192,288,310 

Kirche  in  Kulsheini  bei  Uffenheim Beil.  11 

Luitpoldbrunnen,  Dillingen Beil.  is 

Möbelgruppc    Beil.  48 

Neue  Plarrkirche  in  Starnberg Beil.  ,% 

Ostertag-Dcnkmal Beil.  r, 

Plarrkirclie  in  Rosswitz Beil.  50 

Plakatkonkurrenz Beil.  42 

Polizeigebaude  in  München Beil.  22   u.  50 

Zeitschi ilt  Unischlaa: Beil.  ü 


VL  MITTEILUNGEN    ÜBER    SONSTI- 
GES KUNSTSCHAFFEN 


Albreclit,  Jos Bei 

Angermair,   ....    .    tsci 

Becker-Gundalil Bei 

Beckett,  Paul Bei 

Behn,  Fritz Bn 

Beuche  Carl  de .  Beil,  48 

Cleve,  Frz Be: 

Faßnacht,  Jos Bei 

Feuerstein,  Martin Bei 

Frohnsbeck,    Bc 

Fuchs,  Karl    Bei 

Fugel,  Gebh. Beil.  5,  m 

Giassl,  Hans Bei 

Harrach,    Rud Bei 

Hofstötter,  Frz ...  BciI 

Kögl,  Hans Bei 

Kolmsperger,  Waldemar Beil.  5  1 

Kraus,  Valentin Beil.  23 

Kuolt .Bei 

Kurz,  Erwin Bei 

Mayer,  Alois   Be 

Müller- Warth Bei 

Palacios rc, 

Rümann,  von Uei 

Samberger,  Leo Be 

Schleibner,  K Bc 

Schreiner,   Bei 

Schreyögg,   Bei 

Schwegerle,     Hans Be 

Seitz,  R.  von    Bc: 


Grabmalentwürfe Beil.  18,  28  u. 

Pfarrkirche  St.  Bartholomä  in  Friesenried Beil. 

Pleystem   u^.ii 

Deniflebüste    ....    Pt.il 

Luitpoldbrunnen B^il 

Pfarrkirche  Grol<aitnigen Beil. 


St.  Josephskirche  in  München Heil. 

Kolossalmonument Beil. 

Marienlüster    Beil. 

Bismarckbüste  in  der  Walhalla Beil. 

Schottenkirche  in  Würzburg    Beil. 

Kronleuchter Beil. 

Stadtpfarrkirche  St.  Moritz  in  Augsburg   .  .    -  .  Beil. 

Stadtpfarrkirche  in  Ravensburg   Beil. 

Heiliges  Grab  in  Maria-Ramersdorf    .  .  .    .  Beil. 

Kirche  in  Haslach .  Beil. 

St.  Annakirche  in  München Beil. 

Maximilianskirche  in  München Heil. 

Louise-Hensel-Denkuial  in   Paderborn Beil. 


VII.  PERSONALNOTIZEN 


Fischer,  Theodor,  .\rchitckt  .  . 

Heil. 

Fortlage,  Dr 

.  .    Beil. 

Frey,  Job.  Ev 

Beil. 

Frey,  Prof.  Dr.  Karl 

.         ,           .    Beil. 

Haas,  J.  H.  de 

Beil. 

Hagelstange,  Dr.  Alfr 

.    Beil. 

Hauser,  Alois 

Beil. 

Heß,   Anton 

Beil. 

Huher-Feldkirch 

Beil. 

Kraus,  Val 

Beil. 

Beil 

Leistikow,  Walter 

Beil. 

Magnussen,  Harro 

Beil. 

Muther,  Dr.  Rieh 

Beil. 

.  .    Beil. 

t)verbeck,  Fritz 

.  .    Beil. 

Poppelreuter 

.           ,        .    Beil 

Reber,  Dr.  Frz.  Ritter  von 

.  .  .        ,  ,      .    Beil. 

Roeber,  Fritz 

Beil. 

Schreyögg,  Gg 

. Beil. 

Schulz,  Otto 

...    Beil. 

Seidl,  Dr.  Gabriel  von 

Beil. 

Seitz,  Ludwis; 

....    Bell. 

Thiersch,  Ludwig  .... 

Beil 

Tschudi,  Dr.  Hugo  von 

Beil. 

Vlll.  BESPROCHENE  BÜCHER 

Baumeister,  Engelbert,  Rokoko-Kirchen  Oberbayeins. 
Von  Dr.  Schröder Beil. 

Beißel,  S.  J.,  Geschichte  der  Verehrung  Marias.  Beil. 

Bernhalt,  Ars  Sacra Beil. 

Bogner,  H.,  Die  Grundrißdispositionen  der  zwei- 
schifFigen  Zentralbauten.  V.Dr.Th. Schermann  Beil. 

Braun,  S.  J  ,  Die  Kirchenbauten  der  deutschen  Je- 
suiten   Von  Dr.  A.  Schröder BcM. 

—  Die  Belgischen  Jesuitenkirchen.  Von  Dr.  A. 
Schröder Heil, 

Deutsche  Malerei  des  XIX.  Jahrhundeits  . . .  Beil.  s  u. 

Eastlake,  Charles  Lock,  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Oelmalerei.    Deutsch  von  Hesse Beil. 

Federer  u.  Kunz,  Der  heilige  Franz  von  Assisi  Beil. 

Freie  Lehrervereinigung  für  KunstpHege.  Uhde  Beil. 

Galerien  Europas,  Die Beil. 

Giehlov/  Karl,  Kaiser  Maximilian  I.  Gebetbuch  Beil. 

Grautoff,  Die   Gemaidesammlungen  Münchens  Bcii, 

Gussow,  Maltechnische  Winke  und  Erfahrungen  Beil. 

Halm,  Dr.  Ph.  M.,  Stephan  Rottaler.  Von  Dr.  F. 
Mader Beil. 

Hämmerle,  Dr.,  Die  ehemahge  Kloster-  und  Wall- 
fahrtskirche zu  Bergen.    Von  Dr.  F.  Mader.  .  Beil, 

Haßlinger,  Otto  u  Em.  Bender,  Betrieb  des  Zeichen- 
unterrichts etc.    Von  G.  Barth Beil. 

Hesse,  siehe  Eastlake. 

Jacobi,  Dr.  Franz,  Studien  zur  Geschichte  der  baye- 
rischen Miniatur  des  XIV.  Jahrhunderts.  ..  .  Beil. 


©^  A.  LITERARISCHER  TEIL  —  B.  REPRODUKTIONEN  »^ö 


MI 


Kaiserdom  zu  Frankfurt  a.  M.,  Der Beil. 

Kalender  Bayerischer  u.  Schwäbischer  Kunst  .  .  Beil. 

Karlinger,  Studien  zur  Entwicklungsgeschichte  des 
spätgotischen  Kirchcnbaucs  im  Münchener  Ge- 
biet.   Von  Huber Beil. 

Kataloge  des  Bayer.  Nationalmuseums,  Die.  .  .  .  Beil. 

Klassiker  der  Kunst  in  Gesamtausgaben.  Van  Dyck  Beil. 

—  Fritz  von  Uhde.  Von  Dr.  Rosenhagen....  Btil. 
Lange,  K.,   Das  Wesen  der  Kunst.    Von    Dr.    Th. 

Schermann  n^W. 

—  Schön  und  praktisch.  Von  Dr.  Schermann.  Beil. 
Leisching,  Figurale  Holzplastik.  Von  Ph.iM.  Halm  Beil. 
Lindner,  Dr.  .\rth.,  Handzeichnungen  alter  Meister  Beil. 

Meister  der  Farbe Beil.  19  u. 

Meisterwerke    religiöser    Kunst.     Von    Dr.   Richard 

Hoft'mann ] 

Oidtmann,  Dr.  H.,  Die  Glasmalerei  im  alten  Fran- 
kenlande     Beil. 

Rooses,  Max,  Die  Meister  der  Malerei  und  ihre 
Werke Beil. 

S.iuerlandt,  Max,  Griechische  Bildwerke    Beil. 

Schmidkunz,  Dr.  Hans,  Die  Ausbildung  des  Künst- 
lers   Beil. 

Schmidt,  Karl  Eugen,  Künstlerworte Beil. 

Schnürer,  Dr.  Franz,  Jahrbuch  der  Zeit-  und  Kultur- 
geschichte   Beil. 


Schubring,  Dr.  P.,  Rembrandt Beil.  s 

Siebert,  Dr.  Karl,  Gg.  Cornicelius Beil.  12 

Stichle,  O  ,  Das  deutsche  Rathaus  im  Mittelalter  Beil.  7 
Stückelberg,    E.  A.,    Die    Katakombenheiligen    der 

Schweiz Beil.  40 

Walsdorf,  E.,  Kirchlich  figurale  Bildhauerarbeiten  Beil.  36 

Weber,  Dr.  G.  A.,   Die  römischen  Katakomben  Beil.  20 

—  Dürerstudien Beil.  52 

Witting,  Felix,  Von  Kunst  und  Christentum  . .  Bcü.  43 
Wurm,  Moral  und  bildende  Kunst.    Von  W.  Weg- 
hofer  Beil.  ÖS 

IX.  VERSCHIEDENES 

Eine  religiöse  Kleinplastik Beil.  29 

.\us  der  deutschen  Südsee Beil.  18 

Trauerandenken  an  Se.Exz.  Erzbischof  Dr.  V.Stein  Beil.  42 

Bilder  für  die  landliche  Wohnung  .    Beil.  24 

Neue  Andachtsbildchen Beil.  26  u.  42 

Ein  neues  Kommunion-Andenken Beil.  30 

Wandmalereien  in  der  Kirche  zu  Gachenbach. .  .  .   ;i.öl 

Berichtigung Beil.  2S 

Zu  unseren  Bildern    Beil.  6 

'241   u.  25()  u.  Beil.  .>i 


B.  REPRODUKTIONEN 


1.  KUNSTBHILAGEX: 


Albrecht,  Jos.,  St.  Benno   IX 

Barabino,  Hilfe  der  Christen XVI 

Hredt,  Ferd.,  S.  K.  H.  Prinz  Rupprecht  v.  Bayern  XVII 

Duhem,  Henri,  Der  Sämann Xll 

-  -  Marie,  St.  Franziskus  predigt  den  Vögeln  XI 

Emonds-Alt,  M.,  Christus Xlll 

.  Feuerstein,  Martin,    Die   Fischpredigt   des  hl. 

Antonius X\ 

Gebhardt,  Ed.  von.  Der  arme  Lazarus XIX 

.  Hildebrandt,   Ad.   von,   Porträtbüste  des  Pro- 
fessors Floßmann VIII 

Janssen,  Peter,  Mein  Joch  ist  sanft XVIII 


Kunz,  St.  Fridolin VI 

—  Die  drei  Marien    VII 

Perugino,  Pietro,  Maria  im  Gebet                    .  XI\' 

Raffael,  Madonna  del  Granduca 1 

Schmitt,  Balth.,  Madonna    XXII 

Seit:,  Ludiv.,  Gang  nach  Golgatha X 

Wadere,  Heinr.,  Ostermorgen 111 

—  S.  K.  H.  Prinzregent  Luitpold   von  Bayern  IV 
Willroider,  Ludw.,  Weiden II 

■  Winkler,  Gg.,  Familienglück \' 

Wohlgemuth,  Michael,  Auferstehung XXI 

Ansichten  u.  Grundriß  der  Hohkönigsburg.  .  XV 


Seite 
Ackerber.',  K.,    Grabplatte  für  I.  K,  H. 

I'rinzessin  Mathilde  von  Bayern  S.  S.S  u.    89 
Alhenshofcr,  Gg.,    Engel  zu  einer  Mon- 

str.inj,  siehe  Harrach. 
Angermair,  Jakob,  Altarmodell       ....  30r. 

siebe  auch  Val.  Kraus. 
Augsburger  Arbeit,  Friedrich  II.  von  der 

Pfalz 17 

Bacr,   Frilj,  Der  Pilsensee 371 

Baierl,  Theod.,  Bemalung  einer  Chon*'and 

und  Apsis 294 

—  Christi  Himmelfahrt 29.i 

—  Kreuzabnahme 300 

Bauer-Ulm,   Karl,  .Altarentwurf     ....  207 

Baumhauer,  FeJi.x,  Christus 290 

Becker-Gundahl,  Christus  am  Kreuz     .    .  330 
Berndl,  Rieh.,  Opferstock 222 

—  Opferstock 223 

Bcuroner  Kunstschule,  St.  Benedikt    .    .  353 

—  Hl.  Scholastika      354 

—  Christus 355 

—  Hl.  Joseph 356 

—  Madonna 366 

—  Maria  Heimsuchung 357 

—  Flucht  nach  Aegypten 3.58 

—  Kreuzabnahme 3.i9 

—  Engel 300 

neuroner  Kunstschule.  Bronzetürc      .    .    .  362 
Bolgiano,   Ludwig,  Wintersonne     ....  372 

—  Vorfrühling 373 

Burnand,  Eugene,  Johannes   und   Petrus 

am  Ostermorgen 286 

—  Einladung  zum  Gastmahl 286 

Busch,  Georg,  Gr.abdenkmal  für  Bischof 

von   Leonrod 19 


II.  ABBILDUNGEN  IM  TEXT: 

Seite 
Busch,  Georg,  Grabdenkmal  des  Bischofs 

Paul  Leopold   Haffner 367 

Buscher,  Thomas,  Pietii 334 

Castex,   Louis,  Betrachtender  Mönch   .    .  336 

—  St.  Joseph 337 

—  Kommunion  des  hl.  Stanislaus  ....  339 
Cleve,  Franz,  Kreuzigungsgruppe  .  .  348 
Denis,  Maurice,  Maria  Heimsuchung  .  .  345 
Deutsche    Gesellschaft     für    christliche 

Kunst,  zwei  SHlc  in  der  Düsseldorfer 

Ausstellung 289  u.  322 

Donatello,  Das  Eselwunder    des   heiligen 
Antonius 1 

—  St.  Antonius 2 

Döringer,  siehe  Klecsattel. 

Duhem,  Henri,  Verkündigung  an  d. Hirten  167 

—  Mondaufgang 173 

—  Heimkehr  der  Herde 175 

Duhem,   Marie,   Der  Blumenkranz     ...  168 

—  Constantin  Mcunier 169 

—  Blumen 170 

—  Spaziergang  der  Klostcrschwestern  .    .  171 

—  Porträt 172 

—  La  Tour  des  Dames  .....  174 
Bhrich,  Bruno,  Geburt  Mariens  ....  365 
E}'ck,  van,  Maria  mit  dem  Kinde    .  Beil.     ia 

FaBnacht,  Jos.,  Der  Liebling S2 

Feuerstein,  Martin,  Hl.  Odilia 841 

Frohnsbeck,  siehe  üthoOrl.  Kurz. 

Fugel,  Gcbh.,  Das  letzte  Abendmahl  .    .  301 

—  Sehet  das  Lamm  Gottes     .....  302 

—  Berufung  Petii 303 

Gässl,  F.  u.  SpicO,  K.-»sula      .  .217 

Ghibcrii,  Lorenzo,  Bronzetürc  .  .    .      3 

Glese,  Max,  Die  alte  Mooshütte    ....  282 


Grasser,  Erasmus,  Zwei  Propheten     .    .    13 
Groeber,   Herrn  ,  In  der  Sommerfrische      31 
Guntermann,  Jos-,  Bemalung  einer  Chor- 
wand und  Apsis 293 

Harrach,  Rud.,  Canontafeln l;i3 

—  Tabernakel      201 

—  Sanctusleuchter,  siehe  Miller. 

—  Altarkreuz 203 

—  Leuchter  zum  Hochaltar 204 

—  Rauchfaß  und  SchiiTchen,  s.  Rorneis. 

—  Kelch ■  .  205 

—  Klinsel 205 

—  Monstranz 210 

—  Jlodell  zu  einer  Monstranz 212 

—  Vortragkreuz 218 

Harrach  u.  Albcrtshofer,  Monstranz  .  .  211 
Harrach  u.  Kopp,  Vortragkreuz  ....  219 
Havcrkamp,  Wilh  ,  Altarpredclla      ...  273 

—  Der  barmherzige  Samaritan 274 

—  Abendniahlrelief 275 

—  Pieta a»! 

Heilmaicr,  Max,  Alt.arrelief 207 

Hemmesdorfer,  Hans,  Kassandra  .  .  28 
Herrmann-Algäu,  Aug.,  Stilleben  .  .  .  2.S8 
Herrmann,  Karl,  Hungriges  Volk  .281 

Hess,   Anton,  Madonna 32ö 

Höh,  Lohnes  u.  Miller,  Hochaltar  ...  200 
Hubcr-Fcldkirch.  Joseph,  Grabdenkmal  .  316 

—  Grabdenkmal      317 

Immenkamp,  Wilh.,  Dr.  W.  Ra.ibe  .  .  369 
Ivcn,  Alexander,  Madonna  mit  Apfel      .  299 

Jung,  Emil,  Taufstein 83 

Kaiser,  Richard,  Aufziehendes  Gewitter  278 
Kirsch,  Hcinr.  und  Reinhold,  Schmiede- 
Altarleuchter  Bell,     »i 


VIII 


SJ^  B.  REPRODUKTIONEN  mxs 


Klecsaltel,    Fehle  und  Doringer,   Roma- 
nischer Chor  und  Taufstein 327 

Klem,  Alfred,  Haudegen      157 

—  St.  Georg l-'JS 

—  Entwurf  zu  einer  Taufniedaille     ...  169 

—  lieten 159 

—  Dekorative  Figur lt>ll 

Klevcr,  Julius  von,  Meeresstille    ....  242 

—  Christus  auf  dem  Meere 243 

—  Der  Weg  zu  Großmamas  Garten      .    .  214 

—  Waldesdunkel  in  Rußland      .    .  .  245 

—  Selbstbildnis 240 

Kopp,    Joseph,  Grabdenkmäler  248,  248, 

249,  249,  250,  251,  251,  262,  253,  254, 

255,  255,  256,    250 

—  Vortragkreuz,  siehe  Harrach 
Krnhforst,  Herrn.,  Dreikönigen-Eild    .    .  1)33 
Kraus,  Valentin,  Unsere  Erlösung    ...  304 

—  Altarschrein         305 

Kunz,  Fritz,  Krönung Mariensu.  hl.  Cäcilia    20 

—  Maria  Krönung 21 

—  Engelgruppen 22  u.    23 

—  Studienkopf 24 

—  Hl.  Cacilia  mit  Engeln 25 

—  Geburt  Christ! 20 

—  Jesus  am  Oelberg 27 

—  "Christus 97 

—  Maria  Verkündigung 98 

—  Innenansicht    der  Liebfrauenkirche    in 


Ma 


100 


—  Johann  Baptist 101 

—  Engel 102 

—  Engel 103 

—  Anbetimg  des  Lammes    ...      104  u.  lO.i 

—  Die  vier  Evangelisten  ....       106  u.  )Ü7 

—  Die    zwölf    Apostel     10s,     109,     110, 

111,   112,    113 

—  Unsere  Liebe  Frau  von  Zürich     ,    .    .114 

—  Der  gute  Hin II.t 

—  Nikolaus  von  der  Flüe 116 

—  St.  Joseph 117 

—  Hl.  Fridolin 118 

—  Hl.  Franz  von  Sales 118 

—  Hl.  Fehx      119 

—  HI.  Elisabeth 119 

—  Hl.  Regula 120 

—  Hl.   Clara 120 

—  Studie 121 

—  Studie 121 

—  Geistliches  Gespräch 323 

Kurz,  OthoOrlando,  Schmiedeisern. Portal  191 

—  Armleuchter Beil.      ■■:> 

—  Zwei  Beleuchtungskörper 192 

Lang,    Herm  ,   Martin   Creif 370 

Leemputten,    Franz    van.    Erste    heilige 


Ko 


.  344 


Lehmann,  Wilh.  Ludw.,  Gewitteischwule  2S5 

Lench,  Altar  und    Kanzel 93,     95 

Liebenwein,    Ma.\imilian,  Anbetung  der 
hl.  drei  Könige 225 

—  Hilfe  in  Todesnot 226 

—  Ackerbau 226 

i  St.  Jörg,  eine  fromme  Mär    .    ,    .  227 


Ex  libri 


—  St.  Martinus 229 

—  Neujahrskarte 230 

—  Das  Rosenwunder  der  hl.  Elisabeth    .  231 

—  Ernte 232 

—  St.  Isidor ...  232 

—  Vignetten 233,  233 

Limburg,  Joseph,  Graf  von  Ballestrem  .  150 

—  Statuette  des  Leutnants  Karl  von  Rolher  151 

—  Porträtbiiste  l.lse  Gräfin  von  Arco  .    .  152 

—  Madonna l.'iS 

—  Bildhauer  Professor  Gerh.ard      .  .  154 

—  Graf  Ballestrem  di  Castellengo  .  .  .  1.55 
Locher,    Bonifaz,    Bemaliing   von    Apsis 

und  Chorwand 3111 

Lohnes,   siehe  Höfl. 

Maris,  Simon  W.,  Glückliche  Mutter  .  287 
Mayer,  Alois,  Pettenkofer-Denkmal  ...  347 
Mayer,  Franz  Jos.,  Hausaltärchen  ...  247 
Michelangelo,  Pieiä .      6 

—  Christus 7 

—  Mos=s ;i 

Miller,   Fritz  von,    Weihegabe  der  kath. 

Edelleute  Bayerns 91 

Miller,  Hans,  Entwurf  zu  einem  Taufstein  310 

siehe  auch  Hofl  u.  Lohnes. 
Moest,  Jos.,  Johannes  Pairicida     ....  320 


Seite 

Müller,  Alois,  Sanctusleuchter 302 

Munkacsy,  M.,  Christus .340 

Netzer,   Hubert,  Madonna .314 

Nißl,  Rudolf,  Lesende  junge  Frau    .    .    .  368 

Fächer,  Aug.,  St.  Antonius 328 

Fächer,  Michael,  Schule  des,  GeburlChristi    16 

—  Beweinung  Christi 16 

Pageis,  Joaeh.  Herm  ,  Judith 277 

Fehle,  siehe  Klee'nltel. 
Plehn-Lubochin,  Rose,  Der  hl.  Franziskus 

segnet  die  Tiere .331 

Pocci,    Franz  von.   Getuschte  Zeichnung  3.52 

Fopp,  Oskar,  Heilige  Nacht      364 

Prinz,  Karl,  Bauernhaus  in  Sp.arbach  .    .  279 
Rank,    Gebr.,    Eingangsbauten    der  Aus- 
stellung München   rijoS    .    .    S.  ISS  u,  1.89 

Haupteingang 190 

Richter,  Otto,  St.  Georg 2.57 

—  Der  zwölfjährige  Jesus  im  Tempel  .    .  272 

—  Auferstehung 276 

Riemensehneider,  Tillman,   Hl.  Jakobus    U 

—  Hl.  Katharina 14 

—  Schule  des,   Madonna 10 

Robbia,Lucca  della,Musizierende  Mädchen  5 
Romeis,  Rauchfaß  und  Schiffchen  ...  204 
Rümann,  W.  von,   Pettenkofer-Denkmal, 

siehe  Alois  Mayer 
Samberger,  Leo,  Studie  z.  einem  Propheten  3 1 1 

—  Erzbischof  von  Abert 313 

Schade,  Karl,  Sturm 86 

—  Zwielicht 86 

—  Blick  in  die  Au 87 

Scheel,  Joseph,  Hl.  Benedikt 332 

Schiestl,  Heinr  ,  Kteuzwegstation  .  .  .  319 
Schiesll,  Matthäus,  Kreuzigung  ....  321 
Schilling,  Franz,  Hl.  Christoph     ....  292 

—  Christus 296 

—  Entwurf  für  ein  Treppenhaus  ....  297 
Schleibner,  K.,  Flucht  nach  Aegypten  .  335 
Schmalzl,  Fr.  Max,  Skizze  zur  Ausmalung 

der  bayer.  Kapelle  in  Rom 176 

Schmid-Breitenbach,  Frz.,  Anachoret  .  156 
Schmitt,   Balth.,  Ma^nificat 307 

—  111.  Kreuzwegslaiion 308 

—  IV.   Kreuzwegstation 3Ü9 

Schneider,  Jos.,  Grabdenkmal  ...  .363 
Schräg,  Jul.,  Vlämisches  Interieur     ...  376 

Schreyögg,  Lehrender  Christus 325 

Seibold,  Max,  Madonna 315 

Seidl,  Gabr.  von,  Kgl. Nationalmuseum  in 

München 138 

Seitz,   Ludwig,  Maria  Verkündigung     .    .  161 

—  Isaias.   Ezechiel,  Abisac,  Sulamitis  .    .  163 

—  Thomas  von  Aquin  und  die  Kirche  .  166 
Siegwart,  Faul,  Kirche  und  Pfarrhaus  in 

Menziken  92,  92,    93,    94,    94,    95,    96 

Spannagl,  Wilh.,    Kirche  in  der  Ausstel- 
lung    München    1908    194,    195,    196, 

197,  198,    199 
Spieß,  Jh.,  Kasiila,  siehe  Gässl. 
Steinhausen,  Wilh.,  Jesus  und  Nikodemus  342 

—  Moses  und  der  feurige  Dornbusch  .  .  343 
Steinicken  u.  Lehr,  Altarkreuz  u.  Leuchter  206 

—  Kelch,  siehe  Beruh.  Wenig. 

—  Mcßkännchen,  siehe  Beruh.  Wenig. 


Mo 


!09 


—  Altarleuchter 213 

—  Leuchter  f.  die  Qsterkerze,  s.  B.  Wenig. 

—  Vortragkreuz,  siehe  Beruh.  Wenig, 

—  Altarkreuz 221 

—  Vortraglaterne,   siehe  Beruh.  Wenig. 
Stückelberg,  Ernst,  Pest  in  Basel         .    .  142 

—  Entsagung 143 

—  Studienkopf 144 

—  Prozession 145 

—  Wegkreuz  aus  der  Innschweiz  .    .        .146 

Syrlin,  Jörg,  Holzbüste 12 

Holzbiiste  des  Abts  von  Weingarten  12 

Thoma,   Leonh.,  Ostermorgen 268 

—  Papst  Gregor  der  Große 269 

—  Die  hl.  Cacilie 271 

Told,   Heinr.,  Porträt  des  J.  Sautner    .    .284 
Uhde,  Fritz  von.  Im  Atelier 29 

—  Abendmusik 30 

Urban.  Herrn.,  Gewitterslimmung  b.RioIa  .374 

—  Spatsommer 375 

Wadere,  Heinr.,  Madonna,  Simeonu.Anna    33 

—  Rosa  Mystica 34  u.     35 

—  'Lympanon   .    ,  37 

—  .St.  Georg .S.S 

—  Grabdenkmal  f.   Erzbischof  Antonius       39 


Seite 

Wadere,   Heinrich,   St.  Georg 40 

—  Der  göttliche  Kinderfreund 41 

—  Anbetung  der  Weisen 42 

—  Verehrung  der  Reliquien  des  hl.  Benno  43 

—  Madonna 44 

—  Hl.  Andreas 45 

—  Hl.  Jakobus  d.  Ae 45 

—  Löwe  mit  dem  Bayer.  Wappen     ...  46 

—  S.  K.  H.  Prinzregent  Luitpold   ....  47 

—  Verdienstmedaille  des  bayer.   Induslti- 
elleu-Verbandes 48 

—  Epitaph 49 

—  Trauernde  Muse 50 

—  Erinnerung  (Grabdenkmal) 51 

—  Denkmal  für  König  Ludwig  11   ....  52 

—  Hoffnung  u.   Liebe 53 

—  Sandsteinrelief 54 

—  Profane  Musik 54 

—  Abschied 55 

—  Giulia 66 

—  Tristitia 57 


—  Des  Künstlers  Tochter 

—  Pürträtbüste     der     Großherzogin 
^Mecklenburg-Schwerin 


Tä 


—  Rahmen  in  Lindenholz 63 

Wadere  und  J.  Harrach,  Cruzifix  ...  36 
Wagmüller,  lustus,  Maria  Verkündigung  324 
Wenig,  Bern'h.,  Kelch 208 

—  Meßkännchen 208 

—  Leuchter  für  die  Osterlerze 213 

—  Kasula      214 

—  Bruderschaftsfahne 216 

—  Vortragkreuz 220 

—  Vortraglaterne 224 

Winkler,  Georg,  Der  hl.  Isidor  ....  318 
Winter,  Theodor,  Christus  im  Grabe  .    .  29S 

Winternitz,    Kichard,  Inteiieur 283 

Wolter,   Franz,   Der  hl.  Paulus S29 

Zech,  Dora,  Granatäpfel 32 

Entwürfe  zu  Grabdenkmälern: 

(Nachbildung  oder  Ausfuhrung  ohne  Genehmi- 
gung der  Künstler  nicht  erlaubt.) 

Cleve,  Franz, Bell.ia. 

Eberle,  Heinr., Heil, 

Eberle,  Ludw-,    ....    Beil.  15,  41, 
Göhring,  W.,  Grabsleinskizzen    .   Beil, 

Guntermann,  Frz., 

Kuolt,  Karl beil.  is  u. 

Laurenty,  Ernst Beil. 

Schnapp, Beil. 

Sertl  (nicht  Negretti) 

Unterpieringer,  Chr., Beil. 

Zech,  Oskar 

Zehentbauer,  Otto, Beil. 


Illustrationen  zu  kunsthistorischen 
Aufsätzen  etc. 

Endres,  Dr.J.  A.,  Thomas-Zvclus  in  der 
Donrinikanerkirche  zu  Regensburg  267,  270 

Halm,  Dr.  Fh.  M.,  Wolf  Huber  und  der 
Donaustil     65,  68,  69,   71,  72,  73,  73, 

74,  75,  76,  77,  78,  79,    81 

Hautmann,  Dr.  Max,  Das  Bamberger  Elfen- 
beinrelief Cim.  57      125 

Holzschnitzerei Heil,  so  u.     31 

Kleinschmitt,  Miniaturen  der  Exultet- 
rollen  177,  178,  179,  180,  181,  182,  182,  183 

Lüthgen,  Dr.,  Spätgotische  Holzplastik 
des  Inn-  u.  Salzach-tJebietes  129,  130, 
131,  132,  133,   134,  135,   136,  136,  136,  137 

Mader,  Dr.  Felix,  Die  Hallerin  des  Domes 
zu  Eichstätt 17 

Mankowski  H.,  D.as  ehemalige  Cister- 
cienser-Kloster  Oliva    ....      147  u.  149 

Prumler,  Raoul  Eugen,  Der  Freskenschatz 
von  Muggia 139,   140,  141 

Schmitt,  Frz.  Jakob,  Der  Dom  zu  Magde- 
burg   258,  2.59,  201,  262,  263 

Schwarz,  Dr.  M.,  Oratorium  bei  St.a.  Maria 
in  Vallicella 186,  186  u.  187 

Steffen,  Hugo,  Die  Peterskirche  in  Mün- 
chen          126,  127  u.  128 

—  Die  ehemalige  Augustinerkirche  in 
München   235,  2.36,  237,  238,  239,  240,  241 

Wandmalereien  in  der  Kirche  zu  Gachen- 
hach 319,  3.50  u.  351 


DO>JATELLO 


l)As   hsl  l,\\  INIllK   DKS  HL.  ANTONIUS 


Padua.      Tejct  S.  7 


MODERNE  RELIGIÖSE  PLASTIK 

Von  ALEXANDER  HEILMEYER 
I.  Arten  der  Plastik 


r^ie  Kirche  hat  sich  von  jeher  als  treue 
'-^  Mutter  der  Künste  erwiesen.  Sie  hat  sie 
großgezogen  und  genährt  und  ihnen  den 
weitgehendsten  Spielraum  für  ihre  Entwick- 
lung eingeräumt.  Es  liegt  im  Geiste  ihrer 
Organisation,  daß  auch  der  im  Dienste  der 
Kirche  arbeitende  Künstler  gewisse  traditio- 
nelle, durch  den  Kultus  bedingte  Formen  an- 
nehmen mußte.  Die  Kirche  hat  aber  auch 
hierin  wieder  eine  glückliche  Fähigkeit  der 
Einfühlung  und  Anpassung  gezeigt,  da  sie  die 
in  ihrem  Dienste  stehende  Kunst  niemals 
hinderte,  die  im  künstlerischen  Leben  zutage 
tretenden  Imponderabilien  aufzunehmen  und 
zu  verarbeiten.  Sie  konnte  das  tun,  ohne  die 
Einiieitlichkeit  der  christlichen  Kunst  zu  ge- 
fährden. Diese  Einheit,  die  schon  durcii  den 
Stoff  gegeben  ist,  beeinträchtigt  nicht  die 
Mannigfaltigkeit  der  künstlerischen  Gestaltung. 
Ungemein  reich  und  groß,  fast  unerschöpf- 
lich ist  das  Stoffgebiet  der  christlichen  Kunst. 
Der  christliche  Künstler  schöpft  den  Inhalt 
seiner  Kunstvorstellungen  aus  der  so  anschau- 
lich gedachten  Bilderwelt  der  Bibel,  der  christ- 
lichen Evangelien,  Legenden  und  Heiligen- 
geschichte. Er  schafft  Werke,  die  für  alle 
Gläubigen  eine  allgemeingültige,  im  gewissen 
Sinne  objektive  Bedeutung  haben.  Es  handelt 
sich  demnach  bei  der  christlichen  Kunst  um 


den  Ausdruck  des  Erlebnisses  eines  bestimmten 
Stoffes  innerhalb  einer  typischen  Form,  eine 
Parallele  zum  religiösen  Leben  überhaupt. 
Die  älteste  christliche  Kunst  hat  einen  rein 
symbolischen  Charakter;  sie  ist  Mitteilung 
geistigen  Lebens  für  die  in  der  kirchlichen 
Gemeinschaft  verbundenen  Gläubigen.  Die  Dar- 
stellung abstrakter  Ideen  birgt  für  den  christ- 
lichen Künstler  allerdings  eine  gewisse  Ge- 
fahr, indem  er  sich  leicht  Stoffen  zuwendet, 
die  der  sinnlichen  Anschauung  nicht  zugäng- 
lich oder  auch  für  seine  Kraft  zu  schwierig 
sind,  denn  in  der  Kunst  handelt  es  sich  nicht 
allein  um  das  innere  •) Erlebnis  ;,  sondern  auch 
um  ein  »Können«.  Der  bedeutendste  Gegen- 
stand wirkt  als  ästhetische  Erscheinung  un- 
bedeutend, sofern  ihm  nicht  der  Künstler 
Form  und  Gestalt  verleiht.  Der  christliche 
Künstler  entgeht  dieser  Gefahr  am  ehesten, 
wenn  er  sich  den  Findrücken  der  Xatur  rück- 
haltlos hingibt,  denn  auch  die  Natur  bietet 
ihm  eine  unversiegbare  Quelle  geistiger  An- 
regung. Freilich  darf  er  die  Natur  nicht  mit 
den  Augen  des  »Naturalisten 'x  betrachten,  der 
den  Leib  photographiert  und  die  Seele  ver- 
gißt. Zwei  Wege  stehen  dem  christlichen 
Künstler  offen,  auf  denen  er  zum  Ziel  einer 
religiösen  Kunst,  wie  sie  die  Kirche  bedarf, 
gelangen  kann.    Der  gangbarste  Weg  ist  der 


©^  ARTEN  DER  PLASTIK  m& 


DONATEl.LO  ST.  ANTONIUS 

Bromeßour  auf  dem  Hochaltar  der  Antoithiskhxh,-  zn 

Päd  na.      Text  5.  4 

der  Tradition.  Die  Tradition  hat  im  Laute 
der  Jahrhunderte  die  Formensprache  der 
christlichen  Kunst  vollkommen  ausgebildet, 
der  Künstler  braucht  sie  bloß  aufzugreifen  und 
sie  richtig  anzuwenden. 

Der  zweite,  schwierigere  Weg  ist  der,  sich  in 
das  Problem  der  christlichen  Kunst  als  eines 
Ausdruckes  der  in  der  Gegenwart  lebendigen 
und  in  der  christlichen  Idee  vorgebildeten 
Anschauungen  zu  vertiefen.  Werfen  wir 
einen  Blick  auf  die  moderne  religiöse  Malerei, 
so  will  es  uns  scheinen,  als  sei  diese  in  ein 
neues  Stadium  der  Entwicklung  eingetreten. 
Die   alte   Form    der   traditionellen   religiösen 


Malerei  scheint  zersprengt  und  eine  neue  im 
Werden  begrifien.  Und  zwar  vollzog  sich 
diese  Entwicklung  im  innigen  Anschlüsse  an 
den  modernen  Naturalismus. 

Der  modernen  christlichen  Plastik  will  es 
nicht  so  leicht  gelingen,  uns  die  hl.  Gestalten 
in  einer  unserer  Zeit  und  unserem  religiösen 
Empfinden  nahestehenden  Form  zu  vermitteln. 
Die  Gründe  dafür  liegen,  wie  wir  später  dar- 
tun werden,  zum  Teil  in  der  eigentümlichen 
Natur  der  Plastik,  in  ihren  Ausdrucksmitteln 
und  deren  stofflicher  Gebundenheit  an  die 
Materie,  was  an  sich  den  Ausdruck  von  Ge- 
fühlen und  Stimmungen  erschwert. 

Es  ist  nicht  gerade  ein  Zufall,  daß  den 
Modernen  die  Zeit  heute  so  nahesteht  und 
in  vielem  auch  vorbildlich  wirkt,  da  der  Trou- 
badour der  Gottesminne,  Franz  von  Assisi, 
seinen  Sonnengesang  anstimmte  und  Fra 
Angelico  die  religiöse  Kunst  als  mystisches 
Erlebnis  der  Sinne  erfaßte.  Auch  der  Realis- 
mus eines  Donatello  und  die  typenbildende 
schöpferische  Kraft  Michelangelos  wie  die 
innige,  in  so  originellen  Formen  sich  aus- 
wirkende mittelalterliche  Kunst  wird  von  uns 
heute  starker  und  tiefer  erfaßt  als  zur  Zeit 
der  Romantik.  Wir  bemächtigen  uns  ihrer 
künstlerischen  Werte  nicht  allein  auf  dem 
Wege  der  Nachahmung,  sondern  auch  durch 
intuitive  und  intellektuelle  Erkenntnis.  Dazu 
können  uns  die  Werke  der  alten  Meister 
immer  wieder  nützen,  zu  zeigen,  wie  sie  es 
gemacht  haben.  Wir  wollen  daher  an  der 
Hand  dieser  Vorbilder  das  Wesen  der  Plastik 
näher  ins  Auge  fassen.  Es  gibt  sich  am 
besten  zu  erkennen  aus  ihrem  Verhältnis  zu 
den  beiden  Schwesterkünsten  Malerei  und 
Architektur. 

Stellen  wir  Malerei  und  Plastik  einander 
gegenüber,  wie  stofllich  arm  erscheint  dann 
die  Plastik  gegen  die  Bilderwelt  christlicher 
Malerei.  Die  Malerei  übertrifft  die  Plastik  an 
stofflichem  Reichtum,  sie  bemächtigt  sich  alles 
Sichtbaren  im  Räume,  sie  vermag  das  ruhende 
wie  das  bewegte ,  das  animalische  wie  das 
seelische  Leben  widerzuspiegeln.  Welche 
Schönheiten  und  welchen  Abglanz  inneren 
Lebens  kann  der  Maler  allein  durch  das  Auge 
darstellen? 

Die  Plastik  mit  ihren  schwer  zu  gestalten- 
den Stoffen:  Stein,  Bronze,  Holz  etc.  muß 
sich  beschränken.  Diese  Beschränkung  der 
Plastik  ergibt  sich  aus  der  Bedeutung  der 
Form  und  ihrer  Erscheinung  im  Räume,  die 
nach  Darstellung  wichtiger  und  gewichtiger 
Dinge  verlangt.  Von  allen  Erscheinungen 
der  Körperwelt  ist  der  Mensch  das  geeignetste 
Objekt    der    Plastik;    daher    die    griechische 


Li  M:L:./i  >    <,llll;l.K-l 


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ÜKUN/liTLKH 


C>^  ARTEN  DER  PLASTIK  J^Ö 


Kunst,  welche  die  Plastik  am  vollkommen- 
sten ausgebildet  hat,  die  menschliche  Figur 
über  alles  stellte.  Die  religiöse  Kunst  findet 
in  ihr  die  Würde  und  Erhabenheit  des  Aus- 
druckes, deren  sie  für  ihre  Kultstätten  bedarf. 
In  der  Form  der  Statue  zeigt  sich  das  Bild 
des  Menschen  im  Zustande  vollkommener 
Ruhe  und  Einheit,  befreit  von  allen  reflex- 
mäßig sich  spiegelnden  Leidenschaften  und 
Handlungen.  Aus  diesem  Grunde  mußte  sich 
auch  die  das  menschlich-geistige  Wesen  am 
klarsten  aussprechende  Form  der  Skulptur 
vor  allem  für  die  Darstellung  göttlicher  Per- 
sonen eignen.  Wie  sind  die  Statuen  von 
Christus  und  den  Aposteln  in  ihrer  Ruhe  und 
Einzelheit  so  bedeutsam. 

Der  christliche  Künstler  mußte,  wenn  er 
auch  gleich  durch  die  antike  Statuarbildnerui 
angeregt  wurde,  gleichwohl  für  seine  Ideale 
neue  Ersciieinungstormen  schaffen.  Da  die 
christliche  Kunst  vor  allem  das  Geistige  in 
der  Natur  des  Menschen  veranschaulichen 
will,  mußte  sie  allen  Nachdruck  auf  Be- 
wegung, Stellung,  Geste,  auf  die  Bildung  des 
Kopfes,  Gesichtes  und  der  Hände  legen ;  sie 
mußte  vor  allem  auf  das  bestimmteste  indivi- 
dualisieren und  das  für  ihre  Absicht  Cha- 
rakteristische der  Erscheinung  hervorheben  und 
betonen.  Der  Körper  wird  durch  langherab- 
wallende  Gewänder  verhüllt.  Im  Schwünge 
der  Linien  und  Falten  des  Gewandes  klingt 
der  Riiythmus  der  Bewegung  und  Geste  wie 
ein  Echo  nach.  Das  Problem  »Statue«  wird 
also  auf  eine  ganz  andere  eigenartigere  Weise 
gelöst  als  in  der  Antike.  Diese  Lösung  geht 
bei  Künstlern ,  die  ihre  Anregung  von  der 
Antike  empfingen,  nicht  ganz  ohne  Hemmung 
und  Scliwierigkeiten  aller  Art  vor  sich. 

Man  betrachte  die  Christusstatue  von  Michel- 
angelo (Abb.  S.  7).  Es  ist  ungewöhnUch,  Chri- 
stus so  darzustellen  und  es  bedarf  der  Symbole 
Kreuz,  Rohr  und  Schwamm,  um  darauf  hinzu- 
weisen, daß  es  Christus  ist.  Michelangelo  bildet 
keinen  etwa  durch  Askese  und  Leiden  ent- 
stellten Körper,  sondern  eine  apollinische  Ge- 
stalt. Der  muskulöse  kräftige  Körper  wider- 
strebt der  christlichen  spirituellen  Auffassung, 
der  Ausdruck  hat  eher  etwas  Heroisches,  es 
ist  der  Christus  der  Auferstehung,  der  Über- 
winder einer  alten  und  Aufrichter  einer  neuen 
Weltordnung.  Der  großartige  Geist  Michel- 
angelos konnte  sich  Christus  nicht  anders 
als  einen  sieghaften  Helden  vorstellen.  Er 
mußte  auch  Christus  nach  dem  Ideal  seiner 
künstlerischen  Anschauung  antik  bilden.  Trotz 
gewisser  Grenzen,  die  der  Plastik  gezogen 
sind,  bietet  gerade  das  Thema  Christus  "für 
sie   ein    ergiebiges   Motiv    dar.     Christus    als 


Lehrer,  Erlöser,  Tröster,  Kinderfreund  sind 
dankbare  Aufgaben.  Der  beste  aber  auch  der 
schwierigste  Vorwurf  für  die  Plastik  ist  die 
Darstellung  des  Gekreuzigten.  Sie  führt  den 
Bildner  bis  hart  an  die  Grenzen  des  Möglichen. 
Aber  gerade  darin  zeigt  sich  ja  der  Meister. 
Freilich  glaubt  auch  schon  jeder  Herrgotts- 
schnitzer mit  einiger  Fertigkeit  im  Handwerk 
diese  höchste  Aufgabe  der  christlichen  Kunst 
zu  lösen, 
r  Wir  haben  schon  angedeutet,  welche  Be- 
deutung gerade  in  der  christlichen  Kunst  die 
Tradition  hat.  Auch  Michelangelo  bediente 
sich  der  Attribute  und  Symbole ,  auch  er 
verlieh  dem  Kopf  seiner  Christusstatue  tradi- 
tionelle Züge.  Was  wir  gewöhnlich  *  Heiligen- 
figuren <  nennen,  sind  nichts  anderes  als  solche 
traditionelle  Typen,  die  einmal  geprägt,  jahr- 
hundertelang in  denselben  Formen  wieder- 
kehren. Ein  charakteristisches  Beispiel  für  eine 
solche  Figur  bietet  die  Bronzestatue  des  heiligen 
Antonius  von  Padua  (Abb.  S.  2).  Es  ist  durch- 
aus keine  Verherrlichung  des  menschlichen 
Körpers  im  Sinne  der  dem  Antiken  nach- 
strebenden Renaissancekünstler,  sondern  eine 
sehr  individuell  und  realistisch  gestaltete  Ge- 
wandfigur, ein  Mönch  von  innigem,  kontem- 
plativem Ausdruck.  Das  Gegenständliche  ist 
in  der  Beigabe  des  symbolischen  Buches  leise 
berührt  und  in  durchaus  künstlerischer  Weise 
der  Erscheinung  untergeordnet.  Diese  Kunst 
will  vor  allem  durch  den  Menschen  zum 
Menschen  sprechen. 

Die  Mosesstatue  von  Michelangelo  zeigt  die 
höchste  Entfaltung  aller  Kunstmittel,  bei  der 
innigsten  Beschränkung  auf  die  äußerst  kon- 
zentrierte Einheit  der  Statue  (Abb.  S.  9).  Die 
Form  der  sitzenden  Figur  spricht  ja  noch  deut- 
licher als  die  der  Statue  das  in  sich  ruhende 
Wesen,  ein  beharrendes  Sein  aus.  Es  ergibt  sich 
schon  aus  der  stofflichen  Gebundenheit  an 
die  Materie  eine  gewisse  Zurückiialtung  in  der 
Darstellung  des  von  starken  Affekten  beweg- 
ten Lebens.  Und  doch  schuf  Michelangelo 
gerade  im  Moses  ein  Bild  verhaltener,  ge- 
waltig gärender  Leidenschaft.  Man  hat  das 
Gefühl,  dieser  Moses,  der  eben  den  Abfall 
seines  Volkes  gewahrt,  würde  aufspringen, 
und  es  würde  sich  das  Donnerwetter  seines 
titanischen  Zorns  entladen.  Dieser  Ausdruck 
gelang  Michelangelo  ohne  jede  Anwen- 
dung besonderer  Kunstmittel.  Er  entiiielt 
sich  auch  jeglicher  Übertreibung :  weitaus- 
ladender Gebärden  und  Gesten.  Dagegen  ent- 
faltete er  einen  großen  Reichtum  an  Be- 
wegungsmotiven, Drehungen,  Biegungen  und 
Wendungen  in  den  Gelenken  und  Gliedern, 
im    rhythmischen  Schwuntr    der  Linien    und' 


©^  ARTEN  DER  PLASTIK  msZ 


I.LCA   I)i;i.l-A   ROBniA 


MUSIZIERENDE  MADCHEN 


Kurven  der  Draperie,  kurz  an  allen  für  die  An- 
schauung^ wichtigen  Punkten.  Er  erreicht  da- 
durch eine  Lebendigkeit  des  Eindruckes,  die 
eine  Fülle  von  Rmptindungen  und  Vorstel- 
lungen auslöst. 

Line  andere  Form  der  Skulptur,  das  pla- 
stische Gruppenbild ,  gewährt  dem  Drange 
nach  geistiger  Mitteilung  durch  \'ereinigung 
zweier  oder  mehrerer  Figuren  zu  einem  Bilde 
noch  größeren  Spielraum.  Deshalb  hat  auch 
die  christliche  Kunst  bei  Schilderungen  aus 
der  Passionsgeschichte.  biblischer  Bilder  und 
Lehrenden  von  dieser  Kunstform  reichlich  Ge- 


brauch gemacht.  Sie  hat  sich  aber  gerade  in 
Darstellungen,  die  vielfache  Gelegenheit  xur 
Entfaltung  dramatisch  bewegten  und  erregten 
Lebens  bieten,  immer  maßvoll  gezeigt.  Be- 
trachtet man  von  diesem  Gesichtspunkte  aus 
die  Piet;'i  von  Michelangelo  (Abb.  S.  6)  und 
vergleicht  sie  mit  aus  der  Antike  überkom- 
menen Marmorgruppen,  /..  B.  die  Niobe-  oder 
Laokoongruppe,  dann  wird  es  augenfällig,  daß 
iUihe  und  eine  an  sich  gehaltene  Energie  im 
Ausdruck  des  Affektes  charakteristische  Merk- 
male der  christlichen   Kunst  sind. 

Michelangelo  schul  in   der  Piet.'i  ein  Grup- 


©:®«  ARTEN  DER  PLASTIK  ?*«3 


MICHELANGELO 


nkiirlu-  zu   K,: 


penbild  von  strenger  Einheit  und  Geschlossen- 
heit. Diesem  schon  durch  die  Natur  des 
Materials  getbrdertenErscheinungs-Zusammen- 
hang  entspricht  auch  das  gegenständliche  Mo- 
tiv, die  Schmerzensmutter  mit  ihrem  Sohne 
auf  dem  Schoß.  Um  die  sitzende  Gestalt 
der  Madonna  als  den  Mittelpunkt  der  Gruppe 
hervorzuheben,  benutzte  Michelangelo  das 
Kontrastmittel  unterschiedlicher  Größenver- 
hältnisse, die  Madonna  ist  im  Verhältnis  zu 
dem  Körper  des  auf  ihrem  Schöße  liegenden 


Christus  sehr  groß  und  stattlich  gebildet. 
Die  ganze  Komposition  ist  auf  einfache,  aber 
schlagende  Kontrastwirkung  von  vertikalen 
und  horizontalen   Linien   aufgebaut. 

Diese  bilden  gleichsam  das  Gerüst  für  das 
in  mannigfaltigster  Weise  durchgeführte  Motiv, 
wobei  der  Künstler  vor  allem  auf  Deutlich- 
keit und  Klarheit  der  bildlichen  Erscheinung 
ausging.  Die  Draperie  verhilft  zu  möglichster 
Einheitlichkeit  der  Erscheinung,  sie  bildet  zu 
der  Bewegung  der  Figuren  wirkungsvolle  Be- 


©^  ARTEN  DER  PLASTIK  J-S^ 


gleitliiiien ;  sie  ist  wie  bei  der  Statue 
des  Moses  durchaus  organisch  gedacht, 
gegliedert  und  von  seltener  Vollkom- 
menheit in  der  Durchbildung  und  Aus- 
führung. 

Die  Figuren  des  Michelangelo  er- 
halten durch  die  kluge  Verwendung 
wirksamer  Kontrastmittel  einen  fast  nia 
lerisch  anmutenden  Ausdruck.  Bewun- 
derungswürdig ist  die  Behandlung  des 
Materials,  das  natürlich  in  diesen  voll- 
endeten Werken  ganz  hinter  der  for- 
malen Erscheinung  zurücktritt.  Man 
sieht  nicht,  wie  es  gemacht  ist.  Eine 
gewisse  künstlerische  Höhe  der  Tech- 
nik ist  im  Zeitalter  der  Renaissance 
selbstverständlich.  Die  schon  erwähnte 
Statue  des  hl.  Antonius  zeigt  eine  ge- 
radezu virtuose  Behandlung  der  Bronze, 
besonders  im  Gesamtcharakter.') 

Neben  den  Werkformen  der  Statue 
und  des  Gruppenbildes  findet  vor  allem 
das  Relief  in  der  christlichen  Plastik 
mannigfache  und  vielseitige  Anwen- 
dung, daher  wir  auch  die  Eigenart  die- 
ser Kunstlorm  näher  ins  Auge  fassen 
müssen.  Das  plastische  Flächenbild 
steht  auf  der  der  Malerei  zugeneigten 
Seite  der  Skulptur.  Im  Relief  scheint 
die  Plastik  ihre  Grenzen  zu  erweitern, 
sie  nimmt  Gegenstände  und  Motive  in 
das  Bereich  ihrer  Darstellung  auf,  wie 
■/..  B.  Vorgänge,  welche  sich  in  der  freien 
Landschaft  abspielen  oder  hgurenreiche 
Szenen  in  architektonisch  gestalteten 
Räumen,  eigentlich  lauter  Stoffe  der  Ma- 
lerei. Diese  malerische  Form  des  Re- 
liefs ergibt  sich  von  selbst  bei  der  Be- 
handlung von  erzählenden  und  drama- 
tischen Stoffen.  Das  Relief  steht  darin 
manchen  Werken  der  Malerei  sehr  nahe, 
wie  Abb.  S.  i,  ein  Meisterwerk  Dona- 
tellos, zeigt,  wo  malerische  Raumver- 
tielung  angestrebt  ist. 

Von  dieser  maßvolleren  Stufe  der 
Entwicklung  des  malerischen  Reliefs  ist 
nur  mehr  ein  Schritt  zu  dem  ausge 
sprechen  malerischen  Reliefstil  von 
Ghiberti. 

Ghiberti  sucht  in  seinen  Portal-Re 
liefs  (Abb.  S.  3)  noch  viel  reichere  und 
mannigfaltigere  Wirkungen  hervorzu 
bringen.  Durch  perspektivisch  abge- 
stufte Pläne  erzielt  er  stärkere  Tiefen- 
wirkungen; er  schafft  für  die  ungemein 


')  Die  Lilie  ist  spätere  Heigabe  und  über  dem 
Buche  befestigt. 


.MICHELANGELO 

Mariiiorslatur  . 


Cü^  ARTEN  DER  PLASTIK  J^a 


belebten  und  bewegten  figurenreichen  Bil- 
der eine  möglichst  weiträumige  Umgebung, 
Architektur  und  Landschaft,  um  den  Inhalt 
seiner  Geschichten  in  all  ihren  Einzelheiten 
ausführlich  erzählen  zu  können.  Ghiberti  be- 
wältigt die  schwierigsten  Probleme  der  Reliet- 
bildnt-rei  und  erreicht  malerische  Wirkungen, 
wie  sie  kaum  einem  anderen  wieder  gelungen 
sind.  Die  Reliefs  wirken  wie  Bilder  in  einem 
reich  geschnitzten  Rahmen.  Das  Ganze  ist 
bei  aller  Fülle,  allem  Reichtum  der  Details  klar 
und  übersichtlich.  Michelangelo  sagte  bekannt- 
lich von  diesen  Türen:  »Sie  wären  wert,  die 
Pforten  des  Paradieses  zu  schmücken.«  Dona- 
tello  hat  die  Wesensgrenze  des  Reliefstils  stren- 
ger gewahrt,  als  es  Ghiberti  in  dem  eben 
besprochenen  Werke  tat:  bei  ihm  (vgl.  S.  i) 
stellen  die  Figuren  auf  gleichem  Boden  und 
haben  gleiche  Kopfhöhe,  sie  schieben  sich 
nicht,  wie  bei  Ghiberti  in  verschiedene  Ab- 
stufungen hinter-  und  übereinander. 

In  den  bekannten  Reliefs  der  Sängertribüne 
für  den  Dom  in  Florenz  von  Luca  della  Robbia 
sind  dagegen  die  strengeren  Grundzüge  des 
antiken  Reliefstils  festgehalten.  Das  Relief  im 
Rahmen  der  Architektur  hat  tektonischenXha- 
rakter.  Die  Figuren  sind  in  einem  bestimmten 
Rhythmus  angeordnet,  nebeneinander  und 
hintereinander  gereiht;  malerische  Zutaten 
sind  vermieden.  Dabei  ist  aber  der  Ent- 
faltung feinerer  künstlerischer  Ausdrucksmittel 
in  Gesten,  Gebärden  etc.  kein  Zwang  ange- 
legt. Im  Gegenteil,  der  Künstler  bewegt  sich 
vielmehr  mit  großer  Freiheit;  das  Relief  ent- 
hält reizvolle  individuelle  und  direkt  der  Natur 
abgelauschte  Züge  (Abb.  S.  5). 

Das  Relief  gewährt  der  bildnerisclien  Phan- 
tasie einen  viel  größeren  Spielraum,  als  die 
auf  die  Einzelerscheinung  beschränkte  Statuen- 
plastik. Die  alten  Meister  wußten  ganz  be- 
sonders schöne  Wirkungen  durch  derartige 
Verbindungen  von  Reliefbildern  und  Archi- 
tektur zu  erzielen.  Das  Relief  fand  auch  in 
der  kirchlichen  Kunst  früherer  Zeiten  reich- 
liche Verwendung.  Es  schmückte  Wände, 
Portale,  Altäre,  Kanzeln,  Emporen.  Alle  mög- 
lichen Materialien,  Stein,  Erz,  Holz,  Mosaik, 
Ton,  Kupfer,  wurden  dazu  verarbeitet.  Man 
denke  nur  an  die  aus  glasiertem  Ton  gefer- 
tigten Relief bilder  von  Luca  della  Robbia; 
ein  Material,  das  auch  in  unseren  Kirchen 
wieder  viel  mehr  Anwendung  finden  sollte. 
Kreuzwegstationen,  Votivbilder  und  Portal- 
schmuck heßen  sich  in  diesem  Materialetreff"Hch 
ausführen.  Farbige  Terrakotta  würde  sich 
überdies    auch    dekorativ   wirksam   erweisen. 

Wo  immer  die  Plastik  als  raumschmückende 
Kunst  auftritt,  und  dies  ist  ja  bei  der  kirch- 


lichen Plastik  in  erster  Linie  der  Fall,  besteht 
ein  inniger  Zusammenhang  mit  der  Archi- 
tektur. Der  Bildhauer  verarbeitet  ja  auch  die- 
selben Materialien  wie  der  Architekt.  Das 
plastische  Standbild  unterliegt  als  Körper  im 
Räume  denselben  statischen  Gesetzen.  Die 
Architektur  schafft  der  Plastik  geradezu  den 
Boden,  auf  dem  sie  stehen  und  sich  entfalten 
kann.  Gerade  die  dekorative  tektonische 
Plastik  ist  mit  der  Architektur  innig  verbunden, 
besonders  beim  Kirchenbau,  wo  sich  das  Be- 
dürfnis nach  bildnerischem  Schmuck  stark 
fühlbar  macht.  In  der  italienischen  Kunst 
nimmt  die  kirchliche  Plastik  von  Anfang  an 
diese  Stellung  ein.  Die  Werke  von  Donatello, 
Ghiberti,  Luca  della  Robbia  und  auch  jene 
Michelangelos  sind  zunächst  aus  diesem  Be- 
dürfnis hervorgegangen.  Der  tektonische 
Gharakter  der  Statuarplastik  ist  unverkennbar. 
Die, schönsten  Werke  der  Relief bildnerei  ent- 
standen im  unmittelbaren  Anschluß  an  die 
architektonische  Umgebung  und  in  inniger 
Verbindung  mit  ihr. 

Ihr  hervorstechendster  Charakter  ist  der  Zug 
zur  Monumentalität ,  wie  sie  Michelangelo 
in  seinen  Werken  erreicht  hat. 

Die  deutsche  mittelalterliche  Plastik  steht 
fast  ausschließlich  im  Dienste  der  Architektur. 
In  der  Gotik  ist  nicht  weniger  Streben  nach 
Monumentalität,  aber  das  Detail,  und  dazu 
gehört  die  Plastik,  ordnet  sich  dem  Ganzen 
noch  viel  mehr  unter  als  in  der  italienischen 
Kunst.  Gerade  in  der  Gotik  entfaltet  sich  die 
Plastik  mit  proteischer  Fülle  und  Mannigfaltig- 
keit und  mit  einer  Originalität,  wie  wir  sie  in 
der  gleichzeitigen  Kunst  im  Süden  sehr  selten 
gewahren.  Freilich  konnte  auch  diese  Plastik 
die  Probleme  der  Statuar-  und  Relief  bildnerei 
nicht  zu  jener  Höhe  der  Entv/icklung  bringen, 
wie  es  der  itahenischen  Kunst  gelang.  Diese 
mittelalterliche ,  in  ihren  Erscheinungen  so 
ungemein  mannigfaltige  originelle  Kunstweise 
hat  ornamentalen  Charakter.  Während  Italien, 
nicht  zum  wenigsten  infolge  seiner  antiken  Erb- 
schaft und  seiner  Marmorbrüche,  die  Statuar- 
plastik pflegte  und  auf  eine  hohe  Stute  künstle- 
rischer Ausbildung  brachte,  bildete  die  deutsche 
kirchliche  Plastik  des  Mittelalters  die  Holz- 
skulptur bis  zu  einem  bisher  nicht  wieder  er- 
reichten Grade  der  Vollendung  aus. 

Die  Eigentümlichkeiten  der  Holzskulptur 
lernen  wir  am  besten  aus  den  Werken  eines 
Riemenschneider,  Syrlin  und  Pacher  kennen. 
Die  originellen  Figuren  des  heiligen  Jakobus 
und  einer  Madonna  mit  dem  Kinde  von 
Riemenschneider  (Abb.  S.  10  und  11)  zeigen 
uns,  wie  diese  Meistj^  das  Problem  der  Statue 
zu  lösen  versuchten.    Die  Durchbildung  des 


MlCHtLANGKLO 

Marworslatut  in  S.  Pietro  in   l'ifuoli  *u  Roitt^     Ttxt  S.  4 


MOSES 


Die  chrlstikhe  Kunst.    V.     r. 


'S-^  ARTEN  DER  PLASTIK  m:<S 


SCHULER  DES  TILMAN  RIEMEKSCHNEIDER 
MADONNA 
zstnfiii-  im  Xatioiialiiniseui::  :ii  iluuchen.      Text  S.  S 


Körpers  ist  eine  mangelhafte,  wenngleich  nicht 
ohne  Anmut  in  der  Stellung  und  im  Ausdruck 
der  Madonna  und  charakteristischer  Geste  bei 
der  Figur  des  heiligen  Jakobus.  Es  sind  aber 
doch  mehr  traditionelle  Motive,  die  immer 
wiederkehren.  Für  die  ganz  in  Falten  ein- 
gehüllten Figuren  mußten  bestimmte  Bewe- 
gungsmotive erfunden  werden,  um  doch  auch 


den  Körper  durch  die  Falten  einigermaßen 
wirksam  in  die  Erscheinung  treten  zu  lassen; 
daher  bei  männlichen  Figuren  der  vorgestellte 
Fuß,  bei  den  weiblichen  das  sogenannte  Spiel- 
bein und  die  ausgebogenen  Hütten.  Dem 
Faltenwurf  wird  die  größte  Aufmerksamkeit 
gewidmet.  Das  Problem  der  Statue  ist  im 
eigentlichen  Sinne  für  diese  mittelalterlichen 
Bildschnitzer  ausschließlich  das  Problem  der 
Draperiefigur. 

Die  Kunst  des  Holzschnitzers  feierte  in  den 
ganz  in  Draperien  eingehüllten  Figuren  mit 
ihren  knitterigen  Falten,  harten  eckigen  Brü- 
chen, die  wie  bei  den  Büsten  von  Syrlin 
(Abb.  S.  12)  an  den  Ärmeln  oft  ganze  Falten- 
nester bilden,  ihre  höchsten  Triumphe.  Sie 
verfiel  aber  später  wohl  auch  in  eine  kleinliche 
Ausführung  des  Details,  in  zu  glatte  technische 
Manier.  Ein  Meisterstück  solcher  technischer 
\'ollkommenheit  ist  die  Porträtbüste  Fried- 
richs IL  von  der  Pfalz  im  Bayerischen  National- 
museum (Abb.  S.  17).  Bei  aller  Neigung  zur 
Stilisierung  der  Form,  die  oft  zur  Manier  führte, 
iühlen  wir  in  den  Arbeiten  bedeutender  Künst- 
ler doch  immer  das  Streben  hindurch,  in  die 
Nähe  der  Natur  zu  gelangen.  Der  Kopt  des 
heiligen  Likobus  oder  das  Gesicht  der  Madonna 
der  Riemenschneider -Schule  zeigen  indivi- 
duelle Züge.  Der  Mann  mit  der  lebhaften 
Geste,  den  Syrlin  für  seine  dekorative  Büste 
am  Ulmer  Chorgestühl  zum  Vorbild  genommen 
hat,  ist  ein   echter  Ulmer  Kopt. 

Solche  oft  sehr  stark  hervortretende  Züge, 
verbunden  mit  besonderen  Eigentümlichkeiten 
der  Werkstatt-  und  Schultradition,  sind  cha- 
rakteristische Merkmale  und  man  spricht  von 
schwäbischen ,  bayerischen  und  tränkischen 
Meistern  und  Werken ;  man  unterscheidet 
demnach  in  der  ungeheuer  reich  und  mannig- 
faltig ausgebildeten  Formensprache  mittelalter- 
licher Kunst  verschiedene  Dialekte.  Li  diesem 
Sinne  sind  auch  die  dekorativen  figuralen  Skulp- 
turen vom  Chorgestühl  der  Münchener  Frauen- 
kirche interessant  (Abb.  S.  13).  Sie  werden 
dem  Erasmus  Grasser,  einem  Meister  der  baveri- 
schen  Schule,  zugeschrieben.  Wir  sehen  darin 
auch  ein  treffliches  Beispiel,  wie  die  Plastik 
in  der  Kirche  angewendet  wurde.  Das  Chor- 
gestühl wird  häutig  mit  ornamentalem  und 
tiguralem  Schnmck  reich  verziert.  Die  Haupt- 
stelle aber,  auf  die  sich  aller  Schmuck  kon- 
zentriert, ist  der  glänzende  Mittelpunkt  der 
ganzen  Kirche,  der  Altar.  Alle  Künste: 
Architektur,  Plastik  und  Malerei  wetteifern, 
die  Opferstätte  zu  schmücken,  sie  erscheinen 
hier  in  innigster  Verbindung.  Ein  aus  der 
Schule  Michael  Pachers  hervorgegangener 
Altar  im   Baverischen  Nationalmuseum  diene 


TOS«  ARTEN  DER  PLASTIK  J'SS^ 


als  Beispiel,    welche  Aufgaben  hierin  gerade 
der  Plastik  zukommen  (Abb.  S.  14 — 16). 

Alle  Arten  und  W'erkformen  der  Plastik: 
Keliet'  und  \'ollfiguren  treten  in  \'erbindung 
mit  Architektur  und  Ornamentik  auf.  In  den 
beiden  schmalen  Seitenhliigeln  entwickelt  sich 
das  Relief  gewissermaßen  aus  dem  Ornament. 
\'ielfaches  verschnörkeltes  Rankenwerk  bildet 
einen  Baldachin  über  der  würdevollen  Figur 
der  heiligen  Katharina.  Das  Relief  dieser 
l'igur  ist  so  flach  gehalten  wie  das  Ornament, 
aber  auch  ebenso  wirkungsvoll  in  der  Zeich- 
nung und  Modellierung.  Die  Flügel  des  Altars 
dürfen  das  Auge  nicht  voll  in  Anspruch  nehmen, 
sondern  nur  anregen  und  aut  das  reiche  Bild- 
werk des  Mittelstückes  hinüberleiten.  Hier 
konnnen  nun  alle  Kunstmittel  stärker,  reicher 
und  voller  zur  Entfaltung.  Das  Relief  ist  in 
allen  Abstufungen  verwendet,  von  dem  die 
Dinge  und  Gestalten  zart  andeutenden  Flach- 
relief bis  zum  Hochrelief  in  dem  die  Gestalten 
zu  voller  Erscheinung  herausgearbeitet  sind. 
Eine  streng  durchgeführte  architektonische 
Gliederung  teilt  das  Bild  in  drei  Teile,  das 
Ornament  als  Abschluß  und  Übergang  zu  den 
starren  architektonischen  Formen  bildet  durch 
das  bewegte  Spiel  von  schwungvollen  Kurven 
und  Linien  einen  das  Auge  anregenden  und 
erfreuenden  Kontrast  gegenüber  den  gewich 
tigen  Massen  der  plastischen  Gruppen  und 
Rundfiguren.  Die  Anordnung  und  \'erteilung 
der  Bilder  am  Altare  ist  sehr  sinnreich.  Am 
Altar,  wo  täglich  das  Meßopfer  gefeiert  wird, 
soll  auch  der  Blick  des  Gläubigen  mit  Be- 
wunderung und  Liebe  verweilen.  Es  sollen 
sich  ihm  die  Mysterien  der  Lebens-  und  Leidens- 
geschichte Christi  im  andächtigen  Schauen 
offenbaren.  In  der  Mitte  des  Altares  bietet 
sich  dem  Auge  im  Schimmer  goldigen  glän- 
zenden Kerzenlichtes  das  liebliche  Bild  der 
Geburt  Christi,  auf  den  beiden  Seitenflügeln 
die  würdevollen  Gestalten  der  Heiligen  aul 
Goldgrund  und  in  derPredella,  an  einer  weniger 
in  die  Augen  fallenden  Stelle,  das  hochdrama- 
tisch  gestaltete  Bild  der  Pietä,  wiederum  im 
direkten  Zusammenhang  mit  dem  Ornament 
als  wirkungsvoller  dekorativ  belebender  Flä- 
chenschmuck des  Altartisches  gedacht.  Diese 
Wirkung  wird  noch  erhöht  durch  Anwendung 
bunter  leuchtender  Farben,  womit  die  Holz- 
skulpturen bemalt  sind.  Der  eigentliche  Zweck 
und  Sinn  dieser  Bemalung  ergibt  sich  ohne 
weiteres  im  Hinblick  auf  die  Umgebung,  eine 
gotische  Hallenkirche,  wo  solche  Altäre  auf- 
gestellt wurden.  Die  dämmerigen,  farbig  be- 
lebten Innenräume  mittelalterlicher  Kirchen 
verlangten,  ja  forderten  geradezu  eine  farben- 
frohe, oft  bunte  Bemalung  der  Statuen.    Diese 


TII.MAN  RIEMEN'SCHNEIDER  HL.  JAKOBUS 

Lebensgroße  Ilotzftgur.       Im  NtUionaimuseiim  zu  München 

Text  S.  S 


Farbigkeit  plastischer  Werke  ist  nur  im  Zu- 
sammeniiang  mit  ihrer  farbigen  Umgebung 
zu  verstehen,  losgelöst  davon  verliert  sie  jeden 
Sinn.  Nicht  der  Gegenstand,  sondern  die 
Umgebung,  die  Situation,  in  der  die  Skulptur 
auftrat,  bestimmten  die  Farbe.  Wir  sind  heute 
von  dieser  Tradition  sehr  weit  abgekommen. 
Immer  noch  werden  Statuen  bemalt  ohne  jede 


DIE  >HALLERIN<:   DES  DOMES  ZU  EICHSTATT  8^ö 


JÖRG  SYRLIN 


Kenntnis  von  dem  Zusammenhange  mit  ihrer 
Umgebung.  DerBildhauerschicivtseine  -Figur : 
zum  >  Faßmaler«,  der  sie  bunt  bemalt  und 
dann  wird  sie  in  einer  Kirche  aufgestellt,  die 
weder  der  Bildhauer  noch  der  Faßmaler  ge- 
sehen haben.  Man  darf  sich  daher  auch  nicht 
wundern,  wenn  man  in  modernen  Kirchen 
so  oft  die  Entdeckung  macht,  daß  die  ganze 
Ausstattung  unharmonisch  wirkt. 

In  früheren  Zeiten  war  diese  Einheitlich- 
keit der  Erscheinung  eine  notwendige 
Folge  des  harmonischen  Zusammenwir- 
kens aller  Künste.  Der  Architekt  schuf 
den  Raum,  der  Maler  und  der  Bildhauer 
schmückten  ihn  aus.  Die  Kirche  bildete 
gewissermaßen  die  Versammlungsstätte 
aller  Künste.  Wir  streben  heute  in  der 
modernen  Raumkunst  wieder  Ähnliches 
an.  Architektur,  Plastik,  Malerei  und 
Kunstgewerbe  vereinigen  und  verbinden 
sich  untereinander,  um  einem  Räume 
Schönheit,  Stimmung  und  Weihe  zu 
geben.  Die  moderne  christUche  Kunst 
darf  nur  zugreifen  und  sich  die  Erfah- 
rungen der  modernen  Raumkunst,  Pla- 
stik und  Malerei  zunutze  machen.  Sie 
erfüllt  dann  vollständig,  was  wir  von 
ihr  erwarten;  Vertiefung  und  Verfei- 
nerung des  künstlerischen  Empfindens, 
charakteristische  Ausprägung  ihres  Gei- 
stes in  modernen  Kunstformen  und  viel- 
seitige Anwendung  im  Rahmen  derldrch- 
lichen  Kunst. 


DIE  »HALLERIN«  DES  DOMES 
ZU  EICHSTäTT 

Von  DR.  FELIX  MADER 

F^ie  größte  Glocke  des  Eichstätter  Domes 
L^  nennt  man  die  »Hallerin«  —  ihrer  mäch- 
tigen Stimme  wegen,  die  seit  dem  Jahre  1541 
ertönt  und  festliche  und  trauervolle  Ereig- 
nisse seitdem  ungezählte  verkündet  hat. 

Die  Geschichte  ihres  Gusses  ist  in  den 
Domkapitelprotokollen  erhalten :  die  vielen 
interessanten  Details  dieser  Aufzeichnung 
wurden  meines  Wissens  noch  nie  veröffent- 
licht, sind  aber  der  \^eröffentlichung  wert. 

Am  25.  Oktober  1538  beschließt  das  Dom- 
kapitel ,  es  solle  dem  Glockengießer  zu 
Nürnberg  geschrieben  werden,  er  möge  nach 
Eichstätt  kommen  ,  man  wolle  einer  neuen 
Glocke  wegen  mit  ihm  handeln.  ■)  Zu 
Anfang  des  nächsten  Jahres  erschien  der 
Meister  »Hanns  Glockengießer«.  Man  ver- 
einigt sich  mit  ihm  über  den  Guß  der  neuen 
Glocke  und  beschließt  sogar  im  weiteren 
Verlauf  der  Verhandlungen,  von  dem  zu- 
erst gewünschten  Voranschlag  über  Gewicht, 
Kosten  u.  s.  w.  abzusehen  und  dem  Meister 
zu  »vertrauen-:. 2)   Das  war  am  22.  März  1539. 

Meister  Hanns  Glockengießer  gehört  zu  den 
vielberühmten  Handwerksmeistern  Nürnbergs 
aus  damaliger  Zeit.    Bedeutende  Aufträge  nach 

')  Domkapitelprotokolle  (K.  Kreisarchiv  Nürnberg) 
Nr.  9,  S.  219  b. 

')  DomkapitelprotokoUe  (K.  Kreisarchiv  Nürnberg) 
Nr.  10,  S.  11. 


JÖRG 


SYRLIN  fUI.M)  ABT  DES  KLOSTERS  WEINGARTEN 

Holzbiistt-  im  Nationalmuseuiit  zu  Miinchett.     Text  S.  lo 


E2^  DIE  UIAI.LERIN.   DES  DOMES  ZU  EICHSTATT 


ERASMUS  GRASSER  (MCNCIIEN) 


ZWEI   PROPHETEN 


l'oiit  Clwrgt-stitht  der  Frauenkirche  in  München,     Ihlz.     Text  S. 


allen  Richtungen  hin  hatten  die  Familie  zu 
Reichtum  geführt:  konnte  doch  Meister  Hanns, 
eben  unser  Meister,  seine  Behausung  bei 
St.  Clara  anno  1522  mit  einem  »Chörlein ?. 
versehen,  das  mit  dem  Wappen  der  Keßler 
—  das  war  der  eigentliche  Familienname  — 
und  jenem  der  Gretz  geschmückt  war;  aus 
letzterem  Geschlecht  stammte  des  Meisters 
Hausfrau. ') 

Im  Herbst  1540  war  der  Guß  der  Eich- 
stätter  Domglocke  vollendet.  Da  der  Bischof 
gerade  nicht  die  nötigen  vmennen«  zum 
Transport  stellen  konnte,  so  ersuchte  das 
Domkapitel  den  xvaiter  zu  Rebdorf  <  und  die 
Äbtissin  zu  St.  Walpurgen,  Pferde  zu  leihen; 
außerdem  wurde  denen  zu  Unterstall  geboten 
(sie  waren  domkapitlische  Untertanen),  Miiit 
Roß  und  Wagen  am  Suntag  den  7.  November 


')  Des  Johann  NeudörlTcr  Nachrichten  von  Künstlern 
und  Wcrkleuten  von  D.  G.  \V.  Lochner  1875,  S.  51. 
Vcrgl.  ferner.  J.  G.  Doppelmayr,  Historische  Nach- 
richten von  den  Nürnberger  Mathematicis  und  Künst- 
lern. 1730,  S.  289  u.  Th.  Hanipe,  Nürnberger  Rats- 
verlässe über  Kunst  und  Künstler.   1904.   Nr.  114  u.  475. 


allhie  (zu)  erscheinen  und  am  Montag  dar- 
nach utF  Nürnberg  (zu)  faiiren,  die  utensilia 
zu  der  Glocken,  zu  holen«.^) 

Da  kain  ein  Hindernis  dazwischen !  Um 
die  Glocke  in  den  Turm  zu  bringen,  mußte 
man  nämlich  einen  Pfeiler  zwischen  den 
Schallöffnungen  ausbrechen  und  da  befürch- 
teten die  :  Werkleute«,  der  neugemauerte 
Pfeiler  möchte  nicht  mehr  trocknen  und  der 
Turm  etwa  Schaden  leiden.  So  beschloß 
denn  das  Kapitel,  die  Abholung  der  Glocke 
bis  Frühjahr  zu  verschieben. 3) 
'•  Mitte  Mai  des  Jahres  1541  wurde  sie  end- 
lich abgeholt  und  auf  den  nördlichen  Turm 
verbracht.  Am  21.  Mai  spricht  man  im  Kapitel 
davon,  daß  der  Glockengießer  nun  bald  fertig 
sein  werde:  was  man  an  i>\'erehrungen«  geben 
wolle;  weil  er  so  weit  hergekommen  »so! 
man  an  dem  auch  nit  spott  einlegen«.  Zuletzt 
gab's  noch  eine  neue,  unerwartete  Schwierig- 
keit! Am  Montag  in  der  Kreuzwochen  tnel- 
det  der  Glockengießer,  ider  Schwengel  t  an  der 

')  Kapitelprotokolle  Nr.  10,  S.  95  b. 
3)  ib.  S.  97. 


H 


E?^  DTE  .HALLERINk  DES  DOMES  ZU  EICHSTATT  mo, 


TILMAN  RIEMENSCHNEIDER 
J-l,igr/  vom  Altar  aui    Tramin   im 
Text  5. 


HL.  KATHARINA 
almuseum  zu   üliinchen 


großen  neuen  Glocke  sei  zu  klein ;  das  habe 
er  zu  Nürnberg  nicht  so  gut  merken  können 
wie  hier;  es  dünkt  ihm  geraten,  einen  gößeren 
aut  dem  Hammer  bei  Tolienstain  zu  schmie- 
den. Die  Herren  bewilligen  es,  weil  er  ^der 
Sache  verständig«  sei;  er  solle  selbst  »naus 
mit  aut  den   Hammer  ziehen   .') 

Am  2.  Juni  schon  kann  die  Abrechnung 
mit  Meister  Hansen  geschehen ;  bis  dahin 
war  also  die  ganze  Arbeit  vollendet.  — 

Die  Hallerin  besitzt  einen  unteren  Durch- 

■)  ib.  S.  175. 


messer  von  1,80  ni;  die  Höhe  betragt  bis 
zum  Hals  1,30  m.  Ihr  dekorativer  Schmuck 
besteht  aus  einem  breiten  Fries,  der  rings 
um  die  Haube  läult  und  vier  Schildern  an  den 
Wänden. 

Der  Fries  besteht  aus  einer  doppelzeiligen 
Inschrift,  die  nach  oben  ein  Zinnenkranz, 
nach  unten  ein  Vierpaßband  mit  offenem 
Dreipaßkamm  begleitet.  Die  Inschrift  ist  in 
der  bei  Glocken  gebräuchlichen,  Glocken- 
klänge nachahmenden  Form 2)  gehalten: 

vnsers  ■  heren  •  glock  ■  hais  •  ich  "  hans  •  glocken- 
gieser  ■  von  "  nvrmberg  •  gvs  ■  mich  '  als  •  man  " 
zalt  •  fvrbar  '  m  •  ccccc  ■  xxxx  ■  iar  "  o  "  rex  ■ 
glorie  ■  veni '  toni  '  pace  '  sanctus  '  io 

hanes  '  s  ■  mathevs  "  s  ■  marcvs  ■  s  ■  Ivcas  • 
allelvia  ■  ego  '  vox  •  dni  '  voco  "  vos  '  ad  "  cho- 
rvm  ■  venite  '  veni  '  saiicte  '  spiritvs  •  reple  " 
tvorvm  ■  corda  ■  fidelivm  ■  et  •  tvi  '  amoris  '  in  • 
eis  •  iac.     (got.  Min). 

Merkwürdigerweise  ist  dieses  Band  noch 
ganz  in  streng  gotischen  Formen  gehalten; 
ein  Beweis,  wie  sehr  selbst  an  den  Vororten 
der  Renaissancebewegung  sich  die  alten  Tra- 
ditionen erhielten.  Im  Gegensatz  hiezu  zeigen 
die  vier  Schilder  ausgesprochenen  Renaissance- 
charakter, was  sich  dadurch  erklärt,  daß  der 
Meister  die  Entwürfe  hiezu  eigens  anfertigen 
lassen  mußte,  während  er  zu  dem  Fries  ein 
älteres  Modell  benützte. 

Die  eine  dieser  Kartuschen  enthält  die 
Darstellung  der  Kreuzigung,  die  zweite  ein 
\'esperbild,  die  dritte  die  Diözesan heiligen 
Willibald  und  Walburga  nebst  dem  Wappen 
des  Bischofs  Moriz  von  Hütten.  Der  vierte 
Schild  zeigt  die  Wappen  des  Hochstiftes, 
des  Domkapitels  und  das  Pappenheimer- 
wappen ;  die  Stifter  der  Glocke  sind  also  die 
Bischöfe  Christoph  von  Pappenheim  (ti5  39) 
und  Moriz  von  Hütten,  sowie  das  Domkapitel. 
Hübsch  und  geschmackvoll  sind  die  Schild- 
gehäuse; die  figürlichen  Darstellungen  da- 
gegen gänzlich  unbedeutend  (Abb.  S.  17). 

Alles  Wissenswerte  über  Gewicht  und  Kosten 
der  Glocke  erfahren  wir  aus  der  Abrechnung 
mit  dem  Meister,  die  in  Gegenwart  der  Dom- 
herren Johannes  von  Seckendorf  und  Sig- 
mund von  Pappenheim,  des  Obleyers  und 
Syndicus  und  des  Vicars  Johannes  Greßle 
erfolgt:  3) 

»Item.  Erstens  wigt  die  Groß  vnd  new  ge- 
gossen Glockh  76  centner  vnd  11  ??  vnd 
gesteet  der  Zendtner   12  fl.  vnnd   15  kr. 

thut   932  fl.   2  ß   28  4«, 
Item  die  Alt  Glockh  hatt  gewogen  31  Zendtner 

')  Über  Glockeninschiiften:    Ottc,   Kirchliche  Kunst- 
archäologie  1885,  I  ,  S.  442. 
3j  K.  Pr.  Nr.  10,  S.  176 — 179. 


15 


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Cntffc  im  Schrrin  lies  aus    Tramin  bli  licztn  stammendtn  Allars  im  Kgl.  .\'ationalniu 

Ttxt  S.  n 


(.lüL  Ur  CHRISTI 

.M  umhin.     Hol, 


i6 


SJ^  DIE  »HALLERIN«   DES  DOMES  ZU  EICHSTÄTT  m& 


SCHULE     DES  MICHAEL  PACHER 
PredellagruppL-  d,-s  Altars  aus  Ir.uiiiit  iiil  Xi. 

29  U   vnd  hat  glocklieni^iesser  den  Zendtner 
anuLMiomcn   vmb  8  fl.  vnd   i  ortt 

thut  25811.    iß  6  4 

Item  also  Rest  dem  Glockhengiesser  hinaus- 
zugeben 674  fl.   iß  224 

Item    Glockliengiesser   hatt    an    erstgemeker 
Suma  zu  Nürnberg  entpfangen  300  fl. 

Rest   also  noch  an   der  grossen    glocken    Zu 
Zalen  374  fl.    i  ß  22  4 

Item     für    das     Gehenkh     Zu     der     grossen 
glockhen  50  fl. 

Item  mer  für  das  gehenkh  Zu   vnsrer  Frauen 
glockhen  20  fl. 

Item     mer    für    den    Schwengkel    Zu  vnsrer 
Frauen  glockiien  10  fl. 


Item  von  den  wappen  vnd  pllder  Zu  schney- 
den  vnd  an  die  glockhen  Zu  giessen   5  fl. 

Item  für  vnser  ■  Gn  •  Hr  ■  wappen  1 5  kr. 

Item    denn    Zimerleytten    von    den   Jocii    zu 
machen  vnd  zu  boren  4^15   rj 

Item  für   2U    öl  •'"  Leinöl,    das  Joch    damit 
getrenkht  21  ,1^ 

Item  für  den  Riemen  vnd  Ringkhen   6  ß  .  .  .  . 

Item  dem   Zimerman  von  Nürnberg    iür  Be- 
soldung vnd  vererung  10  fl. 

Item  des  Glockhengiessers  Hausfrauen  für  ein 
vererung  20  fl. 

Item  seinen  knechten    für    ein    vererung   ge- 
ben 10  fl. 
Sumarum  alles  so  man  dem  Glockhengiesser 
seiner  Haufrauen,  knechten  vnd  Zimerman 
noch  hinaus  Zugeben  schuldig  thut 

550  fl.   4ß  244 

Item    den    Zeugknechten    Jm    Zeughaus    Zu 
Nürnberg  für  Jr  mühe  In  auf  vnd  abladung 


BEWEINUNG  CHRISTI 
ionalnniseuni  ZK  MiiiickeH.     Holz.     Text  S.  II 

^der    zug    mit    Ihrer    Zugehör    Zu  trinkgelt 
geschickht  4  fl. 

Summa  prescriptorum  iacit 

552  fl.  oß  18  .J 
Hat  mayster  Hanns  Glockhengiesser  an- 
zaigt  vnd  vnder  andern  sich  vernemen 
lassen,  er  mochte  levden  das  ein  E.  K.  (lies 
Ehrwürdig  Kapitel)  seinen  gewin,  so  er  an 
der  glockhen  hatte,  wissen,  sy  würden  Jne 
nit  so  gehalten  haben.  Aber  er  hatte  sollich 
werkh  mer  zu  einem  Rhum  gegossen,  dan 
von  gewines  wegen,  vnd  er  wüste,  khundte 
sich  auch  des  mit  der  warhait  beriemen,  das 
in  gantzen  deutschen  landen  nit  zwu  glockhen 
so  wol  verwartt  hiengen,  als  die  alhie,  vnd 
die  zu  Amberg.  Jm  wer  aber  die  von  Am- 
berg am  Zeug  vnd  arbeit  baß  bezalt  worden. 
Dan  daselbsten  hette  man  Jme  vmb  den 
Zendtner  13  fl.  geben  vnd  80  fl.  zu  henkhen, 
so  doch  die  glockhen  nur  60  Zendtner  ge- 
wogen, wie  es  sich  verglich  gegen  dem 
hieigen  da  die  glockh  76  Zendtner,  hett  ein 
Jeder  zu  erwegen. 

Zum  andern  zavget  er  an,  das  Holtz,  so 
ein  E.  K.  Jme  hinein  zu  dem  Joch  gen 
Nürnberggeschickhthette,  wer  grien  gewesen  . 
das  er  rauchwerkhen  lassen,  vnd  in  seiner 
Stuben  hinder  dem  oflen  gehabt,  dasselb 
auch  mit  öll  geschmirt,  damit  es  desto  ehe 
dürr  wurdt,  aber  er  thrüge  sorg,  es  wer  nit 
düre  genug,  dan  es  so  thükh,  das  es  in  so 
kurtzer  Zeit  hett  mögen  dür  werden.  Der- 
halben  besorget  er,  es  mochte  in  einem  Jar, 
drey  oder  vieren,  deichen  vnd  schlotter  oder 
luckher  werden.  Daraus  solle  ein  E.  K. 
khain    schreckhen    nemen ,    dann    demselben 


E5^  DAS  GRABDENKMAL  FÜR  BISCHOF  VON  LFOXROD  ^^ö 


wer  gut  zuthun,  vnd  er  wolle  nur  die  Zerung 
nemen  und  einem  E.  K.  zu  eheren  heraus- 
khomcn  vnd  den  mangel  be}-  einer  maß 
wein  wendten  .  vnd  batli  in  sunderhait  man 
solte  kliain  Stimpler  darüber  lassen,  dann  es 
wer  zu  besorgen,  es  mochte  einer  mer  daran 
verderben  dann  gutt  machen  .  vnd  zaiget 
daneben  auch  an,  es  dörtite  nit  mer,  dan 
das  die  obere  Hauptspeydel  praytte  würden 
gemacht,  wo  die  zu  schmal,  vnd  das  geheng 
würd  angezogen,  so  hette  es  also  dann  khain 
noth  vnd  wiewol  er  die  glockhen  nur  ein 
Jar  zu  wagen  schuldig,  so  trüge  er  gar  kliain 
scheuch,  die  sein  lebenlang  zu  wagen. 

Zum  dritten  so  hette  er  die  schilt  vnd  was 
dartzugehörig,  dermassen  gemacht  und  ge- 
hörtet, so  einer  mit  einer  gar  scharfen  feychel 
darüber  stiende,  er  würde  gar  wenig  herab 
khunden  feuchlen.  Aber  der  Rost,  so  darauf!" 
leg,  würde  die  Schilt  hingneffen  (?l,  dafür 
khundte  er  nit  .  wo  aber  ein  mangel  daran 
in  künfftig  würde  vnd  er  in  leben  were 
wolte  er  den  wie  oben  Einem  E.  K.  zu 
ehren  wenden  vnd  auch  nur  die  Zerung 
nemen  ,  vnd  Bath  abermalen  man  solte  kain 
Stimpler  drüber  lassen. 

Zum  vierden  als  die  Bezalung  geschehen, 
nam  er  am  morgen  vrlaub  mit  grosser  Dannk- 
sagung  aller  eheren,  vnd  wo  er  sollichs  alles 
vmb  ein  E.  K.  samptlich  vnd  sundlich  khuiidt 
verdienen,  will  er  allzeit  willig  sein,  dann 
Ime  die  eher  vnd  der  Rhum  lieber  als  das 
gelt  sev:  Schied  also  darvon. — « 

Das  Kapitel  hatte  eine  gute  Wahl  getrofien; 
während    zur  bleichen   Zeit  die   Glocken   des 


AL'GSRrRGER   AKRlir 
llolzbiisle  im  .\ali<m 


iKii.iiuicH  11.  vo\-  oi;r  PI'ALZ 

srum  zu  München.     Text  S.  lo 


nahen  Unterstall,  die  Meister  Laux  Zottmann 
in  Augsburg  goß,  dreimal  umgegossen  werden 
mußten,')  ergab  sich  bei  der  Hallerin  keine 
Gefahr,  daß  ein  »Stimpler.^  darüberkommen 
sollte  —  ihre  eherne  Stimme  tönt  noch 
heute  ungebrochen   fort. 


DASGRABDEXKMAI.lLRP,IS(;il()F 
FRANZ  LEOPOLD  VON  LEONROD 

Der  Dom  zu  Eichstätt  mit  dem  anstof^en- 
dcn  Mortuarium  steht  bei  den  Freunden 
von  Kunst  und  Geschichte  in  hohem  An- 
sehen als  Sammelstatte  wertvoller  Grabdenk- 
mäler aus  allen  Epochen.  Von  dem  künstle- 
rischen Können  vergangener  Zeiten,  von  der 
Stufenfolge  der  künstlerischen  Ausdrucksweise 
in  den  Jahriiunderten  sprechen  die  Stein-  oder 
Bronze-Bildnisse  der  Bischöfe  Eichstätts  und 
ihrer  Kanoniker,  vom  Wechsel  der  Geschicke, 
vom  Wandel  der  zeitlichen  Erscheinungen. 
Seit  dem  Tode  des  Fürstbischofs  Johann 
Anton  in.  von  Zehmen  (f  1790),  dem  Ignaz 
Alexander  Breitenauer  ein  feines  Denkmal  in 
den  klassizistischen  Formen  jener  Zeit  errich- 
tete, 2)  hatte  die  Kunst  an  keiner  Eichstätter 
Bischofsgrabstätte   mehr  ein  Wort  zu  sagen. 


VO.\   iJcK   .IIALl.tKlN'.    DKS  IJOMES 
ZU  EICHSTATT.     Text  S.  ii 


')  K.  Pr.  No.  10,  S.  I)5b;   18  .   192b  u.   226. 

")  Abbildung  in  Hichsiätts  Kunst,  von  F.  X.  Herb, 
F.Mader,  S.  Mutzl,  J.  Schlecht,  Fr.  Thurnhofer, 
.München  (Verlag  der  Gesellschaft  f.  christliche  Kunst), 
1901,  S.  21. 


Wc  chiisUkhe  KunM.     V. 


i8 


Sä^  GRABDENKMAL  —  AUSSTELLUNG  ^ö 


Erst  dem  let/.tverstorbenen  Bischof  Franz 
Leopold  von  Leonrod,  dem  begeisterten  und 
verständnisvollen  Kunstfreund,  konnte  sie  — 
nach  mehr  als  hundert  Jahren  —  wieder  ein 
Denkmal  errichten,  ein  Denkmal,  das  der  Be- 
deutung des  Heimgegangenen  wie  der  Be- 
deutung des  Domes  würdig  ist.  Im  Mai  dieses 
Jahres  kam  es  zur  Aufstellung.  Professor 
Busch  hat  es  geschaflen  (Abb.  S.  19). 

Das  Leonrod-Denkmal,  das  der  Klerus  der 
Diözese  im  Verein  mit  mehreren  Laien  dem 
allverehrten  Bischof  in  dankbarer  Gesinnung 
errichtenließ,  befindetsichim  nördlichen  Seiten- 
schitf  des  Domes  an  der  westlichen  Stirnwand 
desselben,  direkt  über  der  Grabstätte. 

Da  an  dieser  Wand  ein  in  Stein  gehauenes 
Barockportal  sich  befindet,  das  in  die  Grult 
des  Fürstbischofs  Franz  Anton  von  Katzen- 
ellenbogen hinabführt,  mußte  das  Leonrodepi- 
taph über  diesem  Portal,  also  in  einer  Höhe 
von  4 — 5  m  angebracht  werden.  Die  Situ- 
ierung  ist  aber  keineswegs  nachteilig  —  dauernd 
gute  Beleuchtung  vorausgesetzt  —  der  Be- 
schauer wird  im  Gegenteil  überrascht,  wenn  er 
sieht,  welch  wirksame  Belebung  die  schmale 
Stirnwand  des  Nordschiftes  durch  das  Denk- 
mal gefunden  hat.  Zu  Seiten  des  Leonrod- 
epitaphs sind  nämlich  von  früher  her  zwei 
andere  Bischofsdenkmäler  in  diese  Wand  ein- 
gelassen: eines  für  Konrad  von  Pfeflen hausen, 
der  1305  starb,  und  ein  zweites  für  Johann 
von  Heideck,  der  1429  das  Zeitliche  segnete. 

Die  Gruppe  der  drei  Bischofsdenkmäler 
über  dem  mit  Figuren  geschmückten  Barock- 
portal wirkt  ausnehmend  günstig. 

Im  Gegensatz  zu  den  beiden  flankierenden 
Monumenten,  die  als  oblonge  Epitaphien  mit 
stehenden  bezw.  liegenden  Porträtgestalten 
gebildet  sind,  schuf  Busch  ein  Triptychon  mit 
überhöhtem  Mittelstück.  Das  Denkmal  ist  aus 
feinem  Otfenstettner  Kalkstein  gemeißelt  und 
mißt  2,5  m  in  der  Höhe,   1,9  m  in  der  Breite. 

Das  Motiv  der  Darstellung  war  von  dem 
hochseligen  Bischof  zu  Lebzeiten  noch  ge- 
geben worden :  Das  lebhafte  Bewußtsein  der 
Verantwortlichkeit,  welche  für  diejenigen,  die 
auf  dem  Leuchter  stehen,  eine  vermehrte  ist, 
Heß  ihn  wünschen,  daß  auf  seinem  Grabdenk- 
mal der  Weltenrichter  dargestellt  werde. 

Demgemäß  sehen  wir  im  Mittelstück  des 
Denkmals  den  göttlichen  Richter  thronen. 
Zu  seiner  Rechten  kniet  der  Bischof  in  fle- 
henthchem  Gebet,  hnks  hält  ein  kleiner  Engel 
das  Familienwappen  der  Leonrod  und  das 
Wappen  des  Eichstätter  Bischofstuhles. 

Aus  der  Gruppe  spricht  ein  reiches,  inneres 
Leben.  Der  göttliche  Richter,  eine  hoheits- 
volle Gestalt,  in  der  die  Terribihta  mit  Gnade 


sich  vermählt,  ist  in  ernstes  Abwägen  versun- 
ken. Im  Augenblick  wird  er  sich  erheben, 
das  für  immer  gültige  Urteil  zu  sprechen. 
In  der  knienden  Bischofsfigur  schuf  Busch 
ein  Porträt  von  überraschender  Lebenswahr- 
heit. Das  ist  der  verewigte  Bischof  mit  den 
scharfen  Zügen,  mit  dem  Charakterkopf,  den 
ein  langes,  tatenreiches  Leben  so  ausdrucks- 
voll modellierte!  Und  wie  ergreitend  ist  es, 
in  diesen  Zügen  das  demütige,  innige  Flehen 
zu  lesen :  salva  me  fons  pietatis.  Der  aller- 
liebste kleine  Wappenengel  ist  ganz  der  rei- 
zenden Schöpfungen  würdig,  die  Busch  ge- 
rade auf  diesem  Gebiete  geschafl^en  hat.  In- 
dem der  Kleine  vertrauensvoll  und  flehend  zum 
göttlichen  Richter  sich  wendet,  nimmt  er  an 
dem  Vorgang  inneren  Anteil  und  so  schließt 
sich  die  Gruppe  seelisch  zu  einer  lebendigen 
Einheit  zusammen. 

Die  formale  Behandlung  imponiert  durch 
den  großen  stilvollen  Zug,  der  die  dreige- 
teilte Gruppe  durchzieht,  durch  die  feierliche 
Rhythmik  der  Linien  und  des  plastischen  Pro- 
fils, in  der  der  Ernst  des  inneren  Vorgangs 
nachklingt.  Durch  die  bestimmte,  klare  Sil- 
houette ist  die  Gruppe  geeignet,  auch  in  die 
Ferne  zu  wirken. 

Die  Umrahmung  des  Denkmals  schließt  sich 
in  freier  Weise  an  die  Formen  der  Gotik  an, 
allerdings  nicht  im  Sinne  der  Schablonen- 
gotik. Die  diskreten  ruhigen  Formen  dieses 
Rahmens  ziehen  in  keiner  Weise  den  Blick 
von  der  figürlichen  Gruppe  ab,  sondern  kon- 
zentrieren vielmehr  die  Aufmerksamkeit  auf 
das  innere  Leben,  das  sie  beseelt. 

Das  Leonrod-Denkmal,  das  uns  Busch  ge- 
schaflen, ist  demnach  des  Verewigten  würdig 
und  ist  würdig  des  Domes,  den  so  viele  äl- 
tere, bedeutende  Grabmäler  auszeichnen  — 
nach  hundert  Jahren  wieder  eine  Grabmals- 
schöpfung der  hohen  Kunst!        Felix  Mader 

DIE  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG 
IM  GLASPALAST  1908 

Von  FRANZ  WOLTER 

ein  halbes  Jahrhundert  floß  im  Strome  der 
'-^  Zeh  dahin,  seit  unter  Anregung  des  Histo- 
rienmalers und  Schriftstellers  Herm.  Becker 
in  Düsseldorf  der  Plan  zur  Gründung  der  »All- 
gemeinen deutschen  Kunstgenossenschaft«  ge- 
faßt wurde.  Zu  einer  Zeit,  als  die  Eini- 
gung der  Deutschen  noch  ferne  lag,  ward 
die  Vereinigung  Deutscher  Künstler  nach  den 
Vorschlägen  Beckers  in  die  Tat  umgesetzt 
und  auf  der  Allgemeinen  deutschen  Künst- 
lerversammlung  1856  in  Bingen,  wohin  aus 


19 


GEORG  BUSCH 


1  KAOMüM   vRLCllTER  FLÜGEL)  VOM  GRABDENKMAL  ILK  lilSCliÜl    VON  LEONROD 
Text  S.  17  und  iS 


©^  MUNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  m'2 


IKirZ  KUNZ 


A"«//f/  J,w-  Alcadn. 


allen  Gauen  des  deutschen  Landes  die  Künst- 
ler zusammengeströmt  waren,  jene  Korpo- 
ration gegründet,  die  schon  zwei  Jahre  später, 
nachdem  der  Versuch,  in  Frankfurt  a.  M.  die 
erste  deutsch -nationale  Kunstausstellung  zu 
veranstalten,  gescheitert  war,  in  München  1858 
jene  glänzende  Vorführung  deutscher  Kunst 
zustande  brachte,  von  der  heute  noch  in 
Künstlerkreisen  als  von  einem  beispiellos  gro- 
ßen Ereignisse  und  Erfolg  gesprochen  wird. 
Nunmehr  nach  fünfzig  Jahren  ist  wiederum 
München  der  Sammelpunkt  deutschen  Kunst- 
schaffens und  soll  zeigen,  was  in  qualitativer 


MARI\    KRON'l'KG  UN'D  HL.  CACILIA 
Ci-ai.v  zu   frciouri,    in  der  Schweiz.      Text  Beihige  S.  - 

Hinsicht  die  Allgemeine  deutsche  Kunstge- 
nossenschatt  zu  leisten  vermag.  Wenn  wir 
nun  den  Gästen  in  unserer  Besprechung  den 
Vortritt  gestatten  und  im  Geiste  das  große 
Bild  überschauen,  so  müssen  wir  gestehen,  daß 
die  bedeutenden  Kunstzentren  voran  schrei- 
tend sich  gewaltig  angestrengt  haben,  um 
Vortreffliches  und  Gutes  zu  bringen,  so  daß, 
von  Einzelheiten  abgesehen,  die  ganze  Aus- 
stellung nicht  nur  einen  einheitlich  vorneh- 
men Eindruck  macht,  sondern  auch  zeigt, 
daß  die  deutsche  Kunst  in  den  fünfzig  Jahren 
nicht  stillgestanden,  sondern  weiter  neue  mo- 


tx^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  S^ö 


FRITZ  KUNZ 


Freske,  an  der  Kuppet  der  Kapelle  Sie.  O 


Freilfurs  in  der  Schw. 


MARIA  KRÖNUNG 
Vgl.  AN,.  S.  20 


deine  Gebiete  erobert  hat.  Die  großen  Säle 
der  Berliner,  Düsseldorfer,  Wiener,  Dresdener 
allein  würden  den  Beweis  liefern,  daß  wir 
es  mit  echt  deutschnationaler  Kunst  zu  tun 
haben,  die  nach  jeder  Richtung  hin  den  Ver- 
gleich mit  der  ausländischen  nicht  zu  scheuen 
braucht.  Wir  sehen  hier  einmal  nach  vielen 
Jahren  jene  starken  Persönlichkeiten  vereinigt, 
die  nach  der  Verkörperung  ihrer  eigenen  Kunst- 
anschauung ringen.  Wir  besitzen  ja,  ohne 
daß  es  uns  so  recht  zum  Bewußtsein  kommt, 
eine  Reihe  von  tüchtigen  Kräften  und  wenn 
diesen  in  der  modernen  Kunstbetätigung  auch 
der  gemeinsame  Boden  fehlt,  im  Gegensatz 
zu  vergangenen  Epochen,  so  verleihen  sie 
dennoch,  jede  in  ihrer  Weise,  der  allgemein 


verständlich  germanischen  Eigenart  beredten 
Ausdruck.  Es  ist  ja  unmöghch,  jedes  Werk 
aus  der  großen  Fülle  des  Gebotenen  nam- 
haft zu  machen,  nur  einzelnes  sei  herausge- 
griffen, um  Proben  zu  geben ;  jedes  andere 
ist  darum  nicht  weniger  gut,  dient  es  doch 
im  Gesamtbilde  dazu,  abzurunden,  zu  ergänzen, 
zu  vermitteln. 

Berlin  zeigt  vor  allem,  daß  es  neben  seinen 
hypermodernen  Auslassungen,  die  es  zu  Hause 
in  den  Secessionsaussteilungen  öffentlich  zeigt, 
nach  der  konservativen  Seite  hin  ernst  ge- 
nommen werden  darf.  Anregungen,  die  von 
Holland,  Schottland,  Frankreich  ausgegangen, 
haben  die  Berliner  Künstler  ebenso  wie  die 
Münciiener   in    eigener   Art   verarbeitet    und 


22  S^ä  MÜNCHENRR  AUSSTFJ.LUNG  IM  GLASPALAST  iqoS 


EN'GELGRUPPE 


wenn  auch  manches,  wie  die  »Potsdamer 
Brücke«  von  Paul  Hoeniger,  »Die  Mittags- 
pause« von  L.  Sandrociv  an  französisciie 
und  holländische  Persönlichkeiten  zu  stark 
erinnert,  so  freut  man  sich  auch  wieder, 
wenn  Max  Schlichting  in  seinen  »Luft- 
schlössern« den  jüngeren  Münchener  Ele- 
menten etwas  abgelernt  hat.  Sind  hier  und 
dort  Wechselbeziehungen  deutlich  erkennbar, 
so  darf  anderseits  die  starke  Eigenart,  ja  Bo- 
denständigkeit Berliner  Kunst  nicht  verkannt 
werden.  Anton  von  Werner,  dieser  Name 
genügt,  um  an  sie  zu  erinnern.  Die  großen, 
seinerzeit  epochemachenden  Werke  »Kapitu- 
lationsverhandlung in  Donchery,  2.  September 
1870«  und  »Generalsvortrag  in  Versailles,  De- 
zember 1870«  sind  noch  in  aller  Erinnerung. 
Von  diesen  Bildern  sehen  wir  die  grundlegen- 
den Vorarbeiten  in  flotten  Skizzen,  die  un- 
mittelbar nach  dem  Erlebnis  hingeschrieben 
sind.  Von  Ludwig  Knaus  sehen  wir  ein 
hübsches  Genrebild,  das  sich  würdig  seinen 
früheren  Arbeiten  anschließt,  von  den  beiden 
Lessing,  Konrad  und  Heinrich,  charak- 
teristische Leistungen,  die  teils  aus  der  Eifel, 
teils  aus  Belgien  stammen.  Paul  Meyerheim 
sandte  das  Bildnis  seines  Vaters,  eine  breit  und 
flüssig  gemalte  »Strohfuhre  im  Winter«  und 
»Rubinstein  in  derBerlinerSingakademie«.Den 
Kaiser  in  Husarenuniform,  mehr  repräsentativ 
und  dekorativ,  mähe  Alfred  Schwarz. 


Neben  diesem  Bilde  befinden  sich  die  fein- 
sten Perlen  der  Berliner  Abteilung,  die  beiden 
Menzel.  Es  ist  schwer  zu  entscheiden,  ob 
wir  dem  »Theätre  Gymnase«  oder  dem  »Bal- 
konzimmer« den  I.  Preis  zuerkennen  sollen: 
dem  einen,  der  impressionistischen  Wieder- 
gabe eines  Theaters,  wo  alles  lebt,  sich  be- 
wegt, von  hellem  Rampenlicht  die  Darsteller 
auf  der  Bühne  beleuchtet  sind  und  das  zu- 
horchende Publikum  im  Dämmer  zurücktritt, 
während  die  tiefen  Schatten  über  Galerien 
und  Brüstungen  huschen,  oder  dem  andern, 
wo  der  Altmeister  sein  Zimmer  in  der  Schön- 
bergergasse malte.  Eine  Wand  mit  Spiegel, 
ein  paar  Stühle,  ein  unsäglich  einfaches,  all- 
tägliches Motiv.  Aber  was  hat  Menzel  vor 
63  Jahren  aus  diesem  Thema  gemacht?  Ein 
Kunstwerk  ersten  Ranges !  Wie  der  Wind 
von  der  Balkontüre  her  den  weißen  Vorhang 
leise  bewegt,  wie  das  Licht  gedämpft  ein- 
fällt, über  Wand  und  Möbel  gleitet,  wie  im 
Spiegelglas  das  alte  Bild  mit  dem  Messing- 
rahmen zurücktritt,  das  ist  einfach  unbeschreib- 
lich. An  Frische,  Unmittelbarkeit,  an  tech- 
nischer Meisterschaft  überbietet  dieser  kleine 
Menzel  alles.  Hier  kann  man  der  Jugend 
von  heute,  der  »so  schnell  fertigen«,  zeigen, 
wie  etwas  künstlerisch  durchgeführt  wurde, 
das  zugleich  alt,  hochmodern  und  zukünftig 
ist.  Und  worin  besteht  das  ganze  Geheim- 
nis dieser  Studie?    In  der  mit  scharfem  Blick, 


©^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  ?^a 


25 


KKGELGRUPPE 


mit  Liebe  und  \'erelirung  geseiienen  und  ver- 
ivörperten  Natur,  nacii  den  charakteristischen 
Formen  hin,  wie  sie  nicht  allein  Menzel,  son- 
dern jeder  große  Meister  früherer  Zeiten  nach 
einer  gesetzmäßigen  Folgerichtigkeit  aus  der 
Natur  liolte. 

Von  Hans  Herrmann,  dem  wir  in  iMün- 
chen  als  gern  gesehenem  Gast  oft  begegnen, 
sehen  wir  ein  melancholisch  ernstes  Bild  »Der 
Hafen  von  Volendam:;,  von  Douzette  ein 
wuchtig  in  der  Farbe  behandeltes  Bild  »Prie- 
sterseminari,  von  Willy  Hamacher  »Fischer- 
frauen c,  die  bedeutend  besser  zur  Wirkung 
kommen,  als  »Der  windige  Morgen  in  Schwe- 
den«, wo  die  Technik  das  Gemälde  zu  zer- 
fahren und  zerrissen  macht.  Ein  hübsches  Be- 
leuchtungsproblem elektrischer  Lampen  auf  der 
Brücke  vor  dem  neuen  Dome  zu  Berlin  sandte 
AI  Ir.  Seh  erres;  Karl  Sa Itzmann  einen  unter 
\'olldampf  dahinschießenden  deutschen  Damp- 
fer auf  hoher  See;  Hugo  \'ogel  neben  einem 
eleganten  Damenbildnis  einen  jungen,  Flöte 
blasenden  Faun.  Interessant  des  Stotles  wegen 
sind  die  Ausgrabungen  bei  den  Ruinen  des 
Tempels  der  Königin  Hatasu,  in  einem  umfang- 
reichen Bilde  Ernst  Koerners.  Die  Tänzerin 
Miß  Allan  malte  Otto  Marcus,  lebensgroß, 
beleuchtet  vom  Rampenlicht  der  Bühne  in 
einer  der  schwierigsten  Monientbewegungen 
und  \'erkürzungen  der  Glieder  des  Körpers. 
Rein  sachlich   sjenonimen   ist  das  Bild  künst- 


lerisch trefflich  durchgeführt,  auf  jede  Einzel- 
heit ist  Bedacht  genommen  und  selbst  dort, 
wo  der  aus  der  Phantasie  schaffende  Künstler 
sicherlich  Fehler  gegen  die  Richtigkeit  macht, 
ist  Marcus  nicht  zu  tadeln,  wenn  er  aufliegen- 
des Gewand  naturalistisch  wiedergibt.  Aber 
obwohl  man  dieses  von  weitem  gut  wirkende 
Gemälde  nicht  so  leicht  vergessen  wird,  bleibt 
die  Empfindung  zurück,  als  ob  die  Grundlage 
dieses  Kunstwerkes  mehr  die  Momentphotogra- 
phie  als  die  Natur  selbst  gebildet  hätte.  Oskar 
Frenzeis  »Ruhende  Kühe;;  in  der  nordfrie- 
sischen Marsch  gehören  mit  zu  den  eindrucks- 
vollsten Bildern,  ebenso  der  Garten  von  Vik- 
tor Freudemann,  der  unheimliche,  nächt- 
liche Reiter  von  Herbert  Arnold,  der  köst- 
liche Jahrmarkt  vor  den  großen  schwarzen 
Türmen,  über  denen  helle  Wolken  dahin- 
sch weben  von  Hans  H artig.  Weniger  er- 
quicklich ist  die  malerische  Wiedergabe  alt- 
peruanischer Gräberfunde.  Diese  doch  durch- 
aus nicht  angenehme  Zusammenstellung  von 
Gebilden,  wie  Mumien,  Präparaten,  Schädel- 
bruchstücken etc.,  mögen  sie  noch  so  gut  ge- 
malt sein,  kann  man  als  Kunstwerk  im  engeren 
Sinne  kaum  betrachten.  Solche  gemalten  Gegen- 
stände mögen  vielleicht  eine  Berechtigung  ha- 
ben zur  Schaustellung  oder  Auf  bewaiirung,  um 
als  Lehrmittel  für  einen  bestimmten  Wissens- 
zweig zu  dienen. 

Die  Plastik  in  den  Berliner  Sälen  zeigt  ganz 


24 


S!^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  »^Ö 


hervorragende  Elemente.  Die  Kleinkunst 
kommt  auch  hier,  wie  dies  in  der  gesamten 
Ausstellung  bemerkbar,  trefflich  zur  Geltung. 
Wir  sehnen  uns  mehr  denn  je  im  Kulturleben 
wieder  nach  jenen  kleinen,  reizenden  Bronzen, 
Stein-  und  Holzfigürchen,  die  eine  Zeitlang 
wenig  beachtet  wurden,  aber  man  denke  nur 
an  die  antiken  Völker,  welch  bedeutende  Rolle 
diese  Kunstgegenstände  bei  ihnen  im  Hause 
spielten.  Auch  Werke  größeren  Stils  treften 
wir  an,  die  uns  von  dem  Aufschwung  der 
Berliner  Plastik  guten  Aufschluß  geben.  So 
brachte  Sigismund  Wernekinck  eine  rei- 
zend und  naiv  empfundene  weibliche  Figur,  W. 
Wandschneider  eine  »Jugend«,  die  zwar 
edel  aufgefaßt  ist,  aber  im  Marmor  etwas 
Kaltes,  Frostiges  hat.  Arth.  Lewin-Funke 
bietet  eine  Sandalenbinderin  in  Bronze,  M. 
Baumbach  einen  Bildhauer  in  demselben 
Material.  Apart  in  der  Auffassung  und  fein 
in  der  Abtönung  der  diskreten  Farben  wirkt 
der  sinnige  weibliche  Studienkopf  von  Fritz 
Heinemann,  xDas  Lied  vom  Frühling«  gab 
HansGlümer  in  einem  Flöte  blasenden  Pan, 
dem  ein  Vogel  zuhört,  ganz  eigenartig  wieder. 
Li  der  Terrakotta  »Zwei  Menschen«  ging 
Ernst  Wenck  in  der  realistisch  plastischen 
Durchführung  etwas  zu  weit,  der  Mann  steht 
da,  wie  ein  ausgezogener  Bauernbursche  vor 
der  Aushebungskommission;  endlich  erscheint 
Pipers  Milon,  trotzdem  die  Historie  ja  von 
der  Kraftleistung  berichtet,  die  im  Tragen 
eines  starken  Stieres  bestand,  in  dieser  Form 
etwas  unglaubwürdiK- 


FRITZ  KUiMZ 


SrUDlENKOPF 


Die  rheinische  Kunstmetropole  Düssel- 
dorf hat  den  Vorzug,  die  größere  Anzahl  von 
Werken  zu  zeigen,  die  mit  der  religiösen  Kunst 
oder  deren  Ideen  zusammenhängen.  Ganz  ab- 
gesehen von  Autzügen  kirchlicher  Feierlich- 
keiten, wie  die  Prozession  von  Fred.  Vezin, 
das  brillant  gemalte  Innere  einer  Kirche  von 
R.  Huthsteiner  oder  das  ostfriesische  von 
Chr.  Bockelmann,  finden  wir  vor  allem 
Ed.  V.  Gebhardt,  der  zwar  kein  Bild  reli- 
giösen Inhalts  vorführt,  aber  zwei  Kopfstudien 
von  prachtvoller  Farbe  und  Modellierung.  Das 
»Bildnis  eines  Geistlichen«  entstammt  einer 
früheren  Epoche  aus  des  Meisters  Kunst- 
schaffen, ist  von  einem  goldigen  Ton,  der  wohl 
zum  Teil  der  »stets  verschönernden  Zeit«  an- 
zurechnen ist;  der  andere  Kopf  gehört  zu  jenen 
trefl liehen,  markig  hingesetzten  Studien,  von 
denen  an  anderer  Stelle  in  unserer  Zeitschritt 
schon  ausführlich  die  Rede  war  (Abb.  S.  205). 
Zu  dem  engeren  Schülerkreise  Ed.  v.  Geb- 
hardts  gehört  Louis  Feldmann.  Sein  »Geth- 
semane«,  Christus  schmerzgebeugt,  in  mond- 
scheinbeleuchteter einsamer  Gegend  betend, 
ist  an  sich  betrachtet  eine  sehr  bedeutende 
Leistung  und  nur  die  zu  starke  Abhängigkeit, 
die  sogar  so  weit  geht,  den  eigenartigen 
Christustypus  Gebhardts  zu  verwenden,  eben- 
falls Gezogenheit  im  Faltenwurf,  lassen  die 
volle  Genußfreudigkeit  über  das  Werk  nicht 
aut kommen.  Wir  leben  nun  einmal  nicht  in 
der  Raffael-  oder  Rubenszeit,  wo  die  Schüler 
sich  blindlings  dem  Meister  mit  Herz  und 
Hand  ergaben,  wir  verlangen  heute  mehr  denn 
je,  daß  der  Künstler,  um  mich  im  Extrem 
auszudrücken,  sieht  und  wiedergibt,  was  bisher 
niemand  vorher  gesehen  hat  und  tür  das  Ge- 
sehene selbst  die  technischen  Mittel,  seine 
Sprache  finden  soll.  Inwieweit  diese  Forde- 
rung eine  Berechtigung  hat,  mag  dahingestellt 
sein.  In  dem  schönen  Aquarell  des  Weltenrich- 
ters (Mosaikvorbild  für  den  Dom  in  Schleswig) 
von  Bruno  Ehrich  (Abb.  Jg.  IV,  S.  281)  sind 
ebenfalls  alle  Elemente  Gebhardtscher  Kunst 
vereinigt,  jedoch  gemildert  und  mit  reichem 
innerem  Leben  erfüllt.  W.  H.  Titcomb  hat 
in  seinem  »Ego  sum,  nolite  timere«  (Christus 
erscheint  auf  dem  Meere  den  Jüngern)  gleich- 
falls an  ein  Gebhardtsches  Vorbild  gedacht, 
jedoch  versucht,  eigene  Wege  zu  wandeln,  die 
ihn  aber  in  die  Wildnis  führten.  Trotz  vielen 
guten  Eigenschaften  und  Einzelheiten  ist  die 
Komposition  zerrissen  und  diese  Fischer  sind 
keine  Jünger  Christi,   sondern   Knechte. 

Robert  Seuffert  geht  in  seinen  beiden 
großen  Stationsbildern  (Abb.  Jg.  IV,  S.  275  und 
277)  mehr  eigenartig  vor;  vielleicht  darf  man 
etwas  von  flämischer  Beeinflussung  sprechen, 


25 


26  e^  MUNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPAT.AST  1908  J^ä 


FRITZ  KUNZ 


GEBURT  CHRISTI 


Kartcm  zun,  Fresko  h:  dt>    Kapelle  Str.  Cre 


wenn  man  Zugehörigkeit  zu  einer  Gruppe  oder 
einem  Volksstamm  suchen  will.  Aui  tiet  blauem 
Grunde  baut  der  Künstler  seine  Vorwürfe  auf 
und  er  bemüht  sich,  neben  allem  traditionell 
Überkommenen  heißpulsierendes  Leben  un- 
serer Zeit  hineinzutragen. 

In  Peter  Janssen  hat  Düsseldorf  einen 
tüchtigen  Künstler  verloren,  einen  von  jenen, 
die  aus  der  Zeit  der  Historie  stammen,  einen, 
der  noch  auf  Komposition,  Linienführung, 
auf  eine  schwungvolle  Malerei  achtete.  Unter 
seinen  drei  Werken  zeigt  wohl  am  besten  die 
geniale  Skizze  »Zum  Stern«,  was  Janssen  für 
die  Kunst  bedeutet  hat.  Hier  in  den  anschei- 
nend flüchtigsten  Strichen,  mit  denen  der 
Meister  den  gewaltsam  vordrängenden  Men- 
schenstrom hingeschrieben,  steckt  das  Ge- 
wollte, steckt  schon  das  erreichte  Ziel.  Im 
ersten  Wurf  ist  die  Vollendung  enthalten, 
denn  man  hat  das  ganz  bestimmte  Gefühl, 
daß  gerade  in  dieser  geistreichen  Arbeit  der 
Maler  weniger  gemacht  als  gekonnt  hat  und 
daß  trotzdem  das  Werk  als  vollendet  erscheint. 

Auf  landschaftHchem  Gebiete  haben  die  Düs- 


seldorfer stets  Anregung  von  den  Holländern 
glücklich  verwertet,  und  erinnert  ja  mancher 
direkt  an  jene  geschmackvollen  niederländi- 
schen Künstler,  wie  Wilh.  Hambüchen, 
Eugen  Dücker,  der  stets  dieselben  brillan- 
ten Marinen  malte,  dann  G.  Jacobsen  und 
E.  Günter,  welch  letzterer  besonders  die  sil- 
bernen Töne  des  Wassers  liebt.  Vom  verstor- 
benen Munt  he  sehen  wir  eine  seiner  besten 
Schneelandschaften,  die  auch  heute  ob  ihrer 
Technik  Bewunderung  vor  so  viel  schneidi- 
gem Realismus  erweckt.  Ganz  eigenartig  son- 
derbar, aber  vortrefflich  die  kalte  Stimmung 
wiedergebend,  ist  ein  Gemälde  von  H.  Her- 
manns aus  Ostfriesland,  ein  hervorragendes 
Stück  Malerei.  Nicht  zu  vergessen  sind  die 
altbewährten  Meister  der  Düsseldorfer  Schule, 
die  beiden  Brüder  Achenbach;  sowohl  von 
Andreas  wie  von  Oswald  sind  treffliche  Pro- 
ben ihres  Könnens  da.  Es  ist  übrigens  erstaun- 
lich, über  wie  vielseitige  Mittel  gerade  Oswald 
verfügte.  Wenn  man  das  Bild  vom  Quirinal 
genau  betrachtet,  so  muß  man  die  anscheinend 
unbeabsichtigte  Anordnung  von  Zufälligkeiten 


ö^  MUNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  »^ö 


27 


bewundern,  die  jedoch  mit  vollem  Bewußt- 
sein, mit  Absichtlichkeit,  ja  mit  Berechnung 
ihren  richtigen  Platz  gefunden.  Das  ist  keine 
naive  Kunst,  aber  doch  auch  Kunst!  —  Er- 
wähnen wir  noch  den  stets  liebenswürdigen 
Hugo  Mühlig  mit  seiner  »Niederrheinischen 
Kartoffelernte«,  A.  Montans  »Skatspieler  im 
dunklen,  vom  Doppellicht  beleuchteten  Keller, 
den  an  Rubens  erinnernden  Blumenkranz ic  von 
Ludw.  Keller  und  das  seltsam  in  Farbe  an- 
mutende, aus  Violett,  Grün,  Schwarz,  Ziegelrot 
herausgetormte  Bild  G.  Gossen  s    Am  Kamin  . 

Um  nur  einiges  von  der  Düsseldorfer  Plastik, 
die  sich  stark  an  niederländischen  Naturalismus 
anlehnt,  herauszugreifen,  erwähnen  wir  \V. 
Lehmbruck,  welcher  fast  Franz  Hals  in  sei- 
ner >Altenv;  in  Bronze  übersetzt,  Heinrich 
Baucke,  der  in  seiner  Gipsstatuette  eines  Gärt- 
ners an  Meunier  herantritt,  ohne  dessen  male- 
risch monumentale  Form  zu  erreichen.  Recht 
hübsch  in  der.Modellierung  ist  die  kleine  Bronze 
eines  westfälischen  Leinenbauers  von  Aug. 
Bauer  und  Der  Seemann  von  Gregor  v. 
Bochmann   d.  J. 

Dresden  war  wohl  mehr  mit  seiner  heimi- 


schen Ausstellung  beschäftigt  und  hat  die  besten 
Sachen  für  sich  behalten,  immerhin  treffen  wir 
auf  einige  gute  Leistungen.  Max  Pietsch- 
mann  ist  mit  dem  »Frühlingsidyll«  künstleri- 
scher, als  in  den  beiden  anderen  Gemälden. 
Der  Flöte  blasende  Faun  soll  im  antiken  Sinne 
durch  den  Stoff  den  Zauber  des  Frühlings  stär- 
ker hervortreten  lassen.  Es  ist  ein  bemerkens- 
wertes, aber  nicht  gerade  zu  lobendes  Zeichen 
unserer  Epoche,  daß  wir  den  durch  die  Re- 
naissancewiederbelebten, bockfüßigen  Faunen, 
Satyrn,  Dryaden  etc.,  Gebilden,  die  gerade 
nicht  das  Edelste  waren,  was  die  alten  Hellenen 
schufen,  immer  wieder  in  unserer  Zeit  begeg- 
nen. Böcklin  hat  eigentlich  diese  Wesen 
neuerdings  zu  Ehren  gebracht,  aber  auch  bei 
ihm  sind,  es  nicht  seine  besten  Gestalten. 
Poeschmanns  »Frühpost«  ist  von  recht 
sinniger  Heiterkeit,  ebenso  »Der  Sommer« 
von  Carl  v.  Ledebur,  nur  sucht  er  seine  Ef- 
fekte zu  stark  mit  pointiliistischer  Technik  zu 
erreichen.  Unter  den  Bildnissen  interessiert 
am  meisten  das  des  Professors  Prell  von  Joh. 
Mogk,  schon  weil  es  in  erster  Linie  durch 
das  ejut  gewählte  Arrangement  und  die  Ver- 


FRITZ  KCNZ 


Freske  iu  der  Kn/'tlle  Str.  Cr 


JESUS  AM  ÜLBBRG 
I-'reii>urg  hl  der  Schweiz 


28 


EJ^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  ä^a 


teilung  der  Farbwerte  als  ein  Bild  für  sich  be- 
trachtet werden  kann.  Einer  der  wenigen  Ent- 
würfe für  Malerei,  welcher  moderne  und  zu- 
gleich alte  Errungenschaften  in  sich  vereinigt, 
ist  die  Arbeit  von  Paul  Kießling  Der  Ge- 
nius des  Bildhauers  erscheint  im  Kreise  der 
Musen  und  Grazien  ;.  Wir  haben  hier  nicht 
eine  von  jenen  Handlungen  vor  uns,  die  büh- 
nenmäßig auffrisiert  sind,  auch  keine  akade- 
misch posierende  Kostümgeschichte,  die  von 
einem  falschen  Pathos  begleitet  ist,  sondern 
ein  aus  dem  Innern  des  Künstlers  heraus, 
gleichsam  visionär  empfundenes  Gebilde,  das 
ganz  schlicht  im  Hauskleide  der  Natur  erscheint. 
Was  unser  Münchner  Maler  R.  Pietzsch 
in  seinen  melancholisch  ernsten  Isarhildern 
anstrebt,  Naturfeier  im  Sinne  einer  uraltger- 
manischen Gemütseigenschaft  im  Gegensatz 
zur  Vedute  oder  zur  Szenerie  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  das  erreicht  in  einer  schon  ab- 
geklärten, vollkommeneren  Sprache  August 
Leonhardi,  in  seinem  mächtigen  Bilde  »Früh- 
lingsahnung \  Walter  Illner  will  Ähnliches 
auf  landschaftlichem  oder  figürlichem  Gebiete. 
Sein  kleiner  ■  Frühlingsreigen  beweist  dies; 
soviel  Gutes  in  diesem  Reigen  selbst  und 
in  lUners  Künstlcrtum  steckt,  die  harmonische 


H.\NS  HEMMESDORFER 
Munchener  Jahre 


s Stella  Uff  . 


KASSANDRA 
Glas/'iiliisl  /goS 


Verbindung  von  Landschaft  und  Figuren  ist 
ihm  nicht  geglückt,  und  dennoch  hat  das  Bild 
eigenartige  Reize.  Zu  jener  Gruppe  nach  ern- 
ster Naturanschauung  ringender  Künstler  ge- 
hören mit  ihren  Werken  Ad.  Thamm,  Hed- 
wig Rumpelt,  Franz  Kunz,  Rieh.  v.Hagn, 
welcher  zumal  in  einer  -Straße  von  Husum  < 
den  Beweis  erbringt,  daß  Luft  und  Licht  und 
Schatten  mit  einfacheren,  schlichteren  Mitteln, 
dabei  wahrer  zur  Darstellung  zu  bringen  sind, 
als  mit  dem  letzten  Aufgebot  einer  gekün- 
stelten Tüpfelmalerei,  der  wir  nun  so  oft  be- 
gegnen. 

Unter  den  wenigen  plastischen  Gebilden  der 
Dresdner  Abteilung  ragt  das  liebliche  Idyll 
einer  Marmorgruppe  Mutterglück«  von  Os- 
kar Rühm  hervor.  Otto  Pilz'  reizende 
Bronzen,  sowie  Die  Bacchantin  mit  dem  Büf- 
fel« sind  besonders  erwähnenswerte  Arbeiten. 

Es  wäre  hochinteressant,  wenn  die  Möglich- 
keit gegeben  wäre,  die  große  Allgemeine  deut- 
sche Kunstausstellung  von  1858  zum  Vergleich 
mit  der  diesjährigen  heranzuziehen.  Wir  wür- 
den staunen,  wie  stark  sich  das  Bild  der  deut- 
schen Kunst  verändert  hat.  Was  damals  in 
den  Vordergrund  trat,  die  hellenisch-klassizi- 
stische Kunst,  Genelli,  der  alte  Kaulbach,  dann 
Cornelius,  die  Nazarener  Overbeck,  Führich, 
Schnorr,  Schadow,  die  Romantiker  Schwind 
und  Neureuther  und  das  Haupt  des  damals 
neuen  Realismus  Carl  von  Piloty,um  nur  einige 
Namen  zu  nennen,  würde  uns  sagen,  daß  diese 
Künstler  immerhin  trotz  aller  Verschiedenheit 
ein  einheitliches  Element  gebildet  haben,  daß 
sie,  und  das  ist  das  wesentliche,  von  künstle- 
rischen Gedanken  getragen  waren,  dazu  eine 
nach  innen  gewandte  Tiefe  und  Beschaulich- 
keit des  deutschen  Geistes  ofienbarten  im  Ge- 
gensatz zur  damaligen  ausländischen  Kunst. 
Die  Ereignisse  und  Taten  aus  iler  heiligen  und 
profanen  Geschichte,  die  Legenden  und  Sagen, 
die  Mythen,  ja  die  ganze  Natur  des  Alltags- 
lebens wurde  unter  dem  Gesichtspunkt  der 
Idee  aufgefaßt  und  verkörpert. 

Wenn  wir  heute  vor  allem  die  Wiener 
Säle  betreten,  so  denkt  man  unwillkürlich  an 
jene  Zeiten,  in  denen  gerade  auch  die  öster- 
reichischen Lande  mitgewirkt.  Ein  anderes 
Bild  entrollt  sich,  und  des  Chronisten  Pflicht 
ist,  dies  festzustellen.  Das  Bildnis  tritt  in  den 
Vordergrund  und  die  Landschaft,  das  Genre- 
bild, ohnehin  schon  seit  Jahren  auf  den  Aus- 
sterbeetat gesetzt,  verschwindet  fast  ganz,  eben- 
so jedwede  Historie.  Große  repräsentative  Bild- 
nisse, mehr  zu  dekorativem  Zweck  für  Säle 
und  Empfangszimmer,  als  für  den  intimen 
Wohnraum  geeignet.  John  Adams  brachte 
das  Bildnis  eines     Fräulein  Lilly  B. ..  und  das- 


o  o  .■liissUZ/fffif  tUr  o  o 
StCfssioH  MüHchfH  iqoS 

Ttxi  yhrg.  n;  s.  2j<f 


I-KITZ  VON  UHDi: 
IM  ATKLIHR    's»«-» 


30 


C!^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  LM  GLASPALAST  1908  ?^?3 


jenige  der  »L.  Marberg  als  Jolanthe  im  Teufel-;, 
in  einen  blauen  Mantel  gehüllt;  Ivanovitsch 
im  Aquarell- Gobelin -Charakter  ebenfalls  ein 
fein  in  der  Bewegung  gegebenes  Frauenbild- 
nis; Pochwalski  das  Porträt  eines  ungari- 
schen Grafen  in  altbekannter  Qualität;  Willy 
Krauß  ein  Damenporträt  als  Problem  in  Blau- 
Rot-Grün,  dann  der  international  gewordene 
Ph.  Laszlo  u.  a.  m. 

Die  ältere  traditionelle  Wiener  Landschafts- 
malerei, wie  sie  unter  Schindler  blühte,  hat  ihre 
Nachklänge  noch  in  einzelnen  Vertretern ;  so 
hat  das  »Herrenhaus«  von  Ad.  Kaufmann 
wohl  mit  am  deutlichsten  jene  feinsinnige 
Kunstüberlieferung  aufbewahrt.  Lichtprobleme 
sind  auch  bei  den  Wienern  beliebt,  so  brachte 
Wilh.  Krauß  ein  leuchtendes  Bild  aus  >Chiog- 
gia« ,  Gust.  Heßl  ein  prächtiges  Interieur 
in  leichter  flüssiger  Technik,  Rud.  Quittner 
einen  »Herbsttag:,  Max  Prosch  eine  »Winter- 
landschaft«, die  sowohl  glücklich  in  der  Wahl 
des  Motives  ist,  als  auch  in  der  sonnenbestrahl- 
ten Schneedecke  an  innerer  Wahrheit  so  vieles 
übertrifft,  was  sonst  an  Schneelandschalten  ge- 


malt wird.  Nicht  unerwähnt  mögen  die  Bil- 
der von  dem  früher  München  angehörenden 
Künstler  AI  fr.  Zoff  bleiben,  ebenso  die  Ge- 
mälde von  Jungwirth,  Hans  Temple,  Al- 
fred von  Pfluegl  und  Ad.  Karpelles.  Eine 
der  besten,  sicherlich  aber  die  großzügigste 
plastische  Arbeit,  ist  das  lebensgroße  Tiger- 
paar von  Friedrich  Gornik;  der  Organis- 
mus, der  Knochenbau,  die  Muskulatur  dieser 
beiden  sich  aneinanderschmiegenden  Katzen 
ist  in  einer  von  allen  Kleinigkeiten  losgelösten, 
einfachen  Form  gesehen,  so  daß  die  Gruppe 
über  das  rein  Naturalistische  hinaus  einen  stil- 
vollen Zug  erhält. 

Bei  den  Künstlern  aus  Karlsruhe  treffen 
wir  in  erster  Linie  eine  Reihe  von  weiblichen 
Akten,  unter  denen  diejenigen  von  Herrn. 
Moest  die  talentvollsten  sind;  ein  Sinn  ist  in 
denselben  trotz  der  Bezeichnungen  »Psyche«, 
Versonnen«  schwer  zu  finden.  Die  kleineren 
Sachen  sind  hier  merkwürdigerweise  die  be- 
sten, wie  »Am  Kachelofen«  und  »Schwarzwäl- 
der Bauernhof  im  Winter«  von  Wilh.  Hase- 
mann,  der  >  Feierabend«   und  die  »Abendge- 


IRITZ  VON   LUIDE 


Aiisstdlung-  dir  Secssioii  Miimken  iguS.      Text  Jln-g.  11',   S.  2jg 


ABENDMUSIK 


SQä«  MÜNCHEXER  AUSSTELLUNG  LM  GLASPALAST  190S  f^Q 


HERMANN  GROBER 


IN  DER  SOMMEKIRISCHE 
Aussielhittff  der  Secession  München  igoS 


Seilschaft  (  von  Heinrich  Pforr  und  die  tüch- 
tigen Bilder  der  bekannten  Künstlerin  Geiger- 
Weishaupt. 

Stuttgart  zersplittert  seine  Kräfte,  denn  wir 
treffen  hier  nicht  alle  Künstler  dieses  inter- 
essanten Kunstkreises  vereint,  sondern  zerteilt 
in  andere  Säle  der  Genossenschaft.  Den  stärk- 
sten Eindruck  machen  die  Werke  Leo  Bauers. 
Der  \'ersuch,  einen  verlorenen  Sohn  in  Tri- 
ptychonformat  zu  malen,  ist  ja  nicht  mehr  neu. 
Auch  das  Thema  selbst  hat  Slevogt  bekannt- 
lich wieder  in  moderner  Zeit  aufgegriffen  und 
an  diese  Art  schließt  sich  Bauer  an,  ohne  die 
derbe  Wucht  Slevogts  zu  erreichen  Trotzdem 
tritt  in  der  Gesamterscheinung  eine  Geschlos- 
senheit des  Ausdrucks  hervor,  die  in  unseren 
Tagen  immer  einen  X'orzug  bedeutet,  weil  er 
meist  Charakteren  eigen  ist.  Klarheit  der 
Komposition  und  eine  gereifte  plastische  Ruhe 
zeichnen  stets  die  sinnigen  Landschaften  Rieh. 
Tliierbachs  aus,  so  diesmal  das  einsame  Wald- 


tal. Viel  Humor  zeigt  Fritz  Reiß  in  seinen 
»Paradiesäpfeln  schälenden  Waldniännlein  und 
Julius  Körnbecks  »Dorfpartien«  haben  bei 
aller  Detailarbeit  eine  energische  Kraft  des  Vor- 
trags und  eine  tiefergehende  Stimmung. 

We  i  m  a  r  -  C  a  s  s  e  1  -  N  ü  r  n  b  e  r  g  haben  zu- 
sammen ausgestellt,  ebenso  Breslau-Königs- 
berg und  Brauns chweig-Leipz ig.  Diese 
stillen  Räume  bergen  stille  Bilder,  die  Künstler, 
die  hier  zum  Beschauer  sprechen,  sind  ruhige, 
in  steter  Arbeit  vorwärts  strebende  Naturen. 
Wir  sehen  keine  Kampfeslust,  keinen  jugend- 
lich überschäumenden  Mutwillen,  keine  Schla- 
ger. Wenn  naturgemäß  einzelne  Werke  her- 
ausfallen, so  enthalten  diese  Säle  doch  keine 
Arbeiten,  welche  in  den  Streit  der  Meinungen 
geraten  könnten.  Manches  ist  gut  und  trcff 
lieh,  einiges  sogar  derart,  daß  es  nur  ein  l'ein- 
schmeckerganz  zu  würdigen  vermag,  so  das  emi- 
nent gut  gemalte  Stilleben  von  Carl  Fleiscii- 
mann ,  ein  anderes  von  Ernst  Toepfer  ganz 


©^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  190S  ?^ö 


DORA  ZECH 


l.RAN'ATAPFEL 


Müm-he>ier   y.ilir. 


apart  und  originell  in  der  Zusammenstellung, 
»Das  träumende  Haus«  von  Carl  Albrecht, 
eine  Symphonie  in  Grün,  dann  das  schwarzrot- 
blau  gestimmte  Bild  »Seelengebet  der  Heilsar- 
mee; von  OttoHeichert,  »Die  Barkenzieher  < 
von  Hugo  Walzer.  Gar  zu  schwer  im  Ton 
ist  das  sonst  mit  vielem  Können  gemalte  Tri- 
ptvchon  »Leute  vom  Meer«  von  L u d  w i g  D  e  1 1 - 
mann.  Eine  protestantische  »Abendmahlsfeier« 
von  Rud.  Thienhaus  (Berlin)  wirkt  in  ihrer 
graugrünen  Farbenskala  gar  so  nüchtern.  Haer- 
tels  »Frühlingsreigen«  ist  von  groß,  ideal  ge- 
wollter arkadischer  Heiterkeit,  aber  diese  Stim- 
mung wird  kaum  durch  die  tanzenden  Jung- 
frauen erreicht.  Erinnern  wir  hier  noch  an 
das  helle  hübsche  Interieur  von  Herm.  Grat, 
den  edel  aufgefaßten  Märtyrer  von  Max  Mar- 
tini, den  leuchtenden  »Frühlingsmorgen«  von 
Ferd.  Koch  und  das  wuchtige  Bild  »Auf  der 
Elbe  bei  Hamburg«  von  Carl  Holzapfel. 

Von  den  übrigen  Lokalvereinen  nimmt  Kiel 
insofern  eine  etwas  gesonderte  Stellung  ein, 
als  in  diesem  Kreis  rein  ideale,  fast  transzen- 
dentale Malereien  mit  absolut  naturalistisch  be- 
obachteten Motiven  sich  mischen.  Wir  sehen 
von  Ludw.  Fahrenkrog  die  Lichterschei- 
nung »Baldurs,  wie  er  die  Fluren  segnet« 
oder  das  Bild  »Dem  unbekannten  Goite«, 
neben  einem  in  derb  herber  Weise  gemalten 
»Erholungsstündchen«,  bei  welchem  die  Haus- 
mutter den  Nachbarn  Kaffee  einschenkt,  von 
Ludwig  Noster,  oder  die  bekannte  blaue, 
friesische  Bauernstube  mit  den  saftigen  Äpfeln 
auf  dem  reinlichen  Tische  im  Vordergrunde,  von 
Clara  v.  Sivers.  —  Klein-Chevalier  schil- 
dert auf  einer  Landungsbrücke  in  Norderney 


eine  Gesellschaft  von  Herren 
und    Damen    in    Bedrängnis 

durch  den  anbrausenden 
Sturm  und  Carl  Leipold, 
dem  wir  schon  mehrfach  als 
einem  der  empfindsamsten 
nordischen  Landschafter  be- 
gegnet sind,  mehrere  Bilder, 
von  welchen  die  einsame 
Windmühle  am  grausilberi- 
gen Wasser  von  grandioser 
Stimmungsgewalt  ist. 

Hamburg  sandte  einige 
seiner  bekannten  Künstler  ins 
Treffen;  Oesterley  mit  ei- 
nem Fjordbild,  wie  er  in  altge- 
wohnter virtuoser  Art  malt, 
Müller-Kempf  mit  zweien 
seiner  herben,  von  echt  nordi- 
scher, deutscher  Weise  durch- 
wehten Landschaften.  Julius 
Rehder  mit  entzückenden, 
dem  Kinderleben  abgelauschten  Szenen  und 
Carl  Becker,  einer  der  wenigen,  die  aus 
dem  Vollen  zu  schöpfen  vermögen.  Sein 
Bild  »Auf  der  Unterelbe«,  Boote  mit  den 
schweren  braunroten  Segeln,  ist  melancho- 
lisch ernste  Stimmungsmalerei.  Zarter  und 
süßer  gegen  solche  Werke  erscheinen  einige 
Bildhauerarbeiten,  so  die  Bronzen  Trilbvs 
und  »Im  Bade«  von  Walter  Zehle.  Graziös 
und  zierlich  in  der  Bewegung  ist  »Der  Narziß  . 
von  Ed.  Weher,  ebenfalls  die  »Diana«  von 
Joh.  Röttger  und  »Ingeborg«  von  Herm. 
Hausm  an  n. 

Über  Wilh.  Steinhausen,  welcher  der 
Frankfurter  Gruppe  angehört  und  in  ihr 
die  bevorzugteste  Stelle  einnimmt,  gehen  die 
Meinungen  der  Künstler  stark  auseinander. 
Und  in  der  Tat,  man  muß  eine  Menge  Er- 
rungenschaften, die  wir  in  der  neuzeitlichen 
Kunst  zu  verzeichnen  haben,  nicht  bei  ihm 
suchen,  sondern  vielleicht  in  ihm  einen  Maler 
sehen,  der  absichtlich  ganz  schlicht  und  ein- 
fach, flach,  körperlos,  unorganisch  seine  Men- 
schen schafft,  um  dem  Emptindungsleben  mehr 
Anteil  zu  gewähren.  So  ist  das  etwas  mystisch 
klingende  Thema  Du  reichst  uns  deine  durch- 
grabeneHandx  (Abb.  Jg.  IV,  S.  286)  mehr  gut  ge- 
wollt, als  gut  erreicht.  Dazu  kommt,  daß  das 
vollständige  Zurückdrängen  jeglicher  sprechen- 
der Farbe  dies  Gemälde  dürftig  erscheinen  läßt. 
Weit  besser  ist  das  in  den  letzten  Strahlen 
der  feurig  untergehenden  Sonne  erglänzende 
Paradies  und  das  Bild  des  Künstlers  selbst,  wie 
er  sinnend  vor  dem  Fenster  sitzt  (Abb.  Jg.  I\', 
S.  287).   Auch  hier  seht  der  Man^jel  an  Farben- 


reiz  bis  zur  Abtötung. 


(Schluß  folgt) 


rar  Jie  Rcdakti 


S.  SnudhaiT 
Druck  von 


cn.idepl.itz  3)  ;    Verla 


icselUcli.ift  für 
München. 


christliche   Kunst,    G. 


äL^)l. 


Heinrich  Wadere 


Ostertnorgen  (1905) 


Grabdenkmal  für  Frau  von  Wulffen   im 
alten  nördlichen  Friedhof  zu  München 


Die  christliche  Kunst,  V.  Jahr?.,  H.  2. 


lllilNRlCH  WADEKt 


MODERNE  PLASTIK  IN  DER  KIRCHE 

Von  ALEXANDER  HIHLMEYER 
II.  HEINRICH  WADERR 


Canova  nannte  die  Plastik  eine  ars  poctica. 
Die  Form  schien  ihm  Stoff',  Mittel  zum 
Zweck,  poetische  Gefühle  und  Stimmungen 
auszudrücken.  Er  bekannte  sich  zu  einer  rein 
idealistischen  Kunstweise,  als  deren  Prüfstein 
ihm  die  Antike  galt.  Er  hielt  viel  auf  das  Stu- 
dium der  auf  Grund  der  Antike  zur  Schön- 
heit geläuterten  Natur,  und  zwar  aus  Ehrfurcht 
vor  dem  Adel  der  Schönheit.  Canova  hatte  in 
Italien  große  \'orgänger.  Correggio  war  sein 
Ideal.  Diese  Kunst  fand  aber  zu  jeder  Zeit 
ihre  Anhänger.  Um  die  Wende  des  i8.  zum 
ly.  Jahrhundert  waren  es  außer  Canova  u.  a. 
auch  Grenze  und  Prudhon,  die  sich  nach  dieser 
Richtung  hin  betätigten.  Auch  heute  hat  die 
Kunst  der  schönen  Linie,  die  eigentlich  die 
\  erkörperung  des  natürlichen  rhythmischen 
Gefühls,  des  sozusagen  angeborenen  Schön- 
lieitsgefühls  ist,  zahlreiche  \'ertreter.  Ganz 
von  selbst  wenden  sich  diese  zur  Antike  und 
zur  Renaissance,  weil  in  diesen  künstlerischen 
l:pochen  dieses  Gefühl  in  der  Kunst  am  voll- 
endetsten in  die  Erscheinung  getreten  ist.  Die 
ferne  Schönheit  der  Antike  und  der  Renaissance 
schwebt  wie  ein  holder  Traum  hernieder.  Sie 
wird  das  Ideal  ihrer  Sehnsucht.  Ihr  Leben 
und  Dasein   bestätigt  geradezu  den  Satz,   daß 


das  Ideal  beim  Künstler  die  Stelle  der  Wahr- 
heit vertritt,  daß  er  ein  Ideal  haben  muß,  an 
das  er  unbedingt  glaubt,  um  dessentwillen  er 
sich  müht,  es  für  sich  und  andere  zur  An- 
schauung zu  bringen.  Es  hat  immer  Künstler 
gegeben,  die  ein  solches  Ideal  im  Herzen  ge- 
tragen haben,  mochte  die  Kunst  ihrer  Zeit  auch 
andere  Wege  gehen.  Waderes  bisheriges  künst- 
lerisches  Schaffen    bestätigt   diese    Annahme. 

Ihm  war  von  Anfang  an  klar,  daß  sich  im 
Schönen  die  Seele  der  Dinge  widerspiegle; 
die   Kunst   soll   der  Schönheit  geweiht   sein. 

Die  Richtung  seines  künstlerischen  Werde- 
ganges wurde  dadurch  frühe  bestimmt.  Dem- 
gemäß entwickelten  sich  auch  bald  alle  zur 
Kunst  nötigen  Eigenschaften. 

Heinrich  Wadere  wurde  am  2.  Juli  1865 
in  Colmar  i.  E.  geboren.  Seine  Vorahnen 
waren  in  den  alten  Kulturländern  Burgund 
und  Elsaß  ansässig. 

Der  Großvater  und  der  \'ater  schmückten 
Schlösser  und  Kirchen  mit  herrlichen  Stukko- 
arbeiten.  Der  für  künstlerische  Dinge  Irüh 
empfängliche  Knabe  wurde  auf  häufigen  Wan- 
derungen mit  seinem  \'ater  in  diese  Welt  ein- 
gelührt.  Tiefe  und  dauernde  l:indrücke  hinter- 
liel.Nen    in    Wadere    die    Schöplungen    zweier 


34 


EX^  HHINRICH  WADERH  mxä 


großer  deiitsclier  Meister,  welche  seine  Vater- 
stadt besitzt,  Martin  Schongauers  und  Mattliias 
Grunewalds  weltberühmte  Gemälde.  Der  ehr- 
liche Realismus  dieser  Künstler  und  ihre  reli- 
giöse Weihe  erfüllte  sein  empfängliches  Gemüt 
mit  wahrer  Inbrunst.  Mit  vorzüglichen  Kopien 
der  Werke  Schongauers  hat  er  denn  auch 
sein  jetziges  Heim  geschmückt  und  für  die 
Kopie  der  Madonna  im  Rosenhag  hat  er  einen 
köstlichen  Rahmen  entworfen  (Abb.  S.  63). 
Eine  schöne  Antikensammlung  bot  nach  einer 
anderen  Richtung  Anregungen. 

Da  sich  das  Talent  Waderes  und  sein  Drang 
zur  Kunst  frühzeitig  oflenbarte,  so  erhielt  seine 
Erziehung  bald  eine  entsprechende  Richtung. 
Man  schickte  ihn  zu  einem  Holzschnitzer  in 
die  Lehre.  Dort  durfte  er  sich  an  kunstgewerb- 
lichen Arbeiten  erproben  und  sich  im  Schnitzen, 
Modellieren  und  in  Steiiiarbeitcn  üben.  .Außer- 


dem besuchte  er  die  städtische  l'ortbildungs 
schule.  Seine  Tätigkeit  führte  ihn  nach  ver- 
schiedenen Orten  im  Westen  Frankreichs,  wo 
er  manche  wertvolle  Eindrücke  empfing.  Man 
wurde  auf  seine  hohe  Begabung  aufmerksam 
und  dies  hatte  eine  glückliche  Wendung  in 
seinem  Leben  zur  Folge,  die  ihn  seinen  eigent- 
lichen Idealen  näher  brachte.  Es  wurde  ihm 
nämlich  auf  Anregung  von  Gönnern  ein 
Staatsstipendium  von  Elsass-Lothringen  ver- 
liehen, welches  ihm  die  Übersiedlung  an  die 
Kunstakademie  zu  München  ermöglichte. 

Wadere  kam  1884  auf  die  Akademie  und 
trat  dort  in  die  Bildhauerschule  bei  Eberle  ein, 
wo  er  7  Jahre  verblieb.  Mit  dem  Unterricht 
nach  dem  Gipsabguß  hatte  man  damals  ge- 
brochen ;  dafür  herrschte  der  rücksichtsloseste 
Naturalismus,  die  Abhängigkeit  vom  Natur- 
niodell.   Diese  Richtung  mußte  gerade  das  ein 


HEINRICH  WADERE 


ROSA  .MYSTICA  (1S95) 


Si^S  HIüXKIt:!!  WADHRH  ?€ßS 


HEINRICH  WADERE 

^Uirniorstatite 


der  Kirche  Jung  St.  Peter  . 


ROSA  M\ST1CA     tiSjj; 
Strajihirg.     Text  S.  43 


engen,  was  sicli  bei  Wadere  so  frühe  anzeigte, 
seine  selbsttätige  Phantasie.  Das  an  sich  not- 
wendige Modellstudium  konnte  auch  seinem 
lebendigen  Schonheitsgefühl  wenig  Nahrung 
geben.  Sein  Ideal  war  der  schöne 
Mensch.  Diesen  Menschen  konnte  er  nicht 
in  den  Aktsälen  der  Akademie,  wohl  aber 
in  der  Sammlung  antiker  Statuen,  Büsten  und 
Gruppen  der  Schule  entdecken.  Man  darf  da- 
her wohl  annehmen,  daß  der  allzeit  Lernbe- 
gierige dort  vieles  aufgriff.  Er  war  ein  tleilJiger 
Schüler,  der  jedesmal  mit  einer  Arbeit  auf  den 
Ausstellungen  vertreten  war  und  mit  jedem 
lahre  eine  neue  Auszeichnung  errang. 


Will  man  sonst  noch  Einflüssen  nachspüren, 
die  seinem  Talent  zugute  kamen  und  es  zur 
Reife  brachten,  so  wird  man  sie  auf  romani- 
schem  Kunstboden  suchen  müssen. 

Italien  und  Frankreich  haben  ihm  sicher 
vieles  vermittelt,  was  zu  seiner  Entwicklung 
beigetragen  hat.  Wadere  interessierte  sich  für 
die  alte,  wie  für  die  moderne  Kunst.  In 
I-rankreich  bewunderte  er  die  alten  Bau- 
werke, studierte  die  Skulpturen  an  den 
Domen  von  Arles,  Chartres,  Bourges,  Le 
Mans  und  Paris.  Die  luoderne  französische 
Kunst  machte  einen  gewaltigen  Eindruck  auf 
ilni.    Sein   Sinn   für  Kluthmus  der  Linie  und 


36 


S!^  HEINRICH  WADERE  ^Tö 


für  schöne  Form  fand  hier  reichliche  Nahrung,  nenschein  denken  muß.  Doch  zeigt  dieModeh 
In  .seinen  dekorativen  Werken  ist  auch  etwas  lierung  ein  bemericenswertes  Verständnis  für 
von  französischem  Esprit  zu  verspüren.  Er  das  organische  Gefüge  des  Körpers  und  den 
suchte  und  fand  frühe  das  seinenvideal  Zu-  Rhythmus  der  Eormen.  Ganz  im  naturah- 
sagende  in  der  Darstellung  schöner 
und  edler  Weiblichkeit.  Gerade  in 
seinen  Grabmalen  hat  dieses  Empfin- 
den starken  Ausdruck  gefunden. 
Sein  lebhaftes  schwärmerisches  Na- 
turgefühl kommt  in  der  Darstellung 
weiblicher  Schönheit  und  weiblicher 
Psj'chc  am  besten  zum  Ausdruck. 
Mit  einem  leisen  mystischen  Ein- 
schlag erscheint  es  in  seinen  religiös 
empfunde- 
nen Wer- 
ken, in  dem 
nur  ihm  ei 
genen  ho- 
heitsvollen 
und  doch 
anmutigen 
Madonnen- 
typus. Auf  die  Gestaltung  üiesc 
Typus  dürfte  auch  Waderes  Vorliebe 
für  die  Werke  der  Frührenaissance, 
die  Schöpfungen  eines  Luca  delia 
Robbia,  Donatello,  Desiderio  da 
Settignano,  Einfluß  gewonnen 
ben.  Dieser  Vorfrühling  der 
naissance  mit  seinem  knospenden 
blühenden  Leben,  seiner  jugend- 
lichen Anmut  steht  ihm  unendlich 
nahe.  Waderes  harmonische  An- 
schauungs-  und  A'orstellungsweise 
zeigt  oft  verwandte  Elemente.  Auch 
seine  Kunst  hat  etwas  ungemein  Lie- 
benswürdiges, Einschmeichelndes. 
Keine  auffallende  Geste,  kein  exzen- 
trischer Ausdruck  stört  je  die  Har- 
monie des  Eindruckes.  Sein  ange- 
borenes Taktgefühl  spricht  aus  seiner 
starken  Empfindung  für  Maß,  Ruhe 
und  Würde  des  Ausdrucks. 

Um  seine  Kunst  in  ihrer  ganzen 
Eigenart   kennen    zu    lernen,    muß 
man  sie  nach  der  profanen  wie  nach 
der  religiösen  Seite  betrachten.  Seine 
erste  selbständige  Arbeit  stellt  einen 
nackten,  im  Grase  liegenden  Knaben 
dar.   Ein  Falter  hat  sich  auf  seinen 
Fuß   gesetzt   und  der  Knabe  greift 
vorsichtig  darnach.    Der  jugendliche  Körper, 
im  Ausdruck   einer   momentanen   Bewegung 
wiedergegeben,  ist  eigentlich  ein  plastisch  ge- 
faßter Momenteindruck,  eine  Impression,  die 
man  sich  im  Zusammenhang  mit  der  umgeben- 
den Landschaft,  Gras,  Blumen,  Wasserund  Son- 


HEINRICH  WADERE 

UND  ].  HARRACH 
Ff/,  y.lhrcsma/-/,.-  /SgS 


stischen    Sinne    legt    Wadere    den 
Nachdruck  auf  die   Geste  und    den 
Vorgang.    Das  plastische  Motiv  tritt 
infolgedessen  nicht  mit  solcher  Klar- 
eit  in  die  Erscheinung  wie  z.  B.  bei 
dem     »Dornauszieher«     oder    dem 
i'Mädchen  beim  Würfelspiel«.     Bei 
seinem  nächsten  Werke,   »Aus  dem 
Leben  der  Psyche«,  verrät  schon  der 
Titel,  daß  hier  der  Schwerpunkt  der 
Darstellung 
im    Gegen- 
ständlichen 
zu     suchen 
sei.    Chloc 
ist    sein   er- 
stes   Werk, 
in    dem    es 
ihm  gelang, 
das  Plastische    in    der    Erscheinung 
eines  jugendlich  anmutigen  Körpers 
vollkommen  zum  Ausdruck  zu  brin- 
gen.   Mit  diesem  Werke  schloß  auch 
seine    akademische  Studienzeit    ab. 
Die  Statue,  die  seinerzeit  mit  großem 
Beifall  aufgenommen  wurde,  enthält 
bereits  das  ganze  künstlerische  Pro- 
gramm Waderes.     Chloe  ist  darge- 
stellt als  ein    ungemein    anmutiges 
und  reizvolles  Wesen  von  einschmei- 
chelndem Ausdruck.  Es  bedarf  keiner 
besonderen  Anstrengung  der  Phan- 
tasie, um  darin  das   zarte  Träume- 
rische  der  Natur  im  Frühling  aufs 
glücklichste    verkörpert   zu   finden. 
Von  dem  Eindruck,  den  dieses  Werk 
auf   die    Zeitgenossen    machte,  be- 
richtet Ostini  in  seiner  Kritik  über 
die   Internationale    Münchner    Aus- 
stellung 1890:  »Waderes  diesjährige 
Hauptarbeit    , Chloe'    dokumentiert 
ihn  als  reifen  fertigen  Künstler.    Eine 
keusche,    mädchenhafte    Nacktheit, 
eine   liebenswürdige  Harmonie  der 
Linien,    eine    bei    aller    Einfachheit 
trefflich    ausgearbeitete     Silhouette 
und  eine  vollendete  technische  Be- 
handlung des  Fleisches  zeichnet  diese 
Statue  aus,  welche  ein  die  antike  Doppelflote 
blasendes  Mädchen   darstellt.«     In    derselben 
Ausstellung  war  Wadere  auch  mit  ein   paar 
Büsten  vertreten.    Porträtarbeiten  führen  den 
Bildhauer  immer  in  die  nächste  Nähe  der  Natur. 
Aber  nicht  allein   die  Natur,   das  individuelle 


R-:^  Hl-IXKICH  WADl-l^l'  ?«ö3 


HEINRICH  WADEKK 

Am  Hauptport.il  , 


:,t,j:,.ng  ^, 


TYMPAXON  (1S9S-9J1 
I.uitpoid  von  Bayern 


Leben  reizt  ihn  zur  Darstellung;  er  sucht  viel- 
mehr im  Bildnis  gerne  das  Repräsentative  der 
Persönlichkeit  wiederzugeben.  Bildnisse  von 
Fürsten  (Abb.  I.  Jg.  S.  279  und  hier  S.47,  60  und 
2.ßeil.)und  hohenWürdenträgernderKircheim 
Schmucke  ihrer  Herrschertracht  und  in  ihrem 
reichen  Ornat  erscheinen  ihm  als  eine  ver- 
lockende Aufgabe.  Bisher  sind  ihm  aber  doch 
Kinderbildnisse,  z.  B.  das  seines  eigenen  Töch- 
terchens mit  dem  Pulcinell  im  Arm  und  dem 
Lebkuchenherz  in  der  Hand  (Abb.  S.  59)  oder 
die  hübsche  Büste  von  Auguste  Thiersch  be- 
sonders gelungen.  Die  Bronzebüste  »Giulia« 
(Abb.  S.  56)  zeugt  wieder  von  seinem  Streben 
nach  plastischer  Ausprägung  schöner  weib- 
licher Formen.  Giulia  ist  zwar  kein  Tvpus, 
dazu  trägt  sie  zu  individuelle  Züge;  sie  ist  abei 
auch  kein  bloßes  Porträt. 

In  seinen  sehr  zahlreichen  tektoniscli  pla- 
stischen Arbeiten  an  Münchener  Privathäusern 
und  Banken,  am  Künstlerhaus  und  am  National- 
museum, gewann  er  für  seine  ausgesprochene 


Begabung  in  der  dekorativen  Plastik  einen  gro- 
ßen Spielraum.  Die  Stoffe,  die  er  mit  \'orliebe 
behandelt,  enthalten  genug  dankbare  plastische 
Motive.  Auch  hier  bekundet  er  eine  gewisse 
N'orliebe  für  die  reizvollen  Gestalten  von  Putten. 
Die  drolHgen  und  plastisch  ungemein  dank- 
baren Kinderfiguren  eignen  sich  eben  sehr 
gut  zum  Schmuck  festlicher  Räume.  Am 
Künstlerhaus  z.  B.  (Abb.  S.  58)  erscheinen 
sie  als  Träger  von  Beleuchtungskörpern,  Kan- 
delabern; im  Musiksaal  der  Villa  von  Prof. 
Max  Littmann  sind  Stukko-Reliefs  mit  musi- 
zierenden und  tanzenden  Kindergcstalten  (Abb. 
S.  54).  .Auch  in  der  Grabmalplastik  verwendet 
Wadere  seiir  oft  Kinderfiguren. 

Am  Hause  von  Prof  Littmann  fmdet  man 
ein  in  Sandstein  ausgeführtes  originelles  Re- 
lief. Man  könnte  es  als  ein  in  die  Skulptur 
übersetztes  \'olkslied  bezeichnen  (Abb.  S.  54). 
Zum  Schmucke  der  Gartenmauer  am  neuen 
Xatioiialmuseum  führt  er  tektonisch  gedachte 
Steinfiiiuren    aus.      An    einem    hervorragend 


38 


RSM  HEINRICH  WADERE  ^^ 


HEINRICH  WADERE  ST.  GEORG  (i 

Altarfignr  (Marmor)    in  der  Geori'sHrchc  zu 
ScIiL-ttsladt,  i  m  //<></;.      Text  S.  43 


schönen  Punkte  der  neuen  Staatsstraße  Würz- 
burg—  Aschaftenburg  befindet  sich  der  monu- 
mentale bayerische  Wappenlöwe  (Abb.  S.  46). 
Von  den  Dimensionen  dieses  Steinreliefs  geben 
die  Maße,  5  m  in  der  Länge  und  4  m  in  der 
Höhe,  einen  Begriff.  Der  gleiche  Künstler, 
der  solche  große  Plastiken  schafft,  erweist  sich 
nicht  weniger  geschickt  in  der  Ausführung  von 
Kleinbronzen.  Er  führt  Medaillen  im  Durch- 
messer von  5  cm  mit  gleichem  Können  aus 
wie  monumentale  Figuren  und  Gruppen.  Es 
mangelt  ihm  nicht  an  Einfällen  und  Ideen. 
Seinen  Ehrengeschenken  fürGenossenschaften, 
Gesellschaften,  hohe  Gönner  und  Freunde  der 
Kunst  liegt  immer  ein  guter  Gedanke  zugrunde. 
Wadere  ist  auch  der  Schöpfer  der  Eiirengabe 


der  deutschen  Künstler  zum  80.  Geburtstage 
des  Fürsten  Bismark  (jener  bekannten  Statuette 
der  Pallas  Athene  mit  der  Nike)  und  der  Ehren- 
gabe der  Beamten  des  Ministeriums  des  Innern 
zum  25  jährigen  Jubiläum  des  Grafen  von  Fei- 
litzsch.  Aus  seiner  Hand  gingen  eine  Reihe 
originell  erdachter  und  sorgfältig  ausgeführter 
Medaillen,  Erinnerungen  an  die  Firnmng,  an 
die  Eheschließung,  an  die  Priesterweihe,  \'er- 
dienstmedaillen  für  treue  und  fleißige  Arbeiter 
(Abb.  S.  48  und  II.  Jg.  S.  93)  hervor"  Man  be- 
trachte nur  die  Ehemedaille,  wie  plastisch  der 
Gedanke  und  die  dem  Bilde  zugrunde  gelegte 
Idee  im  Relief  ausgeprägt  ist.  Das  Bild  ist  genau 
in  den  Raum  komponiert,  es  füllt  den  Rahmen 
der  Medaille,  dekoriert  die  Fläche,  erfreut  das 
Auge  und  den  betrachtenden  Sinn  des  Be- 
schauers. Wenn  man  bedenkt,  was  gerade  auf 
diesem  Gebiete  dem  Volke  geboten  wird,  was 
an  Wallfahrtstalern,  Erinnerungsmedaillen  im 
Gebrauch  ist  und  massenhaft  verkauft  wird, 
sollte  jeder,  der  Einfluß  hat,  dahin  streben, 
daß  an  Stelle  dieser  minderwertigen  Surrogate 
wirkliche  Kunst  trete.  Gibt  es  ein  sinnigeres 
Andenken  als  z.  B.  diese  Priesterweihmedaille, 
oder  diese  Ehe-  und  Firmtaler?  Möchten 
darin  doch  in  Bälde  die  Bemühungen  der  Deut- 
schen Gesellschaft  für  christliche  Kunst  Erlolg 
haben,  daß  diese  Medaillen  immer  weiter  ver- 
breitet würden ! 

Sehr  fruchtbar  gestaltete  sich  Waderes  Tätig- 
keit in  der  Grabmalplastik.  Die  sepulkrale 
Kunst  ist  der  religiösen  nahe  verwandt.  Am 
Grabe  erscheint  die  Kunst  im  Bunde  mit  der 
Religion ;  sie  tröstet  und  beschwichtigt  den 
Schmerz,  verklärt  und  vergeistigt  mit  ihrem 
holden  Schein  die  Stätte  des  Todes.  Ganz  be- 
sonders ist  es  die  Gestalt  des  Menschen,  die 
in  dauerndem  Material  gebildet  und  auf  Grä- 
bern autgerichtet,  durch  ihren  Anblick  des 
Menschen  Herz  erquickt.  Gerade  Waderes 
Kunst  hat  diese  Wirkung.  Der  Ausdruck  von 
Ruhe  und  Würde,  Schönheit  und  Anmut  wirkt 
beruhigend  auf  das  Gemüt.  Ganz  besonders 
gilt  dies  von  seinen  Frauengestalten,  die  sich 
am  Grabe  den  Gefühlen  innigsten  Gedenkens, 
liebevollsten  Erinnerns  hingeben  (Abb.  I.  Jg. 
S.  13).  Diese  Wirkung  wird  noch  gehoben 
durch  Waderes  Kunst,  im  Rhythmus  und 
Schwung  der  Gewandfalten  etwas  von  der 
inneren  Bewegtheit  der  Figur  wie  ein  Echo  nach- 
klingen zu  lassen.  Eine  sehr  glückliche  Lösung 
bietet  in  dieser  Hinsicht  die  Figur  der  trau- 
ernden Muse  am  Grabmal  N.Gysis  (Abb. S. 50). 

Schön  wirken  sie  auch  durch  den  Kontrast  mit 
der  umgebenden  Architektur.  Nicht  immer  sind 
sie  mit  dieser  so  streng  und  harmonisch  ver- 
bunden wie  z.  B.  bei  dem  Grabmal  von  N.  Gysis. 


IIEISRICH  WADERK 


In  der  Frauenkirche  zu  München  (Mar 


GRABDENKMAL  FÜR  ERZB.  ANTONIUS  VON  TllOMA  (i 
or  aus  AJnet- LienbachJ .      Text  S.  40 


4" 


IRINRICH  WADERE  m:<S 


Manchmal  erinnert  Waderes  Art  an  die  Cimovas, 
der  aucli  seine  Figuren  nur  in  einen  losen 
Zusammenhang  mit  der  Architektur  brachte. 
Es  ist  dann  der  Erscheinungszusammenhang 
mehr  durch  das  Gegenständliche  hergestellt. 
Wo  der  Künstler  aber,  wie  z.  B.  an  dem 
schönen  Epitaph  aus  rotem  Marmor,  das  dem 
Andenken  des  verstorbenen  Münchener  Erz- 
bischofs Antonius  von  Thoma  in  der  Frauen- 
kirche errichtet  ist,  eine  strengere  architek- 
tonische Zusammenfassung  bevorzugt,  erreicht 
er  otttektonisch  monumentale  Wirkungen  (Abb. 
S.  39).  In  diesem  Sinne  wirken  auch  ein  paar 
schöne  neue  Grabmäler,  jenes  der  Familie  Dorn 
(Abb.  S.  55),  eines  mit  dem  Relief  der  »Auf- 
erstehung«, das  auf  der  ersten  Sonderbeilage 
reproduziert  ist,  und  dergötthche  Kinderfreund 
(Abb.  S.41).  Gerade  in  diesen  letzteren  ausge- 
zeichnet durchgebildeten  Grabmalen  spricht  der 
Geist  der  christlichen  Kunst  eine  sehr  deutliche 
Sprache.  Würde  sie  doch  öfter  gebraucht  wer- 
den !  Sie  ist  unerschöpflich  reich  an  herrlichen 
Bildern  und  bedarf  gar  nicht  vieler  Symbole  und 
Allegorien,  wenn  sie  nur,  wie  hier  Wadere  zeigt, 
.iie  Hauptgestalten  der  christlichen  Welt  in 
nahe  Beziehungen  zum  menschlichen  Leben 
bringt.  Wie  uns  durch  die  Kunst  die  Sym- 
bole und  Gestalten   des  christlichen  Glaubens 


nähergebracht  und  veranschaulicht  werden, 
davon  war  in  dem  einleitenden  Kapitel  aus- 
führlich die  Rede.  Wie  sich  Wadere  zu  diesen 
Problemen  stellt  und  welche  Lösungen  der 
Aufgabe  gerade  ihm  gelingen,  ersehen  wir  aus 
seinen  religiös  gestimmten  Werken  und  aus 
seinen  Schöpfungen  in  der  kirchlichen  Kunst. 
Wir  haben  es  schon  vorausgeschickt,  daß 
sein  natürliches  Empfinden  ihm  die  Darstellung 
des  anmutig  Schönen  nahelegt;  ohne  daß  aber 
damit  seiner  Begabung  eine  bestimmte  Grenze 
gezogen  wäre;  sie  erstreckt  sich  vielmehr  über 
das  ganze  Gebiet  christlicher  Kunst  und  reich 
und  mannigfaltig  ist  seine  Ausdruckweise.  Er 
beschäftigt  sich  mit  gleich  lebhaftem  Interesse 
mit  einem  Altarwerk,  einem  Kreuzweg,  einer 
Gruppe,  wie  mit  dem  Bilde  einer  Madonna. 
Aus  der  näheren  Betrachtung  seiner  Arbeiten 
und  aus  ihrer  Wirkung  auf  das  Gefühl  ergibt 
sich  von  selbst,  was  uns  dabei  am  besten  zu- 
sagt. Waderes  Studium  der  alten  kirchlichen 
Skulpturen,  an  den  französischen  Kathedralen, 
hat  ihm  bei  der  Ausführung  von  Bildwerken  tür 
die  imstreng  romanischen  Stil  gehalteneBenno- 
kirche  zuMünchen  gute  Früchte  getragen.  Vor- 
züglich gelungen  ist  derSkulpturenschmuck  des 
herrlichen  Altars  (Abb.  Jahresmappe  1896) 
dieser  Kirche,   welcher  eine  Stiftung  S.  K.  H. 


41 


'•ratdtnkmal  für  einrn   Jüngling  im   Htnru 
MirdUchrn  Fritdhof  i»  Miincken.     Tfxt  S.  4n 


/s>'Si<s>'S>«>(S)   HEINRICH  WADKRE  /aisj/a««»» 
DER  GOTTLICHE  KINDERFREUND  (1902) 


Dl«  chrinllche  Kun«.     V. 


42 


©^  HFJXRICH  WADl-RE  m& 


des  Prinzregenten  Luitpold  ist  und  aus  dem 
Zusammenwirken  der  Meister  Romeis,  Wa- 
dere  und  Harrach  entstand.  Aus  der  stren- 
gen Fassung  der  arcliitektonischen  Umrah- 
mung ergab  sich  auch  für  den  Bildhauer  eine 
streng  symmetrische  Anordnung  der  Figuren, 
die  noch  verstärkt  wird  durch  die  kerzenge- 
rade Haltung  und  die  Linienführung  der  Ge- 
wänder. Die  Skulptur  hat  hier  einen  ausge- 
sprochen tektonischen  Charakter;  sie  steht 
im  innigsten  Zusammenhang  mit  der  Archi- 
tektonik des  Ganzen.  Eine  feierliche  Pracht, 
gemessene  Würde,  ist  ihr  Ausdruck.  Die  ganze 
Umgebung  ist  in  ungemein  reiche  und  präch- 
tige Farben  gekleidet ;  Gold,  Email,  kostbare 
Steine  schimmern,  glänzen  und  blitzen  rings- 
um, die  Figuren  selbst  sind  vergoldet,  alles 
erstrahlt  im  hellsten  Glänze  beim  Schimmer 
der  Lichter,  eine  märchenhafte  Welt,  ein  Hym- 
nus  und   ein    Alleluja   zur    FJire    des    Herrn. 


Einen  freieren  Zug  haben  die  gleichfalls  aus 
Bronze  ausgeführten  Reliefs  an  der  Kanzel. 
Der  Künstler  hat  sich  auf  einem  derselben 
im  Hintergrund  in  Gesellschaft  des  verdienst- 
vollen Prälaten  Dr.  Kagerer,  der  Stifter  und 
des  Erbauers  der  Kirche  dargestellt  (Abb.S.  43). 
Wadere  ist  ein  guter  Kenner  des  antiken 
Reliefstils;  er  weiß,  was  man  mit  dieser  Aus- 
drucksform der  Plastik  anfangen  kann.  Dabei 
kommt  ihm  sein  gutes  Gefühl  für  die  Gruppie- 
rung der  Figuren  im  Räume,  sein  geschicktes 
Kompositionstalent  sehr  zustatten.  Ein  gutes 
Beispiel  dieser  Art  bietet  das  »Epiphanie"  be- 
nannte Relief  (Abb.  unten),  ferner  das  dekorativ 
so  wirksame  Relief  »St.  Georg«  an  einem  Palast 
(Abb.  S.  40),  endlich  das  kürzlich  vollendete 
Grabrelief  (Abb.  S.  50). 

Am  reichsten  konnte  er  diese  Kunst  bei  der 
Ausführung  der  Kreuzwegstationen  für  die 
St.  Bennokirche  zu  München  entfalten,  die  von 


HEINRICH  WADERE 


AXßETUNG  DER  WEISEN  (1907) 


AV/zV/.      Tex/  olie 


©B«  HEINRICH  WAi:)l-l^H  mir?. 


43 


HEINRICH  WADERE 


KanzelrelU/  in  der  St.  Beunokirche  . 


VEREHRUS-G   DER  KEl.IollEN   HKS   HL.  BENNO  (iSjj6; 
München,     Text  S.  42 


der  Gesellschal't  für  christliche  Kunst  publiziert 
wurden.  Die  Darstellung  dramatisch  bewegter 
Gruppen  mit  vielen  Figuren  bot  dazu  die  er- 
wünschte Gelegenheit.  Allerdings  beschränkte 
der  strenge  Stil,  den  hier  die  Rücksicht  auf  die 
architektonische  Umgebung  erheischte,  die 
volle  Entfaltung  dramatischer  Effekte  bedeu- 
tend. Die  Aufgabe  war  dadurch  vielfach  er- 
schwert und  es  war  nicht  leicht,  der  gemä- 
ßigten Empfindung  doch  einen  freien  Spiel- 
raum zu  geben  und  die  Phantasie  walten  zu 
lassen,  ohne  daß  man  an  Schranken  denken 
mußte.  Die  beifallige  Aufnahme,  welche  ge- 
rade diese  Arbeit  in  weiten  Kreisen  crefunden 


hat,  spricht  vielleicht  am   besten   für  das  Ge- 
lingen. 

Wiederum  ganz  anderen  Ausdruck  erhält 
das  Ciefühl  und  die  bildliche  Vorstellung  in 
den  statuarischen  Arbeiten  des  Künstlers.  Bei 
seinen  12  Apostelstatuen  (Abb. S. 45)  bewegt  er 
sich  mehr  in  den  von  der  Tradition  vorge- 
zeichneten Bahnen;  in  seinem  Ivitter  Georg 
aber,  der  als  Altarstatue  und  Andachtsbild  zu 
würdigen  ist  (Abb.  S.  38),  gibt  er  seiner  eige- 
nen Auffassung  kräftigen  Ausdruck.  Aber  schon 
in  dem  Früiiwerk  der  Statue  der  Rosa  mvstica 
erhob  er  sich  zu  einem  Höhepunkte  seines 
Eühlens,  sosehr  auch  sein  Können  stetig  wuchs 


44 


Ö^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  m:<S, 


HEINRICH  WADERE 

An,   Giiutschhans  (Ithilink I 


MADONNA  (1902) 
Hüudu-n.      Text  iiiitfii 


(Abb.  S.  53  und  34  und  IL  Jahresniappe  der 
D.  G.  f.  ehr.  K.).  Mehrmais  hat  er  in  Madon- 
nenbildern wie  z.  B.  in  der  Figur  der  Madonna 
mit  dem  Kinde  an  einem  Münchener  Bürger- 
liause  (Abb.  oben)  ein  reizvolles  Bild  geschaffen. 
Die  wundervolle  Marmorstatue  Rosa  mystica 
erscheint  aber  als  eine  besonders  köstliche 
Frucht  seines  geistigen  Schauens.  Es  ist,  als 
ob  er  im  Geiste  derM3'stiker,  derTroubadoure 
der  Gottesminne  diese  Intuition  emplangen 
und  ihr  Gestalt  und  Ausdruck  verliehen  hätte. 
Die  beseligende  Empfindung  süßer  Gottes- 
minne strahlt  durch  dieses  klare  Gefäß  der 
schönen  Form ;  der  Leib  ist  durch  die  ideale 
Anschauung    des    Künstlers    schön     «ebildet. 


Es  ist  ein  inneres  Erlebnis  in  plastische  Form 
gefaßt  und  man  versteht  Canova,  wenn  er 
sagte;  :.Der  bildende  Künstler  ist  auch  ein 
DiX-hter!« 


DIE  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG 
IM  GLASPALAST  1908 

Von  FRANZ  WOLTER 

IL 

Wi  1  h  e  m  A  1 1  h  e  i  m  (Eschersheim  b.  Fr.)  be- 
handelt ebenfalls  ein  religiöses  Thema  und 
tauft  ein  sonst  vortreffliches  Genrebild  in  eine 
Heilige  Familie«  um.  Man  ist  es  ja  heute  viel- 
fach gewohnt,  daß  Künstler  versuchen,  die  mit 
der  Glorie  der  Heiligkeit  umhüllten  Personen 
der  heiligen  Geschichte  durch  realistische  Wie- 
dergabe, durch  »Natürlichkeit«  und  prägnante 
Modellmalerei  ihrer  Würde  zu  entkleiden  und 
alles  zu  einem  realen  Erlebnis  zu  machen.  Es 
verlieren  sich  jetzt  schon  mehr  und  mehr  solche 
Probleme,  sie  haben  auch  in  ihrer  Blütezeit 
nie  rechten  iM'folg  gehabt,  denn  es  ist  schließ- 
lich niemandem  damit  geholfen,  wenn  ihm 
das  Göttliche,  Übernatürliche,  allzumenschlich, 
mit  Erdgeruch  behaftet,  entgegengebracht  wird. 
Wenn  dagegen  Heinrich  Mittag  (Hannover) 
seine  »Bückehurgerinnen«  in  ihren  farbigen 
Kostümen  mit  Gebetbüchern  in  den  Händen 
malt,  so  will  er  keine  anderen  Frauen  geben, 
als  diese  biederen,  etwas  stumptsinnigenWesen, 
aber  mit  demselben  Rechte  wie  Altheim  seine 
Gruppe  als  Hl.  Familie,  hätte  Heinr.  Mittag  sein 
Bild  als  -Santa  conversazione«  bezeichnen 
dürfen. 

Zwei  kleine  Bronzeplastiken  von  Werner 
Hautelmann  beweisen,  wie  weit  man  in 
der  realistischen  Auffassung  gehen  kann,  ohne 
in  Alltäglichkeit  oder  Nüchternheit  zu  ge- 
raten. Sowohl  der  »Münzensammler«,  als 
auch  der  alte  »Geigenfreund«  sind  lebens- 
volle Gestalten,  die  mit  feinem  Humor  emp- 
funden sind  und  die  ein  Spitzweg  nicht  besser 
hätte  schaffen  können. 

Sowohl  in  der  Architektur,  als  in  der  Zeich- 
nung, Radierung  etc.  bietet  die  allgemeine 
deutsche  Kunstgenossenschaft  noch  viel  des 
Interessanten,  dessen  Prüfung  jedoch  dem 
Besucher  der  Ausstellung  selbst  überlassen 
bleiben  muß.  Bodo  Ebhardt  bringt  die 
Entwürfe  verschiedener  Burgen,  u.  a.  die  Hoch- 
königsburg in  architektonischer  und  zugleich 
malerischer  Schärfe;  Ludwig  Fahrenkrog 
ein  großes,  phantastisch  wildes  Gewoge  »Der 
Kampf  in  der  Menschheit«  darstellend.  Bar- 
lösius.  Ad.  Johnsen  geben  charakteristische 
Arbeiten,  G.  Eilers  große  Radierungen  nach 


©^  MÜNCHENF.R  AUSSTHLLUNG  IM  GI.ASPALAST  190S  ä*^.^ 


HEINRICH  WADERE  Hl  . 

/«  lit'r  KapelU  der  Sckweslerii  vom  i'/. 

in  München.      Text  S.  43 


iihi\Kii:ii  w  \l)i;i!i;  iii.  |,\iuii;i  \  D 

Ih  ihr  K,if;-ll,    ,/,-r  .S,/,:res/er,i  ■.■oiil  g"''-»   //" 
i/i  München.     Text  S.  4J 


Menzel,  Hans  Meyer  die  schönen  Kupfer- 
sticlie  nacli  Geselschap  »Krieg«  und  »Frie- 
den« usw.,  kurz  eine  noch  reiche  Tafel  der 
edlen  Genüsse,  die,  wie  vor  fünfzig  jähren, 
heute  wieder  der  deutschen  Nation  darge- 
boten wird.  Treflliche  Worte  sprach  damals 
zur  Eröffnungsfeier  der  badisciie  Hot'inaler 
Feodor  Diez  und  namentlich  die  Schlußsätze 
seiner  Rede  verdienen  hier  wiedergegeben 
zu  werden,  da  sie  auch  heute  Bezug  auf  die 
Ausstellung  haben  und  von  hohem  Werte 
sind:  »Jederzeit,  so  hoften  wir,  wird  diese 
Vereinigung  von  Kunst  betrachtet  werden 
als  das    opfervolle  Werk    der  Pietät,    als  das 


Werk  der  Liebe,  das  seine  erwärmende  Kraft 
fortsetzen  soll  in  die  nahe  und  in  die  ferne 
Zukunft,  als  das  Werk  unseres  gemeinsamen 
Strebens  nach  den  höchsten  Zielen,  nach 
Schönheit,  Wahrheit  und  Harmonie! 
Nimmer  gebe  diese  ehrwürdige  Auswahl  An- 
lal.^  zu  egoistischem  Vordrängen,  eitlem  Bes- 
serdünken und  blinder  Parteisucht.  Eine  hö- 
here Ordnung  der  Dinge,  eine  Zeit  und 
Menschheit  beherrschende  Idee  muß  festgehal- 
ten werden,  um  diese  \'ersammlung  zu  richten. 
Das  Urteil  der  Kulturgeschichte  kennt  nicht 
das  hochmütige  Gerede  vom  überwundenen 
Standpmikt,    ihr    sind    alle    Momente    gleich 


46 


ö:^  Münchener  Ausstellung  lm  glaspalast  1908  mia 


wichtig  und  wert.  Hier  liegt  die  Tat  eines 
Volkes  eigentümlicher  Art  vor  unseren  Augen ; 
sie  zeigt  das  Gemeinschaftliche  im  Beson- 
deren, sie  predigt  laut,  daß  auch  auf  unserem 
Gebiete  die  Selbständigkeit  des  einzelnen  er- 
halten werden  muß,  wenn  das  Ganze  in  Macht 
und  Ehren  bestehen  soll,  sie  ottenbaret, 
was  deutsche  Kunst  ist!  Das  ist  die  Aut- 
gabe unserer  Ausstellung  und  so  will  sie  be- 
trachtet sein.  Von  ihrer  Stätte  erhebt  sich 
der  Genius  der  Kunst,  er  schwingt  sein  leuch- 
tendes Bannei',  aut  dem  in  Flammenzügen 
zu  lesen  ist  für  das  Auge  des  Meisters  wie 
des  [üngers:  ,Ich  bin  das  Banner  deines 
Volkes,  mir  f  o  Ige  nach,  unter  m  eine  m 
Zeichen  w  i  r  st  du  k  ä  m  p  1  e  n  u  n  d  siegen'. '. 

Die  östliche  Hälfte  des  Glaspalastes  vereinigt 
die  Werke  der  Münchner  Künstlergenossen- 
sclialt  und  im  Anschluß  daran  die  der  be- 
reits bekannten  Gruppen,  zu  denen  als  Ab- 
zweigung von  der  Luitpoldgruppe  als  neueste 
die  »Bayern«  hinzugekommen  sind.  Eine 
große,  wesentliche  Verschiedenheit  zwischen 
den  einzelnen  Korporationen,  die  ja  seiner- 
zeit einmal  auüällig  war,  besteht,  wenn  wir 
von  der  Scholle-;  absehen,  kaum  mehr.  Man 
wandert  von  einer  zu  der  anderen  Künstler- 
vereinigung hinüber  und  merkt  kaum,  daß 
man  sich  in  einem  Milieu  befinden  soll,  das 
nur  geschaffen   worden,    um   sich   äugen tällit; 


vom  minder  Guten  zu  unterscheiden.  Beson- 
ders ist  dies  bei  der  Luitpoldgruppe  der  Fall, 
sie  geht  nicht  über  den  Rahmen  des  guten  Alt- 
gewohnten und  Hergebrachten  hinaus.  Neues 
und  Zukunftverheißendes  findet  man  ebenfalls 
nicht,  dafür  ein  recht  solides  Können,  ein 
Beharrungsvermögen,  das  an  Eigensinn  grenzt 
und  nur  in  Variationen  von  Thematen  sich 
erfreut.  Sieht  man  —  ganz  abgesehen  von 
einer  einzelnen  Korporation  —  die  moderne 
Hochflut  alles  Gesammelten,  die  Geist,  Ge- 
schmack und  selbst  Freude  an  der  Malerei 
zu  ersticken  droht,  so  erkennt  man,  daß  diese 
über  das  wirkliche  Bedürfnis  des  Publikums 
hinausgeht.  Die  ganze  Kunstbetätigung,  wie 
sie  sich  heute  zeigt  und  von  der  nur  der  ge- 
ringste Teil  in  dieser  Art  an  die  Öflent- 
lichkeit  gelangt,  ist  der  Überschuß  an  Kraft, 
die  eine  allzu  große  Zahl  talentvoller  Men- 
schen  vergeuden. 

Wir  können  nur  aul  jene  Künstler  hin- 
weisen, denen  im  Kulturleben  unserer  Zeit 
eine  Bedeutung  beizumessen  ist. 

Unter  den  Landschaftern,  die  auch  in  der 
Luitpoldgruppe  stark  vertreten  sind,  begegnen 
wir  Fritz  Baer  mit  Bildern,  deren  Vorwurf 
wieder  dem  Gebirge  entnommen  ist.  Als 
wuchtigstes,  fesselndstes  Werk  dieses  neuen 
Führers  der  Gruppe  erscheint  der  »Blick  auf 
die  Ferwallgruppe  vom  Galzig  aus'.  Baer 
malt    keine    Vedute,    wie    es    aus    dem    Titel 


U>\\\i  .\lll'  DEM   b.^'iHKliCHKS'   WAii'LX 
.<t,-„ße    Wnrziurg-Asdiajrfidmrg.      Text  S.  JS 


©^  MÜNCHHNHR  AUSSTELLUNG  L\I  GLASPALAST  1908 


47 


IIKISRICH   WADERE 


S.  K.  H.  PRINZREGENT  LUITPOLD  ([8j6) 
-  Kg!.  X,-u,-n  Vinakolluk  zu  Münchtn 


erscheinen  könnte,  sondern  aus  dem  künst- 
lerischen Gefühl  heraus,  ein  Bild  das  der 
wirklichen,  objektiven  Xaturwahrheit  nicht  zu 
entsprechen  braucht.  Hier  herrscht  er  wie 
alle  Talente  souverän  und  wählt  aus  hundert 
Mitteln  ganz  frei.  Aber  gerade  seine  Mittel 
überwiegen  in  der  letzten  Zeit  das  Innerliche, 
Beseelte.  Man  hat  vor  seinen  ^\'erken  das 
Gefühl,  als  ob  sie  mehr  des  .\Laterials,  der 
Technik  der  Ölfarbe  wegen  gemalt  seien,  als 
aus  einer  inneren  Notwendigkeit  heraus.  Da- 
mit soll  nur  das  X'orherrschen  der  malerischen 


.\usdrucksweise  angedeutet  sein,  nicht  als  ob 
dein  Künstler  die  Empfmdung  mangelte. 

Karl  Küstner  neigt  immer  mehr  zu  der 
kimstierisch  dekorativen  Wirkung,  die  er  be- 
sonders gut  in  dem  >  Maientage  im  N'orge- 
hirge«  erreicht  hat.  Das  blaue  Wasser,  die 
leichtgeballten  Wolken ,  vereinigen  sich  zu 
einem  zartklingenden  H\'mnus.  \'ortrei1lich 
ist  auch  der  Sonnenuntergang  an  der  Nord- 
see« und  »Tauwettern  von  Ernst  Plaß;  die 
Landschaften  von  Toni  Elster  lassen  da- 
t^egen   zu  stark   die   Provenienz,   die  Schulab- 


'^  V 


S.  K.  H.  Prinzreg-cnt   Liiit[)()ld   von    Bayer 


Heinrich  Waden-  (1908)  Q 
Q  Marmorbüste  für  die  von 
Professor  Albert  Schmidt 
erbaute  Kjfl.  Bank  (München) 


L>cSri,tlich.  Kun,t,  V,  Jahre..  H.  2. 


©^  MÜNCHEN  ER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908 


49 


ganz  gehoben  ist.  Waren  es  im  vergangenen 
Jahre  Diez  und  Harburger,  denen  unsere 
Eiirung  galt,  so  in  diesem  Kotschenreiter, 
K.  A.  von  Baur  und  A.  Mangold.  Ersterer 
gehörte  zu  der  alten  Münchner  Schule,  die 
auf  Zeichnung,  Kolorit  und  Auffassung  den 
größten  Wert  legte.  Wir  sahen  von  ihm  Ar- 
beiten, die  uns  überraschten,  ja  die  wir  aus 
seiner  Werkstatt  kaum  erwartet  hatten.  Einige 
Bauernstuben  sind  von  einer  Meisterschaft, 
dalS  sie  sich  Schöpfungen  in  dem  reichen 
Lebenswerk  Defreggers,  Diez'  oder  Grützners 
anreihen  lassen.  H.  Kotschenreiter  als  Ver- 
treter des  bäuerlichen  Genres  hat  hier  eigent- 
lich sein  Bestes  geschatfen  und  es  wäre  wün- 
schenswert, ihn  in  der  Pinakothek  eher  mit 
einem  von  diesen  Interieurs  vertreten  zusehen, 
als  mit  seinen  beim  Publikum  beliebten  Bauern- 
köpfen, Jägern,   Wildschützen. 

Über  K.  A.  von  Baur,  den  ehemaligen  ge- 
wandten Führer  der  Genossenschaft,  sprachen 
wir  bei  seiner  großen  Nachlaßausstellung,  die 
der  Münchner  Kunstverein  ihm  zu  Ehren  ver- 
anstaltete. Als  letzter  war  A.  Mangold  für 
die  Genossenschaft  ein  großer  Verlust,  der 
um  so  bedauerlicher  ist,  als  dieser  vortreff- 
liche Mensch  und  Künstler  erst  im  Werden 
begriffen  war.  In  seinen  letzten  Bildnissen 
zeigte  sich  das,  wohin  Mangold  strebte,  und 
er  erreichte  in  dem  vorjährigen  Porträt  der 
Baronin  B.  eine  zarte,  helle  Farbengebung, 
die  wie  in  Licht  und  Luft  getaucht  erschien, 
dazu  eine  Weichheit  des  Tones,  die  auf  einen 
neuen  Weg  der  Kunst  schließen  ließ.  Die 
jetzige  Kollektion  besteht  aus  Bearbeitungen 
verschiedenster  Probleme  älterer  und  jüngerer 
Art,  ein  Tasten,  Probieren  ist  überall  erkenn- 
bar. Dort  versucht  er  reine  Realität,  hier  die 
höchste  Idealität,  aber  dies  alles  mit  ehrlichem 
künstlerischem  Streben  gepaart.  Für  den,  der 
im  Leben  und  Schaffen  eines  Künstlers  die 
Wege  zum  endgültigen  Ziele  sehen  möchte, 
bietet  gerade  die  vereinte  Sammlung  der 
Studien  und  Bilder  Mangolds  eine  reiche 
Fundgrube.  Von  dem  alten  Stamme  der  Ge- 
nossenschaft treffen  wir  eine  Anzahl  hervor- 
ragender Arbeiten,  die  jedoch  einer  besonde- 
ren Beschreibung  und  Charakterisierung  nicht 
bedürfen,  da  sie  allzu  bekannt  in  ihrer  Art 
sind.  Es  brachte  u.  a.  Eduard  Grützner 
ein  »Adagio«,  hohe  Geistliche,  Arrangement 
in  Rot;  Julius  Adam  eine  seiner  liebens- 
würdigen Katzenfamilien  am  warmen  Ofen, 
von  hohem  Ton  reiz;  Franz  von  Defregger 
verschiedene  Werke;  dann  F.  Si mm,  C.  Sei- 
ler, A.  Fink,  Gabriel  Max,  L.  Willroider, 
Jos.  Wenglein,  Carl  Kronberger. 

Zu  den  hervorragenden  Leistungen  auf  dem 


''ij^ 


|>^-**Aj>3Ui^'^t^^>-Jl 


HEINRICH  WADERE  EPITAPH  (1908) 

Für  den  Grafen  zu  Pappenhehn,  in  der  dortigen  Schloßkirche 

Gebiete  der  Bildniskunst  gehören  das  sehr 
ähnlich  und  psychologisch  scharf  erfaßte  und 
auch  in  malerischer  Beziehung  vollendete 
Porträt  des  Prinzen  Ludwig  von  Alex.  Fuks, 
das  wieder  einen  weiteren  eminenten  Fort- 
schritt in  der  künstlerischen  Laufbahn  dieses 
Malers  bedeutet  (Abb.  IV.  Jg.  S.  273).  Ferner 
ein  älteres  Bildnis  des  Prinzregenten  von 
Ad.  Echtler.  Gerade  diese  beiden  Künstler 
bieten  zugleich  nicht  nur  Bildnisse  im  engeren 
Sinne,  sondern  verleihen  ihren  Schöpfungen 
dadurch  einen  hohen  Wert,  daß  sie  den  Cha- 
rakter ihrer  Typen,  ja  den  ganzen  feinen 
Duft  der  Zeit  mitzumalen  verstehen,  so  daß 
diese  Werke  von  nicht  zu  unterschätzender 
Bedeutung  für  die  Kulturgeschichte  sind.  Unter 
diesem  Gesichtspunkte  ist  auch  vcir  allem  I'r. 
Aug.  V.  Kaulbach   zu  nennen,   der  stets  an 


Dl«  chrisliche  Kunst.     V. 


50 


EJ^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  ^^ 


Klarheit  der  Farbe,  an  Lebendigkeit  der  Aut- 
fassung  gewinnt.  Diesmal  interessieren  vor 
allem  das  Bildnis  einer  indischen  Tänzerin 
in  grünem,  weitem,  phantastischem  Gewände, 
eine  Libelle  auf  der  graziösen  Hand  betrach- 
tend, ferner  die  Köpfchen  seiner  Kinder, 
welche  der  Meister  mit  ausgesuchtestem  Lieb- 
reiz auf  die  Leinwand  gebannt.  —  Walter 
1-irle  hat  ebenfalls  ein  größeres  Kinderbild 
und  ein  vornehm  aufgefaßtes  Damenporträt 
ausgestellt,  dann  Fr.  Wirnhier,  nicht  zuletzt 
der  intim  und  sachlich  zugleich  beobachtende 
A I .  E  r d  t  e  1 1.  F r  a n  k  K i  r  c h  b  a  c h  erfal.k  seine 
Mitmenschen  tief  psychologisch  in  der  Bild- 
nisstudie zweier  Freunde  und  dem  ganz  selt- 
sam lein  imd  locker  in  blauem  Farbenklang 
gehaltenen  Bildnisse  der  Frau  von  Schirach; 
dann  brau  R.  Schmid-Göringer,  die  talent- 
\olle  Tochter  von  Matthias  Schmid,  welche 
das   Porträt    eines    goldhaarigen   jungen   Mäd- 


HEIXRICH  \V.U)ERR  TRAUERXDE  MUSE  ( 

Cr„Mc„l;,iml  /„r  d.;t   .Maler  Niiolaus   Gysis  im  iinun   „ardliche. 
Friedlinf  in  Miiiulien.      Text  S.  JS 


chens  im  Rosakleide  in  schlichter  Anordnung 
ausdrucksvoll  und  mit  feinem  Farbenverständ- 
nis wiedergab.  Hans  Best  zeigt  einige  famose 
Bauernt3pen.  L.  Schmutzler  schildert  in 
seinem  eigenartigen  Schwung  der  Auflassung 
den  Prinzen  Rupprecht  in  Generalsuniform, 
Em.  Schaltegger  die  Prinzessin  Ludwig  in 
hellfarbigem  Kolorit  und  sehr  ähnlich. 

Unter  den  immer  mehraut  den  Ausstellungen 
verschwindenden  Kunstwerken  religiösen  oder 
kirchlichen  Charakters  treffen  wir  nur  ein 
großes  Abendmahl  von  Gebh.  Fugel,  das 
gegenüber  seinem  früheren  allbekannten  Ge- 
mälde, welches  dasselbe  Thema  aufweist,  einen 
bedeutenden  Fortschritt  bekundet  (Abb.  IV. Jg. 
S.  285).  Fugel  hat  hier  in  glücklicher  Weise 
versucht,  nicht  allein  durch  die  moderne  auf- 
lösende Technik,  die  an  den  Impressionismus 
gemahnt,  größere  Weichheit  zu  erzielen,  son- 
dern taucht  auch  seine  tiefempfundenen  Apostel- 
gestalten, die  um  die  hehre  Person  Christi 
geschartsind,  in  eine  etwas  verschleiernde 
(ilorie  der  Ubernatürlichkeit.  Gerade 
diese  stille,  feierliche  Weihe,  welche  über 
dem  Ganzen  ruht,  entspricht  dem  Cha- 
rakter der  heiligen  Handlung,  die  weit 
entfernt  von  jedem  genrehaften  Natura- 
lismus ist,  dem  wir  uns  auch  dann,  wenn 
noch  so  gute  malerische  Qualitäten  vor- 
handen sind,  doch  nicht  mit  vollem 
Herzen  hingeben  können.  K.  Schleib- 
ners  Ostermorgen  ,  heilige  Frauen,  die 
zum  Grabe  des  Erlösers  beschaulich  sin- 
nend wandeln,  ist  von  der  Kollektiv- 
ausstellung des  Künstlers  in  den  Räu- 
men der  Gesellschaft  für  christliche  Kunst 
schon   bekannt. 

\'on  Julius  krank  r,  dem  Senior  der 
alten  christlichen  Kunst  aus  den  Zeiten 
eines  Cornelius  und  Schraudolph,  dem 
Mitbegründer  der  Allgemeinen  Deut- 
schen Kunstgenossenschaft  und  so  manch 
anderer  künstlerischer  Vereinigungen, 
sehen  wir  zwei  Kartonzeichnungen,  die 
uns  die  liebenswürdige  Art  des  Meisters 
offenbaren,  sein  ehrliches  Streben  nach 
Hoheit  und  Würde.  In  neuer  eigenar- 
tiger Form  zeigt  uns  Fr.  Schmid-Brei- 
tenb  ach  eine  Vertreibung  aus  dem  Para- 
diese unter  dem  Titel  Via  vitae".  der 
auf  die  späteren  Schicksale  der  Menschen 
und  schließlich  die  »Erlösung«  in  Wol- 
ken symbolisch  hinweist.  Der  Künstler 
gehört  zu  den  philosophierenden  Malern, 
die  in  erster  Linie  dem  Gemälde  einen 
Gedanken  zugrunde  legen  und  dann 
selbst  Erlebtes  oder  Empfundenes  zum 
Ausdruck  bringen.  Die  Wege  zur  Kunst 


MCX'CHnXHR  AUSSTELLUNG  LM  GLASPALAST  1908 


\      i       f  ^:> 


HtlN'RICH  \VADERK 


LKIWliRL-NU  (i9o_,) 


/«.•  c'slliJi.i,  Ft 


sind  ja  so  mannigtaltig  und  die  Möglichkeiten, 
ein  und  dasselbeTliema  verschieden  autzulas- 
sen, unzählige.  Wenn  man  jedoch  zum  leichte- 
ren Verständnis  einteilen  will,  so  scheiden  sich 
die  Künstler  in  solche  die  nur  Bilder  aus  sich 
heraus  finden  und  malen  und  in  solche,  die  sie 
in  der  Natur  aufsuchen.  Beide  Arten  können 
gleich  künstlerisch  hoch  sein,  es  kommt  auch 
hier  nur  auf  das  :;wie«  an.  Ganz  im  Banne  der 
altflämischen  Kunst  steht  Theophil  Ly- 
baert.  Seine  Leuchten  sind  die  van  Eyck, 
Rogier  van  der  Weyden  und  Memling.  In 
der  »\'ergänglichkeit  des  Lebens'-  scliildert 
er  eine  Frauengestalt  in  mittelalterlicher  Haube 
und  Kleidung,  welche,  die  Samen  des  Löwen- 
zahns blasend,  in  freudigem  Erwarten  eines 
langen  Lebens  schwelgt,  während  der  Kno- 
chenmann schon  die  Hand  aus  dem  Gebüsch- 
hintergrund hervorstreckt.  So  sehr  man  die 
liebevolle  L'ältelung  der  Kleider,  die  sorgsame 
Durchführung  bis  in  alle  Details  bewundern 
kann,  so  bleibt  doch  das  Gefühl,  daß  wir  in  der 
rein  äußerlichen  Wiedergabe  von  Eigentümlich- 
keiten der  alten  Meister  nicht  das  Ziel  der  Kunst 


erblicken  können,  sondern  eher  eine  kunstge- 
werbliche Rekonstruktion,  die  weniger  naiv  als 
spekulativ  erscheint.  —  Wie  man  intim  durch- 
führen und  doch  unserm  heutigen  Geschmack 
entsprechend  schaffenkann,zeigtT.Rosenthal 
in  dem  jungen  Schnitzerlehrling,  der  an  seiner 
Erstlingsarbeit  tätigist.  VonTraulichkeitund  ge- 
mütvoller Artist  die  alte  Frau  im  einsamen  Stüb- 
chen,  beim  leuchtenden  Tannenhäumchen  ihr 
X Weihnachten«  leiernd,  von  O.  Freiwirth- 
Lützow.  Eine  umfangreichere,  dazu  viel  reifere 
Arbeit  desselben  Meisters  ist  die  fleißig  studierte 
und  in  den  Einzelheiten  vortrefi  lieh  beobachtete 
»Prozession  im  Kanton  Wallis«.  Es  war  sicher- 
lich nicht  leicht,  die  im  blendenden  Sonnen- 
schein hinschreitenden  Ciruppen  so  zu  ordnen 
und  zu  gliedern  und  die  Zuschauer  nicht  als 
Statisten  zu  markieren  und  endlich  dem  Ganzen 
Licht  und  Luft  zu  geben.  —  Otto  Pilz  hat 
sich,  zwar  in  kleinerem  .\Lißstab,  auch  ein 
Licht-  und  Luftproblem  gestellt  und  dies  in 
seinen  zwei  Bildern  Altweibersommer«  und 
Im  Klostergarten:  gut  gelöst  (Abb.  R'.  Jg., 
S.  279).    Köstliche  Perlen  sind  auch  das  kleine 


52 


55^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  190«  S^^ 


HEINRICH  WADEKE 


VON  BAYERN  (190S) 


Bild  von  F.  Roubaud  .Genre  ,  das  an  die 
gemütvolle  Art  Spitzwegs  erinnernde  Duett 
von  Roeggejun.,  sowie  die  Arbeiten  S  c  h  1  i  1 1  s, 
L.  Gehrigs,  Hans  Blums,  A.  Splitgerbers 
u.  a.  m.,  die  alle  Anklänge  an  jenen  humor- 
vollen Schilderer  Altmünchens  aufweisen.  Und 
wie  in  der  Literatur  vor  einem  Zeitraum  laut 
oder  leise  der  Ruf  ;  Mehr  Goethe  :  laut  gewor- 
den, so  dürfen  wir  für  die  Landschafter,  welche 
dem  Empfinden  des  Volkes  entgegenkommen 
wollen,  zurufen;  -Mehr  Spitzweg  .  —  Aug. 
Kühles  ist  hier  schon  auf  dem  besten  Wege 
und  sein  Triptychon,  ein  Liebeshymnus  im 
Maiengrün,  beschwört  alte  Zeiten  zwar  kostüm- 
lich herauf,  jedoch  von  modernenimpulsen  be- 
wegt. Nennen  wir  hier  noch  M.  Grönvold, 
Pet.  Philippi,  Anna  May,  Tina  Blau, 
Heinrich  Stelzner,  K.Klaus. 

Das  wohnlich  Traute  alter  Bauernhäuser, 
ihre  Stuben  und  Kammern,  die  stillen  Winkel 
einsamer  Städte  und  Dörfchen,  die  kühlen 
Räume  schattig  gelegener  Landhäuser  und 
selbst  die  Wohnungen  unserer  Großstadt  linden 
ihre  begeisterten  Schilderer  und  dies  mit  vollem 
Recht.  Erwähnen  wir  hier  in  erster  Linie 
die  vornehme  Darstellerin  städtischer  Eleganz, 
Klara  Walther.  Diesmal  ist  es  u.  a.  ein  ganz 
köstlicher  Innenraum  eines  modernen  Land- 
sitzes, durchflutet  von  leuchtendem  Sonnen- 
schein, der  Getäfel,  Möbel  und  Gerät  mit 
grünen  Reflexen  übergießt,  oder  Emil  Euler, 
der  ebenfalls  durch  die  Sonne  eine  Hammer- 
schmiede« zauberisch  verklärt.  Sonnenbeschie- 
nene Felder  und  Wiesen,   Schneehalden  und 


Herden  reizen  ebenlalls  zur  Wiedergabe.  Otto 
Strützel,  ferner  Fritz  Bayerlein  mit  seinen 
Parklandschaften  in  Morgensonne,  Ch.Palmie 
der  als  Neoimpressionist  die  stärksten,  unge- 
brochenen Töne  der  Palette  ausschüttet;  C. 
Bossen roth,  der  ähnliches  mit  weniger  ou- 
trierten  Mitteln  erreicht.  Julius  Exter!  Merk- 
würdig, daß  der  vielgewandte  und  von  Gruppe 
zu  Gruppe  gewanderte  Maler  nun  hier  sein 
Heil  sucht.  Dieser  Tanz  der  nackten  Frauen 
im  Sonnenschein  deutet  nunmehr  auf  die  Rich- 
tung L.v.  Hofmanns  hin.  Wann  endlich  wird  sich 
Exter  in  seiner  wirklichen  Gestalt  zeigen?  Er- 
quickender, gesunder  ist  doch  die  herbe  Kunst 
Nicol.Pimenenkos,  die  vielleicht  nüchterner 
als  Exters,  aber  selbständiger  wirkt.  In  Pime- 
nenkos  Idyll  ;, einen  Hirten  und  eine  Hirtin  dar- 
stellend, leuchtet  wirkliche  Sonne,  keine  künst- 
lich konstruierte,  dabei  ist  Leben  und  Bewe- 
gung in  den  lieb  gesehenen  Naturkindern 
zum  Ausdruck  gebracht.  Phrasenlos  und  wahr 
sind  auch  die  Bilder  von  J.  Ekenaes,  Fisch- 
fang auf  dem  Eise  und  'Vor  der  Sennhütex, 
von  ehrlicher  tüchtiger  Technik.  F.  Grässel, 
der  virtuose  Schilderer  der  Bewohner  unserer 
Teiche,  erfreut  wieder  mit  einem  prächtig  ge- 
malten Gänse-  und  Entenbild  am  Wasser 
(Abb.  IV.  Jg.,  S.  304).  Als  Abwechslung  bietet 
er  aber  auch  ein  reizend  gelöstes  Genrebild, 
gewissermaßen  ein  Erlebnis;  das  liebliche  Idvll, 
wie  eine  Mutter  ihr  kleines  Mädchen  an  sorg- 
samer Hand  über  den  Steg  führt.  Paul  Leute- 
ritz, der  gleichfalls  schon  manch  interessan- 
tes Motiv,  wie  Grässel,   aus  dem  Tierleben  ge- 


53 


HEINIUCII   WADüUü 

Craldriikn 


,l/„r  /■■„ 


IIOI  I  M  ■-■  .    l  Ml  I  ;i.i.i 
lUhhrii  Fritiih«/  in   M:,,iJun 


54  P2^  MÜNCnr,\F.R  AUSSTl'Tl.UNG  IM  Gl, ASPAT, AST  iqoS  m^ 


HEINRICH   W  \|i 


Il.ius  ,i,s   A^xhitektcit   Fi 


funden,  überrascht  mit  großzügigen  und  wuch- 
tig wiedergegebenen  »Bären«,  die  in  tief  ver- 
schneiter Einsamkeit  einen  Abhang  hinabstei- 
gen. Vortreffhch  ist  der  Organismus  dieser 
Tiere  und  das  Plumpe  und  Schwerfällige  stu- 
diert, dabei  Landschaft  und  Tierkörper  zu 
einem  einheitlichen  Ganzen  verwoben.  Außer- 
dem hat  der  Künstler  noch  ein  treffliches 
Rebhühner-  und  Ohreulenbild  ausgestellt.  Eine 
anders  geartete  Bärengeschichte  erzähltMoritz 
Bauernfeind  in  seiner  iChronika  der  drei 
Schwestern  .  Hier  kommt  mehr  das  phan- 
tastisch Märchenhafte,  dem  ja  dieser  Maler 
zugeneigt  ist,  zum  Ausdruck,  als  die  rein  rea- 
listische Seite.  Bauernfeind  strebt  nach  den 
neuesten  Errungenschatten  der  Technik,  w  ie 
wir  sie  etwa   in   der     Scholle     sehen.     Dem 


Stofllichen  seiner  Werke  ist  jedoch  gerade  diese 
Sprache   nicht  besonders  gut  angepaßt. 

Der  -Fränkische  Tanz«  von  Theodor  Alt, 
eine  geistsprudelnde  Skizze,  stellt  alles  in 
Schatten,  was  wir  auf  choreographischem  Ge- 
biete, das  ja  jetzt  mehr  und  mehr  bei  den 
Malern  kultiviert  wird,  erlangten.  Die  hervor- 
ragenden Qualitäten  der  alten  Rambergschule 
sind  so  stark,  daß  sie  auch  heute  noch,  trotz 
allem  Wandel,  die  Begeisterung  echter  Kunst- 
freunde entfacht.  Die  Arbeiten  von  Matthias 
Schmid  gehören  hierher.  Seine  ); Hochlands- 
kinder'.  und  >der  Erstgeborene«  reihen  sich 
würdig  den  früheren  Werken  dieses  urwüch- 
sigen Meisters  an.  Nennen  wir  noch  von  den 
Bildern  Wilhelm  Immenkamps  das  Bild 
Muttersilück«,   dem   eine   tiefsinnige  Idee  zu- 


HEIKRICH  WADKRE 

Situckreli,/  fu 


des  Fr,'/.  Lillmatin  in  Munchct. 


PROr.WE  MUSIK  (ii)U2j 
Text  S.  37 


55 


HEINRICH  WAbLKH  ABSCHIED  (ijoS) 

Relitf  dt!  Grabmals  dir  Familie  Dorn  im  bstlichin  Fritdiitt/  tu  München.     Tixt  S.  41 


56 


SJ^  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  J^cö 


HEINRICH  WADEKt: 


GIUUA  (iQOi) 


Str„ß/.„rg.      Test  S.  S7 


gründe  liegt,  die  peinlich  und  gewissenhalt 
durchgebildeten  Akte  von  Alfred  Schwarz- 
schild, die  netzflickenden  Fischer  von  Herrn. 
Eißfeldt  und  das  virtuos  behandelte  Schlach- 
tengetümmel von  Anton  Hott  mann. 

Den  düsteren  melancholischen  Ernst  des 
Meerlebens  bringt  in  eindringlicher  Form  Hans 
von  Petersen  in  dem  großartigen  Ozean- 
bilde zum  Ausdruck.  Schlägt  der  Künstler 
hier  in  den  grünen  samtnen  Farben  einen 
einfach  grandiosen  Akkord  an,  so  zeigt  er 
in  dem  reizvollen  »Gebirgsfluß«  oder  besser 
noch  in  dem  von  intim  heimatlichen  Klängen 
durchwehten  Tauwetter,  wie  wechselvoller 
Art  sein  Schaffen  sein  kann  und  wie  es  mög- 
lich ist,  die  menschliche  Seelenemphndung 
in  das  stille  und  doch  wieder  so  beredte  Na- 
turleben hineinzutragen.  Mit  dieser  Art  Kunst 
ist  auch  das  an  sich  auf  den  ersten  Blick 
merkwürdig  und  absonderlich  erscheinende 
Bild  »In  der  schönen  Gottesnatur«  von  Leop. 
Jülich  verwandt.  Das  noch  tief  im  Schleier 
der  Nacht  ruhende  Tal  mit  dem  weithin- 
ziehenden Wasserlauf,  die  in  der  Ferne  in 
lichtem    Glänze    hervorleuchtende    Bergwelt 


und  darüber  weiter  noch  die  autgehende 
Sonne  ist  in  der  Originalität  eine  geistreiche 
Gedankenverbindung,  direkt  hervorgerufen 
von  einer  tesselnden  Naturstimmung,  wie 
wenig  Gleichartiges  im  Glaspalast  zu  tinden 
ist.  Man  dart  ein  solches  Gemälde  ruhig  mit 
Dichtung  vergleichen  und  denkt  auch  unwill- 
kürlich an  einen  der  teinsinnigsten  Dichter, 
wie  an  Emerson.  Ähnliche  Gedanken  lösen 
die  Werke  von  Franz  Türcke  »Nächtliches 
Schweigen«  aus,  terner  K.  Schickhardts 
»Sommer«,  Leop.  Schönchens  prächtige 
Landschatten,  dann  unser  tamoser  Chiemsee- 
maler  Josef  Wopfner  (Abb.  IV.  Jg.,  S.  272), 
Hans  Klatt,  Edw.  Compton,  Ludwig 
Bolgiano,  E.  Kubierschky,  Heinrich 
Deuchert,  der  stets  fortschreitende  Otto 
Gampert.  Die  engere  Heimat  mit  ihrem 
ganzen  Zauber  von  Herbheit  und  Frische 
schildert  mit  echt  deutscher  Gemütstiefe  und 
hervorragendem  technischem  Können  Rob. 
Raudner.  In  seinen  Schleißheimer  Bildern, 
namentlich  den  »Linden  im  Vorfrühling«, 
liegt  eine  urwüchsige  Kratt,  "  die  kein  Ver- 
schönern, kein  Veridealisieren  kennt,  sondern 


22^  DAS  KL'XS'l'l.l-RISCIll-;  TITI-I, BLATT 


schlichte  Schönheit  von  einer  Größe  und 
ivuhe,  die  nur  in  ungestörter  inniger  Versen- 
kung und  steter  Arbeit  erreiciibar  ist.  Leo 
Scliönroclcs  »Tauwetter«  ist  von  ähnhch 
tcssehuler  Stinimungsgewalt,  wie  denn  noch  so 
nuuiciicr  zu  nennen  wäre,  gleich  Hermann 
l'ctzet,  O'Lynch  ofTown,  Georg  Hanoi 
und   anderen. 

Wenn  die  Natur  aus  sich  keine  wohlge- 
ordneten Bilder,  abgesehen  von  künstlich  an- 
gelegten Parks  mit  zugestutzten  Bäumen  und 
Hecken,  zeigt  und  sie  in  ihrer  scheinbaren 
Willkür  und  Zufälligkeit  schön  genug  ist,  so 
bcdart  es  doch  beim  Stilleben,  der  sogenanten 
toten  Natur,  der  anordnenden  Künstlerhand, 
um  die  Objekte  der  Xatur  in  ein  komposi- 
tionelles  und  farbiges  \'erhältnis  zu  bringen. 
Je  geschmackvoller  und  unabsichtlicher  hier 
vorgegangen  wird,  desto  vornehmer  werden 
diese  Dinge  erscheinen,  die  in  den  Räumen 
unserer  Wohnung  so  viel  Freude  bereiten 
können.  Hervorragende  A'ertreter  dieser  Kunst- 
art besitzt  gerade  die  Münchner  Künstlerge- 
nossenschaft. Herrn.  Gottl.  Kricheldorf, 
der  glanzvolle  Schilderer  prunkreicher  Tafeln, 
saftiger  Trauben  und  sonstiger  Leckerbissen, 
ist  hier  im  Zusammenhange  mit  dem  stets 
.\rbeiten  erlesener  Art  schattenden  Carl 
Thoma-Höfele  zu  nennen.  Demselben 
Kreis  gehören  mit  mehr  oder  weniger  Unter- 
schied an:  Hermann-Allgäu,  Fischer-El- 
pons,  Carl  Gustav  Herrmann,  Alfred 
Müller  und  P.  Ehrhardt.  Letzterer  gerät 
allmählich  in  eine  stark  weichliche  Manier, 
die  an   X'ertlauung  grenzt.  (Schluß  folgt) 

DAS  KÜNSTLERISCHE  TITEL- 
BLATT 

r^er  künstlerische  Entwurf  eines  Titelblattes 
^^  für  eine  Zeitschrift  bietet  dem  Künstler 
mehr  Schwierigkeiten,  als  man  anzunehmen 
pllegt.  Ciedanke  und  Form  sollen  so  einfach 
als  nur  möglich  sein ;  sie  sollen  packen,  aber 
sich  auch  nicht  aufdrängen.  Das  Titelblatt 
mulj  einen  Gedanken  künstlerisch  veran- 
schaulichen, nicht  etwa  bloß  literarisch  um- 
schreiben. Dann  darf  es  auch  nicht  wie  ein  bis 
ins  kleinste  durchgeführtes  vßild  wirken, 
sondern  es  muß  darauf  ausgehen,  nur  als  Ganzes 
Eindruck  zu  machen  und  auch  auf  einige  Ent- 
fernung eine  kräftige  dekorative  Wirkung  zu 
erzielen.  Es  darf  auch  nicht  den  Charakter 
eines  Plakates  an  sich  tragen,  das  nur  auf 
l'ernwirkung  berechnet  ist  imd  in  der  Nähe 
derb  und  summarisch  ausgeführt  erscheint. 
Das   künstlerische  Umschlagblatt   einer  Zeit- 


HEINRICH  WADERE 


TRISTITIA  ([903) 
-  l-aimUe  von  Cnu,ifr  im   m-i,cn 
■dlicIu-H  Fri,;lho/ 


Schrift  muß  vielmehr  die  Mitte  zwischen  Plakat 
und  Bild  halten.  Es  ist  auf  eine  bestiiumte 
Größe  und  ein  gegebenes  Format  angewiesen; 
diese  gegebene  F'läche  soll  es  wohltuend 
schmücken  und  außerdem  muß  es  gleichzeitig 
einen  praktischen  Zweck  erfüllen,  das  ist  die 
Kennzeichnung  der  Zeitschrift.  Wie  dieser 
Doppelzweck,  der  künstlerische  und  der  prak- 
tische, erreicht  werden  soll  und  kann,  das  ist 
eine  Frage,  die  nur  von  Fall  zu  Fall  lösbar 
ist.  Der  Text  muß  stets  so  behandelt  werden, 
daß  er  wie  ein  ornamentaler  Schmuck  wirkt. 
Häufig  braucht  auf  der  ersten  Umschlagseite 
nur  ganz  wenig  Text  angebracht  zu  werden. 
In  diesen  Fällen  wird  meist  ein  schlichtes 
ornamentales     oder     figürliches     Motiv     ge- 


IMc  chfUlUchr  K<i 


58 


©^  DAS  KÜNSTLERISCHE  TITELBLATT  ^ö 


HEINRICH   \\AIli;UE 


;//„/,,    z„   M,cnJn-u. 


nommen,  das  sich  durcliaus  nicht  über  die 
ganze  Seite  zu  verbreiten  braucht,  wenn  es  sich 
nur  an  einer  geschmackvoll  gewählten  Stelle 
gut  einpaßt.  Erfordern  es  die  Zwecke  der 
Zeitschrift,  daß  mehr  Text  vorgedruckt  wird, 
so  dürfte  es  der  Künstler  in  den  meisten 
Fällen  vorziehen,  die  ganze  Seite,  die  ihm 
zur  Verfügung  steht,  auszunützen,  um  eine 
reiche  und  einheitliche  und  mehr  bildmäßige 
Wirkung  derselben  zu  erreichen  und  er  wird 
deshalb  als  Gegengewicht  gegen  die  Schrift, 
die  natürlich  auch  in  diesem  Falle  als  Or- 
nament zu  behandeln  ist,  einen  kräftigeren 
figürlichen  oder  ornamentalen  Schmuck  heran- 
ziehen. In  diesem  Falle  ist  es  die  erste  Auf- 
gabe des  Künstlers,  die  Schrift  und  die  figür- 
liche Darstellimg  gegeneinander  schön  abzu- 
wägen    und     eine      wohlpropotionierte     Ein- 


teilung der  Gesamtfläche,  meistens  eines  Recht- 
eckes, in  größere  oder  kleinere  Flächen  zu 
erreichen.  Er  hat  sodann  aus  praktischen 
Gründen  darauf  zu  achten,  daß  die  technische 
Reproduktion  keine  zu  großen  Schwierigkeiten 
bietet.  Erläutern  wir  die  vorstehenden  Winke 
an  einigen  Beispielen,  welche  unsern  Lesern 
am  nächsten  liegen,  nämlich  an  den  Titel- 
blättern vorliegender  Zeitschrift. 

Die  Herausgeber  der  Christlichen  Kunst", 
haben  sich  von  Anfang  an  bemüht,  für  die 
Zeitschrift  einen  künstlerischen  Umschlag  zu 
erhalten  und  schrieben  zu  diesem  Zwecke  im 
jähre  1904  einen  Wettbewerb  aus.  Die  Auf- 
gabe war  neu  und  sehr  schwierig.  Wir  brau- 
chen wohl  nicht  hervorzuheben ,  daß  der 
Künstler  bei  einer  Umschlagzeichnung  für 
eine  Zeitschrift  profanen  Inhalts  mehr  Frei- 
heit nach  Form  und  Gedanken  hat  und  des- 
halb bei  einer  solchen  Aufgabe  weit  leichter 
ein  befriedigendesResultat  zu  erreichen  vermag, 
als  hier,  wo  sich  Bizarrerie,  Laune,  Sinnlich- 
keit, Mode  und  Äußerlichkeit  von  selbst  aus- 
schließen. Dazu  kommt,  daß  die  Kritik  er- 
fahrungsgemäß sofort  ihre  strengste  Miene 
annimmt,  sobald  es  sich  um  ein  Kunstwerk 
religiösen  Inhalts  handelt.  Der  Wettbewerb 
brachte  sehr  viele  und  darunter  manche  recht 
tüchtige  Entwürfe  zutage,  allein  doch  kein 
Blatt,  das  ohne  jede  Änderung  hätte  Verwen- 
dmig  finden  können,  lair  den  Umschlag  des 
ersten  Jahrgangs  fiel  die  Wahl  auf  einen  schon 
vorher  entstandenen,  aber  für  diesen  Zweck 
neu  bearbeiteten  Entwurf  von  Felix  Baum- 
hauer. Der  Künstler  legte  das  Hauptgewicht 
darauf,  einen  kräftig  in  die  Ferne  wirkenden, 
aber  doch  auch  für  die  Nähe  in  den  maß- 
gebenden Details  fein  ausgearbeiteten  Titel- 
kopf zu  schafiien,  dem  ein  längerer  Text  in 
der  Weise  angepaßt  wurde,  daß  die  ganze  Seite 
einen  geschlossenen  Eindruck  hervorruft  und 
im  Text  die  großen  Massen  von  Licht  und 
Schatten,  welche  der  Titelkopf  aufweist,  ein 
angenehmes  Echo  erhielten. 

Der  Gedanke  des  Künstlers  ist  klar  und 
passend :  Die  christliche  Kunst  ist  dargestellt 
als  edle,  tiefsinnende  und  ernst  empfindende 
Seele  in  reinen  und  erhabenen  Körperformen, 
bekrönt  mit  dem  Diadem  der  Kunst  (Künstler- 
wappen) und  gestützt  auf  das  heilige  Kreuz. 
Die  Allegorie  ist  nicht  äußerlich  lehrhaft, 
sondern  unaufdringlich  zur  Erscheinung  ge- 
bracht. Wie  schon  angedeutet,  ist  dieser  Titel- 
kopf des  ersten  Jahrgangs  in  seinem  ganzen 
Aufbau,  in  seiner  einfachen,  klaren  und  ab- 
gewogenen Linienführung,  namentlich  aber 
in  seiner  wohltuenden  Verteilung  von  großen 
Lichtfiäclien  und  Schattenmassen  und  den  da- 


©^  DAS  KÜXSTU-RISCHI-  TITELBLATT  »^« 


)9 


zwischen  venuittelnden  H;ilbtöncn  finc  sehr 
glückliche  Leistung,  die  jeder  Kritik  standhält 
und  die  wir  getrost  dauernd  hätten  beibehalten 
können.  Hs  war  aber  der  \\'unsch  laut  ge- 
worden, der  Künstler  möchte  seine  Zeichnung 
mit  dem  Text  enger  zusammenschließen.  Das 
lirgebnis  seiner  darauf  abzielenden  Versuche 
liegt  im  Umschlag  des  zweiten  Jahrgangs  vor, 
der  von  mancher  Seite  jenem  des  ersten  Jahr- 
gangs vorgezogen  wurde,  während  andere  das 
Cieiühl  hatten,  als  sei  die  allegorische  Figur 
der  christlichen  Kunst  namentlich  in  ihrer  un- 
teren Hallte  zu  sehr  in  divergierende  Linien 
aulgelöst.  In  Erwägung  des  letzteren  Um- 
standes  kam  nun  Baumhauer  zu  einer  noch- 
maligen Umgestaltung,  von  der  wir  im  dritten 
Jahrgang  Gebrauch  machten;  diese  sucht  jene 
N'orzüge  in  sich  zu  vereinigen,  die  dem  ersten 
und  zweiten  Entwurf  gesondert  eigneten  :  Ge- 
schlossenheit der  Komposition  des  Titelkopfes 
und  Anpassung  der  oberen  Umschlaghältte 
an  die  untere,  dabei  kräftige  Hervorhebung 
des  Titels  der  Zeitschrift. 

Gerne  trat  die  Leitung  dem  Wunsch  nähei', 
öfter  einen  neuen  Umschlag  zu  bringen,  um 
auch  auf  diesem  Gebiete  in  Beispielen  anre- 
gend wirken  zu  können.  Das  Titelblatt  des 
vorigen  Jahrgangs  verdanken  wir  Matthäus 
Schiestl.  Schiestl verschmolz  in  glücklichster 
Weise  die  Hauptstellen  des  Textes  mit  dem 
Figürlichen  und  löste  musterhaft  die  einem 
Quadrat  sich  nähernde  Zeichnung  des  Ganzen 
in  Rechteke  und  Querstreifen  auf.  in  die  das 
Kreisrund  des  Heiligenscheins  als  Mittelpunkt 
wohltuende  Abwechslung  bringt.  Alles  ist  in 
ruhigen  Flächen  gehalten,  die  Zeichnung  kräf- 
tig und  bis  ins  kleinste  angemessen.  Den  hei- 
ligen Lukas  stellt  Schiestl  als  Vorbild  des  christ- 
lichen Künstlers  dar,  der  aus  der  I'ülle  der  in 
ihm  lebenden  Bilder  heraus  treuherzig  und  mit 
voller  Hingabe  an  seinem  Werke  schatk. 

Im  Umschlage  des  vorliegenden  Jahrgangs 
unterbreiten  wir  unsern  Lesern  eine  neue  Lö- 
sung des  Problems.  Fritz  Kunz,  von  dem 
der  Entwurf  stammt,  ist  aus  den  tVüheren 
Jahrgängen  und  aus  den  Reproduktionen  des 
ersten  Heftes  dieses  Jahrgangs  wohl  bekannt 
und  wir  zweifeln  nicht,  daß  das  von  ihm  ge- 
schatfene  Titelblatt  viele  Freunde  gefunden 
hat.  Ging  Schiestl  gleich  Baumhauer  noch  vom 
Titelkopf«  aus,  den  er  allerdings  mit  derSchritt 
ausgezeichnet  verweb,  so  faliteKunz  in  seinem 
Imtwurf  die  ganze  Unischlagseite  ins  Auge  und 
bezog  sie  samt  dem  Text  restlos  in  denselben 
hinein.  Er  machte  die  Schril't  durch  die  Art, 
wie  er  sie  in  der  Fläche  verteilt,  so  sehr  zum 
Ornament  für  die  Fläche  und  zur  mitsprechen- 
den Folie  des  F'igürlichen,  dali  wir  vor  diesem 


Titelblatt  gewiß  nicht  an  ein  Plakat,  sondern 
eher  an  eine  vortreffliche  dekorative  Aus- 
schmückung einer  Kirchenwand  denken. 

Auch  der  Gedanke  dürfte  keine  Schwierig- 
keiten bereiten.  Wir  sehen  einen  Engel  mit 
einem  Heroldstah,  den  das  Kreuz  schmückt, 
in  der  Rechten,  während  die  Geste  der  linken 
Hand  das  gesprochene  Wort  begleitet ;  die 
iieilige  Flamme  schwebt  übe/  seinem  mit  dem 
Lichtschein  umgebenen  Haupt,  wie  bei  den 
Engeln  Ficsoles,  ein  Gewand  in  der  Art  der 
alten  Priesterkleidung  und  darüber  ein  Brust- 
schild   bedecken   die  )iigendliche.   geschlecht- 


(>0 


'sm  DAS  KÜNSTLERISCHE  TITELBLATT  »^a 


lose  Gestalt.  Der  Künstler  sagt  uns:  Die 
christliche  Kunst  ist  ein  Bote  vom  Himmel, 
ein  Herold ,  der  uns  die  göttlichen  Geheim- 
nisse in  die  Sinne  ruft,  iur  das  Himmlische 
das  Herz  entflammt  und  das  Irdische  schön 
verklärt.  Die  technischen  Ausdrucksmittel  ver- 
einfacht Kunz  noch  mehr  als  Baumhauer  und 
Schiestl;  er  verzichtet  vollständig  auf  jeden 
Mittelton  zwischen  Schwarz  und  dem  Ton  des 
Papieres,  während  die  beiden  letzteren  Künst- 
ler, allerdings  sehr  spärlich  und  zurückhaltend, 
von  schraffierenden  Linien  Gehrauch  machten. 
Fritz  Kunz  entwarf  auch  den  Titelkopf  des 
Pionier«,  der  seit  i.  Oktober  lfd.  Jahres  er- 
scheinenden Monatsblätterfürkirchliche  Kunst, 
welche  zugleich  als  Beiblatt  zur  vorliegenden 
Zeitschrift  o;edaclit  sind.    Hier  wurde  die  Aut- 


PorlriMiisle  de, 


HEINRICH  WADERE 
vjihcrzosm  von  HccIdcn/.urg-Sch:v,-,!ii  (M„ 


gäbe  von  vornherein  auf  einen  Titelkopt  fest- 
gelegt. Mit  Rücksicht  auf  Format  und  Umfang 
des  Blattes  war  es  geboten,  sich  auf  einen 
schmalen  Querstreifen  zu  beschränken,  für 
den  Kunz  eine  ebenso  sinnreiche  wie  schlicht 
schmückende  Zeichnung  erfand.  Über  dem 
Titel  »Der  Pionier«  sieht  man  das  Künstler- 
wappen (drei  Farbentöpfe)  im  Kreis ;  an  den 
beiden  Seiten  je  ein  Engel,  die  eine  Hand  mit 
der  Gebärde  des  Aufklärens  erhebend,  in  der 
anderen  aber  ein  Räuchergefäß  haltend,  dessen 
Wohlgerüche  zum  Himmel  emporsteigen.  Die 
ausgebreiteten  Flügel  wirken  raumfüllend.  Der 
Gedanke  ist:  »Der  Pionier«  macht  es  sich  zur 
Autgabe,  lür  die  Kunst  einzutreten  (Künstler- 
wappen), und  zwar  für  die  heilige  Kunst  die 
Stimme  zu  erheben  (die  beiden  Engel).  Um 
nicht  die  große  Wirkung  zu  verlieren, 
läßt  sich  der  Künstler  auf  keine  zier- 
liche Durchführung  von  Einzelheiten 
ein  ;  so  z.  B.  behandelt  er  die  Hände 
ganz  summarisch,  wodurch  die  Sil- 
liouette  und  damit  auch  die  Eindring- 
lichkeit der  Geste  gesteigert  wird.  Schon 
in  dem  Triptj'chon  »Der  Engel  des 
Herrn  offenbart  sich  der  starke  Ein- 
druck, den  die  ernste  Feierlichkeit  der 
altchristlichen  Malerei  auf  Kunz  wäh- 
rend seines  Aufenthalts  in  Italien  aus- 
übte (Abb.  in  Mappe  1902  der  D.  Ges. 
f.  ehr.  K.).  Noch  entschiedener  prägen 
sich  die  von  daher  kommenden  Ein- 
flüsse in  seiner  großen  monumentalen 
Schöpfung  des  vorigen  Jahres  aus,  den 
Malereien  in  der  Liebfrauenkirche  zu 
Zürich,  und  sie  erstrecken  sich  auch 
auf  die  vorstehend  besprochenen  Zeich- 
nungen. 

Das  Titelblatt  soll  den  Charakter  der 
betrefl'enden  Zeitschritt  widerspiegeln ; 
je  ernster  der  Inhalt,  desto  gemessener 
muß  auch  Zeichnung  und  Ausführung 
des  Umschlages  sein.  Mäßige  Verwen- 
dung mehrerer  Farben  ist  dann  am 
Platz,  wenn  auch  die  innere  Ausstat- 
tung farbige  Blätter  in  größerer  Zahl 
enthält.  Viele  und  lärmende  Farben 
wirken  immer  unfein. 

Es  gibt  Zeitschriften,  welche  förm- 
liche tarbige  Reproduktionen  von  Ge- 
mälden auf demUmschlag  bringen.  Das 
ist  im  allgemeinen  stillos  und  nur  dann 
zu  ertragen,  wenn  jede  Nummer  wieder 
ein  anderes  Bild  bringt  und  die  Um- 
schlagblätter schließlich  gesammelt  und 
dem  Jahrgang  beigebunden  werden  sol- 
len. I:ine  Unzahl  von- Umschlagzeich- 
nungen,  meist  in  bunten  Farben,    na- 


©^  SINKHL-AUSSTliLLUNG  IN  DÜSSELDORF  »^a 


6i 


nicntlich  Umschläge  von  Broschüren  und  Mii- 
sikaHcn,  können  nur  vom  Standpunkt  des  Rc- 
klamebhutcs  aus  beurteilt  werden.       siauJUamcr 


SINKEL-AUSSTELLUNG 
IN  DER  KUNSTHALLE  ZU  DÜSSELDORF 

Wohl  nicht  ohne  Rücksichtnahme  auf  die  Ge- 
neralversammlung der  Katholiken  Deutsch- 
lands wählte  die  Verwaltung  der  Kunsthalle 
gerade  den  Monat  August  für  die  \'eranstal- 
tung  einer  Sinkel-Ausstellung.")  Und  sie  hat 
wohl  daran  getan.  Denn  Freunde  der  Naza- 
rener  und  ihrer  Kunst  fanden  sich  bei  der  Ge- 
legenheit hier  zahlreich  zusammen,  nicht  nur 
solche,  die  nicht  ohne  eine  gewisse  mehr  oder 
minder  starke  Befangenheit  den  Nazarenern 
anhangen  und  so  eine  ungeteilte  und  unein- 
geschränkte Freude  an  deren  Werken  haben, 
sondern  auch  solche,  denen  zwar  keineswegs 
ein  wirklicher  oder  gespielter  Schauder  die 
Augen  verschließt,  sobald  der  Name  eines  Na- 
zareners  genannt  wird,  die  aber  auch  bei  die- 
sen Spreu  vom  Weizen  im  ganzen  und  im 
einzelnen  zu  trennen  entschlossen  sind.  Es 
sind  die  nämlichen,  denen  Nazarenerkunst  und 
christliche  oder  gar  katholisch-christliche  Kunst 
nicht  identische  Begriffe  sind,  die  nämlichen, 
denen  ein  erstarrtes  oder  schlafendes  Weiter- 
spinnen eines  zeitlich  und  geistig  bestimmt 
umschriebenen  historischen  Ergebnisses  —  ein 
solches  Ergebnis  war  die  Nazarenerkunst  — , 
ein  Weiterspinnen  in  bewußtem  Absperren 
gegen  alle  Entwicklung,  dem  Wesen  der  Kunst 
zu  widersprechen  scheint,  und  dementspre- 
chend die  nämlichen,  die  bei  den  Nazarenern, 
bei  dem  einen  mehi',  bei  dem  andern  weni- 
ger, wertvolle  Anschlüsse  an  trübere  Zeiten, 
versprechende  Keime  für  nachtblgende  Rich- 
tungen, unzerstörbare,  menschheitumspannen- 
de (Grundlagen  aller  Kunst  als  Frucht  ihres 
wahrhaft  ernsten  Tuns  erkennen.  Es  sind  aber 
auch  die  nämlichen,  die,  dem  Weiterführen- 
den und  Neuen  sein  Recht  gebend,  einen 
menschlichen  Fortschritt,  der  nicht  mit  der 
Religion  vereinbar  wäre,  für  undenkbar  halten. 


')  Heinrich  Johannes  Sinkel,  geb.  am  6.  Ja- 
nuar 1855  in  Ahiielo  Holland),  zeigte  zwar  schon  in  früher 
Jugend  großen  Drang  zum  Zeichnen  und  Malen,  widmete 
sich  aber  gleichwohl  anfangs  dem  Kaufmannsstande. 
Ihn  der  Kunst  zuzuführen,  soll  besonders  der  Hindruck 
der  Fresken  in  der  St.  Apollinariskirche  zu  Remagen 
—  Werke  von  Deger,  Ittenbach  und  den  beiden 
A.  und  K.  Müller  —  vermocht  haben.  .Ms  Schüler 
der  Düsseldorfer  Akademie  schloß  er  sich  vor  allem  an 
Professor  Karl  Müller  an.  .\ber  die  großen  Meister  seines 
Heimatlandes  und  die  vorbildliclien  Schöpfungen  christ- 
licher Kunst  in  Italien  blieben  nicht  ohne  starke  Mit- 
wirkung. 


HEINRICH  WADERE  BAVARIA  ii')o8) 

■nftgur  für  dit  von  Prof.  Alirrt  Schwidl  trlauU 
Königliche  Bank  in  München 


und  die  sich  herzlich  freuen,  wenn  sie  sehen, 
wie  das  Neue,  wo  immer  es  sich  befestigt, 
einen  Bruch  mit  dem  Alten  nicht  nur  nicht 
fordert,  sondern  ausschließt;  das  ist  immer  so 
gewesen  und  muß  auch  so  bleiben.  Gerade 
für  diese  Anschauungen  ist  H.  J.  Sinkel  der 
rechte  Mann.  Er  besaß  den  Sinn  und  die 
Kraft,  gleichsam  mit  einem  Fuße  im  Reiche 
des  Idealen,  mit  dem  anderen  im  Reiche  des 
Realen  zu  stehen.  Denn  sieht  man  sich  um- 
geben von  seinen  religiösen  Werken  und  dann 
plötzlich  von  seinen  Porträtdarstellungen,  so 


f5^  SINKHL-AUSSTELLUNG  IN  DÜSSELDORF  ma 


^HV^H^^^[^^t'^i'^^^V^^*'^^>'i^*4^'l**'!it»»- 


HEINRICH   W.Uli  Ki: 


TÄNZERIN'  (I 


.l;,s>/,7/««i.'  M:mihe 


wandelt  man  wie  in  zwei  verschiedenen  Wel- 
ten:  hier  schauen  einen  wirkliche  Menschen 
an  und  individuelle,  äußerst  schart  ausgepräL;te 
individuelle  Charaktere  —  wer  auch  nur  ein- 
mal eine  längere  Unterredung  mit  dem  Mainzer 
Bischot  von  Kctteler  gepflogen  hat,  wird  das 
bestätigen  — ,  dort  erdenfremde  Wesen,  in 
denen  sich  das  Reale  kaum  fernab  widerspie- 
gelt. Auch  bei  diesen  letzteren  erkennt  man 
überall  die  fest  und  sicher  zeichnende  Hand, 
wo  das  leibliche  Auge  sie  regiert,  aber  Schwan- 
kungen bleiben  nicht  aus,  wo  dem  Meister 
Idee  und  Absicht  ein  lintiernen  vom  Wirk- 
lichen zu  gebieten  schien;  und  das  war  eben 
vielfach  nicht  nur  hinsichtlich  der  einzelnen 
Gestalten,  sondern  auch  hinsichtlich  der  dar- 
gestellten Situationen  und  Handlungen  der 
Fall.  So  kommt  es,  daß  die  überzeugende 
Kraft  und  Klarheit,  die  manchen  Werken  eigen 
ist,  namentlich  manchen  Skizzen,  anderweitig 
zu  einer  naiven  Weichheit  herabsteigt,  die 
auch  den  Unbefangenen  nur  dann  anmuten 
kann,  wenn  er  sie  von  dem  Standpunkte  der 
damaligen  Gegenwart  aus  zu  empfinden  ver- 
suchen kann.  Diese  Unbestimmtheit  stellt  sich 
naturgemäß  am  augenfälligsten  ein,  wo  es  sich 
um  Schaffung  von  idealen  Typen  handelt,  Ma- 
rientypen, Josephtypus,  Simeontypus,  Engelty- 
pen u.  a.  Höchste  Lieblichkeit,  hingehendste 
Milde  und  Güte  und  was  sonst  auf  dem  kür- 
zesten Wege  zum  Rein-Idealen  zu  liegen  scheint. 


reichen  nicht  aus,  um  Darstellungen  zu 
schaffen,  von  denen  man  sagen  könnte 
»das  ist  der  —  der  eine  und  ein- 
zige Körper  dieser  Idee  ;  denn 
was  glaubhaft  erscheinen  soll, 
muß  im  Bereiche  des  Möglichen 
liegen.  Diese  Glaubhaftigkeit  nehmen 
aber  auch  die  historischen  Personen  der 
Hl.  Schrift  für  sich  in  Anspruch,  ohne 
des  Scheins  von  Porträtstücken  zu  be- 
dürfen. Solche  Glaubhaftigkeit  zeigt  in 
hochedler  Form  die  »Madonna  auf  dem 
Throne«  (Nr.  67  des  Kat.),  auch  der 
)  Kreuztragende  Heiland  .  (Nr.  66).  Wenn 
bei  diesen  beiden  Farbe  und  Behandlung 
der  Kraft  etwas  Eintrag  tut,  so  wird  die 
Wirkung  bei  einer  Reihe  von  Skizzen 
durch  dasTechnische  wesentlich  gestützt, 
ebenso  bei  gewissen  Studienköpfen  (wie 
Nr.  65);  das  tritt  besonders  hervor,  wo 
kraftvolle  Skizzen  in  leuchtenden  wohl- 
gestimniten  Farben  großen  und  fertigen 
Ausführungen  gegenüberstehen;  welch 
ein  Weg  \on  der  Skizze  »Simeon  im 
Tempel  (Nr.  30,  auf  Glas  gemalt)  bis 
zu  der  »Weissagung  Simeons«  (Nr.  3), 
oder  von  der  Skizze  »Christi  Geburt« 
14)  zu  der  großen  Ausführung  Nr.  100 
Defreggers  Art  und  Weichheit;  neben 
dem  sinnigen  Bildchen  »Jesuskind  mit  dem 
vierten  Gebot«  (Nr.  90,  als  Andenkengabe  zu 
einer  ersten  hl,  Kommunion  gemalt)  sieht  man 
in  der  Ausstellung  unter  Nr.  61  eine  Vorzeich- 
nung dazu,  die  kräftigere  Auffassung  zeigt  als 
Nr.  90,  und  unter  Nr.  29  eine  prächtige  kleine 
Skizze  in  Ölfarben.  Letztere  bildet  geradezu 
einen  künstlerischen  Übergang  zu  den  iretl- 
lichsten  Kopien  kleinen  Formates  nach  Bildern 
alter  Meister;  unter  den  ausgestellten  sind 
besonders  hervorzuheben  die  >  Anatomie  des 
Doktors  von  Tulp«  nach  Rembrandt  (Nr.  55), 
»Dame  mit  Fächer',  nach  demselben  (Nr.  35), 
»Immaculata«  nach  Murillo  (Nr.  40).  In  die- 
sen kleineren  Sachen')  entfaltet  sich  eine  solche 
Freiheit  der  Form  und  solches  Leben  der  Farbe, 
daß  man  die  Unerbittlichkeit  und  Schärfe 
kaum  \crsteht,  mit  der  Sinkel  über  das  »Mo- 
derne urteilte,  so  wenig  er  es  unbeachtet  Heß. 
Eine  große,  man  möchte  sagen,  unüberbrück- 
bare Entfernung  trennt  zwar  Werke  wie  die 
»Madonna  mit  dem  schlafenden  Jesuskinde« 
(Nr.   i)   und     Christi  Geburt«   (Nr.   100)  von 


(Nr. 
von 


')  Seine  Sorglaft  im  einzelnen  befalligte  ihn  g.uiz  be- 
sonders, auch  in  Sachen  von  miniaturartiger  Kleinheit  sich 
auszuzeichnen ;  das  zeigen  nicht  nur  die  Malereien  aut 
den  ausgestellten  Paletten,  sondern  nielir  noch  die  Bild- 
clien,  die  er  liie  und  da  für  Schmucksachen  (Broschen) 
ausgefühit  hat. 


©^  SINKEL-AUSSTHI.LUNG  IN  DÜSSELDORF  Ji^ä 


63 


i*S^^€n'  ¥ 


,-^,->jr7< 


,...;;.  T,At  S.  J4 


der  Gegenwart,  aber  den  Meister  selber  muß- 
ten, sollte  man  glauben,  nicht  nur  seine  Liebe 
zu  den  krältigsten  und  nicht  immer  malivoll- 
sten  alten  niederländischen  Meistern,  sondern 
auch  seine  eigenste  innere  Natur,  wie  sie  sich 
viehacii  bei  ihm  hervorrang,  versöhnlicher  ge- 
genüber heutigem  ernsten  Ringen  stimmen. 
Denn  weitdavon  entfernt,  ein  süßlicher  Schwär- 
mer und  sentimentaler  Lyriker  der  Form  zu 
sein,  wandte  schon  seit  ca.  30  Jahren  seine 
Tätigkeit  sich  mit  ebensoviel  Liebe  als  unbe- 
zweil'eltem  Erfolge  dergegenwärtigen  Wirklich- 
keit zu,  der  er  seine  Porträts  keineswegs  ent- 


rückte. Genannt  wurde  bereits  oben  das  Por- 
trät des  Bischofs  von  Mainz.  Nicht  geringere 
Naturwahrheit  spricht  aus  dem  Porträt  des 
Bischofs  Wilhelm  von  Paderborn  (Nr.  So»  — 
es  ist  die  letzte  Arbeit  des  verstorbenen  Mei- 
sters — ;  sieht  man  die  beiden  Bilder  neben- 
einander, so  könnte  man  glauben,  der  Mei- 
ster habe,  ängstlich,  die  naturwahre  Schlichtheit, 
Einfachheit,  Bürgerlichkeit  bei  dem  letzteren 
zu  verletzen,  ihm  durch  Leuciukraft  der  Farbe 
und  äußeres  Beiwerk  die  Kirciienfürstlichkeit 
zu  geben  gesucht,  die  bei  v.  Ketteier  schon 
die  persönliche  Erscheinung  ausprägte.    Auf 


64 


©^  MICHEL  ANGELO  —  LIONARDO  >^?3 


künstlerischer  Höhe  stehen  die  Porträts  desGr;i- 
fen  August  von  Spee  (Nr.  73),  der  Gräfin  M.von 
Spee  (Nr.  74),  des  Grafen  Ferdinand  von  Ga- 
len (Nr.  75),  auch  der  Baronin  von  der  Leyen 
(Nr.  79)  u.  a.  Aus  dem  strengen  Porträt  noch 
mehr  in  die  Wirklichkeit,  sozusagen  in  das 
Momentane,  führen  Bildnisse,  wie  die  der  ver- 
storbenen Nazarener  Professor  Ittenbach  und 
Professor  Ernst  Deger  (Nr.  81),  und  die  ju- 
gendlich und  persönlich  ausgeprägten  einer 
jungen  Frau  Seh.  (Nr.  91)  und  einer  Nichte 
des'  Künstlers  Frl.  M.  B.   (Nr.  86). 

Besondere  Beachtung  verdienen  für  das  Stu- 
dium des  Meisters,  seiner  Art  und  Auffassung 
die  ausgestellten  Zeichnungen,  mögen  diese 
auf  dem  unmittelbaren  Boden  der  Wirklich- 
keit stehen  oder  aus  dieser  in  idealere  Regi- 
onen hinausführen. 

Zum  Schlüsse  darf  als  ein  erfreuliches  Zei- 
chen für  wiederkehrende  unbefangene  Schät- 
zung des  älteren  Guten  nicht  unerwähnt  blei- 
ben, daß  gegenüber  dem  verkäuflichen  Teile 
der  Ausstellung  sich  regere  Kauflust  zeigte, 
als  das  sonst  bei  künstlerischen  Nachlässen  der 
Fall  zu  sein  pflegt.  Bone 

MICHEL  ANGELO 

Ich   kannte  keine  Furcht,    Gott  war  mit  mir. 
Ich  kannte  keinen  Lug,  denn  ich  war  treu. 
Die  Kraft,  die  Reinheit  sind  in  meinem  Werk. 
Des  Zweifels  Hydra  schuf  mir  keine  Reu. 

Ich  ging  den   graden   stolzen  Weg  zum  Ziel. 
Ich  sah  die  Menschen,  wie  sie  Gott  erschuf! 
Nackt;  stark  und  trotzig,  ein  Titanenvolk, 
Das  sich  emporgereckt  auf  seinen  Ruf. 

Ich  sah  Gott  Vater,  wie  aus  seiner  Hand 
Des  Lebens  Strom  in  Adam  niederging 
Und  wie  er  still  in  seines  Mantels  Schutz 
Des  ersten  Weibes  Liebes-Seel'  umfing. 

Aus  tiefen  Vorweltzeiten  kam  mein  Geist. 
Des  Lichtes  erste  Strahlen  zog  er  ein. 
Die  ersten  Kräfte  ersten  Schöpfungstags, 
Die  unverbrauchten,  heil'gen  waren  sein. 

Ich  schuf  der  Menschenzeiten  Anbeginn  — 
Den  Mutterschoß   der  urgewalt'gen  Nacht. 
Ich  schuf  im  Moses  ehernes  Gesetz, 
Im  Weltenrichter  des  Verwerfers  Macht. 

So  ging  ich  durch  die  Zeiten,  ein  Gigant, 
Und  hob  aus  deiner  Niedrung,  altes  Rom  — 
Hoch  in  die  blaue  Luft  des  Vaterlands 
Mein  Herrscherdenkmal,  den  Sankt  Peters  Dom. 

M.  Herbert 


LIONARDO 

I. 

O nicht  mehr gehn,  nein  fliegen!  Sieh,  ich  ward 
Für  dieser  Erde  Hemmnis  nicht  geboren  ! 
An  ewig  göttliche  Vollkommenheit 
Hab  ich  dies   arme  Menschenherz    verloren! 
Mir  gab  der  Herr  zu  wissen  und  zu  schaun  ! 
In    seine  Himmel   ließ    er  einst    mich  treten. 
Daß  ich  sein  göttlich  Antlitz  niedertrüg 
Zu  denen,  die  in  heißer  Sehnsucht  beten. 

Auf  Seiner  Welt  hat  er  mir  nichts  verwehrt ! 
Er  hieß  Natur  vor  mir  sich  ganz  entschleiern. 
All  sein  Geheimnis  gab  er  lächelnd  preis 
Und  lud  mich  zu  der  Schönheit  höchsten  Feiern. 
Des  Weibes  allertiefste  Gültigkeit, 
Sein    süßes  Lächeln  ließ  er  mich  erleben. 

Die  große  Zauberformel  war  in  mir, 
Durch  die  sich  die  verborgnen  Schätze  heben. 
So  ging  ich  strahlend  in  Allwissenheit, 
EinHalbgott  stolz.  Und  soUtemich  nicht  wiegen 
Wie  Adler  tun  in  freier  Lüfte  Reich. 
Und  sollte  wie  ein  Wurm  im  Staube  kriechen. 
Und  sollte  mehr  nicht  sein  als  Ikarus  ? 

Die  letzten  Ziele  sollt  ich  nicht  erreichen. 
Mich  aufzuschwingen  in  der  Sterne  Kreis, 
Eh  ich  versinke  in  das  große  Schweigen ! 
O  nicht  mehr  gehn!  Nein  fliegen!  Sieh,  ich  ward 
Für  dieser  Erde  Hemmnis  nicht  geboren ! 
An  ewig  göttliche  Vollkommenheit 
Hab'   ich   dies  arme  Menschenherz  verloren. 


Ach,   du  erdrückst  mich,  Michel   Angelo! 
Wer  kann  vor  deinem  wilden  Sturm  bestehn? 
Dem  Blatt  gleich  muß  ich  im  Orkan  vergehn. 
Denn  santterSchönheit  ward  das  Herz  mir  froh. 

Mir  graut  vor  deines  Moses  Richterzorn 
Und  des  \'erwerfers  grimmer  Majestät. 
Ich  bin  ein  Stiller,  der  um  Güte  fleht 
Und  aus  der  Wunde  zieht  den  scharfen  Dorn. 

Dein   »Fiat  Lux<,  es  hat  auch  mich  erfaßt. 
Da  schauernd  ich  in  der  Sixtina  stand, 
Das  Sucherauge  hoch  emporgebannt 
Zum   Urweltstraum,    den   du  erschafl'en   hast. 

Da  ging  mir  auf  die  Ahnung  höchster  Kraft. 
In  Demut  legt'  ich  meinen  Pinsel  hin: 
Dal.i  ich  im   Himmel  einst  gewesen   bin 
Ward  dem  Gedächtnis  dazumal  entraflt.  — 

—  Nun  weiß  ich's  wieder!  Ich  nur  —  ich  allein 
Hab  des  Erlösers  tiefe  Müdigkeit 
Herabgetragen  in  des  Lebens  Streit. 

—  Und  alles  andre!  —  Laßt  es  sein!  Laßt  sein. 

M.  Herbert 


Für  <l.e  RcLiliti 


.nlicll:   S.  Staildh; 
Druck  voi 


•  (Prom 
Brnckn 


nadeplalz  5)i    VerUig  Jcr  GcsellsclK 
ann   A.-G.    —  S:imtl!cl:e   in   Miincl.t 


BEWEINÜNG  CHRISTI 
Predellagemdldf  in  Athmihtdorf.      Text  S.  Sl 


ZU  WOLF  HUBER  UND  DER  KUNST  DES  DONAUSTILS 


Von  PHILIPP  MARIA  HALM 


Tm  Mittelpunkte  jener  Kunstbewegung  zu 
*■  Beginn  des  i6.  Jahrhunderts,  die  wir  nach 
Frimmels  Taufe  kurzweg  mit  Donaustil  <  zu 
charakterisieren  pflegen,  steht  als  die  liebens- 
würdigste und  anziehendste  Persönlichkeit 
der  Regenshurger  Albrecht  Ahdorfer,  den 
uns  Wilhelm  Schmidt,  Max  Friedlander  und 
Thomas  Sturge  Moor  nähergerückt  haben. 
Neben  ihm  nannte  man  am  meisten  unter  den 
Donaumalern  den  Xamen  Wolf  Huber  von 
Passau, seit WilhelmSchmidt  durch  seinen  glück- 
lichen Fund  des  signierten  Beweinungsbildes 
in  Fcldkirch  in  \'orarlberg  ein  Gemälde  des  bis 
dahin  nur  aus  Zeichnungen  und  Holzschnitten 
bekannten  Monogrammisten  W.  H.  nachge- 
wiesen hat  und  uns  durch  die  wieder  ans  Tages- 
licht gebrachten  Aktenauszüge  über  den  Anna- 
Bruderschafts- Altar  in  Feldkirch  den  Schlüssel 
zur  Lösung  der  Signatur  gab. 

Näher  aber  hatte  sich  bis  jetzt  die  Forschung 
nicht  mit  dem  Meister  von  Feldkirch  beschäf- 
tigt, höchstens  daß  man  da  und  dort  ein  paar 
Zeichnungen  oder  Holzschnitte,  ein  Gemälde 
oder  eine  Urkunde  verötlentlichcn  konnte;  ein 
geschlossenes  Bild  der  künstlerischen  Tätig- 
keit des  noch  ziemlich  im  Nebel  stehenden 
Künstlers  fehlte  uns  bislang.  Zu  fast  gleicher 
Zeit  traten  nun  zwei  junge  Kunsthistoriker  — 
Vo(J  und  Riggenbach')  —  mit  Abhandlungen 
über  Wolf  Huber  hervor.  \'oß  nimmt  Huber 
zum  Ausgangspunkt  fürentwicklungsgeschicht- 
liche  Untersuchungen  über  den  Donaustil  und 

')  Hermann  VoO,  Der  Ursprung  des  Donaustils  1907. 
Rudolf  Riggenbach,  Der  Maler  und  Zeichner  Wolfgang 
Huber.     Baseler  Dissertation  1907. 


legt  dabei  das  Schwergewicht  auf  die  Tätig- 
keit Hubers  als  Maler.  Riggenbachs  Schrift 
ergänzt  die  Abhandlung  von  Voß,  indem  er 
den  graphischen  Blättern  des  Meisters  sein 
Hauptaugenmerk  zuwendet.  Der  Historiker 
wird  Riggenbach  besonderen  Dank  zollen  für 
die  sorgfältige  Bergung  des  sehr  zerstreuten 
literarischen  Materials  und  für  sein  Streben  nach 
Gründlichkeit  und  \'ollständigkeit ;  deshalb 
wird  Riggenbachs  Arbeit  künftigen  Huber- 
Forschern  unentbehrlich  sein.  Voß  vernach- 
lässigte die  historische  Seite  des  Themas; 
er  wollte  nur  »ein  Stück  Entwicklungsge- 
schichte deutscher  Malerei :  geben.  Treffende 
Charakterisierung  des  Meisters  und  die  Be- 
reicherung des  ^Werkes  c  Hubers  durch  einige 
neue  Bilder  sind  die  Vorzüge  seiner  Abhandlung. 
Exakte  Forschung  ist  für  ein  Neuland,  wie 
es  das  ganze  Gebiet  des  Donaustils  trotz  viel- 
facher Einzelforschungen  immer  noch  ist,  eine 
unerläßliciie  Forderung,  und  ohne  eine  syste- 
matische Gliederung  und  Durcharbeitung  des 
Riesenstortes  läl.k  sicii  ein  gesicherter  Erfolg 
nicht  erhörten.  Deshalb  dürfte  es  unausbleib- 
lich sein, daß N'oßens  Donaustil :<  bald  mancher- 
lei Korrekturen  erfahren  wird.  Der  Verfasser 
hat  meines  Erachtens  sich  das  Thema  zu  weit 
und  die  Grenzen  des  Gebiets  zu  ausgedehnt 
gesteckt  oder  richtiger  vielleicht,  der  Zeitpunkt 
für  die  Abwandlung  der  Aufgabe  war  verfrüht, 
denn  noch  bedürfen  wir  einer  genaueren  Kennt- 
nis des  im  Lande  verstreuten  Materials  und  ört- 
licher Gruppierung  desselben.  Liegen  die  bin- 
denden Fällen  und  die  Entwicklungsfaktoren 
für  engere  Gebiete  noch  nicht  klar,  so  werden 


Die  ctirlitllche  Kunst. 


Dezamber  1908 


66 


K^  WOLF  HUBER  UND  DER  DONAUSTIL  »'^a 


großzügige  Entwicklungskombinationen  im- 
mer etwas  Problematisclies  an  sich  tragen  und 
mehr  der  Ausdruck  einer  vorgefaßten  subjek- 
tiven Anschauung  denn  das  Fazit  positiver 
Faktoren  sein.  Der  Spielarten  des  Donaustils 
gibt  es  in  der  Malerei  wie  in  der  Plastik  außer- 
ordentlich viele,  weit  mehr  als  man  nach  Voß 
annehmen  würde,  der  um  einer  Taute  oder 
sonstigen  Zuweisung  willen  oft  die  gewagtesten 
Sprünge  macht;  ich  verweise  z.  B.  aut  seine 
Anschauung  über  die  bekannte  Holzschnittt- 
folge  der  »Wunder  von  Maria  Zell  <  (S.  207),  die 
Arbeiten  der Huberschen Werkstätte,  d.h. eines 
Malers  und  eines  Bildschnitzers,  sein  sollen, 
oder  seine  Kombinationen  über  den  Stecher 
M.  Z.,  dessen  Leben  und  Tätigkeit  sich  auf 
Grund  demnächst  von  berufener  Hand  er- 
scheinenden authentischen  Materials  durchaus 
anders  malen  wird.  Voß  übersieht,  von  allge- 
meinen Ähnlichkeiten  zeitlich  einander  nahe- 
stehender Werke  irregeführt,  gerne  die  Unter- 
schiede persönlicher  Kunstanschauungen.  Die 
natürliche  Folge  ist,  daß  der  Einfluß  einzelner 
Meister,  zumal  in  seiner  örtlichen  Ausdehnung, 
oft  überschätzt  wird.  Sorgfältige  Einzelunter- 
suchungen werden  deshalb  das  von  Voß  ent- 
worfene Bild  voraussichtlich  über  kurz  oder 
lang  verschieben. 

Mit  nachfolgenden  Erörterungen  wende  ich 
mich  gegen  einige  Punkte  des  Voßschen  Buches, 
die  in  Beziehung  zu  demBeweinungsbilde  in  Feld- 
kirch bezw.  zu  dem  Anna-Bruderschafts-Altar 
Wolt  Huhers  stehen  und  geeignet  sind,  für  die 
Zukunft  Verwirrung  anzurichten,  falls  sie  un- 
widersprochen bleiben.  Da  ich  im  ersten  Teile 
zugleich  in  eigener  Sache  spreche,  will  ich 
nicht  versäumen  zu  betonen,  daß  ich  trotz 
meiner  Einwände  das  Voßsche  Buch  keines- 
wegs unterschätze  und  in  einigen  Kapiteln, 
namentlich  im  dritten  Teil:  Charakteristik  des 
Donaustils,  sogar  vortrefflich  finde.  Hierin,  in 
der  analj'tischen  Behandlung  der  Werke,  liegt 
die  Stärke  des  Verfassers.  Er  offenbart  eine 
Fülle  von  Anregungen,  und  man  wird  seinen 
Ausführungen  mit  Interesse  folgen,  auch  wo 
sie  zum  Widerspruche  reizen ;  das  gilt  nament- 
lich hinsichtlich  des  Sachlichen  und  rein  Histo- 
rischen. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  den  strittigen 
Punkten   zu. 


A^oß  will,  sich  auf  eine  unsichere  Nachricht 
stützend,  einen  Bruder  des  Wolf  Huber.  den 
»Bildschnitzer  Huber«  in  die  Kunstgeschichte 
einführen')  und  ihm  außer  einer  Gruppe  der 


hl.  Sippe  in  Feldkirch  in  Vorarlberg  die  herr- 
lichen Türen  der  Stiftskirche  in  Altötting  zu- 
weisen, als  deren  Meisterich  Matthäus  Kreniß 
gefunden  zu  haben  glaube.-)  Er  behauptet,  mir 
sei  bei  der  Untersuchung  ein  verhängnisvoller 
Irrtum  unterlaufen,  indem  ich  verkannt  hätte, 
daß  an  der  Nordtüre  zwei  verschiedene  Hände 
tätig  gewesen  seien,  obgleich  schon  Riehl  diese 
Tatsache  ausdrücklich  und  unwidersprechlich 
hervorgehoben   habe. 3) 

Hiezu  möchte  ich  zunächst  bemerken,  daß  von 
einem  Verkennen  absolut  nicht  insoferne  die 
Rede  sein  kann,  als  wären  mir  die  Unterschiede 
zwischen  den  oberen  Hoch-  und  den  unteren 
Flachrelief tiguren  des  Nordportals  entgangen. 
Im  Gegenteil,  ich  erkann  te  die  mancherlei  Unter- 
schiede sehr  wohl  und  ich  habe  sie  durch  Er- 
wägungen technisch-praktischer  Art,  wie  sie 
mir  die  Vertrautheit  mit  plastischem  Arbeiten 
nahelegten,  zu  erklären  versucht.  Ich  verweise 
auf  meine  eingehenden  Ausführungen,  um  sie 
nicht  zu  wiederholen  und  füge  noch  bei :  Bei 
einer  Höhendifferenz  der  Hoch-  und  Flach- 
reliefbilder von  IG  zu  2  cm  versteht  es  sich 
doch  ganz  von  selbst,  daß  der  Stil  sich  stellen- 
weise ändert;  er  ist  bei  dem  Flachrelief  in 
engere  Grenzen  gebannt.  Erneute,  durchaus 
vorurteilsfreie  Vergleiche  an  Ort  und  Stelle 
konnten  meine  Anschauung  nicht  erschüttern. 
Die  Hochrelieffiguren  bestechen  durch  ihre 
flotte  Technik ;  wer  aber  in  das  Wesen  der 
Plastik  etwas  tiefer  eingedrungen  ist ,  wird 
deshalb  die  Flachreliefs  der  Kirchenväter  und 
Propheten  nicht  weniger  hoch  einschätzen  in 
ihrer  plastischen  Wirkung  und  Durchmodel- 
lierung, zumal  bei  der  minimalen  Reliefstärke 
von  nur  2  cm.  Voß  unterschätzt  die  Flachreliefs 
sehr  zu  unrecht  und  übersieht  die  in  manu- 
eller und  typischer  Hinsicht  engen  Bezieh- 
ungen zwischen  ihnen  und  den  patriarchalischen 
Köpfen  auf  dem  von  dem  gleichen  Meister 
herrührenden  Sippenrelief  in  Neuötting  voll- 
ständig. Dafür  legt  er  auf  zahlreiche  Ausrut- 
schungen und  \'erschneidungen  an  den  Flach- 
reliefs zu  großen  Wert;  deren  hätte  er  auch 
genug  an  den  aufgesetzten  Hochrelieffiguren 
finden  können.  Seinem  »neuentdeckten«  Huber 
zuliehe  soll  Matthäus  Kreniß  geopfert  werden. 
Ob  ihm  nicht  Bedenken  aufgestiegen  wären, 
wenn  er  sich  doch  etwas  näher  mit  dem  Chor- 
gestühl der  Altöttinger  Stiftskirche  befaßt  hätte, 
das,  urkundlich  bezeugt,  1509  durch  den  Bild- 
schnitzer  Meister  Matthäus  Kreniß    gefertigt 


')  Voß  a.  a.  O.,  S.  205. 


=)  Halm,  Die  Türen  der  Stiftskirche  in  Aftötting  und 
ihr  Meister,   in    dieser  Zeitschrift  I   (1904/1905),  S.  121. 

3)  Ich  berichtige  hier,  daß  nicht,  Riehl,  sondern  Hager 
in  den  Kunstdenkmalen  Bayerns  1,  S.  2545,  diese  Mei- 
nung ausgesprochen  hat. 


©^  WOLF  HURF.R  UND  DER  DOXAUSTIL  i>^ö 


67 


wurde.  Angesichts  der  verhältnismäßig  ge- 
ringen Reste  des  Chorgestühls,  das  ich  in 
stilistische  Beziehung  zu  den  Altöttinger  Türen 
setzte,  darf  man  nicht  vergessen,  daß  sich  nur 
die  hermenartigen  Stützen  von  mehr  dekora- 
tivem Charakter  —  pilder  auf  den  katellen 
(=  Kapitellen)  nennt  sie  die  Stiftungsrech- 
nung—  erhalten  haben.  Wir  müssen  uns  aber 
den  Reichtum  des  Gestühls  ausdenken  mit  acht 
Standfiguren  (stende  pillder),  sechzehn  Büsten 
(prustpilder,  Propheten  u.  a.).  Aus  den  Rech- 
nungen namentlich  den  Einzelpreisen  ist  er- 
sichtlich, daß  es  sich  um  ein  zwar  nicht  um- 
fangreiches, jedenfalls  aber  um  ein  kostbares, 
künstlerisch  sehr  wertvolles  Werk  handelte,  das 
der  reichen,  vielbesuchten  Stiftskirche  durch- 
aus würdig  gewesen  sein  muß.  Wie  wäre  aucii 
anzunehmen,  daß  man  mit  einer  solchen  Ar- 
beit, die  neben  dem  Hochaltar  doch  das  her- 
vorragendste, wichtigste  Einrichtungsstück  des 
Altarraumes  darstellte,  einen  untergeordneten, 
unbedeutenden  Bildhauer  betraut  hätte,  nach- 
dem man  z.  B.  zu  derselben  Zeit  —  von  1508 
an  — eigens  einen  Hofmaler  Hans  von  München 
für  den  Hochaltar  berufen  hatte.  Ist  nicht 
vielmehr  aus  dem  allem  zu  schließen,  daß  Mat- 
thäus Kreniß  doch  etwas  mehr  war  als  der 
»Handwerker  und  untergeordnete  Meister«?! 

Liegt  ferner  nicht  auch  ein  auffallender 
Widersprucli  darin ,  daß  man  für  ein  Aus- 
stattungsstück des  bedeutsamsten  Raumes  der 
Kirche  einen  minderwertigen  Bildschnitzer 
herangezogen  hätte,  um  wenige  Jahre  danach 
eine  Arbeit,  die  mehr  der  Außenarchitektur 
zuzählt,  einem  »viel  bedeutenderen:,  noch 
dazu  erst  aus  der  Ferne  herbeigeholten  Künst- 
ler zu  übertragen?  Das  ist  doch  in  hohem 
Grade  unwahrscheinlich.  Liegt  es  anderseits 
aber  nicht  auf  glatter  Hand,  daß  man  dem 
gleichen  Meister,  der  die  vordringlichere,  statt- 
lichere und  ansehnlichere  Arbeit,  das  Gestühl  — ■ 
ich  gestatte  mir,  da  nichts  vom  Gegenteil  bekannt 
ist,  zu  sagen  —  zur  Zufriedenheit  ausgeführt 
hatte,  auch  die  nächste  Arbeit,  die  geschnitz- 
ten Türen,  übertrug?! 

\'oß  gibt  zu,  daß  die  Köpfe  am  Chorgestüh! 
zu  den  Flachschnitzereien  der  Türen  Bezieh- 
ungen haben,  und  daß  man  annehmen  müsse, 
daß  diese  weniger  wichtigen  Arbeiten  eben 
Matthäus  Kreniß  anvertraut  wurden ,  dem 
Meister,  dem  man  vorher  eine  viel  wichtigere 
Arbeit  übertragen  hatte.  \\'as  sollte  uns  iiin- 
dern,  den  Schluß  zu  ziehen,  dal.'  an  dem  Chor- 
gestühl das  gleiche  Verhältnis  wie  an  den 
Türen  bestand,  daß  eben  gewisse,  aus  prak- 
tischen, technischen  und  anderen  Gründen 
untergeordnetere  Teile  mit  weniger  Freiheit 
und  Bewe"lichkeit  in  den  Formen,  zum  Teil 


vielleicht  sogar  etwas  weniger  sorgfältig  aus- 
geführt waren  als  die  vor  Beschädigung  ge- 
sicherten Hauptbildwerke.  Dürfen  wir  nicht, 
nachdem  doch  Chorgestühl  und  Türen  in  den 
Flachschnitzereien,  den  Ziergliedern  und  Pro- 
filen so  enge  Verwandtschaft  tragen,  anneh- 
men, daß  auch  die  verloren  gegangenen  Stand- 
und  Brustbilder  des  Chorgestühls  —  an  letztere 
können  uns  sehr  wohl  die  männlichen  Figuren 
der  hl.  Sippe  von  Neuötting  erinnern  —  den 
uns  erhaltenen  Hochrelieffiguren  der  Türen 
entsprochen  haben?  Einige  Hermenköpfe  des 
Chorgestühls,  namentlich  ein  beturbanter, 
dann  ein  Putto,  sind  übrigens  von  solcher 
Qualität,  daß  man  sie  den  Hochrelieffiguren 
der  Türen  glattweg  an  die  Seite  stellen  darf, 
ebensogut  wie  einige  der  Prophetenköpfe.  Da- 
bei will  ich  es  keineswegs  für  ausgeschlossen 
halten,  daß  auch  noch  nebenbei  Gesellenhände 
tätig  waren;  der  Hauptanteil  an  der  unteren 
Haltte  der  Türen  bleibt  aber  trotz  alledem  dem 
Meister  Matthäus  Kreniß  selbst. 

Nach  Voß  hätte  der  Bildschnitzer  Hoher 
mit  seinem  Bruder  Wolf  und  einem  dritten 
Bruder  in  Passau  gemeinsame  Werkstatt  be- 
trieben. Wie  läßt  sich  nun  erklären,  daß  in 
den  zahlreichen  Kirchen  und  Klöstern  Passaus 
sich  nicht  ein  einziges  stilistisch  hier  einschlä- 
giges Werk  findet,  in  der  Umgegend  von  Alt- 
ötting ,  Mühldorf  und  Eggenfelden  dagegen 
sich  zahlreiche  Arbeiten  erhalten  haben,  die 
ganz  unzweifelhaft  den  Stil  der  Türen  von 
Altötting  oder  der  hl.  Sippe  von  Neuötting 
tragen!  Dort  an  einem  der  drei  Orte,  wahr- 
scheinlich in  Eggenfelden,  liegt  das  Zentrum 
lür  die  ganze  Gruppe.  Es  lassen  sich  noch 
weiter  südlich,  den  Inn,  die  Salzach,  die  Alz 
und  Traun  aufwärts,  unbestreitbare  Werke  der 
gleichen  Hand  nachweisen.  Nach  Norden 
bildet  das  Rottal  die  allgemeine  Grenze,  über 
die  hinaus  ich  bis  jetzt  nur  eine  einzige  Ar- 
beit des  Meisters  fand.  Und  die  rege  Tätigkeit 
der  Werkstatt  eines  ^Meisters  von  Ruf«  sollte 
in  der  Umgegend  ihres  Sitzes  so  gut  wie  gar 
keine  Zeugnisse  hinterlassen  haben,  unter  den 
Hunderten  von  Holzfiguren  anderer  Meister 
nur  ein  einziges  einschlägiges  Werk,  ein  Sip- 
penrelief in  Höhenstadt,  von  dem  es  noch  dazu 
ungewiß  ist,  ob  es  ursprünglich  für  diese  Kirche 
bestimmt  war!?  Wie  kann  man  da,  lediglich 
einem  Xamen  zuliebe,  eine  Bildhauerwerkstatt 
konstruieren,  von  der  wir  nicht  das  Geringste 
wissen ! ') 

' '  Wie  kann  man  bei  einer  so  gewiclitigen  Behaup- 
tung so  ganz  und  gar  verzichten,  auf  die  Hildnerei  Passaus 
in  der  Frührenaissance  einzugehen  ■  Der  einzige  Passauer 
Meister,  den  bis  jetzt  greifbar  festzustellen  gelang,  ist  der 
Steinmetz  Jocrg  Gärtner.     \'gl.  darüber   meine  ausführ- 


»• 


ex^  WOLF  HUBER  UND  DER  DONAUSTIL  ?^<a 


VOM  RELIEF  DER  HL.  SIPPE  IN  FELDKIRCH 
Text  S.  bS 


Wie  mangelhaft  fließen  die  Quellen  selbst 
für  Wolf  Hubers  Aufenthalt  und  Tätigkeit  in 
Passau!')  Und  sollte  es  nur  ein  Zufall  sein, 
daß  in  der  »Supplication  gemaingelich 
maister  und  gesellen  des  handwerchs 
der  maller,  pildschnitzer  und  glaser  zu 
Passau  von  1542,2)  welche  sich  gegen  Wolf 
Huber  wegen  Nichtachtung  der  Handwerks- 
ordnung richtet,  nicht  mit  einer  Silbe  der 
Bruder  Bildschnitzer  genannt  wird,  mit  dem 
Wolf  doch  eine  gemeinsame  Werkstatt '.  be- 
trieben, ja  der  sogar  die  Leitung  der  Werkstätte 
in  Händen  gehabt  haben  soll?  Statt  dessen 
heißt  es  deutlich,  daß  »Wolf  Hueber  vorher 


nicht  zu  folgen. 


ettliche  Zeit  außer  des  Bur- 
ger Rechts  mit  ettlichen  ge- 
sellen und  leerkhnaben 
gearbeit«  hätte.  Nirgends 
ist  von  einem  Bruder  die 
Rede,  der  noch  dazu  einen 
so  großen  Ruf  genossen 
haben  müßte,  daß  man  ihn 
nach  auswärts  berufen  hätte. 
So  einfach  lassen  sich 
authentische  Nachrichten 
nicht  ignorieren,  die  in  die- 
sem Zusammenhang  von 
ganz  besonderer  Wichtig- 
keit und  Tragweite  sind. 
\'oß  hätte,  wollte  er  seiner 
Anschauung  von  der  ge- 
meinsamen Werkstätte  der 
Brüder  Nachdruck  und  blei- 
benden Wert  verleihen,  sich 
mit  diesen  Punkten  un- 
bedingt auseinandersetzen 
müssen.  Dies  unterließ  er 
aber.  Statt  dessen  weiß  er 
uns  zu  erzählen  und  zwar 
liest  er  das  lediglich  aus 
den  Arbeiten  des  Wolf,  aus 
der  Holzschnittfolge  der 
Wunder  von  Maria  ZelL<, 
und  aus  den  angeblich 
Huberschen  Schnitzereien 
lieraus,  daß  der  Schnitzer 
älter  als  der  Maler  Wolf 
war. 3)  Solchem  Fluge  der 
Phantasie  vermag  ich  jedoch 


liehe  Abhandlung  in  der  »Zeitschrift  des  Münchener 
Altertumsvereins«   XVII  (1907]. 

Warum  gedenkt  Voß  nicht  mit  einem  Worte  des  Bild- 
hauers Joerg  Hueber,  der  doch  in  diesem  Zusammen- 
hange wenigstens  flüclnig  hätte  erwähnt  werden  müssen :- 
Vgl.  Halm,  Stephan   Rottaler,  München   1908,  S.  .S4. 

')  Am  ausführlichsten  handelt  darüber  Riggenbach, 
Wolf  Huber,  Dissertation,  Basel   1907,  S.  8  ff. 

^)  Schmid  im  Repertorium  für  Kunstwissenschaft, 
XXIV  (1901),  S.  590. 


\'oß  erblickt  in  dem  Hochrelief  einer  hl.  Sippe 
in  der  Pfarrkirche  zu  Feldkirch  in  Vorarlberg 
ein  Werk  des  Bildschnitzers  Huber.4)  Zur  Klä- 
rung der  schwebenden  Frage  scheint  es  mir  un- 
erläßlich, diese  Gruppe,  ganz  wie  Voß  es  tat, 
dem  Sippenrelief  in  St.  Anna  bei  Neuötting, 
das  er  einwandfrei  dem  Meister  der  Türen 
von  Altötting  zuschreibt,  gegenüberzustellen. 
Ich  bilde  beide  Werke  zur  Nachprüfung  der 
Voßschen  und  meiner  gegenteiligen  Anschau- 
ung  nebeneinander  ab.    (Abb.  S.  68  und  69.) 

Voß  findet  in  den  Werken  des  Meisters  der 
Altöttinger  Türen  alle  »Stileigentümlichkeiten 
des  Feldkircher  Sippenreliefs«  wieder  und  fährt 
bei  dem  Vergleich  der  Feldkircher  und  Neu- 
öttinger  Sippe  fort:  »Schon  die  kompositio- 
neile Anordnung  ist  ganz  ähnlich,  das  Antlitz 
beiderMadonnen,  ihr  strähnig  wiedergegebenes 


3)  Voß  a.  a.  O  ,   S.  207. 

4)  Voß  a.  a.  O.,  S.  206  ff. 


e^  WOLF  HUBER  UND  DER  DONAUSTIL  »^Ö 


69 


Haar  ist  völlig  das  gleiche; 
auch  die  Gestalt  des  Christ- 
kindes ist  hier  wie  dort  ge- 
bildet. Dazu  die  ganze  un- 
verkennbare Art  des  Falten- 
wurfes, die  Typen  der  Män- 
ner, die  über  die  Brüstung 
schauen,  die  Behandlung 
ihrer  Barte.. 

Gehen  wir  auf  die  Einzel- 
heiten näher  ein  !  Ich  muß 
gestehen,  daß  mir  der  Blick 
fehlt,  um  in  der  ^  kompo- 
sitioneilen Anordnung«  der 
beiden  Bildwerke  auch  nur 
entfernte  Ähnlichkeiten  zu 
entdecken.  Ich  erkenne 
keine  engeren,  sondern  nur 
ganz  allgemeine  Beziehun- 
gen zwischen  den  beiden 
Kompositionen,  nicht  mehr, 
als  sie  das  Sujet  ganz  von 
selbst  mit  sich  bringt.  Wel- 
che Unterschiede  aber!  In 
Neuötting  ist  die  hl.  Anna 
selbdritt  herausgehoben  aus 
der  Masse,  in  Feldkirch  da- 
gegen ist  sie  eingepreßt 
in  drangvoll   fürchterlicher  ' 

Enge.  Dort  in  Neuötting 
sitzen  sichMaria  und  Anna  vollkommen  im  Profil 
gegenüber,  in  Feldkirch  dagegen  nebeneinan- 
der, fast  Schulter  an  Schulter.  Wie  langweilig 
steh:  hier  das  Jesuskind  auf  dem  Schoß  derMutter 
Anna,  wie  lebendig  balanziert  es  in  Neuötting 
aut  der  Hand  seiner  Ahne !  Aber  von  der  Be- 
wegung ganz  abgesehen,  wie  kann  man  be- 
haupten, daß  y.die  Gestalt  des  Christkindes  hier 
wie  dort  gebildet«  sei!  Auf  dem  Feldkircher 
Relief  hat  es  wie  alle  anderen,  selbst  die  er- 
wachsenen Kinder  der  Sippe,  einen  unförm- 
lichen, viel  zu  großen  Kopf,  auffallend  schwäch- 
lich und  klein  im  Verhältnis  zum  Oberkörper 
sind  dagegen  die  Beine.  Und  dagegen  be- 
trachte man  das  lustige  Geschöpfchen  auf  dem 
Neuöttinger  Werk  mit  seinem  ebenmäßigen 
Körper!  Wie  dari  man  weiter  von  Gleichheit 
oder  auch  nur  von  .Ähnlichkeit  des  Antlitzes  der 
beiden  Madonnen  reden!  Ich  kennebis  jetzt  vier 
Darstellungen  der  hl.  Sippe  von  dem  Altöttinger 
.Meister,  jenein  Neuötting  (Abb.  S.  69),  in  Obern- 
berg,') in  Ingolstadt  (.-^bb.S.  71)  und  ein  kleines 
Altarflügelrelief  in  Höhenstadt.  Sie  variieren 
alle  um  etwas  die  Komposition,  aber  trotzdem  er- 
kennt man  noch  die  gleiche  Hand  in  der  Run- 
dung des  Koptes  und  derStirne  Mariens,  in  der 

')  Abb.  in  Halm,  Die  Türen  der  Stiftsliirche  in  .■Mtötting 
und  ihr  Meister,  in  dieser  Zeitschrift  I  (1904/1905)  S.  127. 


HEILIGE  SIPPE 
der  St.  Annakirche  bei  Neuöüittg.     Text  S.  6S 

feinen  kleinen  Nase,  selbst  in  dem  Haarreif. 
Gleichmäßigschlängeln  sich  dieHaarein  breiten 
Wellen  über  die  Schultern  herab  —  in  Obern  berg 
sind  die  vorderen  Strähnen  abgebrochen.  Und 
nun  vergleiche  man  damit  die  Maria  von  Feld- 
kirch mit  der  einen  geraden  dünnen  und  dürf- 
tigen Strähne!  Wie  kann  man  da  von  »völ- 
liger Gleichheit  i  reden  !  Wer  sich  einen  so  be- 
stimmten Marientypus  geschaffen  hat  und  ihn 
viermal  in  ganz  geringen  Spielarten  wieder- 
holt, wie  der  Altöttinger  Mei.ster  —  man 
könnte  auch  noch  die  Maria  des  Altöttinger 
Nordportals  oder  die  beiden  des  Südportals 
heranziehen  — ,  der  sollte  aber  auch  so  gar 
nichts  davon  in  dieser  einen  Arbeit  haben 
durchblicken  lassen !  Und  veriiält  es  sich  mit 
der  Mutter  Anna  nicht  gerade  so?!  In  den 
vier  oben  genannten  Werken  trägt  sie  stets 
die  hohe  Haube  und  das  charakteristische 
Obergewand  mit  dem  glatten  Kragen,  von 
dem  aus  in  vielen  dünnen  Fältchen  der  Stoff 
über  die  Schulter  herabfällt.  In  Feldkirch  ist 
Kopf  und  Schulter  von  einem  Tuch  verhüllt. 
Warum  gerade  nur  auf  diesem  einen  Werke  ? 
Der  Faltenstil  der  Feldkircher  Sippe  schließ- 
lich ist  meines  Erachtens  von  dem  des  Alt- 
öttinger Meisters  ganz  und  gar  verschieden. 
Dieser  liebt,  namentlich  in  seiner  Frühzeit,  d.  h. 


70 


»^  WOLF  HUBER  UND  DER  DOKAUSTIL  ?^a 


etwa  zwischen  15  lo  und  1520,  bei  allem  Manie- 
rismus große  klare  Linien,  die  die  stattlichen 
Figuren  noch  besonders  hervorheben,  der  Feld- 
kircher  Schnitzer  kommt  aus  dem  kleinlichen 
Faltenkram  nirgends  heraus ;  das  gilt  auch  tür 
die  Fußfalten,  die  sich  niemals  zu  so  kräftigen 
Wellen  wie  bei  dem  Altöttinger  Meister  erheben. 
Noch  eines  will  ich  berühren :  »Man  beachte 
auch  die  Stirnlocke  der  Figur  links  (Neuötting) 
und  halte  sie  gegen  den  Mann  in  Feldkirch, 
der  durch  die  Verschränkung  seiner  Arme  aut- 
fällt«, sagt  Voß.  Die  »Verwandtschaft«  hätte 
sich  ihm  leicht  erklärt,  wenn  er  sich  darüber 
klar  geworden  wäre,  wer  in  beiden  Fällen  der 
Mann  mit  der  Stirnlocke  ist.  Durch  seine 
Stellung  unmittelbar  hinter  Maria  schon  ist 
er  genügend  charakterisiert  als  der  hl.  Joseph, 
und  dieser  Josephtypus  mit  der  Stirnlocke  auf 
dem  glatten  Schädel,  ganz  verwandt  dem  Pe- 
trustypus, läßt  sich  in  dutzend  und  aberdutzend 
Fällen  in  der  süddeutschen  Bildnerei  jener  Zeit 
nachweisen;  man  vergleiche  dazu  nur  die  bei- 
den Joseph  auf  dem  Altöttinger  Südportal,  oder 
die  hl.  Sippe  von  Höhenstadt. ')  Außer  der  Stirn- 
locke haben  aber  die  beiden  Josephsköpte  in 
Neuötting  und  Feldkirch  sonst  nichts  gemein. 
Aus  allen  diesen  Einzelheiten  ergibt  sich 
ohne  weiteres,  daß  die  Feldkircher  hl.  Sippe 
mit  dem  Altöttinger  Meister  nichts  zu  tun 
hat.  Man  könnte  hinsichtlich  des  kompo- 
sitionellen  Autbaues  der  beiden  Vergleichs- 
objekte noch  entgegenhalten,  daß  die  Feld- 
kircher Darstellung  die  sechzehn  Verwandten 
Christi  aufführe,  während  die  Neuöttinger 
Szene  nur  die  sieben  Nächstverwandten  der 
hl.  Anna  darstelle.  Wie  der  Altöttinger  Meister 
aber  die  ganze  »Sippschaft«  zu  einem  Bilde 
vereinigt,  lehrt  uns  das  Hochrelief  eines  Altar- 
flügels in  Höhenstadt.  Von  Komposition  kann 
man  bei  dieser  unbeholfenen  Anordnung  der 
Figuren  in  zwei  oder  drei  Reihen  übereinander 
eigentlich  nicht  reden;  das  Feldkircher  Relief 
ist  in  dieser  Richtung  viel  malerischer,  ge- 
wandter. Daß  aber  das  Relief  von  Höhen- 
stadt sicher  von  dem  Meister  der  Altöttinger 
Türen  und  der  Neuöttinger  hl.  Sippe  herrührt, 
beweistdieenge  Verwandtschaftin  den  Hauptfi- 
guren, namentlich  in  der  Anna  selbdritt-Gruppe. 
Der  Faltenstil  ist  etwas  kleinlicher  und  scharf- 
gratiger;  das  war  aber  bedingt  durch  die  kleine- 
ren Abmessungen  des  Reliefs.  Es  zeigt  sich 
hier  ganz  das  gleiche  Verhältnis  wie  bei  den  bei- 
den szenischen  Darstellungen  auf  der  Südtüre 
der  Altöttinger  Stiftskirche,  die  der  Hohen- 
stadter  Sippe  am  nächsten  stehen.  Kompo- 
sitionen überraoen  aber  die  beiden  Türreliefs 


0  Abb.  bei  Halm,  Steplian  Rottaler  1908,  S.  86. 


jenes  wesentlich.  Das  hat  wohl  seinen 
Grund  darin,  daß  das  Höhenstadter  Relief  durch- 
aus eigene  Erfindung  des  Schnitzers  ist,  wäh- 
rend die  Darstellung  der  Anbetung  der  Könige 
auf  dem  Altöttinger  Südportal  auf  einen  Holz- 
schnitt Springinklees  im  Hortulus  anime  (fol, 
CXXXIII),  gedruckt  von  Friedrich  Peypus  in 
Nürnberg  15 18,  zurückgeht.  Ebenso  dürfte 
auch  für  das  Relief  der  Geburt  ein  Vorbild 
gegeben  gewesen  sein. 

Von  größtem  Interesse  für  die  vorliegende 
Frage  ist  schließlich  der  Vergleich  der  Feld- 
kircher hl.  Sippe  mit  einer  bisher  unbekannten 
Reliefgruppe  der  hl.  Anna  selbdritt  im  Regu- 
larchor  des  Klosters  Gnadental  zu  Ingolstadt^) 
(Abb.  S.  70).  Auf  den  ersten  Blick  erkennt  man 
in  ihr  ein  Werk  des  Altöttinger  Meisters,  ja 
es  ist  wohl  seine  beste,  sicherlich  seine  am 
liebevollsten  ausgeführte  Arbeit.  Besonderen 
Wert  gewinnt  sie  durch  die  Angabe  des  Ent- 
stehungsjahres 1 5  I  3  und  durch  die  Wappen  der 
Ingolstädter  Familie  Peringer  und  der  Mün- 
chener Familie  Riedler,  von  denen  um  diese 
Zeit  Angehörige  Klosterfrauen  waren.  Wir 
haben  es  also  offenbar  mit  einer  Stiftung  dieser 
beiden  Familien  zu  tun. 

Die  Komposition  des  reizenden  Werkes  deckt 
sich  vollkommen  mit  den  uns  schon  bekannten ; 
die  Neuöttinger  Gruppe  ist  sogar  wortwört- 
lich wiederholt,  wie  der  oberflächlichste  Ver- 
gleich der  einzelnen  Faltenmotive  belegt;  sie 
scheint  die  direkte  Vorstudie  zu  dem  Ingol- 
städter Werk  zu  sein,  nur  daß  bei  diesem 
alles  mit  mehr  Hingebung  und  Liebe  behan- 
delt ist.  Meine  Annahme,  daß  jene  im  Jahre 
1 5 1 1,  dem  Weihejahr  der  St.  Annakirche  ent- 
standen ist,  erhält  durch  die  Datierung  der 
Ingolstädter  Gruppe  eine  willkommene  Be- 
stätigung. 

Und  gegen  dieses  Werk  halte  man  nun  die 
Feldkircher  Sippe!  Nach  der  bisherigen  An- 
nahme, die  sich  auf  den  Vertrag  über  den 
Anna-Altar  und  das  Beweinungsbild  in  Feldkirch 
stützt,  müßte  sie  zwischen  15 14  und  1521  ent- 
standen sein.  Wären  diese  beiden  Werke 
aber  von  einer  Hand,  so  würde  die  Feldkircher 
Sippe  einen  ganz  wesentlichen  Rückschritt 
ebensowohl  in  dem  persönlichen  Können  wie 
in  der  allgemeinen  Stilentwicklung  des  Mei- 
sters bedeuten.  Es  genügt,  daraufhinzuweisen, 
wie  an  Stelle  der  luftigen,  weiten  und  vollen 
Falten  der  Ingolstädter  und  Neuöttinger  Gruppe 
sich  in  Feldkirch  der  StofIschwer,wie  vom  Regen 
durchnäßt,  an  die  Körper  klebt.  Unmöglich 
konnte  sich  der  Stil  eines  und  desselben  Meisters 
in   so  kurzer  Zeit  so  grundsätzlich  verändern. 

^)  Das  Relief  stein  in  der  Klausur  und  war  mir  da- 
durcli  bis  jetzt  entgangen. 


©^  WOLF  HUBHR  UND  DER  DOXAUSTIL  >^ö 


71 


A\'ir  haben  es  demnach  mit  zwei  verschie- 
denen Meistern  zu  tun.  Der  eine  derselben 
saß  vermutlich  in  Feldkirch  selbst ;  mit  Sicher- 
heit läßt  sich  sein  Wohnsitz  aber  nicht  nach- 
weisen, da  zurzeit  genügendes  \'ergleichs- 
material  fehlt  (S.  74).  Der  andere  dagegen 
hatte  seinen  geschlossenen  Wirkungskreis  in 
Altbavern,  besonders   im    Gebiete    des   Innes 


nächst  die  von  Richard  HofFmann  in  seinem 
außerordentlich  verdienstvollen  Kataloge  »Die 
Kunstaltertümer  im  erzbischöflichen  Klerikal- 
seminar zu  Freising«  dem  Meister  zugeschrie- 
benen Statuen  eines  hl.  Stephanus  (Nr.  131), 
die  kleinen  Gruppen  einer  hl.  Anna  selbdritt 
(Nr.  121)  und  einer  hl.  Sippe  (Nr.  130),  ferner 
die  Reliefgruppe  einer  Krönung  Mariä(Nr.  139) 


HL.  ANNA  SELBDRITT 
Im  Kloster  GnadeHtal  2»  Ingolstadt.     Text  S.  6g 


und  der  Rott.  Sein  Hauptwerk  sind  neben 
der  eben  betrachteten,  reizenden  Anna 
selbdrittGruppe  in  Kloster  Gnadental  die 
Prachttüren  der  Stiftskirche  in  Altötting. 
Urkundliche  Belege  nennen  uns  für  das 
diesen  Türen  am  nächsten  stehende  und 
bedeutendste  Schnitzwerk  der  gleichen  Kirche 
den  Meister  Matthäus  Kreniß,  den  icii  trotz 
\'oß  in  die  ihm  meines  Frachtens  gebühren- 
den Rechte  wieder  einzusetzen  mich  ver- 
pflichtet fühle. 

In  diesem  Zusammenhange  sei  kurz  nocli 
auf  eine  Anzahl  Bildwerke  hingewiesen,  die 
auf  Grund  ihres  stilistischen  Gepräges  sicli 
ohne  weiters  als  Arbeiten  des  Matthäus  Kreniß 
zu    erkennen    geben.     Es    zählen    hieher    zu- 


und  schließlich  die  reizende,  lebendig  bewegte 
Statue  eines  Salvators.  Das  stattlichste  Werk 
des  Meisters  erkenne  ich  in  der  großen  Kreu- 
zigungsgruppe an  der  Westtassade  der  Pfarr- 
kirche in  Tittmoning,  die  in  der  Behandlung 
des  Christuskörpers  von  einer  Wahrhaftigkeit 
und  Hingebung  zeugt,  wie  kein  zweites  Werk 
des  Künstlers.  Nirgends  etwas  von  Über- 
treibung, in  die  namentlich  die  Malerei  jener 
Zeit  gerne  verfällt,  sondern  überall  Mäßigung 
und  so  auch  das  Antlitz  nicht  im  körperlichen 
Schmerze  verzerrt,  sondern  im  seelischen  Leide 
still  verklärt.  Mit  dem  Ernst  der  Aufgabe  wuchs 
hier  der  Ernst  des  Schatfens  und  führte  des 
Meisters  Kunst  zu  der  iiir  möglichen  höchsten 
Vollendung. 


72 


©^  WOLF  HUBER  UND  DER  DONAUSTIL  J-^a 


HL.  ANNA  SELBDRITT 
ziskoCarnUmiw  in  Linz. 


Tt-.xt  nel>e7tsieiiend 


Neben  diesem  Werk  nimmt  als  eine  Ar- 
beit iihnliclier  künstlerischer  Gewissenhaftig- 
keit die  Statue  einer  hl.  Äbtissin  (Walburg? 
Abb.  S  73)  in  der  Sammlung  Wilhelm  Gum- 
precht  in  Berlin  einen  hervorragenden  Platz 
ein.  Eine  gewisse  Ruhe  in  der  Haltung  und 
Mäßigung  in  der  Gewandbehandlung  laßt  mich 
aber  nicht  ganz  des  Zweifels  entraten,  ob  wir 
es  bei  diesem  schlichtgroßen  Werke  mit  einer 
eigenhändigen  Arbeit  des  Meisters  zu  tun 
haben.  Sehr  fein  bewegte  Figürchen  seiner 
Hand  sind  unzweifelhaft  die  Statuetten  zweier 
weiblichen  Heiligen  im  Kaiser  Friedrich-Mu- 
seum in  Berlin.  Eine  schöne  Gruppe  der  An- 
betung der  Könige,  aus  fünf  vollrund  ge- 
schnitzten Figuren  bestehend,  ging  aus  der 
Sammlung  G.  A.  Leinhaas  in  den  Handel  über 
(Abb.  Jg.  IV,  S.  130).  Von  größeren  Arbeiten 
seien  schließlich  noch  zwei  prächtige  Sitz- 
statuen eines  hl.  Nikolaus  und  eines  hl.  Ste- 
phanus  (Abb.  S.  74  und  75)  bei  Dr.  Oertel  in 
München  erwähnt,  welche  bereits  den  vollen 


Umschlag  des  Faltenstils  in  das  Barocke 
zeigen,  wie  er  uns  schon  an  dem 
hl.  Wolfgang  in  St.  Veit  bei  Neumarkt 
a.  R.  und  an  dem  hl.  Antonius  im 
Bayerischen  Nationalmuseum  begegnet 
ist.  (Vgl.  Bd.I  dieser  Zeitschrift,  S.  128 
und  136.) 

Ein  feines  kleinplastisches  Werk  des 
Meisters  besitzt  neben  einigen  hand- 
werklichen Arbeiten  seiner  Hand  das 
Landesmuseum  in  Linz  in  der  Statuette 
einer  hl.  Anna  selbdritt  (Abb.  nebenan). 
Sie  scheint  in  direktem  Anschluß  an  die 
von  uns  in  Band  I,  S.  132,  abgebildete 
Annastatue  entstanden  zu  sein,  übertrifft 
diese  aber  wesentlich  in  der  Feinheit  der 
Ausführung.  Bezüglich  einiger  Epita- 
phien des  Meisters  verweise  ich  auf 
meine  demnächst  erscheinenden  »Stu- 
dien zur  Grabplastik  Altbayerns  der 
Inn-  und  Salzachgegend«. 

Es    bleibt    nun    zunächst    noch    die 
Frage  zu  erledigen,  ob  wir  den  Schöpfer 
des  Feldkircher  Sippenreliefs  »Huber  : 
heißen  und  in  ihm  einen  Bruder  des 
Malers  Wolf  Huber  erblicken  dürfen. 
Voß  stützt  sich  für  seine  Behauptung 
auf  die  Pruggersche  Chronik  von  Feld- 
kirch vom  Jahre  1685,  in  der  es  heißt: 
Sonsten  hat   mehr   besagte   Brueder- 
schalt   neben    schönen   Kirchenschatz, 
Ornat  und  Zinß-Fählen  auch  einen  über- 
auß    kunstlichen    Altar,  welchen   drey 
Brueder,  als  ein  Schreiner,  Bildhawer, 
vnd  Mahler  also  außgearbeitet  haben, 
daß  es  ein  Frewd  zu  sehen  ist,  dann  ein  Kunst 
mit  der  anderen  vmb  das  Lob  streittet,  möcht 
doch  das  Gemahl  praevalieren  vnnd  den  Vorzug 
gewinnen.')  Der  Name  »Huber  •:  wird  nicht  ge- 
nannt.    Ich   glaube   nicht,    daß    dieser    recht 
wie  eine  Schwätzerei  anmutenden  Notiz  ein 
authentischer  Wert  zukommt.     Das    17.  und 
18.  Jahrhundert  waren  in  solchen  Nachrichten 
wenig  skrupelhaft,    und  man  weiß,    wie  vor- 
sichtig derartige  »Historien«  nachgeprüft  wer- 
den müssen.  Prugger,  dem  übrigens  mehrfach 
Unrichtigkeiten  (s.  u.  Merkle-Weizenegger,  Vor- 
arlberg)  nachgewiesen    werden,   scheint  sich 
bei  seinen  Kunstnachrichten  vielfach  auf  Buce- 
linus^)  zu  stützen.    Hier  aber  hat  er  aus  Eige- 


')  Johann  Georg  Prugger,  Veldkirch.  Das  ist  Histo- 
rische Beschreibung  der Statt  Veldl<irch.  16S5.S.  75. 

'^)  RhätiaEthrusca,  Romana,  GaUica,  Germanica  . . .  sacra 
et  profana  topo- chrono -stemmatographica  descripta  per 
R.  P.  F.  Gabrieleni  Bucehnum  Priorem  St.  loannis  Bap- 
tistae  in  Veldtkirch.  Augustae  Vindelicorum  MDCLXVI, 
S.  10. 


c:®<  WOLF  HÜBER  UXD   DHR  DONAUSTIL  >^a 


nem  dazu  gegeben,  denn  Bucelinuswciß  nichts 
von  diesem  brüderlichen  Künstlerkleeblatt.  Er 
schreibt  aber  mit  einem  lür  seine  Zeit  nicht 
zu  unterschätzenden  Kennerblick:  »ara  dein 
St.  Annae  cuius  alae  seu  valvae  acmula  et 
coena  discipuli  Dureriani  manu  depictae  nemini 
non  admirationisunt;«.  Bucelinus,  der  bekannte 
Genealog  und  \'erfasser  zahlloser  Geschichts- 
werke, war  Historiker  von  Fach  und  verdient 
als  solcher  ungleich  mehr  Glaubwürdigkeit  als 
Prugger.  Schon  daß  er  dreißig  Jahre  lang 
dem  Konvent  von  St.  Johann  in  Feldkirch  als 
Prior  vorstand, ')  läßt  erwarten,  daß  er  mit 
den  Kunstschätzen  der  Stadt  vertraut  war,  und 
wenn  uns  die  Feldkirch -Weingartner  Akten 
von  1696  berichten,  daß  die  Gemälde  des 
Priorats  Feldkirch,  unter  denen  sich  angeb- 
lich zwei  van  Dyck,  ein  Kaspar  de  Crayer, 
Albrecht  Dürer  u.  a.  befunden  haben,  dem 
»Bucelin  persönlich  und  zwar  seiner  Verdienste 
wegen  von  Kaisern,  Königen  und  Fürsten 
verehrt  worden  seien',  dart  man  doch  wohl 
den  Schluß  ziehen,  daß  diese  Geschenke  der 
Kunstliebhaberei  des  Empfängers  entgegen- 
kommen sollten.  Und  dieser  Mann,  der  in 
den  Flügeln  des  Anna-Altars  die  nachahmende 
Hand  eines  Dürerschülers  sieht,  wäre  in  Un- 
kenntnis eines  Meisternamens  an  einer  so  origi- 

')  Allgemeine  deutsche  Biographie  III  (1876),  S.  .162. 


HEILIGE  ÄBTISSIN 
Dtlail  zur  Aiii/Jnnf  nri 


neuen  Nach- 
richt  achtlos 

vorüberge- 
gangen?! Bu- 
celinus  kennt 
nicht  einmal 
mehr  den  Na- 
men Huber, 
und  zwanzig 
Jahre  nach- 
her will  man 
wissen,  daß 
drei  Brüder 
den  Altar  ge- 
fertigt haben. 
Wie  unwahr- 
scheinlich das 
doch  klingt! 
Schließlich 
bleibt  als  die 
ungetrübteste 
Quelle  für 
den  Altar  die 
Notiz  bei 
Merkle,  die 
wir  zur  Klä- 
rung der  Fra- 
ge  über   den 

Bildhauer 
Huber  und 
über  den  Feld- 
kircher  Altar 
selbst  voll- 
ständig wiedergeben  :2)  »In  dem  städtischen 
Archive  liegt  ein  Verdingd-Werckh,  nach  wel- 
chem die  Mitglieder  der  St.  Anna-Bruderschaft 
einen  Altar  verfertigen  ließen,  der  im  fahre  1515 
dem  Meister  Wolfgang  Hueber  von  \'cldkürch, 
jetzt  wohnhaft  zue  Passaw,  übertragen  wurde. 
Die  Bestandteile  von  geschnitzten  und  ver- 
silberten Bildern  sind  genau  angegeben,  so- 
wie auch  die  :  Mahlereien«  der  Flügeltüren,  mit 
welchen  die  Bilder  verschlossen  werden  konn- 
ten ;  dabei  wird  ausdrücklich  bemerkt,  daß 
Hueber  alles  mit  eigener  Hand  und  mit  guten 
Ölfarben  malen  solle,  die  Schnitzarbeit  aber 
durch  andere  Künstler  verfertigen  lasse.  Die 
Kreuzabnahme,  welche  ehemals  die  Rückseite 
des  Altares  bildete,  kommt  zwar  nicht  nament- 
lich in  dem  Akkorde  vor,  führt  aber  das  Mono- 
gramm W.  H.  1521,  das  ofienbar  den  genann- 
ten Maler  anzeigt. «3) 

=)  M.  Merkle,  Notizen  über  Feldkirch,  Innsbruck  1853, 
S.  50—2".  Von  Wilh.  Schmidt  zuerst  verwertet  im  Ue- 
pertorium  für  Kunstwissenschaft  XVI  (1S95),  S.  1.(8. 

3)  Die  Stelle  fast  genau  wiederholt  in  M.  Merkle- 
Weizenepger,  Vorarlberg  II  (1859),  S.  171,  wo  es  heißt: 
....  Flügeltüren,  mit  welchen  der  .Mtar  geschlossen  und 
vor  Staub  bewahrt  wurde 


HEILIGE  .\BTiSSIN 
i/fawA'  Ciiiiif  recht  in  Berlin.    Tixt  S.  71 


Die  chiUtlicho  Kuntt. 


EX^  WOLF  HUBI-.R  UXD  Dl-R   DOXAUSTIL  ?^Ö 


HEILIGER  STEPHANL'S 
Im  Ilcsitsc  v,>,i   Dr.  0,-rt,l  in   Miinclien.     Text  S. 


Also  ;iuch  hier  ist  von  keinem  »Bildhauer 
Huher  :  die  Rede,  und  nach  Voß  soll  dieser 
als  der  ältere  Bruder  sogar  »vermutlich  an- 
fangs die  Leitung  der  Werkstätte  in  Händen-: 
gehabt  haben.  In  dem  »Verdingd  Werk«  stand 
aller  Wahrscheii.lichkeit  nach  nicht  eine  Silbe 
von  drei  Künstli^rbrüdcrn.  Wir  haben  also 
ullen  Grund,  der  erst  170  Jahre  nach  der 
Stiftung  des  Altars  auftauchenden  Erzählung 
Pruggers,  »der  sich  keinem  Historico  oder  Ge- 
schichtsschreiber« —  sagen  wir  wie  Bucelinus 
—  »zu  vergleichen«  wagt,  mit  größtem  Miß- 
trauen zu  begegnen.  Auf  keinen  Fall  aber 
darf  man  so  ohne  weiteres,  wie  das  Voß  und 
Stiaßny')  getan  haben,  eine  auf  urkundlichem 
Material  basierende  Nachricht  mit  einer  zum 
mindesten  sehr  fragwürdigen  Legende  ver- 
quicken. 

Ln  Anschlüsse  an   das  Feldkircher  Sippcn- 

0  Stiaßny,  Die  Donaumalerei  im  16.  Jahrhundert  in 
den  Monatsheften  für  Kunstwissenschaft  1  (igoS),  S.  423. 


reliet  spricht  ^'oß  noch  ganz  allge- 
mein von  »kleinerenFiguren  s  des  zer- 
teilten Beweinungsaltars  —  gemeint 
ist  der  Anna-Altar  — ,  schweigt  sich 
aber  ganz  darüber  aus,  welche  er 
im  Auge  hat.  Der  in  diesem  Zusam- 
menhange wichtigsten  plastischen 
Arbeiten  am  gleichen  Orte  gedenkt 
er  nicht  mit  einem  Wort ;  es  sind  das 
die  holzgeschnitzten  Figürchen  der 
Mannalese  in  der  Bekrönung  des 
alten,  1509  errichteten  und  1655  zu 
einer  Kanzel  umgeänderten  Sakra- 
mentshäuscliens,  die  ebenso  sicher 
von  der  gleichen  Hand  wie  das  Sip- 
penrelief herrühren,  als  sie  sich  von 
den  Arbeiten  des  Altöttinger  Mei- 
sters in  Körperaufbau,  Bewegungs- 
motiven und  Faltenstil  grundsätz- 
lich unterscheiden.')  Das  zur  »Ver- 
vollständigung des  Werkes«  des 
angeblichen  Meisters  Huber  von  Voß 
erwähnte  Relief  einer  hl.  Sippe  — 
richtiger  muß  es  heißen  Anna  selb- 
dritt  —  im  Landesmuseum  in  Bre- 
genz  ist  um  etwa  zwanzig  Jahre 
älter  als  die  Arbeiten  in  Feldkirch 
und  Neuötting  und  rührt  von  ganz 
anderer  Hand  her.  3) 

Stiassny4)  hat  sich  von  der  Voß- 
sehen  These  des  Bildschnitzers  Hu- 
ber bestechen  und  verführen  lassen 
und  will  dessen  d.  h.  Kreniir  Werk 
noch  zwei  Arbeiten  —  eine  hl.  Sippe 
und  eine  hl.  Anna  selbdritt  —  in  der 
Pfarrkirche  in  Puch  bei  Hallein  an- 
fügen.    Welche   Gründe  ihn  zu  dieser  merk- 
würdigen   Zuschreibung    bestimmten,  ist  mir 
schlechterdings  unerfindlich.    Wo  haben  wir 
auch  nur  etwas  annähernd  Ahnliches  unter  den 
Arbeiten  des  Altöttinger  Meisters  ?  Ich  überlasse 
den  Lesern  den  eingehenderen  \'ergleich  un- 


^)  Vielleiclu  geliört  dem  iMcister  von  Feldlcirch' 
noch  eine  Madonnenstatue  (H.  ca.  1,25  m)  dort  an.  Von 
den  übrigen  äheren  Figuren  der  Kirclie  lassen  sich  diesen 
Arbeiten  keine  weiteren  anreihen.  Die  kleine  Anna  selb- 
dritt auf  dem  rechten  Seitenaltar  sowie  die  Rehefs  der 
hl.  Barbara  und  Katharina  auf  dem  linken  Seitenaltar 
stammen  aus  dem  häide  des  1 5.  Jahrliunderts,  die  präch- 
tige Madonnenstatue  des  Marienaltars  aus  der  Zeit  um 
1.J50.  Die  Bestimmung  einzelner  kleiner  Figürclien  in 
den  neuen  Bekrönungen  der  Altäre  ist  ungewiß. 

i)  Ich  bemerke  hier,  daß  die  Figur  eines  hl,  Bischofs 
bei  Julius  Böhler,  München,  welche  Voß  wieder  seinem 
Huber  zuschreibt  (S.  220),  eine  Arbeit  des  Matthäus 
Kreniß  ist.  Sie  ersclieint  Voß  zusammengehörig»  mit 
zwei  Gestalten  hl.  Biscliöfe  in  Freising;  ich  kann  dieser 
Anschauung  nicht  beipflichten,  denn  diese  Figürchen 
sind  um  weit  mehr  als  die  Hälfte  kleiner  als  der  hl.  Bischof 
hei  Böhler. 

4)  Mon.itsliefte  für  Kunstwissenschaft!  (1908),  S.  421  tf. 


e^  woi.i-  hui5i:r  und  drr  doxaustii.  ms> 


serer  Abbildungen,  namentlicli  jener  der  Neu- 
öttinger  Gruppe  (Abb. S.  69)  und  der  Abbildung 
S.  425  im  Aufsatz  Stiaßnys.  Wo  tinden  sich  auf 
jener  die  unsäglicli  langen  mageren  Gestal- 
ten mit  den  kleinen  Köpfen,  die  für  die  Gruppe 
von  Puch  so  charakteristisch  sind  ?  Xach  dem 
noch  durchaus  spätgotischen,  eckigen  und 
knitterigen  Faltenwurf  ist  dieses  Schnitzwerk 
übrigens  um  wenigstens  zehn  Jahre  älter  als  die 
Xeuöttinger  Gruppe.  Das  andere  Schnitzwerk, 
die  hl.  Sippe  (Abb.  a.  a.  O.  S.  421)  ist  etwas 
jünger;  es  mag  um  15 10  entstanden  sein, 
wenigstens  legt  der  um  einiges  bewegtere 
Faltenstil  diese  Vermutung  nahe.  Die  Typen 
und  Gesten  wirken  dagegen  etwas  altertüm- 
licher. Eins  aber  erscheint  mir  ganz  zweifel- 
los, daß  die  beiden  Werke  zwei  verschiedenen 
Händen  entstammen.  Es  genügt,  die 
Körperverhältnisse  einander  gegen- 
überzuhalten; bei  der  hl.  Arna  selb- 
drittdie  langen  hageren  Gestalten  und 
die  zu  kleinen  Kopte  auf  schlankem 
Hals,  bei  der  hl.  Sippe  die  untersetzten 
Figuren  mit  den  breiten  Köpfen,  die 
fast  halslos  auf  den  Schultern  auf- 
sitzen. Solche  Gegensätze  dürften  sich 
kaum  in  einer  und  derselben  künst- 
lerischen Anschauung  begegnen. 
Beide  Werke  aber  schließen  auch  in 
ihrer  ganzen  Haltung,  zumal  in  deni 
wenig  fortschrittlichen  Faltencha- 
rakter ebensosehr  die  Autorschaft  des 
Meisters  Kreniß  wie  des  angeblichen 
Huber  von  Feldkirch  aus.  Aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  saßen  die  Fer- 
tiger der  beiden  Schnitzwerke  nicht 
weit  von  Puch,  entweder  in  Salzburg 
oder  eher  noch  in  Berchtesgaden.  In 
den  Stil  dieses  Gebiets  und  ihrer 
Zeit  fügen  sie  sich  zwanglos  ein. 
Warum  also  in  die  Ferne  schwei- 
fen?! Hiemit  glaube  ich  die  Frage 
über  den  Schnitzer  Huber  undVoßens 
Umtaufe  des  Meisters  Matthias  Kre- 
niß auf  dessen  Namen  endgültig  er- 
ledigt zu  haben. 

Wer  mit  der  Bildschnitzerei  Alt- 
haycrns  nur  etwas  mehr  vertraut 
ist,  mußte  die  Hinfälligkeit  der  stil- 
kritisch  falsch  und  quellenmäßig 
höchst  zweifelhaft  gestützten  Be- 
hauptung fast  auf  den  ersten  Blick 
einsehen.  Die  ausführliche  Darle- 
gung des  Gegenbeweises  meiner- 
seits galt  auch  weniger  einer  Ret- 
tung des  Matthäus  Kreniß,  als  viel- 
mehr dem  Bestreben,  das  allmählich 
sich    klärende    Bild    der    oberbaveri- 


schen    Plastik   vor   Trübungen    und    fremden 
Zutaten   zu  bewahren. 

Ich  wende  mich  einem  andern  Punkte  zu. 
Die  Wolf  HuberForschung  hat  meines  Er- 
achtens  bis  jetzt  versäumt,  einmal  der  Frage 
näher  zu  treten  :  Wie  sah  der  St.  Anna-Bruder- 
schaftsaltar in  Feldkirch  denn  eigentlich  ur- 
sprünglich aus?  Nur  Riggenbach  versuchte 
eine  Lösung,  ohne  jedoch  zu  einem  Resultat  zu 
kommen.  Eine  Untersuchung  dieses  Punktes  er- 
scheint mir  aber  mit  Hinsicht  auf  das  Wenige, 
was  wir  von  Huber  wissen,  wünschenswert, 
umsomehr  als  die  verschiedenen  Stellen,  die 
die  Fragetlüchtig streifen, die  entgegengesetzte- 
sten Anschauungen  vertreten. 

Dem   Merkleschen    .Abriß    über    das    >.\'er- 


Iltn.ICER  XIKOLAIS 
/m  llftitz  V0tt  Dr.  Ocrtet  in  MiiHchrn.     Text  S.  ^J 


76 


©^  WOLF  HUBF.R  UXD  DER  DONAUSTIL  m<2> 


dingd  Werckhr,  von  1 5 1 5  und  der  Notiz  bei 
Bucelin  kann  man  mit  Sicherheit  entnehmen, 
daß  es  sich  um  einen  Sclireinaltar  handehe 
mit  geschnitzten  Bildern  und  gemalten  Flü- 
geln, »mit  welchen  der  Altar  geschlossen  und 
vor  Staub  bewahrt  wurde«.  Danach  stand 
also  im  Schrein  wohl  eine  geschnitzte  Gruppe. 
Voß,  Riggenbach  und  Stiassny  erblicken  in 
dem  Bilde  der  Beweinung  Christi  von  1521 
und  dem  Sippenreliet,  sowie  einigen  Bruch- 
stücken die  letzten  Reste   des  Altars. 

Der  Umstand,  daß  die  im  Jahre  1504  auf- 
gerichtete St.  Anna-Bruderschaft  den  Altar  stif- 
tete, läßt  als  das  Nächstliegendste  und  Wahr- 
scheinlichste annehmen,  daß  den  Mittelpunkt 
seines  Bilderkreises  St.  Anna  bildete.  Die  ersten 
Jahrzehnte  des  16.  Jahrhunderts  waren  ja  auch 
der  Höhepunkt  der  Verehrung  der  Heiligen. 

Schauen  wir  uns  Annenaltäre  jener  Zeit 
an,  so  finden  wir  als  das  geläufigste  Schema: 
in  dem  Schrein  hezw.  aut  dem  Hauptbild  als 
Mittelgruppe  Anna,  Maria  und  das  Jesuskind, 
Joseph  und  die  drei  Gatten  der  Anna,  Salo- 
mas,  Kleophas  und  Joachim ;  auf  den  Flügeln 
die  beiden  andern  Marien  mit  ihren  Männern 
Alpheus  und  Zebedäus  und  deren  Kinder.  So 
sehen  wir  es  z.  B.  auf  Lukas  Cranachs  Tor- 
gauer  Fürstenaltar  von  1509  ')  im  Städelschen 
Institut.  Treten  noch  Stifter  oder  Heilige  hin- 
zu, so  nimmt  die  ganze  hl.  Sippschaft  das 
Mittelbild  ein  wie  auf  Wolf  Trauts  Artelshofer 
Altar  von  15 14  im  Bayerischen  Nationalmu- 
seum  oder  auf  Jan  Scorels  Frangipani-Altar  in 
Obervellach  von  1520.  An  Stelle  der  Hei- 
ligen kommen  bisweilen  auch  noch  biblische 
Szenen  aus  dem  Leben  Annas  und  Joachims 
vor,  z.  B.  die  Begegnung  an  der  goldenen 
Pforte.  Der  Bilderkreis  der  Flügel  war  dem- 
nach ein  sehr  mannigfaltiger,  so  daß  wir  keine 
bestimmten  Schlüsse  auf  Wolf  Hubers  Male- 
reien ziehen  können.  Möglich  wäre  es  ja 
immerhin,  daß  wir  in  den  beiden  Zeichnungen 
der  Verkündigung  an  Joachim  von  15 14  Vor- 
studien, wenn  auch  keine  eigentlichen  Skizzen, 
für   das    x\ltar\verk    hätten.     Ich    neige    sehr 


dieser  Anschauung  Riggenbachs  (S.  57)  zu  und 
betrachte  sie  keineswegs,  wie  Voß  meint,  als 
»absolute  Willkür«  und  ikonographisch  unzu- 
lässig.2)  Warum  sollte  es  nicht  möglich  sein, 
daß  Huber  knapp  vor  Fertigung  des  Vertrags 
von  15 15  sich  schon  mit  einschlägigen  Ar- 
beiten beschäftigte  und  warum  soll  die  Szene 
ikonographisch  nicht  zu  einem  Anna -Altar 
passen?  Der  »Beweinung  Christi«  würde  sie 
sich  freilich  schlecht  angliedern.  Davon  später ! 

Im  Schrein  des  Bruderschaftsaltars  aber 
thronte  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  wie  es 
dem  Geist  der  Zeit  und  der  Kirche  entsprach 
und  wie  es  wohl  auch  die  Stiftung  direkt  ver- 
langte, die  hl.  Anna  selbdritt.  Voß  erblickt  in 
dem  Sippenreliet  des  neuen  linken  Seitenaltars  in 
Feldkirch  den  »Hauptanteil  des  Bildhauers  am 
alten  Altare«.  Ich  suche  diesen  aber  nicht  in 
dem  nur  für  eine  Predella  angelegten  Bild- 
werk der  hl.  Sippe,  sondern  in  einer  großen 
jetzt  verschollenen  Gruppe  für  den  Altar- 
sch rein.  Eine  Ann  a-selbdritt-Darstellung  könnte 
dies  aber  kaum  gewesen  sein,  wenn  das  er- 
halten e  Sippen  relief  wirklich  zu  dem  An  na- Altar 
gehört  hätte,  denn  eine  solche  Wiederholung 
wäre  eine  der  mittelalterlichen  Kunst  durchaus 
ungewohnte  Tautologie.  St.  Anna,  die  Titelhei- 
lige des  Altars,  einzig  in  die  Predella  zu  ver- 
weisen, widerspricht  anderseits  der  kirchlichen 
Anschauung.  Nach  alledem  erscheint  es  zum 
mindesten  sehr  zweifelhaft,  ob  das  Sippenreliet 
von  dem  Anna -Bruderschafts-Altar  herrührt. 

Von  Merkle  haben  sich  Voß,  Riggenbach 
und  Stiaßny  die  Anschauung  zu  eigen  ge- 
macht, daß  Wolf  Hubers  Gemälde  der  Be- 
weinung Christi  von  1521  zu  dem  Anna- 
bruderschaftsaltar gehört  habe.  Hierauf  ist  zu- 
nächst zu  erwidern,  daß  Merkle  ausdrücklich 
hervorhebt,  daß  das  Bild  nicht  im  Akkord 
über  den  Altar  erwähnt  wird,  wie  ja  über- 


')  Vgl.  auch  den  kleinen  ."Mtar  in  Bernried  (Die 
Kunstdenlimale  Baverns  I,  S.  699)  oder  die  beiden  kleinen 
Altäre  (K.it.  VI.  Nr.  1329  und  1333)  des  Bayerischen 
Nationalmuseums  oder  den  Annenältar  in  Neuötting. 

=)  Monatshefte  für  Kunstwissenschaft  I  (1908),  S.443. 


©^  WOLF  HUBHR  UXD  DER  DOXAUSTIL  »^?3 


li;iupt  nur  von  iMahlereien  der  Flügekhiiren« 
die  Rede  ist.  Wie  würde  aucii  das  elegisciie 
Thema  der  Beweinung  Christi  in  das  im 
wesenthchen  docii  heitere  Ensemble  der 
Annalegende  und  hl.  Sippe  passen?  Es  fehlt 
jede  innere   Berührung. 

Ganz  unhaltbar  aber  ist  die  Annalinie,  daß 
das  Bild  der  Beweinung  die  Rückseite  des 
Schreines  des  Annabruderschafts -Altars  ge- 
bildet habe,  wie  es  nach  Merkles  Vorgang 
Riggenbach  und  Stiaßny  behaupten.  Der  Altar 
bestand  um  das 
Jahr  1830,  als 
Merkle  seine 
Notizen  nieder- 
schrieb, kaum 
mehr  in  sei- 
ner ursprüng- 
lichen Gestalt, 
sonst  hätte 
Merkle  wohl 
mehr  von  ihm 
als  nur  von  der 
Rückseite  des- 
selben zu  re- 
den gewußt.') 
Es  ist  auch 
nicht  gut  denk- 
bar, daß  einem 
Werk  von  sol- 
chen Qualitä- 
ten wie  Hubers 

Beweinung 
(Abb.  S.  81), 
aufdasderMei- 
ster  mit  Stolz 
inid  Selbstbe- 
wußtsein groß 
sein  Mono- 
gramm setzte, 
von  Anfang  an 
ein  so  neben- 
sächlicher untergeordneter  Standort  zuge- 
dacht worden  wäre.  Ich  wüßte  kein  ahn 
liches  Beispiel.  Wo  sonst  Malereien  aul 
der  Rückseite  von  Altarschreinen  vorkom- 
men, sind  diese  fast  regelmäßig  flüchtig  und 
von  Gesellenhänden  in  Leimfarbe  ausge- 
führt. Übrigens  befmden  sich  auf  der  Rück- 
seite des  Bildes  noch  Reste  minderwertiger 
Malereien,  welche  nicht  als  Hintergrunddekor 
eines  Schreines  angesehen  werden  können.-) 

')  H;irtcnberger  im  »Archiv  für  Gcschiclite  und  Landes- 
kunde Vorarlbergs«  II  (1905),  S.  42,  vermutet,  daß  der 
Altar  vor  dem  Jahre  1850  noch  intakt  gewesen  und 
erst  damals  gelegentlich  einer  unverständigen  Keno- 
vation der  Flügel  beraubt  worden  sei. 

')  Gütige  .Mitteilung  des  k.  k.  Konservators  G.  Härten- 
berger  in  Feldkirch. 


Hieraus  erhellt  gleichfalls,  daß  die  Beweinung 
Christi  die  eigentliche  Schauseite,  d.  h.  ein 
wirkliches  Altarblatt  gebildet  hat.  Dies 
konnte  aber  nach  seinem  stofflichen  Inhalt 
nicht  zu  dem  Annabruderschatts-Altar  gehören. 
\'oß  wirft  nun  das  Beweinungsbild  Hubers, 
eine  gemalte  Predella  (s.  u.)  und  das  Sippen- 
relief, ohne  lange  zu  tragen  wie,  zu  einem  Altar 
zusammen  und  mit  einer  kühnen  Schwen- 
kung heißt  er  den  Altar,  für  den  er  die 
Pruggersche  Notiz  über  den  Anna-Altar  heran- 
zieht,  nicht 
mehr  Anna- 
bruderschafts- 
.\ltar«,  son- 
dern plötzlich 
»  Beweinungs- 
altar«  (S.  18  u. 
205).  So  kur- 
zerhand lassen 
sich  jedoch  die 
Tituli  von  Al- 
tären nicht  aus- 
tauschen. Es 
bleibt  immer 
eine  seltene 
Ausnahme, daß 
man  einmal 
von  der  stren- 
gen Konkor- 
danz des  Al- 
tartitels und 
derBildausstat- 
tung  des  Altars 
abwich.  Erst 
mit  dem  17. 
Jahrhundert  ist 
man  hierin  et- 
was weniger 
streng;  doch 
herrscht  im- 
mer noch  die 
alte  Regel  vor.  Die  X'erquickung  des  Anna- 
Altars  und  eines  Beweinungsaltarsist  also  durch 
aus  unzulässig.  Wie  man  sich  aber  aus  all  den 
formal  und  inhaltlich  sich  widerstrebenden 
Teilen,  Schnitzwerken  und  Malereien,  einen 
Altar  ausgebaut  zu  denken  hätte,  kann  ich 
mir  nicht  vorstellen.  Ich  glaube  vielmehr, 
daß  es  sich  um  Reste  von  wenigstens  zwei 
Altären   handelt. 

Mit  dem  Bilde  der  Beweinung  ist  seit  der 
letzten  Restauration  der  Altäre  im  Jahre  1878 
zu  einem  Altar  ein  Gemälde  als  Predella  ver- 
einigt, welches  das  von  zwei  Engeln  gehaltene 
Schweiütuch  des  Herrn  darstellt.  (Abb.  S.  79.) 
Voß  hat  meines  Erachtens  mit  vollem  Recht 
dieses  Bild  für  Wolf  Huber  in  Anspruch  genom- 


JL'NG  CHRISTI 


O^  WOLF  HUBER  UND  DER  DOXAUSTIL  mo, 


men ;  Stiaßny  lehnt  es  ohne  Motivierung  ab, 
Riggenbach  ebenfalls,  weil  Huber  Dürersche 
\'orbilder  umzugestalten  gepflogen  hätte.  Der 
Zusammenhang  des  Bildes  mit  Dürers  Stich 
von  15 13  (B.  25)  springt  nun  sofort  in  die 
Augen,  so  daß  man  von  mehr  als  nur  von 
einerfreien  Benutzungdesselben(Voßlsprechen 
kann,  denn  abgesehen  davon,  daß  die  beiden 
Engel  etwas  auseinandergerückt  und  im  Aus- 
druck und  Typus  verändert  wurden,  deckt  sich 
sonst  Falte  um  Fältchen  mit  dem  graphischen 
Vorbild.     Freie  Zutat  ist  die  Landschaft. 

Trotz  der  mehr  zeichnerischen  Art  des  Vor- 
trags erkennt  man  im  Kolorit  deutlich  die  Be- 
ziehungen zu  der  Beweinung  Wolt  Hubers. 
Das  Gewand  des  rechten  Engels  in  seinem 
schmutzigen  Grün  stimmt  ganz  zu  den  unte- 
ren Gewandpartien  des  Nikodenius,  das  Rot 
des  linken  Engels  vollständig  mit  jenem  des 
hl.  Johannes  aut  der  Beweinung.  Man  ge 
winnt  aus  dieser  korrespondierenden  Vertei- 
lung der  farbigen  Dominanten  unmittelbar 
den  Eindruck  der  Zusammengehörigkeit  der 
beiden  Bilder.  Echt  huberisch  ist  die  Ufer- 
landschaft. Die  hochgeschwungene  Brücke, 
die  stille  Bucht  mit  den  blaugrauen  Felsen 
und  den  grünlichen  Kastellen  harmonieren 
ganz  mit  der  Anschauung  Hubers.   Gegenüber 


der  Landschaft  auf  dem  Beweinungsbild,  aut 
der  die  tiefe  Trauer  und  düstere  Schwermut 
des  szenischen  Vorgangs  liegt,  hält  sich  die 
Landschaft  auf  der  Vera-Ikon-Tafel  in  etwas 
lichteren  Tönen,  wohl  um  den  Eindruck  des 
Schwebens  der  Engel  zu  erhöhen.  Daß  Huber 
in  dieser  Vedute  die  Schattenburg  ob  Feldkirch 
lestgehalten  hat,  wie  Voß  behauptet,  ist  ein 
Irrtum.  Nicht  eines  der  Gebäude  hat  auch  nur 
entfernte  Ähnlichkeit  mit  dem  alten  Kastell 
derMontfort.  Das  Bild  ist  jetztstellenweise  über- 
malt, namentlich  wurde  der  Christuskopf,  der 
nach  Merkle  früher  »durch  andächtige  Berüh- 
rungsehr  verdorben  war«,  durch  spätere  Zutaten 
in  seiner  Ursprünglichkeit  sehr  beeinträchtigt. 
Einer  Restauration  schreibe  ich  ferner  noch  den 
flachen  weichlichen,  nichtssagenden  Kopf  des 
linken  Engels  zu.  Schon  die  steile  Prohlstel- 
lung  spricht  nicht  für  Huber;  außerdem  sind 
die  Haare  und  der  Blattkranz  in  brutaler  Deko- 
rationsmanier autgesetzt,  an  der  man  genau 
die  gleiche  Hand  wiedererkennt,  die  mit  brei- 
ten derben  Strichen  Christi  Haupt  ausgebessert 
hat.  Wie  ganz  anders  ist  der  Kopt  des  rechten 
Engels  mit  den  fliegenden  Haaren  und  dem 
schmerzlichen,  wehmütigen  Gesichtsausdruck 
herausgearbeitet!  Hier  haben  wir  noch  ein 
unverfälschtes  Stück  Huber  vor  uns.  Irre  ich 
nicht,  so  hat  sich  auch  noch  eine  Vorstudie 
zu  diesem  Kopf  erhalten.  (Abb.  S.  78.)  Es  ist 
eine  Kreidezeichnung  auf  geröteltem  Papier 
in  der  Sammlung  Graf  Harrach  in  Wien,  sig- 
iiiertund  datiertW.H.  1 522.')  Voßgedenktihrer 
als  eines  Beispiels  überraschender  Darstellung 
maßloser  Leidenschaft  und  bringt  sie  mit  zwei 
Kcipfen  der  Wiener  Kreuzerhöhung  in  Be- 
zieiiung.  Ein  weit  engerer  Zusammenhang 
bestellt  aber  meines  Erachtens  mit  dem  Engel- 
laipf  der  Predella.  Der  Kopf  —  »nach  lechts 
auhvärts  blickend,  mit  schmerzlichem  Aus- 
druck wie  zu  einem  Johannes  unter  dem  Kreuz 
gehörig«  beschreibt  ihn  der'Fext  der  Albertina- 
Publikation  —  paßt  weit  eher  zu  dem  Schmerze 
des  Schweißtuchbildes  als  zu  den  rauhen  Kriegs- 
knechten der  Kreuzerhöhung.  Die  knollige, 
etwas  von  unten  gesehene  Nase,  der  dicke 
Mund,  die  hervorquellenden  Augen  mit  den 
prononcierten  Tränensäcken  wiederholen 
sich  fast  Strich  für  Strich.  Dazu  kommt 
noch  die  Datierung  mit  der  Jahrzahl  1522, 
die  darauf  hinweist,  daß  die  Predella  sich 
unmittelbar  an  die  Beweinung  Christi  von 
i;2i    anschloß. 


WOLF  HUBKR 

Saliuttlliitg  HarfacJi 


KOPFSTUDIH 


')  Handzeichiiuiigen  alter  Meister  aus  der  Albertina, 
Taf.  716.  Diese  Reprodiilitioii  in  dem  Rötelcharakter  des 
Originals  läßt  die  Betonung  der  breiten  Kinnpartie  rich- 
tiger und  dem  Bilde  ähnlicher  erscheinen  als  die  starlv 
verkleinerte  Abbildung  hier  und  bei  Voß. 


©^  WOLF  HUBER  UND  DF.R  DOXAUSTIL  »^a 


79 


WOLF  HLBER 


SCllWEISSTLXH  CHRISTI 


PredeüagfmiiUf  in  Ftldkirch.     Text  S.  JS 


Die  Beschreibung  des  Beweinungsbildes  bei 
\'oß  und  Riggenbach  fordert  noch  eine  Berichti- 
gung, die  uns  die  stille,  wortlose  Wehmut 
der  Szene  erst  ganz  erfassen  lehrt.  Voß  läßt 
.Magdalena  träumerisch  über  das  Geheimnis 
dieses  (d.  h.  Christi)  Lebens  und  Sterbens  sin- 
nen ,  Riggenbacii  glaubt,  daß  sie  mit  einer 
Feder  oder  einem  kleinen  Messer  Christus 
in  den  Oberarm  steche,  um  sich  zu  verge- 
wissern, daß  er  tot  sei.  Beide  irren;  genaues 
Zusehen  zeigt  deutlich,  daß  Magdalena  mit 
zager,  zitternder  Hand  Balsam  in  die  Wunde 
des  Herrn  träufelt;  Xikodemus  —  so  dürfen 
wir  ja  wohl  die  präciitige  Rückenfigur  nennen 
—  hält  ihr  das  Salbengefäß.  Nicht  die  stille 
stumme  Klage  allein  also  ist  es,  zu  der  sich 
die  Freunde  um  den  Toten  scharten,  sondern 
der  letzte  schmerzliche  Liebesdienst,  die  Sal- 
bung. Tränenden  Blickes  scheinen  aller  Augen 
dem  aus  der  i'eder  Magdalenas  in  die  Wunde 
träufelnden  (Me  zu  folgen.  Weiche  Wehmut 
und  Scheu  vor  unlieber  Berührung  des  teuren 
Toten  liegt  auf  allen  Mienen.  Es  heißt  Hubers 
feines  Empfinden  erst  ganz  verstehen  und  der 
Seele   des  Bildes   erst    ganz  gerecht  werden, 


wenn    man    sich    des   dargestellten  Moments 
klar  bewußt  wird.') 

Das  Bild  der  Beweinung  (Abb.  S.  8 1)  befindet 
sich  in  einem  alten  Rahmen,  in  dessen  Hohl- 
kehlenlaibung  einem  Stammbaum  ähnlich  sich 
Weinlaub  mit  Fropheten-Sitzfigürchen  empor- 
rankt. Das  Bild  schließt  nach  oben  in  zwei 
nebeneinanderstehenden  1  lalbkreisbögen  in  der 
Weise  ab,  daß  in  der  Mitte  ein  Zwickel  mit  einem 
in  Gold  gemalten  Frührenaissance-Ornament 
aufgespart  ist.  Der  Rahmen  folgt  der  eigen- 
artigen Form  des  Bildes,  von  einigen  minimalen 
Schwankungen  am  Rande  abgesehen ;  es  ist 
kein  Zweitel,  daß  beide  füreinander  geschaffen 
sind.  Angesichts  der  zierlichen  Durchbildung 
des  Rahmens  bestätigt  sich  aufs  neue,  daß 
das  Bild  sicherlich  niemals  die  Rückseite  oder 
Hinterwand  des  ursprünglichen  Altars  gebildet 

■)  Riggenbacii  a.a.O.,  S.  50  und  52,  führt  als  .analogen 
für  seine  obener\v.ihnte  Auffassung  die  I'redella  des  Alt- 
mühldorfer  .\ltars  an.  Es  unterliegt  jedoch  auch  hier 
keinem  Zweifel,  daß  es  sich  um  die  Vorbereitung  zur 
Salbuni;  handelt,  denn  Magdalena  halt  in  der  einen 
Hand  die  Büchse,  in  der  andern  deutlich  erkennbar  eine 
weifle  Feder.  .Vbb.  in  den  iKunsldenkmalen  Bayerns  c, 
I.  Tafel  255  und  hier  S.  65. 


8o 


^ms  WOLF  HUBER  UND  DER  DONAUSTIL  m^ 


hat,  denn  wem  wiire  es  beigefallen,  solch  eine 
teine  Filigranarbeit  den  Blicken  zu  entziehen. 
Auch  das  Bild  mit  dem  Schweißtuch  Christi 
hat  noch  die  alte  Umrahmung.  Sie  ist  un- 
mittelbar auf  die  Holztafel  des  Bildes  in  den 
Grund  graviert  und  zeigt  ausgesprochene  Früh- 
renaissancemotive. Nach  dem  Hauptbild  dieses 
Altars  sind  wir  berechtigt,  von  einem  ■,  Bewei- 
nungsaltar«  Wolf  Huhers  zu  sprechen,  mit  dem 
jedoch  der  Anna-Bruderschafts-Altar  grundsätz- 
lich auseinander  zu  halten  ist.  Deshalb  ist  es 
auch  nicht  angängig,  wenn  Voß  schreibt:  Wie 
uns  die  alte  Pruggersche  Chronik  berichtet, 
haben  den  heute  leider  zerrissenen  Bewei 
nungsaltar  zu  Feldkirch  drei  Brüder  »als  ein 
Schreiner,  Bildhauer  und  Maler',  ausgeführt. 
Diese  Notiz  von  Prugger  wäre,  wenn  man 
ihr  überhaupt  Wert  beimessen  will,  ebenso 
wie  jene  von  Bucelin  und  Merkle  einzig  und 
allein  auf  den  Altar  der  St.  Anna-Bruderschait 
zu  beziehen.  Ich  komme  damit  zu  dem 
Schlüsse,  daß  Wolf  Huber  für  die  Pfarrkirche 
zu  Feldkirch  zwei  Altäre  gefertigt  hat.  Der 
erste,  der  »St.  Anna-Altart,  verakkordiert  im 
]ahre  15 15,  folgte  in  seiner  Anlage  noch  der 
gotischen  Tradition.  Es  war  ein  Schreinaltar 
mit  gemalten  FUigeln,  von  dessen  Malereien 
sich  gar  nichts  erhalten  hat.  Ob  die  Predella 
mit  dem  Sippenrelief  von  einem  uns  völlig  un- 
bekannten Meister  der  letzte  Rest  des  Altars  ist, 
muß  dahingestellt  bleiben.  Nach  den  Abmes- 
sungen des  Reliefs  konnte  der  Altar  nicht  son- 
derlich groß  gewesen  sein,  und  es  müßte  wun- 
dernehmen, wenn  sich  seine  Vollendung  sechs 
[ahre  lang  hingezogen  hätte,  wie  man  aus 
dem  Datum  des  Beweinungsbildes  schließen 
müßte. 

Das  zweite  Werk  ist  der  »Beweinungs- 
altar.',  von  1521  und  1522,  der  heute  nicht 
»leider  zerrissen«  ist,  wie  Voß  sagt,  sondern 
dessen  wichtigste  Teile  —  Hauptbild  und  Pre- 
della mit  dem  Schweißtuch  —  mit  durchaus 
richtigem  Empfinden  für  den  bildlichen  Inhalt 
zu  dem  früheren  Ganzen  wieder  vereinigt  wur- 
den. Derbreite,  nach  innen  abgeschrägte,  reich- 
geschnitzte Rahmen  des  Hauptbildes  spricht 
sehr  für  die  Vermutung,  daß  der  Altar  keine 
Flügel  hatte,  sondern  sich  auf  die  beiden  Ge- 
mälde beschränkte.  Wir  hätten  dann  in  diesem 
Altar  schon  eine  Art  Renaissancetypus,  ähn- 
lich jenem  desingolstädter  Altars  von  Melchior 
Feselen  aus  dem  gleichen  Jahre  1522.  Für 
die  weitere  Huber-Forschung  dürfte  die  Kon- 
statierung zweier  Altarwerke  des  Meisters  nicht 
ohne  Wert  sein. 

*  ...  * 

Noch  ein  paar  Worte  über  »die  Nachfolge 
Hubers«.  Voß  wendet  sich  in  der  Hauptsache 


dem  Monogrammisten  H.  W.  G.  und  Mel- 
chior Feselen  zu.  Von  ersterem  kennen  wir 
nur  drei  Holzschnitte.  Voß  ist  geneigt,  ihm 
auch  das  Gemälde  einer  Kreuztragung  im  Baye- 
rischen Nationalmuseum  (Kat.  VIII  Nr.  92)  zu- 
zuschreiben, zögert  aber  doch,  lediglich  auf 
Grund  der  Holzschnitte,  das  Bild  auf  H.W.  G  zu 
taufen.  Man  wird  auch  gut  tun,  diese  Kombi- 
nation völlig  aufzugeben,  denn  wichtige  stilisti- 
sche Eigenheiten  der  Schnitte,  z.  B.  die  herab- 
hängenden wedelartigen  Zweige,  fehlen  auf  dem 
Gemälde  ganz  und  gar.  Bei  den  drei  graphischen 
Blättern  übersieht  aberVoß  einen  sehr  wichtigen 
Punkt  vollständig,  nämlich  das  Verhältnis  des 
Monogrammisten  H.  W.  G.  zu  Virgil  Solls, 
dessen  bekanntes  Monogramm  auf  zweien  der 
Blätter  —  dem  \erlorenen  Sohn  und  der  Hirsch- 
jagd —  angebracht  ist.  In  beiden  Fällen  erkennt 
man  deutlich,  wie  der  Zeichner  den  Platz  für 
das  Monogramm  V.  S.  aufgespart  hat,  während 
das  Monogramm  H.  W.  G.  einmal  in  das 
Wasser,  das  andere  Mal  in  das  Gras  un- 
glücklich, unvermittelt  und  steif  eingesetzt 
wurde.  Mit  so  wenig  Geschmack  hätte  das 
der  Zeichner  nie  getan.  Das  große  schöne 
Blatt  des  Johannes  auf  Patmos,  das  nur  die 
Zeichen  H.  W.  G.  trägt,  geht  übrigens  im 
Landschaftlichen  mit  den  beiden  andern  Blät- 
tern und  in  der  Gestalt  des  Johannes  mit 
früheren  Arbeiten  des  Solls  so  gut  zusammen, 
daß  man  für  dasselbe,  wie  auch  schon  Nagler 
behauptet,  eine  Zeichnung  von  diesem  Meister 
als  Vorlage  annehmen  darf.')  Daß  aber  Solls 
etwa  der  Formschneider  gewesen  wäre,  ist 
nach  Art  der  Monogrammierung  nicht  anzu- 
nehmen und  durch  nichts  erwiesen.  Die 
Unterschrift  auf  dem  Porträtstich  des  Virgil 
Solls  von  Balthasar  Jenichen  kennt  nur  sein 
moln,  stechn,  illuminieren,  reißen,  etzen  und 
visieren  ,  sagt  aber  nichts  vom  Formschneiden. 
Als  erfindenden  Künstler  wird  man  nach  alle- 
dem den  Monogrammisten  H.  W.  G.,  den 
»unmittelbaren  Schüler  Wolf  Hubers«,  wie 
ihn  Voß  nennt,  einstweilen  ganz  auf  die 
Seite  stellen  müssen. 

Neben  H.  W.  G.  ist  Melchior  Feselen  sehr 
kurz,  um  nicht  zu  sagen  sehr  schlecht  weg- 
gekommen und  doch  wäre  gerade  er  wegen 
seiner  Tätigkeit  in  Passau  näherer  Betrachtung 
wert  gewesen.  Seine  Belagerungen  von  Rom 
und  Alesia  konnten  ja  schließlich  im  gegebenen 
Zusammenhange  übergangen  werden,  aber 
nicht  die  anmutige  Geburt  Christi  von  1524  im 
Katharinenberg,  die  in  ihrer  Örtlichkeit  und 


■)  Nagler,  Die  Monogrammisten  111  (1863),  S.  719. 
Vgl.  zu  der  Hirschjagd  auch  F.  H.  Hofmann,  Beiträge 
zu  Loy  Hering  in  der  .\ltbaverischen  Mon.itsschrift  V 
(1905),  S.  8. 


C®«  WOLF  HURHR  UND  DER  DONAUSTIL  S^iü 


8i 


WOLF  HLBER 


BEWEISUKG  CHRISTI  (liii) 
/«  (/.-r  Pfarrkirche  zu  Feldkirch.      Text  S.  Jq 


Stimmung  zu  einem  Vergleiclie  mit  Ilubeis 
fast  gleichzeitiger  Beweinung  direkt  heraus- 
fordert. 

Einen  dcrwiciitigsten  Meister  aus  dem  Kreise 
Hubers  muß  man  in  dem  sogenannten  Meister 
von  Mülildorf  erbliclven,  sclion  desiialb,  weil 
wir  ihn  in  seinen  Arbeiten  lokalisieren  kön- 
nen. Warum  ihn  Voß  zusammenhanglos  erst 
in  einem  Anhang  (Exkurs  1)  behandelt,  ist 
schlechterdings  nicht  einzusehen.')  Sein  Haupt- 
werk, der  Altmühldorfcr  Altar  (Abb.  S.  65 ),  trägt 
das  verhältnismäßig  frühe  Datum  15 11,  geht 

';  Wie  mir  Voß  w.ihrciui  der  Druclilcgung  dieser 
Zeilen  mitteilt,  entspracli  er  hierin  einem  Wunsche  seines 
Verlegers. 


also  mehr  als  zehn  Jahre  der  Feldkircher  Be- 
weinung Hubers  voraus  und  weist  die  engsten 
Beziehungen  zu  dem  jungen  Cranach  (Schleiß- 
heimer  Bild  von  1503)  auf,  wie  Wilhelm 
Schmidt  festgestellt  und  auch  \'oß  anerkannt 
hat. 2)  Ich  habe  schon  früher  dem  gleichen 
Meister  ein  kleines  Epitaph  für  Anna  von 
Preysing,  gest.  1527,  in  der  Katharinenkirche 
in  Mühldorf  zugeschrieben,  das  leider  durch 
neuerliche  Ubermalung  sehr  viel  von  seinem 
ursprünglichen,  dem  Altmühldorfer  Altar  völlig 


')  Die  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern,  I 
S.  2147  — 2149,  und  Wilhelm  Schmidt  in  llelbin'gs  Mo- 
natsberichte III,  S.  117. 


Dl«  christliche  Kunst.     V.     j 


82 


©^  WOLF  HUBRR  UND  DHR  DONAUSTIL  J^Q 


JObEIll 


entsprechenden  Charakter  eingebülit  hat.') 
Unabhängig  von  Wilhehn  Schmidt  habe  ich 
gleichfalls  in  dem  Ptaffinger  Stammbaum  von 
15 16  des  Bayerischen  Nationalmuseums  (Kat. 
VIII  Nr.  77  a  — c)  ein  Werk  des  Meisters  von 
Mühldorf  erkannt.  Ich  vermute,  daß  dieses 
Triptychon  aus  Schloß  Salmanskirchen,  dem 
Sitze  Pläffingers,  stammt.  Diese  Provenienz 
würde  gleichfalls  für  die  Entstehung  des 
Stammbaumes  in  Mühldorf  sprechen.  In  die- 
sem Zusammenhange  gewinnt  eine  bisher 
unberücksichtigte  authentische  Nachricht  an 
Wert.  Eine  Haushaltungsrechnung  für  Kur- 
fürst Friedrich  den  Weisen  von  Sachsen  von 
15 13  sagt:  II  gülden  vor  ein  gemaltes  tüch- 
linn  ssant  Johans  des  Zwelfpot  vom  maller 
zu  Müldorff  kaufft  vnd  mein  gned.  Hern 
bracht.-)  Rechnungsführer  war  aber  jedenfalls 


'J  Die  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern  I, 
S.  2141,  2148  und  2202. 

^)  Cornelius  Gurlitt,  Die  Kunst  unter  Kurfürst  Fried- 
rich dem  Weisen,  1S97,  S.  50,  woselbst  noch  ein  wei- 
terer hier  einschlägiger  Eintrag.  Robert  Brück,  Friedrich 
der  Weise  als  Förderer  der  Kunst  1903,  S.  120. 


derin  den  Büchern  häufig  genannte  und  eben  er- 
wähnte kurfürstliche  Rat  Degen  hartPfäffinger. 3) 
Bei  den  engen  stilistischen  Beziehungen  des 
Mühldorfer  Meisters  zu  dem  jungen  Cranach 
ist  es  doppelt  schmerzlich,  seinen  Namen 
nicht  zu  kennen.  Die  Taufe  Naglers  auf 
Wilhelm  Beinholt,  einen  Mühldorfer  Maler, 
gest.  1521,  dessen  Grabstein  von  der  Hand 
des  Matthäus  Kreniß  in  der  Pfarrkirche  zu 
Mühldorf  steht,  halte  ich  angesichts  des 
Mangels  an  Anknüpfungspunkten  für  unzu- 
lässig, zumal  für  Mühldort  aus  jener  Zeit  noch 
andere  Meisternamen  genannt  werden. 

Schließlich  noch  eine  Berichtigung  betrefts 
des  Altmühldorfer  Altars.  Riggenbach't)  re- 
produziert eine  Notiz  Stiaßnys,  wonach  dieser 
Altar  außer  der  Jahrzahl  15 1 1  das  Monogramm 
L  S.  B.  trage. 5)  Stiaßny  folgte  hier  Sighart, 
der  das  Monogramm  J.  S.  FI.  las  und  einen 
lohann  Sigmund  Holbein  annahm.^)  All 
diese  Angaben  basieren  auf  falscher  Lesung. 
Wie  ichschonanandererStelle nachgewiesen,") 
handelt  es  sich  bei  den  betreffenden  Zeichen 
auf  der  Predella  und  auf  dem  Verspottungs- 
bild des  rechten  Flügels,  die  man  als  J.S.H. 
oder  J.  S.  B.  las,  um  nichts  anderes  als  die 
[ahrzahl  1511.  Ein  anderes  Künstlerzeichen 
konnte  ich  trotz  mehrfacher  genauer  Unter- 
suchung des  Altars  nicht  finden. 

In  die  nächste  Nähe  des  Altmühldorfer 
Altars  scheint  mir  auch  eine  Predella  mit  einem 
Gemälde  der  Beweinung  Christi  im  Bayeri- 
schen Nationalmuseum  (Kat.  VIII,  Nr.  91)  zu 
gehören.  Wilhelm  Schmidt  schrieb  dieselbe 
einst  dem  Mathias  Grünewald  zu.'^)  Dagegen 
scheint  mir  vor  allem  die  Qualität  zu  sprechen. 
Mit  dem  Altmühldorfer  Meister  verbindet  das 
Bild  mehr  das  lebhafte  Kolorit  als  die  Typen; 
der  Kopf  des  bärtigen  Mannes  rechts  gemahnt 
übrigens  etwas  an  den  Joseph  von  Arimathäa 
auf  Hubers  Feldkircher  Beweinung.  Eine  feste 
Zuschreibung  der  Predella  an  einen  bestimmten 
Meister  scheint  mir  in  Anbetracht  der  wenigen 
Vergleichungspunkte  nicht  zulässig,  man  wird 
es  nur  ganz  allgemein  der  hier  besprochenen 
Bildergruppe   zuweisen   dürfen. 

3)  Ich  möchte  hier  ein  Mißverständnis  Voßens  richtig- 
stellen. Das  von  ihm  S.  201  erwähnte  Tagebuch  ist 
nicht  von  Degenhart  Ptai'hnger,  sondern  von  dessen 
kunstsinnigem  Vetter  Hans  Herzlieimer  verfaßt.  Ich  ge- 
denke den  wichtigsten  Teil  der  Handschril't,  die  Reise  bei- 
der an  den  sächsischen  Hof,  demnächst  zu  veröffentlichen. 

+)  Riggenbach,  a.  a.  O.,  S.  52. 

5)  Stiaßny,  Eine  Altdorfer-Biograpliie  in  der  »Zeit- 
schrift für  bildende  Kunst<.  N.  F.  N.  (1893),  S.  238. 

*")  Sighart,  Die  mittelalterliche  Kunst  der  Erzdiözese 
München-Freysing,  S.  173. 

')  Die  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern  I, 
S.  2142  und  2147  ff' 

ä)  Repertorium  für  Kunstwissenschaft  XI  (1888),  S.  3  58. 


C?^  WOLF  HUBER  UND  DER  DOXAUSTIL  ?^<a 


83 


In  nahem  örtlichem  und  Schulzusamnienhang 
steht  zu  dem  Meister  von  Müiildorf  schheßlich 
eine  Folge  von  nicht  weniger  als  siebenund- 
tünfzig  Gemälden,  die  m.  W.  bisher  unbe- 
achtet geblieben  sind,  aber,  obwohl  von  un- 
gleichem Wert  und  von  einer  gewissen  Hand- 
werklichkeit, in  einer  Geschichte  des  Donau- 
stils nicht  umgangen  werden  dürfen.  Sie 
bekleiden  die  Außenwand  der  Gnadenkapelle 
in  Altötting  und  bilden  in  ihren  Szenen 
merkwürdiger  Heilungen  und  Ereignisse  ein 
direktes  Analogon  zu  dem  Holzschnittwerk 
der  »Wunder  von  Maria  Zell«.  Sie  sind  um 
1)20  entstanden,  wurden  aber  mehrfach  re- 
staurieit. ')  Trotzdem  haben  sie  sich  in  den 
landschaftlichen  Partien  gut  erhalten  und 
zeigen  stellenweise  eine  außerordentliche  Reife 
in  derBehandlungderFernsicht  und  Stimmung. 
Bilder,  wie  der  Schiffbruch  des  Rentmeisters 
Bernhardt  \'orster  bei  Schärding  oder  die 
Darstellung  einer  ähnlichen  Katastrophe  bei 
.Moosburg,  dann  die  Landschaften  auf  den 
^'otivbildern  des  Peter  Palbierer  von  Ried, 
des  Michel  Schetmann  von  Leopolding  oder 
des  Maurergesellen  Wolfgang  sind  von  aller- 
größtem Interesse  und  gehen  weit  über  das 
gemeine  Können  der  »Tuifelemaler  :  hinaus. 
Das  Figürliche  ist  schwächer  und  hat  auch 
mehr  durch  Ubermalungen  gelitten.  Nichts- 
destoweniger bieten  sich  auch  hier  neue  Auf- 
schlüsse. Jedenfalls  wird  man  den  »Wundern 
von  Altötting",  die  nebenbei  bemerkt  eine 
Fülle  kulturgeschichtlicher  Merkwürdigkeiten 
namentlich  auch  auf  medizinischem  Gebiete 
in  sich  schließen,  für  die  Zukunft  Beachtung 
schenken  müssen  als  der  bedeutendsten  Serie 
von  Malereien  ihrer  Zeit  und  besonders  mit 
Rücksicht  auf  den  geringen  Bestand  an  der- 
artigen Werken  im  kirchlichen  Bereiche  Pas- 
saus. —  dem  Sitze  Wolf  Hubers. 

Noch  ein  Blick  nach  Feldkirch  und  Passau! 
In  Feldkirch  haben  sich  keine  weiteren  Male- 
reien erhalten,  die  zeitlich  und  stilistisch  mit 
Huber  oder  dessen  Kreis  in  Berührung  stehen. 
\'oß  erwähnt  aber  zwei  Gemälde  im  Landes- 
museum des  nahen  Bregcnz,  die  »mit  ihren 
weiten  Landschaften,  den  klein  gezeichneten, 
oftmals  zentralen  Architekturen  etc.  einiger- 
maßen wenigstens  an  die  Wiener  Allegorie 
erinnern ;  es  fehlt  aber  an  einleuchtender,  stil- 
kritischer Beziehung  zu  Huber«.  Zur  Beurtei- 
lung der  beiden,  in  trostlosem  Zustande  befind- 
lichen Bilder  möchte  ich  darauf  hinweisen, 
daß  dieselben  aus  der  Friedhofkirche  in  Feld- 
kirch stammen,  an  eine  gewisse  Abhängigkeit 
von  Huberschen  Werken  also  wohl  gedacht 

')  Die  Kunstdenkmale  des  Königreichs  Bayern  I, 
S.  2405. 


werden  könnte,  freilich  nur  ganz  im  allge- 
meinen, denn  die  Bilder  gehören  schon  der 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  an.  Das  eine  der- 
selben, das  Epitaph  mit  der  Auferweckung 
des  Lazarus,  trägt  übrigens  die  Bezeichnung: 
M.F.  .552. 

Auch  in  Passau,  Hubers  langjährigem  Wohn- 
sitz, findet  sich  nicht  em  Bild  mehr  von  seiner 
Hand,  doch  hätten  die  beiden  Huber-Forscher 
gerade  deshalb  wohl  einiger  für  die  Ent- 
wicklungsgeschichte des  Donaustils  recht  in- 
teressanter Bilder  der  bischöflichen  Gemälde- 
galerie dortselbst  gedenken  dürfen.  Ich  habe 
hier  namentlich  ein  etwas  derb  gemaltes  Mar- 
tyrium der  hl.  Ursula  und  die  außerordentlich 
sorgfältig  durchgeführte  Tafel  eines  hl.  Hie- 
ronymus  —  von  Dürerschem  Gepräge  —  in 
der  Landschaft,  vom  Jahre   1513   im   Auge. 

Das  einzige  Bild  Hubers,  das  sich  in  Passau 
nachweisen  ließ,  erwähnt  das  Suppleiuentum 
Bruschianum  Mndobonae  1692  S.  94  mit 
den  Worten:  »Sigismund  Rcisacher,  Präpositus 
monasterii  S.  Nicolai  obiit  1540.  Sepelitur 
in  sacello  S.  Ruperti,  ubi  insignis  et  tabula 
addita,  quam  pinxitW'olfgangus  Huber,  Apelles 
Germanicus.  :  Nach  Zimmermanns  Churba\e- 
rischem  geistlichem  Kalender  von  17  j6,  S.  597, 
stellte  das  auf  Holz  "emalte  Bild  ein  >  Besrähnis 


EMIL  JUSO  (OSNABRCCK)  TALFSTEIM 

Aiiigr/iihrl  für  liir  Hrrt  yrtiikinhe  zu  Xcusladl 

a.  Doste.     Text  S.  gj 


©^  WOLF  HUBIZR  UND  DER  DONAUSTIL  ^«3 


Christiv.  dar.  1756  war  es  noch  vorhanden, 
war  aber  »der  besseren  Konservierung  wegen« 
in  einem   Gastzimmer  aufgehängt.') 

Das  Bild  gilt  als  verschollen,  jedenfalls  ließ 
es  sich  in  Passau  nicht  mehr  eruieren.  Da- 
gegen bin  ich  geneigt,  es  in  einem  Gemälde  der 
Grablegung  in  der  Galerie  des  Stiftes  Kloster- 
neuburg wieder  zu  erkennen.^)  Diese  Grab- 
legung Ghristi  geht  in  der  figürlichen  Kompo- 
sition unverkennbar  auf  den  bekannten  schönen 
Stich  Mantegnas  (B.  3)  zurück,  der  im  Gegen- 
sinne umgearbeitet  wurde. 3)  Alles  aber  wurde 
verdeutscht,  der  wilde  laute  Schmerz  erscheint 
gedämpft,  die  Hast  und  Unruhe  der  Handlung 
gemäßigt,  die  Szene  durch  die  abgeschlossene 
Landschaft  stiller,  intimer.  Nur  der  weite 
flatternde  Mantel  Josephs  von  Arimathäa  ge- 
mahnt noch  an  die  bewegte  Darstellung  Man- 
tegnas. Das  Bild  ist  nicht  gut  erhalten  und 
zum  Teil  stark  übermalt,  immerhin  glaube 
ich  noch  genügend  Anhaltspunkte  gefunden  zu 
haben,  um  eine  Zuweisung  an  Huber  nicht  lür 
gewagt  erscheinen  zu  lassen.  So  sehe  ich 
in  dem  phantastisch  vom  Mantel  umhüllten 
Kopfe  Josephs  große  Ähnlichkeit  mit  jenen) 
der  Feldkircher  Beweinung,  bei  dem  zur  Klage 
geöffneten  Munde  des  Johannes  mit  den  dicken, 
stark  betonten  Lippen  denkt  man  unmittelbar 
an  die  vor  Maria  knieende  männliche  Figur 
auf  der  Wiener  Kreuzerhöliung  oder  den  reich 
gepanzeiten  Krieger  desselben  Bildes.  Aucl; 
iür  den  Nikodemus  und  die  trauernden  Frauen 
bieten  die  bekannten  Bilder  Hubers,  nament- 
lich die  Beweinung,  geeignete  Analogien.  Eben- 
so widerspricht  nicht  das  Kolorit  meiner  Ver- 
mutung, zeigt  vielmehr  in  dem  blauweißen 
Mantel  Mariens  und  dem  orangegelben  Ge- 
wand des  hl.  Johannes  engste  Beziehungen 
zu  diesem  Meister.  Die  Veränderung  der 
Landschalt  des  Italieners,  die  an  Stelle  des 
auf  klagenden  Weibes  einen  Felsendurchblick 
mit  einem  Walde  gibt,  scheint  mir  ebenfalls 
für  Huber  sehr  wohl  denkbar.  Das  Bild  hat 
das  etwas  ungewöhnliche  Format  von  88  cm 
Höhe  zu  80  cm  Breite,  ist,  wie  es  auch  von  dem 
verschollenen  Passauer  »Begräbnis«  heißt,  auf 
Holz  gemalt  und  wird  in  dem  Katalog  als  in 
der  »Art  der  Regensburgischen  Meister«  be- 
zeichnet.    In    der  Mache,    die  sich    übrifjens 


')  Riggenbach  a.  a,  O.,  S.  9. 

=J  Die  Scliatzliammer  und  die  Kunstsammhmg  im 
Augustiner  Chorherrnstifte  Klosterneuburg.  Wien  1889, 
S.  192,  Nr,  47. 

3)  C.  Dre.\ier  u.  C.  List,  Tafelbilder  aus  dem  Museum 
des  Stiftes  Klosterneuburg,  ca.  1901,  Taf.  XXXI.  In 
beiden  eben  erwähnten  Werken  wird  nur  eine  Ähnlich- 
keit des  Johannes  mit  jenem  auf  Mantegnas  Stich  (B.  5) 
erkannt.  Es  ist  jedoch  die  Benützung  der  ganzen  Kom- 
position unverkennbar. 


der  Übei'malungen  halber  nicht  überall  mit 
Sicherheit  nachprüfen  läßt,  scheint  es  nicht 
auf  der  Höhe  der  anderen  Werke  Hubers 
gestanden  zu  haben;  das  dürfte  aber  bei  einem 
Epitaph  nicht  sonderlich  wundernehmen.4)  Er- 
weist sich  die  Zuweisung  der  Klosterneuburger 
Grablegung  als  berechtigt,  so  würde  diese 
Tafel  mit  Hinblick  auf  die  direkte  Verwertung 
einer  Komposition  Mantegnas  für  Hubers 
Kunst  und  Schaffen  besonderer  Beachtung 
wert  sein. 

Noch  iristet  manch  Bild,  das  in  der  Ent- 
wicklungsgeschichte des  Donaustils  einen  her- 
vorragenden Platz  beanspruchen  darf,  in  den 
Kirchen  und  Klostergalerien  des  Donauge- 
bietes ein  verschwiegenes  Dasein.  Welch 
erstaunliche  Behandlung  des  Landschaftlichen, 
welche  \'ertiefung  des  Raumes  entfaltet,  um 
nur  eines  noch  zu  nennen,  das  Votivbildnis 
des  Bischofs  Ulrich  von  Passau  vom  Jahre  1497, 
mit  dem  entzückenden  Ausblick  auf  die  Drei- 
flüssestadt, in  Stift  Herzogenburg! 5)  Auch  des 
Porträts  eines  Mannes  von  1 502  ebendort  mag 
noch   flüchtig  gedacht  werden. 

Man  wird,  glaube  ich,  sehr  wohl  bei  diesem 
Thema  trotz  Voß  ohne  Fächer  auskommen  kön- 
nen, wenn  man  das  nächstliegende  Material  ein- 
mal genauer  kennen  und  über  die  Lebensge- 
schichten der  einzelnen  Kunstwerke,  zumal 
jener,  die  von  ihrem  ursprünglichen  Stand-  und 
Lntstehungsorte  in  Galerien  und  Museen  ge- 
wandert sind,  zuverlässiger  unterrichtet  sein 
wird.  Aber  nicht  allein  die  Werke  wird  man  zu 
sich  sprechen  lassen  dürfen,  sondern,  wenn  ir- 
gend tunlich,  auch  die  schriftlichen  Urkunden. 
So  läßt  sich  z.  B.  um  das  Jahr  1530  ein  Meister 
Wolfgang  als  Maler  in  Stein  an  der  Donau 
urkundlich  nachweisen.  Ob  er  mit  Wolf  Huber 
identisch  ist,  erscheint  luir  noch  fraglich,  denn 
dieser  saß  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bis  zu 
seinem  Tode  in  Passau.  Dortwenigstens  starb  er 
Anfang  Juli  1553.'')  Wir  haben  also  der  bisher 
nur  bis  zum  Jahre  15-12  oder  1544  angenom- 
menen Tätigkeit  des  Altdorfer  zunächststehen- 
den >.'Donaumalers'<  noch  mehr  als  zehn  Jahre 
zuzulegen.  Und  deshalb  heißt  es  noch  rege 
Ausschau  nach  weiteren  Werken  seiner  Hand 
lialten- 

^)  D.  Hans  Renn  in  Stift  Klosterneuburg  bestätigt 
durch  neuerliche  Untersuchung  meine  Vermutung,  daß 
der  untere  Teil  der  Tafel,  also  wohl  die  Legende,  ab- 
gesägt worden  ist.  Über  die  Provenienz  des  Gemäldes 
ließ  sich  nichts  ermitteln. 

5)  Auf  dieses  interessante  Votivgemälde  haben  zu- 
erst J.  Heider  und  J.  V.  Häufler  im  Archiv  für  Kunde 
österreichischer  Geschichtsquellen  III  (1850),  2.  Band 
S.  1 5 1,  hingewiesen.    Stiaßny  a.  a.  O.,  S.  426. 

')  Über  dieses  bisher  unbekannte  Todesdatura  Hubers 
s.  meine  Notiz  in  den  Monatsheften  für  Kunstwissen- 
schaft I,  Heft  12. 


8s 


KARL  SCHADP: 
«.     STURM     <a 


86 


'Sm  KARL  SCHADE  iW2 


KARL  SCHADE 

\'on  ED.  HAAS 

Alle  wahrhaft  bedeutenden  Geister  haben  ihre 
Mission  zu  erfiillen  und  erfüllen  sie  in  der 
Tat  frülier  oder  später.  Das  Genie  und  das 
Talent  sind  keine  Zufälligkeiten  im  Reiche  der 
die  Menschheit  fordernden  Kräfte,  sie  haben 
einen  Grund,  zu  sein,  und  können  daher  nie 
im  Dunkel  begraben  bleiben,  denn  wenn  die 
Menge  nicht  zu  ihnen  kommt,  so  wissen  sie 
zur  IVIenge  zu  kommen.  Das  Genie  gleicht 
der  Sonne:  sie  wird  von  aller  Welt  bemerkt 
—  das  Talent  dem  Diamanten,  der  lange  ver- 
borgen bleiben  kann,  am  linde  aber  doch 
immer  von   jemand  entdeckt  wird. 

So  Henry  Murger  in  der  Einleitung  zu  sei- 
nem bekannten  Buche  Die  Boheme«.  la, 
und  warum  bleibt  denn  so  mancher  Diamant 
oft  lange  verborgen.'    Weil    er   nach   Mürber 


KARL  SCH.\DE 


Z,i   Kcl:nst.-hciuici„  Artikel 


zur  Klasse  der  unbekannten  Boheme  gehört, 
zu  der  groi.V-n  Familie  armer  Künstler,  die  vom 
Verhängnis  zum  Inkognito  verdammt  sind,  weil 
sie  nicht  in  die  Oflentlichkeit  zu  dringen  ver- 
mögen, um  ihre  lixistenz  in  der  Kunst  zu  be- 
kunden und  durch  das,  was  sie  bereits  sind, 
zu  zeigen,  was  sie  dereinst  werden  könnten. 
Es  ist  dies  das  Geschlecht  der  hartnäckigen 
Träumer,  für  welche  die  Kunst  Herzenssache, 
kein  Handwerk  ist,  Enthusiasten,  Idealisten.  .  . 
Zu  dieser  Klasse  von  Künstlern  gehörtauch 
Karl  Schade.  46  Jahre  ist  der  Mann  nun 
alt,  und  doch  sind  wir  kaum  je  in  einer  Kunst- 
zeitschrift oder  im  Schaufenster  einer  Kunst- 
handlung einer  Reproduktion  seiner  Werke 
begegnet.  Freilich,  wer  so  manchen  Salon  vor- 
nehmer, besonders  österreichischer  Familien, 
selbst  bis  in  Fürstenkreise  betreten  könnte, 
würde  da  zu  seinem  Erstaunen  nicht  wenige 
Schades  finden.  Das  ist  nun  einmal  so  seine 
Art;  um  alles  in  der  Welt  kein  Auf- 
hebens, keinen  Tamtam.  Hübsch 
bescheiden  in  einem  stillen,  trau- 
lichen Winkel,  und  Meister  Schade 
ist's  zufrieden.  Wie  mancher  ge- 
schäftseifriger, wohlmeinender 
Verleger  mußte  da  wieder  unver- 
richteter  Dinge  abziehen  —  nichts 
zu  machen,  Freund  Schade  gibt 
nichts  heraus.  Für  Dreifarben- 
drucke und  dergleichen  ist  er  nicht 
zu  haben.  Einem  Einsiedler  gleich 
\ergräbt  er  sich  in  irgend  einem 
gottverlassenen  Nest,  das  aber 
nicht  Burghausen,  Dachau  oder 
Worpswede  heißt;  am  liebsten 
wäre  ihm  überhaupt  ein  namen- 
loses. Da  sitzt  er  denn  jahrelang 
und  malt  und  malt  —  Natur,  nichts 
als  Natur.  Die  schönsten  Fleck- 
chen Erde  nimmt  er  auf  seiner 
Leinwand  mit;  freilich  nicht  den 
Golf  von  Neapel,  nicht  Venedig 
oder  Ragusa,  nicht  einmal  ein 
Stückchen  Alpen  weit  —  nur  einen 
simplen  Hohlweg,  dessen  schnee- 
bepolsterte  steile  Hänge  schüch- 
tern das  zarte,  weiche  Mondlicht 
streift,  einen  mit  Neuschnee  be- 
deckten Hügelrücken,  hinter  dem 
ein  kleines,  liebes  Bauernhäus- 
chen vorwitzig  seinen  weißen 
Dachgiebel  hervorstreckt,  in  der 
oH'enbaren  Absicht,  nach  dem 
eben  anbrechenden  Tag  auszu- 
schauen, der  in  seinem  schillern- 
den Morgenduft  so  schön  zu  wer- 
den verspricht.  Blühende  Kirsch- 


ZWIELICHT 


©S§<;  KARL  SCHADE  »^33 


87 


KARL  SCHADi; 


BLICK  IM  DIE  AU 


bäume  malt  Schade,  Kirschbäume,  die  ihr 
schneeiges  Weiß  verschwenderisch,  wie  Frau 
Holle,  über  ein  strohbedachtes  Bauernliüttclien 
ausschütteln;  grünende  Kornfelder,  die  sich 
im  linden  Maien  winde  wiegen;  weite  Aus- 
blicke ins  erntegesegnete  Tal;  düstere,  ge- 
witterschwangere, graue  Regenwolken;  ein 
einsames,  weltabgelegenes  Heim  im  stillen 
Abendfrieden  —  einen  vergessenen  Gottes- 
acker mit  eingeschneiten  Kreuzen.  Das  sind 
freilich  keine  Ausstellungsbildcr.    Oder  doch? 

Als  Schade  vor  zwei  Jahren  zum  erstenmale 
in  der  Wiener  Secession  eines  seiner  sciilichtcn 
innigen  Landschaftsbilder  ausstellte,  da  war  ge- 
rade dieses  eines  von  den  wenigen,  die  eine  an- 
gesehene deutsche  Kunstzeitschritt  von  dieser 
Secessionsausstellung  reproduzierte.  Sobald  er 
sich  einmal  öffentlich  gezeigt,  hatte  er  aucii 
schon  seine  Anhänger  und  Verehrer. 

Karl  Schade  läßt  sich  nicht  so  leicht  rubri- 
zieren, als  Mensch  und  als  Künstler  nicht; 
das  mag  in  seinem  ganzen  Wesen,  in  seiner 
Entwicklung  liegen.  Von  Jugend  an  ist  er 
einer  von  den  Hinsamen ,  Stillverschwiege- 
nen   geworden,    die    ihre    eigenen    schmalen 


Pl'ade  gehen.  Im  Böhmerhind  zu  Rokvkau, 
erblickte  Karl  Schade  im  Jahr  1862  als  Erst- 
geborener deutsch-böhmischer  Eltern  das  Licht 
der  Welt.  Drei  Geschwister  folgten  ihm  noch 
nach.  Der  Vater,  ein  kleiner  Bauunterneh- 
mer beim  Eisenbahnwesen,  der  unfreiwillig 
das  reinste  Nomadenleben  führen  mußte,  starb 
bald,  so  wollte  es  nun  einmal  das  Schicksal. 
Der  kleine  Karl,  der  um  .sein  Leben  gerne 
Maler  geworden  wäre,  auch  schon  bei  einem 
Volksschullehrer  und  später  in  der  Bürger- 
schule zu  Ealkenau  zeichnen  durfte,  sollte  sich 
nicht  lange  dieses  Glückes  erfreuen.  Frau 
Sorge  klopfte  an  die  Türe.  Der  lü-stgeborene 
braciite  der  Mutter  ein  Opfer,  er  wurde  Kadett 
in  Prag.  Doch,  Mutteraugen  sind  nicht  blind. 
Bald  finden  wir  den  opferfreudigen  Jüngling 
an  der  höheren  Staatsgewerbeschule  in  Pilsen, 
wohin  ihn  Mütterchen  geschickt.  \'ier  Ge- 
schwister, eine  kranke  Mutter.  Schade  wird 
Unterlehrer  an  einer  Volksschule.  Den  küm- 
merlichen Nebenerwerb  legt  Mütterchen  für- 
sorglich aul  die  Seite,  wer  weiß,  vielleicht 
glückt  es  ihm  doch,  er  malt  ja  in  seinen 
Mußestunden   schon   so  tüchtig.    Und  richtig, 


88 


©^  KARL  SCHADE  —  GRABDENKMAL  S^G> 


K.  AKLKBEUG 


bl.l'AIL  \UX   HIXEK  GKAEI'LAIIE 


Schade  wird  Schüler  der  Wiener  Kunstgewer- 
beschule bei  Wasser  und  Brot  und  einer  gei- 
stigen Kost  unter  Minningerode,  die  dieser 
last  gleichkommt.  Endlich  winkt  die  Aka- 
demie. Der  Nebenerwerb  reicht  knapp  auch 
für  Mutter  und  Brüder.  Da,  eine  unselige  Rip- 
penfellentzündung. Kaum  unter  liebevoller 
mütterlicher  Pflege  im  Erzgebirge  genesen,  wird 
Schade  zur  Fahne  einberufen.  Was  half  alles 
Flehen  der  Mutter  —  der  Erlöser  Tod  erbarmte 
sich  ihrer.  Schade,  der  Unbeugsame,  nahm 
seine  Studien  wieder  auf.  Bald  ging  er  von 
der  Akademie  hinweg  wieder  hinaus  in  seine 
geliebte,  menschentremde,  leine  Natur,  in  der 
er  als  Knabe  schon  viele  Stunden  einsam  ge- 
weilt. Er  wurde  sein  eigener  Lehrmeister  in 
jeglicher  Beziehung.  Selbst  auf  farbenchenii- 
schem  Gebiete  betätigte  er  sich  fortwahrend 
als  technischer  Experimentator.  Nicht  allein, 
daß  er  so  seinen  Bildern  die  denkbar  möglichste 
Dauer  und  den  stärksten  Widerstand  gegen 
alle  atmosphärischen  Einflüsse  sichern  wollte  — 
sie  entstehen  alle  nicht  in  temperierter  Atelier- 
luftunterneutralemNordlicht,  sondern  draußen 
in  derNaturbei  heißem, sommerlichemSonnen- 
brand  oder  auch  gar  in  bitterkalter,  mondschein- 
heller Winternacht  —  seinen  Werken  wohnt 
eine  außerordentliche  Brillanz  des  Kolorits, 
eine  sieghafte,  doch  keineswegs  aufdringliche, 
sondern  vielmehr  einnehmend  ruhig  wirkende 
Leuchtkraft  inne.  Äußerste  Individualität 
steckt  in  all  seinen  Werken. 

Kann  man  da  nicht  auch  von  einer  *un- 
bekannten  Boheme«  reden?  Anstatt  sich  der 
weiten  Welt,  die  in  unserem  mit  Surrogaten 
überfütterten  Zeitalter  förmlich  nach  echter, 
wahrer  Kunst  lechzt,  zu  offenbaren,  vergräbt 
sich  der  Mann  in  seine  Einsamkeit  und  tut, 
als  ob  die  Welt  nicht  existiere.  Seine  Werke, 
die  gleichsam  mit  seinem  Herzblut  geschrie- 
ben wie  Ozon  in  unserer  dicken  Stadtluft 
wirken,  wie  Frühlingsduft,  der  durchs  offene 


Fenster  im  Maienmorgen  ins  Zimmer  streicht, 
verdienten  es,  mehr  an  die  Öffentlichkeit  zu 
kommen.  Am  Ende  wird  das  Talent  doch  im- 
mer von  jemand  entdeckt,  meint  Murger  zum 
Tröste  aller  verborgenen  Veilchen.  Nun,  der 
Entdeckung  braucht,  wie  wir  ja  gesehen,  Karl 
Schade  nicht  mehr  zu  harren,  das  Liciit  brennt 
schon  lange,  man  muß  es  nur  auf  den  Scheffel 
stellen,  damit  es  die  Leute  auch  sehen,  und 
sehen  sie's  erst  einmal,  dann  werden  sie's  auch 
nicht  erlöschen  lassen.  Und  ist  erst  das  erreicht, 
dann  sind  diese  Zeilen  doch  nicht  umsonst 
geschrieben   (Abb.  S.  85  —  87). 

GRABDENKMAL 

Am  6.  August  1906  starb  Ihre  Kgl.  Hoheit 
die  Prinzessin  Mathilde  von  Bayern,  Ge- 
mahlin des  Prinzen  Ludwig  von  Sachsen-Ko- 
burg,  im  Alter  von  28  Jahren,  allgemein  innig 
betrauert.  Auf  ihren  Wunsch  fand  die  hohe 
Frau  ihre  letzte  Ruhestätte  in  dem  trauten  und 
reizvoll  gelegenen  Kirchlein  zu  Rieden  bei 
Leutstetten,  unfern  Starnberg.  Ihr  Leib  harrt 
vor  dem  Altare,  vor  dem  sie  oft  in  Andacht 
gekniet,   der  seligen  Auferstehung  entgegen. 

Dort  erhielt  sie  nun  ein  Grabdenkmal,  das 
ebenso  sinnig  wie  würdigund  ergreiiendist.  Auf 
der  schlichten  Grabplatte,  die  sich  nur  wenig 
über  den  Boden  der  Kirche  erhebt,  ruht  die 
Gestalt  der  Entschlafenen,  in  feierlich  ernster 
Lage,  in  schlichte  Gewänder  gehüllt.  Zu 
Häupten  der  Prinzessin  sitzen  zwei  trauernde 
Putten,  die  einen  Kranz  halten,  eine  rührende 
Anspielung  auf  ihre  beiden  Kinder,  die  sie  im 
Tod  verlassen  mußte.  Über  dem  Antlitz  ist 
heiliger  Friede  ausgegossen.  Am  Kopf-  und 
Fußende  befinden  sich  Tafeln  mit  kurzen  In- 
schriften (Abb.  S.  88  und  89). 

Das  vornehme  Denkmalist  ein  Werk  des  Bild- 
hauers K.  Akerberg,  der  an  der  Akademie  zu 
München  als  Assistent  Prof.  Hildebrands  wirkt. 
Es  ist  in  Untersberger  Marmor  ausgeführt. 


Die  christliche  Kui 


90 


S?^  WEIHEGABE  FÜR  DIE  DORMITIONSKIRCHE  m<S> 


WEIHEGABE  FÜR  DIE  DORMI- 
TIONSKIRCHE IN  JERUSALEM 

Die  »Ausstellung  München  1908«  ist  ge- 
schlossen. Unter  vielen  erfreulichen  Ein- 
drücken derselben  wird  stets  die  Erinnerung 
an  die  dort  geschauten  Erzeugnisse  der  Gold- 
schmiede- und  Metallkunst  einer  der  erh-eu- 
lichsten  sein.  Gerade  in  kirchlichem  Kunst- 
gerät war  ja  ebenso  Originelles  wie  Gedie- 
genes in  ziemlich  reicher  Auswahl  zu  sehen. 
Hier  ist  ein  ganz  allgemeiner  Fortschritt  in 
Geschmack  und  Technik  gar  nicht  zu  ver- 
kennen. Diese  Zeitschrift  wird  sich  denn 
auch  näher  damit  befassen. 

Heute  möchten  wir  nur  das  herrliche  Weihe- 
geschenk der  Genossenschaft  katholischer  Edel- 
leute  in  Bayern  hervorheben,  das  aus  der  Hand 
Fritz  von  Millers,  eines  Altmeisters  der 
Goldschmiedekunst  Münchens,  hervorging. 

Das  Geschenk  ist  bestimmt  für  die  Dor- 
mitionskirche  in  Jerusalem,  welche  sich  aut 
dem  Grundstücke  erhebt,  das  von  einer  alt- 
ehrwürdigen Legende  als  Begräbnisplatz  Ma- 
riens  bezeichnet  wird  (Dormitio  S.  Mariae)  und 
dessen  Besitz  die  deutschen  Katholiken  einem 
hochherzigen  Akte  des  Deutschen  Kaisers  ver- 
danken. 

Nach  den  Planen  des  Architekten  Renard 
erbaut,  ist  diese  Marienkirche,  ähnlicli  der 
Aachener  oktogonalen  Pfalzkapelle  Karls  des 
Großen,  nun  dem  Abschluß  nahe. 

Zu  ihrem  Schmucke  spendete  auch  die  Ge- 
nossenschaft katholischer  Edelleute  in  Bayern 
eine  Votivgabe.  Dieselbe  ist  nach  den  Verein- 
barungen zwischen  den  Bestellern,  Herrn  Ar- 
chitekten Renard  und  Professor  Fritz  von 
Miller,  gedacht  als  Lichtträger  und  Votiv- 
tafel  zum  Schmuck  des  romanischen  Eingangs- 
bogens  von  dem  Hauptraum  in  die  erste ')  der 
sieben  Kapellen,  welche  mit  dem  Chore  das 
Oktogon  umgeben. 

Renard  hatte  bei  seinem  Bau  versucht, 
-deutsche  Motive  mit  den  orientalischen  Eigen- 
tümlichkeiten zu  verbinden  .  .  .«,  wenn  auch 
der  Bau  im  ganzen  romanische  Formen  tra- 
gen sollte.  In  diesem  Sinn  ist  auch  der  Stil  des 
originell    gedachten  Lichtträgers  empfunden. 

Die  Grundfigur  des  frontalen  Lichtträgers 
ist  ein  breites  Balkendreieck,  von  einem  zur 
Grundseite  parallelen  Balken  überhöht.  Die 
Mitte  des  Dreiecks  ist  von  einem  Tatzenkreuz 
ausgefüllt.  Die  breiten  Balken  dienen  zur 
Aufnahme  von   60  Wappen  von  Familien   des 

')  Diese  erste  Kapelle  wird  auf  Anregung  des  hoch- 
seligen Bischofs  von  Eichstätt,  Freiherrn  von  Leonrod, 
dem  hl.  Willibald  geweiht  sein,  als  dem  ersten  deut- 
schen Bischöfe,  welcher  ins  heilige  Land  gewallfahrtet. 


katholischen  Adels.  Diese  sind  in  köstlichem 
Email  auf  Feinsilber  hergestellt.  Die  Zwi- 
schenräume und  Ecken  der  Flächen  sind  mit 
Bronzereliefs  von  Tauben,  geflügelten  Löwen, 
Adlern  und  Greifen,  reichglänzenden  Halb- 
edelsteinen und  Kristallen,  und  feinen  stets 
wechselnden  Filigranornamenten  in  natür- 
lichem Kupfer  ausgefüllt.  Die  sämtlichen 
Wappen  sind  im  K.  Reichsheroldsamte  revidiert 
und  nach  Entwürfen  von  Professor  Hupp  aus- 
geführt. 

Krabben  und  Kristallknäufe  zieren  den  Drei- 
eckgiebel. Unten  hängen  in  kräftig  geschmie- 
deten Metalh'ingen  sieben  etwas  größere 
Wappen,  jene  der  Vorstandschaft  nach  dem 
Stande  von  1906.')  Zwischen  letzteren  sehen  wir 


')  Die  Wappen  und  die  rückseitig  entsprechenden 
Inschriften  sind  mit  .\usnahme  des  ersten  lediglich  nach 
künstlerischen  Rücksichten  angeordnet,  aus  demselben 
Grunde  erscheinen  zumeist  die  Urwappen. 

Das  Schema  der  Verteilung  ist  folgendes : 


I.  Dr.  Franz  Leopold  Freiherr  von  Leonrod,  Bischof 
von  Eichstätt.  —  2.  Emmerich  und  Ma.K  Grafen  von  Arco- 
Vallev.  —  3.  Ferdinand,  Joseph,  Max  und  Nikolaus  Grafen 
Arco-Zinneberg.  — 4.  Eckart  und  Hermann  Freiherren  von 
von  und  zu  Aufseß.  —  5.  Philipp  Prinz  und  Herzog 
zu  Arenberg.  —  6.  Anton,  Dr.  Heinrich,  Karl  1  und 
Karl  II  Freiherren  von  Aretin.  —  7.  Klemens  Freiherr 
von  Thünefeld.  —  8.  Friedrich  Balduin  und  Friedrich 
Freiherren  von  Gagern.  —  9-  Hans  Karl  und  Moriz 
Freiherren  von  und  zu  Franckenstein.  —  10.  Joseph 
und  Robert  Grafen  von  Deym,   Freiherren  von  Stfitei. 

—  II.  Maximilian   und  Wilhelm  Freiherren  von  Getto. 

—  12.  Albert,  Konrad,  Richard,  Warniund  Grafen  von 
Preysing-Lichtenegg-Moos  (Kronwinkel)-  —  13.  Max  Frei- 
herr von  Pfetten-Raraspau.  —  14.  Max  Graf  von  Preysing- 
Lichtenegg  (Schlachtegg).  —  15.  Karl  Freiherr  von  Frey- 
bergletzendorf  —  16.  Georg  Graf  Fugger  zu  Kirchberg 
und  von  Weißenhorn.  —   17.  Max  Freiherr  von  Krämer. 

—  18.  Dr.  Karl  August  Graf  von  Drechsel  auf  Deufstetten. 

—  19.  Max  Emanuel  und  Wilhelm  Grafen  von  Preysing- 
Lichtenegg-Moos  (Moos).  —  20.  Sigmund  Freiherr  von 
Pfetten-Arnbach.  —  21.  Bertram  Fürst  von  duadt  zu 
Wvkradt  undlsny.  —  22.  Emanuel,  Rudolph  und  Theodor 
Grafen  von  Basseiet  de  La  Rosee.  —  25.  Dr.  Georg  und 
Karl  Freiherren  von  Hertling.  —  24.  Dietrich  Freiherr  von 
Laßberg.  —  25.  Robert  Freiherr  von  Gumppenberg- 
Peuerbach.  — •  26.  Hans  Georg  Freiherr  von  Gumppen- 
berg-Pöttmes- Oberbrennberg.  —  2.7.  Alfons  Graf  von 
Mirbach- Geldern -Egmont.  —  28.  Dr.  Max,  Karl  Alfred 
und  Joseph   Maria   Freiherren   von    Soden -Fraunhofen. 


f5^  WEIHEGABE  FÜR  DIE  DORMITIOXSKIRCHE 


FKllY  VON   MlLLtK 
Wi-ilifg,tif  für  dit  Dormitioinkirchc  in  Jt,- 


Text  S.  go 


Gehänge,  welche  an  den  Schmuck  byzanti- 
nischer Kronen  erinnern.  Der  obere  Balisen 
trägt  die  sechs  vollmodellierten,  je  paarweise 
variierten  icurzen  Leuchter.  Das  Ganze  bildet 
so  den  glänzenden  Rahmen  für  das  wiederum 

—  29.  Arthur  und  Friedricli  Karl  Grafen  von  Schönborn- 
Wiesentheid.  —  50,  Ludwig,  Hugo,  Otto,  Ma.\  Grafen 
von  Lerchenleid- Köfering.  —  31.  Erwein  Fürst  von  der 
Leyen  und  zu  Hohcngeroldseck.  —  32.  Kepomuk  Freiherr 
von  Imhof.  —  33.  Otto  Freiherr  von  Hirschberg.  — 
34.  Max  und  Dr.  Oskar  Freiherren  Lochner  von  Hütten- 
bach. —  3  5- Alfred  Freiherr  von  I-revbcrg-Haldcnwang. 

—  36  Karl  Krnst  Graf  Fugger  von  Glö'tt.  —  57.  l'erdinand 
Graf  von  Hompesch.  —  5,S.  Ferdinand  Freiherr  von 
Schrottenberg.  —  3g.  Konrad  Freiherr  Malsen  von  Til- 
borch.  —  40.  Karl  Theodor  Graf  von  und  zu  Sandizell. 

—  4  I.  Dr  Heinrich  und  Ferdinand  Freiherren  von  Papius. 

—  .(2.  Albrecht  Fürst  zu  Oettingen- Spielberg.  —  43.  Karl 
Fürst  zu  Oettingen-Wallerstein.  —  4.1.  Eduard  deGarnerin 
Graf  von  .Montgchis.  —  45.  Alexander  und  Dr.  Ferdinand 
Freiherren  von  Moreau.  —  46.  Dr.  Sigmund  Felix  Frei- 
herr von  0\v- Felldorf,  Bischof  von  Passau  und  Anton 
Freiherr  von  Ow- Felldorf.  —  47.  Stephan  Freiherr 
Gnessenbeck  von  Griessenbach.  —  48  Heimann  Freiherr 
Reichlin  von  Meldegg.  —  49.  Friedrich  Freiherr  von  Bodeck- 


reich  mit  Steinen  und  Kristallkugeln  ge- 
schmückte Kreuz,  auf  dessen  Mitte  sich  ein 
hoheitvolles  Madonnenrelief  betindct. 

Es  ist  das  Motiv  der  Patrona  Bavariae,  der 

Schirmherrin  der  Genossenschaft:  Maria  auf 

Ellgau.  —  50.  Max  Freiherr  Taenzl  von  'Frazberg.  — 
5 1 .  Albrecht  und  Karl  Grafen  von  Seinsheim-Sünchitig.  — 
S_2.  Bernhard  Graf  von  Spreti-Hohen-Pachl,  Karl  Graf  von 
Spreti-Weilbach,  Theodor  und  Adolph  (trafen  von  Spreti- 
Kapfing.-  53.  Adolph  Graf  von  Walderdorff.  —  54.0110 
Graf  von  Rechberg  und  Rothenlöwen  (Donzdorf  1,  Ernst 
und  Bernhard  Bero  Grafen  von  Rechberg  und  Rothen- 
löwen (Ellkofen).  —  55.  Hugo,  Dr.  Franz,  Leopold  und 
W'ilderich  Leopold  Grafen  von  Walderdorff.  —  56.  Hugo 
Graf  von  OberndorlT.  —  57.  Richard  und  Theod'er 
Freiherren  von  N'equel-Westernach.  —  58.  Ludwig  Frei- 
herr von  ZuRhein.  —  59.  Wilhelm  Fürst  von  W.aldburg- 
Zeil-Trauchburg.  —  60.  Erhard  Freiherr  von  Perfall. 

Die  Tniger  der  sieben  Wappen  des  Vorstandes  sind  : 
I .  Hans  Karl  Freiherr  von  und  zu  Franckenstein.  —  2.  Ema- 
nuel  Graf  Basselct  de  La  Rosee.  —  3.  Sigmund  Freiherr 
von  Pfeilen -.Vrnbach.  —  4.  Ludwig  Graf  von  Lerchenfeld- 
Köfering.  —  5.  Dr.  Georg  Freiherr  von  Heriling.  — 
6.  Dr.  Max  Freiherr  von  Soden  -  Fraunhofen.  —  7.  Dr.  Hein- 
rich Freiherr  von  Aretin. 


92 


CJ^  WEIHEGABE  FÜR  DIE  DORMITIONSKIRCHE  J^ö 


PAUL  SIEGWART  (AARAU) 


KIRCHE  U.   PFARRHAUS  IN   MEKZII' 
HiiJit.      Text  S.  gs 


der  Mondsicliel  hält  das  segnende  jesuskind- 
lein im  Schöße.  In  den  Winkeln  am  oberen 
Kreuzbalken  sind  noch  zwei  Engel,  darüber 
die  Schrift  »Ave  Maria«   angebracht. 

Das  Werk  ist  mit  unendlicher  Liebe  für 
die  kleinste  Einzelnheit  ausgedacht  und  aus- 
geführt. Der  Reiz  des  wechselnden  Metalls, 
der  bunten  Pracht  der  Steine  und  der  leuch- 
tend emaillierten  Wappen,  wie  das  alles  sich 
vom  goldschimmernden  Grunde  abhebt,  ist 
ganz  eigenartig.  Besonders  fein  ist  aber  die 
Einordnung  dieser  vielen  Details  in  den  Raum, 
so  daß  dies  vielgliedrige  Ganze  sich  einheit- 
lich zusammenschließt.  Einzelnheiten  wie  die 
Eckfiguren  sind  meisterhaft. 

•,  Es  ist  ein  herrliches  Werk,  dessen  satter 
Prunk  durch  die  strenge  Stilführung  und 
Komposition  zu  feierlichem  Ernst  erhoben 
wird. « 

Unsere  Abbildung  gibt  anschaulich  diese 
Pracht  wieder  —  freilich  der  besondere  Reiz 
der  Farbe    kann   hier  kaum   geahnt  werden. 

Die  Höhe  des  Lichtträgers  bis  zu  dem  Kri- 
stallknauf ist  I  m,  die  größte  Breite   1,25  m. 

An  Steinen  sind  angebracht:  Opale  und 
Opaline,  Lapis,  Mondstein,  Türkisen,  Topas, 
Turmalin,  ChrysocoU,  Amethyst  usw.,  über 
70  Stücke  von  ansehnlicher  Größe. 

Die  Kugeln  sind  Bergkristall;  sämtliche 
Wappen  Feinsilber  (350ogr.,  ohne  jede  Kupfer- 
legierung). Das  Gesamtgewicht  des  Lüsters 
ist  ca.  150  Pfd. 


Die  Rückseite  zeigt  entsprechend  den 
Schilden  die  Namen  der  einzelnen  betei- 
ligten Adeligen,  und  auf  dem  Kreuze  die 
eigentliche  Weiheinschrift:  Von  der  Ge- 
nossenschaft katholischer  Edelleute  in 
Bayern  in  andächtiger  Verehrung  der 
allerseligsten  Jungfrau  und  Gottesmutter 
Maria  als  Weihegabe  in  die  Sionskirche 
zu  Jerusalem  gestiftet  1906. 

An  der  Kante  des  Kreuzes  steht :  Fritz 
von  Miller  fec.  1906 — 8. 

Das  Werk  steht  so  vor  uns  als  ein 
Bekenntnis  gläubiger  Gesinnung,  ein 
edles  Kunstwerk,  eine  feudale  Weihe- 
gabe, deren  Vollendung  wohl  allen  Be- 
teiligten nicht  nur  eine  stolze  Befriedi- 
gung, sondern  vor  allem  eine  fromme 
Stiftung  zur  Erinnerung  später  Gene- 
rationen bedeutet. 

Nichts  kann  reich  und  vornehm  ge- 
nug erscheinen   als   Weihegabe   an   so 
heiligem  Orte ! 
;j.j^  Mögen  an   der  Stätte    des   Hinschei- 

dens  Maria  noch  späte  Enkel  an  die 
treue  Gesinnung  ihrer  Vorfahren  er- 
innert werden!  Möge  manch  ein  Pilger 
dort  sich  erfreuen  an  einer  sinnigen  Bekun- 
dung der  Pietät  deutscher  Männer  und  an 
einem  würdigen  Erzeugnis  deutschen  Kunst- 
fleißes! 

Eichstitt,  Allerheiligen  1908.       Dr.  Oscar  Freih.  Lochner  von  Hüiienbach 


PAUL  SIEGWART  KIRCHE  IN  MENZIKEN 

l  'orhalle  tnii  Dachgiebel 


©^  KIRCHE  IN  REIXACHMENZIKEN  ^^ö 


93 


PAUL  SIEGWART  (AARAU) 


INNERES  DER  KIRCHE  IN   KElNACH-MENilKEN 
■  Lfttch,   Zürich.     Text  unten 


M- 


KIRCHE  UND  PFARRHAUS  IN 
REINACH-MENZIKEN 

Erbaut  von  Paul  Siegwart  in  Aarau 
(Hierzu  die  Abb.  S.  92 — 96) 

[it  Rücksicht  auf  das  stete  Anwachsen  der 
römisch-katholischen  GenossensciiaftRein- 
ach-Menziken  im  Kanton  Aargau  (Schweiz) 
ward  dieselbe  genötigt,  für  eigene  Kultgebäude 
zu  sorgen  und  beschloß  daher  den  Bau  einer 
kleinen  Diasporakirche  mit  200  Sitzplätzen  in 
Verbindung  mit  einem  kleinen  Pfarrhaus.  Der 
Bauplatz,  ein  Feldstreifen  von  Norden  nach 
Süden  verlaufend  ca.  32  m  breit,  war  zum 
Bau  geschenkt  worden.  Die  Mittel  zum  Bau 
waren  bei  Baubeginn  nur  teilweise  vorhanden, 
und  war  höchste  Sparsamkeit  bei  der  Aus- 
führung deshalb  sehr  geboten. 

Um  Kirche  und  Pfarrhaus  dem  Landschafts- 
bild und  der  Umgebung  einzufügen,  lehnte 
sich  der  Künstler,  Architekt  Paul  Siegwart  in 
Aarau,  an  die  bodenständige  Bauart  der  aargau- 
ischen Bürgerhäuser  an,  die  in  der  ganzen 
Gegend  zum  Glück  noch  zahlreich  vorhanden 
sind.  Die  großen  Dachvorsprünge  mit  kräf- 
tiger Bemalung  verlangte  das  Bauwerk  infolge 


seiner  exponierten  Lage  an  einem  Berghang 
zum  bessern  Schutz  des  Wandverputzes.  Als 
Motiv  zur  Bemalung  der  Dach  vorsprünge  diente 
ein  Flechtenornament  mit  blauen  dazwischen 
gesteckten  Kornblumen. 

Durch  eine  kleine  \'orhalle  gelangt  man 
ins  Kircheninnere,  die  Kirchtüre  erhielt  ge- 
schmiedete Zierbänder,  Weinlaub  mit  Rebe, 
bunt  bemalt.  Das  Kirchenschiff,  ein  Rechteck 
von  10  mX  16,30m  ist  nach  oben  durch  ein 
flachesTon  nenge  wölbe  ausHolz  abgeschlossen. 
An  das  Schiff  schließt  nach  Südosten  das  Chör- 
lein an,  das  mit  einem  halben  Zehneck  en- 
digt. Der  Chor  als  Hauptrauni  erhielt  natur- 
gemäß die  reichste  Ausstattung.  Das  Chor- 
gewölbe ziert  ein  naturalistisch  gehaltenes 
Rosenmotiv,  das  gleiche  Motiv  findet  sich 
auf  dem  Sockel,  als  Kübelpflanze  gedacht, 
wieder,  Blattgirlanden  verbinden  die  einzel- 
nen Blumentöpfe.  Durch  drei  Figuren fenster 
fällt  reiches  Licht  in  den  Chor;  die  Fenster 
stellen  dar  den  Englischen  Gruß,  St.  Joseph 
mit  demjesusknaben  und  die  heilige  Elisabeth. 

Die  Holzdecke  im  Schiff  wird  durch  breite 
Gurten  in  acht  Felder  geteilt.  Die  Gurten 
und  Deckleisten   sind  reich  mit  Schablonen- 


94 


©^  KIRCHE  IN  REINACHMENZIKEN  J^a 


Ornamenten  geschmückt.  An  den  Kreuzungs- 
punkten der  Gurten  sind  Darstellungen  aus 
der  Lauretanischen  Litanei,  als  Arche  des  Bun- 
des, Himmelsplbrte,  Goldenes  Haus,  Geist- 
liches Gefäß  der  Andacht  und  Morgenstern. 
Die  Hauptgurten  zeigen  symbolischen  Pflanzen- 
schmuck, als  Rose,  Eiche,  Distel  oderPalme,  und 
Weinrehe.  DerGrundton  derHolzdeckeistblau- 
grau,  die  Struktur  des  Holzes  sichtbar  lassend. 

Die  Altäre  und  die  Kanzel  sind  aus  gelb- 
lichem Savonierstein  erstellt,  mit  Ausnahme 
der  massiven  Altar-  und  Kanzelstufen.  Die 
Tabernakeltüre  ist  Bronzeguß  vergoldet  und 
zeigt  ein  Relief  Christus  am  Kreuze  mit  Maria 
und  Johannes.  Die  Leuchterbank  und  das 
Innere  ziert  ein  Ähren-  und  Traubenornament. 
Bei  samtlichen  Ornamenten  sind  entweder  ein- 
zelne Punkte  wie  Beeren,  Überschlage  der 
Rosen,  Nimbus  u,  dgl.  vergoldet,  oder  aber 
der  Grund  mit  gelbem   Ocker  angelegt. 

Die  drei  Altargemälde  stellen  dar  St.  Martin, 
St.  Antonius  und  die  Kirchenpatronin  St.  Anna 
mit  Maria. 

Am  Chorstuhl  sind  noch  zu  beachten  der 
geschnitzte  Fries  mit  Pelikan  und  Storch  mit 
Kröte,  ersterer  Sinnbild  der  Kkigheit,  die  Kröte 
der  Unwissenheit  und  des  Lhiojaubens. 


PAUL  SIEGWART 


In  der  Kirche 


PAUL  SIEGWART  |:hl(  .11  !  o  I  l   1  IL 

1,1   der   kn-che  :„   Mnizikeii 

Als  Schmiedearbeit  ist  die  Ewiglichtlampe 
bemerkenswert. 

Bei  Beschaffung  der  Kultgegenstände,  als 
Leuchter,  Monstranz,  Blumen,  Altardecken 
u.  dgl.  wurde  der  Künstler  nicht  befragt,  was 
zur  Folge  hat,  daß  die  angestrebte  Einheit- 
lichkeit in  der  Ausstattung  leider  fehlt. 

Die  Sakristei  befindet  sich  im  unteren  Turm- 
geschoß, im  oberen  ist  der  Paramentenraum, 
zugleich  Läutestube,  vom  ersten  Stock  des  Ptarr- 
hauses  direkt  durch  eine  Türe  zugänglich,  von 
der  Sakristei  durch  eine  besondere  Treppe. 
Der  Sakristan  gelangt  infolge  von  außen  direkt 
in  die  Sakristei  und  von  da  in  die  Läutestube, 
ohne  das  Pfarrhaus  betreten  zu   müssen. 

Im  Pfarrhaus  sind  neben  den  nötigen  Keller- 
raumen  im  Parterre  ein  Unterrichtssaal,  der  bei 
außerordentlichen  Anlassen  wie  Kirchweih,  Fir- 
mung u.  dgl.  als  Sakristeiraum  benutzt  werden 
kann,  ferner  ein  Amtszimmer  für  den  Pfarrer, 
nebstAborten,imerstenStocksind  drei  Zimmer, 
Küche  Speisekammer  und  Abort,  im  Dachstock 
ein  Gastzimmer,  Zimmer  der  Bedienung  nebst 
den  nötigen  Nebenräumen.  Im  Wohnzimmer 
fand  ein  grüner  Kachelofen  mit  schablonier- 


»^  EIN  NEUER  TAUFSTEIN  ^S 


95 


tem  Kachelmuster  Aufstellung.  Kirche,  Turm 
und  Pfarrhaus  sind  mit  Ziegeln  gedeckt,  Orgel 
und  Glocken  fehlen   zurzeit  noch. 

Mit  dem  Bau  wurde  im  Juli  1906  begonnen, 
am  2. September  1 907  fand  die  Einweihung  statt. 

Die  Baukosten  betrugen  exklusive  Land- 
erwerb,  Orgel  und  Geläute  Frs.  92700.  Dage- 
gen sind  in  dieser  Bausumme  die  Altäre,  Alt';ir- 
bilder    und    Umgebungsarbeiten    inbegriften. 

EIN  NEUER  TAUESTEIN 

Im  VIII.  Heft  des  vorigen  Jahrgangs  veröffent- 
*  lichten  wir  auf  S.  73— 81  der  Beil.  dreizehn 
Tautsteinentwürfe,  die  sämtlich 
junge  Künstler,  Studierende  der 
Kgl.  Akademie  zu  München  und 
Mitglieder  des  Albrecht- Dürer- 
Vereins,  zuUrhebern  hatten.  Wir 
berichteten  darüber  auf  S.  81  der 
Beilage.  Heute  können  wir  von 
einer  sehr  erfreulichen  Frucht  des 
besprochenen  Komponierabends 
berichten.  Der  Hochwürdige  Herr 
Kuratus  P.  Pietryga  in  Neustadt 
a.  Dosse  interessierte  sich  für  den 
aut  S.  79  unserer  erwähnten  Pu- 
blikation abgebildeten  Entwurf  des 
Bildhauers  Emil  Jung,  trat  mit 
dem  jungen  Künstler  vertrauens- 
voll in  \'erbindung  und  ließ  den 
Tautstein  tur  die  Herz-Jesu-Kirche 
in  Neustadt  a.  Dosse  ausführen. 
Da  ein  \'ergleich  zwischen  Skizze 
und  Ausführung  immer  seine 
Reize  hat,  so  reproduzieren  wir 
auf  S.  83  nun  auch  den  fertigen 
Taufstein,  zu  dem  wir  den  Auf- 
traggeber wie  den  Künstler  be- 
glückwünschen können. 

In  unserm  Fall  ist  ein  richtiger 
V/eg  eingeschlagen  worden,  auf 
dem  recht  viele  Kirchenvorstände 
folgen  sollten.  Wenn  man  vor 
der  Neuanschaffung  eines  kirch- 
lichen Einrichtungsgegenstandes 
steht,  so  verdient  der  Wunsch, 
schon  Vorhandenes  einzusehen 
und  zu  vergleichen,  gewiß  alle 
Anerkennung.  Dieses  Studium 
von  \'orbildern  soll  jedoch  nicht 
nur  den  Blick  für  alles  früher  ge- 
schaffene Gute  schärfen  und  die 
praktischen  Werte  desselben  in 
Betracht  ziehen,  sondern  auch  das 
Verlangen  nach  einem  wirklichen 
Original  stärken,  das  den  kirch- 
lichen Anforderungen  entspricht, 


aber  auch  künstlerisch  etwas  Gediegenes  und 
Neues  bietet.  Ganz  verfehlt  wäre  es,  wenn  man 
»Vorlagen-x  suchte,  um  sie  unter  Mißach- 
tung des  geistigen  Eigentumsrechtes 
eines  Künstlers,  dessen  Arbeit  als  » Vorlage  x 
dienen  soll,  durch  eine  untergeordnete  Persön- 
lichkeit oder  Firma  nachmachen  zu  lassen. 
Daß  ein  solches  \'erfahren  nicht  kor- 
rekt ist,  müßte  doch  jedermann  ein- 
leuchten; es  ist  übrigens  auch  \-or 
dem  weltlichen  Gesetze  strafbar. 

Man  sehe  sich  um  einen  richtigen 
Künstler  um  und  lasse  sich  in  jedem 
Fall  etwas  Neues  entwerfen.  Jene  aber 


PAUL  SIEGWART  HOCHALTAR  DER  KIRCHE  IN  REINACH-MENZIKEN 

.yfnjfil  und  Ausführung  tvn  Bildhauer  l^uch 


96 


©^  DER  MINIATURMAI.RR  ms> 


PAUL  SIEGWART 


jl/il   iramll'ciiuil  I 


CHORSTUIIL  IN  DER  KIRCHE  ZU  MENZIKEN 
;///,  /.      fcxt  S.  q4 


halte  man  vom  Gotteshaus  fern,  die 
nicht  selbst  denken  und  schaffen  kön- 
nen oder  gar  sich  bewußt  von  der  künst- 
lerischen Arbeit  anderer  bereichern 
wollen.  Nur  auf  diese  Weise  kann  die 
christliche  Kunst  aus  ihrer  mil.iliclien 
Lage  befreit  werden. 


DER  MINIATURMALER 

Um  dieses  bitt'  ich  Euch,  Frau  Herzogin! 
An  einem  gold'nen  Sommertage  laßt  es  sein. 
Wenn  alle  Welt  in  roten  Rosen  steht. 
Daß  Euch  die  Sonne  licht  die  Haut  durchscheint 
Und  purpurn    in    den  Adern  glüht  das  Blut. 
Dann  sind  die  blassen  Locken  ganz  durchwirrt 
Von  Feuerfunken,  und  der  weiße  Flor 
Um  Eure  Brust  wirkt  wie  ein  silbern  Band. 
Und  gleich  Kaskaden  fließt  der  Spitzenschal. 

Schönheit  braucht  Licht  und  Wärme!  Glaubt 

es  mir ! 
Und  säst  mir  heut'  ein  weiches,  güt'ges  Wort! 


Daß  Euer  Bild  in  meiner  Seele  strahle, 
Umweht  von   Milde  und  von  Jugendglanz._ 
Denn  meine  Seele  geh'  ich  Eurer  Schönheit. 
Fest  muß  ich  glauben,  daß  Ihr  reizend  seid. 
Sonst  ist's  gefehlt.  —  Ich  bitt'  Euch,  bringt 

auch  mit 
Die  süßen   Lieder,  die  Ihr  innig  liebt. 
Petrarkas  Verse  und  den  Ossian ! 
Wenn  Euer  Herz  vor  sanfter  Rührung  bebt, 
Dann   seid  Ihr  schön,   das  Auge  mildert  sich 
Und  lachehui  wölbt  sich  Euch  der  feine  Mund. 

Ach  —  um  die  Schönheit  ist's  ein  eigen  Ding. 
Sie  weilt  auf  harter  Menschen  Antlitz  nicht, 
Sie  ist  der  Güte  innig  nah  verwandt, 
Sie  ist  ein  Hauch,  um  den  der  Künstler  ringt 
Mit  seiner  Seele.     Ist  ein  Lichtgespinst, 
Ein  Augenblick,  der  wie  ein  Traum  verweht 
Und  dem  wir  geben  ird'sche  Ewigkeit.  — 
Vergeßt  das  kleine  weiße   Hündlein   nicht! 
Es  schmiegt  so  zart  sich  ein  in  Euren  Arm! 
Den  Korb  mit  Rosen  findet  Ihr  bei  mir. 

M.  Herbert. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich :  S.  Staudhamer  (Promenadepia 
Druck  von  F.  Bnickmann  A.- 


:  3) ;   Verlag  der  Gesellschaft  für  cliristlii 
!.   —  Sämtliche  in  München. 


DER  HEILIGE  FRIDOLIN 


FRITZ  KU.NZ 
Zum  Apsisgemiildf 


CHKISTUS 
•ct/rauckhche  in   Zürich 


DIE  NEUESTEN  WERKE  DES  MALERS  FRITZ  KUNZ 


pritz  Kunz  ist  den  Lesern  der  Monatschrilt 
^  Die  christliche  Kunst  kein  Unbekannter. 
Einige  seiner  sciiönen  Bilder  in  der  Kloster- 
und  Institutskirche  in  Menzingen  und  auch 
andere  Werke  wurden  ihnen  vorgeführt.  Seit- 
dem diese  Malereien  ausgeführt  wurden,  war 
dem  Künstler  zweimal  die  Gelegenheit  ge- 
boten, größere  Bilderfolgen  zu  schaffen.  Die 
erste  befindet  sich  in  der  Kapelle  der  Aka- 
demie Sainte-Croix  zu  Freiburg  in  der 
Schweiz.  Die  Lehr-  und  Schulschwestern 
von  Menzingen  haben  daselbst  eine  Anstalt 
für  Töchter  gegründet,  welche  sich  eine 
höhere,  akademische  Bildung  aneignen  wollen. 
Professoren  der  katholischen  Universität  er- 
teilen den  Unterricht  in  allen  Fächern  des 
liöheren  Wissens.  Das  Haus  wurde  vom 
Architekten  Hardeggcr  in  St.  Gallen  in  den 
freien  Formen  der  Renaissance  und  des  Ba- 
rock gebaut ;  die  Hauskapelle  zeigt  über- 
wiegend Motive  italienischer  Renaissance. 
Die  Ausstattung  derselben  mit  Deckenge- 
mälden wurde  Fritz  Kunz  anvertraut. 

Die  künstlerische  Ausbildung  des  jungen 
Meisters  tiel  in  die  Zeit,  wo  in  der  religiösen 
Kunst  die  Malerei  der  Xazarener  und  der 
Romantiker,  sowie  die  Richtung  Filotvs  und 
seiner  Schule  nachwirkten.  Kunz  fühlte  aber 
sehr  früh  das  Wehen  der  neuen  Zeit,  weiche 
einen  engeren  Anschluß  an  die  Xatur,  eine 
schärtere  Charakteristik  und  einen   bestimm- 


teren Ausdruck  forderte.  Es  ist  interessant, 
den  Weg,  die  Entwicklung  des  angehenden 
Meisters  zu  verfolgen  und  zu  beobachten, 
wie  er  Schritt  um  Schritt,  von  einem  male- 
rischen Werke  zum  andern  einer  Kunst  zu- 
strebt, die  gehaltener,  gebundener,  inner- 
licher, ernster,  strenger  wird.  Die  Umwand- 
lung vollzog  sich  während  eines  längeren 
Aufenthalts  in  Italien  durch  das  Studium  der 
alten  großen  Meister  bis  hinauf  zur  altchrist- 
lichen  Zeit. 

In  dieser  neuen  Kunst,  welche  Fritz  Kunz 
sich  aneignete,  ist  für  Laune,  Willkür,  Zufall 
kein  Raum.  Wie  die  Pflanze  aus  der  Wurzel 
frei ,  doch  gesetzmäßig  nach  dem  in  der 
Gattung  und  in  der  Spezies  liegenden  Natur- 
trieb herauswächst,  so  geht  das  Kunstwerk 
aus  der  den  Künstlergeist  befruchtenden  Idee 
hervor  —  individuell  und  eigenartig,  aber 
mit  ästhetischer  Gesetzmäßigkeit  als  ein  gei- 
stiges Naturprodukt  höherer  Ordnung.  So  faßt 
I-'ritz  Kunz  die  Werke  des  Schönen  auf,  d.  h. 
er  ist  durch  seine  Umwandlung  zum  hohen 
Stilisten    in    der  religiösen  Kunst  geworden. 

Es  geht  durch  einen  Teil  der  modernen 
Kunst  ein  Streben,  ein  ausgesprochener  Zug, 
der  an  alte,  strengere  Stiltornien  anknüpft  — 
in  der  Arciiitektur  wie  im  Kunsthandwerk,  in 
der  Plastik  wie  in  der  Malerei.  Manche 
Künstler  ließen  sich  dadurch  verleiten,  Werke 
und   Formen    früherer  Stile    einfach    nachzu- 


Dlc  chrittliche  Kunst. 


DIE  NEUESTEN  WERKE  DES  MALERS  FRITZ  KUNZ  m<ä 


FRITZ  KUNZ 

Deiailvom  Apsisgrtualde  (Mosaik)  der  Uek/r, 


Evangelisten.  Dazu  kommen  vier  iMedaillons  : 
St.  Katharina  und  die  hl.  Agnes,  die  in  un- 
berührter Reinheit  und  Hoheit  und  doch  so 
freundlich  herniederschauen,  und  die  Heiligen 
Theresia  und  Hildegard  tiefen ,  sinnenden 
Blicks,  als  schauten  sie  ins  Übersinnliche, 
Ewige. 

Die  Deckenmalereien  in  der  Hauskapelle 
der  Akademie  Sainte-Croix  wurden  in  den 
ersten  Sommermonaten  1906  ausgeführt.  Von 
Freiburg  ging  der  Künstler  nach  Zürich,  um 
im  Chor  der  Lie  b  fraue  n  kirc  he  einen 
Zyklus  von  Bildern  zu  malen. 

Die  Liebfrauenkirche  war  vom  Architekten 
Hardegger  im  altchristlichen  oder  Basilikastil 
gebaut  worden.  Der  Maler  stand  also  andern 
äußern  Bedingungen  gegenüber  als  in  Frei- 
burg. Sollte  eine  einheitliche  Wirkung  er- 
zielt werden,  so  mußten  sich  auch  die  Bilder 
der  altchristlichen  Kunst  nähern.  Dem  Maler 
ward  dadurch  allerdings  einiger  Zwang  an- 
getan; gerade  die  Kunstrichtung  unseres  Fritz 
Kunz  war  in  vorzüglichster  Weise  geeignet, 
über  die  Schwierigkeiten  hinwegzuführen.  Er 
schuf  Werke,  streng  im  Stil,  modern  in  Auf- 
fassung und  im  Ausdruck,  tief  religiös  in 
Stimmung  und  Empfindung,  —  so  ward  die 


Kluft  zwischen  so  weit  auseinanderliegenden 
Perioden   überbrückt  (Abb.  S.  97- — 121). 

Nachdem  der  Künstler  sich  in  Rom  jahre- 
lang in  den  Geist  der  altchristlichen  Kunst 
eingelebt,  ging  er,  als  es  sich  um  die  Skizzen 
und  Kartons  der  Liebfrauenkirche  handelte, 
nochmals  nach  Italien,  nicht  nach  Rom,  son- 
dern nach  einer  der  merkwürdigsten  Oasen 
altchristlicher  Kunst,  nach  dem  einst  so  glän- 
zenden, jetzt  so  stillen  und  einsamen  Ravenna, 
das,  weil  es  so  früh  um  Größe  und  Bedeu- 
tung kam,  seine  altchristlichen  Denkmäler 
vielfach  unversehrter  bewahrt  hat,  als  Rom. 
Nachdem  sich  der  Künstler  in  Ravenna  noch- 
mals in  den  altchristlichen  Geist  versenkt,  zeich- 
nete er  die  Kartons  für  den  Chor  der  Lieb- 
frauenkirche. 

In  altchristlicher  Zeit  wurden  in  den  Basi- 
liken auf  den  langen  Friesen  oberhalb  der 
Saulenarkaden  des  Mittelschiffes  gewöhnlich 
Begebenheiten  aus  dem  irdischen  Leben  des 
Fleilandes,  der  Gottesmutter  oder  berühmter 
Heiligen  dargestellt.  Anders  im  Chore.  Dort 
sollte  der  Blick  ins  himmlische  Paradies  hinein- 
schauen und  etwas  von  den  himmlischen  Ge- 
sichten sehen,  die  der  Apostel  Johannes  auf 
Patmos  schaute  und  die  er  in  der  Geheimen 
Offenbarung  erzählt.  Unser  Künstler  wählte 
aus  diesen  Szenen  diejenigen,  welche  schon 
im  altchristlichen  Bilderkreise  die  beliebtesten 
waren. 

In  der  Halbkuppel  der  Apsis  oder  Altar- 
iiische  hebt  sich  vom  goldenen  Grunde  groß 
und  mächtig,  ernst  und  mild  die  Gestalt 
Christi  ab,  feierlich  thronend  als  König  des 
Himmels,  die  Rechte  ist  zum  Segen  erhoben, 
die  Linke  hält  das  Buch,  auf  dessen  Blättern 
geschrieben  steht;  >  Ego  sum  primus  et  no- 
vissimus  :  —  Ich  bin  der  erste  und  letzte, 
der  Anfang  und  das  Ende.  Vom  Hügel,  auf 
dem  der  Thron  steht,  gehen  die  vier  Para- 
diesesflüsse aus,  die  Sinnbilder  der  göttlichen 
Gnadenströme.  Zu  beiden  Seiten  des  thronen- 
den Heilands  stehen  die  zwei  ersten,  vor- 
nehmsten Zeugen  seines  irdischen  Wandels, 
zur  Linken  der  hl.  Johannes  der  Täufer,  der 
mit  seinem  Zeigefinger  auf  Christus ,  das 
Lamm  Gottes,  hinweist ;  zur  Rechten  Maria, 
die  Mutter  des  Heilands,  welche  ihn  auf 
seinem  ganzen  irdischen  Lebensgang  von 
Bethlehem  bis  auf  Golgatha  begleitet  hat. 
Im  Friese  der  Halbkuppel  erscheinen  die  drei- 
zehn Lämmer,  welche  geradezu  ein  Wahr- 
zeichen der  Basilikenkunst  sind  und  darum 
nie  fehlen  dürfen.  Das  Lamm  in  der  Mitte 
mit  dem  Kreuznimbus  sinnbildet  Christus; 
die  von  beiden  Seiten  heranschreitenden  je 
sechs  Lämmer    sind  Sinnbilder  zunächst  der 


©^  DIE  NEUESTEN  WERKE  DES  MALERS  FRITZ  KUNZ  mQ 


Apostel,    dann    der    Glaubigen,    welche    der 
Stimme  des  göttlichen  Hirten  folgen. 

Die  Bilder  an  der  Stirnseite  der  Chorwaiul 
und  der  angrenzenden  Seitenmauern  vervoll- 
ständigen die  Vision  des  hl.  Johannes.  In 
der  Mitte  über  dem  Bogen  der  Apsis  erscheint 
wieder  das  Lamm,  das  zum  Heile  der  Welt 
geopfert  wurde,  und  an  seiner  Seite  sieben 
goldene  Leuchter  und  sechs  Engel  mit  gol- 
denen Schalen,  aus  welchen  der  Duft  kost- 
barer Wohlgerüche  aufsteigt  —  Sinnbilder, 
wie  die  Gebete  und  guten  Werke  der  Heiligen 
wie  ein  Gewölke  wunderbaren  Wohlgeruchs 
zu  Gott  empordringen.  Unter  den  Engeln 
schreiten  von  beiden  Seiten  je  zwölf  ehr- 
würdige Greise  heran ;  der  hl.  Johannes  sah 
sie,  angetan  mit  weißen  Gewändern,  wie  sie 
die  Diademe  von  ihren  Häuptern  nehmen 
und  betend  dem  Lamme  zurufen :  Würdig 
bist  du,  zu  empfangen  Ruhm  und  Ehre  und 
Machte  U.S.  f  (Abb.S.  104  u.  105).  Da  die  zwölf 
Apostel  von  Christus  auserwählt  worden,  sein 
Werk  fortzusetzen  und  seine  Zeugen  zu  sein  bis 
zu  den  Grenzen  der  Erde,  so  dürfen  sie  in  seiner 
Nähe  im  himmlischen  Jerusalem  nicht  fehlen. 
Auf  dem  tiefroten  Grund  des  Chorrundes  er- 
scheinen sie  in  langer  Reihe,  unvergleichliclie 
Charaktergestalten  voll  heiligen  Ernstes.  Auf 
den  Schrifttafeln,  welche  sie  tragen,  ist  je  ein 
Artikel  des  apostolischen  Glaubensbekennt- 
nisses eingeschrieben  fAbb.  S.  108 — 113). 

Die  Bilder  der  Halbkuppel  sind  nach  den 
genauen  Kartons  des  Malers  Kunz  von  der 
Firma  Neuhauser  &  Co.  in  Innsbruck  vor- 
trefflich in  Glasmosaik  ausgeführt,  —  neben- 
bei bemerkt,  hätte  sich  die  genannte  Mosaik- 
anstalt nicht  besser  empfehlen  können,  als 
sie  es  mit  dieser  technisch  vollkommenen 
Arbeit  getan  hat  ■ — ,  die  übrigen  Gemälde 
wurden  vom  Künstlerin  Kaseinfarben  gemalt; 
kein  Pinselstrich,  der  nicht  von  ihm  herrührt. 

Die  Wandmalereien  der  Liebfrauenkirche 
stellen  eine  hohe  künstlerische  Leistung  dar 
—  in  der  charaktervollen  Auffassung,  in  der 
einfachen,  ruhigen  Linienführung  und  Kom- 
position und  in  der  vollendeten  Technik.  Was 
insbesondere  die  Auffassung  betrifft,  so  hielt 
sich  Herr  Kunz,  wie  schon  bemerkt,  an  die 
altchristlichen  \'orbilder,  aber  aus  seinen  Ge- 
staltenspricht hochentwickelte,  moderne  Kunst. 

Die  Bilder  der  altchristlichen  Basiliken  ge- 
hören einer  lebensmüden,  absterbenden  Kunst- 
epoche an,  das  fühlt  man  ihnen  an;  in  den 
Gestalten  dcrLiebiVauenkirche  pulsiert  frisches, 
junges  Leben,  da  waltet  eine  Kunst,  welche 
Empfindung,  Seele,  Charakter  in  alte  Formen 
gießt.  Der  Architektur  fügen  sich  die  Ma- 
lereien   in    denkbar    schönster,    wirksamster 


Weise  ein.  Jetzt  erst  stellt  der  Chor  der 
Liebfrauenkirche  ein  Ganzes  von  ernster, 
edelster  Harmonie  dar. 

Die  genannten  Malereien  sind  im  Spät- 
sommer  1906  ausgeführt  worden. 

Zur  vollständigen  polychromen  Ausstattung 
des  Chores  fehlte  noch  die  Bemalung  am 
Triumph-  oder  Chorbogen  und  an  denWänden 
über  den  vier  Seitenaltären.  Die  F.rgänzung 
folgte  im  Sommer  1907.  Neben  dem  Kreuz 
im  Scheitel  des  Bogens  stehen  die  Symbole 
der  vier  Evangelisten  ;  darunter  erscheinen  die 
Evangelisten  selbst  (Abb.  S.  1 06  u.  1 07)  zu  beiden 
Seiten  des  Bogens  verteilt,  ebenso  die  noch 
tiefer  stehende\'erkündigung, welche  besonders 
zart  und  innig  empfunden  ist  (Abb.  S.  98). 

Für  die  vier  Altarbilder  zeichnete  Kunz  bis 
ins  kleinste  und  einzelnste  genauest  ausge- 
führte Kartons ;  die  Firma  Neuhauser  &  Co. 
übersetzte  sie  in  Glasmosaik.  Die  Bilder  über 
den  beiden  inneren  Altären  zeigen  in  reich- 
sten, glanzvollen  Kompositionen  rechtsChristus 
als  den  guten  Hirten,  links  die  thronende 
Gottesmutter  mit  dem  göttlichen  Kinde  und 
zwei  verehrenden  Engeln.  Über  den  beiden 
äußeren  Altären  erscheinen  rechts  St.  Joseph 
in  ernster,  fast  zu  strenger  Haltung  und   vor 


ri;iiY  KLN(' 


JOIl.\NNLb  li.vri. 


A^^.  S.  97  uiiJ  too.   —    Ttxt  S,  ioo 


102  ©^  DIE  NEUESTEN  WERKE  DES  MALERS  FRITZ  KUNZ  s^SQ 


FRITZ  KUNZ 


A,l  der  Stirns. 


.i,r  C/„»-.m,,id 


ihm  der  stehende  (^hristusknabe  in  weifk-r 
Tunilva  und  golddurchwirlvter ,  reich  ge- 
musterter Toga,  links  in  wirksamster  Ein- 
tachlieit  der  volkstümhchste  Schweizerhei- 
lige, der  Friedensbote,  der  selige  Nikolaus 
von  Flüe. 

Im  einzelnen  besitzen  die  Bilder  hohe  \'or- 
züge  und  Schönheiten.  Was  für  herrliche 
Gestalten  sind  die  Apostel!  Glieder  einer 
heiligen  Gemeinde,  aber  wie  verschieden  in 
Charakter,  Ausdruck,  Stimmung!  Und  die 
vierundzwanzig  Altesten,  welche  dem  Lamme 
ihre  Kronen  darbringen,  —  welche  Größe 
und  zugleich  welche  wunderbare  Ergriffen- 
heit und  Andacht  und  Ehrfurcht  spricht  aus 
ihnen!  Zu  den  glücklichsten  Leistungen  ge- 
hören die  drei  Darstellungen  der  Mutter  Gottes, 
in  der  Concha,  in  der  Verkündigung  des 
Triumphbogens  und  im  Altarbilde.  Das  letz- 
tere besonders,  vom  Künstler  »Unsere  Liebe 
Frau  von  Zürich  :<  genannt,  ist  die  schönste 
Vereinigung  von  Hoheit,  Milde  und  seligstem 
Mutterglück.  Sollen  noch  zwei  der  anspre- 
chendsten und  anmutsvollsten  Bilder  genannt 
werden,  so  sind  es  die  Medaillons  der  Zü- 
richer Heiligen  Felix  und  Regula  (Abb  S.  119). 

Zur  tigürlichen  Ausmalung  der  Liebfrauen- 


kirche fehlen  nun  noch  die  beiden  langen 
Bilderfriese  über  den  Arkaden  des  Mittel- 
schiffes, welche  das  Leben  Christi  und  seiner 
heiligen  Mutter  schildern  werden.  Hoffent- 
lich finden  sich  bald  hochherzige  Stifter, 
welche  die  Ausführung  ermöglichen  und  den 
gottbegnadeten  Künstler  zu  neuen  hohen 
Leistungen  begeistern. 

Die  letzten  Werke,  welche  Fritz  Kunz 
schuf,  sind  zwei  Altarbilder  für  die  Stadt- 
ptarrkirche  St.  Joseph  in  Basel.  Sie  be- 
fanden sich  letzten  Sommer  in  der  fahresaus- 
stellung  des  Glaspalastes  in  München.  Das 
eine  stellt  die  Madonna  mit  dem  göttlichen 
Kinde  in  einem  Walde  von  roten  Rosen  mit 
den  Heiligen  Franziskus  und  Elisabeth  dar, 
das  andere  den  hl.  Fridolin,  wie  er  den  Land- 
leuten das  Evangelium  verkündet  (Abb.  s. 
färb.  Sonderbeilage).  Da  die  Altarblätter  für 
eine  Barockkirche  bestimmt  sind,  so  erscheint 
darin  der  Stil  geschmeidig!,  die  Figuren  ge- 
winnen an  Lebenswahrheit  und  charakte- 
ristischem Ausdruck.  Auffallend  ist  die  ge- 
dämpfte Beleuchtung  der  Bilder,  sie  wird 
wohl  nach  ihrem  künftigen  Standorte  berech- 
net sein. 

Nach    seinen    bisherit/en   Leistuni?en    steht 


P?^  DIE  MÜNCHRXER  AUSSTI-.LI.UXG  IM  GLASPALAST  1908  i^?3  103 


I  KU/.  KlSl 


Fritz  Kunz  in  der  vordersten  Reihe  der  jetzt- 
zeitigen religiösen  Maler  Deutschlands. 

Eine  Bemerkung  können  wir  schließlich 
nicht  unterdrücken.  Es  geht  durch  die  mo- 
derne Kunst,  zumal  die  Architektur  und  die 
religiöse  Malerei  ein  ausgesprochener,  aut- 
failender  archaistischer,  primitiver  Zug. 
Wir  halten  ihn  für  einen  fremden  Tropfen 
Bluts.  Modern  ist  zeitgemäß.  Daß  die 
Primitivität  je  echt  modern  und  zeitgemäß 
werde,  glauben  wir  nicht. 

St.  Gerold  in  Vorarlberg 

Dr.  P.  .Mbert  Kuhn 


DIH  MCXCHENER  ALSSTHLLUXG 
IM  GLASPALAST  1908 

Von  1"K.\NZ  WOLTHR 

in. 

Immer  mehr  gewinnt  die  .Aquarellmalerei 
*  in  der  bildenden  Kunst  an  ikdcutung  und 
keine  Teciinik  ist  wohl  so  geeignet.  tUichtigc 
Eindrücke  aus  der  N'atur  in  skizzeniiafter  und 
doch  zugleich  reizvoller  Art  festzuhalten.  Sie 
ist   eigentlich    auch  die  modernste,    weil  der 


Phantasie  viel  freier  Spielraum  gelassen  wer- 
den und  man  zwischen  den  Pinselstrichen 
lesen  kann.  Der  Aquarellisten-Klub  bietet 
hier  besonders  interessante  \\'erke.  Ihr  be- 
währter Führer  Max  E.  Giese  schafft  mit 
breiten,  wuchtigen  Strichen,  die  flüchtig,  leicht 
hingesetzt  scheinen,  mit  ihren  richtig  sitzen- 
den Lichtblitzen  und  durchsichtigen  Schatten, 
eine  seltene  Harmonie.  In  dieser  geistreichen 
Technik  sehen  wir  ein  prachtvolles  Aquarell 
) Tauwetter«;  dann  ein  Spätherbsthild  und 
das  imposante  Architekturbild  aus  Passau. 
Rene  Reinicke,  der  virtuose  Schilderer  häus- 
licher, genrehafter  Szenen,  weiß  mit  den 
Wasserfarben  jeden  Iiffekt,  jede  Nuance  zu 
erzielen,  es  ist  der  Aquarellist  »katexochens 
und  das  französische  Wörtchen  »chic«  dürfte 
ihn  am  besten  charakterisieren.  Von  seinen 
Bildern  ist  die  Malerin  im  Atelier  am  blen- 
dendsten. Ein  recht  liebliches  Aquarell  ist 
auch  das  tanzende  Mädchen  vor  dem  Spiegel 
von  Karl  Itschner.  Paul  Leuteritz,  Fritz 
von  Hellingrath,  Wilh.  Jac.  Hertling 
und  Rudolf  Köselitz  gehören  mit  zum 
festen   Stab  jener  \'ereinigung. 

Desgleichen    tinden    sich    in    der  größeren 


lo.j  ©^  DIE  MÜKCHENER  AUSSTELLUNG  IM  GLASPALAST  1908  *^&3 


FRITZ  KUNZ 


AN'BETUKG  DES  LAMMES 


Ati  dtr  Choiwand  der  Lieh/n 


A  q  u  a  r  e  1 1  a  h  t  e  i  1  u  n  g  d  c  r  M  ü  n  c  h  n  e  r  K  ü  n  s  t- 
lergenossenschaft,  des  Bundes  zeich- 
nender Künstler  und  Radiervereins  her- 
vorragende Leistungen  auf  aquarellistischen 
und  zeichnerischen  Gebieten.  Erinnern  wir 
hier  nur  an  die  briUanten  Arbeiten  von  Hein- 
rich Rettig,  Hans  Best,  Ludwig  Bol- 
giano,  Angelo  Grat  von  Courten,  Max 
D  a  s  i  o .  Karl  H  a  r  t  m  a  n  n ,  F  r  a  n  z  K  o  c  h , 
1{  r  n  s  t  K r e  i  d  o  1  f ,  P a u  1  N  e  u  e  n  b  o  r  n ,  letzterer 
mit  seinen  eminent  sicher  gezeichneten  Tier- 
studien, Hans  Stubenrauch,  Carl  Voß, 
Ludwig  Willroider,  um  aus  der  großen 
Anzahl  nur  einige  bedeutende  Künstler  zu 
nennen. 

Eine  willkommene  Neuerung  bot  innerhalb 
der  Architektur  der  Verein  für  \'olks- 
kunst  und  Volkskunde,  der  eine  Fülle 
von  Plänen  und  Modellen  brachte,  um  die 
heimische  Bauweise,    insbesondere    auf  dem 


Lande,  in  einfach  schlichten  A'illen  und  Häus- 
chen wieder  zu  beleben.  Es  ist  von  Herzen 
zu  begrüßen,  wenn  der  Verein  an  alte  Tra- 
ditionen anknüpft,  dabei  aber  von  modernen 
Gesichtspunkten  ausgeht  und  alle  Fragen  der 
Hvgiene  und  des  neuzeitlichen  Komforts  bei 
Errichtung  von  Neubauten  mit  in  Betracht 
zieht. 

Bei  den  jüngeren  Elementen  der  Scholle 
ist  in  diesem  Jahre  keine  besondere  Sensation 
zu  verzeichnen.  Die  Zeit  der  Bilder  in  großen 
Abmessungen  ist  vorbei,  dann  haben  die 
meisten  Maler  dieser  kleinen  \'ereinigung  auf 
der  Ausstellung  1908  ihre  Kräfte  ausgiebig 
in  den  Dienst  dieses  Unternehmens  gestellt. 
Was  noch  vorhanden,  gibt  keine  weiteren 
Aufschlüsse  über  das  Fortschreiten,  über  die 
Endziele  jener  aus  dem  Plakat,  der  Illustra- 
tion hervorgegangenen  Künstler.  Etwas  macht 
sich    dagegen    unlieb    bemerkbar,    das   starke 


C^  DIH  MCXC.HI-XER  AUSSTF.LLUXC  IM  CI.ASPALAST  1908 


ASö.  S.  104.  —   Text  S,  loi 


AXBtTL'N'G  DES  LAMMES 


Betonen  von  gegenständlich  Minderwertigem 
oder  Einfältigem,  wie:  Kleiderständer  mit 
Kostümen  behängt,  Masken.  Puppen  und  Hans- 
würste, die  in  den  \'ordergrund  des  malerisch 
Interessanten  gestellt  werden.  Püttner  und 
Voigt  gehen  hier  voran.  Leo  Putz  erlVeut 
sich  an  dem  beabsichtigten  Raffinement  einer 
Malerei  in  angedeuteten  oder  ganzen  Ent- 
hüllungen weiblicher  nackter  Formen  bei  Sze- 
nerien, die  sich  vor  oder  nach  dem  Bade,  vor 
oder  nach  der  Ruhe  des  Tages  oder  der  Nacht 
vollziehen.  Das  ausdrückliche  Hervorheben 
gewisser  Dinge,  die  auf  die  Instinkte  des  Ge- 
schlechtslebens hinweisen,  spricht  nur  von 
einer  Unreifheit,  die  um  so  bedauerlicher,  als 
gerade  Putz  einer  der  besten  Könner  der 
Scholle  auf  technischem   Gebiete  ist. 

A.  Münzers  »Dame  in  Weiß  gehört  mit 
/u  den  feineren  Leistungen  der  .Scholle.  Über- 
haupt ist  dieser  Maler  mehr  von  künstlerischer 
Kultur  durchdrungen  als  seine  Genossen,  ins- 


besondere Bechler,  der  in  seinen,  mit  gutem 
Ölfarben  anstrich  versehenen  Booten  am  See 
die  Realität  in  Lebensgröße  zu  erreichen  sucht. 
Die  Freude  jedoch  an  der  reinen  Wirklich- 
keit ist  heute  mehr  denn  je  gedämpft.  In 
der  Nüchternheit  des  Alltags  träumt  man  von 
fernen  Schönheitswelteii,  von  Idealgestalten, 
von  Klängen.  Linien.  Harmonien.  Das  Aut- 
greifen der  mittelalterlichen  F'orm  des  Tri- 
ptychons  durch  moderne  Künstler,  das  gierige 
Sammeln  alter  Gemälde  und  Statuen  soge- 
nannter primitiver  Meister  ist  ein  Zeichen, 
daß  man  die  Wirklichkeitskunst  gründlich  satt 
bekommen. 

Und  es  ist  kein  Zufall,  daß  gerade  in  der 
neuesten  Gruppe  Die  Bayern  jene  fein- 
sinnigen Naturen  auttauchen,  die  wieder  an 
Gedanken,  Ideen,  Ideale  anknüpfen  wollen. 
In  erster  Linie  steht  der  Führer  dieser  \'er- 
einigung  Carl  Marr  mit  dem  Bilde  ■.  Lux  in 
tenehris..     Es    würde    zu    weit    führen,    den 


io6         ö^  DIE  MÜNCHENER  AUSSTELLUNG  LM  GLASPALAST  1908  *^a 


Ih  ,1fr  Lu-l/r. 


ZWEI  EVANGELISTEN 
Text  S.  loi 


tiefergehenden  Gedanken,  den  der  Künstler 
hier  verlLÖrperte,  zu  verfolgen,  zu  erlvlären, 
und  es  dürfte  dies  zunächst  nicht  einmal  die  Aut- 
gahc  der  Kritik  sein.  Wir  sehen  auf  dunkler 
einsamer  Halde  die  hehre  Gestalt  eines  Engels 
im  bläulichen  Heiligenschein  mit  dem  leuch- 
tenden, in  überirdischem  Lichte  erstrahlenden 
Lamm  in  dem  Arm,  hindeutend  in  die  Ferne 
und  zugleich  einer  weiblichen  nackten  Figur 
zur  Seite  den  Pfad  in  der  Dunkelheit  weisend. 
Die  Absicht  in  Linien  und  Formen,  in  Kom- 
position und  Farbe  nicht  einen  Naturausschnitt 
als  Träger  eines  bestimmten  Lichtes  zu  geben, 
sondern  ganz  bewußt  den  Beschauer  in  fesseln- 


der Stimmungsgewalt  der  Welt  zu  entrücken, 
hat  Marr  in  geistreicher  Weise  gelöst.  Es 
kommt  in  der  Kunst  auch  durchaus  nicht 
darauf  an,  ob  irgend  etwas  wahr  im  objek- 
tiven Sinne  sei,  sondern  auf  innere  Natur- 
wahrheit,  auf  Menschennatur,  die  nach  einer 
edleren,  über  das  Gewöhnliche  hinausgehen- 
den Welt  sucht.  Ist  einer  noch  dazu  ein  Meister 
des  Handwerks  wie  Marr,  der  sein  Thema  be- 
herrscht, so  entstehen  Kunstwerke,  die  nicht 
für  heute  und  morgen  geschaffen  werden, 
sondern  die  über  den  Wechsel  der  Mode  ein 
ewig  Bleibendes  in  sich  tragen. 

In    ähnlichen    Bahnen,    etwas    m\stischer. 


B^  DIE  MÜNCHEXHR  AUSSTHLLUXG  IM  GLASPALAST  1908  *^ö 


FRITZ  Kl'NZ 


/\Vi:i  EVAKGELISTLN 


herber,  primitiver,  sciiarf't  L'ritz  Kunz.  xon 
dem  wir  sciioii  eine  Reihe  tiichtit^er  Bilder 
reh_i,nösen  Inhalts  gesehen  haben.  Seine  Ma- 
donna mit  dem  hl.  Franziskus  und  der  hl.  Eli- 
sabeth, dann  der  hl.  Fridolin  (Abb.  s.  Sonder- 
beilage, vgl.  Text  S.  102),  Altarbild  für  die  Stadt- 
pfarrkirche  St.  Josepii  in  Basel,  tragen  einen 
tiefen  sonoren  L'arbenklang  und  gerade  der 
Akkord  in  Rotgrüngrauschwarz;  gibt  in  der 
weisen  \'erteikiiig  der  Massen  einen  eigen- 
artigen künstlerisch  dekorativen  Zug,  der  dem 
Konventionellen  ganz  fern  liegt.  Die  Italiener 
desTrecento  und  Quattrocento  haben  bei  Kunz 
starken  Eindruck  hinterlassen,   aber  er  hat  sie. 


und  das  ist  das  Wichtigste,  nicht  nachgeahmt, 
sondern  jene  leierlich  sakrale  Wirkung,  die 
diese  Werke  in  so  hohem  Mal.'e  auszeichnen, 
ins  Deutsche  übersetzt.  Angesichts  dieser  und 
ähnlicher  Schöpfungen  auf  dem  Gebiete  der 
religiösen  Kunst  dürfte  die  Frage  dringend 
sein,  wie  lang  es  dauern  soll,  bis  endlich  für 
die  Werke  religiösen  Kunstschallens  ein  der 
Würde  des  Gegenstandes  entsprechender  Raum 
geschafl'en  wird?  Deiin  was  für  die  Kirche  be- 
stimmt ist,  setzt  eine  andere  Umgebung  voraus, 
als  was  für  den  Salon  oder  das  Wohnzimmer 
gedacht  ist. 

\'on  innerlich  Erlebtem  erzählen  auch  die 


io8 


©^  DIE  MÜNCHF.NHR  AUSSTELLUX'G  IM  GLASPALAST  1908  ^€öS 


Werke  Walter  Geffkens,  vor  allem  die  Pro- 
zession im  bayerischen  Vorgebirge«,  die  im 
höheren  Sinne  als  eine  direkte  Naturabschrift 
betrachtet  werden  will.  Herrn.  Urban,  einer 
der  phantasiereichsten  und  begabtesten  Land- 
schafter, dem  nur  große  Wände  zur  Verfügung 
stehen  sollten,  ist  mit  einem  düsteren,  ernsten 
See.  mit  einer  römischen  Landschaft  und  einem 
Strandbild  vertreten.  Rud.  Siecks  Neigung 
für  ideale  Auffassung  priigte  sich  aus  in  einem 
arkadisch  heiteren  Vorfrühling  und  einer  Land- 
schaft mit  Birken  ,  die  eine  an  Stil  gemahnende 
Größe  erreichen.  Ernst  Liebermann  brachte 
ein  mondscheindurchflutetes  Zimmer  und 
mehrere  schon  bekannte  Bilder.  Die  rein  reale 
Malerei,  die  keine  Spur  von  Naturschwärmerei 
und  zarter  Empflndung,  sondern  nur  das  Klare 
der  im  Studium  der  Außenwelt  gereiften  Ar- 
beiten zuläßt,  zeigen  Künstler  wie  Hans 
v.   Bartels,    P.  P.  Müller,  D.Holz. 

Kunz-Meyer  überraschte  mit  einem  intim 
durchgeführten  und  doch  die  große  Wirkung 
nicht  verleugnenden  Fischerhafen  in  Lissa- 
bon :.  Ein  Farbenproblem,  in  dem  alle  Re- 
gister der  farbigsten  Efi'ekte  zusammenge- 
schmolzen, suchte  MaxOberm  ayer  in  einem 
blau  und  weiß  gekleideten  Kinde  unter  Obst- 


riUTZ  KVS/ 

In  dtr  Lli-hfr, 


Zürich.     Ait. 


Spalieren  und  den  buntesten  Blumen  zu  lösen. 
An  Helligkeit  und  Kraft  stellte  er  wohl  vieles 
in  den  Schatten,  was  links  und  rechts  in  der 
Nachbarschaft  hängt,  wie  z.  B.  das  lieblich 
zarte  Bildnis  GeorgSchuster-Woldans,  aber 
wer,  wie  hier  die  technisch -handwerkliche 
Geschicklichkeit  bis  zum  Erstaunen  zu  steigern 
vermag,  der  verblüfit  weniger  die  Künstler  als 
die  Laien.  P.  Rieth  endlich  ging  in  der  Dar- 
stellung eines  weiblichen  Aktes  so  weit,  daß 
er  unter  den  »Bayern«  fremd  erscheint,  und 
seine  Heimat  wahrscheinlich  »Die  Scholle' 
sein  dürfte.  P.  Ferd.  Messerschmitt  brachte 
wieder  eine  seiner  bekannten  liebevollen  Ar- 
beiten, die  hervorragende  Bildnisstudie  einer 
Dame  und  das  Porträt  Sr.  Kgl.  Hoheit  des 
Prinz-Regenten.  Sowohl  in  dieser  wie  in  den 
vielen  schon  genannten  Gruppen,  als  auch 
im  kleinen  Saal  der  Schotten  wird  der  kunst- 
freundliche Besucher  noch  manche  kostbare 
Perle  finden,  doch  alle  hier  aufzuzählen  würde 
einem  »Katalogisieren«   nahekommen. 

Im  Vestibül  mit  seinen  plätschernden  Spring- 
brunnen und  blühenden  Pflanzen  treten  wir 
der  hehren  Plastik  näher.  Leider  wird  heute 
dieser  vornehmen  Kunst,  die  keine  Scherze 
kennt,  weiKdas  Material  allein  schon  diese 
verhindert,  viel  zu  wenig  vom 
größeren  Publikum  beachtet. 
Es  liegt  dies  hauptsächlich  darin, 
daß  die  Freude  an  der  Farbe 
als  eine  der  eingewurzeltsten 
Eigenschaften  der  Menschheit 
zu  betrachten  ist  und  sich  da- 
her die  Kunstfreunde  mehr  an 
Bilder  als  an  Figuren  in  Gips 
und  Stein  halten.  Dann  aber 
gehört  ohne  Zweifel  ein  be- 
deutend größeres  Kunstver- 
ständnis dazu,  eine  Plastik  ge- 
nießen zu  können,  die  in  der 
formalen  Naturbeobachtung 
ihren  Zweck  sieht.  Da  aber  die 
Form  weniger  augenfällig  als 
die  farbige,  malerische  Erschei- 
nung ist,  so  geht  das  große 
Publikum  bald  zu  den  Bildern 
über. 

Dies  ist  um  so  bedauer- 
licher, als  gerade  vor  allen  an- 
deren Künsten  es  die  Bild- 
hauerei ist,  die  in  der  ÖfFent- 
lichkeit  des  Lebens  die  Kunst 
in  die  weitesten  Kreise  der  Be- 
völkerung zu  tragen  berufen 
ist.  Man  denke  nur  an  die 
ZWEI  \ri)bii  I  Statuen  und  Monumente,  an 
n-xt  ■■>■.  ,0,  mit  Figuren   geschmückte  Fas- 


E^  DIE  MCXCHEXI-R  AUSSTELLUNG  LM  GLASFALAST  190S  »^ö  k»; 


FRITZ  KCXZ 


saden  der  örtentlichen  Bauten, 
an  Kirchen  und  Paläste,  j^anz 
abgesehen  von  den  unzähligen 
sonstigen  Möglichkeiten,  die 
heute  noch  ins  Gebiet  des 
Kunstgewerbes  fallen.  Richtig 
ist,  daß  das.  was  die  plastische 
Kunst  an  Geist  und  Idee  ge- 
schalten, im  Rahmen  einer 
Kunstausstellung  entweder  gar 
nicht  oder  wenig  zur  Geltung 
kommt,  es  ist  mehr  Gelegen- 
heits-,  vielfach  auch  ^'erlegen- 
heitskunst,  die  darum  nicht 
weniger  beachtenswert  sein 
soll.  Yor  allem  aber  müßte 
selbst  bei  dieser  Kunst  der 
Ruf:  ^  Mehr  Farbigkeit  :  ein- 
dringlicher hallen.  Abgesehen 
von  einzelnen  \'ersuchen  der 
Tönung  von  Büsten  und  Akten, 
wozu  neuerdings  Gold  als  Fas- 
sung hinzugekommen,  sieht 
alles  noch  zu  kalt  und  tonlos 
aus,  trotz  dem  Bestreben,  hier 
und  da  antike  Bronzen  vorzu- 
täuschen. So  gut  Farbigkeit 
die  Losung  für  die  Malerei  ist, 
so  muß  sie  auch  tür  die  Bild- 
hauerei so  heißen  ;  waren  doch 
die  antiken  Statuen  ebenfalls  nicht  farblos.  Mit 
mehrfarbigem  Marmor  werden  schon  glück- 
liche Versuche  gemacht. 

Viel  zu  wenig  sind  auch  unsere  heutigen 
Bildhauer  werktätige  Künstler,  die  ihr  Material 
beherrschen.  Holz,  Stein  und  Bronze  ver- 
langen eine  entsprechende  Behandlung  des 
Materials  und  wir  können  uns  denken,  daß 
es  für  einen  Bildhauer  eine  Freude  sein  mul.v 
seinem  Werk,  das  in  Marmor  ausgeführt  wird, 
den  letzten  feinen  Hauch,  den  Dutt  der  liebe- 
vollen Künstlerhand  zu  verleihen.  Die  Kunst 
liegt  auch  an  der  Oberfläche  und  wenn  wir 
einem  Originale  einer  griechischen  Statue  ge- 
genüberstellen, so  kommt  es  uns  nicht  in 
den  Sinn,  daß  der  alte  Grieche,  der  sie  ge- 
schatlen,  nur  Modelleur  war,  wie  oft  heute,  der 
die  endgültige  Ausführung  mehr  oder  weniger 
geschickten  Handwerkern  überließ.  Vollends 
Dinge,  wie  das  Krefelder  Mädchen«  von 
Iranz  Bralimstaedt,  oder  das  zerrissene 
und  unplastische  Gebilde,  ein  Grabdenkmal 
vorstellend,  von  Karljanssen,  tragen  nicht 
zur  Erhöhung  des  Ansehens  der  Plastik  bei; 
was  wir  sehen  wollen,  sind  Persönlichkeiten, 
die  etwas  vermitteln  können. 

Hierher  gehören  die  zum  großen  Stil  füh- 
renden Arbeiten  Fe  rdin  and  Lieber  mann  s; 


ZWEI  .\POSTEI. 


/«  ti^r  Lieb/ratttitkirche  zu  Zürich 


der  schon  bekannte  »Wotan  <  von  Rudolf 
Maison  (t);  die  verschiedenen  Lösungen, 
welche  der  talentvolle  Ed.  Beyrer  versuchte, 
ferner  die  leider  zu  stark  bronzierte  Bildnis- 
büste des  Dichters  Hermann  Allmers  von 
H.  Magnussen  (Abb.  IV.  Jg.,  S.  276). 

Hübsch  und  anziehend  komponiert  ist  die 
große  Brunnengruppe  Neckerei«  von  Rieh. 
Aigner.  An  den  Belgier  Meunier  erinnerte 
»Der  Bettler«  von  Paul  Moye,  während 
Peter  Reininghaus  in  der  Lebenslast« 
sich  völlig  modern  französischen  Einflüssen 
hingibt.  Daß  immer  noch  die  unnahbare 
Hoheit  der  Antike  manchen  Künstler  veran- 
laßt, sie  zum  \'orbild  und  zur  Nachahmung 
in  Anspruch  zu  nehmen,  zeigen  die  Arbeiten 
von  Her  111  a  n  n  N  o  1 1  e  und  C  o  n  s  t.  S  t  a  r  c  k ; 
in  beiden  l"älleii  handelt  es  sich  um  Grab- 
reliefs. Daß  man  den  Geist  antiker  Kunst 
verwerten  kann,  ohne  in  starre  Manier  zu 
verfallen,  beweist  die  groß  aufgefaßte,  in  ge- 
radliniger statuarer  Hoheit  geschaffene  Figur 
von  Ste  fan  Wal  te  r,  und  eine  von  Innig- 
keit belebte  Gruppe  von  A  u  g.  B  a  u  e  r.  Ist  hier 
das  Monumentale  betont,  so  erkennt  man  dank- 
bar in  anderen  Werken  den  Sinn  tür  das  idyl- 
lisch Liebliche  und  Zierliche  an.  In  erster  Linie 
kommt   der   edle,   jugendliche    Frauenkörper 


©^  DIE  PETHRSKIRCHH  IN  MÜNCHEN  #^a 


1  KU/   KL  N/ 


In   d,r  Lieli/r 


/\\X\   APOSIEL 


enkirchc  zi<  Zutuk 


von  Sandorjaray  in  Betracht.  Von  feiner 
Beobaclitung  spricht  der  konstruktive  or- 
ganische Auf  bau  der  im  graziösen  Kugel- 
spiel beschäftigten  Jungfrau.  Carl  Georg 
Barth  erfreut  desgleichen  mit  mehreren  zart 
empfundenen  Statuetten  und  Kinderküpfchen, 
vor  allem  durch  den  in  seiner  einlachen  und 
schlichten  Behandlung  ausgezeichneten  Akt 
einer  jungen  Nymphe.  Von  feiner  Auffassung 
spricht  auch  die  liebliche  »Gretl«  von  Josel 
M  o  e  s  t ;  von  Peter  Breuer  sehen  wir  eine 
allseitig  günstig  gelöste  Gruppe  "Adam  und 
Eva«,  in  wuchtiger  Kraft  und  kernig  herber 
formaler  Durchbildung.  Erwähnen  wir  noch 
die  ähnliche  und  breit  ausgeführte  Büste  des 
Prinz-Regenten  von  Ludwig  Dasio,  eben- 
falls der  Landesherr  in  stehender  Haltung, 
rein  menschlich  aufgefaßt,  von  Alois  Mayer; 
die  Modelle  für  Reliefs  der  Dresdner  Bank 
in  München,  »Fischerei'/.,  »Ackerbau';;,  >  Hand- 
werk«, »Kunst«,  in  prächtiger  Allegorie  ge- 
staltet von  H.  Wadere,  die  feine  Bildnis- 
büste von  Fritz  Zadow,  das  klagende  Mäd- 
chen als  Grabmal  von  Hans  Da m  m  a n  n  , 
die  »Kassandra«  von  Hans  Hemmesdorfer, 
die  reizende  Statuette  »Willkommen«  von  Val. 
Kraus,  so  haben  wir  wohl  das  Beste  unter 
dem   Gebotenen   hervorgeholt. 


DIE  PETERSKIRCHE  IN  MÜNCHEN 

l:ine  baugeschichtliche  Studie 
Von  HUGO  STEFFEN,  Architekt,  Munclien 

Was  bisher  über  die  Baugeschichte  der  Peters- 
kirche zu  München  geschrieben  wurde, 
kann  uns  kein  fachmännisches  und  klares 
Bild  über  die  einzelnen  Bauperioden  dieses 
in  kunsthistorischer  Hinsicht  hochinteressanten 
Bauwerks  geben ;  wir  müssen,  da  sich  die  ein- 
zelnen Nachrichten  über  den  Bau  oft  wider- 
sprechen, teilweise  auch  ganz  fehlen,  die  ver- 
schiedenen Bauteile  in  Technik,  Material  und 
Formen  studieren,  um  den  Bau,  mit  Hilfe  des 
Sandtnerschen  Stadtmodelles  im  Münchener 
Nationalmuseum,  selbst  sprechen  zu  lassen. 
Kaum  eine  andere  der  vielen  Münchener 
Kirchen  ist  im  Laufe  ihres  Bestehens  so  zahl- 
reichen Umwandlungen  unterworfen  worden, 
wie  dieses  ehrwürdige  Gotteshaus,  dessen 
Ursprung  bis  ins  zwölfte  Jahrhundert  hinab- 
reicht und  das  somit  als  eine  der  ältesten 
Kirchen  der  bayerischen  Hauptstadt  dasteht. 
Gerade  aber  durch  die  Einflüsse  der  verschie- 
denen Zeitepochen  entstand  ein  selten  male- 
risches, eigenartiges  Bauwerk,  das  den  Mün- 
chenern, gewissermaßen  als  ein  zweites  Wahr- 
zeichen   der  Stadt,    tief  ins  Herz  wuchs  und 


e^  DIE  PETERSKIRCHF.  I\  MÜNCHEN  »'SSa 


III 


besonders  vom  \'iktualienmarkt  aus,  mit  dem 
malerischen  Backsteinchor  und  originellen 
Turm  —  umgeben  vom  alten  Rathaus,  dem 
Standesamt  und  der  Heiliggeistkirche  —  ein 
prächtiges  Stadtbild  darbietet. 

Die  erste  wirkliche  Pfarrkirche  von  St.  Peter 
wurde  Ende  des  12.  Jahrhunderts  gegründet 
und  soll  an  Stelle  einer  dem  hl.  Petrus  ge- 
weihten Kapelle  als  dreischiffige  Basilika  mit 
Holzdecke,  zwei  Türmen  und  drei  Apsiden 
im  Chor  errichtet  worden  sein,  doch  ist  da- 
rüber nichts  Sicheres  mehr  zu  ermitteln.  Es 
ist  schon  möglich,  daß  die  1881  abgebrochene, 
hinter  dem  Chor  der  Kirche  stehende,  von 
dieser  jedoch  völlig  unabhängige  Wißkapelle 
einige  hundert  Jahre  vor  dem  Bau  der  ro- 
manischen Kirche  bestand,  also  gewisser- 
maßen das  erste  Reis  zur  Peterskirche  war; 
da  sie  aber  zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
völlig  neu  gebaut  wurde,  läßt  sich  kein  be- 
stimmter Schluß  ziehen.  Es  ist  zu  bedauern,  daß 
diese  interessante  Kapelle  bei  Regulierung 
des  Platzes  weichen  mußte.  Ihre  Ansichten 
wenigstens  hat  man  in  dankenswerter  Weise 
an  einem  der  neuen  Fenster  des  linken  Seiten- 


schiffes   der    Peterskirche    in 
festgehalten. 

Bei  Veränderungen  des  Kir- 
chenpflasters in  den  sechziger 
Jahren  will  man  ungefähr  in 
der  Mitte  des  jetzigen  Lang- 
hauses Spuren  der  Apsiden 
von  der  alten  romanischen 
Basilika  gefunden  haben:  wei- 
tere genaue  Forschungen  dar- 
über würden  viele  Schwierig- 
keiten machen,  da  seit  dem 
Jahre  1789  bei  Beseitigung 
des  alten  Friedhofes  auch  alle 
Grüfte  in  der  Kirche  ausgefüllt 
werden  mußten.  Bald  scheint 
jedoch  die  alte  romanische 
Kirche  der  schnell  anwachsen- 
den Bevölkerung  nicht  mehr 
genügt  zu  haben  oder  stark 
reparaturbedürftig  geworden 
zu  sein ;  denn  schon  hundert 
Jahre  später  schritt  man  zum 
Bau  einer  neuen  Kirche  an 
gleicher  Stelle,  doch  ist  den 
vorerwähnten  Apsidenspuren, 
vor  allem  aber  meinen  Unter- 
suchungen am  Mauerwerk  zu- 
folge, dieser  Neubau  eigent- 
lich nur  als  ein  vollständiger 
Umbau  anzusehen,  bei  dem 
man  eben  die  Mauern  wieder 
verwendete.       Ob     man     die 


Glasgemälden 


beiden  romanischen  Türme  vollständig  be- 
ließ oder  schon  zu  damaliger  Zeit  einen 
einzigen  neuen  zwischen  die  alten  hinein- 
baute, ist  nicht  zu  ermitteln,  da  aus  dieser 
Periode  weder  Abbildungen  noch  sichere 
Überlieferungen  vorhanden  sind.  Nach  dem 
großen  Brande  von  1327  wird  uns  jedoch 
berichtet,  der  Turm  nebst  Katharinenkapelle 
blieb  erhalten',  so  ist  wohl  anzunehmen,  daß 
schon  damals  ein  Mittelturm  zwischen  den 
beiden  alten  bestand.  Nach  genauen  Unter- 
suchungen des  Mauerwerks  vom  Dachboden 
aus  konnte  ich  feststellen,  daß  das  Stein- 
format der  oberen  1 5  Schichten  vom  Haupt- 
gesims ab  ein  ganz  anderes  ist  als  das  untere; 
auch  bei  der  letzten  Renovierung  des  Turmes 
machte  ich  vom  Gerüst  aus  ähnliche  Beob- 
achtungen und  kam  völlig  zu  dem  Resultat, 
daß  die  Umfassungsmauern  der  Kirche  und 
des  Turmes  noch  die  alten  romanischen  sind. 
Es  wird  den  Freunden  und  Gönnern  der 
Kirche  wohl  besonders  am  Herzen  gelegen 
haben,  ihr  Gotteshaus  zu  jener  Zeit  durch 
erneuten  Glanz  als  erstes  der  Stadt  zu  be- 
haupten, denn  am  29.  März  bestätigte  Papst 
Gregor  X.  die  Erhebung  der  Kapelle  zu  un- 
serer   Heben    Frau,    unter    Lostrennung   von 


E5^  DIE  PETERSKIRCHE  IN  MÜNCHEN  f^ö 


St.  Peter,  als  selbständige  Pfarrkirche,  so  daß 
der  Mutterkirche  in  der  Tochter  gewisser- 
maßen eine  Rivalin  entstand.  Mit  bedeuten- 
den Schenkungen,  Stiftungen,  mannigfachen 
Vergünstigungen  und  Ablässen  gefördert, 
ging  der  Bau  der  Kirche  stetig  vorwärts,  so 
daß  am  17.  Mai  1294  der  Bischof  Emicho 
von  Freysing  die  Kirche  nebst  3  Altären  ein- 
weihen konnte.  Bis  dahin  wurde  der  Gottes- 
dienst in  der  jetzt  noch  gut  erhaltenen  Ka- 
tharinenkapelle  unter  dem  nördlichen  Turm 
abgehalten,  welche  der  sehr  vermögende, 
fromme  Dechant  von  St.  Peter,  Konrad  Wil- 
brecht,  schon  1281  auf  seine  eigenen  Kosten 
errichtete,  mit  mannigfachen  Einnahmen  aus- 
stattete, z.  B.  60  Gulden  jährlich  aus  einer 
von  ihm  dazu  gekauften  Fleischbank,  und 
für  die  er  auch  von  verschiedenen  Bischöfen 
Ablässe  erwirkte.  Für  sich  selbst  stiftete  dieser 
als  besonders  hochherzig  und  wohltätig  ge- 
schilderte Geistliche  einen  Jahrtag,  welcher 
am  Vortag  des  Katharinenfestes  gehalten  wer- 
den sollte,  und  ein  Salve  regina,  an  jedem 
Samstag  am  Altar  seiner  Kapelle  zu  beten. 
Von  vielen  Schenkungen  reicher  Bürger  an 
Kirchengeräten,  Paramenten  etc.  für  die  neue 
Kirche  berichten  die  Urkunden,  und  sogar 
Kaiser  Ludwig  der  Bayer,  ein  großer  Gönner 


In   ./.<    I.itl,f,:,ucnkiy,h,-  z:,   Zuiicl, 


der  Kirche  und  Verehrer  des  hl.  Petrus,  brachte 
aus  Rom  einen  Zahn  des  letzteren  zum  Ge- 
schenke mit;  er  spendete  auch  das  köstliche 
Brautkleid  seiner  jungen  Gemahlin,  einer 
Tochter  Wilhelms  V.  von  Holland,  zu  einem 
Ornat. 

Leider  waren  alle  Mühen  und  Kosten  ver- 
geblich gewesen,  denn  schon  am  14.  Januar 
1327  wurde  die  neue  Peterskirche  bei  dem 
großen  Stadtbrande  ein  Raub  der  Flammen. 
Beinahe  ein  Drittel  der  Stadt  war  vernichtet, 
Not  und  Elend  allenthalben  und  der  Stolz 
der  Bürger,  die  neue  Peterskirche,  bis  auf  die 
Mauern  zerstört!  Nach  Linderung  der  größ- 
ten Not  fing  man  auch  langsam  an,  die  Kir- 
che wieder  aufzubauen,  doch  flössen  die 
Spenden  dazu  nur  spärlich,  da  sogar  noch 
viele  der  reichsten  Familien  mit  den  Folgen 
des  Brandes  zu  kämpfen  hatten.  In  der  von 
den  Flammen  verschont  gebliebenen  Katha- 
rinenkapelle  des  Turmes  hielt  man  einstwei- 
len den  Gottesdienst  ab.  Nach  und  nach 
wurde  die  Kirche  unter  großen  Opfern  wieder- 
hergestellt, doch  gingen  fast  vierzig  Jahre 
hin,  ehe  sie  der  Bischof  von  Freising,  am 
27.  April  1363,  weihen  konnte,  trotzdem  sie 
noch  nicht  vollendet  war  und  die  Chortafe! 
—  womit  der  Aufsatz  des  Hochaltars  gemeint 
sein  wird  —  erst  zehn  Jahre 
später  zur  Aufstellung  gelangte. 
Der  beim  Brande  verschont 
gebliebene  Turm  wurde  erst 
in  den  Jahren  1376 — 86  höher 
hinauf  gebaut  und  reichte  nun 
etwa  bis  zur  Höhe  der  jetzigen 
Cjalerie,  wo  man  ihn  über  dem 
Turmzimmer  mit  zwei  Helmen 
und  goldenen  Knöpfen  be- 
krönte, wie  das  Sandtnersche 
Stadtmodell  von  1572  im  Mün- 
chener Nationalmuseum  zeigt. 
Die  beiden  alten  Seitentürme 
deckte  man  schräg  ab  und  ver- 
zierte sie  mit  Backsteinfriesen. 
Ein  mächtiger,  imponierender 
Turm  war  auf  diese  Weise 
entstanden,  der  Zeugnis  von 
Bedeutung  und  Ansehen  der 
Kirche  ablegen  sollte ;  denn  wir 
wissen  ja,  wie  unsere  Vor- 
fahren in  Bezug  aufTurmhöhe 
miteinander  wetteiferten.  Die 
Kosten  des  originellen  Baues 
betrugen  samt  Gemäuer  1285 
Gulden  (Abb.  S.  126).  Als  maß- 
gebende Personen  bei  dieser 
Anlage  werden  die  Kirchen- 
pröpste Konrad  v.  Hausen  und 


ZWEI  APOSTEL 


©^  DIE  PETERSKIRCHE  IN  MÜNCHEN  »^Ö 


113 


Hans  Rudolf  genannt,  welclie 
auch  1377  ein  eigenes  Buch 
über  ihre  reiche  Bautätigkeit 
an  der  Kirche  anlegten,  das 
jedoch  bis  auf  einige  Blätter 
verloren  ging,  die  HerrDechant 
Kiermayer  fand  und  in  das 
Seelbuch  von  1652  abschrieb, 
wodurch  uns  dieselben  über- 
mittelt blieben.  Kierniaverwar 
von  1649  — 1687  als  Geistlicher 
bei  St.  Peter  tätig  und  ein 
großer  Verbesserer  der  Kir- 
chenmusik daselbst,  welche  bis 
dahin  als  die  schlechteste  von 
München  galt. 

Die  alten  Angaben  über  den 
Kirchenbau  sind  für  den  ersten 
Augenblick  manchmal  recht 
unverständlich  und  wenig 
glaubhalt;  vertieft  man  sich 
aber  mit  aller  Liebe  in  das  Bau- 
werk selbst,  so  kommt  man 
bald  dahinter,  wie  die  Sache 
eigentlich  gemeint  war,  und 
sieht  deren  Richtigkeit  ein 
oder  kann  sich  das  Fehlende 
aus  eigener  Anschauung  leicht 
ergänzen ;  besonders  wenn 
man  die  eigenartigen  Fach- 
lusdrücke    damaliger  Zeit   in    die    modernen      sehen  kann,  zu  Kapellen  für  die  Altäre  aus- 


FRrrZ   KUNZ 


In  der  Liehjraiuitkirclu  zu  Zitrich 


ZWlil  APOSrtL 


heutigen  überträgt,  geht  alles  eher  zusammen, 
als  bisher  angenommen   wurde. 

Im  großen  Ganzen  haben  die  erwähnten 
Pröpste  im  Jahre  1378  noch  zwei  neue  Ge- 
wölbe (Joche)  zugebaut,  das  Jahr  darauf  aber 


:;ebaut  und  nicht,  wie  fiilschlich  angenommen 
wird,  erst  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  wo 
man  u.  a.  nur  noch  das  Dach  der  Seiten- 
schiffe basilikenförmig  veränderte.  Nach  meiner 
genauen    Untersuchung    ist    das    Modell    in 


mals  zwei  Gewölbe,  worunter  der  Chor  ge-  keiner  Weise  verändert  oder  Zutaten  daran 
meint  sein  wird  und  die  innere  Einrichtung  gemacht  worden,  die  man  ja  sehen  müßte, 
vervollständigt.  An  den  Schlußsteinen  der  da  das  »anze  Langhaus  aus  einem  Stück 
Gewölbe,  welche  bei  den  Restaurationen  des  Holz  gefertigt  ist.  An  einer  Seite  sind  so- 
17.  bezgl.  18.  Jahrhunderts  abgebrochen  wur-  gar  die  Strebebögen  abgebroclicn  und  nicht 
den,  stand  eingehauen  »Unseres  Herrn  Barm-  wieder  ergänzt  worden,  was  bei  einer  Restau- 
herzigkeit  und  unser  lieben  Frau«.  Die  bei-  ration  sicher  geschehen  wäre. 
den  malerischen,  vordie  I'rontvorspringenden,  Bei  den  meisten  mittelalterlichen  Kirchen 
eckigen  Treppentürmchen,  zwischen  denen  Münciiens  nützte  man  den  Raum  zwischen 
sich  das  Hauptportal  befindet,  stammen  den  den  Strebepfeilern  zu  religiösen  Zwecken  als 
Formen  nacii  aus  gleicher  Zeit,  nur  hat  man  Kapellen  für  die  Altäre  aus,  indem  man  die 
später  die  Hauben  verändert.  Schiffmauern  durchbracii  und  bündig  mit  den 
Die  einzig  wirklich  maßgebende  äußere  Strebepfeilern  anlegte.  Die  Mauern  versah 
Ansicht  der  Kirche,  ungefähr  vom  Ende  des  man  mit  Fenstern  in  den  Achsen  der  neuen 
14.  Jahrhunderts  bis  1607,  ist  die  schon  vor-  Kapellen  und  deckte  die  Anlage  basiliken- 
erwähnte am  Sandtnerschen  Stadtmodell  von  förmig  ab.  Oft  werden  solche  Kirchen,  in- 
1 572,  nach  welcher  ich  die  S.  126  beigegebene  folge  des  Ausbaues  der  Strebepfeiler,  in  kunst- 
Abbildung  zeichnete  und  die  Grundrisse  fest-  geschichtlichen  Werken  'Kirchen  mit  einge- 
stellte. An  diesem  Modell  sind  schon  die  zogenen  Strebepfeilern^  benannt.  Dies  ist 
ehemals  freistehenden  Strebepfeiler,  deren  jedoch  falsch,  denn  die  Pfeiler  sind  nicht  ein- 
Spuren man  jetzt  deutlich  zwischen  den  gezogen,  sie  stehen  wie  bei  allen  anderen 
Fenstern    an    den    Außenmauern    der  Kirche  Kirchen  noch    am  richtigen  Platze,    nehmen 


Uchc  Kunst.     V. 


114 


©^  DIE  PETERSKIRCHE  IN  MÜNCHEN  m(ä 


den  Schub  des  Schiftes  auf  und  sind  eben 
nur  wie  vorher  beschrieben,  später  zu  Ka- 
pellen ausgebaut  oder,  wie  bei  der  Frauen- 
kirche, gleich  bei  Errichtung  des  Gebäudes 
ausgebaut  worden,  so  daß  dort  also  von 
Anfang  an  die  Streben  nach  innen  lagen. 

Im  Jahre  1607  traf  die  Peterskirche  wieder- 
um ein  bedauerliches  Verhängnis,  als  in  der 
Nacht  des  24.  Juli 
bei  einem  heftigen 
Gewitter  der  Blitz 
zündend  in  den 
prächtigen  Turm 
schlug  und  der  obere 
Teil  mit  den  beiden 
Helmen  abbrannte. 
Man  baute  dieselben 
jedoch  nicht  wie- 
der hinauf,  sondern 
deckte  über  der 
Glockenstube  eine 
Plattform  ah  und 
errichtete  darauf  die 

Türmerwohnung 
mit  prächtiger  Obe- 
lisken bekronung,  de- 
ren höchst  originelle 
Lösung  auf  dem 
oblongen  Grundriß 
des  Turmes  von  be- 
sonders malerischer 
Wirkung  ist.  Den 
in  seiner  halben 
Breite  auf  Konsolen 
ruhenden  Wandel- 
gang vor  der  Woh- 
nung sicherte  man 
mit  einem  schönen, 

schmiedeeisernen 
Gitter,    welches    an 
den        vier        abge- 
stumpften Ecken  mit 
Streben        befestigt 

wurde.    Diese  ganze  a:,!/,,/,,-, 

Anlage  ist  bis  heuti- 
gen Tages  noch  unverändert  erhalten  und  habe 
ich  die  S.  128  beigegebene  Abbildung  des  Turm- 
helmes nebst  Grundriß  bei  der  letzten  Reno- 
vation des  Turmes  vom  Gerüst  aus  gezeichnet 
bezw.  festgestellt.  Seit  1607  schlug  der  Blitz 
noch  öfter  in  den  Turm,  ohne  jedoch  be- 
sonderen Schaden  anzurichten. 

Im  Jahre  1630  ließ  Kurfürst  Maximilian 
die  Kirche  aus  eigenen  Mitteln  vergrößern, 
indem  er  die  von  den  Kirchenpröpsten  Kon- 
rad von  Hausen  und  Hans  Rudolf  1378 — 79 
errichteten  vier  Joche  abbrach  und  eine 
große    dreiblätterige   Choranlase    baute,    die, 


FriT/  hV\/ 

r  heriL-mhiiktn  ,' 


abgesehen  von  einer  im  18.  Jahrhundert  er- 
folgten Verstümmelung  der  Fenster,  in  ihrem 
dunkelroten,  malerischen  Ziegelkleide  nebst 
reizvollen  Treppentürmchen  als  eines  der 
schönsten  Architekturbilder  aus  Altmünchener 
Zeit  bis  heute  noch  unverputzt  erhalten  blieb. 
Ob  nun  zu  damaliger  Zeit  der  übrige  Kir- 
chenbau schon  verputzt  war  oder  wegen 
Schadhaftigkeit  des 
Mauerwerks  bei  An- 
bau des  Chores  ver- 
putzt wurde,  konnte 
ich  nicht  feststellen; 
sicher  ist  jedoch,  daß 
ehemals  die  alte  Pe- 
terskirche,gleich  den 
meisten  öflentlichen 
Gebäuden  Münchens 
aus  mittelalterlicher 
Zeit,  in  ihrem  präch- 
tigen Naturkörper 
von  Backstein  nur 
hier  und  da  mit  Sand- 
oder Kalksteineinlas- 
sungen ,  errichtet 
wurde.  Bloß  die  spar- 
sam angewendeten 
Malereien,  die  meist 

Heiligengestalten 
oder  Sonnenuhren 
darstellten,  erhielten 
einen  verputzten 
Grund.  Dem  durch 
Wind  und  Wetter 
teilweise  freigeleg- 
ten Mauerwerk  ist 
freilich  seine  einstige 
Schönheit  kaum 
mehr  anzusehen,  da 
es  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte durch  Ein- 
setzen andererSteine 
oft  repariert  und  aus- 
Mnaik  geflickt  wurde,  was 

ich   auch    am  Turm 
bei  der  Renovation  beobachten  konnte. 

Betrachten  wir  uns  die  noch  übrig  geblie- 
benen Werke  der  prächtigen  mittelalterlichen 
Backsteinarchitektur  Münchens  näher,  so  ge- 
winnen wir  bald  die  Überzeugung,  daß  sie 
einstens  ein  ehrlicheres  Gesicht  zur  Schau 
trugen,  als  sie  uns  jetzt  zeigen.  Die  Barock- 
zeit hat  leider  so  vielen  älteren,  trefflichen 
Werken  den  Todesstoß  gegeben,  oder  den- 
selben wenigstens  ein  Kleid  von  Putz  bezw. 
Kalkmörtel  übergezogen.  Die  jetzt  noch  vor- 
handenen, teilweise  entstellten,  meistens  ver- 
putzten Baudenkmäler  des  Mittelalters,  sämt- 


UNSLKL  LILBL  FR4U   VON  7LRIC 
teli/rauenkuche.  AM:  iinch  dem  karte 


O^  DIE  PETERSKIRCdF.  IN  MÜNCHEN  »^ö 


"S 


liehe  Stadttore,  Kirchen,  altes  Rathaus,  Zeui^- 
haus,  alter  Hof  und  zahlreiche  Privathäuser, 
waren  von  den  Baumeistern  damaliger  Zeit  in 
Ermangelung  von  Sandstein  aus  Ziegeln  ohne 
Kalküberzug  zur  Ausführung  gebracht  worden. 
Ihre  Werke  sind  aber,  statt  im  alten  Sinne 
restauriert,  fast  nur  mehr  verputzt  zu  sehen ; 
wenn  jedoch  vom  Einflüsse  der  rauhen  Wit- 
terung der  alle 
15 — 20  Jahre  er- 
neuerungsbedürftige 
Kalkmörtel  los- 

springt und  das 
schöne ,  sattrote 

Mauerwerk  bloßlegt, 
gibt  uns  die  Natur 
die  Werke  unserer 
Väter,  wenigstens 
teilweise,  in  unver- 
fälschter Art  zurück 
und  enthüllt  das 
wahre  Bild  der  ein- 
stigen Bauweise  der 
Münchener  Baumei- 
ster des  Mittelalters. 

Nur  Meister  Gang- 
hofers  ehrwürdige 
Frauen-  und  Kreuz- 
kirche, und  die  male- 
rische Salvatorkirche 
hat  man,  wenigstens 
äußerlich,  noch  nicht 
durch  Putz  entstellt, 
sie  alle  drei  bilden 
nach  wie  vor  die 
schönsten  Zierden 
der  Stadt  München 
aus  mittelalterlicher 
Zeit.  Den  massiven 
Turm  der  hl.  Kreuz- 
kirche durchbrach 
man  in  der  Barock- 
zeit und  baute  eine 
Apsis  an,  die  gar 
nicht  zu  dem  ehr- 
würdigen Ziegelbau  passen  will. 

Mit  dem  Eintritt  der  Hoch-  und  Spätrenais- 
sance ging  die  reine  Ziegelbauweise  auch  in 
München  immer  mehr  zurück,  die  Putzfassaden 
traten  an  ihre  Stelle  und  nur  wenige  reine 
Backsteinbauten  haben  sich  aus  dieser  Zeit 
erhalten,  z.  B.  der  unvollendete  Turm  der 
Michaelskirche  und  der  Chorbau  der  Spät- 
renaissance von  St.  Peter.  N'iele  altbayerische 
Städte,  ich  erinnere  nur  an  Ingolstadt,  vor  allem 
aber  Landshut,  hatten  einstmals  eine  hohe  Blüte 
in  der  Backsteinarchitektur,  und  eines  der  her- 
vorragendsten Werke    ist  wohl    die   Martins- 


rUITZ  KUS'Z 


kirche  letzterer  Stadt,  deren  Turm  1432  von 
Hans  Steinmetz  begonnen,  durch  seine  vor- 
nehme schlanke  Erscheinung  zu  den  edelsten 
Gebilden  süddeutschen  Ziegelbaues  zählt,  wel- 
cher stets  in  seiner  fast  klassischen  itinfachheit 
so  kraftvoll  und  imponierend  wirkt. 

Lange  beschäftigte  ich  mich  mit  Bauteilen 
an  den  oberen  Seitenwänden  der  Peterskirche, 
deren  Zweck  schon 
auf  vielerlei  Weise 
ausgelegt  wurde.  Es 
sind  dies  die  ca.  25 
bis  30cm  breiten  und 
I  m  hohen  vermau- 
erten Mauerschlitze, 
die  oft  für  die  roma- 
nischen Fenster  ge- 
halten wurden ,  es 
aber  keineswegs 
sind,  was  schon  aus 
dem  Mauerwerke, 
hauptsächlich  aber 
daraus  hervorgeht, 
daß  diese  kleinen 
Öffnungen  ja  nur 
außergewöhnlich  ge- 
ringes Licht  gespen- 
det hätten.  Nach 
dem  \'iktualien- 

markte  zu  sind  die 
Schlitze  oben  mit 
einem  kleinen  Rund- 
bogen abgeschlos- 
sen, nach  dem  Ma- 
rienplatz dagegen 
horizontal.  Es  iragt 
sich  nun,  welchen 
Zwecken  diese  Off- 
nungen gedient  ha- 
ben? Die  aufge- 
tauchte Meinung,  es 
seien  Schießscharten 
zu  Verteidigungs- 
zwecken, weil  am 
Fuße  des  Berges  die 
alte  Stadtmauer  hinlief,  ist  gänzlich  ausgeschlos- 
sen, obgleich  man  derartige  F^inrichtungen  an 
vielen  Kirchen,  iiauptsächlich  der  sächsischen 
und  thüringischen  Lande  beobachten  kann  (ich 
erinnere  nur  an  die  gotische  Kirche  zu  Rein- 
städt  im  Altenburgischen).  Überdies  haben  alle 
mittelalterlichen  Kirchen  Münchens  ähnliche 
Schlitze  aufzuweisen;  besonders  bei  der  Frauen- 
kirche sind  sie  noch  unvermauert  im  alten 
Zustande  an  dem  das  Dach  unterbrechenden 
Friese  in  gleichen  Abständen  voneinander  gut 
zu  beobachten,  dsgl.  an  den  Chorwänden  der 
jetzt   so    viel    umstrittenen  Augustinerkirche, 

'5* 


DICK  CITE  niKT 


l.i,lf,„u„il;irJif 
Aiis/iihrung  Mosa 


ii6 


R^  DIE  PETERSKIRCHE  IN  MÜNCHEN  ^-^ö 


NICOLAUS  VON   DER 
.    na:h  dem   Karton 


welche  auch  einstmals  in  natürlichem  Back- 
steinbau errichtet  war.  Nach  genauer  Unter- 
suchung der  Dachböden,  sowie  des  Mauer- 
werkes bin  ich  zu  der  festen  Überzeugung 
gekommen,  daß  diese  Offnungen  nur  zur 
Durchlüftung  des  Dachraumes,  hauptsächlich 
aber  zur  Erhellung  der  Gewölbe  gedient  haben, 
um  bei  späteren  Reparaturen  gut  arbeiten  zu 
können.  Wir  sehen  hieraus  wieder  einmal 
eine  der  Fürsorgen  der  alten  Baumeister  für 
spätere  Geschlechter,  doch  ist  gleichzeitig  zu 
bemerken,    daß    bei   der  trefflichen  Bauweise 


der  Gewölbe  sehr  selten  Reparaturen 
nötig  waren.  Die  Baumeister  der  Barock- 
zeit zerschlugen  dieselben  nur  der  neuen 
Geschmacksrichtung  zuliebe,  da  die 
strengen  Linien  zu  ihrer  heiteren  Bau- 
weise nicht  mehr  passen  wollten  und 
sie  selten  Schonung  für  die  Bauwerke 
ihrer  Vorfahren  übrig  hatten.  Auch 
am  Turm  der  Peterskirche  sind  zahl- 
reiche der  vorgenannten  Schlitze  noch 
unvermauert  zu  beobachten. 

Kurze  Zeit  nach  der  Anlage  des  neuen 
Chores  wurden  auch  die  Seitenschiffe 
nach  Abbruch  der  Strebebögen  in  Basi- 
likenform verändert  und  bis  zum  Turm 
bezvv.  Tor  vorgebaut.  Die  Ansätze  der 
ehemaligen  Bögen  kann  man  jetzt  noch 
deutlich  an  den  oberen  Seitenmauern 
wahrnehmen.  Als  Eingänge  errichtete 
man  die  vier  prächtigen  Portale,  welche 
in  vornehmer  Einfachheit  einen  treff- 
lichen Aut  bau  zeigen  und  an  die  Schöp- 
fungen Elias  Holls  zu  Augsburg  erinnern ; 
sie  sind  heutigen  Tages  noch  wohler- 
halten. Gleichzeitig  wurden  auch  die 
gotischen  Fenster  ellipsenförmig  ver- 
ändert. 

Im  Innern  brach  man  alle  Altäre  ab 
und  ersetzte  sie  durch  neue  im  Ge- 
schmacke  der  Zeit,  reduzierte  auch  ihre 
Zahl,  indem  man  verschiedene  vereinigte. 
Wo  die  alten  geblieben  sind,  ist  unbe- 
kannt, vielleicht  sind  sie,  wie  so  vieles 
andere,  von  den  Handwerksmeistern  bei 
Lieferung  der  neuen  Altäre  mit  in  Zah- 
lung genommen  worden  und  irgend- 
wie verwendet.  Nur  ein  einziger  aus 
mittelalterlicher  Zeit,  der  sogenannte 
Schrenkaltar,  ungefähr  vom  Ende  des 
14.  Jahrhunderts,  ist  noch,  wohl  eigent- 
lich durch  Zufall,  erhalten  geblieben  und 
wurde  fast  ganz  unversehrt  1841,  bei 
L^jr  Renovation  des  davorstehenden  zweiten 
Seitenaltares,  in  der  Wand  eingemauert 
entdeckt,  nach  den  vorhandenen  Spuren 
neu  bemalt  und  bildet  jetzt  eine  hervor- 
ragende Zierde  der  Kirche,  als  einer  der  weni- 
gen Reste  aus  ihrer  mittelalterlichen  Zeit.  Ein 
unklares  Gerücht  erzählt,  daß  dieser  Altar 
schon  in  der  Barockzeit  einmal  entdeckt,  aber 
wieder  verstellt  worden  sei.  Er  besteht  aus 
einem  Aufsatz  von  grauem  Sandstein  und 
zeigt  in  übereinander  liegenden  Abteilungen 
mit  reichem  figürlichem  Schmuck  das  Jüngste 
Gericht  in  Hochrelief  Zu  beiden  Seiten  des 
Giebels,  in  welchem  der  Richter  thront,  lehnen 
über  dem  Hauptgesims  dieWappen  derSchrenk, 
der   vermutlichen    Stifter   des   Altares.     Vom 


©^  DIE  PETERSKIRCHR  I\  MÜNCHEN  »«Sä 


117 


mittelalterlichen  Hochaltar  sind  noch  die 
farbenprachtigen  Tafelbilder  erhalten, 
deren  einige  als  schöner  Schmuck  an 
den  Wänden  des  Chores  hängen,  wäh- 
rend die  übrigen  sich  im  Nationalniuseum 
belinden. 

Zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  wurde 
die  Kirche  einer  nochmaligen  durchgrei- 
fenden Renovierung  unterzogen,  die  sich 
aber  hauptsächlich  auf  das  Innere  er- 
streckte. Man  hatte  zwar  1729  die  Ab- 
sicht, abermals  eine  neue  Choranlage 
zu  bauen,  begnügte  sich  jedoch,  da  das 
Projekt  zu  kostspielig  war  und  nicht 
die  Genehmigung  des  Kurfürsten  fand, 
mit  einer  \'eränderung  des  Chorge- 
wölbes,  welche  Stadtbaumeister  Gunez- 
rheiner  ohne  Beschädigung  der  Mauern 
vornahm.  Gleichzeitig  veränderte  man 
die  Fenster  des  Chores  in  der  Weise,  wie 
sie  noch  jetzt  bestehen;  den  früheren 
Zustand,  wo  sie  denen  des  Schiffes 
glichen,  kann  man  auf  einem  alten  Stich 
von  Michael  Wening,  einer  Stadtansicht 
aus  dem  17.  Jahrhundert  sehen,  weil 
dort  der  Chor  der  Kirche  hervorschaut. 
Zu  gleicher  Zeit  wurde  das  graziöse, 
von  Säulen  flankierte  Eingangsportal  zur 
Sakristei,  bezw.  Aufgang  zum  kurtürst- 
lichen  Oratorium  errichtet,  welches  sich 
gegenüber  dem  jetzigen  Stadtarchive  be- 
findet und  in  dem  Bogen  die  Allianz- 
wappen Bayerns  und  Österreichs  zeigt, 
über  welchen  ein  Chronodistichon  die 
Jahreszahl  1726  ergibt.  Es  lautet  über- 
setzt: r  Aufgang,  errichtet  aus  Liebe, 
unter  dem  Kurfürsten  Karl  Albert  und 
seiner  Gemahlin  Amalie.  .  Turm  und 
Schiff  versah  man  teilweise  außen  mit 
Malereien,  deren  Spuren  hin  und  wieder 
unter  der  Tünche  hervorblicken. 

Die  Deckengemälde  im  Chor  fertigte  iki 
Hofmaler  Nikolaus  Stuber  unter  dem 
kuriosen  \'ertrag,  daß,  falls  die  Gemälde 
den  Kennern  nicht  entsprächen,  er  sie  auf 
seine  eigenen  Kosten  malen  müßte;  sie  stellen 
Szenen  aus  dem  Leben  des  heiligen  Petrus  dar, 
haben  aber  durch  spätere  Restauration  etwas 
gelitten.  Gleichzeitig  ging  man  an  die  Errich- 
tung eines  neuen  Hochaltars,  nachdem  Stein- 
metzmeister Johann  Achmüller  ein  neues  An- 
tependium,  sowie  die  zum  Chor  führenden 
Stufen  und  zwei  Postamente  für  die  Leuchter 
hergestellt  hatte.  Der  Entwurf  des  Altares 
stammt  von  dem  bekannten  Bildhauer  Egid 
Asam,  einem  der  Erbauer  der  prächtigen  Jo- 
hanneskirche in  der  Sendlingerstraße,  welcher 
auch  die  Bildhauerarbeiten  übernahm  undeinige 


IlL.  JOSEPH 


der  Figuren  selbst  schuf;  die  Marmorarbeiten 
der  acht  Säulen,  des  Altartisclies  etc.  wurden 
dem  Steinmetzmeister  Johann  Posciienrieder 
von  Tegernsee  übertragen,  der  sicii  verpHich- 
tete,  den  Transport  nach  München  auf  eigene 
Kosten  zu  besorgen,  was  für  damalige  Zeit 
keine  Kleinigkeit  war,  da  man  nur  Wagen 
und  Pferde  als  Transportmittel  kannte.  Der 
gesamte,  reichvergoldete  Altar  ist  von  höchst 
prunkvoller  dekorativer  Wirkung  und  sehr 
guten  Verhältnissen.  Sein  von  einem  Rund- 
bogen umschlossenes  Mittelbild  vom  Maler 
Lot  stellt  das  heilige  Abendmahl  dar. 

Kaum    war  der   Umbau   des   Chores   samt 


ii8 


©^  DIE  PHTERSKIRCHE  IN  MÜNCHEN  ^^ö 


FRITZ  KLX/. 


FRITZ  KUKZ 
Abbildungen  nach   den   h\ 


HL,  FRANZ  SALES 


seiner  Ausschmückung  beendet,  so  ging  man 
daran,  aucii  das  Langhaus  im  Geschmaci^e  der 
Zeit  umzugestalten.  Unter  Leitung  des  Stadt- 
oberbaumeisters Anton  Gunezrheiner  wurden 
die  Gewölbe  verändert  und  eine  doppelte  Pi- 
lasterarchitektur  mit  unten  dorischen ,  oben 
jonischen  Kapitalen  geschaffen.  Über  den  rund- 
bogigen  Pfeilerarkaden  errichtete  man  logenar- 
tige, mit  Fenstern  abgeschlossene  Emporen,  an 
die  sich  nach  oben  Gemälde  anschließen,  welche 
gleichfalls  in  Rundbogen  komponiert  sind. 

Die  reichen  Stuckarbeiten  schuf  der  be- 
rühmte Wessobrunner  Stukkateur  und  Maler 
Joseph  Zimmermann,  von  dem  auch  die  Decken- 
gemälde des  Mittelschiffes  herrühren.  Die 
Kanzel  samt  Aufgang  wurde  von  Bildhauer 
Bretzner  um  das  billige  Geld  von  150  Gulden 
hergestellt,  weil  ihm  die  alte  Kanzel  mitsamt 
ihrer  Ornamentik  und  Figuren  überlassen 
wurde;  auch  die  alte  Orgel  wurde  gegen  Da- 
reingabe des  Zinnes  derselben  um  nur  1800 
Gulden  vom  Orgelmacher  Joseph  Hildebrand 
durch  eine  neue  mit  26  Registern  ersetzt. 

Eine  wundervolle  Arbeit  dieser  Zeit  ist  das 
prächtige  Chorgestühl,  welches  die  Priester- 
bruderschaft zur  Feier  ihres  dreihundertjährigen 
Bestehens  im  Jahre  1750  von  Hofbildhauer 
Joseph  Dietrich  für  549  Gulden  herstellen  ließ. 
Die  Rückwand  desselben  ist  reich  mit  Schnitze- 
reien in  Flachrelief  verziert  und  auf  dem  Ge- 
sims des  oberen  Gestühls  sitzen  nahezu  in 
Lebensgröße  je  zwei  Figuren,  die  Kardinal- 
tugenden darstellend.  Die  mit  Messing  be- 
schlagenen Kirchenstühle  wurden  zu  gleicher 
Zeit  von  Eichenholz  gefertigt.  ; 


Durch  zahlreiche  Stiftungen  etc.  gefördert, 
war  diese  große  durchgreifende  Umwandlung 
im  Jahre  1756  als  glücklich  vollendet  anzu- 
sehen und  die  Kirche  präsentiert  sich  noch 
heutigen  Tages  in  derselben  Gestalt.  Die  Sei- 
tenschiffe sind  von  Tonnengewölben  mit  Stuck- 
verzierung und  tief  einschneidenden  Stichkap- 
pen überspannt,  während  die  Gewölbe  der 
Seitenkapellen  Gemälde  zieren;  unter  den  Ab- 
schlußgittern der  letzteren  befinden  sich  einige 
schön  gearbeitete  Stücke,  die  Beachtung  ver- 
dienen. Die  zwölf  holzgeschnitzten,  bemalten 
Apostelfiguren  auf  Konsolen  an  den  unteren 
Pilastern  des  Mittelschiffes  sind  auch  Arbeiten 
des  18.  Jahrhunderts,  desgl.  die  meisten  der 
Seitenaltäre. 

Das  Einzige,  was  man  damals  aus  mittelal- 
terlicher Zeit  an  der  Kirche  beließ,  sind  die 
schönen  Gewölbe  nebst  spitzbogigen  Eingänge 
der  Katharinenkapelle,  welche  sogar  den  Brand 
von  1327  überdauerte,  und  die  beiden  kleinen 
Pförtchen  mit  reizendem  spätgotischem  Ge- 
wände unter  der  Orgelempore,  hinter  denen 
Wendeltreppen  mit  reicli  profilierten  gotischen 
Spindeln  in  dem  nach  außen  hin  vorspringen- 
den Türmchen  nach  der  Empore  hinaufführen. 
Die  Anlegung  der  neuen  Pilasterstellungen 
dehnte  man  der  Gleichmäßigkeit  wegen  bis 
unter  diese  Empore  aus,  so  daß  das  eine  Sei- 
tengewände der  Pförtchen  vermauert  werden 
mußte.  Die  Gitter  davor  sind  noch  die  ur- 
sprünglichen  mittelalterlichen. 

Früher  besaß  die  Kirche  viele  kostbare  Meß- 
gewänder, Kirchenparamente  und  Geräte,  von 
denen  nur  noch  wenige  Stücke  vorhanden  sind, 


t5^  AUSSTELLUNG  BELGLSCHLR  KUNST  IN  BERLIN  »^Ö  119 


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In  der  Lieb/rt 


HL.  I  ELIX 
nkircke  in  Zürich. 


FRITZ  KLNZ 
Abbildungen  nach  da 


HL.  ELISABETH 


da  im  Jahre  1789  die  Sakristei  durch  eine  Un- 
vorsichtigkeit völüg  ausbrannte  und  Anfang 
des  19.  Jahrhunderts  bei  Authebung  der  Klö- 
ster und  Sperrung  der  Kirchen  noch  viele  Kunst- 
werke zerstört  oder  verschleppt  wurden.  Im 
erstgenannten  Jahre  mußte  auch,  wie  bei  allen 
anderen  Kirchen,  der  umliegende  Friedhof  au- 
ßer Gebrauch  gestellt,  geebnet  und  gepflastert, 
desgl.  alle  Grüfte  in  den  Kirchen  zugelüllt 
werden,  wobei  man  die  wertvollen  Denkmäler 
als  schönen  Schmuck  an  oder  in  der  Kirche 
anbrachte;  letztere  würden  allein  schon  Stoff 
genug  zu  langen  Betrachtungen  geben. 

Besonders  beachtenswert  sind  die  beiden 
spätgotischen  Marmorepitaphien  in  Reliefarbeit 
an  den  Turmpfeilern  rechts  und  links  vom 
Haupteingang  im  Innern  der  Kirche,  der  Grab- 
stein des  Dekans  Ulrich  Aresinger  t  1485  und 
jener  des  Balthasar  Pötschner  und  seiner  Ge- 
mahlin. Audi  an  den  Wänden  der  Seiten- 
kapellen sind  Denkmäler  verschiedener  Zeit- 
perioden angebracht,  deren  vollkommenstes 
in  Entwurf  und  Ausführung  an  der  Westwand 
der  vierten  Seitenkapelle  angebracht  ist.  Es 
ist  eine  Beweinung  Christi  in  Bronzeguß  mit 
späterer  barocker  Stuckumrahmung,  von  der 
Kurfürstin  Maria  Maximiliana  1630  der  Familie 
Ferdinand  von  Lassos   als    Denkmal   gesetzt. 

Bei  jedem  Besuch  der  Kirche  wird  man 
wieder  auf  neue  Schönheiten  aufmerksam,  doch 
alle  ihre  Schätze  an  derartigen  Kunstwerken, 
Gemälden  etc.  zu  erwähnen,  würde  hier  zu 
weit  führen. 

Im  Jaiire    1903   wurde,  da  sich   des  öfteren 


vom  Turme  Steine  loslösten,  eine  Verputzung 
desselben  vorgenommen,  wobei  es  mir  durch 
das  Baugerüst  möglich  war,  genaue  Studien 
des  Mauerwerkes  und  eine  vollständige  Auf- 
nahme nebst  Grundriß  des  originellen  Turm- 
helnies  vorzunehmen,  der  wohl  nun  für  alle 
Zeiten    seine   jetzige    Gestalt    behalten    wird. 


AUSSTELLUNG  BELGISCHER 
KUNST  IN  BERLIN 

Von  DR.  H.WS  SCHMIDKUXZ,  Berlin- Haiensee 

Ein  charakteristisches  Gesamtbild  der  ver- 
schiedenartigsten Ausströmungen  der  mo- 
dernen belgischen  Schule  inneriialb  der  letz- 
ten Jahre«  wollte  die  belgische  Ausstellung 
sein,  die  während  des  Oktobers  1908  im  Ber- 
liner Secessionslokale  gezeigt  wurde.  Daß 
jegliche  »Ausstellung',  einseitig  ist,  wurde  hier 
für  die  Plastik  betont,  idie  namentlich  in 
monumentalen  Denkmälern  und  nicht  trans- 
portierbaren Schöpfungen  ihren  sprechendsten 
Ausdruck  findet..  Daß  dies  auch,  wenngleich 
weniger,  für  die  Malerei  gilt,  sollte  bei  keiner 
Ausstellung  und  gerade  hier  erst  recht  nicht 
vergessen  werden. 

Als  die  zwei  grundlegenden  Eigenschalten, 
»welche  die  wahren  Merkmale  der  verwandt- 
schaftlichen Beziehungen  dieser  Gemälde  zu- 
einander sind«,  werden  bezeiciinet:  »die  Ehr- 
lichkeit in  der  realistischen  Beobachtung  der 
Natur,  und  der  Reichtum  in  der  Harmonie 
der  Farben  1.     Soweit  dies  überhaupt  zu  ver- 


©^  AUSSTELLUNG  BELGISCHER  KUNST  IN  BERLIN  ?^ö 


FRITZ  KUNZ 


HL.  REGULA 


hl  der  LU-tfrai 


FRITZ  KUNZ 
■«•/.     AM-ilduniren  na 


HL.  CLARA 


,/,   den    Karte. 


Stehen  ist,  verrät  es  ein  mehr  nur  optisches 
Interesse  der  Aussteller  und  läßt  von  dem 
Interesse  am  Seelischen,  sowie  von  phantasie- 
kräftigen Schöpfungen  absehen,  obwohl  auch 
solche  hier  nicht  fehlen.  Wir  kennen  den 
Zusammenhang  dieser  Einseitigkeit  mit  der 
Verdrängung  religiöser,  zumal  kirchlicherKunst 
durch  weltliche.  Er  waltet  auch  diesmal  und 
entzieht  uns  die  Kenntnis  einer  religiösen 
Kunst,  die  von  vornherein  als  reich  gelten 
kann,  wenn  man  an  die  Eigenart  des  Landes 
denkt.  Schon  auf  der  Lütticher  Weltausstel- 
lung war  eine  Ungerechtigkeit  gegen  jene 
Kunst  zu  erkennen.  Dort  wie  hier  muß  nicht 
böse  Absicht  herrschen ;  es  spielen  da  Dinge 
herein,  die  hier  nicht  erörtert  werden  sollen. 

Die  jetzige  Ausstellung  wollte  hauptsäch- 
lich nur  so  weit  retrospektiv«  sein,  als  sie 
auch  zahlreiche  Frühverstorbene  zeigt.  Eine 
reichhaltige  Buchliteratur  soll  ergänzend  ein- 
treten, insbesondere  die  «Collection  des  Ar- 
tistes  Beiges  contemporains«.  Zwei  dieser 
Monographien  stammen  von  C.  Lemonnier; 
er  hatte  1866  »La  Belgique«  mit  Illustratio- 
nen von  C.  Meunier,  1906  »L'Ecole  Beige 
de  Peinture«  herausgegeben,  und  dieses  Buch 
gewährt  ohne  etwaige  religiöse  Tendenz  be- 
reits einen  kleinen  Einblick  in  das  auf  der 
Ausstellung  Fehlende. 

Die  älteren  dort  erwähnten  und  auch  sonst 
bekannten  Maler  werden  vielleicht  vom  Stand- 
punkte der  Ausstellung  insofern  abgelehnt, 
da  in  dieser  der  älteste  (J.  Stevens)  181 9  ge- 
boren ist.  So  verzichten  wir  auf  den  reli- 
giösen Historienmaler  F.  J.Navez  (1787 — 1869), 


auf  den  Genremaler  J.  B.  Madou  (1796  — 1877), 
auf  den  weltlichen  E.  K.  G.  Wappers  (1803 
bis  1874),  auf  den  forcierten  Tendenzmaler 
A.  J.  Wiertz  (1806 — 1865),  auf  die  drei  Führer 
der  weltlichen  »koloristischen  Historienma- 
lerei'. E.  de  Biefve  (1809— 1882),  L.  Gallait 
(1810— 1887),  N.  de  Keyser  (1813  — 1887)  und 
selbst  auf  H.  J.  A.  de  Leys  (1815  — 1869),  ob- 
wohl wenigstens  dieser  wegen  seiner  Wirk- 
samkeit die  Ausstellung  gut  bereichern  würde 
(er  war  u.  a.  Lehrer  des  englischen  Präraffael- 
liten  M.  Brown  und  ist  auch  als  Graphiker 
leicht  zugänglich). 

Nun  aber  Spätere !  Wie  bei  uns  die  >  Na- 
zarener«  und  noch  mehr  die  älteren  religiösen 
Düsseldorfer  schier  geflissentlich  vergessen 
werden,  so  scheint  es  auch  mit  ihren  belgi- 
schen Freunden  zu  gehen.  Was  in  dieser 
RichtungG.Guffens(i823  —  i90i)undJ.Swerts 
(1825  — 1879,  ein  Freund  Karl  Müllers  und 
auch  in  Prag  tätig)  geleistet  haben,  ist  nicht 
schwer  zu  finden  —  bei  Lemonnier  fast  gar 
nicht,  bequem  bei  H.  Riegel  »Geschichte  der 
Wandmalerei  in  Belgien  seit  1856.  Nebst 
Briefen  von  Cornelius«  usw.  (Berlin  1882). 
Und  in  E.  Steinles  »Briefwechsel«  (1897  I, 
S.  91)  lesen  wir:  »Im  Frühjahre  1859  ver- 
anstaltete das  belgische  Ministerium  in  Brüssel 
eine  x^usstellung  von  Kartons  deutscher  und 
französischer  Meister,  um  die  belgische  kirch- 
liche und  Monumentalkunst  zu  heben.  .  .  Die 
Treibenden  in  dieser  Sache  waren  die  beiden 
überaus  tüchtigen,  an  die  Altmeister  der  nieder- 
ländischen kirchlichen  Kunst  anknüpfenden 
Antwerpener  Maler  Guffens  und  van  Swert.« 


Q 


©^  AUSSTELLUNG  BELGLSCHl-R  KUXST  IX  BERLIN  S'®« 


Aber  noch  weiter!  Es  fehlen:  der  für  Bel- 
gien besonders  wichtige,  auch  volivstümlich- 
religiöse,  bei  Lemonnier  gut  vertretene  C.  de 
Groux  (1825  — 1870);  der  auch  in  Deutschland 
wirkende ,  teilweis  religiöse  W.  F.  Pauwels 
(1830 — 1904);  der  schülerreiche  koloristische 
Landschafter  L.  Dubois  (1830  —  1880);  der 
Führer  der  neuen  landschaftlichen  »Schule 
von  Tervueren«  H.  Boulenger  (1857  — 1874); 
der  monumental  arbeitende  A.  de  Vriendt 
(1843  — 1900),  dessen  noch  lebender  Bruder 
|.  de  Vriendt  zwar  nicht  durch  sein  berühm- 
tes >  Weihnachtslied  (,  aber  durch  ein  Bildnis 
vertreten  ist,  nachdem  wir  ihn  vorher  durch 
eine  Zeichnung  kennen  gelernt  hatten  (Jahr- 
gang V,  I,  Beil.  S.  4  f.);  endlich  der  altertüm- 
liche und  religiöse  E.  van  Hove  (geb.  1852) 
und  G.  van  Aise,  dessen  >  Saint  Lievin  en 
Flandren  1883  in  Gent  zu  sehen  war.  Wäh- 
rend der  bekannte  Impressionist  F.  Courtens 
(geb.  1853),  wohl  nur  zufällig  fehlt,  werden 
die  \'orerwähnten  vielleicht  wegen  ihres  Alter- 


tümeins abgelehnt.  Damit  würde  eben  Partei 
einbekannt  sein.  Nun  stehen  wir  vor  dem 
hier  ausgestellten  H.  de  Braekeleer  (dem 
jüngeren,  1840 — 1888,  während  der  fehlende 
ältere  J.  de  Braekeleer,  1792 — 1883,  als  typi- 
scher Genremaler  und  als  Lehrer  von  Leys 
bekannt  ist).  Würden  seine  Bewunderer  un- 
gehalten sein,  wenn  wir  ihn  bis  zur  Art  des 
Delftschen  Vermeer  überschätzten  ?  Und  wür- 
den es  die  Bewunderer  des  Wilhelm  Busch 
sein,  wenn  wir  auf  dessen  gleichzeitiger  Aus- 
stellung im  Berliner  Künstlerhaus  (die  wir 
hiermit  als  sehr  interessant,  sonst  aber  als  eine 
kleine  Enttäuschung  quittieren)  seine  farbigen 
Skizzen  gar  bis  zur  Art  des  A.  Brouwer  über- 
schätzten ? 

Von  bekannteren  Malern  finden  wir  in  der 
Belgierausstellung  folgende  vertreten  (die  wir 
nach  dem  Alter  anordnen):  die  beiden  Stevens, 
d.  i.  den  beliebten  Hundemaler  J.  Stevens 
(1819 — 1892)  und  den  Schöpfer  von  Interieur- 
szenen mit  Modekostümen  A.  Stevens  (1823 


1  Hl  1/  KLNZ 


1  lal/.  KLS/. 


Die  christliche  Ku 


'S>m  AUSSTELLUNG  BELGISCHER  KUNST  IN   BERLIN  mQ 


bis  1906),  der  besonders  den  neutranzösischen 
Einfluß  auf  Belgien  vermittelte;  den  jetzt  wohl 
auch  als  Maler  zur  Genüge  anerkannten  C.  M  e  u  - 
nier  (183  i  — 1905),  dessen  Arbeiterbilder  bei 
mehreren  der  Nachgenannten  Gefolgschaft 
finden;  sodann  F.  Rops  (1833  — 1898).  Die 
so  verschieden  beantwortete  Frage,  ob  dieser 
Künstler  als  spekulativer  Cyniker  oder  als 
ernster  Satiriker  zu  verstehen  ist,  kann  wenig- 
stens diesmal  eine  günstige  Antwort  finden. 
Zwar  seine  Graphik  »Ein  Begräbnis  im  Wal- 
lonischen« ehrt  ihn  wenig.  Sonst  aber  be- 
stätigt sich  Lemonniers  Kennzeichnung:  »il 
celebra  la  liturgie  du  peche  en  casuiste  en- 
sorcele  bien  plus  qu'en  adepte  des  saturnales.« 
Von  seinen  das  religiöse  Gebiet  streifenden 
Gemälden  fehlt  die  schauerliche  Versuchung 
des  heiligen  Antonius  (/Cest  la  glose  des 
desagregations  morales  d'un  temps  qui  se  sou- 
met  ä  la  Suprematie  du  principe  feminin«). 
Vorhanden  ist  derpackend  phantastische  Satan, 
der  Unkraut  sät.  Im  übrigen  interessieren 
besonders  seine  Virtuositäten  der  Radierung 
(auch  Weichfirnis  und  kalte  Nadel);  ein  Licht- 
druck nach  »Les  adieux  d'Auteuil",  ist  von 
ihm  selbst  gänzlich  übermalt. 

Wir  begegnen  weiterhin:  K.  E.  Wauters 
(geb.  1846),  der  nicht  als  Historiker,  sondern 
als  Porträtist  kommt  und  als  solcher  modernem 
Geschmack  wohl  zu  süßlich  erscheint;  E.  Claus 
(geb.  1849),  als  Pleinairist  und  Pointillist  be- 
kannt und  hier  durch  Landschaften  vertre- 
ten, die  wahrhaft  überzeugend  wirken  ;  F.  van 
Leemputten  (geb.  1850),  der  statt  seiner 
Arbeiterbilder  nur  eine  Landschaft  bringt; 
L.  Frederic(geb.  1856),  von  dem  hier  ebenfalls 
mehr  sein  zum  Teil  geschmackloser  Pleinai- 
risnius,  als  seine  Charakteristik  des  Arbeiter- 
lebens hervortritt,  und  dessen  /Zum  Schmucke 
der  Kirche«  (Nonnen  mit  Kindern)  Hervor- 
hebung verdient;  F.  Khnopff  (geb.  1858), 
dessen  vielberufene  Mystik  uns  nicht  abstöf]t; 
H.  Luyten  (geb.  1859),  der  wiederum  nur 
durch  ein  Bildnis  statt  durch  seine  Arbeiter- 
bilder vertreten  ist;  T.  van  Rvsselberghe 
(geb.  1862),  von  dessen  gut  impressionistischer 
und  pointillistischer  Phantasiekraft  das  ein- 
zig vorhandene  Porträt  nur  dürftig  spricht : 
E.  Laermans  (geb.  1864),  ein  Armenmaler  im 
besten  Sinne  des  Wortes,  neben  dessen  »Fried- 
licher Abendstimmung".  »Der  Blinde«  und 
»Der  Betrunkene«  auch  durch  eine  eindrucks- 
volle Flächenkunst  hervorragen  ;  A.  Barts  o  e  n 
(geb.  1866),  hier  wohl  der  Hauptzeuge  für 
die  flämische  Kunst  stimmungsvoller  Stadt- 
bilder, neben  dessen  »Dämmerstunde  in  einem 
flandrischen  Städtchen«  u.  dgl.  auch  gute 
Radierungen  von  seiner  Kunst  zeugen  ;  V.  Gil- 


soul  (geb.  1867?),  dessen  anerkannte  Land- 
schaftskunst durch  zwei  Proben  vertreten  ist; 
endlich  den  jung  verstorbenen  fruchtbaren 
H.  Evenepoel  (1872 — 1900),  von  dessen 
Pariser  Szenen,  an  Manet  und  an  Rops  er- 
innernd, Gemälde  sowie  GrifTelwerke  ausge- 
stellt sind. 

In  weiteren  Kreisen  wohl  noch  unbekannt 
sind  zahlreiche,  meist  anscheinend  ganz  junge 
Künstler.  Die  wohl  eigenartigste  Kunst  der 
diesmal  zu  sehenden  Belgier,  die  Meisterschaft 
in  der  verträumten  Stimmung  von  Innen- 
räumen, gipfelt  vielleicht  in  den  »Langsamen 
Stunden«  des  (jüngeren)  H.  Courtens.  Neben 
vielen  Landschaften,  z.  B.  denen  des  bereits 
länger  vergangenen  L.  Artan  (1837 — 1890) 
Schule  Tervueren),  den  Tierbildern  des  eben- 
falls schon  weit  zurückreichenden  A.  Verwee 
(1838 — 1895)  und  der  uns  gut  auffallenden 
Schneelandschaft  des  wohlangesehenen  Aka- 
demiedirektors von  NamurT.  Baron  (1840  bis 
1899)  wirken  trotz  oder  wegen  naturfremder  Be- 
handlung eindrucksvoll:  »Nächtliche  Weihe« 
von  H.  J.  Hey  m  ans  (geb.  1839,  ebenfalls  Ter- 
vueren), »Die  Schule  des  Plato«  vonj.  Del- 
ville  und  das  umfangreiche  »Sacra  sub  ar- 
horei  von  C.  Montald  —  eine  im  guten 
Sinne  dekorativ-malerische  Schöpfung,  die 
zwei  letzteren  Werke  jedoch  beeinträchtigt 
durch  süßliche  Körperfarben.  Totentanzartig 
sind  ein  Gemälde  »Fasching«  von  C.Lam- 
bert und  besonders  eine  der  beachtens- 
werten Radierungen  von  J.  Ensor. 

Eigentlich  Religiöses  fehlt  fast  völlig.  Als 
äußerlichen  Ersatz  dafür  haben  wir  (während 
ein  A Heiliger  Georg«  von  M.  Langaskens 
nur  im  Kataloge,  nicht  in  der  Ausstellung 
vorhanden  ist)  licht-  und  farbenreiche,  zum 
Teil  sogar  an  Phantastik  reiche  Kirchenin- 
terieurs u.  dgl.  von  L.  Cambier,  W.  Vaes 
(ebenfalls  mit  guten  Radierungen),  A.  Ver- 
haeren  und  besonders  von  A.  Delaunois, 
dessen  Zeichnungen  und  Radierungen  auch 
von  einem  tieferen  Können  zeugen.  Die  beiden 
Smits  (E.  und  J.)  sind  nicht  mit  den  in- 
timeren Kompositionen  vertreten ,  die  uns 
wohl  ein  noch  günstigeres  Bild  geben  wür- 
den, als  es  kleinere  Genrestücke  u.  dgl.  tun. 
Im  übrigen  kehren  mannigfaltige  typische  Ein- 
drucksbilder von  Landschaften,  zumal  aus  dem 
Hafenleben,  wieder,  auch  bei  Künstlern,  die 
noch  mehr  können,  z.  B.  bei  C.  M  er  t  e  n  s.  Neben 
einem  gut  auffallenden  »Sommer«  von  G.  Mor- 
zen  und  einen  ebensolchen  »Mondschein« 
von  J.  Rosseis  (geb.  1828,  Tervueren)  bringt 
z.  B.  E.  Le  vert  (1865  — 1901)  ein  als  »Akkord 
auf  Blau  und  Rot«  bezeichnetes  Interieur  und 
H.    Thomas    charakteristische    Akte.      Das 


SJ^  BAMBERGER  ELFEXBEINRELIEF  ?^?3 


123 


Portratgemälde  erhebt  sich,  etwaJ.Verhe  yden 
ausgenommen,  nicht  hoch ;  ein  Bildnismaler 
von  der  Kraft  des  L.  de  Winne  (1821  — 1880), 
dessen  Standbild  in  Gent  von  dem  nachher 
zu  erwähnenden  P.  de  Vigne  herrührt,  würde 
wohl  schon  zu  »alt«  für  die  jetzige  Ausstel- 
lung sein. 

Dagegen  erfreut  sie  durch  plastische  Bild- 
nisse und  überhaupt  durch  Plastik.  An  Alter 
steht  voran  C.  van  der  Stappen  (geb.  1843), 
der  malerische«  Brüsseler  Akademiedirektor, 
fruchtbar  auch  für  das  Kunstgewerbe ;  sein 
David«  und  »Der  Mann  der  Schmerzen« 
mögen  als  religiöse  Werke  gelten.  Der  klas- 
sische P.  de  Vigne  (1843  — 1901)  bringt  cha- 
rakteristische Einzelfiguren.  J.  Dillens(i849 
bis  1904)  steht  ebenfalls  seit  langem  in  all- 
gemeiner Anerkennung.  Sein  etwas  geziertes 
Kirchhofswerk  »Das  Schweigen  des  Grabes« 
lernen  wir  hier  durch  eine  verkleinerte  Wieder- 
gabe kennen ;  daneben  seinen  Entwurf  der 
Marmorstatue  des  Malers  Bernd  van  Orley, 
die  mit  neun  anderen  das  Brüsseler  Denkmal 
Egmonts  und  Horns  umgibt.  T.  \'incotte 
(geb.  1850),  der  Hof-,  Salon-  und  Pferdebild- 
ner, ist  nur  durch  Kleineres  vertreten.  Der 
nach  viel  V'erkennung  mit  Recht  berühmte 
flämische  Michelangelo;;  j.  Lambeaux(i852 
'bis  1908),  tritt  umfassender  hervor;  sein  Frag- 
ment des  Modelles  zum  bekannten  Relief  der 
»Menschlichen  Leidenschaften«,  die  »Verfüh- 
rung <,  kann  die  widersprechenden  Urteile, 
die  vor  drei  Jahren  seinem  »Gebissenen  Faun« 
zuteil  geworden  sind,  in  einer  von  seelischer 
Kunst  zeugen  den  Weise  günstig  klären.  \'.  Rous- 
seau (geb.  1861).  auf  dessen  Eigenart  anschei- 
nend viel  Hoffnung  gesetzt  wird,  arbeitet  eben- 
t'alls  mit  eindringlicher  Phantasiekraft,  und 
j.  V.  Lalaing  als  vielseitiger  Plastiker  und 
Maler.  Die  Bildnisse  von  C.Samuel  (geb.  1862) 
sind  zierlich,  die  von  J.  Lagae  (geb.  1862) 
und  die  Medaillen  von  G.  d  e  V  re  e  s  e  (geb.  1 86 1 ) 
gehören  zu  den  besten.  Es  fehlen  u.  a.  aus 
älterer  Zeit  K.  H.  Geerts  (1807 — 1855),  E.  Si- 
monis(i8io  — 1882) und G.  deGroot(geb.i839); 
aus  jüngerer  Zeit  G.  Minne  (geb.  1867). 

Den  Museen  und  den  Privaten,  weiche  die 
Ausstellung  durch  Leihgaben  bereichert,  sowie 
den  zwei  Kunstgesellschaften,  welche  sie  ver- 
anstaltet haben,  gebührt  mindestens  der  Dank 
einer  Revanche,  um  die's  ihnen  wohl  eben- 
falls zu  tun  war:  einer  reichlichen  Beschickung 
der  Brüsseler  Ausstellung  von  19 10  durch 
Deutschland.  Hoffentlicli  wird  dabei  die  jetzige 
Einseitigkeit  nicht  ebenso  nacligeahmt,  wie 
in  unseren  eigenen  Galerien  und  Ausstel- 
lungen. 


Das  \'orstehende  war  bereits  geschrieben,  als 
dem  Referenten  eine  es  bestätigende  Zeitungs- 
notiz bekannt  wurde  (»Vossische  Zeitung«, 
13.  Okt.  1908,  Nr.  481,  6.  Beilage).  Danach 
habe  diese  Ausstellung  bereits  vorher  in  Brüssel 
Unmut  erregt,  infolge  von  Lücken,  »die  ge- 
schaffen wurden,  weil  gewisse  Kreise  gewissen 
Leuten  nicht  genehm  sind«.  Mit  unserem 
Vermissen  von  Arbeitcrbildern  scheint  es  zu 
stimmen,  daß  namentlich  H.  de  Groux  (der 
jüngere)  in  der  heftigsten  Weise  protestiert 
habe.  Künftig  solle  die  Zulassung  zu  belgi- 
schen Ausstellungen  im  Ausland  einer  vom 
Staat  und  den  maßgebenden  Künstlervereini- 
gungen zusammengesetzten  Jury  anvertraut 
w'erden.  Es  sei  anzunehmen,  daß  die  Aus- 
geschlossenen ,  unter  denen  sich  namhafte 
Künstler  befinden,  noch  in  dieser  Saison  in 
Berlin  eine  weitere  belgische  Ausstellung  or- 
tranisieren«. 


DAS   BAMBERGER   ELFENBEIN- 
RELIEF CIM  57  AUF  DER  HOF- 
UND  STAATSBIBLIOTHEK 
ZU  MÜNCHEN 

Von  MAX  HAUTTMAXN 

Die  karolingische  Kunst  ist  nicht  die  F'rucht 
einer  organischen  künstlerischen  Ent- 
wicklung des  Germanenvolkes,  sondern  die 
künstliche  \'erpflanzung  einer  den  Germanen 
wesensfremden  Kunst,  der  Antike,  nach  den 
deutschen  Landen,  hauptsächlich  zum  Zwecke 
der  Erziehung  der  Franken.  Karl  der  Große 
und  sein  gelehrter  Kreis  stellten  dem  \'oike 
antike  Kultur,  Literatur,  Wissenschaft  und 
Kunst  als  Vorbild  auf  und  schmeichelten 
sich,  eine  »Wiedergeburt  des  Wesens  der  Al- 
ten« herbeigeführt  zu  haben.  Wir  werden 
heute  der  karolingischen  Periode  den  Namen 
der  ersten  Renaissance  nicht  zuerkennen 
können :  die  germanischen  \'ölker  waren 
noch  nicht  reif  genug  zu  einem  selbständigen 
Erfassen  und  fruchtbaren  \'erarbeiten  der 
Antike,  der  karolingischen  Kultur  fehlen  die 
Wurzeln  im  Volke  und  damit  die  Kraft  zu 
einer  eigenartigen  Entwicklung:  Und  so  ist 
sie,  wenn  wir  auch  sehr  interessante  Ver- 
suche zu  einer  \'ermischung  der  eben  noch 
zu  wenig  ausgebildeten  germanischen  Ele- 
mente mit  den  antiken  finden  und  trotzdem 
das  ganze  Mittelalter  letzten  Endes  in  ihr 
verankert  liegt,  doch  weniger  der  Beginn 
einer  neuen  Zeit  als  vielmehr  ein  Ausleben 
der  Antike:  die  karolingische  Kunst  bringt 
immer  wieder   die   antiken  Formen,  antangs 


124 


»^  15AMBERGER  ELFEN l^EINRELIl-F  mö 


noch  frisch,  später,  bei  zunehmendem  tech- 
nischem Raffinement  oft  äußerhch  und  ober- 
flächlich erfaßt,  und  ihre  Diirstellungen  ver- 
raten nicht  nur  in  der  Vorhebe  für  Stoffe 
lehrhaften,  besonders  dogmatischen  Charak- 
ters den  gelehrten  antiken  Geist,  sondern 
sind  trotz  des  Verbotes  Karls  des  Großen  ') 
mit  direkt  aus  der  Antike  herübergenomme- 
nen Motiven  und  Vorstellungen,  Personih- 
kationen  und  Allegorien  durchsetzt. 

Die  Münchner  Hof-  und  Staatsbibliothek 
besitzt  ein  karolingisches  Elfenbeinrelief  aus 
dem  Bainberger  Domschatz,  das  die  Kreuzi- 
gung darstellt  (cim  57,  clm  4452). 2)  Das  Re- 
lief ist  in  einen  mit  Emaillen  und  edlen 
Steinen  geschmückten  Buchdeckel  eingelassen, 
die  eigentliche  Darstellung  von  einem  Blätter- 
kranz und  einlachen  Leisten,  an  den  Längs- 
seiten von  zwei  breiteren  Ornamentstreifen  ein- 
gefaßt (Abb.  S.  125).  Dem  Werke  liegt  die  ide- 
alistische Auff"assung  der  Kreuzigung  zugrunde. 
Der  Künstler  führt  uns  zwar  den  historischen 
Akt  vor  Augen  und  ist  bestrebt  der  biblischen 
Schilderung  zu  folgen,  indem  er  Maria  mit 
den  weinenden  Frauen,  Johannes,  Stephaton, 
der  Christus  den  Essigschwamm  reicht,  und 
Longinus,  der  den  Stoß  mit  der  Lanze  nach 
Christi  Seite  führt,  anbringt.  Aber  wie  der 
Gekreuzigte  durch  seine  Größe  aus  den  um- 
gebenden Figuren  herausgehoben  und  zum 
Mittelpunkt  der  ganzen  Tafel  gemacht  ist, 
so  ist  auch  der  historische  Vorgang  heraus- 
gehoben über  das  Irdische  und  in  seiner  ewigen 
Bedeutung  als  Opfertod  des  Sohnes  Gottes,  als 
Mittelpunkt  der  Heils-  und  Weltgeschichte 
erfaßt:  Christus, 3)  den  sich  die  fromme 
Ehrerbietung  nicht  leidend  vorstellen  will, 
schwebt  mit  Kreuznimbus  und  Lendenschurz, 
ohne  Nägel  und  Wundmale,  ohne  Suppe- 
daneum  frei  vor  dem  Kreuz  mit  geöff'neten 
Augen  und  wagrecht  ausgebreiteten  Armen 
als  Erlöser,  der  sich  freiwillig  hingibt  für  die 
Menschheit.  Das  Haupt  ist  auf  die  rechte 
Schulter  gesunken,  der  Augenblick  des  Ver- 
scheidens  ist  nahe:  Von  den  Engeln,  die 
das  Kreuz  umschweben,  hat  der  mittelste  ein 
Tuch  ausgebreitet,  in  dem  er  die  Seele  des 
Verstorbenen    hinauftragen    wird 4)    zu    Gott 


')  In  den  Libri  Carolin!,  vergl.  Janitschek,  Gesch.  d. 
deutschen  Malerei,  S.  16,   17. 

^)  Die  reichhaltige  Literatur  darüber  ist  zusammen- 
gestellt in  der  Besprechung  bei  W.  Vöge,  Eine  deutsche 
Malerschule  usw.,  Westdeutsclie  Zeitschrift  für  Geschichte 
und  Kunst,  Ergänzungsheft  VII,  Trier  1891,  S.  113  ff. 
Das  Wichtigste  aus  der  neueren  Literatur  wird  im  Ver- 
lauf der  Darstellung  angeführt. 

3)  Nicht  barüos  (Vöge),  sondern  mit  Vollbart. 

•t)  Nach  Analogie  von  verschiedenen  Darstellungen, 
z.  B.  der  allerdings  späteren  des  Todes  Maria  (Blatt  161  b), 


Vater,  dessen  Anteilnahme  an  denr  Vorgang 
auf  Erden  durch  die  aus  den  Wolken  reichende 
Hand  versinnbildet  ist.  Durch  seinen  Tod 
bricht  Christus  die  Macht  der  Hölle:  das  be- 
deutet die  Schlange,  das  Prinzip  des  Bösen, 
die  verendet  zu  Füßen  des  Kreuzes  liegt. 
Die  vegetative  Form  des  Kreuzes  spielt  auf 
die  Legende  an,  daß  der  Kreuzesstamm  vom 
Baum  der  Erkenntnis  herkommt.  5)  —  Christus 
stirbt  am  Kreuz,  aber  er  überwindet  den 
Tod:  Daran  erinnert  der  Künstler  durch  die 
Darstellung  auf  dem  mittleren  Felde:  Vor 
einem  dreistöckigen  Grabbau,  hinter  dem 
vier  Wächter  sichtbar  werden,  verkündet  der 
Engel  den  überraschten  Frauen,  die  mit  Salben- 
büchsen zum  Grab  gekommen  sind,  die  Auf- 
erstehung des  Herrn.  Unter  dieser  Szene  ist 
die  Auferstehung  der  Toten  angebracht,  die 
auf  die  Erlösung  der  Seelen  in  der  Vorhölle, 
besonders  der  Stammeltern,'')  hinweist.  Um 
die  weltumfassende  Bedeutung  der  Kreuzi- 
gung zu  versinnbilden,  läßt  der  Künstler  die 
ganze  Natur  an  dem  Vorgang  teilnehmen : 
Sonne  und  Mond,  in  den  beiden  oberen  Ecken 
in  Kranzmedaillons  als  Gottheiten  mit  Fackeln 
in  Wagen  dargestellt,  Sol  von  vier  Rossen, 
Luna  von  vier  Kühen  gezogen,  Meer  und  Erde 
in  den  unteren  Ecken,  Oceanus  als  bärtiger 
Mann  mit  Schlangenhörnern  auf  dem  Kopf  7) 
charakterisiert  durch  ein  Füllhorn  und  eine 
ausgegossene  Urne,  Tellus  ebenfalls  mit  Füll- 
horn und  zwei  Schlangen,  von  denen  eine  an 
ihrer  Brust  saugt. 

Drei  Figuren  bleiben  uns  noch  zu  deuten 
übrig.  Es  handelt  sich  um  Personifikationen, 
wie  sie  weiterhin  im  Mittelalter  geläufig  sind 
und  zu  deren  Erklärung  die  Liturgie,  Hymnen 
und  teilweise  auch  das  geistliche  Schauspiel 
herangezogen  werden  müssen  8).  Leicht  ist 
die  Deutung  der  weiblichen  Gestalt  in  lan- 
gem Mantel  unter  dem  Kreuz :  Es  ist  die 
Personifikation  der  Kirche,  eine  Ekklesia,  mit 
der  Fahne  der  Weltherrschaft  und  dem  Kelch, 
in  dem  sie,  die  bestellte  Verwalterin  des 
Sakramentes,  Christi  Blut  auffängt.  Schwierig 
dagegen  ist  die  Erklärung  der  Gruppe  rechts 
am  Rande.   Sie   hat  die  verschiedensten    Aus- 


der  Handschrift  clm  4452.  Ein  Schweißtuch  scheint 
nicht  zur  Auffassung  zu  passen.  —  Bei  den  seitlichen 
Engeln  sind  Kreuz-  oder  Lilienstäbe  zu  rekonstruieren, 
vergl.  Kreuzigungsrelief  von  Essen. 

5)  F.  Piper,  Der  Baum  des  Lebens,  Berlin   1863. 

•>)  Die  Legende  nimmt  Adams  Grab  auf  Golgatha  an. 
Adam  ist  unter  dem  Kreuz  inschrifthch  bezeugt.  Vergl. 
dazu  Otte,  Handbucli  der  kirchlichen  Kunstarchäologie, 
Leipzig  1883,  I.  S.  540. 

7)  Vergl  Kreuzigungsrelief  von  Tongern  (abg.  bei 
Cahier-Martin,  Melanges  d'Archeologie,  Vol.  II,  PI.  VI.) 

^)  Vergl.  Paul  Weber,  Geistliches  Schauspiel  und  kirch- 
liche Kunst,  Stuttgart  1894. 


125 


Zum  Arltkel  S.  ujff. 


CIM  57  DEK  KÜL.  STAATS- 
BIBLIOTHEK MÜNCHEN« 


126 


S2^  BAMBHRGI-R  EI.FENBEINRELIEF  m:<2> 


legungen  erfahren,  von  denen  die  Webers  am 
besten  sein  dürfte.  Weber')  erkennt,  wie  die 
meisten  anderen  Eri^lärer,  in  der  stehenden 
Figur  die  Eklvlesia  wieder  und  deutet  die  mit 
einer  Mauerkrone  geschmückte,  vor  einem  Ge- 
bäude sitzende  Frau,  die  eine  Scheibe  auf 
dem  Schoß  hält,  als  Synagoge,  die  Personi- 
fikation des  Judentums.  Und  die  Szene  erklärt 
er  auf  Grund  einer  als  Anhang  zu  den  Werken 
des  Kirchenvaters  Augustinus  auf  uns  ge- 
kommenen Schrift :  De  altercatione  Ecclesiae 
et  Synagogae  dialogus  als  ein  Streitgespräch 
zwischen  Kirche  und  Synagoge.  Durch  die 
Worte  des  Dialogs  können  wir  mühelos  die 
einzelnen  Attribute  deuten:  Die  Synagoge 
sagt  zur  Ekklesia :  >Ich  herrschte  .. .  bei  Jeru- 

')  A.  a.  O.,  S.  27  ff.    Andere  Erklärungen  sind  zusam- 
mengestellt bei  Vöge  a.  a.  O.,  S.  i  u). 


DIE  ST.  PETERSKIRCHE  IN  MÜNCHEN 
Früherer  Zustand.      Text  S.  r/2  und  1:3 


salem  in  Purpur  gehüllt;  ich  besaß  das  römi- 
sche Reich,  ich  besiegte  fremde  Völker...« 
Darum  das  Gebäude  und  die  Mauerkrone 
und  das  prächtige  Gewand  auf  unserer  Dar- 
stellung, darum  auch  der  Schild,  als  den  wir 
wohl  die  Scheibe  in  ihrer  Linken  zu  erklären 
haben,  2)  das  Zeichen  ihrer  kriegerischen 
Macht.  Am  Schlüsse  des  Dialoges  unterwirft 
sich  die  Synagoge  bedingungslos  der  Ekklesia 
und  so  schreitet  auf  unserer  Darstellung  die 
Ekklesia  auf  die  Synagoge  zu  und  nimmt  ihr 
das  Zeichen  ihrer  Macht,  den  Schild  ab.  — 
Leicht  fügt  sich  dann  in  diesen  Ideenkreis  die 
auch  von  andern  Erklärern  gegebene  Deutung 
des  üppigen  Weibes  auf  dem  Thronsessel 
zwischen  Meer  und  Erde.  Es  ist  die  Roma, 
die,  bisher  unter  der  Herrschaft  der  Synagoge, 
sich  Christus  und  seiner  Kirche  bewundernd 
zuwendet. 

Zu  der  Gruppe  rechts  vom  Kreuz  ist 
noch  einiges  zu  bemerken.  Ich  glaube 
nicht,  daß  die  Ekklesia,  wie  Weber  an- 
nimmt, mit  der  Fahne  auf  die  Syna- 
goge zuschreitet;  der  Stelle  ist  zwar 
schwer  beizukommen,  aber  man  kann 
doch  erkennen,  daß  die  halbgeöffnete 
rechte  Hand  der  Synagoge  mit  den 
Fingern  an  der  Fahnenstange,  die  die 
Ekklesia  in  der  Faust  hält,  anliegt,  und 
die  ganze  Haltung  des  Arms  spricht  da- 
für, daß  die  Synagoge  eben  noch  die 
Stange  in  der  Hand  gehabt  hat.  Deshalb 
werden  wir  hier  die  Fahne  der  Syna- 
goge zu  sehen  haben,  die  die  Ekklesia, 
die  neue  Herrscherin,  mit  dem  Schild 
an  sich  nimmt.  Gewöhnlich  sind  beide 
Personihkationen  mit  der  Fahne  ausge- 
stattet, hier  hat  aber  der  Künstler  aus 
Platzmangel,  oder  weil  er  das  Entreißen 
deutlich  machen  wollte,  nur  eine  ange- 
bracht. Klar  läge  die  Sache,  wenn  die 
Fahnenstange  nicht  oben  abgebrochen 
wäre.  Die  Fahne  der  Ekklesia  unterm 
Kreuz  läuft  nämlich  in  ein  Kreuz  aus 
und  zwar  ist  dieses  ganz  nahe  an  der 
zweitobersten  Befestigungsstelle  des  Fah- 
nentuches auf  die  Stange  aufgesetzt.  Die 
strittige  Fahne  ist  über  der  obersten  Be- 
festigungsstelle des  Fahnentuches  abge- 
brochen, es  müßte  also,  wenn  es  die 
gleiche  Fahne  wie  die  unterm  Kreuz 
wäre,  noch  ein  Stück  des  Kreuzvertikal- 
balkens zu  sehen  sein,  was  nicht  der 
Fall  ist.  So  spricht  die  Fahne  selbst  zum 
mindesten  nicht  gegen  obige  Erklärung. 

^)  Vergl.  die  Kreuzigungsdarstellung  im  Drogo- 
saliramentar,  abg.  bei  Weber,  a.  a.  O.,  S.  i6. 
Text  S.  18. 


»B^  ba.\ibergi;r  elfexbeinreliiü-  >^?S 


127 


DIE  ST.  rETl£RSKlRCHE  1\  MCNCHES 
Jftzigfr  Ziistaftd,      Text  S.  114 


Ferner:  Bei  beiden  Figuren  der  Ekklesia 
ist  der  Mantel  ganz  charakteristisch  drapiert: 
Er  endigt  nicht,  wie  bei  den  andern  Frauen, 
verdeckt,  sondern  das  Ende  ist  noch  einmal 
über  die  Schulter  auf  den  Kopf  hinaufge- 
nommen und  fällt  in  langer  Linie  den  Rücken 
herunter.  Diese  Art  der  Drapierung  erfor- 
dert ein  Befestigungsmittel  auf  dem  Kopf  und 
wirklich  sehen  wir  bei  der  Gestalt  rechts 
auf  dem  Kopf  eine  kleine  Erhöhung,  die  vorne 
durch  eine  vertikale  Kerbe  in  zwei  zacken- 
ähnliche Teile  zerlegt  wird.  Eine  dritte  Zacke 
scheint  dahinter  weggebrochen  zu  sein.  Dar- 
unter kann  man  einen  schmalen  horizon- 
talen Reif  unterscheiden,  der  möglicherweise 
mit  Punktornament  verziert  war.  Beim  Kopt 
der  Figur  unterm  Kreuz,  der  stark  abgescheuert 
ist,  läLk  sicli  nichts  Sicheres  mehr  erkennen. 
\'on  der  Ekklesia  rechts  aber  möchte  ich  an- 
nehmen, daß  sie  einen  Kopfsciimuck  trägt 
und  zwar  entweder  einen  sciimalcn,  vom  Kopt- 
tuch verdeckten  Reif  —  die  Form  des  Hinter- 
kopfes wiese  darauf  hin  —  auf  dem  vorne 
über  der  Stirn  irgendein  Emblem  oder  Zacken 
saßen,    oder   nur   eine   Art   Diadem   als   »zag- 


hafte Andeutung  einer  Krone«  —  ähnlich  wie 
sie  Swarzenski  nachweist. ')  Wir  hätten  dann 
hier  eine  der  frühesten  gekrönten  Ekklesia- 
figuren  und  die  Worte  der  Kirche  im  Streit- 
dialog: »Daher  bin  ich  jetzt  die  Königin, 
.  .  ich  bin  die  Braut  des  Herrn,  der  mein  Haupt 
gekrönt  hat;,  wären   deutlich  illustriert. 

Die  Handschrift,  die  unsere  Platte  schmückt, 
wurde  von  Heinricli  II.  vor  1014  nach  Bam- 
berg gestiftet  und  man  iiat  früher  die  Platte 
für  gleichzeitige  deutsche  Arbeit  gehalten. 
Heute  ist  man  sich  darüber  einig,  daß  sie 
eine  karolingische  Arbeit  ist,  die,  wie  das  oft 
geschah,  im  i  I.Jahrhundert  von  einem  älteren 
Werk  weggenommen  \s  urde.  Die  Platte  ist  auf 
Untersicht  gearbeitet;  In  den  einzelnen  Ab- 
teilungen sind  die  unteren  Partien  als  Flach- 
relief behandelt,  während  die  oberen  immer 
mehr  heraustreten,  was  besonders  bei  den 
zwei  Grabbauten  in  der  untern  Abteilung  deut- 
lich zu  sehen  ist:  Sie  scheint  also  von  An- 
fang an  bestimmt  gewesen    zu  sein,  ein  auf 

»)  In  dem  Cod.  VI.  55  des  Stiftes  St.  Peter  in  Salz- 
burg. Vergl.  G.  Swarzenski,  Die  Regcnsburger  Buch- 
malerei, Leipzig  1901,  S.  15  g. 


128 


SX^  ORPHEUS  REGRUSZT  DAS  LICHT  S^ö 


Jetziger  Abschhip  des  Turmes  der  Peter 
in  Müitcheit.      Text  S.  Ild 


dem  Altar  auf  einem  schrägen  Pult  liegendes 
Buch  zu  schmücken.  —  Ikonographisch  fügt 
sich  unser  Werk  in  eine  größere  Reihe  von 
Kreuzigungs  darstellungen'jein,  von  denen  ein 
Elfenbein  im  South -Kensington -Museum  in 
London  (Westwood  Nr.  255)  und  eines  aut 
dem  Deckel  von  Cod.  9383  der  Bibliotheque 
nationale  in  Paris  ihr  am  nächsten  stehen, 
jedoch   einen    mehr   altertümlichen    Stil   ver- 


treten, so  daß  unsere  Platte  wohl  erst  ins 
IG.  Jahrh.  zu  setzen  ist.  Stilistisch  gehört 
sie  mit  ihren  starken  antiken,  byzantinischen 
und  angelsächsischen  Einflüssen  zu  derCruppe 
von  Elfenbeintafeln,  an  deren  Spitze  die 
Illustration  zu  Psalm  56  auf  dem  Psalter  Karls 
des  Kahlen  in  der  Pariser  Nationalbibliothek 
steht  und  zu  der  auch  das  Kreuzigungsrelief 
im  Bayerischen  Nationalmuseum  zu  rechnen 
ist.  Diese  Gruppe  deckt  sich  vollständig  mit 
den  Werken  eines  für  Rheims^)  nachge- 
wiesenen Miniatorenateliers,  aus  dem  auch 
der  Utrechtpsalter  hervorgegangen  ist,  und 
so  dürfen  alle  diese  Elfenbeine  als  Arbeiten 
der  Rheimser  Schule  bezeichnet  werden. 


ORPHEUS  BEGRUSZT  DAS  LICHT 

Nach  einem  Bilde  von  Corot 

Mit  Silbersohlen  auf  der  Wolken  Gold 
Nahst  du,  Aurora!  —  Strahlend  aufgerollt 
Hebt  sich   der  Purpurvorhang  aus  dem  Tal 
Und  Sonnenfluten  strömen  aus  zumal. 

Ich  aber  singe;  Heil  dem  Weckerlicht! 
im  Glück  gebadet  heb'  ich  mein  Gesicht 
Zu  deiner  ew'gen  Schönheit,   Helios ! 
Aufleuchtend  grüßen  Blumen  dich  und  Moos! 

Aufleuchtend  grüßenSträucher  dich  und  Baum, 
Spirä  und  Binse  auf  der  Wiese  Raum, 
Schwerthalm  und  Lilie  an  des  Stroms  Gestad, 
Durchsicht'ge  Gräser  an  des  Baches  Pfad! 

Und  alle  Wipfel,  die  dein  Segen  krönt 
Und  alle  Stämme,  die  er  leuchtend  tönt. 
Und  alle  Birken,  die  er  küssend  trifft, 
Die  Weiden,  die  er  malt  mit  Silberstift. 

Das  Zitterflimmern,  das  im  Wasser  schwimmt 
Die  Strahlenwege,  die's  vom  Himmel  nimmt. 
Und  alle  Fernen,   die  durchleuchtet  stehn 
Und   alle   Berge,   die  in   Duft  vergehn. 

Das  ganze  Leben,  das  du  glühend  schufst 
UndausderNachtzumGlanzdesMorgensrufst. 
Sieh',  beide  Arme  streck'  ich  betend  aus, 
Daß    du  vernehmest   meines  Lieds  Gebraus. 

Im  Jubel  all  mein  Wesen  hochaufschießt. 
Weil  voll  von  Licht  die  ganze  Seele  ist. 

M.  f-lcrbert 


')  Vergl.  Mulinier,  Ivoires,  Paris  1896,  S.  i; 


^)  Vergl.  Swarzenski,  Die  karolingische  Malerei  und 
Plastik  in  Rheims.  Jahrb.  d.  Kgl.  preuß.  Kunstsammlun- 
gen 1902. 


Für  die  Redaktion 


■tlich  :  S.  Staudhamer 
Druck  von  F. 


;naJeplatz  3);    Verlag  der  Gesellschaft  für  christliche  Kunst,   G. 
ann   A,G.    -  Sämtliche  in  München. 


Adolf  von    Hildebrandt 

Porträtbüste  des  Professors 
Jos.  Floßmann  o  o  o  o  o  o 


AHB.  I.     LINKER  SEITEKALTAR  IN  EMERTSHAM    (OBBAY.) 
UM  I ;  io.  —   Text  S.  130 


CHARAKTRRISTIK  DER  SPÄTGOTISCHEX  HOLZPLASTIK 
DES  INX-SALZACH-GEBIETHS 

Von  Dr.  G.  E.  LÜTHGEX 


r^as  Inn-Salzach-Gebitt,  J.  h.  das  Land  zwi- 
*-^  sehen  Inn  und  Salzach  nördlich  von  Tirol, 
gehörte  während  des  ganzen  Mittelalters  zu 
der  Erzdiözese  Salzburg  Als  Metropole  der 
ehemaligen  Kirchenprovinz  Bojarien  war  Salz- 
burg in  der  Tat  das  alte  Kulturzentrum  des 
deutsciien  Südostens ..  \'on  jeher  lag  hier  ein 
Hauptsitz  des  Kunstlebens  für  das  jetzige  Ober- 
bayern. 

Die  natürlichen  Grenzen  des  Inns  und  der 
Saizach,  die  vorherrschende  Stellung  Salzburgs 
gaben  der  Kunst  dieses  Gebietes  starke  ge- 
meinsame Züge :  Gleichartigkeit  in  der  \'or- 
liebe  lür  Stoffe,  die  mehr  einer  gefühlsmäßi- 
gen als  intellektuellen  Behandlung  zugänglich 
waren;  Gleichförmigkeit  in  der  Wahl  formaler 
Motive,  die  scharfer  Akzentuierung  entbehrten ; 
dazu  die  Neigung  zu  einer  die  individuellen 
N'erschiedenheiten  stark  verschleiernden  Form- 
gebung. 

Das  Ciiarakteristische  des  Salzburger  For- 
mensinnes  liegt  in  seiner  Entlehnung  von  Ele- 
menten italienischen  Formgefühles.   Ein  leises 


Nachklingen  des  leinen  Geschmackes  der  rei- 
fen Kultur  der  romanischen  Rasse  scheint  hier 
Gleichwertigkeit  der  formalen  undpsvchischen 
Probleme  bedingt  zu  haben.  Doch  nur  zu- 
weilen ungetrübt.  Denn  allzu  oft  wird  durch 
merkwürdige,  fast  bäurisch  barocke  Einfälle 
das  in  seinem  Wesen  erfaßte  Forniprinzip 
gänzlich  verdeckt. 

Die  tiroler  und  italienischen  Anregungen 
in  der  Formensprache  des  Inn  SalzachGebietes 
hat  für  die  Malerei  B.  Riehl  eingehend  nach- 
gewiesen.') Der  spezitische  Charakter  der  ge- 
samten Kunst  dieser  Gegend  wird  bestimmt 
durch  die  Kunst  Südtirols,  )  deren  Eigenart 
wieder  wesentlich  ihre  Beziehungen  zu  Ober- 
italien   bedingen;. 

Vor  einer  Überschätzung  dieser  italienischen 
Elemente  in  der  Kunst  Tirols  muß  man  sich 
jedoch  hüten.     Denn    daß   die  eigenen  selb- 


')  U.  Riehl,  Studien  zur  Gesch.  d.  bayer.  .Malerei  des 
XV.  Jahrh.  1895,  S.  60.  Verpl.  auch  Lüthgcn,  Die  Holz- 
plastik der  Spätgotik  im  Gebiete  zwischen  Inn  und  S.-i1z- 
ach,  S.  10  ff.  Diss.  München  1907. 


Die  christliche  Kumt.     V.    s. 


no    ö^  SPÄTGOT.  HOLZPLASTIK  DES  INN-  UND  SALZACHGEBIETES  J^ö 


ständigen  Formen  in  der  tiroler  Kunst  einer 
iiarmonischen  Verschmelzung  mit  wesensfrem- 
den Elementen  widerstanden,  das  beweisen 
gerade  die  besten  Werke  dieser  Schule.  Was 
an  Italienischem  darin  zu  bemerken,  zeigt  sich 
allzu  oft  als  Fremdkörper  innerhalb  der  aus 
eigenen  Wurzeln  entsprungenen,  eigenartigen 
Kunst,  im  Verlaute  der  Entwicklung  aut  diese 
aufgepfropft. 

Die  Intensität  des  Formgefühls,  das  dem 
romanischen  Künstler  eigentümlich,  steht  der 
individuellen  Gestaltung  eigenwilligen  Innen- 
lebens entgegen.  Ein  Ahnliches  findet  sich 
wie  ein  fernes,  leises  Nachzittern  in  der  Kunst 
des  Inn-Salzach-Gebietes.  Tiefe  des  Ausdrucks 
war  nie  das  letzte  Ziel  dieser  Schule. 

Nachdem  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
sich  die  Plastik  von  den  weichen  schmieg- 
samen, doch  allzuoft  auch  schematischen  For- 
men befreit  hatte,  beginnen  die  Resultate  be- 
wulker Naturbeobachtung  langsam  zu  wirken. 
War  im  Anfange  des  Jahrhunderts  durch  fest- 
entwickelte Motive,  die  hier  und  da  nebenein- 


RECHTTR  SEITEN'ALTAR  IN   EMERT5HAM.    -    lext  nchnan 


ander  gesetzt  oder  durch  anmutige  Linienzüge 
verbunden  wurden,  eine  mehr  gleichmäßige 
Behandlung  der  Formen  bedingt,  so  bringt 
das  Ende  des  Jahrhunderts  auf  Grund  eines 
tatsächlichen  Naturstudiums  Vielseitigkeit  und 
Eigenart  des  Ausdrucks.  Jetzt  ist  schon  die 
Wahl  des  Motives  ein  Charakteristikum  für 
den  Künstler.  Ein  vollkommener  StiKvechsel 
hatte  sich  vollzogen. 

Das  Wesentliche  ist,  daß  der  Blick  durch- 
aus auf  das  Malerische  gerichtet  ist.  Gerade 
für  die  Salzburger  Holzplastik  ist  das  charak- 
teristisch. Scharf  treffen  die  Linien  von  ver- 
schiedenen Seiten  aufeinander.  Die  Faltenzüge 
haben  hohe,  senkrecht  von  den  Flächen  des 
Gewandes  sich  abhebende  Stege.  Dadurch  er- 
hält das  Liciit  seinen  Anteil  an  der  Gesanit- 
wirkung.  Denn  die  Schatten  der  Unter- 
schneidungen  und  Stege  huschen  gleichsam 
belebend  über  die  ganze  Gestalt  und  vermitteln 
die  scharfen  Gegensätze,  indem  sie  die  kräftig 
herausgearbeiteten  Erh()hungen  fein  und  leise 
in  die  Fläche  übergehen  lassen  (Abb.  i).  Die  Nei- 
gung,   die   malerische  Wir- 

_   kung    mehr    und    mehr   zu 

*SF  J!\  '        steigern,  lüiirt  hier  und  da, 

'^  namentlich  im  16.  |ahrhun- 

dert,  zu  Übertreibungen. 
Denn  immer  tiefer  werden 
die  Schnitte,  gedreht  und 
gewunden  die  einzelnen 
Formen,  damit  das  Licht  in 
ilmen  seine  geheimnisvolle 
Kraft  übe  (Abb.  2). 

Dennoch  bleibt  neben  sol- 
chen Bestrebungen  die  Na- 
tur die  Lehrmeisterin  jener 
Zeit.  Die  Neigung  nach 
naturgetreuer  Wiedergabe 
schärft  das  Verständnis  für 
den  Wert  der  Einzelform. 
Die  Kenntnis  der  Einzel- 
form aber  treibt  den  Künst- 
ler zu  einem  immer  klare- 
ren liinblick  in  den  orga- 
nischen Zusammenhang  des 
Ganzen,  und  dies  um  so 
mehr,  als  die  künstlerische 
Auffassung  im  Inn-Salzach- 
Kreise  zu  einerstarken  Rück- 
sichtsnahme  auf  die  Gesanit- 
wirkung  neigte.  Der  charak- 
teristische Ausdruck  dafür 
fmdet  sich  in  der  geschlos- 
senen Behandlung  der  Sil- 
houette (Abb.  3  und  4). 

Diese  Merkmale  der  Inn- 
Salzach-Scliule     offenbaren 


»^  SPATGOT.  HOLZPLASTIK  DES  INN-  UND  SALZACHGEBI1ZT1:S  »«So     i:;i 


sich  nur  selten  ganz  rein.  Denn  eine  selt- 
same Mischung  heterogener  Bestandteile 
in  der  Kunst  dieses  Gebiets  hat  die  voll- 
kommene \'erschmelzung  aller  Elemente 
zu  einer  Einheit  verhindert.  Denn  zu  die- 
sen Eigentümlichkeiten  eines  durch  die  geo- 
graphischen Verhältnisse  bedingten  lokalen 
Zusammenschlusses  tritt  die  Wesensart  des 
baverischen  Volksstammes ,  die  für  den 
Charakter  der  gesamten  bayerischen  Kunst 
bedeutsam  ist,  in  erklärten  Widerspruch. 
Die  Bodenständigkeit  der  bayerischen  Kunst 
und  ihr  Mangel  an  Beziehungen  zu  anderen 
Schulen  läßt  die  Eigenart  des  bayerischen 
Wesens  zu  üppiger  Entfaltung  kommen. 
Mit  ausgezeichnet  feinem  Geschmack  ver- 
bindet sich  ein  derbes  Wesen,  mit  der 
Sucht  nach  stärkster  Charakteristik  bäueri- 
sche Form.  Doch  während  noch  im  Be- 
ginne des  1 5.  Jahrhundert  sich  diese  wider- 
sprechenden Züge  einem  überaus  sicheren 
Get'ühl  für  die  Anmut  und  Schönheit  der 
Form  unterordneten,  beginnt  mit  dem  zwei- 
ten Drittel  des  Jahrhunderts  eine  seltsame 
Änderung.  Diese  realistische  Zeit  beschwor 
eine  Übertreibung  der  Charakteristik,  eine 
geradezu  bäurische  Derbheit  der  Auflas- 
sung, daß  man  sich  mit  Erstaunen  fragt, 
wie  dieser  feine,  künstlerische  Geschmack 
so  schnell  hat  vergehen  können.  Eine 
Art  Formlosigkeit  greift  um  sich. 

Der  Schlüssel  zur  Erklärung  dieses  merk- 
würdigen Phänonrens  findet  sich  in  der  star- 
ken Vorliebe  für  die  malerische  Wirkung,  die 
jener  Zeit  eigentümlich  (Abb.  5).    Denn  die 
ganze  Bewegung  nahm  ihren  Ausgangspunkt 
von  der  Tafelmalerei.    In  ihr  ging  man  in 
der    bayerischen    Schule    mehr  als  in  irgend 
einer  anderen    auf  das    rein  Malerische  aus. 
Das  bedeutete  die  Loslösung  von  dem  zeich- 
nerischen  Stile  des  15.  Jahrhunderts  und  dies 
wiederum    den   \'erlust    der    Stütze,    die    der 
veränderten    Geschmacksrichtung    Halt    und 
Handhabe    zu    neuer,    künstlerischer    F'orm 
hätte  bieten  können. 

Diese  allgemeine  malerische  Tendenz,  die 
w  ohl  dem  Zeitgeschmack  ihren  Ursprung  ver- 
dankt, äußert  sich  in  verschiedenartigster 
Weise.  Dennoch  kann  man  zwei  klar  aus- 
geprägte Strömungen  unterscheiden,  die  sich 
durch  das  gesamte  Kunstleben  dieser  Zeit  hin- 
durchziehen. Die  eine  sieht  ihr  Ziel  in  der 
Größe  und  Freiheit  der  äußeren  Erscheinung 
(Abb.  6),  die  andere  im  Graziösen  und  Ele- 
ganten (Abb.  7).  Nur  in  der  ersten  Zeit  des 
Suchens  und  Ringens  um  eine  neue  Form, 
die  der  veränderten  Geschmacksrichtung  des 
16.  Jahrhunderts    Rechnung    tragen    konnte. 


AHB.  j.     III..  LAUREN'TIUS  IX  OBIEG  (OBliAV.).   —    T.xl  .V.  130 

gehen  diese  beiden  Strömungen  gewisser- 
maßen nebeneinander  her.  Nur  kurze  Zeit. 
Dann  drängt  alles  darauf,  alle  diese  Elemente, 
wie  unvereinbar  sie  auch  waren,  zu  einer 
harmonischen   Wirkung  zu  verschmelzen. 

In  der  Intensität,  mit  der  man  dieses  Un- 
mögliche in  die  Tat  umzusetzen  suchte,  liegt 
der  Wert  dieser  zu  Ende  gellenden  Stilperiode. 
Denn  aus  dieser  Kraft  wurde  eine  neue  künst- 
lerische Potenz  herausgeboren,  die  in  sich 
die  Keime  zu  einem  ganz  andersgearteten 
Stile  trug.  Indem  gleichsam  der  Stil  der 
Renaissance  übersprungen  wurde,  entwickel- 
ten sich  schon  jetzt  die  grundlegenden  For- 
men, aus  denen  das  Barock  hervorwachsen 
sollte.  In  diesem  Doppelwesen  der  spätgo- 
tischen Kunst,  in  der  Vorbereitung  zur  Auf- 
nahme des  Renaissancestils  und  der  gleich- 
zeitigen Entwicklung  von  Barockformen,  liegt 
die  cntwicklungsgeschichtliche  Bedeutui  g  der 
Spätgotik  für  die  deutsche  Kunst.    Allerdings 


«7* 


132    ©^  SPÄTGOT.  HOLZPLASTIK  DES  INN-  UND  SALZACHGEBIETES  »"^a 


MADONNA  MIT  ENGELN  IN  OBING.   —   T.xt  S.  ij 


ist  ZU  beachten,  daß  es  sich  hier  nur  um 
eine  Seite  der  barocken  Kunst  liandelt.  Denn 
nebenher  geht  ja  fast  überall  eine  andere 
Strömung,  die  die  italienischen  Barockformen 
ohne  weiteres  in  die  heimische  Kunst  über- 
trägt unter  voller  Negierung  deutscher  Form- 
elemente. 

Die  Fülle  von  Werken  der  spätgotischen 
Holzplastik  des  Inn-Salzach-Gebietes  gibt  für 
alle  Punkte  klare  Belege.  Doch  muß  man 
trotz  des  einheitlichen  Charakters  dieser  gan- 
zen Gruppe  auch  wieder  mit  starken  Modi- 
fikationen von  Formen  und  Motiven  rechnen. 
Denn  die  Einwirkungen  anders  gearteter  Ver- 
hältnisse und  Lebensbedingungen  in  den  ver- 
schiedenen Teilen  dieses  geschlossenen  Kreises 
haben  wesentliche  Küancierungen  der  künst- 
lerischen Erscheinungsformen  bedingt. 

So  ist  im  Süden  des  Inn-Salzach-Gebietes 
der  enge  Zusammenhang  des  Berchtesgadener 
Landes  mit  Salzburg  bedeutungsvoll  ■)    Denn 


Berchtesgaden  bildet  zusammen 
mit  dem  östlichen  Teile  des  Ro- 
senheimer  Bezirksamtes  die  süd- 
liche Begrenzung  des  Inn-Salzach- 
Kreises  und  damit  gleichsam  die 
Basis,  auf  der  sich  die  Kunst  des 
Gebietes  aufbaute.  Die  Rosen- 
heimer  Gegend  aber  ist  deshalb 
von  spezifischer  Wirkung,  weil 
sich  hier  der  italienische  Einfluß, 
durch  den  Inn  vermittelt,  am 
stärksten  geltend  macht. 

Gemeinsam  ist  diesen  Gebiets- 
teilen eine  klar  ausgeprägte 
Doppelströmung  in  ihrer  ganzen 
Kunst.  Es  ist  der  charakteristische 
Gegensatz,  der  die  Kunst  des  Ge- 
birges von  der  des  flachen  Landes 
trennt.  Der  ganze  Süden  von  Ro- 
senheim und  Berchetsgaden  steht 
unter  dem  starken  Einfluß  der 
Gebirgskunst.  Eine  straff"e  Festig- 
keit in  der  Formgebung,  ein  star- 
kes Betonen  jeder  einzelnen  Linie 
gibt  allen  diesen  Werken  etwas 
fest  Umrissenes,  das  der  Gebirgs- 
kunst als  solcher  eigentümlich 
(Abb.  8). 

Im  Norden  des  Inn-Salzach- 
Kreises  sind  die  Verhältnisse  ganz 
anders.  Altötting  und  Mühldorf 
bilden  den  nördlichen  Abschluß. 
Die  künstlerische  Schaft'ensweise 
scheint  hier  dem  Süden  diame- 
tral entgegengesetzt.  Das  Wirken 
der  Klöster,  die  in  dem  Berchtes- 
gadener Gebiet  die  sichere  Grund- 
lage einer  festen  Tradition  bildeten  und  damit 
eine  gewisse  Gruppierung  der  künstlerischen 
Tätigkeit  um  das  Kloster  als  Zentrale  gewähr- 
leisteten, fällt  im  Norden  fort.  Die  natürliche 
Folge  ist  eine  Art  Dezentralisation,  eine  größere 
.Mannigfaltigkeit  der  Ausdrucksweise,  die  noch 
verstärkt  wird  durch  die  Anregungen,  die 
fremde  Schulzusammenhänge  bedingten.  Denn 
in  diesen  beiden  Bezirksämtern  trefl^en  mannig- 
fache Kunstcharaktere  zusammen.  In  dem 
Gebiete  nördlich  des  Innes  die  Einwirkungen 
der  Landshuter  und  der  Freisinger  Schule; 
der  Einfluß  Münchens  findet  seine  Konzen- 
tration in  Altötting.  Die  regen  Beziehungen, 
die  das  Witteisbacher  Fürstenhaus  mit  dem 
Wallfahrtsort  Altötting  unterhielt,  waren  Ur- 
sache, daß  schon  vom  Ausgang  des  Mittel- 
alters an  Künstler,  die  für  den  Münchener 
Hof  arbeiteten,  auch  für  Altötting  tätig  waren. 


')  Über   die    Gründe  vgl,  Lüthgen    a.  a.  O.,  S.  16  fT. 


133 


ABB.  5.    FLÜGELALTAR  IN  RABENDLN,  UM  1,10 

Ttxl  S.  131 


134 


e^:^  GABRIEL  VON  SEI  DL  J^a 


Gegenüber  dieser  durch  die  Grenzlage  ge- 
dingten, leichteren  Zugänglichkeit  für  Einwir- 
kungen aus  fremden  Schulzusammenhängen 
besitzen  die  mittleren  Gebietsteile  des  Inn- 
Salzach-Kreises  neben  dem  festeren  Hatten 
an  der  Tradition  eine  stärkere  Eigenwiliigkeit. 
Hier  hat  daher  der  Stil  der  Kunst  des  Inn- 
Salzach-Kreises  seine  prägnanteste  Ausbildung 
erfahren. 

Vor  allem  h.mdelt  es  sich  dabei  um  die 
Bezirksämter  Traunstein  und  Laufen.  Aus 
der  Künstlergeschichte  des  Bezirkes  Lauten 
geht  zwar  hervor,  daß  der  künstlerische 
Eintluß  der  Salzburger  Meister  vom  Beginne 
des  i6.  Jahrhunderts  an  hier  außerordcntHch 
groß  war.  Allein  diese  Vorherrschaft  Salz- 
burgs um  die  Wende  des  Jahrhunderts  wurde 
durch  den  Umstand  bedingt,  daß  diese  Stadt 
alle  bedeutenderen  Künstler,  deren  eigentliche 
Heimat  der  Be;;irk  Laufen  war,  an  sich  zog. 
Dadurch  bildete  sich  eine  rege  künstlerische 
Wec!iselwirkung  zwischen  Salzburg  und  dem 
Heimatgebiete  der  nach  Salzburg  gezogenen 
Laufener  Künstler.  Eür  die  Künstler  des 
späteren  i6.  Jahrhunderts,  wie  die  Hagenauer, 
Pfäftinger,  Weißenkirchen,  Rottmayer  ist  dies 
erwiesen.  Da  die  Entwicklung  dieser  Künst- 
ler nur  auf  dem  Boden  einer  hohen  künst- 
lerischen Kultur  sich  vollzogen  haben  kann, 
ist  die  Annahme  gerechtfertigt,  daß  schon 
gegen  Ende  des  1 5.  Jahrhunderts  bedeutendere 
Künstler,  deren  \amen  bis  jetzt  noch  nicht 
festgestellt  sind,  dem  Gebiete  angehört  haben. 
Die  vorhandenen 
Werke  bestätigen 
dies.  So  vor  allem 
die  Kirche  in  Fridol- 
ting  (Abb.  9  u.  10). 
Die  Zahl  der  er- 
haltenen Werke  der 
spätgotischen  Holz- 
plastik ist  außeror- 
dentlich groß.  Be- 
rücksichtigt man  nur 
die  besten  bis  mittel- 
guten Arbeiten,  so 
sind  aus  der  kui'zen 
Zeit  von  der  Mitte 
des  1 5.  Jahrhunderts 
bis  um  1 5  ^ü  noch 
etwa  20  große  Altäre 
und  über  200  Ein- 
zelstatuen der  Holz- 
plastik vorhanden. 
Da  trotz  dieser  Fülle 
des  Materials  nur 
ABB.  6.  HL. RUPERT  IN  GRÜN-  g^mz  seltcii  eine  Ar- 
BACH.  UM  i;2o  -  Text  s.  131       beit  sicli   tiodet,   die 


einen  uneingeschränkten  künstlerischen  Ge- 
nuß ermöglicht  (Abb.  1 1),  ist  man  wohl  zu  der 
Frage  berechtigt,  weshalb  überhaupt  eine 
Sichtung  dieses  Materials  vorgenommen.  Die 
Notwendigkeit  der  wissenschaftlichen  Bear- 
beitung solcher  durch  natürliche  Grenzen  ge- 
schlossener Kunstgebiete  ergibt  sich  aus  der 
Erwägung,  daß  hier  die  Stetigkeit  der  Ent- 
wicklung durch  nichts  unterbrochen  zu  wer- 
den pflegt,  daß  die  feste  Tradition  ein  lang- 
sames Herauswachsen  des  neuen  Motives  aus 
dem  alten  gewährleistet.  Denn  hier  weist 
nicht  ein  einzelner  kraft  seiner  künstlerischen 
Genialität  den  Weg,  sondern  die  Gesamtheit 
der  Kunstschaftenden  wächst  aus  sich  selbst 
langsam  in  eine  geteiltere  Formensprache 
hinein.  Dies  verfolgen  zu  können,  ist  ent- 
wicklungssjeschichtlich  höchst  bedeutunssvoll. 


GABRIEL  VON  SEIDL 

Am  9.  Dezember  waren  es  60  Jahre,  daß 
■'»■  der  berühmte  Münchner  Altmeister,  von 
unserer  Zeit  mit  Recht  als  einer  ihrer  popu- 
lärsten Baukünstler  gefeiert,  unter  glücklichem 
Stern  das  Licht  der  Welt  erblickte.  Fortuna 
neigte  sich  über  seine  Wiege  und  Pallas  Athene 
drückte  dem  Kleinen  ihren  Weihekuß  auf  die 
Stirne,  die  jetzt  der  Lorbeer  des  Erfolges  einer 
hohen   Künstlerschaft  schmückt. 

Wie  selten  einem  Künstler  war  es  aber 
auch  dem  jungen  Seidl  von  Hause  aus  be- 
schieden, in  sicherer  Ruhe  und  Förderung, 
ohne  die  drückenden  Existenzsorgen,  die  so 
vielen  anderen  vorzeitig  Schaftenskraft  und 
Freude  rauben,  seinen  Weg  zur  Höhe  zu 
schreiten  !  Im  Herzen  Alt-Münchens,  als  Sohn 
der  dort  eingesessenen,  weitverzweigten  Fa- 
milie des  kunstsinnigen  Hofhäckermeisters 
Seidl,  wuchs  er  förmlich  unter  den  Augen 
hervorragender  Künstler  seinem  Berufe  ent- 
gegen. Maler  wollte  der  junge  Gabriel  denn 
auch  zuerst  werden,  doch  sein  trotz  allen 
Mäzenatentums  praktischer  Vater  bestimmte 
ihn  zum  Ingenieur;  er  bezog  das  Münchner 
Polytechnikum  und  muL'te  —  o  Widerspruch 
—  mit  einem  Herzen  voll  hohen  Künst- 
lersehnens  sogar  eine  Zeitlang  praktisch  in 
einer  Münchner  Maschinenfabrik  arbeiten,  bis 
er,  glücklich  vom  siebziger  Feldzug  zurück- 
gekehrt, durchbrach  und  sich  wenn  auch  nicht 
der  Malerei,  so  doch  der  edlen  Baukunst  zu- 
wandte, die  damals,  als  man  in  der  Begei- 
sterung für  ein  neu  geeinigtes  Deutschland 
auch  die  alten  deutschen  Kunst-  und  Bau- 
denkmäler wieder  zu  neuem  Leben  erwecken 
wollte,  nur  des  Sämanns  harrte,  um  auf  hoch- 


©^  GABRIEL  VON  SI-IDL  ^^Ö 


135 


ABB.  7.     HL.  XOTIIELFER  IS'  EMERTSHA.M.  —   rt.xt  .V. 


Iriiclubareiii  Felde  reiche  Früchte  xu  tragen; 
kurz  gesagt,  der  junge  Künstler  kam  in  die 
richtige  Zeit  hinein. 

\'on  München,  der  damals  noch  außer  Kon- 
kurrenz stehenden   Kunststadt,    ging    die   Be- 
wegung aus  und  im  \'erein  mit  Rudolf  Seitz, 
dem  leider  zu  früh  verstorbenen  Gedon,  Willi. 
Kaulbach    und   Lenbach ,    jenem    schönheits- 
dürstenden  Imperator  im  Reiche  der  Malerei 
in  I-reundschatt  eng  verbunden,  repräsentierte 
.Seidl  als  Baukünstler  bald  eine  typische  Per- 
sönlichkeit,  die  Schule  machte  und  gewisser- 
maßen   einen    eigenen   Stil    schuf,    der    trotz 
aller  Anklänge  an  die  Werke  unserer  großen 
Renaissancemeister  doch  ganz  selbständig  ist 
und    auch    in    aller  Großzügigkeit   so  anhei- 
melnd, so  wunderbar  traulich  zu  uns  spricht, 
daß    man    ihm    jederzeit    mit    Freuden  Auge 
und  Ühr  leiht.     Eine  sichere  Ruhe  und  die 
bewußte  Kraft  des  Selbstgefühls  ist  es  auch, 
die  den  Werken  des  nimmerrastenden,   rüstig 
vorwärtsschreitenden   Künstlers   den  Stempel 
autdrückt.  Hermann  Roth  hat  mit  den  Worten 
des  Festprologes  so  ganz  das  Richtige  getroffen  : 
»Ein  Meister,  der  hier  bodenständig, 
In  seinen  Werken  uns  lebendig. 
Der  liebend  hängt  am  guten  Alten 
Und  sorgsam  strebt  es  zu  erhalten. 
Kein   \euerer  und   kein   Stilbegründer 
Lnd  doch  ein  Dichter  und  Frfinder!< 


Und  vielseitig  ist  er  in  seinem  hervorragen- 
den Wirken,  nicht  bloß  Architekt,  auch  Städte- 
baukünstler, Kunstgewerbler,  ein  hervorragen- 
der Meister  der  Dekoration,  überhaupt  Raum- 
künstler ersten  Ranges,  ein  Hüter  und  treuer 
Kämpfer  für  Erhaltung  der  heimatlichen  Schön- 
heiten und  Förderer  der  Wiedererweckmig 
lieblicher  \'olkskunst! 

Kein  prunkendes  Bauwerk  war  der  erste 
durchschlagende  Fjfolg  des  jungen  Künstlers, 
nein,  ein  trauliches  deutsches,  bürgerliches 
Wohnzimmer  auf  der  Deutschen  Kunstge- 
werbeausstellung zu  München  im  Jahre  1876, 
welches  alle  Besucher,  Fachleute  wie  Laien, 
entzückte  und  auf  Jahrzehnte  hinaus  den  Ton 
für  vornehme  Innenarchitektur  bestimmte.  Und 
wie  der  Meister  von  innen  heraus  seinen 
Siegeszug  begann,  so  hat  er  es  auch  stets  ge- 
iialten;  jedes  seiner  Werke  bedeutet  ein  durch- 
aus harmonisches  Ganzes.  Darum  war  auch 
er  wie  kaum  ein  zweiter  prädestiniert ,  im 
Verein  mit  Rudolf  v.  Seitz  das  baverische 
Nationalmuseum  zu  München  so  zu  vollenden, 
wie  es  jetzt  als  mustergültig  für  seinesgleichen 
vor  uns  steht  und  trotz  den  an  seinen  Fassa- 
den aneinandergegliederten  verschiedensten 
Stilarten  —  je  nach  Ausdruck  des  köstlichen 
Inneren  einen  durchaus  geschlossenen  lüii- 
druck  macht  (Abb.  S.  138). 

Für  München  insbesondere  ist  des  Meisters 


136 


E5^  GABRIEL  VON  SEIDL  im/A 


ABB.8.  HL  RUPERT  UND  MAGDA- 
LENA, NÖRDL.  FLÜGELALTAR  IN 
HÖHENBERG.   —    Text  5.  /J-' 


Wirken  innig  mit 
dem  Aufblühen 
der  Stadt  verbun- 
den. »Neu-Mün- 
chen«  ist  ein  Teil 
von  ihm  selbst  und 
als  1  übriges  Mit- 
glied der  Monu- 
mentalbaukommis- 
sion, als  Berater 
und  Helferin  allen 
die  ^"aterstadt  be- 
treffenden künst- 
lerischen Fragen 
steht  er  am  Platze 
und  kämpft  auch, 
wenn  nötig,  mit 
großer  Energie  für 
die  von  ihm  gutge- 
heißenen Pläne. 
Wirerinnernhiernuran  jene  vor  kurzem  die  Ge- 
müter in  Aufregung  versetzen  de  Frage  der  Erhal- 
tung oder  Vernichtung  der  alten  Augustiner- 
kirche, jenes  wichtigen  Teiles  eines  der  schön- 
sten Städtebilder  Alt-Münchens,  für  dessen  Wei- 
terbestehen Seidl  mit  Recht  in  Wort  und  Schrift 
lebhaft  eintrat.  Er  war  es  ja  auch,  der  dem 
verputzten  Ziegelbau  in  der  richtigen  Erkennt- 
nis des  bodenständischen  Materials  seiner  Hei- 
mat wieder  zu  Ehren  und  Ruf  verhalf,  so 
daß  er  sich  auch  außerhalb  Bayerns  rasch  ver- 
breitete. 

Nach  Vollendung  seines  Erstlingsbauwer- 
kes, des  stattlichen,  hochgiebe- 
ligen  Gasthauses  »Deutsches 
Haus«  am  Lenbachplatz  zu  Mün- 
chen, wurde  der  erst  Dreißig- 
jährige mit  Aufträgen  förmlich 
überhäuft,  so  daß  es  kaum  mög- 
lich ist,  alle  die  im  Laute  von 
drei  Dezennien  seines  Schaffens 
entstandenen  Werke  aufzuzäh- 
len. Sind  es  ja  doch  in  seiner 
Vaterstadt  schon  so  viele :  Der 
stattliche,  mit  Loggien  ge- 
schmückte Arzberger-  und  der 
so  gemütliche  Franziskanerkel- 
ler, das  geschmackvolle  Onu- 
phriushaus  am  Marienplatz,  ver- 
schiedene Paläste  in  der  Brien- 
ner  und  Arcisstraße  und  viele 
Privathäuser;  Lenbachs  wunder- 
volles, an  italienische  Garten- 
paläste gemahnendes  Künstler- 
heim, ein  weiteres  für  Fritz 
Aug.  V.  Kaulbach ;  das  reizvolle 
Gasthaus  »Zum  Bauerngirgl  : 
gegenüber  der  Residenz  und  als 


ABB.  9.     HL.  MARGARETHA 

IN  FRIDOLFING   (OBBAY.) 

Tej-t  S.  132 


eines  seinerletztenW^er- 
ke  im  Auftrage  der 
Stadt  die  Bebauung  des 
sogenannten  Ruttini- 
blockes.  Nach  Vollen- 
dung des  Nationalmu- 
seums erhob  ihn  Se. 
Kgl.  Hoheit  der  Prinz- 
regent in  Anerkennung 
seiner  großen  Verdien- 
ste durch  Verleihung 
des  Ritterkreuzes  vom 

Verdienstorden  der 
bayerischen  Krone  in 
den  persönlichen  Adels- 
stand. Jetzt  wartet  auf 
der  isarumfluteten  Mu- 
seumsinsel der  Neubau 
des  Deutschen  Muse- 
ums für  Wissenschaft 
imd Technik  seines  Em- 
porblühens,  um  nach 
\'ollendung  von  neuem 

Zeugnis  abzulegen  von  der  vielseitigen  Ge- 
staltungskraft, dem  großen,  künstlerischen 
Zuge  unseres  Münchner  Altmeisters. 

Auch  auf  dem  Gebiete  des  Kirchenbaues 
gab  der  Meister  seiner  Vaterstadt  zwei  Perlen: 
Die  neue  Rupertuskirche  auf  der  Theresien- 
höhe  und  die  in  den  neunziger  Jahren  im 
Stile  der  rheinischen  Münster  entstandene 
St.  Annakirche  am  Lehel,  welche  man  wohl 
im  Einern  wie  Äußern  als  eines  der  schönsten, 
stimmungsvollsten  Gotteshäu- 
ser Neu-Münchens  bezeichnen 
kann.  Ja,  ein  Unkundiger  könnte 
den  Bau  in  seinem  malerischen, 
altersgrauen  Kalksteingewande 
getrost  für  ein  wohlerhaltenes 
Werk  frühererjahrhunderte  hal- 
ten, so  ist  an  ihm  bis  ins  kleinste 
die  Eigenart  der  betreffenden 
Stilperiode  zum  Ausdruck  ge- 
bracht. Daß  freilich  die  An- 
sichten über  eine  solche  eklek- 
tische Nachbildung  auseinan- 
dergehen, ist  bekannt. 

In  der  Umgebung  Münchens 
zeugen  prächtige  Landhäuser  am 
Starnberger-  und  anderen  Seen 
des  Vorgebirges  etc.,  im  Isartal 
die  neue  Grünwalderbrücke,  ver- 
schiedene Kirchen  und  Kapellen, 
das  Rathaus  zu  Ingolstadt,  so- 
wie zahlreiche,  äußerst  gelun- 
gene Umbauten  und  Restaura- 
tionen alter  Baudenkmäler  von 
Seidls  Wirkungskreise,  der  sich 


©^  GABRIEL  VON  SEIDL  ma 


ABB.  II.   -   tLLGEL.\LI  AK  IN  Sl.  I  LOKI.AX,  .MIT  b- 1,  AN\A  SKI.HDKi  I  1 
St.  Horian,  St.   Itol/gaiig  und  Reliefs  ans  der  Legende  des  hl.  Florian,  ijoo—tJJO.  —   iext  S.  134 


auch  weit  über  Bayerns  Grenzen,  ja  bis  Ame- 
rika erstreckte,  wo  er  1^93  die  deutsche  Ab- 
teilung der  dortigen  Weltausstellung  gestaltete. 
In  der  Reichshauptstadt,  den  Städten  des  Rhein- 
landes, in  Darmstadt,  Bremen  etc.,  zum  Um- 
baue zahlreicher  Burgen  und  Schlösser  in  allen 
Teilen  des  Reiches  verlangte  man  nach  seiner 
bewährten   Meisterkraft ! 

Kein  Wunder  auch ,  daß  einem  solchen 
Manne,  der  gleichfalls  im  Privatleben  äußerst 
liebenswürdig,  gefällig  und  vor  allem  auch 
hervorragend  wohltätig  ist,  die  reichsten  Ehrun- 
gen, Huldigungen  und  Glückwünsche  aus  aller 
Herren  Länder  zuteil  wurden.  Se.  Kgl.  Hoheit 
der  Prinzregent  sandte  einen  Strauß  seltener 
Blumen  mit  herzlich  gehaltenem  Glückwunsch- 
schreiben und  auch  von  anderen  .Mitgliedern 
des  Kgl.  Hauses,  den  Staatsministern  und 
dem  Magistrat  der  Stadt  München,  weicher 
eine  Straße  bei  Seidls  behaglichem  Künstler- 
heim von  nun  an  »Seidlstraße ;  benennen 
will,  desgleichen  von  zahlreichen  auswärtigen 
Städten  und  Künstlervereinigungen  gingen  un- 
zählige Wünsche,  Adressen  und  Huldigungen 


ein.  Doch  die  meisten  der  Gratulanten  — 
als  erste  der  Oberbayerische  und  der  Bayerische 
Architektenverein  —  scharten  sich  am  Vor- 
abende des  Jubeltages  im  Künstlerhause  zu 
einer  wohlgelungenen  Vorleier  um  den  Mei- 
ster, bei  welcher  ein  reizend  humorvolles 
Festspiel  aufgeführt  wurde. 

Am  Vormittage  schon  hatte  der  Bayerische 
Verein  für  Volkskunst  und  \'olkskunde  die 
Familie  Seidl,  seine  Mitglieder,  Vertreter  der 
staatlichen  und  städtischen  Behörden  etc.  zu 
einem  X'ortrage  im  Museumssaal  geladen,  wo 
der  bewährte  Kenner  Alt-Münchner  Lebens, 
Dr.  Trautmann,  über  die  alten  Gebäulich- 
keiten  an  der  Theatinerstraße  —  wo  Seidls 
Vaterhaus  steht  —  und  ihre  früheren  Be- 
wohner, darunter  zahlreiche  Künstlertypcn, 
in  reizvoll  erzählender  Weise  sprach.  Darauf 
folgte  die  Überreichung  einer  von  Kunstmaler 
Joseph  Sailer  ausgeführten  Ehrenurkunde  mit 
malerischen  Motiven  aus  der  Tölzer  Gegend. 

Die  Künstlergesellschaft  »Allotria*  bereitete 
ihrem  Vorstande  noch  eine  eigene  intime 
Feier   im  Vereinslokale,    dessen    innere    Ein- 


1)1«  cliiUllichc  K.i 


1^,8 


©^  DER  FRRSKENSCHATZ  VON  MUGGIA  «^23 


richtung  ja  auch  sein  Werk  ist.  Doch,  alle 
weiteren  Ehrungen  aufzuzählen,  wäre  unmög- 
lich. Wir  aber  hoffen,  den  Jubilar  an  seinem  sieb- 
zigsten Wiegenfeste  in  unveränderter  Frische 
und  Tatkraft  mit  gleichem  Jubel  wieder  zu 
beijrüßen  ! 


DER  FRESKENSCHATZ  VON 
MUGGIA 

Von  R.\OUL  EUGEN  PRUMLHl?,  Wien 


M", 


emem  Eifer,  auf  den  nach  so  und  so 
vielen  Jahren  gleichgültigen  Ubersehens 
niemand  mehr  gerechnet  hätte,  gehen  in  den 
letzten  Jahren  Staat  und  Kunstfreunde  in  Oster- 
reich daran,  die  dem  Wind,  dem  Wetter  und 
jeder  Brutalität  —  in  ethischem  und  ästheti- 
schem Sinne  —  preisgegebenen  Vermächtnisse 
alter  Kulturepochen  in  gute  Hut  zu  nehmen. 
Der  Anstoß  wurde,  nachdem  der  beweinens- 
würdig  vernachlässigte  Palast  des  Diokletian 
in  Salona  beinahe  dem  meistbietenden  Stein- 
krämerauf Abbruch  zugeschlagen  worden  wäre, 
von  der  österreichischen  Leogesellschaft  ge- 
geben, deren  Gründer  und  Präsident,  E.xzellenz 
Helfert,  auch  Präsident  der  k.  k.  Zentralkommis- 
sion zur  Erforschung  und  Erhaltung  derKunst- 
und  historischen  Denkmale  ist.  Dem  kunst- 
sinnigen Kreise  der  Leogesellschaft  entsprang 
in  letzter  Zeit  auch  die  Idee  der  Gründung 
eines  Vereins  zur  Erhaltung  und  Restaurierung 
der  wunderbaren  uralten  Patriarchatskirche  von 
Aquileja,  die  kanonisch  dem  Erzbistum  Goerz 
unterstellt  ist.  Professor  Dr.  Heinrich  Swoboda 
von  der  Wiener  theologischen  Fakultät  und 
der    Kunstfreund    und    Sammler    Grat    Karl 


Lanckoronski  gaben  kürzlich  ein  Prachtwerk 
über  den  Dom  von  Aquileja  heraus,  und  als- 
bald folgte  die  Konstituierung  des  für  den 
Fortbestand  des  berühmten  Baudenkmals  sor- 
genden Vereins.  Und  man  geht  kaum  tehl, 
wenn  man  den  Anregern  dieses  Vereines  auch 
das  Verdienst  zuschreibt,  durch  ihre  Forschungen 
im  österreichischen  Adriagebiete  das  Kultus- 
amt auf  ein  weiteres  Monument  mittelalter- 
licher Kunst  hingewiesen  zu  haben,  die  Kirche 
von  Muggia  vecchia  bei  Triest. 

Muggia  vecchias  Ruinen  und  ihr  erhalten 
gebliebenes  interessantes  Gotteshaus  liegen 
etwa  eine  halbe  Stunde  von  dem  neueren  See- 
dorf Muggia  entfernt,  das  ganz  gut  als  eine 
Vorstadt  Triests  bezeichnet  werden  kann.  Die 
Kirche,  der  sich  unsere  Betrachtung  zuwendet, 
ragt  inmitten  der  Trümmer  des  alten  Muggia, 
das  der  Genuesenadmiral  Paganino  Doria  im 
Krieg  mit  den  über  das  Land  gebietenden 
Venezianern  1354  in  Schutt  legte.  Das  Städt- 
chen rankte  sich  um  die  Kuppe  des  Hügels, 
den  auch  das  Fort  San  Michele  krönte,  und 
der  Kunstpilger  hat  keine  frohe  Wanderschaft 
auf  steilen,  holperigen  Wegen  zur  erwünsch- 
ten Höhe.  Ein  Steintrümmerwall  umsäumt 
den  Gipfel  und  läßt  noch  zuseiten  der  Ein- 
laß gewährenden  Bresche  Reste  von  Turm 
und  Tor  sehen.  Uralte  Eichbäume  umschatten, 
ein  seltener  Schatz  in  diesem  kahlen  Karst,  den 
frischgetünchten  Kirchenbau,  dessen  schlich- 
tes Äußere  die  malerischen  Schätze  seines 
Innern  nicht  ahnen  läßt.  Und  doch  ist  diese 
italienische  Landkirche  eines  unserer  ältesten 
christlichen  Kunstdenkmäler,  über  dessen  Be- 
deutung der  genialeRestaurator  Hans  Luke  seh, 
einer    der    hervorragendsten   Wiener  Meister 


^  — =5_^^^i^SJaiaEiÄli  A»Eii?i=ti;^!aM.  - 


GAHRIEI.  VON  SEIDL 


KCL.   NATION'ALMUSEUM   IN  MCXCHEN 


fV^  DER  FRESKENSCHATZ  VO\  MUGGIA  J^sa 


139 


der  dekorativen  und  vornehinlicli  der 
kirchliclien  Kunst,  ganz  Erstaunliclies  an 
seinen  Auftraggeber,  den  k.  k.  Kultus- 
minister, zu  berichten  hatte. 

Grundriß  und  Anlage  der  Kirche  »S.Ma- 
ria de  Castro  Mughie«  sprechen  dafür, 
dafsderUrbauausdem  [ahre  looostamme. 
Die  Steinskulpturen  der  das  Presbyterium 
abschließenden  Balustrade  gehen  sogar 
in  das  9.  Jahrhundert  zurück  und  wurden, 
byzantinische  Motive  zeigend,  vermutlich 
aus  einer  noch  älteren  Ivirche  hierher- 
gebracht. Kein  geringeres  Alter  ist  et- 
lichen in  die  Apsiswölbung  eingemauer- 
ten griechischen  Tongefaßbruchstücken 
zuzusprechen,  deren  Herkunft  unaul'ge- 
klärt  blieb.  Hochinteressant  ist  weiters 
die  uralte  Kanzel,  die  aber,  wenn  sich 
ihrer  nicht  ehestens  ein  tüchtiger  Maurer 
annimmt,  einzustürzen  droht.  Sie  ruht 
auf  vier  Säulen  und  zeigt  die  seltene  An- 
bringung des  gleichfalls  steinernen  Lese- 
pultes. Ein  zweiter  Evangelienträger  be- 
findet sich  an  der  untersten  Stufe  des 
Kanzelaufgangs  und  hat  bei  feierlichem 
Hochamte  zu  dienen  (Abb.  nebenan). 

Nächst  der  Kanzel  sind  die  Malereien 
an  den  Wänden  das  Bemerkenswerteste. 
Ihre  l:ntstehung  verlegt  Maler  Hans  Lu- 
kesch  ungefähr  in  die  Zeit  um  das  Jahr 
1300.  Ein  ziemlich  wohlerhaltener  St.  Do- 
minikus  unter  den  Fresken  läßt  diesen 
Schluß  zu,  da  Dominikus  1234  heilig  ge- 
sprochen und  die  Kirche  1354  zerstört  wurde. 
Zwischen  diesen  zeitlichen  Grenzpunkten  muß 
die  Malerei  geschatfen  worden  sein.  War 
der  Bildner  auch  keiner  der  großen  Meister 
seiner  Zeit,  so  führte  er  den  Pinsel  doch  mit 
der  löblichen  Sicherheit  wohlerfahrener  Übung 
und  bewegte  sich  nicht  ohne  Selbständigkeit  in 
den  üblichen  Grenzen  seiner  unter  bvzaniini- 
schem  lunfluß  stehenden  Kunstepochc.  Die 
Fresken  bedecken  die  Langseiten  des  Mittel- 
schifls  und  die  beiden  Innenwände  der  Seiten- 
schitfe  in  ungefähr  46  qm  Flächenausdehnung. 
Man  sieiit  ornamentale  Anlagen  in  den  Rund- 
bogen, Figuren  in  den  Zwickeln  und  zwei 
leider  stark  beschädigte  und  nur  zum  geringeren 
Teile  erhaltene  Bilderfriese.  Im  Hauptschiffe 
nächst  der  Kanzel  füllen  die  vier  Evangelisten 
die  Pfeilerbogen  aus  (Abb.  S.  141).  (Die  Kanzel 
stand  also  sichtlich  seit  jeher  hier.)  Die  Bio- 
graphen Christi,  mit  ihren  Namen  überschrie- 
ben, unterscheiden  sich  nur  wenig  in  der  In- 
dividualisierung von  einander.  Kopfstellung 
und  Zutat,  als  Tintentläschchen,  Schreibtafel 
und  Buch  sind  fast  gleich.  Sonderbar  erscheint, 
was  vermutlich  auf  die   göttliche  Inspiration 


KANZrl.  DER  KIRCHE  IN  ML'GGr\ 
Text  neleitan 

und  die  Beeiferung  der  Glaubensboten  hin- 
deuten soll,  daß  jeder  Evangelist  mit  beiden 
Händen  und  also  auch  in  zwei  Bücher  schreibt. 
Den  Zwickel  zwischen  erstem  und  zweitem 
Pleiler  der  Evangelienseite  füllt  die  Gestalt 
der  hl.  Katharina.  Sie  trägt  byzantinische  i-,del- 
tracht:  braun -rotgemustertes  Untergewand, 
gleich  dem  Mantel  mit  breiten,  goldfarbenen 
und  beperlten  Borten  besäumt,  Umhang  und 
Diadem.  Die  Rechte  ist  segnend  erhoben,  die 
Linke  hält  das  Svnibol  der  Weisheit,  ein  Gefäß 
mit  züngelnder  Flamme  (Abb.  S.  140).  Noch  bes- 
ser erhalten  sind  Details  eines  charakteristischen 
St.  Zeno,  dessen  Bischofstab  in  der  alten,  ein- 
mal gekrümmten  Form,  ausgehend  in  einen 
Schlangenkopf,  sogar  die  Scheidelinien  der 
Elfenbeinteile  zeigt  Zu  Häupten  dieser  großen 
Zwickelbilder  zieht  sich  durch  und  um  die 
ganze  Kirche  ein  in  größeren  Partien  nocii 
erhaltener  Fries,  darstellend  aus  der  Geschichte 
der  Gottesmutter  den  Tod,  Leiciienzug,  Grab- 
legung und  Himmelfahrt  —  sämtliche  Grup- 
pen trotz  der  etwas  schematischen  Kompo- 
sition ernst  und  groß  wirkend  — ,  dann  Steini- 
gung  und  Begräbnis   des   ersten    Blutzeugen 


140 


©^  ERNST  STÜCKELBERG  ^^d 


St  Stephanus.  Von  den  Stephanusbildern  ist 
wie  von  zwei  gegenüberliegenden  Fresken  nur 
ganz  wenig  zu  retten  gewesen. 

Im  reciiten  Seitenscliiffe  findet  sicii  ein  ge- 
waltiger, jugendlich  bartloser  heiliger  Christo- 
phorus,  trotz  seines  langen  byzantinischen  Ge- 
wandes barfuß  im  Wasser  stehend,  die  Sieger- 
palme in  der  rechten  Hand.  Unter  links  ver- 
sinnlicht  ein  Löwe  die  Kraft  oder  deutet  das 
Wappen  von  Venedig  an.  Eine  beigesetzte 
Inschrift  lautet  nach  derForschung  des  Bischofs 
Msgr.  Glavina; 
Christophorisanctispeciem  quicumque  tuetur, 
lUum  quo  die  nulla  languore  tenetur  — 
und  zeigt  den  frommen  Glauben  an  den  Schutz 
wider  plötzlichen  Tod  und  schweres  Erkranken, 
den  das  Mittelalter  heiligen  Bildern  zuschrieb. 
Für  die  Verbreitung  dieser  Anschauung  zeugt 
eine  fast  gleichlautende  Inschrift  an  St.  Peter 
in  Straßburg.  Unweit  des  Christophbildes  lassen 
sich  noch  Fragmente  eines  Engels,  zweier 
Heiliger  und  eine  Taufe  Christi  feststellen. 
Arg  beschädigt  sind  die  Fresken  an  drei  Pfeilern 
des  linken   Seitenschifls.     Von    den    geringen 


Spuren  dreier  bärtiger  Greise  mit  Schriftrollen 
in  den  Händen  sind  die  Überbleibsel  einer 
Gestalt  mit  dem  Namen  des  Propheten  Arnos 
bezeichnet.  Es  ist  anzunehmen,  daß  hier  eine 
alttestamentarische  Prophetengruppe  vorhan- 
den war. 

Neben  dem  Bilderschmuck  blieb  auch  der 
ornamentale  Zierat  reichlich  erhalten  als  Be- 
malung der  Bogenwölbungen.  Die  schmalen 
Arabeskenbänder  werden  nur  hin  und  wieder 
durch  einzelne  Figuren  unterbrochen,  so  un- 
tern dem  Taufstein  durch  eine  streng  byzan- 
tinisch gehaltene  Maria  mit  dem  Kinde.  Die 
Ornamentik  zeigt  stellenweise  von  schöner 
Erfindung  oder,  wo  die  Zeichnung  sichtlich 
von  Originalen  aus  Konstantinopel  genommen 
ist,  von  geschmackvoller  Wahl.  Die  Farben 
sind  schlicht:  grün,  gelb,  braun,  rot,  schwarz, 
ohne  Tönung  des  Grundcharakters. 

Die  Wiederherstellung,  Bloßlegung  und  Auf- 
färbung der  Fresken  erforderte  mehr  als  ein 
halbes  Jahr  unermüdlichster,  aber  vollauf  erfolg- 
reicher Arbeit  des  Restaurators  Hans  Lukesch. 


ERNST  STÜCKELBERG 

Von  CARL  CONTE  SCAI^INELLl 

Der  plötzlich  aufflackernde  Schein  des  Ge- 
nius Böcklins,  die  Hallorufe  der  »neuen« 
Kunst  Hodlers,  die  tipfeligen  Finessen  Weltis 
haben  uns  in  Deutschland  auf  den  am  14.  Sep- 
tember 190 1  verstorbenen  bedeutenden  Schwei- 
zer Künstler  Ernst  Stückelberg  eigentlich  ver- 
gessen lassen.  Die  ruhige  markige  Kraft  des- 
selben trat  freilich  hinter  den  jüngsten  Schwei- 
zern, hinter  dem  Eroberungszug,  den  Böcklin 
im  letzten  Jahrzehnt  seines  Lebens  plötzlich 
über  ganz  Europa  antreten  konnte,  bescheident- 
lich  zurück. 

Bei  Schulte  in  Berlin  war  zwar  im  Septem- 
ber 1905  eine  Kollektion  von  Bildern  dieses 
schweizerischen  Künstlers  zu  sehen'),  aber  auch 
hier  konnten  sie  nicht  laut  genug  für  seine 
Kunst  sprechen,  denn  sein  Bestes,  sein  Typisch- 
stes hing  ja  wohlverwahrt  im  Baseler  Museum. 

Stückelberg  ist  der  Heldenmaler  der  Schwei- 
zer. Wie  Schiller  den  Schweizern  ein  für 
allemal  seinen  Wilhelm  Teil«  schenkte  und 
er  dadurch  —  trotzdem  er  für  sie  Ausländer 
war  —  der  nationalste  ihrer  Dichter  wurde,  so 
wurde  Stückelberg  durch  seine  Freskogemälde 
in  der  Tellskapelle,  zu  der  jährlich  Tausende 
wallfahren,  zum  nationalenMalerderSchweizer. 

Und  gerade  die  Helden  der  Tellsage  sind 
so  recht"  mit  ihren  harten,  stolzen,  trotzigen. 


HL.  KATHARINA,  FRESKO  IN  DER  KIRCHE  ZU  MUGGIA 
Text  S.  140 


I)  Bericht  hierüber  s.  Jg.  II,  Heft   3,  Beil. 


SJ^  ERNST  STÜCKF.LBERG  zs^ö 


141 


FRESKEN-   IM   HACPTSCHIFf   DER  KIRCHE  IN'  ML(,C;iA  (F.VAS(,H  It  \ 
Text  S.  13g 


wettergebräunten  Gesichtern  sein  ureigenster 
Seelentypus.  Sie  waclisen  ihm  aus  dem  \'oli<e, 
aber  sie  wachsen  ihm  auch  aus  dem  Herzen. 
Ernst  Stüclcelberg  entstammt  einer  ur- 
alten alemannischen  Familie,  die  seit  Jahrhun- 
derten in  der  Schweiz  ansässig  ist  und  man- 
chen würdigen  Ratsherrn  seither  gestellt  hat. 
Er  wurde  in  Basel  am  21.  Februar  183 1  in 
guten  Verhältnissen  geboren  und  schon  allein 
dieser  Umstand,  der  wohlige  Wohlstand  seiner 
Familie,  geben  von  Anfang  an  seinem  Wege 
wieseinemSchaff'en  einen  sicheren,  gediegenen, 
fast  möchte  man  sagen  bürgerlichen,  patrizier- 
mäßigen Charakter.  Sein  Vater  starb  bald 
und  so  wurde  der  aufgeweckte  Junge  früh- 
zeitig von  seinen  \'erwandten  zum  Architek- 
ten bestimmt.  Doch  ehe  er  sich  als  solcher 
vollständig  ausgebildet  hatte,  zog  er  1849  nach 
Bern,  den  festen  Entschluß  im  Herzen,  sich 
ganz  der  Malerei  zu  widmen.  Nach  kurzen 
Vorstudien  daselbst  zog  er  auf  Anraten  be- 
deutender Fachleute  an  die  Antwerpener  Aka- 
demie, und  lernte  dort  bei  Wappers  und  Dyck- 
mans.  Er  kam  später  nach  Paris,  dann  1853 
nach  München,  wo  er  im  Atelier  Schwinds 
Auhiahme  fand,  aber  den  inneren  Zusammen- 
hang mit  dessen  Kunst  nicht  finden  konnte. 


Gerade  hier  stellt  er  sich  zum  ersten  Male 
auf  eigene  Füße  und  die  ersten  Bilder  aus 
dieser  Zeit  fanden  in  seiner  Vaterstadt  Basel 
nach  seiner  Rückkehr  Käufer. 

Aber  sein  ureigenstes  Malerherz  sollte  er 
erst,  wie  so  viele  Künstler  unter  Italiens  Him- 
mel, unter  dem  Einfluß  der  südlichen  Kunst 
entdecken,  —  da  er  1856  für  fünf  Jahre  nach 
Rom  zog,  von  wo  aus  er  immer  wieder  ins 
Sabinergebirge  wanderte;  die  Frucht  dieser 
Studien  ist  sein  Bild  »Maienprozession  im 
Sabinergebirge  ,  das  im  Stückeibergsaal  des 
Baseler  Museums  hängt  (Abb.  S.  145). 

Durch  ein  Wechselheber  war  er  schließlich 
genötigt,  1863  in  seineHeimat  zurückzukehren, 
wo  er  zuerst  in  Basel,  dann  in  Zürich  Auf- 
enthalt nahm.  Die  kommende  Zeit  steht  unter 
dem  Zeichen  des  Porträts  und  zwar  besonders 
des  Frauen-  und  Kinderporträts.  Kenner  rech- 
nen gerade  die  Bilder  dieser  Epoche  zu  Stückel- 
bergs besten  Werken.  1866  heiratet  er  und 
zieht  auf  der  Hochzeitsreise  abermals  nach 
Italien,  allerdings  diesmal  nach  Pompeji,  das 
seiner  Phantasie  reichen  Stotf  für  seine  Kunst 
zuführte.  So  malt  er  seinen  'F'rühlingsmorgen 
in  Pompeji«,  seine  5 römische  Dilettantini  etc., 
aus  denen  der  Geist  klassischen  Römertunis 


142 


T^m  ERNST  STUCKELBERG  ^ö 


ERNST  STUCKELBERG 


PEST  IN  BASEL  (STUDIE) 


und  der  Geist  des  Horaz  —  seines  Lieblings- 
diciiters  uns  entgegenweilt. 

Wieder  nacli  Basel  zurüclvgekelirt,  sclilägt 
er  1869  einen  Ruf  als  Professor  der  Weimarer 
Akademie   aus. 

Im  Jahre  1877  vollendet  er  das  Fresko 
Erwachen  der  Kunst  in  der  Basier  Kunst- 
halle. 

Aber  erst  von  nun  ab  wird  Stückelberg, 
obwohl  er  seiner  Eigenart,  sich  selbst,  seinen 
Kunstansichten  treu  bleibt,  derjenige  Künstler, 
als  welcher  er  sich  Weltruf  errungen,  der 
spezifische  Schweizer  Maler,  der  Maler  der 
Tellsage.  Es  wird  ihm  nämlich  vom  Schwei- 
zerischen Kunstverein  der  ehrende  Auftrag 
zuteil,  die  Teilskapelle  auszumalen. 

Und  mit  Fiebereifer  geht  er  an  diese  große 
Autgabe.  Er,  der  sich  seit  seiner  Studienzeit 
von  der  Historienmalerei  abgewandt,  beginnt 
jetzt  sich  mit  ihr  wieder  zu  beschäftigen.  Aber 
gerade  seine  fleißigen  Studien  aus  der  Jetzt- 
zeit kommen  ihm  zu  Hilfe.  Manche  schwere 
Stunde  drängt  sich  ihm  auf,  man  verlangt 
Änderung  des  Kartons,  aber  er  überwindet 
alles;  immer  sein  großes  Ziel  vor  Augen! 

Drei  Sommer  malt  er  an  den  Fresken,  end- 
lich im  Juli  1882  hat  er  dieselben  vollendet. 
Und  nun  mußte  auch  jeder  Neid,  jede  An- 
fechtung verstummen.  Er  hatte  die  schwie- 
rige Autgabe  meisterlich  gelöst,  er  hatte  sich 
seine  Modelle  aus  dem  "\'olke  geholt  und 
ihnen  Leben  und  Geist  eingeflößt.  Er  \vurde 
in  der  Folge  reich  geehrt,  mit  Anerkennun- 
gen überschüttet.  Aber  ruhig  und  stetig  hat 
er  weiter  gearbeitet  und  hat  sich  selbst  den 
Eindrücken  der  neueren  Richtung  nicht  ver- 
schlossen,   bis    er    hochbetagt  1901    verstarb. 


Der  Raum ,  der  uns  hier  zur  Verfügung 
steht,  reicht  nicht  aus,  um  Stückelbergs  Kunst, 
deren  besten  Schätze  uns  leider  nicht  zugäng- 
lich sind,  eingehender  zu  würdigen.  Speziell 
den  Epochen  vor  den  Tellfresken  und  nach 
diesen,  die  uns  ein  reiches,  vielseitiges  Künst- 
lertalent zeigen,  kann  man  in  wenigen  Zei- 
len nicht  gerecht  werden.  Doch  das  soll 
auch  nicht  der  Zweck  dieser  Skizze  sein.  Sie 
soll  uns  vor  allem  erinnern,  daß  für  uns  Fern- 
stehenden :  im  lauten  Jubel  der  Tageskunst 
ein  echter,  großer,  stolzer  Schweizer  Künst- 
ler mit  seinem  Tode  im  Nebel  zu  verschwin- 
den droht!  Schade,  daß  München,  das  so  ge- 
wissenhaft jede  auch  noch  so  fremde  Indi- 
vidualität zu  wägen  weiß,  nicht  eine  Kollek- 
tivausstellung seiner  Werke  sehen   kann. 

Gerade  in  den  Tagen,  da  die  Lichtstudie 
die  1-arbenfreudigkeit,  die  Ideen,  ihre  ideale 
Auttassung,  die  sichere  Komposition  zu  ver- 
drängen droht,  könnte  man  in  gewissem  Sinne, 
von  der  bürgerlichen  Monumentalma- 
lerei Stückelbergs  etwas  lernen.  Er  hat  es 
mit  seltenem  Geschick  verstanden,  den  Volks- 
typus zum  Heldentypus  zu  erheben,  er  hat 
mit  wuchtigem  Pinsel  von  herrlichen  Helden- 
taten mit  echtem  Pathos  erzählt. 

Das  darf  vor  allem  nicht  vergessen  werden ! 

Das  Mark,  das  in  seinen  Figuren  steckt, 
saß  auch  in  seinem  Arm,  der  Feuerblick,  der 
uns  aus  ihren  Augen  entgegenleuchtet,  glit- 
zerte auch  in  seinem  Blick! 

Aber  das  alles  war  gebändigt  durch  seine 
hehren  Ideen,  durch  seine  malerische  Selbst- 
zucht. 

Mit  Recht  sagt  Professor  Fritz  Trog  von 
ihm : 


M3 


HRNST  STÜCKELBHRG 


KNTSAGL'NG 


144 


©^  ERNST  STUCKELBERG  ?^~a 


ERNST  STUCI^ELBERG 

Zu   den   Fresken 


STUDIEKKOPF 


der   TcüskafeUe  ^-.fischen   Ki,finn,ht  „nd  Z„ 


>  Die  Vielseitigkeit  seiner  Begabung,  die 
Sicherheit  seines  Könnens,  die  durchgehende 
Noblesse  seiner  Auffassung,  die  Richtung  auf 
das  Große  und  Ernste  hin  in  seinen  Histo- 
rienbildern, daneben  dann  wieder  die  feine 
Anmut  und  sinnige  Beschaulichkeit,  das  sind 
allbekannte  Züge  seiner  Künstlerphysiogno- 
niie:  Stückelberg  gehört  zu  den  größten  Ta- 
lenten in  der  deutschen  Malerei  des  19.  Jahr- 
hunderts, nicht  nur  in  der  schweizerischen; 
er  ist  im  Ausland  leider  nicht  in  dem  Maße 
bekannt  geworden,  wie  er  es  verdient  hätte. 
An  Auszeichnungen   hat  es   ihm    zwar    nicht 


gefehlt,  so  erhielt  er  1869  in  München  die 
goldene  Medaille.  Allein  sein  Name  trat  dann 
in  dem  Maße,  als  er  sich  an  auswärtigen  Aus- 
stellungen nicht  mehr  beteiligte,  in  den  Hin- 
tergrund, und  so  kommt  es,  daß  man  heute 
in  Deutschland  Stückelberg  nicht  oder 
viel  zu  wenig;  kennt.  .  .   ') 


')  Wir  verweisen  auf  die  prächtige  Publikation :  Wil- 
lielm  Teil.  Schauspiel  von  Friedrich  Schiller.  Mit 
50  Abbildungen  nach  Gemälden  und  Studien  von  Ernst 
Stückelberg.  Bielefeld,  Leipzig  und  Berlin  1905,  Vel- 
hagen  u.  Klasing.  D.  R. 


\ 


©W  DAS  EHEMALIGE  CISTERCIENSERKLOSTER  IX  OLIVA  >^ö  145 


ERNST  STLCKELBERG 


PROZESSIOM 


DAS  EHEMALIGE  CISTERCIENSER- 
KLOSTER IN  OLIVA 

Von  H.  MANKOWSKI  Danzig 

Tm  Sommer  1907  wurde  mir  der  Auftrag  zuteil, 
^  einen  kurzen  » Führer x  durcli  die  ehemalige 
CistercienserkircheunddasCistercienserkloster 
Ohva  zu  schreiben  und  beide  als  kunsthisto- 
rische Stätten  zu  schildern.  Dieser  Umstand 
veranlaßtc  mich,  beide  Stätten  eingehend  zu 
würdigen  und  diereiciien  schriftliciicn  Quellen 
zu  prüfen,  die  über  Oliva  vorhanden  sind. 

Zu  erwägen  ist  in  erster  Reihe,  daß  Oliva  als 
die  älteste  christliche  und  deutsche  Kulturstätte 
im  deutschen  Osten  viel  zur  Christianisierung 
des  Herzogtums  Pommerellen  (Ostpommern) 
beigetragen  hat.     Der  frommen  Sage  zufolge 


ward  Fürst  Subislav  I.  durch  ein  wunderbares 
Traumgesiclu  zum  Christentum  bekehrt,  und 
sein  Sohn  Samborl.  erbaute  von  11 70  bis 
1 178  in  Erfüllung  eines  von  seinem  \'ater  ge- 
machten Gelübdes  das  Kloster  und  die  Kirche, 
die  13  aus  einem  pommerschen  Kloster  aus- 
gewanderten Cisterciensermönchen  übergeben 
wurden. 

Jene  ursprünglichen  Baulichkeiten  gingen 
im  Laufe  der  nächsten  Lihrhunderte  unter, 
und  erst  im  Jahre  1577  wurde  das  noch  be- 
.stehende  und  im  Jahre  1S31  zur  katholischen 
Pfarrkirche  umgewandelte  Gotteshaus  erbaut, 
wobei  einzelne  Teile  aus  der  ältesten  Zeit  des 
13.  und   14.  Jahrhunderts  benutzt  wurden. 

Die  in  einer  reizenden  Gegend  am  Ost- 
abhange    des    pommerellischen    Höhenzuges 


Die  chriNtliche  Kii 


146 


EX^  DAS  EHEMALIGE  CISTERCIENSERKLOSTER  IN  OLIVA  ^X3 


erbaute  Kirche  hat  die  Form  eines  lateinischen 
Kreuzes,  dessen  Länge  im  Innern  rund  98  Meter 
beträgt,  während  die  beiden  Kreuzesarme  nur 
28  Meter  messen.  Dieses  anscheinend  dis- 
harmonische Verhältnis  findet  darin  seine  Er- 
klärung, daß  das  ursprüngliche  Langhaus  so- 
wohl im  Osten  als  auch  im  Westen  erhöht 
und  verlängert  worden  ist. 

Die  beiden  schlanken  Türme,  welche  das 
Westportal  einschließen,  erhöhen  noch  die 
zierliche  Form,  und  eine  über  dem  Haupt- 
portale angebrachte  Tafel  nennt  als  Erbauer 
der  der  hl.  Dreifaltigkeit,  der  hl.  Jungfrau 
Maria  und  dem  hl.  Bernhard  geweihten  Kirche 
den  Pommerellenherzog  Subislav.  Das  Quer- 
schitf  hat  drei  Tünuchen ;  sonst  zeigt  das 
ÄuLsere  keinen  besondern  Schmuck. 

Dem  mächtigen  Eindruck  beim  Betreten  des 
Innern  kann  sich  niemand  entzielien.  Das 
reizende  Sterngewölbe  und  das  durch  die 
hochgelegenen  Fenster  hereinströmende  Licht 
üben  eine  gewaltige  Wirkung  aus,  und  erst 
nach  einigem  Verweilen  in  diesem  Dämmer- 
lichte kann  man  an  die  Betrachtung  der  ein- 
zelnen  KunstL;e"enstände   i7ehen.  ^'om   west- 


KKxsr  ■.  I  ii:kki.i;i-.ki 


liehen  Haupteingange  hat  das  Gotteshaus  nur 
zwei  Schilfe.  Der  Architekt  wird  die  reiche 
Gliederung  der  Pfeiler,  die  Bogengänge  zu 
den  Seitenschifien,  die  Konsolen,  die  Spitz- 
bogen, die  Stern-  und  Netzgewölbe  usw.  mit 
besonderem  Wohlgefallen  betrachten.  Das 
imposante  Gewölbe  wird  von  22  Säulen  ge- 
tragen, und  die  niedrigeren  Seitenschiffe  ziehen 
sich  um  den  Hochaltar  herum,  so  daß  dieser 
völlig  isoliert  dasteht. 

In  diesem  Umgange  haben  22  Altäre  Auf- 
stellung gefunden,  unter  denen  viele  aus  dun- 
keim Marmor  hergestellt  sind.  Die  Namen  der 
Äbte  Kensowsk}',  Rybinsky,  Goschke, 
Hacky  u.  a.  sind  mit  den  mehr  oder  weniger 
großen  Kunstwerken  aufs  innigste  verbunden. 
Meist  fassen  gegürtete  Säulen  mit  korinthischen 
Kapitalen  das  Hauptbild  ein,  über  dem  sich 
das  vielfach  gekröpfte  Gesims  erhebt,  dessen 
Bekrönung  durchbrochen  ist.  Jede  Überladung 
ist  vermieden,  und  die  Antependien  sämtlicher 
Seitenaltäre  bestehen  aus  farbig  gepreßtem 
(bunziertem)  Leder. 

Rechts  vom  Hochaltare  befinden  sich  meh- 
rere Epitaphien  von  Abten  und  andern  um 
die  Kirche  verdienten  Personen  aus 
älterer  Zeit.  Eine  Sehenswürdigkeit 
ist  der  grol.'e  Baldachin,  dessen 
Himmel  in  Goldstickerei  die  aller- 
seligste  Jungfrau  mit  dem  Jesuskinde 
darstellt.  Die  kunstvolle  Gruppe  wird 
\on  einem  reich  verzierten  Medaillon 
umgeben  und  von  fortlautenden  Gra- 
natapfel -Verbindungen  eingefaßt. 
Diese  herrliche  Stickerei  soll  von  der 
Ivonn^in  Christine  von  Schweden 
herrühren,  deren  Vater  König  Gustav 
.\dolf  im  Jahre  1632  bei  Lützen  sei- 
nen Tod  fand.  Abt  Michael  Anton 
Hacky  hatte  im  Dienste  der  Königin 
Chi  istine  gestanden. 

Sehenswert  ist  auch  die  Wasch- 
vorrichtungaus Marmor,  das  L  a  v  a  b  o, 
vor  der  Sakristei  aus  dem  Jahre  1635. 
Die  ältesten  Monstranzen,  Kelche, 
Pacifikalien  usw.  sind  in  den  unauf- 
hörlichen Kriegszeiten  abhanden  ge- 
kommen. 

Vor  dem  Presbyterium  ruhen  meh- 
rere Äbte,  deren  Grabsteine  entspre- 
chende Messinginschriften  zeigen. 
Ein  gemeinsamer  schlichter  Grabstein 
deckt  auch  die  sterbüchen  Hüllen 
der  beiden  letzten  nominellen  Äbte 
\on  Oliva,  der  Prinzen  und  Fürst- 
bischöle von  Ermland,  Karl  und 
Joseph  von  Höh  en  zoll  er  n.  Der 
WEGKREUZ  AUS  DER  INNENSCHWEIZ       letztere  starb  im  Jahre  1836.    Neben 


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5!^  DAS  EHRMALIGH  CISTERCIF.NSERKLOSTnR  IX  OLI\-A  5*T;-?  J47 


ci5ti;rciensi:rkirciie  und  schloss  is'  oliva 


ihnen  ruht  die  188S  verstorbene  Prinzessin 
Maria  von  Hohenzollern,  eine  Niciite  des 
Prinzen  Josepii,  die  bis  zu  ihrem  Tode  das 
östlich  von  der  Kirche  gelegene  königliche 
Schloß,  die  ehemalige  Abtei,  bewohnte. 

Links  am  Eingange  zum  Presbyterium  be- 
iludet sich  die  aus  Lindenholz  geschnitzte  und 
reich  vergoldete  Kanzel,  rechts  der  Abt- 
sitz  mit  gewundenen  Säulen  und  zierlicher 
Ornamentik.  Die  Wände  sind  links  und  rechts 
mit  historischen  Bildwerken  bedeckt.  Es 
folgt  das  alte  Chorgestühl  der  Mönche, 
welches  ehedem  im  Mittelschiffe  stand.  Es 
stammt  aus  dem  Jahre   i6o^. 

Im  Presbyterium  fällt  das  Licht  teils  durch 
die  hoch  oben  befindlichen  kleinen  Seiten- 
fenster, teils  durch  ein  rundes  L'enster  östlich 
der  Apsis.  Auf  14  schwarzen  Marmorsäulen, 
die  zur  Erzielung  einer  harmonischen  Earhen- 
wirkung  grau  gestrichen  worden  sind,  erhebt 
sich  das  Gesimse  des  Hochaltars,  über  welchem 
weiße  Stuckmassen  mit  zahlreichen  Engelköp- 
fen den  offenen  Himmel  versinnbilden  sollen. 
Dort  haben  viele  Standbilder  aus  der  hl.  Schrift 
Platz  gefunden.  Das  Hauptbild  des  Altars  zeigt 
links  die  auf  Wolken  schwebende  Himmels- 
königin, rechts  den  hl.  Bernhard,  darunter 
betende  Mönche,  welche  das  Kloster  dem 
Schutze  der  Gottesmutter  empfehlen.  Das  Pres- 
byterium ist  ein  wahrer  Kunstschrein. 

Die  am  Eingange  befindliche  große  Orgel 
hat  loi  Registerzüge,  84  klingende  Stimmen 
und  über  5100  Pfeifen.  Der  überaus  reiche 
Prospekt  mit  Engelgestalten,  Posaunenbläsern 
und  Rankenwerk  fesselt  immer  wieder  das 
Auge.     Der    Orgelbauer    und    spätere    Pater 


Wilhelm  Johann  Wulff  hat  von  1760  ab 
25  Jahre  lang  an  dem  Werke  gearbeitet,  aber 
die  Vollendung  nicht  erlebt,  welche  daher  in 
die  Hände  des  Danziger  Orgelbauers  Dalitz 
gelegt  wurde. 

Das  ehemalige  Cistercienserkloster 
schließt  sich  südlich  unmittelbar  an  die  Kirche 
an,  und  man  gelangt  dorthin  entweder  durch 
ein  Portal  in  der  Nähe  der  Sakristei  oder  vom 
westlichen  \'orhote.  Leider  ist  infolge  der  Be- 
lagerungen und  V'erschanzungen  der  Erdboden 
um  das  Kloster  teilweise  bis  gegen  ein  Meter 
höher  gelegen,  so  daß  Nässe  in  die  Mauern 
dringt  und  sie  langsam  zerstört. 

Die  eigentliche  Klausur  bildet  ein  Recht- 
eck, welches  einen  Garten  einschließt.  Der 
Kreuzgang  ist  aul  der  Nordseite  am  breite- 
sten und  enthält  hier  noch  eichene  Wand- 
täfelungen und  Sitzbänke.  Über  dem  kunst- 
vollen Portale  zum  Kapitelsaale  erblickt  man 
folgende  Inschrift:  Hie  locus  odit  Excessus, 
amat  Pacem,  punit  murmura,  conservat  jura, 
honorat  bonosi. 

Im  Sommerrefektorium  mit  schönem  Netz- 
gewölbe, ziemlich  gut  erhaltener  eichener 
Wandbekleidung,  der  Lesekanzel  und  einem 
sinnigen  Eliesennflaster  zieht  sich  über  der 
hölzernen  Wandbekleidung  eine  Serie  von 
Porträts  der  Äbte  von  Oliva  hin.  Nur  die 
beiden  Prinzen  von  Hohenzollern  fehlen. 

Die  dem  Refektorium  gegenüber  belegene 
Brunnenkapelle  ist  ihres  Schmuckes  be- 
raubt, welcher  in  einem  kunstvollen  messinge- 
nen Springbrunnen  bestand,  an  dem  sich  die 
Mönche  vor  dem  Eintritte  in  das  Refektorium 
die  Hände  wuschen. 


148 


©^  DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT  «^ö 


Bemerkenswert  ist  auch  der  Friedens- 
saal im  südlichen  Flügel.  In  diesem  Raum, 
den  die  Mönche  als  Winterrefektorium  be- 
nutzten, wurde  im  Jahre  1660  der  Frieden 
zwischen  Polen,  Schweden  und  Brandenburg 
geschlossen,  was  durch  zwei  Wandmalereien 
dargestellt  wird.  Der  Tisch,  auf  welchem  die 
Friedensurkunde  von  den  Gesandten  unter- 
zeichnet wurde,  ist  noch  vorhanden;  die  anderen 
Gegenstände  wurden  1807  bei  der  Belagerung 
durch  die  Franzosen  aus  dem  Friedenssaale 
entfernt  und  zerstört. 

Im  Westflügel  des  ehemaligen  Klosters  be- 
findet sich  gegenwärtig  die  Wohnung  des 
Pfarrers  und  der  Vikare. 


DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT 

(~jleidizeitig  mit  der  Janssen  ■  Ausstellung  zog  das 
Kunstgewerbe-Museum  viele  Besucher  an  durch  Aus- 
stellung des  kunstvollen  Tafelschmuckes,  den  die  Schwe- 
sterprovinzen Rheinland  und  Westfalen  gemeinsam  dem 
Deutschen  Kronprinzen  und  seiner  hohen  Gemahlin  als 
Hoch  Zeitsgeschenk  dargebracht  haben.  Auf  Entwürfen 
von  Herrn  Professor  Schi  11  beruhend,  wurden  die  dreiund- 
zwanzig Teile  von  der  Firma  CA.  Beumers  (Düssel- 
dorf), S.  C.  Osthues  (Münster)  und  Gebr.  Hermeling 
(Köln)  ausgeführt  in  massivem  Silber  unter  Zutat  von 
Email,  Elfenbein  und  farbigem  Steinschmuck.  Es  gelang 
den  ausführenden  l-'irmen,  für  einen  Gesamtüberblick 
hinlängliche  Gleichlieit  des  Eindrucks  zu  erzielen,  doch 
gebührt  hinsichtlich  der  peinlichen,  an  japanische  Unüber- 
trefthchkeit  reichende  Sorgfalt  und  Sicherlieit  in  allen 
Dingen  die  Palme  der  Firma  Beumers.  Größe  und  Ernst 
verleiht  den  Aufsätzen,  Trinkhörnern,  Leuchtern  und 
Schalen  neben  dem  vornehmen  Farbenspiel  der  An- 
schluß an  nordische  Formen  mit  ihrem  Flechtwerk  und 
ihren  phantastischen  Tieren.]  ■  "^i'. 

Von  Bedeutung  war  dann  in  der  Kunsthalle  im  Mai 
eine  Sonderausstellung  von  sieben  Düsseldorfer  Malern, 
Jul.  Bretz,  Max  Ciarenbach,  Aug.  Deußer,  Walter 
Ophey,  Wilh.  Schmurr,  Allred  Sohn-Rethel  und 
Otto  Sohn-Rethel,  denen  sich  der  jüngst  verstorbene 
Professor  ].  M.  Ol  brich  beigesellt  hatte.  Unter  ihnen 
bewährte  besonders  M.  Ciarenbach  seine  Meisterschaft 
auf  seinem  Gebiete,  das  er  nur  mit  Vorsicht  nach  der 
einen  oder  anderen  Richtung  erweitert,  ohne  es  jedoch 
zu  verlassen.  Jul.  Bretz,  der  wohl  bisher  alle  Auf- 
merksamkeit gar  zu  sehr  der  Sorgfalt  im  Einzelnen 
widmete,  zeigte  überraschende  Freiheit  der  Bewegung  und 
scheint  ein  Vielversprechender  zu  werden,  hei  M.  Ophey 
ist  man  dessen  allerdings  noch  gar  nicht  sicher.  A. 
Deussers  kräftige  Würfe  zeigten  gleichwohl  zu  wenig 
Zielbewußtsein.  Zwei  Bildnisse  von  W.  Sclimurr  zeich- 
neten iiich  aus  durch  bestimmten,  momentan  ergriffenen, 
aber  künstleriscn  festgehaltenen  Ausdruck  und  schlicht- 
vornehme Farbenvereinigung.  Sehr  beachtenswerte 
Künstler  sind  A.  und  O.  Sohn-Rethel;  sie  machen 
den  beiden  Künstlernamen,  die  sie  im  ihrigen  vereinigt 
tragen,  alle  Ehre  und  würden  auch  ihren  berühmten  Vor- 
gängern Freude  machen,  wenngleich  diese  über  neue 
Dinge  bei  ihnen  etwas  stutzig  werden  würden. 

Gegen  Ende  desselben  Monats  brachte  das  Kunstge- 
werbemuseum eine  .\usstellung  jüdischer  Altertümer,  die 
aus  besonderen  Gründen  nicht  ins  nächste  Jahr,  das  Jahr 
der  Ausstellung  für  christliche  Kunst,  verschoben  wurde. 


Es  waren  die  Erwerbungen  der  »Gesellschaft  zur 
Erforschung  jüdischer  Kunstdenkmäler«  zu 
Frankfurt  am  Main.  Hervorragend  schöne  Handschriften 
mit  reichen  Miniaturen  (Thorarollen,  Eheverträge),  auch 
ältere  Drucke  traten  besonders  hervor;  daneben  sah  man 
interessante  Vorhänge,  Schreinhüllen,  Zinnschüsseln,  me- 
tallene Lampen  und  kleines  Gerät,  aus  mancherlei  Stoffen 
gefertigt.  Das  Ausgestellte  reichte  aber  zeitlich  nicht 
weit  zurück  (nur  Vereinzeltes  über  das  16.  Jahrhundert 
hinaus)  und  verlor  dadurch  an  Interesse;  Photographien 
in  großer  Zahl  führten  in  ältere  Zeiten  und  suchten  ein 
Ganzes  zu  schaffen. 

Über  die  Gebhardt-Feier  am  13.  Juni  (siebzigster 
Geburtstag)  haben  die  Zeitungen  hinlänglich  berichtet. 
Die  Kunsthalle  gehörte  im  Juni,  wie  regelmäßig,  der 
Ausstellung  des  Kunstvereins  für  die  Kheinlan  de 
und  Westfalen.  Jeder  Beteiligte  sucht  da  Gutes  und 
Verkäufliches  zu  bringen,  und  es  fehlen  eigentlich  nur 
die  ersten  Namen.  Die  meisten  Gewinner  werden  zu- 
frieden sein,  wenn  sie  nicht  erwarteten,  eine  > Perle« 
heimzutragen.  Die  Fülle  (252  Nummern)  ließ  das  Ein- 
zelne nicht  zur  Geltung  kommen  und  datriit  auch  nicht 
den  Ernst  und  die  Arbeit,  von  der  gar  vieles  Zeugnis 
ablegte.  Hie  und  da  freilich  zeigte  sich  ein  Künstler 
von  ganz  neuer  Seite;  so  wohl  in  erster  Linie  A.Schlü- 
ter, der  Maler  der  Heide,  mit  den  beiden  Kirchen- 
interieurs, Chorumgang  und  westliches  Kreuzschiff  des 
Domes  zu  Münster,  in  Aquarell  von  ernster,  höchst  wirk- 
samer Leuchtkraft;  ferner  W.  Kukuk  mit  seinem  vor- 
trefflichen »Hochwasser«,  Prof.  A.  Männchen  mit 
einem  »Blumengarten«,  A.  Baur  mit  einem  »Waldrand« 
u.  a.  Auch  an  guten  Werken  unserer  Plastikern  fehlte 
CS  nicht,  zirka  35  Nummern. 

Für  die  Plastiker  brachte  der  Bildhauer  Karl  Müller 
die  von  ihm  erfundene  bildsame  Masse  »Petroso«  in 
ihrer  Wirksamkeit  und  Mannigfaltigkeit  zur  Anschauung. 
Eine  Reihe  von  Abformungen  fremder  und  eigener  Werke, 
bedeutsam  und  instruktiv  vom  Erfinder  ausgewählt,  zei- 
gen, wie  Färbung  und  Korn  bezw.  Struktur  des  Original- 
Materials  in  einer  bis  in  die  Nähe  der  Täuschung  reichen- 
den Treue,  weiß,  gelb,  rot,  grünlich,  fein  und  grob- 
körnig, man  möchte  sagen  kalt  und  warm,  nachgeahmt, 
durch  diese  Masse  zur  Wirkung  gebracht  werden  können. 

Es  folgte  bald  die  Ausstellung  von  Werken  zweier 
Verstorbenen,  des  vielversprechenden,  kaum  erst  recht  her- 
vortretenden Malers  Hub.  Oellers  aus  der  Nachbarstadt 
München-Gladbach  und  der  in  München  verstorbenen 
Marg.  von  Kurowski.  Ersterer,  ein  talentvoller  Auto- 
didakt, blieb  nicht  ganz  frei  von  Einzelnem,  was  diese 
Lernweise  in  der  Kunst  mit  sich  zu  bringen  pflegt ; 
letztere,  wenngleich  Pohn,  versetzte  durch  die  trübgrauen, 
alles  überspinnenden  Farben,  aber  auch  durch  die  Wahl 
der  Stoffe  und  dargestellten  Personen  eher  in  das  dumpfe 
Elend  russischer  Lebensöde. 

Noch  neben  diesen  bleischweren  Bildern  der  Polin 
erschien  dann  die  Nachlaßausstellung  H.  J.  Sinkel,  die 
mit  helleren  Farben  in  Regionen  christlicher  Erden-  und 
Himmelsfreude  verwies ;  über  diese  Ausstellung  ist  be- 
reits berichtet  worden  (Heft  2,  S.  61). 

Auch  der  Schluß  der  Sommersaison  brachte  eine 
Nachlaßausstellung.  Zahlreiche  Bilder  und  Skizzen  des 
begabten  Heinrich  Petersen-Flensb  urg,  der  am 
23.  Mai  d.  J.  starb.  Gerne  ließ  man  sich  durch  seine 
frischen  farbigen  Wiedergaben  die  freundlicheren,  ja  lieb- 
lichen Szenerien  der  nordischen  Landschaft  vorzaubern, 
die  sichtlich  dem  Herzen  des  Malers  näher  lagen,  als 
das  Gewaltige  in  der  Natur  und  dem  Eise;  aber  die 
Empfindung  feierlicher  Einsamkeit  wußte  er  wohl  liinein- 
zulegen.  ]\Ianche  kleinere  Sachen  waren  schöne  Be- 
weise für  seine  kompositorische  Anschauung  und  sinnige 
Ausführhchkeit  bezüglich  des  einzelnen. 

Unter  den  Kollektivausstellungen  sei  —  ohne  anderen 


Xiim  Arlikel  S.  /4J-/4S 


INNERES  DER  EHEMALIGEN  CISTER- 
CIENSERKIRCHE  IN  DLIVA  ««•«««. 


SJ^  DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT  J^a 


nahetreten  zu  wollen  —  die  von  Max  Hunten  hervor- 
gehoben, der  bei  aller  Schlichtheit  und  Anspruchslosig- 
keit seiner  Motive,  eine  ausgeprägte  Künstlerpersönlich- 
keit in  seinen  Werken  darstellt.  Man  könnte  glauben, 
selbst  das  wenige  von  Staffage  ließe  er  am  liebsten  noch 
weg;  es  erscheint  bisweilen  wie  gewaltsam  eingesetzt. 
So  kommt  es,  daß  seine  Bilder,  unter  viel  »Heutigesc 
gemischt,  leicht  zu  bescheiden  zurücktreten:  einzeln 
oder  mit  ihren  Brüdern  zusammengesehen,  finden  sie 
die  verdiente  Wertschätzung. 

Daß  auch  die  permanente  Ausstellung  von  E.  Scliulte 
den  Sommer  nicht  ohne  mannigfaltige  und  eigenartige 
Darbietungen  vorübergehen  ließ,  braucht  kaum  gesagt 
zu  werden.  Vieles  davon  wurde  früher  oder  später  auch 
in  den  anderen  Etablissements  der  nämlichen  Firma  ge- 
zeigt, und  ist  teilweise  bereits  durch  öffentliche  IBe- 
sprechungen  gewürdigt  worden.  Für  die  Kunstfreunde 
sowohl  als  für  die  Künstlerschaft,  besonders  für  die  jüngere, 
sind  die  Schulteschen  Veranstaltungen  vom  allerhöchsten 
Werte.  Sie  führen  aus  dem  engen  Kreise  in  die  Weite 
hinaus  und  zwar  nicht  etwa  in  der  RichtuiiiT   nach  der 


fernen  Vergangenheit  —  um  derentwillen  muß  man 
schon  reisen,  wenn  man  sich  nicht  mit  Reproduktionen 
begnügen  will  — ,  sondern  besonders  in  die  schwer  er- 
reichbare gegenwärtige  Ferne  und  in  jüngst  vergangene 
Zeiten,  denen  so  gerne  der  Wert  abgesprochen  wird. 
Auf  Einzelheiten  einzugehen,  verbietet  diesmal  die  Rück- 
sicht auf  den  Raum,  wie  ja  auch  hinsichtlich  der  Kunst- 
halle-Ausstellung die  zahlreichen  Einzelwerke  verschwie- 
gen bleiben  müssen :  Hervorragendes  fehlte,  Beachtens- 
wertes herrschte  vor,  das  Bedenkliche  fand  immer  noch 
Hintertürchen. 

Im  Kunstgewerbe-Museum  schloß  sich  an  die 
bereits  erwähnte  jüdische  Ausstellung  eine  Ausstellung 
von  Vorbildern  für  kirchliche  Kunst  aus  der  Vor- 
bildersammlung des  Zentral  Gewerbevereins,  verbunden 
mit  einer  Ausstellung  von  Handschriften  und  alten 
Drucken  aus  der  Landes-  und  Stadtbibliothek.  Die  sehr 
umsichtige  Zusammenstellung  bot  (in  i:\oi  Nummern, 
wie  der  Katalog  angibt)  eine  äußerst  \ielseitige  Übersicht 
über  das  Schaffen  auf  dem  Boden  kirchlicher  Architektur 
und  kirchlichen  Kunstgewerbes  von  den  ältesten  Zeiten 
bis  auf  unsere  Tage:  Kirchen, 
Altäre,  Sakramentshäuschen,  Hal- 
len und  Emporen,  Orgeln,  Kan- 
zeln, Taufsteine,  Grabdenkmäler, 
Glasfenster,  (Christusbilder,  Ma- 
donnen usw.),  Wandmalereien, 
Kirchengerät,  Miniaturen,  Kir- 
chengewänder') (in  dieser  Ab- 
teilung auch  eine  reiche  Zahl 
von  Stickereien  in  Originalen), 
Beleuchtungskörper  usw.  Die 
Handschriften- Ausstellung  begann 
mit  dem  9.  Jahrhundert  (Paulini- 
sche Briefe  und  ein  Essener  Mis- 
sale) und  reichte  bis  zum  16.  Jahr- 
hundert. Die  Drucke  führten  zu 
den  frühesten  Inkunabeln  zurück. 
Die  übrigen  Räume  des  Museums 
traten  mit  zahlreichen  Originalen 
ergänzend  hinzu,  namentlich  mit 
Spitzen  und  alten  Geweben,  eben- 
falls mit  den  frühesten  Zeiten  be- 
ginnend. Es  war  somit  außer- 
ordentlich viel  Gelegenheit  ge- 
boten, edle  Werke  zu  studieren 
und  den  Geschmack  auch  in  die- 
sen Dingen  zu  kultivieren  und 
zu  erheben. 

Die  St.  Andreas- Hof  kirche 
erhielt  einen  hervorragenden 
Schmuck  durch  das  Altarbild 
des  Hoclialtars.  Als  Gegenstand 
war  das  Martyrium  des  hl.  An- 
dreas der  gegebene;  die  Darstel- 
lung und  Ausführung  wurde 
Professor  Lauenstein  über- 
tragen. Eine  gewisse  Annähe- 
rung an  V.  Gebhardts  Richtung 
ist  nicht  zu  verkennen;  sie  hat 
vielleiclit  etwas  Unruhein  das  Bild 
gebracht,  aber  auch  Wirksamkeit 
des  Ganzen  und  Energie  der  Far- 
benwahl, die  vorzüghch  zu  dem 
Hochaltar  und  in  die  ganze  Chor- 
f^irbung  paßt.  Dagegen  zeigt  die 
ganze  einfache  und  klare  Kompo- 
sition den  vollbewußten  Zusam- 


JOSEPH  LIMBURG  (BERLIN) 
SE.  EXZELLEN'Z  DER  LANGJÄHRIGE  PR.\SIDENT  DES  DEUTSCHEN  REICHSTAGS  FRANZ  II.  ", 

GRAF  VON  BALLESTREM  AUF  PLAWNIOWITZ  UND  RUDA  i.  SCHL.  (K 


')  In  Farbe  uud  Geist  dem  guten  Ge- 
mack  entsprechende  kirchliche  Arbeiten 
Ite  gleichzeitig  Frau  Helene  Stummel 
iveUer)  in  der  Mittelmädchenschule  aus. 


5?®«  AUS  DEM  KUXSTVF.REIX  MUXCHEX  »«S3 


151 


menhang  sowohl  mit  der  älteren  christlichen  als 
mit  der  klassischen  Kunst.  Man  sieht  an  dem  Bilde 
aufs  neue,  wie  wenig  eine  gewisse  Berücksichti- 
gung V.  Gebhardtscher  Auflassungen  dem  katho- 
lischen Kunstempfinden  prinzipiell  fremd  ist,  und 
wie  sehr  der  Künstler  dabei  seiner  eigenen  Person 
treu  bleiben  kann,  wenn  er  dazu  die  Kraft  in  sich  trägt. 
In  der  Maria-limpfdngniskirche  wurde  die  Aus- 
stattung mit  Glasgemälden,  die  die  fünfzehn  Gesetze 
des  Rosenkranzes  darstellen,  zu  Ende  gefülirt.  Sti- 
listisch entsprechen  die  Darstellungen  mit  der  zu- 
gehörigen Architektur  dem  gotischen  Slile  des  Bau- 
werks selber;  verdienen  aber  auch  bezüglich  ilirer 
Besonderheiten  und  namentlich  in  koloristischer 
Hinsicht  alles  Lob.  Entwurf,  Zeichnung  und  Aus- 
führung verdanken  sie  dem  Düsseldorfer  Glasmaler 
Karl  Hertel.  Bunc 


AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 


N^ 


Jach  der  Ruhe  der  Sommerferien  hat  das  Kunst- 
institut unter  den  Arkaden  mit  großen  Samniel- 
ausstellungen  den  Reigen  der  künstlerischen  Genüsse 
eröffnet.  Gleich  im  Treppenhaussaale  begegnete 
man  einer  stattlichen  Anzahl  von  Zeichnungen  und 
Studien  von  Max  Bernuth.  Es  ist  Mode  ge- 
worden, mehr  durch  Quantität  als  Qualität  zu  fes- 
seln und  die  Künstler  schädigen  sich  selber,  wenn 
sie  alles  und  jedes,  was  sie  gerade  zufällig  gezeichnet 
und  gemalt  haben,  auch  vor  die  Augen  des  Publi- 
kums bringen.  Auch  Bernuth  würde  sicherlich  mehr 
Vorteil  errungen  haben,  wenn  er  sich  eine  weise 
Beschränkung  auferlegt  hätte.  In  vielen  dieser  flotten 
Zeichnungen,  deren  Motive  meist  dem  Tierleben 
entnommen,  steckt  ja  eine  nicht  alltägliche  Bega- 
bung und  ein  nach  persönlichen  Ausdrucksmitlein 
ringender  Künstler.  Als  ein  für  Stil  veranlagter 
Maler  erscheint  Karl  Schwalbach,  von  dem 
wir  hier  und  da  einige  kleinere  Arbeiten  sclion  sahen. 
Fortschritte  sind  t;ewiß  unterdessen  zu  verzeichnen 
und  erfreuen  die  Ex-libris  und  Einladungskarten 
ob  ihrer  liebenswürdigen,  feinen  Technik  und  Aus- 
führung. Auch  auf  figürlichem  und  landschaftlichem 
Gebiete  hat  sich  der  Maler  versuclit  und  in  dem 
Porträt  eines  jungen  Mannes  eine  nicht  ungewöhn- 
liche Leistung  gegeben. 

Es  ist  bekannt,  wie  stark  das  .Anpassungsver- 
mögen an  andere  Kunstformen  geworden  und  wie 
gerade  beim  weibliclien  Geschlechte  dies  sich  in 
der  Kunst  ausgebildet  hat.  Marie  Hey  eck  gab 
von  dieser  anschmiegenden  GeschickUchkeitskuust 
wieder  einige  Proben,  die  wir  stets  gerne  seilen, 
da  ihre  Vorbilder  Hans  Thoma  und  namentlich 
E.  Lugo  sind,  die  Stil  und  Charakter  in  ihre  VVeike 
tragen.  .\m  trefflichsten  war  ein  Blick  von  einem 
blumengeschmückten  Balkon  über  wogende  Korn- 
felder und  blühende  Lande. 

Marie  (^aspar-Filser  wendet  sich  modernen 
Bestrebungen  zu,  obgleich  auch  sie,  trotz  aller  I"r- 
rungenschaften  des  neuzeitlichen  1-arbensehcns, 
den  Duft  der  Poesie  in  ihre  Landschaften  hinein- 
zutragen sich  bemüht.  Gabr.  Schachingers 
Blumenstücke  sind  von  altbewährter  Tüchtigkeit. 
RudolfPetuel  bewegt  sich  in  mehr  gleichartigen 
Themen  und  es  kommt  dadurch  das  Originelle 
seiner  An  nicht  so  ganz  zum  Durchbruch.  Es  mag 
auch  daran  liegen,  daß  solche  Landschaften  in 
größeren  Kollektionen  zusammengefaßt,  zu  wenii; 
Wechselvolles  bieten.  Dennoch  ist  im  einzelnen 
ein  Eingehen  auf  delikate  Farbenwahl  und  zeichne- 
rische Sicherheit  deutlich  erkennbar. 


lOSKril  I.IMU'.RC  iBERl.lN) 
1  111  TU     lihS  I  EITSASTS  KARL  VON  ROTMI-K 


15: 


5QS«  AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN  ^^ö 


JOSI.Iil   Ll.\ll;LKG  iRI'RLIN) 
PORTRATBÜSTE  ELSE  GRÄFIN  VON  ARCO 


Über  Charles  Palmies  Farbenexpeiimente  und 
sein  Studienobjekt,  den  Münchner  Marienplatz,  haben 
wir  des  öfteren  schon  gesprochen,  und  da  keine  Ver- 
anlassung besteht,  neue  Werte  festzustellen,  müssen  wir, 
um  uns  nicht  zu  wiederholen,  auf  bereits  Gesagtes  hin- 
weisen. Eine  interessante  Holzplastik  »Das  Abendmahl« 
brachte  Thomas  Buscher.  Seine  virtuos  technische 
Art,  die  Holztechnik,  die  wir  bereits  öfter  Gelegenheit 
hatten  zu  bewundern,  trat  auch  in  diesem  Werke  deut- 
lich hervor,  dabei  versuchte  der  Künstler  in  der  charak- 
teristischen Durchbildung  der  Köpfe  eine  höhere  Würde 
zu  entfalten,  die  über  das  alltäglich  Realistische  hinaus- 
geht. Die  gotische  Formensprache,  die  in  der  Gewand- 
behandlung vorherrscht,  wird  dem  Gegenstand  durch- 
aus gerecht. 

Einen  prächtigen  Einblick  in  das  Schaffen  der  Künst- 
ler unter  dem  Einflüsse  der  Diez-Schule  brachte  die 
Nachlaß-Ausstellung  des  verstorbenen  Alf ons  Spring. 
Man  kannte   den  Künstler   meist  nur  von  den  kleinen, 


liebevoll  durchgeführten  Bildchen  der 
rauchenden,  politisierenden  oder  mit  Zahn- 
sclmierz  behafteten  Bauern,  die  des  Ver- 
kaufs wegen  gemalt  waren.  Hier  jedoch 
stand  man  vor  einem  Studienmaterial, 
das  der  Künstler  mit  seinem  Herzblut 
zusammengetragen  und  wie  einen  kost- 
baren Schatz  gehütet  hatte.  In  Wirklich- 
keit sind  es  auch  Schätze.  Wie  köstlich 
hingeschrieben,  mit  wenigen  Pinselzügen 
und  wenigen  Tropfen  Farbe  sind  die 
holzvertäfelten  Stuben  Tirols,  die  rauch- 
geschwärzten Küchen,  die  dumpfen  Ställe, 
die  gotischen  Gelasse  alter  Burgen, 
Schlösser  und  Sakristeien.  Es  sind  diese 
Motive  in  ihrer  Korrektheit  und  Schön- 
heit der  Zeichnung  allein  schon  wahre 
Dokumente  kunsthistorischer  Zeiten,  deren 
Originale  eine  poesielose  Zeit  vielfach 
schon  weggefegt  hat.  Wie  sorgsam  und 
gewissenhaft  Spring  zu  Werke  ging,  wie 
treu  er  jedes  Motiv,  das  ihn  interessierte, 
zeichnerisch  niederschrieb,  geht  aus  sei- 
nen Skizzenbüchern  hervor,  welche  als 
kostbares  Geschenk  der  historischen  Kom- 
mission der  Münchner  Künstler-Genos- 
senschaft vermacht  wurden.  In  diesen 
Blättern  lernt  man  eist  so  recht  voll- 
ständig jenen  ernst  strebenden  Künstler 
Spring  kennen,  der  zu  Lebzeiten  lange 
nicht  so  gewürdigt  wurde,  wie  er  es 
verdiente. 

Als  Gegensatz  hiezu  müssen  die  Innen- 
räume betrachtet  werden,  die  Ernst 
Lieber  mann  dem  Goethe -Hause  zu 
Weimar  malerisch  entnahm.  Hier  sehen 
wir  das  Wehen  einer  neuen  Zeit.  Alles 
ist  aufgelichtet,  hell,  flirbiger.  Ist  es  bei 
Spring,  überhaupt  bei  der  älteren  Münch- 
ner Schule  die  Sache,  die  Form  in  ihrer 
Wesentlichkeit  der  farbigen  Erscheinung, 
so  sind  bei  den  Neueren  die  Gegenstände 
nur  als  Trager  von  Farbe  und  Licht  ge- 
dacht und  gesehen.  Beide  Richtungen 
haben  ihre  Berechtigung,  nur  kann  letztere 
in  ihren  weiteren  Konsequenzen  die  Stei- 
gerung von  Licht  und  Luft  so  weit  trei- 
ben, daß  diese  sich  für  das  menschliche 
Auge  dem  Unnatürlichen  nähert. 

K.  Tschuppick  stellte  verschieden- 
artige Dinge  aus,  die  flott  im  Vortrag  und 
Wurf  waren,  mehr  geschickt  als  empfun- 
den,  mehr   durch  die  Farbe   sprechend, 
als  durch  Zeichnung.  Anna  Hein  tz  und  Anna  Kastner 
waren  ebenfalls  durch  Arbeiten  vertreten,  die  das  hand- 
werklich Geschickte,  das,  was  man  einen  guten  Schul- 
ranzen nennt,  zeigten. 

Die  Amsterdamer  St.  Lukas-Vereinigung  er- 
wies sich  als  keine  Überraschung.  Das  waren  alles 
ganz  gute  Arbeiten,  die  aber  weder  im  einzelnen,  noch 
besonderen  charakteristische  Merkmale  des  heimatlichen 
Könnens  darboten.  Man  durchlief  gemächlich  die  Reihen- 
folge aller  traditionellen  Techniken  bis  zum  Impressio- 
nismus, ohne  dabei  warm  zu  werden.  Die  ganze  Folge 
jener  Bilder,  von  Wall-Pernes  bis  ten  Gate,  von  P.  Eg- 
mond  bis  W.  Sluiter,  Monickendam  und  Kleinijes  etc. 
hätte  ebensogut  in  ähnlicher  Weise  von  Münchner  Ma- 
lern aufgebracht  werden  können,  aber  dann  wesentlich 
besser.  Selbst  ein  Blick  auf  die  Arbeiten  von  Hilde 
Weigelt-Middeldorpf  ließ  erkennen,  daß  diese 
Künstlerin  nicht  mit  angelernten  Formeln  wirtschaften 
wollte,  sondern  darnach  strebt,  in  Farbe  und  Zeichnung 


Jos.  Albrecht   pinx 


Vorl.  der  Gi!5cll3cri.  I.  Christi.  Kumt,  Müncho 


ST.  BENNO 


's: 


JOSEPH  LIMBURG  (BERLIN) 

utoße  Berlintr  Kuuttauistfilung  H)oS 


MADONNA 


L>le  christliche  Kunst.     V. 


154 


©^  AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN  *^?3 


eigenes  Empfinden  hineinzutragen.  Wenngleich  all  den 
Bildnissen,  Stilleben  und  Innenräumen  auch  die  geord- 
nete Kultur  noch  mangelte,  so  drängte  doch  ein  Selb- 
ständigkeitsgefühl an  die  Oberflache,  das  schließlich  dem 
feinen  Geschmacke  späterhin  Rechnung  tragen  wird. 

Viel  mehr  auf  rein  äußerliche  Wirkung  waren  die 
Arbeiten  von  Richard  Dietze  hingeworfen,  wie  man 
zu  sagen  pflegt  »aus  dem  Handgelenk  heraus«  alles 
gemacht!  Aber  alles  >Gemachte«  widerstrebt  dem  inne- 
ren Wesen  der  Kunst. 

Motive  aus  Dachau  und  Umgebung  verarbeitete  G  i  u  1  i  o 
Beda  in  einer  von  Karl  Haider  abhängigen  Kunstrich- 
tung, ohne  jedoch  die  Gemütstiefe  dieses  echten  deut- 
schen Künstlers  auch  nur  annähernd  zu  erreichen.  Solche 
Art  Landschaftschilderung  gleicht  derjenigen  der  Men- 
schendarstellung  aufs  Haar;  sie  langt  nur  bis  zur  Ober- 
Hache,  was  unter  ihr  liegt,  wird  nicht  erkannt  und  in- 
folgedessen auch  nicht  zum  Ausdruck  gebracht. 

Walter  Thor,  der  geschickte  Techniker  und  erfolg- 
reiche Lehrer,  zeigt  uns  wieder  einiges  von  seinem 
gediegenen  Können.  Allzuviel  Neues  hat  er  allerdings 
nicht  gebracht,  das  meiste  ist  schon  bekannt  und  wenn 
wir  auch  gute  Werke  mehr  wie  einmal  sehen  können, 
so  wäre  es  dabei  sehr  wünschenswert,  einmal  auch 
solches  mitzuteilen,  das  uns  erkennen  läßt,  welche  wei- 


JOSEPH   LIMBURG  (BERLIN) 


BILDHAUER  PROFESSOR   H.  GERHARD'l 


teren  Wege  der  talentvolle  Maler  genommen.  Von 
Carl  Seilers  Klein-  und  Feinmalerei  war  ebenfalls 
in  »Der  christlichen  Kunst«  schon  mehrfach  die  Rede. 
Neues  bietet  uns  der  Schilderer  des  Rokoko  und  des 
modernen  Lebens  in  kleiner  Durchbildung  auch  in  die- 
ser umfangreichen  Kollektion  nicht.  Wir  sehen  auch 
fast  durchwegs  alte  Bekannte,  zumal  in  den  etwas  grö- 
ßeren, über  den  übhchen  Umfang  seiner  Bilder  hinaus- 
oehenden  Arbeiten,  wie  sie  in  den  Genossenschaftssälen 
des  Glaspalastes  in  den  vergangenen  Jahren  her  ausge- 
stellt waren. 

Interessanter,  als  die  mehr  in  Anlehnung  an  Menzd- 
sche  moderne  Kunstanschauung  oder  an  diejenige  Meis- 
soniers  im  älteren  Stile,  waren  die  flotten,  auch  breit 
gemalten  Aquarelle,  darstellend  Interieurs,  Landschaften, 
Studienköpfe  etc.  Auch  die  Olstudien,  welche  ähnliche 
Motive  aufwiesen,  zeigten  jenen  koloristischen  Reiz,  den 
wir  in  der  Altmünchner  Schule  ja  so  oft  wiedertinden 
und  der  Gemeingut  einer  ganzen  Zeit  und  Richtung 
war.  Manche  dieser  auf  künstlerische  Gesichtspunkte 
hin  gemahe  Studien  verwandte  der  Maler  zu  seinen  be- 
kannten Genrebildchen.  Diese  lassen  dann  nicht  ganz 
rein  den  Genuß  aufkommen,  wie  die  ohne  Nebenab- 
sichten, auf  lineare  und  l'arbige  Wirkung  hin  gesehenen 
und  wiedergegebenen  Motive,  die  ohne  Staffage  und 
anderer  Zutaten  an  sich  voUaul  schon 
als  Kunstwerke  fertig  sind.  Als  eine 
ähnhche  Künstlernatur,  die  allerdiiigs 
härter,  dazu  mikroskopischer  veranlagt  ist, 
erscheint  P  a  u  1  K  ä  m  m  e  r  e  r.  Kann  man 
bei  Seiler  immer  im  Hintergrunde  große 
Vorbilder  erkennen,  so  ist  Kämmerer 
weniger  von  Kultur  befangen,  dafür  setzt 
er  eine  Selbständigkeit  ein,  die,  für  viele 
vielleicht  ungenießbar,  doch  einen  gro- 
ßen Heiz  hat  und  zwar  den  der  Naivität, 
erfreulicherweise  der  unbewußten.  Es 
gibt  ja  Maler,  die  bewußt  primitiv  schaf 
fen,  die  absichtlich  ihren  Werken  den 
oberflächlichen  Eindruck  des  Kindlichen, 
Unbeholfenen  anpassen.  Mit  dieser  hat 
Kämmerer  nichts  gemein,  wenn  man 
genauer  zusieht,  ist  seine  Art  zu  malen 
zwar  übertrieben,  aber  von  edlem  und 
bestem  Wollen  beseelt.  Seine  Malerei 
ist  dadurch  gesunder  und  kräftiger  als 
die  überfeinerte  Kulturkunst  des  moder- 
nen Tagesgeschmackes.  Besonders  leb- 
haft hat  sich  der  Künstler  mit  dem  Isartal 
und  seinen  melancholischen  Reizen  be- 
schäl'tigt  und  mit  starken,  hellen,  teil- 
weise ungebrochenen  Farben  operiert. 
Dadurch  erscheinen  diese  Bilder  etwas 
unausgeglichen,  aber  im  Grunde  schlum- 
mert ein  starkes  Talent,  das,  wenn  ein- 
mal alle  Schlacken  des  Unreifen  abge- 
streilt  sind,  sicherlich  zu  schönen  Resul- 
taten gelangen  wird. 

An  die  vornehmen  Schmelzarbeiten 
der  Limoges-Werkstätten  gemahnten  die 
Emailmalereien  von  Milon  Andre- 
ewitsch.  Es  ist  sehr  begrüßenswert,  daß 
sich  der  eine  oder  andere  Künstler,  statt 
Olpalelte  und  Ölpinsel  zu  handhaben, 
entschließt,  auf  einem  Gebiete  sich  zu 
betätigen,  das  ebenso  hervorragende 
Werke  schaffen  kann  wie  die  Kunst  der 
OL  oder  Wassermalerei.  Wir  haben 
Proben  alter  Emailschmelzkunst,  die  zu 
dem  besten  gehören,  was  alle  Zeiten 
'geschaffen,  Zeiten,  die  noch  nicht  eine 
Trennung  von  Kunst  und  Kunstgewerbe 


©^  AUS  DEM  KUNST VER HIN  MÜNCHEN  ä^/. 


kannten.  Die  Probleme  nun,  die  sicli  die- 
ser Künstler  in  Email  aul'  Kupier,  Gold 
und  Silber  gestellt,  erheischen  alle  Ach- 
tung. Wenn  aüch  die  Ibrmvollendete  i'ech- 
nik  der  Alten  noch  fehlt,  so  weisen  doch 
die  günstigen  Anfänge  auf  Zukunftverbei- 
ßendes hin.  Am  besten  erschien  eine  ar- 
chaistische Pallas  Athene,  dann  ferner  ein 
prächtig  dekorativ  wirkender  Pfau. 

!  Reihen  wdr  hier  noch  die  leicht  graziös 
aufgefaßte  und  zierlich  durchgeführte  Tän- 
zerinstatuette von  Heinrich  Wadere  an. 
Von  sonstigen  Leistungen  mögen  her- 
vorgehoben sein  die  Landschaften  und 
S.üon-Interieurs  von  BertaKaiser,  ferner 
Landschaften  von  H.  Gegarten,  Neppel, 
dem  selten  erscheinenden,  trefflichen  Ge- 
org Jauß  und  eine  sicher  behandelte  Win- 
terstudie  von  Paul  Crodel. 

Gino  Parin,  der  vielgewandte  und  zum 
.Außergewöhnlichen  hinneigende,  stets 
neue  Wege  suchende  Künstler,brachte  einige 
gute  Figurenbilder,  A.  H  ermann- All- 
gäu  eine  Kollektion  seiner  stets  liebens- 
würdig durchgeführten  Stilleben,  die  von 
dem  bewährten  Geschmack  des  Verferti- 
gers  Zeugnis  ablegten. 

|Die  Neuerwerbungen  desbaveri- 
'schen  Staates  für  1908  sind  reichlich, 
aber  das  meiste,  was  nun  dauernd  die  Kunst 
Bayerns  charakterisieren  soll,  ist  kleine 
Münze.  Hatte  man  ehedem  die  DiezSchule 
und  ihre  daraus  hervorgegangenen  Meister 
wenig  beachtet,  so  erscheint  der  Ankauf 
von  solchen  Dingen,  die  in  den  .Ateliers 
der  Künstler  jener  Schule  hängen  geblie- 
ben, ja  inmierhin  erfreulich.  Bezeichnend 
ist  aucli,  daß  durch  die  .Ankäufe  jener  bräun- 
lich-goldigen Studien,  die  ja  gewiß  vortreff- 
lich sind,  ein  Wandel  des  Geschmackes  sich 
zu  vollziehen  scheint,  der  dem  modernen 
abgewandt  ist.  Selbst  die  angekauften 
Werke  .-Mbert  v.  Kellers,  Fritz  UTides  etc. 
stammen  aus  den  iVüheren  Lernjahren  jener 
-Meister.  Von  Wilhelm  Buscli  hätte  man 
eher  an  geistreiche  Skizzen  denken  kön- 
nen. Erfreulich  ist  die  Zuwendung  melire- 
rer  Stiltungen,  die  eine  vollkommene  Be- 
reicherung jener  älteren  Münchner  Kunst- 
richtung in  Gestalt  der  Werke  Wagen- 
bauers, Dorners,  Enhubers  und  Spitzvvcgs 
bedeutet.  —  War  dies  Wochenausstellung 
der  Staatsankäufe  gewissermaßen  ein  Er- 
eignis, so  dürfen  doch  nicht  andere  zu 
gleicher  Zeit  vorgeführte  Kunstwerke  ganz 
vergessen  werden.  Wir  sehen  u.  a.  eine 
Serie  mit  Kohle  wuchtig  gezeichneter  Land- 
schaften von  L  u  d  w  i  g  U'  i  1 1  r  o  i  d  e  r ,  meh- 
rere sinnig  aufgefaßte  Städte-.^nsichten  von 
Paul  Tliiem,  dasselbe  Motiv  behandelt 
in  ansprechender  Form  H  e  r  m  a  n  n  P  e  t  z  e  t ; 
auch  waren  im  Nachlaß  von -^  dolf  Rau 
einige  Studien,  die  von  dem  Ernst  in  des  Malers  Schaf- 
fen berichten. 

Des  öfteren  haben  wir  schon  des  talentvollen  Schweizer 
Landschafters  Ludwig  Lehmann  in  Einzelleistungen 
rühmlichst  gedacht.  Diesmal  gibt  er  in  einer  umfang- 
reichen, geschlossenen  Sammlung  einen  genaueren  .Auf- 
schluß über  sein  vielseitiges  Können.  Waren  es  ehe- 
dem die  hohen,  vereisten  Bergseen  und  Gletscher  seiner 
Heimat,  so  hat  er  sich  jetzt  mehr  den  sommerlichen 
Reizen  der  oberbayerischen  Ebene  zugewandt.    Wolken 


lOSEPH  LIMBURG  (BERLIK) 

GIOVANNI  B.  ANGELO  GRAF  BALLESTREM  DI  CASTKLI.ENGO  ^l^og~i^) 

lyenkmal  in  l'U-Mioivilt  O.S. 


und  Sonnenschein  wurden  seine  l-;iementc,  und  letzteren 
weiß  er  in  der  drückenden,  sengenden  Glut  einzigartig 
zu  schildern.  Nicht  ohne  Glück  sind  auch  die  figür- 
lichen Darstellungen  oder  das  Gewirr  elektrisch  erleuch- 
teter Bahnhofsausfahrten  mit  rauchenden  Lokomotiven 
gegeben.  .\ni  besten  aber  gelingt  ihm  melancholisches 
Regenwetter,  das  die  Lande  weit  und  dunkel  über- 
spannt und  da  können  wir  mit  ihm  die  trostlose  Ein- 
samkeit und  Lebensmüdigkeit  emplinden.  —  .Mehr  heiterer, 
phantasievoller  Art  und  dennoch  ernst  strebender  Natur 


i5(' 


^m  KÖLNER  KUNSTBERICHT  ^K3 


FKAX/  SCIIMID.BKI  11  i:\liAi. 11  ,M1   N'l  1II_N') 


A\A(  IIOIJET 


ist  Rudolf  Köselitz.  Er  gehört  zu  jenen  immer  sel- 
tener werdenden  Erscheinungen,  die  im  Schäften  nach 
der  Natur  hinzudichten,  die  aus  der  Natur  die  Poesie 
der  Dinge  lierauszulöscn  imstande  sind.  Voller  Ideen, 
greift  er  alles  an,  was  ihn  momentan  begeistert,  und 
bannt  so  köstliche  Szenen  auf  die  Leinwand,  die  weder 
in  der  Technik  noch  im  Stil  an  jemand  anderen  er- 
innern. Manches  mag  noch  unausgeglichen  sein,  oder 
es  mag  die  Technik  den  Stoff  nocli  nicht  überwunden 
haben,  gleichviel,  es  steckt  Rasse  und  Temperament  in 
jenen  Gebilden,  die  einen  Wechsel  auf  die  Zukunft  be- 
deuten. 

Alles  in  allem  wieder  einmal  eine  genußreiche 
Ausstellung,  die  man  nicht  so  leiclit  vergißt,  wie  die 
alltägliche  Durchschnittsware.  Franz  Wolicr 


KOLNER  KUNSTBERICHT 


D" 


)ie  achte  Jahresausstellung  der  Vereinigung  Kölner 
Künstler  im  Lichthof  des  Kunstgewerbemuseums 
zeigte,  daß  sich  nach  den  Jahren  hastigen  und  unge- 
sunden Suchens  allmählich  eine  gewisse  Ausgereiftheit 
der  Technik  und  des  Farbengeschmackes  eingestellt  hat. 
Wilh.  Seh  reuer  ist  vollendeter  Eklektiker.  In  Rem- 
brandtsches  Helldunkel  setzt  er  charakteristische  Ge- 
stalten, die  aus  dem  Stimmungsgehalt  des  Raumes  her- 
auszuwachsen scheinen.  Die  nuancenreiche  Farhenper- 
spektive  des  geschlossenen,  wenig  beleuchteten  Raumes 
ist  seine  Stärke.  Auf  die  genrehafte  Erzählung  in  seinen 
Bildern  v.  ürde  man  gerne  verzichten. 

Ursprünglich  und  eigenwillig  ist  Ernst  Hardt.  Die 
starke  Intensität  seiner  kraftigen  Farben  ist  für  die  weite 
Ebene  und  den  fetten  Boden  der  niederrheinischen  Land- 
schaft wie  geschaffen.  Die  charakteristischen,  verschwim- 
menden Konturen  der  Flachlandschaft,  das  Zusammen- 
fließen von  Erde  und  Himmel  im  Horizont  verlangt  eine 
sorgfältige  Farbenabstufung.  Fritz  V^^estendorp  sieht 
das  typisch  Niederrheinische  in  einem  anderen  Moment. 


Sein  Form-  und  Farbengefühl  ist  von  anderer  Natur. 
.An  den  sorgsam  beobachteten  Vordergrund  schließt  sich 
der  Mittelgrund,  meist  eine  Gruppe  von  Häusern,  Bäu- 
men oder  ein  Hügel,  hinter  dem  sich  unvermittelt  der 
Himmel  erhebt.  Das  einzelne  Objekt  innerhalb  des 
Ganzen  kommt  dadurch  zu  stärkerer  Wirkung.  Und 
da  Westendorp  die  Kraft  besitzt,  die  spezifische  Farbe 
und  Stimmung  bestimmter  Jahres-  und  Tageszeiten  fest- 
zuhalten, ist  bei  ihm  die  .Auslösung  einer  ganz  bestimmten 
Stimmung  die  Hauptsache.  August  Neven-Dumont 
nimmt  mehr  Rücksicht  auf  die  nuancenreichen  Sch.ittie- 
rungen  der  Farbe.  Er  liebt  es,  eine  Farbe  in  hundert- 
facher Abstufung  der  Töne  zu  variieren.  Zwei  Blumen- 
stücke können  dafür  geradezu  vorbildlich  genannt  wer- 
den. Dennoch  kommt  bei  ihm  bisweilen  der  schmutzig 
graue  Ton  der  Düsseldorfer  Schule  zum  Durchbruch. 
Seinen  Frauendarstellungen  raubt  ein  gewisser  Mangel 
an  Temperament,  wie  ihn  demselben  Objekt  gegenüber 
auch  Menzel  hatte,  die  künstlerische  Wärme.  Zu  den 
matten  weichen,  ins  nebelhafte  Grau  spielenden  Farben 
tritt  das  träumerische  Hindämmern  eines  seelenlosen 
Wesens  in  seltsamen  Kontrast.  Als  bewußter  Ausdruck 
einer  Lebensanschauung  mag  diese  .Art  der  Darstellung 
künstlerisch  gerechtfertigt  sein.  Obgleich  Neven-Dumont 
in  der  Hauptsache  auf  die  malerische  Wirkung  ausgeht, 
bleibt  er  doch  Zeichner.  Und  zwar  ein  Zeichner,  der 
die  organischen  Zusammenhänge  wohl  sichtbar  zu  machen 
weiß,  dem  aber  die  sensitive  Linienführung  fehlt.  Seine 
Linien  als  solche  sind  leblos  und  nur  selten  charakte- 
ristisch. Man  vergleiche  daraufhin  die  Arm-  und  Nacken- 
linien seiner  Frauenbildnisse. 

Die  vorzüglichen  Porträts  des  W.  Schneider-Didam 
frappieren  durch  die  widerspruchsvolle  Mischung  eines 
überstark  ausgeprägten  Wirkhchkeitssinnes  mit  einer  typi- 
schen StiHsierung.  Vielleicht  wird  gerade  dadurch  die 
Lebendigkeit  des  .\usdruckes  noch  gesteigert.  Sein  Mittel, 
die  dargestellte  Figur  reliefartig  auf  einen  fast  eintönigen 
Hintergrund  zu  setzen,  ohne  daß  sich  zwischen  dem 
Objekt  und  dem  Hintergrunde  eine  Luftschicht  einschiebt, 
sichert  die  Prägnanz  der  Ausdrucksfähigkeit  —  bei  Rem- 
brandt  findet  sich  ähnliches  —  es  liegt  aber  zugleich 
die  Tendenz  darin,  die  Formen  des  dargestellten  Men- 
schen über  die  Ebene  des  Rahmens  hinaus  in  den  freien 
Luftraum  zu  drängen,  wodurch  die  ästhetische  Realität 
verletzt  und  die  künstlerische  Wirkung  stark  beeinträch- 
tigt wird. 

Zuletzt  mögen  noch  Reusing  und  Vogts  mit  guten 
Durchschnittsleistungen  erwähnt  werden.  Bei  Rieh.  Vogts 
ist  CS  zu  begrüßen,  daß  er  allmählich  die  süßliche  Manier 
der  früheren  Jahre  fallen  zu  lassen  beginnt  und  ernst- 
haft an  die  künstlerisclie  Bewältigung  seiner  Stoße  heran- 
geht. Bei  dem  farbig  gut  beobachteten  >Buchenwaldc 
hätte  vor  allem  die  organische  Struktur  der  Bäume  be- 
rücksichtigt werden  müssen. 

Weit  interessanter  ist  die  Ausstellung  von  Kinder- 
bilderbüchern im  oberen  Stock  des  Kunstgewerbemu- 
seums. Daß  Köln  zum  ersten  Male  eine  solche  Aus- 
stellung sieht,  ist  sonderbar.  Denn  alle  ausgestellten 
Bücher  stammen  aus  dem  Verlage  von  Hermann  und  Friedr. 
Schafl'stein  in  Köln.  Die  Ausstellung  ist  deshalb  wert- 
voll, weil  sie  deutlich  dartut,  wie  sich  aus  der  Verbin- 
dung einer  bestimmten  Technik  mit  einem  neuen  Zweck 
ein  neuer  Stil  entwickelt  hat.  L'rsprünglich  und  wohl 
ohne  Vorbild  stehen  Karl  Hofer  und  K.  F.  v.  Frey- 
hold da.  Ihre  Illustrationen  sind  von  solcher  Eindring- 
hchkeit  der  Wirkung,  sind  einzig  auf  die  Auffassungs- 
kraft  der  kindlichen  Psyche  gestimmt,  daß  sie  von  aller 
bisherigen  Illustrationskunst  abweichen.  Da  in  jedem 
einzelnen  Falle  nur  die  Bewegungen  und  die  Situa- 
tionen gewählt  sind,  die  dem  Kinde  als  die  charakte- 
ristischsten erscheinen,  da  die  Zeichnung  jeder  kompli- 
zierten Linienführung  entbehrt  und  oftmals  nur  aus  ein- 


o:^  BF.RLIXF.R  KUXSTBRIFF  »^a 


fachen,  geraden  Strichen  besteht,  ähnhcli  der  Art,  die 
das  Kind  für  seine  Zeichenversuche  wähh,  offenbart  sich 
in  diesen  kleinen  Zeichnungen  eine  Prägnanz  der  Aus- 
drucl;sföhigkeit,  die  nur  einem  großen  Stile  cigentüm- 
hch.  Durch  die  starke  Intensität  ungelirochener  Farben- 
töne —  es  steht  ein  tiefes  Blau  und  Rot  neben  sattem 
Grün  und  leuchtendem  Gelb  —  wird  eine  Lustigkeit  und 
heitere  Fröhlichkeit  des  Eindruckes  erreicht,  wie  man 
sie  bei  diesen  scheinbar  primitiven  Mitteln  nicht  erwarten 
zu  können  glaubt. 

An  Farbengeschmack  verwandt,  aber  von  anderem 
Formgefühl  ist  E.  R.  Weiß.  Auch  hier  ist  der  Stil  der 
Zeichnung  durch  die  einfache  Knappheit  der  Umiiß- 
linien  bestimmt.  Aber  an  Stelle  des  vollkommenen  Ver- 
zichtes auf  die  Wirklichkeitsdarstellung  ist  bei  \\'eiß  eine 
klare  Beobachtung  der  Naturformen  getreten,  auf  Grund 
deren  sich  die  gewählten  Formen  der  Zeichnung  ent- 
wickeln. 

Darin  nähert  sich  Weiß  dem  Berner  Künstler  Ernst 
Kreidolf,  der  zwar  einen  ganz  anderen  Farbensinn 
betätigt.  Statt  ungebrochener  Lokaltöne  wählt  Kreidolf 
zarte,  helle  Farben,  ein  lichtes  Rosa  und  Gelb,  ein  hei- 
teres Blau  und  Grün.  Auch  liebt  er  es,  die  Farben  ab- 
zutönen und  nuancenreich  ineinander  übergehen  zu  lassen. 
Möglich,  daß  dieses  Gefühl  für  die  Farbe  seine  Ursache 
in  dem  stark  ausgeprägten  Wirklichkeitssinn  des  Scliwei- 
zers  hat.  Mit  der  bekannten  alemannischen  Gründlich- 
keit der  Beobachtung,  die  zu  einem  fast  nüchtern-w^issen- 
schaftlichen  Naturstudium  drängt,  mit  einer  unbedingten 
.\chtung  vor  dem  Objekt  tritt  Kreidolf  den  Dingen  gegen- 
über. Aus  liebevollem  Eingehen  in  die  Natur  erwuchs 
ihm  eine  Formenkenntnis,  die  keine  Verzeichnung  zu- 
läßt. Seine  »Blumenmärchen«  sind  dafür  besonders  cha- 
rakteristisch. Trotz  eines  phantasievollen  Anthropomor- 
phismus  war  das  Gefühl  für  das  Organisch-Gewordene 
in  ihm  so  stark,  daß  der  Charakter  jeder  einzelnen  Blume, 
daß  ihre  organische  Struktur  vollkoinmen  sichtbar  ge- 
blieben ist. 

Auf  die  anderen  Künstler,  auf  von  Volk  mann,  auf 
Eichler,  Münzer,  S  chmi  dham  me  r ,  die  alle  bei 
ihrer  gewohnten  Eigenart  verharren,  sei  nur  hingewiesen. 
Doch  auch  sie  fügen  sich  in  den  Rahmen  des  Verlages 
ein,  so  daß  die  Ausstellung  eine  Fülle  von  Kinderbüchern 
zeigt,  die  aus  dem  Gefühl  heraus  entstanden  sind,  daß 
das  für  Kinder  bestimmte  von  Kindern  verstanden  wer- 
den und  ihnen  Freude  machen  soll.  G.  E.  Lüihgcn 


BERLINER  KUNSTBRIEF 

,;("!  rabsteinku  nst  .  hieß  die  Sonderausstellung, 
welche  das  Berliner  Kunstgewerbemuseum  im 
Sommer  und  Herbst  1908  veranstahete.  Man  kann  diese 
Bestrebungen  bereits  aus  Anläufen  in  München  usw. 
kennen,  zuletzt  aus  dem,  eine  Ausstellung  von  1905 
fortsetzenden,  Flugblatte  der  »Wiesbadener  Gesellschaft 
für  bildende  Kunst«,  deren  Vorsitzender  Dr.  v.  Grol- 
man  auch  die  jetzige  .Vusstellung  angeregt  und  geför- 
dert hat.  Wir  sehen  im  Freien  einen  Fricdholgarten 
mit  einigen  fünfzig  Grabmälern  und  im  I.ichtholraum 
Abbildungen  aus  Gegenwart  und  Vergangenheit.  In 
dieser  beginnen  wir  mit  griechischen  »Stelen«  und  rö- 
mischen »Cippen«  usw.,  freuen  uns  bei  den  letzteren 
über  viel  guten  Realismus,  besonders  im  Ornament,  wäh- 
rend das  .Mtchristliche  durch  viel  Stilisierung  abslicht, 
und  wandern  dann  an  dem  mittelalterlichen  >Tischgrab« 
und  »\\andgrab«  vorbei  in  die  reiche  Barocke  hinein, 
nicht  zuletzt  mit  Beispielen  aus  Görlitz.  Die  Gegen- 
wart hat  es  dieser  Vergangenheit  gegenüber  nicht  leicht. 
Sie  will  die  Unkunst  von  heute  überwinden,  nicht  durch 
Reichtum,  sondern  durch  Schlichtheit.  Sie  strebt  kaum 
nach   dem  Aufgebote  der  dort  zu  bewundernden  alten 


Liegefiguren  und  Grabplatten,  ihrer  herrlichen  Metall 
kunst  usw.,  der  Symbolfülle  und  dergl,  weicht  sogar 
der  Plastik  überhaupt  lieber  aus;  doch  bieten  die  Mün- 
chener A.  Hildebrand  (mit  viel  Renaissance-Tektonik) 
und  F.  Hoser,  die  Berliner  F.  Klinisch  und  O.  Stich- 
ling  auch  darin  Gutes.  Die  eigentliche  liaukunst  tritt 
hinter  die  Denkmalkunst  zurück.  Das  Herausarbeiten 
aus  felsartigem  Gestein  pflegt  der  Münchencr  H .  0 1  b  r  i  c  h ; 
das  Hineinarbeiten  in  landschaftlichen  Eindruck  zeigen 
besonders  die  Waldfriedhöfe  bei  Köln  und  bei  Hamburg. 
In  bekannter  Weise  überwiegt  Eckiges,  Hartes,  schmal 
Hochlinige.s,  wohl  am  nüchternsten  bei  dem  Wiener 
J.  Hollmann;  in  weicheren,  rundlicheren  Formen  und 
etwas  mehr  dekorativ  arbeiten  die  Münchener  O.  O. 
Kurz  und  C.Sattler,  die  Berliner  M.  Landsberg, 
W.  Schmarje,  C.  Stahl  und  besonders  F.  Seeck, 
dem  auch  der  Plan  des  Gartens  zu  danken  ist  —  aller- 
dings mit  der  Frage,  ob  dessen  rechteckige  Wege  das 
günstigste  Muster  sind.  Metall  wird  selten  verwendet, 
mit  Ausnahme  des  Dresdeners  F.Schumacher.  Dazu 
kommt  auch  die  jetzige  Abneigung  gegen  Umfriedungen 
der  Gräber;  doch  sei  der  hübschen  Gitterornamentik 
des  Dresdeners  W.  Kreis  gedacht.  Auf  die  dekorativen 
Güter  des  Kunstgewerbes,  wie  z.  B.  Mosaik,  scheint  eben- 
falls beinahe  ganz  verzichtet  zu  werden.  Inhaltlich  über- 
wiegen hellenistische  Ideale  vor  christlichen  und  deut- 
schen, ausgenommen  manche  Proben  aus  Münchener 
Friedhöfen  und  besonders  von  F.  Hoser.  —  Gilt  das 
Gesagte  zunächst  von  den  Abbildungen,  so  tritt  es  in 
den  Werken  selbst,  wie  sie  der  Garten  zeigt,  noch  mehr 


ALFRED  KLEM  (MÜNCHEN) 


IS8 


©Bi«  BERLINER  KUNSTBRIEF  m.rä 


ALFRED  KLEM  (MÜNCHEN') 


hervor.  Hier  erfreuen  schließlich  auch  Schriftproben 
und  die  netten  hellfarbigen  Holztafeln  von  Schülern  des 
Museums. 

In  dessen  Räumen  sahen  wir  auch  eine  Ausstellung 
der  Edelmetall-Fachschule  zu  Hanau  unter  Direktor 
Professor  Petersen.  Deren  ersichtlich  bedeutende 
historische  Sammlung  war  durch  einige  Bildproben  ver- 
treten; deutsche  Anhängekreuze  und  russische  Popen- 
kreuze mit  Kette  stachen  besonders  hervor.  Einiges 
Historische  zeichnen  die  Schuler  ab,  zum  Teil  aus  dem 
Gedächtnisse.  Die  Neuarbeiten  sind  anscheinend  nur 
weltlich.  Traditionstreue  und  Gegenwartssinn  arbeiten 
ineinander.  Eckige  Formen  entsprechen  besonderer  Mo- 
tivierung; sonst  jedoch  erfreuen  namentlich  im  farbigen 
Goldschmuck  gute  Rundungen  mit  viel  hübschen  Spiral- 
chen und  Volutchen.  Häufig  werden  vorhandene  Steine 
zum  Ausgangspunkte  genommen.  Geometrisches  wiegt 
vor  Pflanzlichem  vor. 

Gleichzeitig  waren  dort  gewirkte  Wandteppiche  zu 
sehen,  gesammelt  von  R.N.dePeltzerin  der  russischen 
Weberstadt  Narwa.  Arbeiten  aus  Beauvais,  Brüssel  und 
Paris  i'ührten  uns  in  die  ihnen  günstige  Zeit  von  1640 
bis  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  zurück  und  zeigten  uns 
Ausführungen  von  Kartons  bekannter  Künstler  durch 
Techniker  wie  Behagle  und  Peemans. 

Ein  Wettbewerb  zur  .Ausschmückung  des  Berliner 
Pappelplatzes  erzielte  35  Entwürfe  von  45  Bildhauern 
aus  Groß-Berlin  und  wurde  durch  .\bstimmung  der 
Künstler  selbst  entschieden  (Ausstellung  in  einemNeben- 
raume   der  >Großen«).     Es    kam   viel   Sinn   für   sozial- 


ästhetische Anpassung  zu  Tage,  weniger  für  intimere 
Zuflucht  der  Erholung.  Unter  den  fünf  gleichen  Haupt- 
preisen scheinen  uns  am  berechtigtsten  die  für  H.  Ho- 
säus  und  H.  Schmidt;  doch  auch  P.  Oesten  und 
S.  Wernekinck  waren  uns  günstig  aufgefallen.  Gerne 
würden  wir  auch  die  Entwürfe  »Arbeit  und  Barmherzig- 
keit«, »Fontaine«,  >Gehen,  nicht  vergehen«  vorangestellt 
sehen. 

Ein  jüngerer  Bildliauer,  E.  Müller-Braunschweig, 
ward  uns  in  dem  beaclitenswerten  Lokale  des  Verlages 
Fischer  &  Franke  vorgestellt.  Seine  hübschen  Klein- 
plastiken stellen  meist  Frauenköpfe  und  Frauengestalten, 
teilweise  in  einer  an  E.  v.  Gebhardt  erinnernden  Kunst 
des  Ausdruckes  gespannter  Zustände  dar,  nicht  ohne 
einigen  Tribut  an  unangenehme  Sentimentalität.  Sein 
'Glaube«   bleibt  wohl  gut  in  Erinnerung. 

G.Minne  wird  durch  einige  kleine  Marmorwerke 
bei  Cassirer  (»Die  Knieenden«  und  dergl.)  sympathischer 
als  sonst.  Charles  van  Wyk  ist  ein  niederländischer 
Plastiker  mit  Wirkungen,  die  an  Meunier  erinnern.  Seine 
mittelgroße  Bronze  »Ihr  Reichtum«  stellt  ein  Feldarbeiter- 
paar mit  dem  auf  einen  Heukarren  gebetteten  Kinde 
dar.  Wir  lernten  den  Künstler  inmitten  einer  Hollander- 
.\usstellung  im  Künstlerhause  kennen;  diese  ergänzt 
sich  durch  eine  bei  Keller  l^  Reiner  gezeigte  Kollektion 
des  Malers  Frans  Slogen,  in  der  uns  besonders  zwei 
landschaftliche  Ansichten  von  Kirchen  —  eine  im  Schnee, 
eine  im  trüben  Tage  —  gut  auffielen.  Dort  traten  für 
uns  aus  einer  Menge  von  Gemälden,  die  sich  traditions- 
treu und  doch  auch  eigentreu  halten,  namentlich  die 
bereits  wohlangesehenen  .Maler  W.  Maris  und  (mit  Bil- 
dern wie  »In  Sorgen«,  »Kindliche  Neugierde»)  A.  Neu- 
huys  hervor.  Neu  war  uns  Martin  Monnicken- 
dam;  Motive  wie  »Atelierecke«,  »Am  Stadtsaum«  und 
Studienköpfe  behandelt  er  in  einer  eigenen  Formen- 
sprache breiter  Striche.  Breite  Flecke,  die  ebenfalls 
eigen,  docli  gar  zu  undeutlich  sprechen,  bilden  das  Ge- 
mälde »Indische  Würfelszene«  des  sonst  nicht  häufig 
zu  sehenden  englischen  Nach  Prärafiäelliten  F.  Brang- 
wyn  (bei  Gurlitt). 

In  diese  Engländerwelt  führt  auch  eine  Doppelkol- 
lektion, die  aus  München  kommt  und  wohl  noch  weiter 
wandert,  wesh.alb  wir  sie  kürzer  erledigen,  als  sie  es 
sonst  verdient.  Ch.  Ricke tts  und  seinen  Schüler 
Ch.  H.  Shannon  hatten  wir  bereits  (11.  6,  S.  150,  und 
IV.  5,  Beilage,  S.  45  f)  gekennzeichnet.  Für  Berlin  inter- 
essiert jetzt  jener  zumal  durch  seine  mehrfach  variierten 
biblischen  Motive  in  schwungvoll  langliniger  Skizzen- 
form, dieser  durch  seine  weich  schimmernden  Akte,  die 
wahrhaft  ein  Muster  dafür  geben,  daß  der  Menschenleib 
zum  Verklärtwerden,  nicht  zum  Brutalisiertwerden  da  ist. 
'Salon  Schulte,  der  dies  brachte,  bringt  auch  einige 
Landschaften,  deren  gute  Stimmung  unseren  sonst  über 
das  gegenwartige  Einerlei  dieser  Kunst  hinwegschrei- 
tenden Fuß  hemmt.  Der  Schule  Schönlebers  macht 
W,  Strich-Chapell  in  Sersheim  Ehre.  G.  v.  Canal 
in  München  liebt  die  Wasserobjekte  holländischer  Land- 
schaften; in  drei  Stimmungen  (einer  blauen,  einer  grauen, 
einer  des  Oktobers)  m.ilt  er  das  Dorf  Loenen.  M.  Zae- 
per  in  Berlin,  von  märkischer  Heimarbeit  bekannt,  ver- 
tieft sich  in  Holsteinisclies,  wie  besonders  den  Ukleisee. 
B.  Passig  huldigt  der  Heide;  u.  dgl.  m.  Den  Fein- 
heiten der  Landschaften  Corots  scheinen  nachzueifern 
der  von  uns  im  letzten  Kunstbrief  erwähnte  Berliner 
M.  Fritz  und  der  H.tmburger  Professor  Schwinge, 
von   dem  Keller  &  Reiner  eine  Kollektion  brachten. 

Schulte  führt  uns  auch  in  eine  ältere,  mehr  Verstan- 
des- .tls  sinnenmäßige  Landschaftswelt  zurück  durch  eine 
Sammlung  des  Müncheners  Ad  olf  Stä  bli  (f  igoi).  Klar- 
heit und  Eindringlichkeit,  sowie  eine  mehr  objektive  als 
momentan-subjektive  Stimmung,  sind  es  vor  allem,  durch 
die  er  uns  eine  Erholung  von  der  Gegenwart  schafft.  Deren 


IS9 


ALl-KED  KLEM  (MÜNCHEN) 
ENTWURl-  ZU  EINER  TALFMEDAIL1.E 


AI.FKEU   KLEM  iMLSC-HI  : 


i6o 


Si^  MEISTERWERKE  REI.IGIOSJiR  KUNST  «^ö 


DEKORATIVE  FIGUR 
hei,:i   (Atelier  Klemm) 

Unklarheit  zeigt  sich  z.  B.  durch  die  arge  Verdunkelung 
einer  Heiligen  Nacht  unter  Bäumen  von  P.W.  Harnisch  ; 
im  übrigen  führen  seine  stilisierten  Landschaften  wieder 
dem  Lithographischen  nahe.  Silhouettige  Figuren  er- 
ganzen die  Landschaften  von  C.  A.  Brendel;  der  großen 
Alpennatur  und  der  großen  Segantini-Kunst  eilert  C.  Arp 
nach,  zumal  durch  Bilder  aus  Samaden;  Münchner-Ma- 
rienplatz-Stimmungen leben  bei  C.  Bössenroth.  Mo- 
dernen Linienschwung  zeigen  Porträt-  und  Tanzstudien 
von  dem  Lehrer  an  der  Kunstgewerbeschule  Magdeburg, 
M.  Koppen.  Interieurs  u.  dgl.  von  C.  Murdfield  und 
gar  einen  eigenartigen  Franziskaner,  der  aut  einem  Stuhle 
vor  einem  Wandteppiche  sitzt,  von  Ch.  Schuch  sieht 
man  immer  wieder  gern.  —  Porträtplastiken  vonW.  L  o  b  a  ch 
und  ähnliches  von  S.  Jdrav  sind  eine  willkommene  Er- 
gänzung dieser  Mannigfaltigkeiten. 

Einförmiger,  obgleich  zahlreiche  deutsche  Kunststätten 
vertretend,  blicken  uns  die  t^'pischen  Landschaften  u.  dgl. 
bei  Wertheim  an.  In  überzeugender  Weise  malt  der 
Brüsseler  J.  Francois  einen  Bach  in  den  Ardennen 
und  Verwandtes;  ein  Torfmoor  des  Karlsruhers  R.  Bäu- 
mer, Strandfiguren  u.  dgl.  von  E.  Kuithan  in  Jena, 
dessen  Bewegungskraft  nicht  mehr  unbekannt  ist,  heben 
sich  hervor.  Die  sehr  abgekürzte  Formensprache  von 
G.  Bechler  in  Maurach  führt  wieder  zur  Verwandtschaft 
mit  der  Lithographie  zurück. 

Den  Spanier  F.  Goya  (1746 — 1828)  treibt  jetzt  die 
Mode  empor.  Seine  Sonderausstellung  bei  Cassirer  zeigte 
auch  zwei  religiöse  Kleingemälde  um  1770:  »Verkün- 
digung« und  »Der  Tod  des  heiligen  Joseph«  —  flüch- 
tige Rokokotypen.  —  Unter  den  Modernen  desselben 
Salons  fielen  uns  Fischermädchen  u.  dgl.  von  Leopold 
Braun  auf,  wohl  dem  aus  Wien  stammenden,  dann  in 
München  und  weiterhin  in  Paris  (auch  durch  Illustratio- 
nen)   tätigen    Maler.  Dr.  Hans  Schmidkunz,    Berlin-Hilensee 


die  zweifellos  von  allen  Kunstfreunden  auf  das  freudigste 
begrüßt  wird.  Eine  schönere  Aufgabe  konnte  sich  wohl 
auch  die  Gesellschaft  nicht  stellen,  als  Werke  erstklassiger 
Meister  auf  dem  Gebiete  der  religiösen  Kunst  der  breiten 
Öffentlichkeit  in  einer  Ausführung  zu  bieten,  bei  der 
originaltreueste  Wiedergabe  und  eminenteste  Licht- 
beständigkeit der  Farben  das  hervorragendste  Moment 
bilden.  Die  soeben  erschienene  erste  Serie 'j  besteht  aus 
sechs  Kümmern,  die  eine  elegante  Mappe  umschließt. 
Unter  diesen  Kunstblättern  begegnet  uns  zweimal  der 
Name  Martin  S  chongau  er,  dann  der  Xame  des  Maler- 
fürsten Raffael  Santi,  des  Gerard  David,  Pietro 
Perugino  und  endlich  jener  des  Jan  van  Eyck.  In 
glücklichem  Wechsel  mischen  sich  mithin  italienische 
Großmeister  mit  einem  oberdeutschen  Maler  und  zwei 
niederländischen  Künstlern  aus  der  besten  Zeit  der  Gotik 
und  der  frühen  Renaissance.  Der  begleitende  Text  hat 
Dr.  Johannes  Damrich  zum  Verfasser,  dessen  Na- 
men wir  schon  des  öfteren  in  Publikationen  der  Gesell- 
schaft gelesen  haben.  In  knapper  Kürze  erfahren  wir 
hier  das  Notwendigste  über  des  jeweiligen  Meisters  Le- 
ben und  Wirken.  Dann  geht  der  gelehrte  Verfasser  zur 
Charakteristik  der  einzelnen  Bilder  über.  In  weiser  Mä- 
ßigung verweilt  er  dabei  nicht  lange.  Er  will  nicht  er- 
schöpfend sein  in  seiner  Schilderung,  er  will  nur  An- 
regung geben.  Das  genügt  ihm.  Im  übrigen  soll  der 
Beschauer  sich  selbst  in  die  Schönheiten  der  einzelnen 
Bilder  versenken  und  vertiefen.  Und  ein  Versenken  und 
Sichvertiefen  sind  die  herrlichen  Blätter  wahrlich  werti 
Einzigartiges  hat  die  Aquarellgravüre  erreicht.  Eine  solche 
Wirkung  vermöchten  der  Drei-  und  Vierfarbendruck  nie 
zu  erzielen.  Wir  haben  es  in  der  Tat  nicht  mehr  nötig, 
die  oft  so  schwer  zu  erreichenden  Sammlungen  und 
Galerien  zu  besuchen,  um  die  dort  aufgestellten  Originale 
zu  betrachten ,  die  ganz  vorzügliche  Technik  der  A  q  u  a  r  e  1 1- 
gravüre  läßt  uns  das  Original  gewiß  nicht  allzusehr 
vermissen.  Wie  trefflich  entspricht  z.  B.  das  leuchtende 
Rot  und  das  tiefe  Blau  der  Gewänder  auf  den  beiden 
Kunstblättern  von  Martin  Schongauer  der  Wirklichkeit, 
wie  glücklich  ist  der  zarte  landschaftliche  Ausblick  auf 
dem  zweiten  Schongauer-Bilde  »Die  Geburt  Christi« 
wiedergegeben!  Und  das  wundervolle  Inkarnat  bei  der 
Madonna  del  Granduca  des  Malerfürsten!  Auf  dem  Bilde 
Gerard  Davids,  »Die  Vermählung  der  hl.  Katharina«  ent- 
zückt uns  die  vorzügliche  Wiedergabe  der  unübertreff- 
lichen Stofibehandlung  jenes  Meisters  in  den  farben- 
prächtigen Samten  und  weichen  Wollstoffen.  Wir  glau- 
ben, bei  Betrachtung  dieses  vierten  Kunstblattes  dem 
wohlbekannten  Original  in  der  hiesigen  Pinakothek 
gegenüberzustehen.  Die  >edle  Gelassenheit,  die  klas- 
sische Schönheit«,  wie  der  Verfasser  des  Textes  sich 
treffend  ausdrückt,  können  wir  auf  dem  folgenden  fünften 
Kunstblatte  der  Vision  des  hl.  Bernhard  von  Pietro  Peru- 
gino bewundern.  Und  schließhch  vermögen  wir  kaum 
den  Blick  zu  wenden  von  der  »Madonna«  Jan  van  Eycks, 
in  so  vollendeter  Weise  ist  auf  dem  letzten  Blatte  das 
berühmte,  in  der  Städelschen  Galerie  zu  Frankfurt  a.  M. 
befindliche  Original  getroffen! 

Wir  wüßten  nicht,  welchem  unter  den  sechs  Kunst- 
blättern wir  den  Preis  zuerkennen  sollten.  Alle  sind 
in  gleicher  Meisterschaft  ausgeführt.  Von  ganzem  Herzen 
beglückwünschen  wir  die  Gesellschaft  für  christliche 
Kunst  zu  diesem  Prachtwerke  und  wünschen  angelegent- 
lichst, daß  bei  den  unverhältnismäßig  niedrigen  Preisen 
der  einzelnen  Kunstblätter  das  Werk  die  weiteste  Ver- 
breitung   finden    möge.  Dr    Richard  IlotVmann 


MEISTERWERKE  RELIGIÖSER  KUNST 

T  Jnter  diesem  Titel  soll  im  Verlage  der  Gesellschaft  für 
christliche  Kunst  eine  Reihe  von  Mappen  erscheinen. 


Mappe  M.  aj.— .  .Mit  Tc 


:r  Kunst  in  Aqua 
rtüntormat  69X  S  ' 
.Johannes  Dan 


In  elega; 


Für  die  Redaktion 


S.  Slaudhai 
Druck  von 


r  (Prom 
Bruckii 


nadepiatz  3) ; 


christliche  Kunsi 


Sämtliche  in  München 


Cirrörrfriif  Brrlaßoijanöliing  ?u  iFrriburg  im  ßrriariflii. 


tßrfd)id)tr 

tn  Bfrftjrnng  jFHarias 

in  Qrutfdjianti  mälirrnti  tifö  jBlittrlaitfrs. 

lEin  ßfitrag  jur  ifirlißionsiDilffnfdjiift  unö  üiunftgrfrijirijtp. 

jnit  'I'i'I  SbüilDunrtfii. 

Bon  Stfpljan  IBriffrl  S.  J. 

gr.  8"    (XII  II.  ß7K) 

M  15.—  :  gfü.  in  rirg.  JTrinroanöijanö  M  Xl.üü 


0^ü()rid)  {}at  in  gciftreidjer  2Beil'e  geic&il= 
ly  bert,  wie  DJkria  über  bn§  ©ebirge  ju 
glifabett)  ging,  bei  ber  fie  im  Wagiiifitiit 
bie  9Bei§fagung  nuÄfpvncb:  „i^on  mm  on 
rocrben  mid)  fclig  prcijcn  iitle  ©efdjte^ter." 
5Iuf  iljrem  2Bege  lüf;t  Ji'^i^'ti)  öie  @ottc§= 
matter  Don  @ngclu  begleitet  fein.  Einige 
[treuen  SRofen  über  [ie  qu§,  anbcre  fingen 
il)r  2ob.  3^r  folgt  ein  ^pilger,  ber  bie 
DJJelobien  ^ört  unb  fi(^  büdt,  einige  ber 
9{ofen  äu  fammeln  ju  einem  Strauß. 

(go  ift  Waüa  bur$  bie  cöriftlic^cn  3o^r= 
f)unberle  gegangen.  2Jie  33eflcn  t)(ibcn  i^r 
6()ren  ermicjen  unb  i^r  2ob  gefungen.  Jic 
3lufgobc  bicfca  IBucJcä  ift,  einen  5S:ei(  ber 
iKojen,  bie  in  1:eutid)lnnb  mübrcnb  be§  TOittet» 
altera  Unfcrcr  Sieben  A-rou  gefpcnbet  mürben, 
JU  fnmmcin,  ben  fiebern  ju  laufcften,  bie  5U 
ibrer  6^re  ericbotlten,  bie  iöilbiuerte  }u  fd)ilbern, 
bie  für  fic  in  nnfcrein  3>atcrlanbc  entftanben. 

J?t-incäiDcg§  bcjroedt  e§  alfo  eine  Don 
fjcutigcn 'i)(nf4ouungen  geleitete  JJritif  ber 
DJf arienocrebrung  ju  liefern,  fonbern 
nad)  ben  beften  jeitgenöjfifdjen  Cnetlen   unb 


Olabüiinenftolue. 
icrt,  31  jDÜQii.    (Um  H" 


uDurri]  fliif  iDutljljiiiiiJiungfn  }u  bnirljrn. 


lQriffrl.(§rfd)id)tförrl3frfl)runrt  Parias  inSfutfdjinniimnljrtnööPajplittrlaltrrB. 


Maria: 

Icli  sag  dir  Dane, 

0  süszer  Klane, 

dein  Kre  ich  preit: 

sie  sein  bereit, 

gib  Zäher,  beweg  sie,  starker  Got. 

J  h  e  s  u  s  : 

Neit,  Hasz,  Hochmut 

zur  Hellen  Glut, 

unkeusch,  ungelt, 

merk  wi  die  Welt 

falsch  ist  mit  Geiz  und  Stankes  vol. 


Maria: 

Ach  Menschen  plint, 

ir  Adams  Kind, 

werft  Posheit  ab ; 

secht  an  eur  Grab ! 

Pessert  euch  drat  und  lebet  wol. 

Die  Sünder; 

0  Junefrau  vein, 

des  Himels  Schein, 

dir  sei  Dane,  Lob ! 

Wir  seind  ein  Stop, 

Der  Tod  ist  nah.    Hilf,  Junefrau  schon  ! 


0  Jhesu  Crist. 

ein  Blum  du  bist, 

Marie  Kint, 

mach  uns  dein  Kint, 

gib  uns  dich  selbs  ein  ewig  Lon !   Amen ! 


ijoucquet 

n-ü  d'heui-es 


:  .firbiiung  ^Jlnria^. 
beä  g.  GfjeBüUer.    ©i^Iofe  eijaiitiUl). 


Se  iinbef)oIfcner 
jol^e  unb  ä^nli^e 
58er}e  oft  (ein  mö= 
gen,  be[lobeutli4er 
jeigen  fie  bie  wo^re 
@cfiiniungbc§ou§= 
gdjcnben  Wittelal= 
tet§,  bie  but^ou§ 
tidjtige  9Uiffafjung 
be§  5Bet[)äItiii[fe§ 
äiüifcfeen  bem  6r= 
löfer  imb  feiner 
9Jhitter.  3efii§  ift 
bieOuefle  unb  Ur> 
fadje  oller  ®nobe, 
5JJaria  ober  eine 
Mittlerin,  eineSür= 
fpred)erin  ber  ©ün= 
ber.  ©ie  tonn  bem 
©ünber    }ur    53e= 

fel)tnng  Reifen, 
nidjtoberSSerfiodte 
retten. 


^nc>nanz>^c^oncnc^c^c>^cyic^cnant:>iona^c^ir-^r'^r<:3T^t<3t'<st-^t<3t-^r'^r<3r<it<3F<3i-^t<Dt^^t'<3 


LLDWIG  SEiTZ 


Fresko  in  der  Chorkapelle  der  Basilika  in  Loreto 
Pkot.  D.  Anderson^  R^n. 


MARIA  VERKCXDIGI'N'G 


HISTORIENMALER  LUDWIG  SEITZ 


Von  MAX  FÜRST 


l\Ait  dem  am  ii.  September  1908  zu  Albano 
^''  bei  Rom  erfolgten  Ableben  des  hervor- 
ragenden Künstlers  Ludwig  Seitz  hat  die 
Genealogie  der  kunstgeschichtlich  bedeutsamen 
'Nazarener«-Gruppe  ihren  Abschluß  gefunden. 
Nicht  allein  im  geistigen,  sondern  auch  im 
persönlichen  Sinne  kann  dieses  gesagt  werden, 
denn  L.  Seitz  war  tatsächlich  der  letzte  Künst- 
ler deutschen  Geblütes,  der  im  Ideen-  und 
Formenkreise  der  Xazarener  seine  Schulung 
erhalten,  der  als  strebsamer  Jüngling  durch 
\'ermittlung  seines  \'aters  noch  mit  den  be- 
tagten großen  Meistern  Cornelius  und  Over- 
beck  in  Fühlung  gestanden,  der  auch  im 
Wandel  der  Jahre,  bis  an  sein  Lebensende, 
die  religiösen  und  ästhetischen  Prinzipien 
dieser  leuchtenden  Führer  des  christlichen 
Kunstschartens  treu  vertreten  und  im  eigenen 
Wirken  festgehalten  hat.  Ganz  besonders  — 
und  vielleicht  für  lange  Zeit  zum  letzten  Male 


—  kam  in  ihm  die  \'ermittlung  deutscher 
und  italienischer  Kunstsprache  zu  deutlichem 
Ausdrucke,  so  daß  wir  bei  Betrachtung  seiner 
Werke  an  das  schöne  Bild  Overbecks  ge- 
mahnt werden,  auf  dem  die  edlen  Frauen 
Germania  und  Italia  schwesterlich  sich  die 
Hände  reichen.  Ihm  war  es  auch  gegönnt, 
die  milden  Sonnenstrahlen  des  Glückes,  die 
nicht  allen  Xazarenern  und  Cornelianern  ge- 
leuchtet, in  außergewöhnliciiem  Grade  auf 
sich  zu  vereinen.  An  seiner  Wiege,  in  die 
er  am  11.  Juli  1844  zu  Rom  gelegt  wurde, 
standen  nicht  nur  die  Musen,  sondern  auch 
hohe  weltliche  Gönner:  kein  Geringerer  als 
König  Ludwig  I.  von  Bayern  war  sein  Tauf- 
pate. Durch  seine  Abstammung  aus  einer 
an  der  Isar  wie  am  Tiber  gleich  hochgeach- 
teten Künstlerfamilie')  ebneten    sich  leichter 

')  Maler  Max  Seitz,   der  Vater   unseres   Künstlers, 
war  zu  München  181 1  als  Sohn  eines  vieltätigen  Kupfer- 


l62 


©^  LUDWIG  SEITZ  ^ö 


die  Pfade,  die  zu  bedeutsamen  Aufträgen 
führten,  und  das  Wohlwollen  zweier  Päpste 
hob  ihn  zu  einer  Stellung,  die  an  Ehren  und 
Auszeichnungen  niemals  Mangel  litt.  Wenn 
bei  ungewöhnlich  großer  Begabung  und  einem 
rastlosen  Fleiße,  wie  diese  Seitz  eigen  waren, 
noch  solch  äußere  günstige  Faktoren  an  der 
Entwicklung  des  Künstlers  mitwirken,  dann 
muß  sich  ein  von  freudiger  Tatkraft  beseeltes 
Meisterleben  ergeben ,  das  reich  gesegnete 
Schaftensspuren  auch  fernen  Zeiten  hinterläßt. 
Schon  Seitz'  Erstlingsarbeiten  (Zeichnungen 
von  Heiligengestalten  zu  Holzschnitten  für 
den  Herderschen  Verlag),  die  vielfach  von 
altdeutschen  Meistern  inspiriert  erscheinen, 
zeigten  die  warme  Liebe  für  ein  ernstes,  reli- 
giöses Schaffen,  dem  vor  allem  daranlag,  er- 
bauend auf  die  Beschauer  einzuwirken  ;  auch 
die  frühesten  Olbildchen,  die  meist  von  hoch- 
gestellten Personen  erworben  wurden,  tragen 
klar  den  Stempel  des  sinnigfühlenden,  viel- 
versprechenden Künstlertalentes.  Von  solch 
schlichten  Jugendarbeiten  ging  es  alsbald  an 
umfangreiche,  in  technischer  Hinsicht  höchst 
schwierige  Aufgaben  :  an  der  Seite  seines  Vaters 
hatte  Seitz  im  Dome  zu  Diakovar  als  Fresko- 
maler sich  zu  erproben,  da  F.  Overbeck,  seiner 
vorgerückten  Jahre  wegen,  den  ehrenden  Auf- 
trag, den  der  mannhafte  Bischof  Stroßmayer 
ihm  erteilt  hatte,  seinen  lieben  deutschen 
Freunden  zuleitete.  Den  größten  Teil  der 
siebziger  Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  ver- 
brachten die  beiden  Seitz  im  genannten  Dom, 
in  welchem  zunächst  die  glückliche  Schmük- 
kung  der  Seitenapsiden  durch  Ludwig  Seitz 
vollführt  ward.  Auf  der  einen  Seite  schaut  man 
dort  die  Hirten  und  Könige  an  der  Krippe, 
auf  der  anderen  eine  ergreifende  Beweinung 
des  Leichnams  Christi,  an  der  neben  den 
bekannten  biblischen  Gestalten  auch  hervor- 
ragende südslavische  Heilige  sich  beteiligen. 
Bald    darauf    waren    es    andere    bischöfliche 


Stechers  geboren.  Ein  begeisterter  Schüler  von  Peter 
Cornelius,  siedelte  er  frühzeitig  zu  dauerndem  Bleiben 
nach  Rom  über;  er  ehelichte  dort  1842  eine  Tochter  des 
Malers  und  Schriftstellers  Ernst  Platner,  der  seinerzeit 
in  Verbindung  mit  dem  gelehrten  Bunsen  eine  »Be- 
schreibung Roms«  veröffentlichte.  Max  Seitz  (f  1888), 
ein  sehr  tüchtiger,  aber  mit  mancherlei  wunderlichen 
Schrullen  behafteter  Mann,  liebte  es  —  ermuntert  durch 
seine  Tätigkeit  als  Maler  im  Dome  von  Diakovar  — 
hin  und  wieder  auch  in  den  Straßen  und  Gesellschafts- 
kreisen Roms  in  farbigen,  kroatischen  Gewandstücken 
sich  zu  zeigen.  Schreiber  dieser  Zeilen  fand  mehrmals 
Gelegenheit,  mit  seinen  jungen  Freunden  an  dem  drol- 
ligen Auftreten  des  »alten<  Seitz  sich  zu  gaudieren. 
Saß  in  den  Abendzirkeln  der  bejahrte  wackere  schwä- 
bische Meister  A.  v.  Gegenhauer,  der  dem  einstigen 
Biedermaier- .Anzug  mit  seinen  mächtigen  »Vatermördern^ 
stets  treue  Anhänglichkeit  wahrte,  neben  Vater  Seitz, 
so  ergab    sich    ein    gar  heiteres,   seltsames  Kostümbild. 


Kirchen  —  jene  zu  Serajevo  und  Treviso  — 
in  denen  der  rasch  zur  Selbständigkeit  ge- 
langte jugendliche  Maler  sein  tüchtiges  Können 
zeigen  sollte.  Kamen  in  erstgenannter  Kathe- 
drale die  acht  Rundbilder  der  lateinischen 
und  griechischen  Kirchenväter  zur  Ausführung, 
so  erhielt  der  Dom  zu  Treviso  innerhalb  der 
Jahre  1882 — 1888  vier  große  Wandgemälde, 
die  in  figurenreichen  Szenen  kirchengeschicht- 
liche Ereignisse  gar  lebhaft  zur  Darstellung 
bringen.  Wenn  in  diesen  Fresken  hin  und 
wieder  ein  sichtliches  Hinneigen  zur  reali- 
stischen Gestaltung  der  Vorgänge  und  Per- 
sonen sich  kundgibt,  so  hielt  diese  Neigung 
bei  Seitz  nicht  sehr  lange  stand;  das  allmäh- 
lich sich  läuternde  Gefühl  für  jene  künstle- 
rische Art,  die  uns  in  dem  Begriffe  »Stil« 
entgegentritt,  gewann  bei  unserem  Künstler  als- 
bald die  Oberhand  und  je  weiter  sein  Schaffen 
sich  dehnte,  desto  energischer  neigte  er  dem 
Gegenpole  der  realistischen  Kunstweise:  der 
Stilisierung,  der  typischen  Vorführung  des 
Darzustellenden  mit  voller  Seele  zu.  Zur 
Würdigung  des  Künstlers  muß  gesagt  werden, 
daß  dieses  so  geartete  Schaffen  ihm  nie  zur 
Schablone  wurde.  Immer  durchtönt  eine  selb- 
ständige Nuancierung  das  Dargebotene,  und 
trotz  aller  Anklänge  an  alte  Weisen  über- 
rascht uns  nicht  selten  eine  frischsprudelnde, 
originelle,  stets  geist-  und  gemütreiche  Sprache, 
die  eben  einzig  und  allein  die  Sprache  unseres 
Meisters  ist.  —  Wohl  die  glücklichste  und 
zarteste  Vereinigung  von  Stilgefühl  mit  per- 
sönlicher Eigenart  bot  Seitz  in  dem  präch- 
tigen Triumphbogenschmuck  des  Domes  zu 
Freiburg  im  Breisgau.  Man  sagt  uns,  daß 
auch  die  in  der  Fürstenbergschen  Schloß- 
kapelle zu  Heiligenberg  am  Bodensee  sich 
findenden  Gemälde  des  Künstlers  gleiche  Eigen- 
schaft zur  Schau  trügen. 

Seitz,  der  diesseits  und  jenseits  der  Alpen, 
sowie  in  östlichen  Ländern  zu  malen  hatte, 
fühlte  gar  wohl,  daß  er  bei  seinen  Arbeiten 
dem  Lande,  der  näheren  Umgebung  eben- 
falls eine  gewisse  Beachtung  zu  zollen  habe, 
daher  moderierte  er  auch  seine  rege  Tätigkeit 
entsprechend  den  gegebenen  architektonischen 
und  lokalen  Verhältnissen.  Daß  solche  Auf- 
gabe auch  ihm,  dem  gewandten  Meister, 
manchmal  schwer  ward,  bekundet  er  selbst 
in  einem  seiner  Briefe,  indem  er  sagt:  >  In 
Deutschland  mußte  ich  Deutscher  sein,  in 
Italien  wollte  man  mich  als  Italiener  haben.«  —  ') 
Da  sein  Hauptwirken  doch  auf  Italien  sich 
erstreckte,  so  lag  es  nahe,  daß  das  Studium 
italienischer  Meister  ihn  ganz  besonders  be- 

')  Siehe   >Historisch-polit.   Biälter«,  Bd.  142,  S.  726. 


i63 


Fresko  links  neben  liem  Fenster  der 
ChorkapelU  der  Basilika  in  Lcreto. 
Phot.  D.  Anderson.    Ro»t     o  o  o  o  o 


'S»  LUDWIG  SEITZ  « 
«  ISAIAS,  EZECHIEL 
ABISAG,  SULAMITIS 


164 


©^5  LUDWIG  SEITZ  mö 


schäftigte ;  er  brachte  es  hierin  zu  einer  Ken- 
nerschaft, die  ihn  nicht  nur  zum  Direktor  der 
päpstHchen  Gemäldesammlungen  befähigte, 
sondern  die  ihn  in  Kunstfragen  auch  mehr- 
mals zur  Feder  greifen  hieß,  um  über  Wesen 
und  Ziele  der  Kunst  sich  offen  auszusprechen. 
In  etlichen,  der  »römischen  Künstlerzunft« 
gewidmeten  Broschüren:  »Erörterungen  über 
wichtige  Kunstfragen«  besprach  Seitz  ange- 
sichts der  in  den  neueren  Kunstanschauungen 
herrschenden  Verworrenheit  die  Hauptpro- 
bleme der  bildenden  Kunst,  wobei  das  Ver- 
langen nach  jener  Einheit,  wie  sie  die  frü- 
heren Zeiten  festzuhalten  vermochten,  zum 
Hauptmerkmal  seiner  Wünsche  und  Bedin- 
gungen gemacht  erscheint.  Wenn  er,  um 
solches  Ziel  annähernd  zu  erreichen,  an  die 
Wiedererweckung  der  alten  Künstlerzünite 
dachte  und  diese  warm  befürwortete,  so  ent- 
ging ihm  hierbei  wohl  doch,  daß  ein  auch 
noch  so  gut  gefügter  Rahmen  nicht  die  nötige 
Kraft  haben  kann,  die  schäumenden  Wogen 
auf  dem  Kunstgebiete,  die  nun  einmal  durch 
die  auf  allen  Feldern  des  modernen  Lebens 
sich  zeigenden  Gärungen  verursacht  und  be- 
gründet sind,  zu  bändigen  und  in  erwünschte 
Bahnen  zu  leiten.  Der  wohlmeinende  Ver- 
fasser der  »Erörterungen«  vergaß  eben  nur 
zu  sehr,  daß  Klagen  die  Toten  nicht  aut- 
wecken, daß  die  ersehnte  Läuterung  und  Eini- 
gung auf  dem  Kunstgebiete  nicht  dem  Zu- 
sammenhange der  allgemein  geistigen  kultu- 
rellen Erscheinungen  entrückt  werden  könne. 
Wie  schon  angedeutet,  erstreckte  sich  die 
künstlerische  Tätigkeit  unseres  Meisters  vor 
allem  auf  Italien.  Wie  er  in  der  ehrwürdigen 
Kirche  Ära  coeli  auf  dem  römischen  Kapitol 
eine  Kapelle  mit  Bildern  zierte,  so  ward  auch 
die  Apsismalerei  in  der  französischen  Kirche 
San  Ivo  von  ihm  besorgt ;  auch  die  Aus- 
schmückung der  deutschen  Nationalkirche 
S.  Maria  dell'  Anima  oblag  seiner  emsigen 
Hand.  Bei  den  engen  Beziehungen  zu  den 
vatikanischen  Behörden  ward  ihm  die  Her- 
stellung der  Kartons  zu  den  Mosaiken  am 
Grabmale  Pius'  IX.  in  S.  Lorenzo  fuori  le 
mura  übertragen,  ebenso  vollführte  er  die 
malerische  Schmückung  des  Kuppelsaales  der 
Torre  Leonina  in  den  Gärten  des  Vatikans. 
Die  mancherlei  Aufgaben,  die  an  Seitz  heran- 
traten, brachten  in  ihm  eine  staunenswerte 
Vielseitigkeit  zuwege.  Voraus  in  der  Archi- 
tektur wußte  er  gründlich  Bescheid  und  auch 
die  kunstgewerbliche  Kleinarbeit  fand  in  ihm 
einen  umsichtigenBerater.  In  bezugauf  letzteres 
Wirken  vertrat  er  mit  besonderem  Geschick 
die  Traditionen  seiner  vaterseitlichen  Ver- 
wandtschaft, indem  zahlreiche  Entwürfe  zu  Me- 


daillen, Kirchengeräten,  Grabdenkmälern  etc. 
in  seinem  an  der  Via  del  Babuino  ge- 
legenen Atelier  entstanden.  Seitz'  Umsicht 
bei  schwierigen  Restaurierungsarbeiteii  führte 
ebenfalls  zu  schönen  Erfolgen ;  die  Wieder- 
herstellung der  kunstgeschichtlich  so  wert- 
vollen vatikanischen  BorgiaGemächer,  in  denen 
Pinturicchios  Fresken  heute  wieder  im  ur- 
sprünglichen Lichte  sich  darbieten,  ist  ein 
Verdienst,  in  das  der  hohe  Veranlasser,  Papst 
Leo  XIII.,  mit  dem  vollziehenden  Künstler 
freudig  sich  teilen  konnte.  Leo  war  es,  der 
dem  erprobten  Meister  weiterhin  den  reichen, 
aus  Decken-  und  Wandbildern  bestehenden 
neuen  Freskenschmuck  der  Galleria  dei  Can- 
delabri  übertrug.  Der  ehrende  Auftrag  ward 
zur  vollsten  Befriedigung  des  Papstes  ausge- 
führt, der  in  den  zumeist  allegorisch  und  sym- 
bolisch gehaltenen  vielen  Darstellungen  nicht 
nur  der  Verherrlichung  des  heiligen  Philo- 
sophen von  Aquino,  sondern  auch  jener  der 
Taten  seines  eigenen  Pontitikates,  vor  allem 
des  künstlerischen  Hinweises  aut  seine  geistes- 
und  lehrgewaltigen  vier  großen  Enzykliken 
sich  erfreuen  konnte.')  Aber  auch  unter  rein 
künstlerischen  Gesichtspunkten  dürfte  Leo  XIII. 
die  leuchtenden  Bilder  des  erkorenen  Malers 
mit  Behagen  und  mit  dem  Bewußtsein  ge- 
nossen haben,  die  Scharte,  welche  der  ge- 
rühmten vatikanischen  Kunstpflege  durch  die 
in  den  fünfziger  Jahren  des  vorigen  Säkulums 
—  nahe  den  Raffaelschen  Stanzen  —  ent- 
standenen Malereien  geschlagen  worden  war, 
möglichst  wieder  wettgemacht  zu  haben.  Daß 
diese  sühnende  Tat  ein  Maler  deutscher  Her- 
kunft vollführte,  darf  auch  uns  mit  Genug- 
tuung erfüllen  (Abb.  S.  165). 

Mit  seinen  deutschen  Gönnern  und  Reli- 
gionsgenossen in  besonders  innige  Fühlung 
zu  treten,  war  L.  Seitz  beschieden  durch  den 
großartigen  Auftrag,  eine  der  Chorkapellen 
des  Domes  zu  Loreto  mit  Fresken  aus  dem 
Leben  Mariens  zu  füllen.  Wenn  schon  sein 
religiöses  Empfinden  ihn  ob  dieser  herrlichen 
Aufgabe  freudig  stimmen  mußte,  so  war  das 
Vertrauen,  welches  die  deutschen  Auftrag- 
geber ihm  entgegentrugen,  ein  doppelter  An- 
sporn, mit  vollster  Seele  diesem  Schaffen  in 
Loreto  sich  hinzugeben.  Tatsächlich  hat  der 
Meister  in  zehnjähriger  Arbeit  (1892  — 1902) 
ein  Werk  geboten,  das  hinsichtlich  des  Reich- 
tums der  Komposition,  der  Fülle  sinniger, 
fesselnder  Einzelheiten,  des  goldfarbigen 
Glanzes  alle  seine  früheren  Leistungen  über- 


')  Eine  Publikation  der  Fresken  mit  Begleittext  von 
Professor  Berthier  bot  der  Benzigersche  Verlag  unter 
dem  Titel:  »Die  Glorie  des  heiligen  Thomas  von  Aquin.« 
Ladenpreis  M.  24. — . 


»^  LUDWIG  SEITZ  »^ö 


165 


LUDWIG  SEITZ 


Deckengemälde  im    Vatikat 
Phot.  D.  Anderson, 


THOMAS  VON  AQL'IK  USD  DIE  KIRCHE 
Text  S.  l«4 


bot  (Abb.  S.  161,  163  u.  Beil.  I.).  Wenn 
Leo  XIIL  bei  Besiclitigung  der  Entwürfe  zu 
diesem  lauretanischen  Kapeilenschmuck  von 
einer  )  Epopea  Mariana«  gesprochen,  so  wählte 
er  wohl  die  richtigste  Bezeichnung  für  den 
zur  Ausführung  gelangten  Bilderzyklus.')  Die 


Ein-  und  Unterordnung   in  gegebene  Raum- 


')  Publiziert  in  dem  reich  ausgestatteten  Werk;  La 
Cappella  del  coro  nclla  Basilica  di  Loreto  dipinta  dal 
Comra.  Lodovico  Seitz,  descritta  da  Mons.  Giovanni 
Milanese.  46  Textill.  u.  2  Einschaltbilder.  Benziger  &  Co., 
Einsiedeln  1908.  Ladenpr.M.4.—  (deutscheAusg.M.6.20). 


i66 


©^«  LUDWIG  SEITZ  ?^ö 


Verhältnisse  wußte  Seitz  in  Loreto  so  geschickt 
festzuhalten,  daß  Architektur  und  Malerei  über- 
aus harmonisch  hier  zusammenklingen.  In  den 
Details  dürfte  freilich  hierbei  des  Guten  oft  zu 
viel  geschehen  sein.  Die  im  Sinne  eines  Gen- 
tile  da  Fabriano  überreich  gebrauchte  Goldver- 
brämung von  Gewändern  und  Geräten,  diese 
zahllosen  Baldachine,  Türmchen,  Säulchen 
und  Balustraden,  welche  die  Bildergruppen 
nicht  nur  auseinanderhalten,  sondern  diese 
selbst  vielfach  durchziehen,  dieses  Filigran 
schmückender  Zutaten,  drängen  eine  wün- 
schenswerte, gemessene  ruhige  Wirkung  hin 
und  wieder  zu  sehr  in  den  Hintergrund.  Durch 
den  Überfluß  an  Linien,  an  Gold  und  Farben 
erscheint  manch  dargebotene,  tiefempfundene, 
mit  Schönheit  und  Grazie  gezeichnete  Szene 
in  ihrer  Vollkraft  geschwächt  und  beeinträch- 
tigt. Daß  bei  der  immensen  Zahl  der  Figuren 
und  Gruppen  nicht  alles  auf  gleicher  Voll- 
endungshöhe basiert,  daß,  wie  auch  P,  A.  Kuhn 
in  seiner  Kunstgeschichte  (III.  Bd.  S.  1335) 
vermerkt,  das  nötige  Naturstudium  nicht  immer 
zu  seinen  Rechten  gelangte,  kann  nicht  ver- 
schwiegen bleiben.  Erwägt  man  jedoch  die 
Ausdehnung  der  Gesamtautgabe,  sowie  all 
die  technischen  und  sonstigen  Schwierigkeiten, 
die  bei  Herstellung  von  derartigen,  auf  hohen, 
meist  verdunkelnden  Gerüsten  sich  vollziehen- 
den Arbeiten  sich  ergeben,  so  wird  man  der 
Seitzschen  Schöpfung  im  Dome  von  Loreto 
vollste  Bewunderung  niemals  versagen.  Das 
»Laus  Deo«,  das  der  Künstler  beim  Schlüsse 
unter  eines  der  Bilder  setzte,  ist  die  deutliche 
Bestätigung  dessen,  was  er  gewollt  und  auch 
erreicht  hat.  Wie  die  zahlreichen  Engelein 
auf  Gemälden  alter  Meister  gleich  jenen  aut 
den  Seitzschen  Loretotresken  unermüdlich  in 
fröhlichem  Himmelsjubel  sich  geben  und  be- 
wegen, so  wollte  auch  der  fromme  Meister 
in  leuchtenden  Farbentönen  sein  vielgestalti- 
ges Preislied  zum  Ruhme  Mariens  erklingen 
lassen,  getragen  von  dem  beglückenden  Ge- 
fühle, zugleich  der  Dolmetsch  all  der  Katholiken 
zu  sein,  die  aus  Deutschlands  Gauen  der 
gütigen  Himmelskönigin  ihre  kindliche  Ver- 
ehrung hier  entgegenbringen. 

Noch  einmal  trat  an  den  Künstler  ein 
weiterer  großer  Auftrag  heran,  indem  er  drei 
Kapellen  der  berühmten  Kirche  des  heiligen 
Antonius  zu  Padua  gleichfalls  mit  einem  Fres- 
kenkranze schmücken  sollte.  Die  Arbeit  wurde 
aufgegriffen,  aber  nicht  vollendet.  Andere  be- 
rufliche Aufgaben,  vor  allem  aber  des  Mei- 
sters angegriffene  Gesundheit  minderten  das 
Tempo,  in  welchem  Seitz  in  früheren  Jahren 


zu  schaffen  gewohnt  war.  Die  Neuordnung 
der  päpstlichen  Gemäldegalerie,  die  ihm  be- 
sonders am  Herzen  lag,  rief  ihn  am  10.  Sep- 
tember von  seiner  Erholungsstätte  in  den 
Albanerbergen  nach  dem  Vatikan,  wo  er  die 
Transferierung  von  Raffaels  letztem  großem 
Werke:  »Transfiguration«  noch  umsichtig 
leitete.  Die  letzten  Blicke  des  pflichtgetreuen 
Künstlers  galten  dem  verklärten  Vorgange 
auf  der  Höhe  des  Tabor  —  dann  fuhr  er 
wieder  nach  seinem  Bergasyl,  um  am  näch- 
sten Morgen  dort  zu  sterben. 

Die  hohe  Begeisterung  für  Rom  und  Italien, 
die  Ludwig  Seitz  von  den  Nazarenern  als 
Erbe  überkommen  und  festgehalten  hat,  er- 
scheint heute  in  Künstlerkreisen  stark  abge- 
flaut. Der  dem  germanischen  Wesen  nun 
einmal  angeborene  Wandertrieb  lenkt  das 
Sehnen  der  modernen  Maler  mehr  nach  den 
westlichen  Ländern  als  nach  italienischen  alten 
Kunst-  und  Kulturstätten.  Dieses  Abwenden 
von  einer  seit  den  Tagen  Albrecht  Dürers 
gepflogenen  Tradition  hat  in  unserer  neueren 
Kunstpflege  gewaltige  Wandelungen  hervor- 
gerufen und  zahlreiche  Erzeugnisse  gebracht, 
die  dem  deutschen  Eigenwesen  bisher  nur 
selten  jenen  konkreten  Ausdruck  zu  leihen 
vermochten,  den  deutsches  Kunstschaffen  seit 
dem  Auftreten  der  Renaissance  bis  zu  den 
letzteren  Dezennien  des  19.  Jahrhunderts  zum 
Stempel  hatte.  Da  die  frühere  deutsche  und 
italienische  Kunst  engste  Fühlung  unterhielt 
und  zudem  sehr  homogene  Elemente  auf- 
wies, so  war  es  leichter,  in  ihrem  Zusammen- 
wirken jenen  klaren  und  auch  volkstümlichen 
Ausdruck  zu  finden,  den  unsere  moderne 
Malerei  noch  vielfach  vermissen  läßt.  Dieser, 
unter  den  neueren  geistigen  Evolutionen  nun 
fast  völlig  in  die  Brüche  gegangenen  innigen 
Harmonie  zwischen  eis-  und  transalpiner 
Kunst  konnte  Ludwig  Seitz  als  einer  ihrer 
letzten  hervorragenden  Vertreter  noch  bis  an 
seinem  Lebensabende  ungetrübt  sich  ertreuen. 
Indem  der  genannte  Meister  an  der  Grenz- 
scheide zweier  Kunstperioden  uns  entgegen- 
tritt, steigert  sich  das  Interesse  für  seine 
Persönlichkeit  ebenso  wie  für  sein  reichliches 
Schäften.  Unter  solchem  Gesichtspunkte  wird 
uns  Ludwig  Seitz  gewissermaßen  zu  einer 
markanten  kunstgeschichtlichen  Gestalt,  die 
allseits  Beachtung  und  Würdigung  verdient, 
die  aber  vor  allem  ein  Anrecht  besitzt,  ein 
ehrendes  Dank-  und  Ruhmesblatt  auch  in 
dieser,  der  christlichen  Kunst  gewidmeten 
Zeitschrift  zu  erhalten. 


ö^  HENRI  UND  MARIF.  13UHRM  ^J;a 


i6: 


ii:\Ri  nriii.M 


EIN  FRANZÖSISCHES  KÜNSTLER- 
PAAR: HERR  UND  FRAU  DUHEM 

Von  Dr.  LEO  MALLINGER,  Löwen-Belgien 

Hierzu  die  Abb.  S.  167  — 176) 

pine  stille  Straße  im  äußersten  \'iertel  eines 
'-^  friedlichen  Provinzstädtchens  im  Norden 
Frankreichs:  Douai.  Neben  einem  alten,  ehr- 
würdigen Stadtpark,  den  man  eben  unerbitt- 
lich zerstört,  um  einer  Schule  mehr  Raum  zu 
schaffen,  liegt  ein  geräumiges,  herrschaftliches 
Haus,  ebenfalls  einer  früheren  Zeit  angehörend. 
Wir  treten  in  den  weiten,  lichterfüllten  Ein- 
gang, und  gleich  schlägt  uns  eine  warme,  an- 
heimelnde Luft  entgegen.  Man  glaubt  sich 
zu  Besuch  bei  einer  hochbejahrten,  gütigen 
Tante  oder  einem  Großvater  mit  weißen 
Haaren,  die  uns  im  folgenden  Augenblick  liebe- 
voll in  ihre  Arme  schließen  werden.  Allein 
statt  dieser  Zeugen  der  V'ergangenheit  kommt 
uns  ein  noch  junger,  sympathischer  Mann 
entgegen,  mit  sanften,  freundlichen  Augen  in 
einem  bärtigen  Gesicht.  Ohne  viel  Umstände 
und  Zeremonien  zu  machen,  nötigt  er  uns 
in  das  nächste  Zimmer,  die  gemütliche  Wohn- 
stube, und  auf  seinen  Ruf  erscheint  auch  als- 
bald eine  in  aller  Einfachheit  anmutige  Haus- 
trau, die  sich  ihrer  PHichten  dem  Besucher 
gegenüber   mit   ebensoviel    Liebreiz    als    Be- 


VKRKÜN'DIGCNG  AN  DIE  HIRTEN 

scheidenheit  erledigt,  i^ie  Unterhaltung  ist 
beständig  im  Fluß,  denn  wir  haben  die  Ent- 
deckung gemacht,  daß  wir  über  alles  Edle 
und  Schöne,  über  Natur  und  Kunst  dieselben 
Ansichten  hegen,  und  unsere  erste  Begegnung 
macht  uns  den  Eindruck  eines  Wiedersehens 
mit  guten  alten  Freunden,  die  wir  immer  ge- 
kannt haben. 

Wir  sind  in  einem  wahren  Künstlerheim. 
Denn  frühzeitig  hat  Hr.  Advokat  FlenriDuhem, 
Sohn  eines  höheren  Justizbeamten,  der  gericht- 
lichen Laufbahn  entsagt,  welche  iiim  bereits 
reiche  Lorbeeren  eintrug,  um  nur  der  Kunst 
zu  leben,  und  nicht  lange  dauerte  es,  so  maciite 
er  auf  einem  MalerausBuge  die  Bekanntsciiatt 
einer  Schwesterseele,  eines  reich  veranlagten 
Landmädchens,  das  er  bald  als  glückliche 
Gattin  heimführte.  Und  nun  leben  beide  mit 
ihrem  einzigen  Sohn  ein  zurückgezogenes, 
idyllisches  Leben,  teils  in  H.  Duhems  Geburts- 
stadt, teils  auf  dem  Lande,  in  Frau  Duhems 
Heimatprovinz.  Ihr  ganzes  Dasein  ist  der  Kunst 
gewidmet.  In  dem  großen,  dichtbewachsenen 
Garten,  der  sich  iiinter  dem  Wohnhaus  aus- 
dehnt, haben  sie  ihr  gemeinsames  Atelier. 
Frau  Duhem  schafft  zu  ebener  F>de,  ihr  Gatte 
haust  im  oberen  Stockwerk.  Ihre  F.rholung 
finden  sie  in  der  Musik  und  der  Literatur, 
worin  sie  sehr  bewandert  sind,  und  im  Um- 
gang  mit  einigen  gleichgesinnten  Künstlern, 


i68 


'Sm  HENRI  UND  MARIE  DUHEM  ^ö 


und  Frau  Duhem  hat  sein  Porträt 
gemalt  (Abb.  S.  169).  Die  Büste 
H.  Duhems,  von  Meunier  model- 
liert, schmückt  den  Kamin  der 
Wohnstube.  Herr  und  Frau  Du- 
hem haben  sich  durch  ihr  Talent 
und  ihre  Schaffensfreude  in  der 
Kunstwelt  einen  geachteten ,  ja 
man  kann  sagen  einen  berühmten 
Namen  erworben.  Einzelne  ihrer 
Bilder  hängen  in  den  ersten  Mu- 
seen Frankreichs :  dem  Luxem- 
bourg,  dem  Musee  du  Petit  Palais, 
dem  Museum  von  Lille,  denen  von 
Cambrai,  Douai,  Amiens  usw., 
andere  wurden  von  reichen  Ame- 
rikanern erworben ;  einzelne  zie- 
ren ihr  eigenes  Wohnhaus.  Ihre 
neuen  Werke  werden  regelmäßig 
im  Salon  der  Societe  des  Artistes 
Irancais  und  der  Societe  nationale 
des  Beaux-arts  ausgestellt.  Im  Fe- 
bruar 1906  fand  sogar  eine  Son- 
derausstellung ihrer  Werke  in  der 
Galerie  Petit  in  Paris  statt,  wo 
nur  Berufene,  schon  anerkannte 
Künstler  Eingang  finden.  Dieselbe 
erregte  die  Bewunderung  der 
Kunstkenner,  und  diePresse  sprach 
sich  sehr   belobend    darüber   aus. 


MARIE  DUHEM 


nER  BLUMENKRANZ 


die  bisweilen  aut  einige  Tage  zu  Besuch  kom- 
men oder  das  freundliche  Paar  bei  sich  be- 
grüßen. Übrigens  bietet  die  Wohnung  der 
Familie  Duhem  genug  des  Schönen  und  Wert- 
vollen, um  immer  wieder  Augen  und  Gemüt 
zu  fesseln.  Ein  wirkliches  Museum  haben  sie 
sich  mit  äußerst  feinem  Geschmack  einge- 
richtet, eine  Zusammenstellung  von  tüchtigen 
Werken  ihrer  berühmtesten  Zeitgenossen,  die 
man  kaum  in  diesem  altertümlichen  Hause 
aufsuchen  würde.  Da  hängt  eine  scharfge- 
zeichnete, meisterhafte  Studie  aus  einem  Berg- 
werk von  Constantin  Meunier  neben  den 
weichen ,  verschwommenen  Umrissen  eines 
Eugene  Carriere,  ein  kindlich  naives  Bild  von 
Maurice  Denis  neben  einem  herben,  ergreifen- 
den Rops;  da  kann  man  den  Stil  Manets  mit 
deniMonets  vergleichen,  die  modernsten  Ten- 
denzen in  H.  Martin,  Degas,  Renoir,  Claus 
u.  a.  studieren;  von  dem  sanften  Le  Sidaner, 
einem  Herzensfreund,  ist  eine  ganze  Anzahl 
stimmungsvoller,  friedensseliger  Gemälde  vor- 
handen. Aus  dem  Gebüsch  des  Gartens  leuchtet 
eine  kraftvolle  Eva  von  Rodin.  Auch  C.  Meu- 
nier war  ein  gern  gesehener  Gast  des  Hauses 


Henri  Duhem  hat  in  seinem 
Wesen  etwas  Zartes,  Träumeri- 
sches; er  weiht  uns  ein  in  den  melancholischen 
Zauber  der  nördlichen  Ebene  seines  Heimatlan- 
des mit  ihrem  umnebelten  Horizont,  ihren  mit 
roten  Ziegeln  gedeckten  Häusern  aus  Back- 
steinen. Und  so  charakteristisch  wählt  er  den 
Gegenstand  seiner  Gemälde  und  den  Augen- 
blick, daß  dieselben  zu  dauerhaften  Symbolen 
seiner  Provinz  werden.  Er  liebt  die  in  helles, 
blendendes  Licht  getauchten  Straßen  seines 
Städtchens,  die  alten  Häuser,  die  Kanäle  mit 
ihren  Schiffen,  mehrnoch  die  im  Zwielicht,  im 
Morgengrauen  oder  Abendnebel  ziehenden 
Schafherden  (Abb.  S.  175).  Seine  Bilder  zeugen 
von  einer  unermüdlichen  Beobachtung  und 
einem  innigen  Naturgefühl;  es  wohnt  ihnen 
allen  eine  echte  Poesie  inne.  Er  ist  zugleich 
ein  angesehener  Schriftsteller  und  Kunstkri- 
tiker. Sein  vor  zehn  Jahren  erschienenes  Buch, 
Renaissance  betitelt,  gibt  in  eigenartiger  Weise 
Aufschluß  über  die  Bestrebungen  der  zeitge- 
nössischen französischen  Kunst,  als  deren  un- 
terscheidende Merkmale  er  das  Licht  und  das 
Gefühl  bezeichnet. 

* 
In  Frau  Marie    Duhem,    die    inmitten    der 


Co 
:0 


CD 


00 


4     W      »i 


E5B4  HENRI  UND  MARIE  DUHEM  *^i3 


169 


ungekünstelten  Landbevölkerung  in  Gottes 
freier,  schöner  Natur  aufgewachsen  ist,  steckt 
etwas  Urwüchsiges,  Reifes,  das  in  ihrenWerken 
jeden  unbefangenen  Beschauer  unverzüglich 
anspricht.  Man  merkt,  daß  dieses  begabte 
Auge,  diese  gewandte  Hand  nicht,  wie  an- 
dere Frauen ,  ihr  Bestes  durch  das  un- 
waiire,  schablonenhafte  Akademiestudium  ein- 
gebüßt haben  ;  statt  dessen  ein  heißes,  leiden- 
schaftliches Ringen  nach  selbständigen,  wahren 
Eindrücken.  Der  warme  Hauch  eines  auf- 
richtigen Naturemptindens  schlägt  uns  hier 
entgegen,  es  spricht  sich  ein  fühlendes  Herz 
vor  Gottes  Wundern  im  Weltall  und  vor  den 
anspruchslosesten  Mitmenschen  aus.  Keine 
Beeinflussung  durch  diesen  oder  jenen  Meister, 
den  die  Mode  auf  den  Schild  erhoben  hat; 
wenn  auch  ihre  Kunst,  in  ihrem  bewußten 
Streben  nach  Vereinfachung,  an  die  Primi- 
tiven oder  an  Puvis  de  Chavannes  gemahnt, 
so  äfft  sie  dieselben  doch  nicht  nach.  Nur 
persönliches  Erleben.  Keine  schrillen  Mißtöne, 
nichts  \'orIautes,  nichts  Übertriebenes,  wo- 
durch Künstlerinnen  nur  zu  oft  ihr  Geschlecht 
zu  verleugnen  trachten  ;  aber  auch  nichts  Süß- 
liches, nichts  Schwächliches.  Und  darin  liegt 
vielleicht  das  Charakteristische  ihrer  Kunst, 
daß  sie  den  ganzen  Reiz,  die  Persönlichkeit 
ihrer  weiblichen  Natur  gewahrt  hat,  mit  ihrer 
geschmackvollen  Einfachheit,  ihrem  Zartge- 
fühl, aber  auch  mit  ihrer  gesunden  Kratt, 
ihrem  ernsten  Wollen.  Die  Technik  besitzt 
Frau  Duhem  meisterhaft:  sie  beherrscht  die 
Zeichnung  vollständig.  Ihre  Linien  sind 
mit  sicherer  Hand  geführt  und  doch  weich. 
Sie  kennt  die  Lichtwirkungen  in  der  Natur 
durch  genaue  Beobachtung.  Was  die  Farben 
gebung  betrifft,  so  hat  sie,  wie  etwa  Verlaine 
und  Roden bach,  eine  Vorliebe  für  die  ver- 
schwiegenen, gewissermaßen  herbstlich  abge- 
dämpften Töne;  blau,  aschfarben,  gelbbraun, 
welche  übrigens  der  grauen  Lufthülle  und 
der  schwermütigen  Poesie  der  nördlichen 
Gegenden  entsprechen.  Ihre  Kunst  bekommt 
dadurch  etwas  Kühles,  Besonnenes. Vornehmes, 
was  aber  keineswegs  die  Gründlichkeit  und 
das  Gefühl  ausschHeßt;  im  Gegenteil,  ihre 
friedhche,  so  harmonische  und  gedankenreiche 
Tätigkeit  fließt  nicht  weniger  aus  dem  Her- 
zen als  aus  dem  überlegenden  Verstand.  Effekt- 
hascherei ist  ihr  gänzlich  unbekannt. 

Ihr  Werk  spricht  von  einem  hohen  Geist  und 
von  rastlosem  Fleiß;  es  ist  wie  eine  sciiöne, 
reiche  Ernte  und  hinterläßt  einen  starken  Ge- 
samteindruck. Die  Vorlagen  sind  nicht  aus  der 
Ferne  entlehnt,  sondern  der  Heimatboden  in 
seinem  trauten  Reiz  ist  die  Quelle  ihrer  Kunst, 
einer  Heimatkun.st  im  besten  Sinne  des  Wortes. 


Da  sind  zunächst  ihre  Blumen.  Viele  Frauen 
haben  Blumen  gemalt  und  sind  sogar  da- 
durch zur  Berühmtheit  gelangt,  wie  Louise 
Abbema  und  Madeleine  Lemaire.  Aber  mei- 
stens gebricht  es  ihnen,  sogar  letzteren,  an 
Persönlichkeit,  an  Wirklichkeitssinn,  an  Auf- 
richtigkeit in  der  Wiedergabe  der  Natur  und 
ihrer  Farben;  zuviel  Schulstaub  klebt  ihren 
Blumenstücken  an.  Frau  Duhem  hat  olt 
Blumen  dargestellt,  keine  bunt  gemischten 
in  schreienden  Tönen,  sondern  einheitliche 
Beete,  Päonien  usw.,  ein  Mohnfeld,  oder  ein- 
zelne Nelken,  Anemonen,  Chrysanthemen  in 
einem  bescheidenen  Topf  oder  in  einem  Glas 
am  Tischrand.  Und  das  alles  ist  so  anmutig, 
so  lebendig,  hat  eine  so  persönliche  Prägung, 
und  so  fein  weiß  sie  die  verschiedenen  Farben- 
werte gegen  einander  abzuschätzen,  daß  sie 
mit  einem  einfachen  Schwarzstifte  eine  weiße 
Rose  in  einem  Glas  »malen«  konnte,  auf 
welcher  man  farbige  Wirkungen  wahrzu- 
nehmen glaubt.  Auf  einem  andern  Blatt  tref- 
fen wir  weiße  Ranunkeln  in  einer  Kristall- 
vase, die  auf  einem  weißen  Tisch  vor  einer 
grauen  Wand  steht;  trotzdem  nur  weiß  und 
grau  verwendet  wurde,  nimmt  sich  der  Strauß 
sehrmalerisch  aus.  Überhaupt  scheinen  Blume 
und  Vase  bei  ihr  zusammenzugehören,  ihre 
Farben  und  Lichteffekte  zu  vermählen. 

Auch  zahlreiche  Kinderstudien  itnden  wir 
bei  Frau  Duhem,   die   im  Porträt  (z.  B.  dem 


MARIIC  inUliM 


NSr\\1!\'   MKINIKK 


Die  christliche  KunM. 


lyü 


Si^  HHNRl  UND  MARIE  ÜUHHM  m& 


ihres  Mannes)  Hervorragendes  geleistet  iiat. 
Es  sind  aber  weder  die  konventionellen  kleinen 
Hngel,  noch  die  amüsanten  Straßenjungen, 
sondern  naive  Landkinder  mit  frischem  Blut 
unter  den  gebräunten  Wangen,  mit  blonden 
Haaren,  langsamem  Schritt  und  unbeholfenen 
Gebärden ;  sie  sind  allerliebst  und  wahr.  Hier 
ein  Lockenköpfchen,  das  unerschrocken  in 
die  Welt  hineinblickt,  dort  ein  halbwüchsiges 
Mädchen,  unansehnlich  und  furchtsam,  nicht 
eben  hübsch,  aber  auch  nicht  häßlich,  so  etwa 
wie  ein  Landmädchen  von  Hans  Thoma. 
Kleine  Bauernbuben,  frühernst  und  nachdenk- 
lich, setzen  sich  inmitten  von  Blumen  nieder, 
oder  eine  Kinderschar  singt  gegen  Abend 
am  Wegesrand  zum  Ringeltanz.  Und  das 
alles  stimmt  so  genau  mit  dem  ernsten  und 
doch  lieblichen  Charakter  der  Gegend;  und 
man  spürt,  die  Künstlerin  hängt  mit  ganzer 
Seele  an  diesen  jungen  Menschenleben,  die 
noch  unbefangen  vor  dem  großen  Rätsel  des 
Daseins  stehen. 

Und  ebenso  innig  ist  sie  mit  der  Natur 
verbunden ,  deren  Geheimnisse  sich  ihrem 
liebenden  Herzen  erschlossen  haben.  Die  Be- 
ziehungen der  Natur  zum  arbeitenden  Men- 
schen, das  Landleben  bildet  ihr  ureigenstes 
Gebiet;   tiefe  Eindrücke  der  Kindheit  wirken 


.MARIE  DtTHEM 


hier  bei  der  Künstlerin  nach,  und  so  wird  ihr 
Werk  eine  Verherrlichung  der  Heimaterde, 
der  braunen  Ebene  der  Provinz  Artois  mit 
ihrem  weiten  Horizont,  den  kleinen  Dörfern 
in  grünem  Kranz,  den  von  einem  bescheidenen 
Gärtchen  eingefaßten  weißen  Häusern  mit 
Stroh-  oder  Ziegeldächern.  Mit  den  unschein- 
barsten Mitteln  erreicht  die  Malerin  geradezu 
überwältigende  Wirkungen.  Das  Licht  feiert 
bei  ihr  Eeste.  Da  strotzt  das  gesunde  Treiben 
der  immerschönen  Erde  in  den  prangenden 
Ähren,  da  beherrscht  ein  mächtiger  Schober 
die  umliegenden  Felder,  deren  Leben  er  ver- 
sinnbildlicht; aufgehäufte  Getreidegarben  hat 
Frau  Duhem  zu  verschiedenen  Tageszeiten 
gemalt  und  so  den  Zauber  der  Wandlungen 
ausgedrückt.  Eine  Vorliebe  aber  hat  sie  für 
dämmerige,  in  Traum  gehüllte  Landschaften, 
für  die  Poesie  und  den  Frieden  des  Abends. 
Auf  der  Dorfstraße  bewegt  sich  bei  herein- 
brechender Nacht  ein  Landmann  den  Häusern 
zu,  die  ihren  Lichtschein  durch  den  Nebel 
werfen.  Auf  anderen  Bildern  vergoldet  die  unter- 
gehende Sonne  die  fernen  Hügel  und  Bauern- 
liäuser;  es  ist  wie  ein  Segen,  der  auf  die  ge- 
tane Arbeit  herniederleuchtet,  wie  ein  feier- 
liches Gebet  vor  der  nächtlichen  Ruhe.  Man 
kann  sich  nichts  Köstlicheres  denken  als  dies 
andere  Bild:  die  dem  Garten  zuge- 
wandte Rückseite  ihres  Hauses  im 
Abendsonnenschein;  die  Licht-  und 
Farbenspiele  auf  dieser  gelblich-weißen 
Wand  bilden  ein  Gedicht,  bei  wel- 
chem wir  mehr  empfinden  als  beim 
Betrachten  eines  großen  historischen 
oder  dramatischen   Gemäldes. 

Ihre  Naturausschnitte  weiß  die 
Künstlerin  derart  zu  beseelen,  daß  sie 
oit  aut  Staffage  verzichten  kann.  Wenn 
wir  auch  nur  einen  Ackerflecken  oder 
die  Außenseite  eines  Hauses  vor  uns 
haben,  die  Menschen  denken  wir  uns 
hinzu.  So  und  so  müssen  die  Bewoh- 
ner dieses  Hauses  aussehen,  darüber 
geben  wir  uns  genaue  Rechenschaft. 
Diese  Zusammengehörigkeit,  diese 
Harmonie  zwischen  Menschen  und 
Dingen  ist  vielleicht  die  Hauptstärke 
Frau  Duhems.  In  der  intimen  Milieu- 
schilderung spricht  sich  ihr  eigenes 
Erleben  aus,  und  ihre  innere  Bewe- 
gung teilt  sich  dem  Beschauer  mit.  Sie 
liebt  die  stillen  Stunden,  wo  unsere 
Umgebung,  und  wenn  sie  auch  noch 
so  unscheinbar  ist,  uns  bedeutsamer, 
anziehender,  poetischer  erscheint,  die 
verinnerlichten  Stimmungen ,  wo 
Worte  nur  störend  wirken  könnten. 


e^  HENRI  UND  MARIE  DUHEM  mxz 


So  liilft  sie  uns  durch  ihre  Deutungen  des 
Daseins  die  fliehenden  Glücksstrahlen  des 
Lebens  haschen  und  auch  im  Alltag  Schätze 
sammeln.  Ihre  Interieurs,  ihre  GegenHcht- 
studien  sind  wahre  Kabinettstücke. 

* 
Zu  letzterer  Gruppe  gehören  auch  die  tür 

uns  besonders  wichtigen  religiösen  Sujets. 
Man  bilde  sich  ja  nicht  ein,  Frau  Duhem 
werde  hier  ihren  Prinzipien  untreu  und  wage 
sich  an  die  Behandlung  im  großen  Stil  von 
Episoden  aus  dem  Leben  des  Heilands  oder 
der  Gottesmutter,  aus  den  heroischen  Zeiten 
der  Christenverfolgungen,  den  glorreichen 
Tagen  der  weltregierendenKirche imMittelalter. 
Nein,  auch  hier  bleibt  sie  sich  immer  gleich 
und  darf  gerade  so,  iiirer  Originalität  gemäß, 
einen  besonderen  Platz  unter  den  christlichen 
Künstlern   beanspruchen. 

Was  sie  auswählt  und  darstellt  sind  reli- 
giöse Momente  aus  dem  alltäglichen  Leben 
der  christlichen  Gemeinde,  oft  nur  eine  Person, 
ein  Antlitz,  die  aber  durch  die  Eigenart  eine 
ganze  Welt  von  Vorstellungen  und  Erinne- 
rungen in  uns  wachrufen.  Ein  Mädchenkopf 
genügt,  um  uns  das  Erhabene  der  ersten  hl. 
l^ommunion  zu  vergegenwärtigen;  ein  anderes 
Mal  wird  uns  eine  ganze  Schar  von  Kommuni- 
kanten in  ihrer  reinen  Anmut  vorgeführt. 
Auf  einem  andern  Bild  schwebt  noch  der 
Duft  der  vorübergezogenen  Prozession  in  der 
Luft.    Hier    schreitet   in    der  Abendstille  ein 


MARIE  DUHEM 


Landpfarrer,  in  sein  Brevier  vertieft,  der  Kirche 
zu;  wir  sehen  von  dieser  nur  ein  Stück  Mauer, 
und  doch  fühlen  wir  uns  von  einer  Frömmig- 
keitsatmosphäre umgeben.  Sodann  der  Be- 
such: im  Halbdunkel  eines  Vorzimmers  sitzt 
der  Pfarrer  und  harrt,  einem  Schwerkranken 
die  letzten  Stunden  durch  die  Tröstungen  der 
Religion  zu  erleichtern.  Und  wie  naturgetreu 
sind  diese  weißen  Nonnen  wiedergegeben, 
die  im  matten  Schatten  eines  Tannenwäld- 
chens, dessen  vomHerbst  braungefärbteNadeln 
den  Boden  bedecken,  sorglos  und  sittsam 
lustwandeln  (Abb.  S.  171).  Ein  andermal  sind  es 
schwarze  Schwestern,  welche  durch  den  Schnee 
zu  einem  Werk  der  Barmherzigkeit  eilen;  ein 
geringerer  Künstler  hätte  die  Gelegenheit  zu 
einem  Effekt  benutzt,  uns  mit  grellen  Tönen 
geblendet;  Frau  Duhem  aber  mildert  den  Ein- 
druck, indem  sie  die  Szene  in  die  Dämme- 
rung verlegt.  Andere  Bilder  zeigen  uns  einen 
weltabgeschiedenen,  sonnenbeschienenen  Be- 
ginenhof,  wo  man  den  Pulsschlag  des  Klosters 
zu  vernehmen  glaubt,  oder  Schulschwestern 
vor  der  Kleinkinderschule ;  und  auch  diesmal 
wieder  empfinden  wir  lebhaft,  wie  die  Räume 
das  Gepräge  der  Persönlichkeit  ihrer  Bewohner 
tragen :  so  demütig,  so  rein  und  friedlich  sind 
diese  niedrigen  Mauern,  mit  dem  Rasen  und 
den   Bäumen  davor. 

Nur  zweimal  hat  Frau  Duhem  ihren  Schau- 
platz in  frühere  Zeiten  verlegt,  ohne  sonst 
im  geringsten  ihre  menschliche  Auffassung 
der  Religion  zu  ändern.  Das  eine  Mal,  in  der 
Tour  des  Dames  (Abb.S.  174),  sehen  wir  einige 
von  der  Welt  zurückgezogene  Edelfrauen  am 
Rand  eines  Weihers  umherirren  :  ihr  Stift  wurde 
ihnen  von  Margareta  von  Flandern  entrissen 
und  mußte  einem  Befestigungsturm  Platz 
machen.  Darüber  nun,  so  erzählt  die  Legende, 
waren  die  armen  Stiftsdamen  so  untröstlich, 
daß  einige  von  ihnen  sich  nicht  dazu  ent- 
schließen konnten,  in  ihr  neugebautes  Kloster 
im  Innern  der  Stadt  Douai  umzuziehen  und 
sich  im  Augenblick  des  Abschieds  versteckten. 
Seither  wandeln  sie  abends  lautlos  in  den 
ihnen  so  liebgewordenen  Wiesen,  um  den 
Weiher,  worauf  sie  bisweilen  im  Kahn  ge- 
schaukelt hatten.  Die  Künstlerin  hat  diese 
melancholische  Legende  mit  viel  Feingefühl 
und  Stimmungsreichtum  in  Farben  übersetzt. 
Man  glaubt  sich  in  ein  Traumland  entrückt, 
und  doch  besteht  diese  Örtlichkeit  in  Wirk- 
lichkeit. 

Zum  Schluß  erwähnen  wir  einen  hl.  Fran- 
ziskus von  Assisi,  der  im  Felde  den  Vögeln  pre- 
digt (Abb.  Beil.  II).  Der  Heilige  ist  nicht  mensch- 
lich schön,  und  doch  wie  anziehend  mit  seiner 
überströmenden   Liebe  zur  belebten  und  un- 


©^  WILHELM  STEINHAUSEN-AUSSTELLUNG  mö 


'73 


lltNlU  DCHEM 


.MUNDALIGAXÜ 


belebten  Natur.  Und  mit  welcher  Herzens- 
Ireude  hat  die  Künstlerin  diese  saftigen,  vom 
Morgentau  noch  feuchten  Ackerfurchen  ihrer 
Heimat  mit  den  Hügeln  im  Hintergrund  beob- 
aciitet,  wie  kräftig  wiedergegeben ! 


Es  hat  uns  geschienen,  daß  dieses  echte 
Künstlerpaar  von  Gottes  Gnaden,  dessen  Le- 
ben und  Kunst  so  rein  ist,  ohne  die  geringste 
Mischung  von  Schlechtem,  dessen  Werke  eine 
Lust  sind  für  Auge  und  Herz  der  Zartfühlen- 
den, dessen  ganzes  Schaffen  eine  Bejahung 
des  Lebens  ist,  verdiente,  auch  im  Ausland 
bekannt  und  bewundert  zu  werden,  und 
daü  besonders  Frau  Duhems  zarte  Bilder  aus 
dem  christlichen  Leben,  die  uns  die  Religion 
menschlich  nahe  bringen  und  lieb  machen, 
auch  einem  deutschen  Herzen  Teilnahme  ein- 
zuflößen imstande  sind.  Wir  beugen  uns  ehr- 
furchtsvoll vor  der  Frau  und  begrüßen  sym- 
pathisch die  Erzeugnisse  ihrer  Kunst. 


WILHELM  STEINHAUSEN  IN  BERLIN 

Von  Dr.  Hans  Schmidkunz  (Berlin  Haiensee) 

piner  der  bedeutendsten  christlichen  Künstler  unserer 
Zeit  außerhalb  des  katholischen  Kreises  wurde  in  der 
Stadt,  deren  Nationalgalerie  ihn  noch  immer  ignoriert, 
durch  eine  Sonderausstellung  bei  1-ritz  Gurlitt  bekannt. 
Was  wir  bisher  von  ihm  auf  allgemeinen  Ausstellungen 
rühmen  konnten,  bestätigt  sich  hier.  Vordem  last  nur 
durch  ScIiwarzWciü  vertreten,  erschließt  er  sich  uns 
jetzt  auch  farbig.  Leider  reicht  diese  Kollektion  quan- 
titativ nicht  weit.  Namentlich  würden  wir  gerne  Stein- 
hausens graphisches  U'erk  und  hicmit  gerade  da.s,  was 
seine  Popularität  begründete,  beisammen  sehen.  Von 
dem  überhaupt  dürftigen  Verzeichnis  hier  ganz  im  Stich 
gelassen,  versuchen  wir  folgenden   Überblick. 

Die  für  jene  Tätigkeit  entscheidende  Lithographie  ist 
zunächst  durch  einige  im  Drucke  getönte  Blätter  und 
durch  einen  aquarellierten  Handdruck  »Der  verlorene 
Sohn«  vertreten.  Unter  den  etwa  vier  ungelönten,  an 
Liedverse  angeschlossenen  Steindrucken  zeigt  einer 
>Allein  zu  dir,  Herr<  usw.  eine  Erinnerung  an  das  näm- 
liche Thema;  ein  anderer,  der  auch  in  getönten  Hxeni- 
plaren  vorliegt  »Wie  soll  ich  dich  empfangen.-t,  schafft 
die  phantasievolle  Komposition  einer  Andachtigen  im 
Vordergrunde  gegenüber  einer  bewegten  Betergruppe 
im  Hintergründe. 


174 


©^  VVII.HHT.M  STFJNHAUSEN-AUSSTELLUNC;  «^&9 


MARI}'    DUHEM 


LA  TOUR  DES  DAMES 


Fünf  Radierungen  fügen  zur  lithographischen  Sprache 
Steinhausens,  sowie  zur  sonstigen  Ätznadelsprache  nichts 
Wesentliches  hin7.u.  In  ausscliließlicher  Linienmanier 
vermeidet  er  auch  alle  Kleinstriche  und  Punkte;  seine 
meist  längeren  Linien  stehen  ziemlich  weit  voneinander 
ab,  verdicl<en  sicli  meist  in  der  Mitte  und  verlauten  gerne 
wellenförmig.  Dies  macht  besonders  die  weibliche  Fi- 
gur in  einem  Dornbusch  »Etliches  fiel  unter  die  Dornen« 
charakteristisch.  Die  wenigen  Kreuzlagen  sind  meist 
schriig;  Umriß  und  Modellierung  viel  scharfer  als  in 
den  Gemälden. 

Einige  Bleistiftzeichnungen  (>Anbetung  der  Könige« 
u.  dgl.)  sowie  Aquarelle  und  Pastelle  (u.  a.  kleine  Land- 
schaftskizzen "Aus  meinem  Tagebuch«)  ergänzen  die 
sonstigen  Eindrücke  nicht  eben  belangvoll.  Die  Zeich- 
nungen leiten  uns  insoferne  zu  den  Gemälden,  als  sie 
mit  diesen  die  graphische  Linienmanier  verlassen  und 
ins  Schummerige  gehen. 

Überall  aber  die  Haupteigenschaft  des  Künstlers:  er 
lührt  seine  Motive  nicht  naturalistisch  aus,  sondern  mar- 
kiert sie  in  lockeren  Formen,  so  daß  er  allerorts  über  die 
unmittelbare  Darstellung  hinausweist  und  dadurch  an 
die  eigentliche  Schwierigkeit  aller  Religionskunst,  mit 
Irdischem  Überirdisches  auszusprechen,  heranreicht.  So 
macht  er  den  Beschauer  auch  zum  Teilnehmer  an  seiner 
eigenen,  wahrhaft  kompositorisch  schaffenden  Produk- 
tivkraft. 

Das  Höchste  in  naturaler  und  supranaturaler  Darstel- 
lung wird  allerdings  noch  nicht  erreicht.  Manchmal  kom- 
men seine  Figuren  und  Physiognomien  über  Kindlich- 
Primitives  und  Langweiliges  nicht  hinaus.  Das  stört 
z.  B.  bei  der  Radierung  von    den  Besessenen    und    bei 


dem  großen  Gemälde  »Auferweckung  Jairi  Töchterlein «. 
Anderswo  tritt  dieser  Unnaturalismus  zurück  hinter  die 
machtvolle  .Stimmung,  wie  sie  uns  z.  B.  in  den  Ge- 
mälden »Petrus  hört  den  Halinenschrei<  und  »Christus 
und  Nikodemus«  dort  das  Zittern  Petri  und  hier  das 
Wehen  des  Windes  beinalic  spüren   läßt. 

Das  Nikodemusthema,  dessen  Behandlung  in  l'rüherer 
Zeit  ich  bisher  vergebens  suchte,  hat  Steinhausen  z.  B. 
gegenüber  Gebh.vrdt  und  L'hde  so  gesteigert  religiös  be- 
handelt, daß  ich  einmal  bei  einer  namenlosen  Vorfüh- 
rung dieser  drei  Werke  als  Lichtbilder  mit  der  Frage 
nach  dem  religiösesten  von  ihnen  sofort  eine  überwie- 
gende Majorität  für  Steinhausen  bekam  (eine  Frage  nach 
dem  das  »deutsche  Fühlen«  am  meisten  befriedigenden 
Bilde  erzielte  eine  Bevorzugung Gebliardts,  während  Uhde 
beidemal  abfiel).  Unser  Nikodemus  führt  auch  in  des 
Meisters  überaus  lockere,  sozusagen  watteförmige  Mal- 
weise ein ;  hier  erscheint  zwischen  graubrauner  Tönung 
ein  bläulich  nebeliger  Fensterdurchblick.  Von  einem 
ähnlichen  Durchblick  hebt  sich  die  Gestalt  der  weißen 
und  blonden  Gattin  des  Künstlers  ab.  Im  »Judaskuß« 
ergreift  es  eigenartig,  daß  von  den  bläulich-kalten  »Todes«- 
farben  Christi  eine  optische  Steigerung  (und  geistige  Re- 
duzierung) zu  dem  warmen  Braun  des  Judas  und  von 
da  zu  dem  heißen  Rot  einer  l-'ackel  oder  dgl.  leitet. 

Steinhausens  warme  Innigkeit,  der  nur  eben  eine 
Gebhardtsche  Natürlichkeitskraft  fehlt,  gibt  in  Gemälden 
wie  »Tröstung«  und  der  dazu  analogen  Radierung  einen 
Ersatz  für  das,  was  bei  dem  harten  Calvinisten  Burnand 
fehlt.  Dazu  kommt  auch  seine  Lindschaftskunst.  Ihr 
Wert  liegt  wiederum  nicht  in  direkterDarstellung,sondern 
in  dem,  was  hinter  oder  über  dieser  liegt.    Während  nun 


e^  KOLNER  KUXSTBRIHF  »«sa 


175 


andere  Jie  biblischen  Figuren  deutsch  kleiden,  tut  Stein- 
hausen dies  mit  der  L'nigebung  biblischer  Szenen.  Das 
'l'riptychon  vom  barmherzigen  Samariter  führt  uns  in 
deutsche  Landschaftsidylle;  und  wie  uns  die  Samariterin 
am  Brunnen  an  einen  vertrauten  Waldesrand  und  Wiesen- 
hang  bringt,  so  ist  es  uns  vor  mehreren  bloßen  Land- 
sclial'ten  so,  als  müßte  auf  ihnen  eine  biblische  Szene  sicht- 
bar werden.  So  beim  Morgen  im  Scliwarzwaldtal;  so  bei 
der  Xordseedüne  auf  Sylt;  sie  erscheint  wie  eine  Studie 
zu  >Moses  und  der  brennende  Busch«,  das  eine  wahr- 
haft sprechende  Landschaft  enthalt. 

Steinhausens  Bilder  der  freien  Natur  gehen,  wie  be- 
sonders zwei  Morgenlandschaftcn  zeigen,  >gut  ausein- 
ander« —  wenigstens  dadurch,  daß  rückwärts  noch  ver- 
waschener gemalt  wird  als  vorne.  Hier  erscheint  mancli 
liebliclie  Blumenzier  markiert  und  bildet  etlichemal  ein 
Zentrum,  um  das  sich  das  übrige  wie  eine  Folie  legt. 
Häufiger  ist  es  umgekehrt:  der  Vordergrund  geht  wie 
dienend  auseinander  und  konzentriert  unser  Interesse  nacli 
rückwärts.  Ein  hübscher  Durchblick  weist  beim  i- Birken- 
wald im  Frühling«  durch  gelbliches  Grün  hindurch  auf 
ein  Tiefgrün.  Ufer  und  See  sind  auf  Bildern  wie  >Um-  ■ 
blümter  Weiher«  und  «Uglaiseei  gut  ineinandergearbeitet. 

Viele  l.andschaftsbilder  zeigen  eigenartige  rundliche 
L'bereinanderschichtungen.  Von  dem  konkaven  \'order- 
grund  eines  Nordseestrandes  gelit  es  hinauf  zum  Meere, 
dann  zum  hellgelben  Himmel,  endlich  zur  grauen  Wolken- 
schicht. Die  Bodenseeinsel  leitet  vom  See  zum  Ufer- 
hügel, zum  Blauhimmel,  zur  Wolkenschicht;  Ährenfeld 
bei  untergehender  Sonne  wölbt  ebenso  den  Weg,  das 
Getreide,  zwei  Wolkenschichten  und  dazwischen  den 
gelblichen  Himmel  übereinander.  —  Die  Schwarzwald- 


tannen zeigen  sozusagen  Steinhausens  Aufweichung  des 
Naturbildes,  als  Gegensatz  etwa  gegen  K.  Heiders  Spitz- 
linien. 

Neben  einigen  belanglosen  »absoluten«  Porträts  lassen 
andere  wieder  das  Drüberhinaus  fühlen,  ohne  doch  den 
Bildnissinn  zu  verlieren.  Von  zwei  Selbstporlräts  in- 
teressiert namentlich  das  mit  dem  Bodensee  durch  die 
Farbenwärme  der  Figur  vor  der  Kälte  des  Blau  und  Grau. 


Wir  freuen  uns  lebhaft  eines  solchen  ganz  eigentlicher. 
Nationalbesitzes  und  wünschen  ebenso  lebhaft,  daß  keine 
cliquenliafte  Überbewunderung  aus  dem  Künstler  etwas 
mache,  das  er  nicht  ist,  oder  gar  in  die  Schlichtheit 
störend  eingreife,  die  so  anmutend  aus  seinen  Schöp- 
fungen spricht. 


KOLNER  KUNSTBRIEF 


z 


unäclist  eine  interessante  Mitteilung  aus  der  alten 
Kölner  Kunst:  der  Klarenaltar  im  Dome,  der  bisher 
als  ein  Werk  des  Meister  Wilhelm  galt,  außerordentlicli 
oft  und  intensiv  angestaunt  ward  als  das  bedeutendste 
und  erste  Erzeugnis  eines  neuen,  malerischen  Stiles  in 
der  alten  Kölner  Schule,  ist,  wie  sich  in  den  letzten 
Woclien  herausgestellt,  vollständig  übermalt,  und  unsere 
bisherige  Bewunderung  galt  einem  Machwerke  des  1 9.  Jahr- 
hunderts. Und  was  sich  unter  dieser  Schale  allmählich 
enthüllt,  schließt  sich  stilistisch  so  schön  an  die  voraul- 
gehenden  Epochen  an,  die  uns  in  den  .Malereien  der 
Chorschranken  und  den  Wandgemälden  aus  St.  Andreas 
ihre   charakteristischen  Werke   hinterließ,    daß   die  Ent- 


iiLSKi  iirin.,\i 


HI^IMKEHR  [>KK  HKRDU 


176 


e^  KÖLNER  KUNSTBRIEF  J^JS 


Wicklung  nicht  einheitlicher  und  geschlossener  sein  kann. 
Hinmal  mißtrauisch  geworden,  prüfte  man  nun  mit  be- 
sonders kritischem  Blick  auch  die  anderen  Werke,  die 
man  bisher  dem  Meister  Wilhelm  zugeschrieben.  Die 
Madonna  mit  der  Wickenblüte,  eines  der  populärsten 
Bilder  des  Wallraf-RichartzMuseums,  sollte  am  wenigsten 
dieser  Kritik  standhalten.  Noch  wogt  der  Streit  der 
Fachgelehrten,  der  leider,  hier  und  da  mit  persönlichen 
Noten  durchsetzt,  allzusehr  in  die  Tagespresse  und  in 
die  Öfi'entlichkeit  getragen  wurde,  hin  und  her.  Die 
einen  erblicken  in  dem  Bilde  ein  Werk  des  1 9.  Jahrhunderts, 
die  andern  —  und  deren  Ansicht  wird  sich  wohl  als 
die  richtige  bestätigen  —  geben  nur  eine  Übermalung 
zu.  Es  verlautet,  daß  demnächst  in  Köln  die  sämtlichen 
Werke  des  Künstlers,  den  wir  bisher  mit  Meister  Wilhelm 
zu  benennen  pflegten,  zu  einer  kurzen  Ausstellung  ver- 
einigt werden  sollen.  Dann  ist  der  Forschung  Gelegenheit 
gegeben,  das  nun  erschütterte  Fundament  der  alten  Kölner 
Malerschule  neu  und  hoffentlich  fester  zu  legen. 

Wie  alljährlich,  so  waren  auch  in  dieser  Wintersaison 
die  Ausstellung  des  Künstlerbundes  Stil,  der  nur  noch 
sieben  Mitglieder  zählt,  und  die  anschließende  Ausstel- 
lung der  Vereinigung  Kölner  Künstler  die  beiden  Haupt- 
ereignisse. Die  erstgenannte  Veranstaltung  ist  schon 
darum  stets  von  Interesse,  weil  sie  die  Architektur  in 
reichem  Maße  zu  Worte  kommen  läßt.  Von  den  in 
diesem  Jahre  gezeigten  Entwürfen  standen  in  erster  Linie 
die  Arbeiten  des  Franz  Brantzkv,  wuchtig,  einfach 
und  groß.  Als  Hauptwerk  zu  nennen:  das  Tonmodell 
zu  einer  Kirchenanlage  für  Velbert  im  bergischen  Lande, 
von  künstlerischem  Werte  durch  die  kontrastreiche,  har- 
monische und  malerische  Gruppierung  der  Massen  und 
an  zweiter  Stelle  das  Erweiterungsprojekt  des  Kunst- 
gewerbemuseums zu  Köln.  Gegenüber  dem  jetzigen  Bau, 
der  ebenfalls  von  Brantzky,  stellt  diese  Erweiterung 
durch  ihre  Vereinfachung  einen  bedeutenden  Fortschritt 
dar.  Zu  einer  eigenen,  künstlerischen  Sprache  hat  sich 
auch  allmählich  der  Architekt  Paul  Bachmann  durch- 
gerungen. Der  Rathausentwurf  von  1905  zeigt  noch 
ganz  die  alte  Wiener  Schule.  Wie  viel  individueller 
sind  dagegen  die  neuesten  Werke  in  ilirer  glücklichen 
Verbindung  der  Flächen  und  Massen,  ihrer  großen,  ge- 
schlossenen Silhouette!  Der  dritte  Architekt  des  Bundes, 
R.  Moritz,  hält  sich  in  den  ausgestellten  Werken  auf 
der  alten,  großen,  künstlerischen  Höhe. 

Schwebt  den  Architekten  des  Vereins  immerhin  ein 


gemeinsames  Ziel  vor  Augen,  so  sind  dagegen  die  bei- 
den Plastiker  grundverschiedene  Naturen.  Grasegger, 
eine  durchaus  gesunde  Natur,  voll  überschäumender 
Kraft  und  mit  echtem  Stilgefühl,  wenn  auch  nicht  immer 
sehr  originell.  Das  Relief  des  drachentötenden  Georg 
ist  gut  gelungen  als  Werk  der  Tektonik.  Doch  eine 
weit  persönlichere  Auffassung  verrät  der  farbige  Mar- 
morkopf desselben  Heiligen,  der  in  seiner  edlen  Kraft 
inmitten  der  vielfacli  allzuschwächlichen,  modernen  christ- 
lichen Kunst  von  sehr  wohltuender  Wirkung  ist.  Außer 
dem  fleißigen  und  naturalistischen  Märtyrerkopf  seien 
besonders  die  beiden  Marmorbüsten  lobend  erwähnt. 
Warum  Grasegger  die  schon  früher  ausgestellten  Werke 
wieder  zeigt,  so  z.  B.  die  •  Paradiesesfrucht«  und  den 
»Dämonenkampf«  ist  nicht  recht  verständlich. 

Neben  Grasegger  erscheint  Moest  ruhiger  und  vor- 
nehmer. Sein  Jünglingsakt  ist  ungesucht  in  der  Pose,  schön 
und  geschlossen  in  der  Silhouette,  wohlgelungen  in  der 
Vereinfachung  und  der  flächigen  Behandlung,  und  end- 
lich durchaus  klar  und  verstanden  in  der  Struktur  des 
Körpers.  Die  ernste  und  schöne  Grabfigur  einer  Trauern- 
den war  bereits  in  kleinerem  Maßstäbe  auf  der  Aus- 
stellung christlicher  Kunst  zu  Aaclien  1907  zu  sehen. 
Moests  drittes  Werk,  »Parricidat,  aus  einem  Löwe-Zyklus, 
ist  reizvoll  durch  die  sorgfältige  Durcharbeitung  des 
Kopfes  und  der  feinen  Hände,  beide  aus  Elfenbein,  in 
Verbindung  mit  der  großzügig  behandelten,  braunen  Kutte. 

Von  den  Malern  der  Vereinigung  hat  Seuffert  die 
Kartons  zu  den  inzwischen  vollendeten  Wandgemälden 
im  Foyer  des  Stadttheaters  zu  Barmen  ausgestellt  (»Marc 
Anton  an  der  Leiche  Cäsars«  und  »Sommernachtstraum«), 
kompositionell  durchaus  nicht  einwandfrei.  Weit  höher 
steht  der  Künstler  in  den  zahlreichen  Studien  mit  ihrer 
scharf  und  sicher  festgehaltenen  Charakteristik,  ihrer 
flotten,  malerischen  Pinselführung. 

Schulers  Intarsiabild  »Lustig  Blut«  war  wohl  mehr 
technisch  interessant  als  Künstelei,  nicht  als  Kunst.  Das 
dekorative  Gemälde  der  »Terpsichore«  hätte  etwas  be- 
scheidener sein  dürfen. 

Im  allgemeinen  zeigte  sich  der  »Stil«  auf  dem  Niveau 
des  Vorjahres  und  bedeutende  Fortschritte  hatte  wohl 
keines  der  Mitglieder  aufzuweisen.  Günstiger  stellte  sich 
in  dieser  Beziehung  die  Ausstellung  der  Vereinigung 
Kölner  Künstler  dar,  über  die  schon  an  anderer  Stelle 
berichtet  wurde  (vgl.  S.  156). 

Dr.  H.  Reincrs 


FR.  MAX  SCHMALZL  C.  Ss.   K. 
uog  Jer  b.iycrischen    Karelle  in  S.  Gic 


christliche  Kunst,  V.  Jhrg.,  M.  S 


Henri  Duhem 
Der  SSmann  bei 
Tagesanbruch  o 


ö^  DIE  MINIATURrA'  Dl-;k  l-XUI.TirrROI.I.UN  »^a 


■77 


CHRISTUS  AUF  DEM  THRONE.     Abb. 


DIE  MINIATUREN  DER  EXULTET- 

ROLLEN 

IHR]-:  KUNSTGESCHICHTLICHR 

BEDEUTUNG 

Von    Hl-D.V  KLi:iXSCHMIDT  O.  I-.  M.  in    Harreveld, 

Holland 

Mit  8  Abbildungen  im  Text 

Vor  längerer  Zeit  durfte  ich  in  diesen  i^lättern 
die  Aufmerivsamkeit  weiterer  Kreise  hin- 
lenken auf  das  frische  künstlerische  Leben, 
welches  in  den  süddeutschen  Miniaturen  des 
späten  Mittelalters  pulsiert.  Heute  möchte  ich 
gleichfalls  von  diesen  Dornröschen  unter  den 
Kunstgebilden  reden  und  zwar  über  eine  eng 
begrenzte,  bei  uns  bisher  wenig  beachtete 
Gruppe,  es  sind  die  Miniaturen  der  soge- 
nannten Exultetrollen.  Allerdings  hat 
bereits  Fr.  X.  Kraus  über  sie  einige  Angaben 
gemacht, ')  und  es  zugleich  beklagt,  daß  fast 
das  ganze  Material  noch  unpubliziert  sei,  wobei 
er  freilich  die  tüchtige  Studie  des  so  früh  heim- 
gegangenen  Adalbert  Ebner  über  diesen  Gegen- 
stand übersehen  hatte. ^i  Indes  auch  Ebner 
kannte  die  erhaltenen  Rollen  doch  nur  zum 
geringsten  Teil  aus  eigener  Anschauung.  Ich 
widmete  denselben  auf  einer  Studienreise  im 
südlichen  Italien  eine  besondere  Aufmerksam- 
keit, da  sie  mein  Interesse  bereits  seit  Jahren 
erregt  hatten.  Aber  erst  die  wertvolle  Publikation 
Dom  Latils3)  und  besonders  die  Forschungen 

'i  Geschiclne  der  christlichen  Kunst  11.   i.   55   (T. 
')  Kirchenmusikalisches  Jahrbuch  Vlll  (1895),  73 — 85. 
*)  Lesminiaturesdes  rouleauxd'Hxultet,  Monte  ('assino 
1899 — 1901.  Es  sind  teilweise  zum  erstenmale  und  farbig 


des  trefflichen  Kenners  süditalienischer  Kunst 
E.  Bertaux  4)  gestatten  uns  einen  völligen 
Einblick  in  den  Wert  und  Unwert  dieser 
Miniaturen,  die  auch  für  die  Geschichte  der 
nordischen  Malerei  eine  größere  Bedeutung 
haben,  als  man   bisher  annahm. 

Unter  Exultetrolle  versteht  man  einen  langen 
Pergamentstreifen,  auf  welchem  der  Text  der 
von  einem  Diakon  am  Karsanistag- Morgen 
feierlich  vorgetragenen  Lobpreisung  Gottes 
geschrieben  steht.  5)  Da  dieser  Hymnus,  dessen 
kirchliche  Bezeichnung  Praeconium  Paschale 
ist,  mit  den  Worten  anhebt,  Exultet  iam 
angelica  <,  so  benennt  man  ihn  gewöhnlich  mit 
dem  Anfangsworte.  Derartige  Rollen  (Rotein 
von  Rotulus)  sind  allerdings  heute  nicht  mehr 
im  Gebrauch,  aber  es  hat  sich  eine  größere 
Anzahl  aus  der  Zeit  von  1000  — 1300  in  Süd- 
italien erhalten,  welche  fast  die  einzigen  Denk- 
mäler für  die  Geschichte  der  Miniaturmalerei 
dieses  Landes  in  dem  angegebenen  Zeitraum 
bilden.  Der  Hauptinhalt  des  Hymnus  ist  näm- 
lich durch  Miniaturen  veranschaulicht,  die  teils 
zur  Illustration  des  Textes  dienten,  teils  zur 
Belehrung  desVolkes,  das  dieselben  betrachtete, 
wenn  der  Diakon,  auf  dem  Anibon  stehend, 
während  des  Gesanges  den  Pergamentstreifen 
abrollte  und   über  die  Brüstung  herabhäni^en 


folgende  Hollen  publiziert :  i .  die  Rolle  von  Monte  Cassino, 
2.  Capua,  3.  4.  5.  von  Gaeta,  6.  von  Fondi,  7.  von  Mirabella 
I-clano,  8.  ein  Fragment  unbekannter  Herkunft. 

4)  L  art  dans rit.ilie  nieridion.ile  1  (Paris  1 90.|>,  216  —  2.10. 

5)  Über  Alter  und  Ursprung  dieses  Ritus  vergl.  meine 
Abhandlung  in  der  Linzer  theologischen  Q.u.irtalsLhrift 
1909,  2.  II. 


Die  c)iri«tUch«  Kitnitt 


I"S 


O^  DIE  MINIATUREN  DER  EXULTETROLLEN  >^a 


EINE  seil  \K   E\UK 


ließ.  Dali  die  Miniaturen  vorzugsweise  einen 
lehriiaften  Zweck  hatten,  bezeugt  ihre  Stellung, 
sie  stehen  nämlich  in  Bezug  auf  die  Schrift 
verkehrt,  auf  dem  Kopf,  dem  Volke  aber  er- 
schienen sie  auf  dem  herabhängenden  Perga- 
mentstreifen in   richtiger  Stellung. 

Erhalten  haben  sich  die  Exultetrollen  fast 
ausschließlich  in  den  Sakristeien  und  Archiven 
Süditaliens.  Am  vollständigsten  hat  sie  jetzt 
Bertaux  zusammengestellt.  Während  Lan- 
glois,  der  zuerst  das  Exultet  Casanatense  publi- 
zierte, nur  5  Exemplare  kannte.  Kraus  9, Ebner  12, 
sind  jetzt  bereits  20  ans  Licht  gezogen  worden, 
einschließlich  der  Fragmente  und  Kopien.  Da- 
von befinden  sich  je  eines  zu  Capua,  Säle  rn  0,^1 
Eclano  Mirabella7)  (bei  Benevent),  Monte 
Cassino  (aus  Sorrent),  London  (aus  Monte 
Cassino), ^)  Paris  (aus  Fondi)9)  je  zwei  zu 
Bari  ^°)  und  Neapel  (Kopien),  je  drei  zu  Gaeta 
und  Pisa,")   vier   zu  Rom   (Bibliothek    Bar- 

^)  Jetzt  größtenteils  publiziert  von  A.  Venturi,  Storia 
dell'arte  italiana  III  (Milano  1904),  7501!.;  ebendaselbst 
auch  Proben  aus  den  Rollen  zu  Gaeta  und  Capua.  Das 
Fragment  S  bei  Latil  bezeichnet  Venturi  als  von  San  Lorenzo 
del  Piceno  herrührend,  ob  mit  Recht,  ist  mir  unbekannt. 

7)  Auf  die  Rolle  lenlite  bereits  1829  R.  Guarini  die 
Aufmerksamlicit,  vergl.  .\tti  dell  .Academia  Pontoniana 
(Naples  1832),  75  s. 

^)  Add.  Ms.   30337. 

9)  Nouv.  Acq  lat.  710,  sie  stammt  aus  dem  St.  Petrus- 
kloster zu  Fondi  bei  Gaeta. 

'°)  Von  diesen  beiden  Rollen  kommt  nur  eine  in 
Betracht,  am  besten  publiziert  von  Nitti  di  \'ito,  in: 
Codice  diplomatico  Barese  (Bari  1897)  205,  mitChromo; 
über  die  Bareser  und  Salerner  Rolle  handelt  gleichzeitig 
Schlumberger  in:  Comptes  rendues  des  seances  de 
l'Acadeniie  des  Inscriptions  etc.   1897,  XXX,  96  ss. 

")  Schon  erwähnt  von  Förster,  Geschichte  der  italie- 
nischen Kunst.  Schnaase,  Gesch.  d.  bild.  Künste  IV,  696'. 


berini ,  '2)  Casanatense  ,  '3) 
Vatikan  [aus  Benevent  '4) 
und  Monte  Cassino  '5)].  Un- 
ter ihnen  nimmt  die  Rolle 
zu  Bari  aus  der  Zeit  Kaiser 
Basilius  IL  und  Konstan- 
tin IX.  (gest.  1028)  sowohl 
textlichwie  künstlerisch  eine 
Sonderstellung  ein. 

Die  Größe  der  Rollen 
wechselt.  Ihre  Breite  beträgt 
durchschnittlich  ungefähr 
20  —  30  cm,  die  Rolle  zu 
Salerno  mil.u  47  cm.  Ihre 
Länge  ist  ebenfalls  verschie- 
den, die  Rolle  zu  Capua  ist 
3  111  24  cm,  die  zu  Salerno 
S  m  28  cm  lang.  Ebenso 
groß  ist  der  Unterschied  in 
der  Anzahl  der  Miniaturen. 
Während  die  Rolle  zu  Capua 
nur  mit  vier  kleinen  Bildern 
\erziert  ist,  zählt  der  Rotel  zu  Salerno  deren 
19,  im  allgemeinen  sind  die  jüngeren  Hand- 
schriften am  reichsten  ausgestattet. 

Wenn  ich  im  folgenden  zunächst  eine 
Beschreibung  der  Illustrationen  gebe, 
so  kann  es  sich  natürlich  nur  um  einen  all- 
gemeinen Überblick  handeln,  der  die  Unter- 
schiede unter  den  einzelnen  Rollen  nicht  immer 
berücksichtigt.  Da  die  Miniaturen  nur  eine 
Darstellung  der  wichtigsten  Gedanken  des 
Textes  sind,  schicke  ich  denselben  jedesmal 
teilweise  in  freier  Übersetzung  voraus.  Unsere 
Illustrationen  bringen  die  Miniaturen  der  Lon- 

Eine  Miniatur  publiziert  von  Rohaultde  Fleurv,  La 
Messe  IIl  iParis   1883),  pl.   195.  1  82. 

'-')  Besprochen  und  ungenügend  publiziert  mit  einer 
Untersuchung  über  den  Ursprung  des  Exultet  von  Sante 
Pieralesi,  II  praeconio  pasquale  del  codice  Barberiniano, 
Roma  1883. 

'3)  E  Langlois,  Le  Rouleau  d'Exultet  de  la  Bibliothe- 
que  Casanatense  in :  Melanges  de  lEcole  de  Rome  VI 
(1886),  466  mit  zwei  Tafeln.  —  Diese  Rolle  ist  unvoll- 
ständig. Die  zweite  Hälfte  befand  sicli  früher  in  der 
Benediktinerabtei  St.  Blasien  (Schwarzwald)  und  wurde 
von  Abt  Gerbert  publiziert:  De  Caniu  et  Musica  sacra, 
J77),  11  pl.  13,  seit  der  .Aufhebung  der  Abtei  gilt  sie  als 
verschollen.  Vergl.  K  raus,  Kunstdenkmaler  Badens  111 
(1892),  94.  Einige  Miniaturen  bei  Rohault  de  Fleurv 
1.  c.  pl.   195  s.  ^ 

'4)  Diese  Rolle  befand  sich  früher  im  Besitz  des  Kunst- 
historikers Serou.x  d'Agincourt,  der  sie  teilweise  publizierte 
in  seiner  Histoire  de  lArt,  Peintres  pl.  53,  wodurch  sie 
frühzeitig  weitern  Kreisen  bekannt  wurde.  Proben  aus 
dieser  und  der  Casanatenser  Rolle  auch  bei  Wilpert, 
Un  Capitolo  di  storia  del  vestiario,  Roma  1899,  Si.).79.  85. 

Sie  wurde  geschrieben  für  das  Frauenkloster  St.  Petrus 
zu  Benevent  unter  den  Herzogen  Pandolf  und  Landolf  um 
1040.  Diese  Rolle  ist  gemeint,  wenn  im  folgenden  von 
der  »Vatikanischen«   Rolle  die  Rede  ist. 

'5)  Vat.  lat.  1784,  aus  Monte  Cassino,  erst  durch 
Bertaux  bekannt  gemacht,  1.  c.  225.  Probe  Taf.  XII.  2. 


5!^  DIE  MINIATUREN   DER  EXULTETROLLEN  8^ö 


179 


doner  (Cassinenser)  Rolle  zur  Anschauung, 
die  eigens  für  diesen  Aufsatz  photographisch 
aufgenommen  wurden  und  dieselben  zum 
erstenmale  annährend  vollständig  wieder- 
geben.'^) 

Gewissermaßen  als  Überschrift  oder  Thema 
stellen  die  Rollen  von  Bari,  Pisa(3.)  und  London 
den  Heiland  dar,  wie  er  auf  dem  Regenbogen 
oder  auf  einem  Throne  sitzt,  adoriert  von  zwei 
Engeln  (Abb.  i).  Es  entspricht  diese  Miniatur 
dem  Rufe  des  Diakons  »Lumen  Christi ;,  den 
er  nach  der  Feuerweihe  beim  Eintritt  in  die 
Kirche  dreimal  erschallen  läßt;  auf  der  Lon- 
doner Rolle  ist  dieser  Ruf  unter  unserer  Ab- 
bildung dreimal  verzeichnet.  Der  Heiland  er- 
hebt feierlich  die  Rechte,  als  ob  er  den  Diakon 
vor  Absingung  des  Exultet  nach  griechischer 
Weise  segnen  wolle.  Die  beiden  Engel  mit 
den  mächtigen  Flügeln  sind  vortrefl'lich  ge- 
zeichnete Gestalten.  Ihre  griechische  Abkunft 
steht  ihnen  auf  der  Stirn  geschrieben. 

»Autjauchze  die  englische  Heerschar 
des  Himmels,  aufjauchzen  die  göttlichen  Ge- 
heimnisse und  ob  solchen  Königs  Sieg  ertöne 
die  Drommete  des  Heiles,  i  Diesen  Drommeten- 
stoß veranschaulicht  der  Künstler  durch  eine 
gehäufte  Schar  himmlischer  Geister,  über 
deren  Häuptern  vielfach  ein  oder  zwei  Engel 
schweben,  die  in  ein  mächtiges  Eltenbeinhorn 
stoßen.  Die  Rolle  von  Bari  zeigt  die  blasenden 
Engel  über  dem  Tetramorph,  der  gebildet  wird 
durch  einen  Cherub,  auf  dessen  Haupte  ein 
nimbierter  Adler  sitzt,  durch  ein  Lamm  und 
ein  Rind  in  kleinster  Gestalt,  es  ist  wohl  ein 
Bild  für  »die  göttlichen  Geheimnisse«  des 
Textes.  In  der  Londoner  Rolle  (Abb.  2)  treten 
aus  der  Engelschar  vier  stark  hervor,  von 
denen  die  beiden  äußersten 
und  die  beiden  mittleren 
in  gleicher  Weise  gekleidet 
sind,  und  zwar  tragen  sie 
die  byzantinische  Prachtge- 
wandung, die  mittleren  über 
der  reichen  Dalmatik  das 
Paludamentum,  die  äußeren 
das  Lorum,  außerdem  haben 
sie  den  Heroldstab.  Die  an- 
dern Rollen  aus  Monte  Cas 
sino  zeigen  an  dieser  Stelle 
die  gleiche  Miniatur. 

>!l:s  freue  sich  die  Erde 
und  von  des  ewigen  Königs 

''')  Außer  zwei  Initialen  enthalt 
sie  noch  eine  Kreuzigung,  .Vbsticg 
zur  Hölle,  Diakon  aut  dem  .\mbon 
(wie  unsere  Abb.  .( )  und  vor 
demselben  .Maria  mit  Kind  (sehr 
defekt). 


Lichtglanz  bestrahlt  fühle  sie  sich  auf  dem 
ganzen  Erdkreis  befreit  von  der  Finsternis.« 
Bei  der  Illustration  dieser  Worte  sieht  man 
in  den  meisten  Rollen  das  Fortleben  der  Antike 
in  der  karolingisch-ottonischen  Malerei.  »Die 
Mutter  Erde  :  erscheint  als  ein  bis  auf  die 
Hütten  entblößtes  Weib  mit  stark  entwickelten 
Brüsten,  aus  denen  zwei  Tiere  (Löwe,  Rind, 
Hirsch,  Schlange)  das  Leben  saugen  (Abb.  3). 
Sie  sitzt  mit  ausgebreiteten  Armen  in  einer 
Landschaft,  die  durch  drei  Bäume  und  zahl- 
reiche Sträucher  angedeutet  ist,  auf  einer  nied- 
rigen  Erhöhung. 

In  dem  Rotel  aus  Benevent  ist  ihr  Haupt 
umgeben  von  einem  Strahlenglanze,  während 
sie  mit  der  Linken  einen  nackten  Knaben  trägt, 
dessen  Bedeutung  der  Maler  durch  die  Bei- 
schrift, »Caligo«  (Finsternis)  selbst  erklärt  hat, 
in  der  Rechten  hält  sie  ein  Füllhorn,  aus  dem 
Blumen  hervorsprossen.  Über  ihrem  Haupte 
zeigt  sich  des  »ewigen  Königs  Strahlenglanz« 
in  Gestalt  einer  von  einem  Nimbus  umgebenen 
Hand,  dieses  vielgebrauchten  Svmholes  Gottes, 
der  hier  in  voller  Gestalt  innerhalb  eines  Kreises 
nochmals  erscheint.  \'or  soviel  Licht  entflieht 
die  Caligo.  Gänzlich  verschieden  ist  die  Mater 
Tellus  in  dem  Rotel  von  Bari,  wo  sie  als  fein- 
gekleidete Dame  zwischen  mehreren  Bäumen 
und  Tieren  auftritt;  in  einer  Rolle  zu  Pisa  (2.) 
ist  an  Stelle  der  Frau  eine  Ernteszene  getreten. 

»Es  freue  sich  die  Mutter  Kirche,  geziert 
mit  so  vieler  Lichter  Glanz  und  von  des  Volkes, 
mächtigem  Rufe  erschalle  wider  dieses  Gottes- 
haus«. Der  irdisciien  Mater  Tellus  folgt  die 
geistige  Mater  Ecclesia.  In  leicht  verständ- 
licher Ausdeutung  stellen  vier  Handschriften 
sie  als  reichverzierte,   gekrönte  Frau  dar,   drei 


IHK  Ml'  1  I  i;k  i:riii 


i8() 


22^  DIE  MINIATUREN   DER  EXULTETROLLEX  m^ 


DIAKON  AUF  DEM   AMBON.     Abb.    i 

davon  bi'inyen  sie  sofort  in  Verbindung  mit  dem 
»von  dem  Ruten  der  Gläubigen  ertönenden 
Gotteshause.«  Auf  der  Beneventer  Rolle  sitzt 
sie,  »geziert  mit  so  vieler  Lichter  Glanz«  in 
Form  von  sieben  Kerzen,  auf  dem  Dache  einer 
romanischen  Basilika,  in  dem  Rotel  Barberini 
steht  sie  innerhalb  einer  leicht  angedeuteten  drei- 
schiffigen  Kirche.  Als  ikonographische  Eigen- 
tümlichkeit ist  bemerkenswert,  daß  mehrere 
Rotein  (Salerno,  Pisa)  die  Mater  Ecclesia  durch 
einen  Bischof  in  liturgischen  Gewändern  dar- 
stellen. Fast  nie  fehlt  »des  Volkes  mächtiges 
Rufen:;  in  der  Beneventer  Handschrift  wird 
es  veranschaulicht  durch  einen  gekrönten 
Herrscher  inmitten  seiner  Untertanen,  die 
Hände  und  Haupt  zur  /Mutter  Kirche»:  empor- 
heben. 

Darum  bittet,  anwesende  Brüder,  den  all- 
barmherzigen Gott  mit  mir  Unwürdigem,  daß 
ich  unter  dem  Einflüsse  seines  göttlichen  Lichtes 
dieser  Kerze  Lobpreisung  vollenden  könne.  < 
Fast  alle  Röteln  bringen  zu  dieser  Bitte  das- 
selbe Bild:  der  Diakon  steht  auf  dem  Ambon, 
in  der  einen  Hand  hält  er  die  abgewickelte 
Rolle,  mit  der  andern  weist  er  auf  die  Kerze 
hin,  welche  ein  Kleriker  anzündet.  Zu  beiden 
Seiten  des  Ambon  stehen  Laien  und  Kleriker, 
unter  denen  auch  häufig  ein  Bischof  sichtbar 
wird  (Abb  4).  Auf  der  Londoner  Rolle  ist 
die  Kerze  reich  mit  Blumen  verziert,  sie  steht 
auf  einem   kräftigen   Leuchter. 

»Es  ist  wüidig  und  billig,  dem  allmächtit'en 


Vater  und  seinem  eingebo- 
renen Sohn  mit  Herz  und 
Mund  helltönenden  Dank 
zu  sagen,  da  er  für  uns 
Adams  Schuld  zahlte.«  Zur 
Illustration  eignete  sich  hier 
besonders  der  letzte  Ge- 
danke, der  den  Miniatoren 
zudem  sehr  geläufig  war. 
Wenigstens  acht  Hand- 
schriften bringen  das  Bild 
des  Gekreuzigten,  zu- 
meist in  selbständiger  Dar- 
stellung, teils  aber  auch  als 
Füllung  der  hier  eingeschal- 
teten reich  geschmückten 
Initiale  des  V  (ere  dignum). 
Es  werden  jetzt  im  Exultet 
weitere  Wohltaten  Gottes 
an  die  Menschheit  aufge- 
zählt, es  heißt  unter  andern! : 
»Das  ist  die  Nacht,  in  der 
Gott  unsere  Väter,  die  Kin- 
^"   '^    "  der    Israels     aus     Ägypten 

führte  und  trockenen  Fußes 
durch  das  Rote  Meer  ziehen 
ließ.«  Nicht  so  sehr  die  Rettung  der  Israeliten, 
als  vielmehr  der  Untergang  der  Äg3'pter  war 
es,  der  hier  den  Maler  zur  Darstellung  reizte. 
So  sehen  wir,  wie  Pharao  an  der  Spitze  seines 
Heeres  den  Israeliten  nacheilt,  die  bereits  das 
jenseitige  Ufer  unter  der  Führung  einer  Feuer- 
säule erreicht  haben,  oder  wie  Reiter  und  Wagen 
in  den  Fluten  des  Meeres  versinken.  Die 
Miniaturen  haben  auch  ikonographisches  Inter- 
esse ;  das  Meer  ist  in  einzelnen  Rotein  nach 
antiker  Vorstellung  als  ein  den  Rachen  öflnendes 
Seeungeheuer  dargestellt,  die  Nacht  erscheint 
als  unbekleidete  junge  Frau  (Halbfigur)  mit 
einem  sternbesäten  Schleier,  der  über  ihrem 
Haupte  in  der  Luft  flattert,  das  Land  Ägypten 
wird  kurz  durch  ein  mit  Türmen  bedecktes 
Stadttor  veranschaulicht.  Sehr  seltsam  mutet 
es  uns  an,  daß  in  der  Londoner  Rolle  (Abb.  5'^ 
eine  Frau  auf  ihren  Schultern  einen  völlig  un- 
bekleideten Mann  trägt,  der  die  Arme  in 
Orantentorm  hält.  Ob  hier  eme  symbolische 
Darstellung  vorliegt,  vermag  ich  nicht  zusagen. 
Den  Schluß  des  Zuges  bildet  ein  mächtig  aus- 
schreitender Mann,  dereine  schwere  Last  trägt. 
»Dies  ist  die  Xaclit,  in  der  Christus  die 
Fesseln  des  Todes  zerbiach,  und  siegreich 
aus  der  Unterwelt  zurückkehrte.  Fast  aus- 
nahmslos zeigen  hier  die  Rollen  dieselbe 
Miniatur:  Christus,  gehüllt  in  die  traditionelle 
Kleidung  und  die  Kreuzfahne  tragend,  ergreift 
mit  der  Rechten  den  unbekleideten  Adam  (und 
Eva)   bei   der   Hand,   um    eilig    ihre   i^efreiung 


e^  Dil-   MIXIATUREX   DHR  HXL'I.'n-TROLLliN  ^Sffl 


i8i 


aus  der  Unterwelt  zu  be- 
wirken. Eigenartig  und  aus- 
führlich ist  die  Miniatur  in 
einem  Rotel  zu  Gaeta:  Chri 
stus  erscheint  aut  dem  Bilde 
nicht  weniger  als  dreimal, 
zunächst  wie  er  die  Tore 
der  als  palastartigesGebäude 
dargestellten  \'orhölle  zer- 
bricht, sodann  wie  er  den 
Fürsten  der  Finsternis  als 
ein  tierartiges  Gebilde  mit 
der  Hand  ergreift  und  end- 
lich wie  er  den  bekleideten 
Seelen  ihre  Erlösung  ver- 
kündet. 

O  sicherlich  notwen- 
dige Schuld  Adams,  welche 
durch  Christi  Tod  gesühnt 
wurde.  O  selige  Nacht,  in 
der  Christus  von  den  Toten 
auferstanden  ist.;  Beide 
Gedanken  fanden  einen 
leicht  verständlichen  bild- 
lichen Ausdruck,  der  erste 
durch  Darstellung  der  gänz- 
lich unbekleideten  Stammeltern  neben  dem 
verhängnisvollen  Baume,  der  zweite  durch  das 
Noli  nie  tangere,  indem  Christus  zwischen 
mehreren  Bäumen  der  ihm  zuFüfkn  liegenden 
Maria  Magdalena  erscheint,  oder  durch  das 
leere  Grab,  neben  welchem  die  drei  Marien 
stehen.  In  der  Londoner  Rolle  sind  beide 
Gedanken  durch  eine  Miniatur  vertreten.  Das 
erste  Bild  bietet  einige  ikonographisch  be- 
merkenswerte Einzelheiten  (Abb.  6).  Die 
Stammeltern ,  derbe,  kräftige  Gestalten  und 
gänzlich  unbekleidet,  stehen  zwischen  zwei 
Bäumen.  Eva  hat  bereits  von  der  verbotenen 
Frucht  genommen,  und  reicht  sie  dem  Adam 
unmittelbar  in  den  Mund.  Er  ist  damit  ein- 
verstanden, denn  er  stützt  mit  der  Rechten 
ihren  Arm.  Adam  ist  als  ein  älterer  Mann 
mit  breiter  Gesichtsbildung  aufgefal.it ,  fast 
scheint  es,  als  ob  er  eine  Glatze  hätte.  Eva 
hat  sich  ganz  in  die  CJewalt  der  Schlange  be- 
geben, \on  der  sie  an  den  Beinen  umschlungen 
ist,  mit  derRechten  hat  sie  soeben  einen  zweiten 
.\]ifel  von  dem  Baume  genominen.  Die  zweite 
.Mmiatur  (Abb.  7)  zu  den  eben  angeführten 
E.xuitetworten  zeigt,  wie  Maria  Magdalena  ge- 
rade im  Begriffe  ist,  vor  dem  Auferstandenen 
niederzusinken,  und  er  ihr  abwehrend  das 
Xoii  me  tangere  zuruft.  Die  Bewegung 
ihres  Körpers,  ihre  1  Filtung,  ihr  Blick  sind  dem 
Maler  vorzüglich  gelungen;  weniger  gut  ist 
Christus,  sein  Oberkörper  ist  stark  verzeichnet, 
er  segnet  auch  hier  nach   Lrriechischer  Weise. 


.juu»njo>  jÄi>:jjuji>  iun4cti>3o?3{ui  ^nk  -^  iCiyui  .lm.'ll"|  \j 


DURCHZUG   I)M;    iMiAl  I.I  1  1A'   IJIK(.;I1    HAS 


)  Zur  Danksagung  alst)  für  diese  Xacht  nimm 
entgegen,  heiliger  \'ater,  das  Abendopter  dieses 
Rauchwerkes,  welches  die  Kirche  Dir  in  feier- 
licher Opferung  dieser  Kerze  durch  die  Hände 
ihrer  Diener  von  der  Bienen  Arbeit  darbringt,  s 
Wiederum  sind  es  zwei  Miniaturen,  welche 
diesen  Abschnitt  illustrieren.  Zunächst  sehen 
wir  abermals  den  Diakon  auf  dem  Ambon  mit 
der  ExultetroUe,  doch  liegt  der  Nachdruck 
diesmal  auf  einem  zweiten  Diakon,  der  neben 
der  Kerze  steht  und  sie  beräuchert  oder  sie 
anzündet,  was  nach  dem  heute  üblichen  Ritus 
der  singende  Diakon  selbst  tut,  wie  es  auch 
bereits  in  einer  von  mir  nicht  publizierten 
Miniatur  der  Londoner  Rolle  dargestellt  ist. 
Interessanter  ist  die  zweite  Miniatur,  weiche 
an  das  Wort  von  der  Bienen  Arbeit«  an- 
knüpft. Die  meisten  Rollen  enthalten  an  dieser 
Stelle  einen  Bienenstand,  die  Tierchen 
fliegen  aus-  und  ein.  In  der  Rolle  der  Bar- 
berinischen  Bibliothek  sieht  man.  wie  zwei 
Männer  in  gebückter  Haltung  beschäftigt  sind, 
einen  Schwärm  Bienen  in  einen  Sack  ein- 
zufangen,  und  wie  andere  die  Honigwaben 
entleeren.  In  unserer  Londoner  Rolle  ist 
links  ein  Mann  mit  dieser  Arbeit  beschältigt, 
während  die  Bienen  in  der  Lut't  oder  auf  den 
Blüten  umherfliegen  (.Abb.  8).  Diese  seltsame 
Darstellung  in  einer  liturgischen  i^olle  findet 
ihre  lirklärung  in  dem  Umstände,  daß  seit  den 
ältesten  Zeiten  das  F'xultet  eine  lange  Lob- 
rede   auf   die  Arbeit    und   F'igenart  der  Biene 


©^  DIE  MINIATUREN  DER  EXULTETROLLEX  mxä 


enthielt,  >■  deren  Geschlecht  und  Un- 
versehrtheit durch  die  Erzeugung  und 
Geburt  der  Jungen  nicht  verletzt  wird, 
wodurch  sie  ein  Bild  der  unversehrten 
Gottesmutter  ist.  Deshalb  wird  Maria 
in  den  Rollen  häufig  an  dieser  Stelle 
eingefügt,  wie  ihr  der  Engel  die  Bot- 
schaft ihrer  Auserwählung  bringt,  oder 
wie  sie  ihrem  göttlichen  Kinde  das  Le- 
ben schenkt,  oder  wie  sie  mit  demselben 
auf  einem  Throne  sitzt. 

Nachdem  bei  der  abermaligen  Er- 
wähnung der  Kerze,  welche  recht  lange 
ihre  Dienste  tun  möge,  in  den  Rollen 
der  Diakon  wieder  auf  dem  Ambon 
stehend  abgebildet  ist,  werden  bei  den 
Fürbitten  für  die  geistliche  und  weit 
liehe  Obrigkeit  zum  Schluß  Kaiser, 
Papst,  Bischof,  Abt  allein  oder  um- 
geben von  Laien  bezw.  Klerikern  dargestellt. 
Bereits  geschah  der  griechischen  Kaiser  Basilius 
und  Konstantin  in  der  Rolle  zu  Bari  Erwäh- 
nung. In  der  Barberinischen  Rolle  sieht  man 
den  Papst  auf  dem  Throne,  darüber  einen 
Kaiser,  der  als  Heinrich  II.  erklärt  wird,  neben 
ihm  sitzt  ein  Graf(comes),  welcher  einen  Falken 
auf  der  Faust  hält;  in  der  Rolle  zu  Salerno 
ist  Kaiser  Friedrich  IL  dargestellt. 

Im  vorstehenden  habe  ich  nur  die  am  häufig- 
sten vorkommendenMiniaturen  genannt,  in  den 
jüngeren  Handschriften  treten  noch  einzelne 
andere  Illustrationen  des  Textes  auf.  Wie  die 
Zahl,  so  weicht  auch  der  künstlerische 
Wert  der  Miniaturen  in  den  verschiedenen 
Miniaturen  sehr  von  einander  ab,  oder  richtiger 
gesagt,  ihr  künstlerischer  Wert  ist  im  all- 
gemeinen sehr  gering.  Welch  ein  Unterschied 
zwischen  diesen  volksbelehrenden  Bildern  und 
den  Miniaturen  der  karolingisch-ottonischen 
Hofkunst  im  Norden  !  Hierdiekräftitien  Farben, 


.\D\\{   UND  EVA,      Abb. 


CHRISTUS   UND  MAGDALENA.     Abb,  7 


welche  jetzt  noch  hell  und  frisch  leuchten, 
die  sorgfältige  Zeiciinung,  die  noch  heute  ge- 
fällt, dort  hingegen  schnell  hingeworfene, 
wenig  durchgebildete  Darstellungen  in  ver- 
schwommenen matten  Farben.  Dieser  Unter- 
schied findet  allerdings  teilweise  in  dem  ver- 
schiedenen Zweck  der  Miniaturen  seine  Er- 
klärung und  Begründung.  Wozu  eine  künst- 
lerische, sorgfältige  Ausführung  dieser  Exultet- 
bilder,  die  an  erster  Stelle  für  das  Volk  zur 
Belehrung  bestimmt  waren?  Ferner  darf  man 
nicht  vergessen,  daß  die  Miniaturen  durch  das 
mehrhundertjährige  Auf-  und  Abrollen  der 
Pergamentstreifen  viel  gelitten  haben,  während 
die  Malereien  der  wertvollen  liturgischen  Pracht- 
kodices  eine  viel  sorgfältigere  Behandlung  und 
Aufbewahrung  erfahren  haben.  Eine  rühm- 
liche Ausnahme  macht  vorzüglich  die  Rolle 
zu  Bari,  die  auch  äußerlich  vorteilhaft  von  den 
anderen  absticht.  Auf  beiden  Seiten  des 
Fextes  zieht  sich  eine  reich  verzierte  Bordüre 
hin  mit  Brustbildern  von  Heiligen,  von 
denen  38  mit  Namen  genannt  sind; 
diese  Beischriften  sind  griechisch,  wäh- 
rend der  Text  des  Exultet  lateinisch  ist. 
Die  Verschiedenheit  erklärt  sich  leicht 
aus  den  politischen  Verhältnissen  der 
Stadt.  Bari  stand  damals  unter  grie- 
chischer (byzantinischer)  Herrschaft; 
griechische  Kunst  und  Kultur  war  dort 
maßgebend,  daneben  machte  sich  in 
Apulien  aber  auch  das  lateinische  Ele- 
ment innner  stärker  geltend.  Zirka 
50  Jahre  vor  Anfertigung  der  Hand- 
schrift hatten  die  Benediktiner  von 
Monte  Cassino  dort  ein  Kloster  gegrün- 
det, benediktinisch  ist  die  Schrift,  bene- 
diktinisch  auch  die  Ausstattung  der  Ini- 
tialen, benediktinisch  w  a  h  r  s  c  h  e  i  n- 


e^  Dil-   MINIATUREN   DI-R  F.XULTETROLLRN  »^ö 


i8s 


licli  überliaupt  der  Ursprung  der  Exul- 
tetrollen.  jedenh\lls  sind  die  meisten  der 
erhaltenen  Exemplare  innerhalb  der  Mauern 
oder  wenigstens  innerhalb  der  Einflulisphäre 
eines  Benediktinerklosters  entstanden.  Auf 
den  Rotein  aus  Fondi,  zu  Capua  und  Sorrent 
haben  sich  die  Mönche  selbst  dargestellt  und 
zwar  an  hervorragender  Stelle.  Durch  diesen 
Nachweis  gewinnen  die  Miniaturen  des  Exultet 
für  uns  eine  erhöhte  Bedeutung,  wie  schon 
Kraus  hervorgehoben  hat. '7)  »In  einer  Zeit 
tiefsten \'erfalles  zeugen  sie  von  dem  Bedürfnis 
der  maßgebenden  Kreise,  die  Fühlung  mit  der 
bildenden   Kunst  aufrecht  zu  erhalten.; 

Hiermit  erschöpft  sich  jedoch  ihre  Bedeu- 
tung keineswegs.  Weit  höher  stehen  sie  uns 
als  interessante  Zeugen  eines  wenig  gekannten 
Zeitabschnittes  für  den,  der  ihre  Sprache  ver- 
steht. Dem  Kenner  jener  Zeit  reden  sie  von 
den  unsäglich  trostlosen  politischen  ^'erhält- 
nissen  Italiens  vom  lo.  bis  13.  Jahrhundert, 
sie  erinnern  ihn  an  die  Kämpfe  der  lombar- 
dischen Herzoge  von  Benevent  mit  den  deut- 
schen Herrschern,  an  die  Ränke  der  griechi- 
schen Statthalter  von  Apulien ,  an  die  ver- 
wüstenden Einfälle  und  Brandschatzungen  der 
Sarazenen  in  Süditalien,  an  den  traurigen  Tiet- 
stand  der  Kunst  in  diesen  Regionen,  zugleich 
zeigen  sie  aber  auch  das  allmähliche  Aufblühen 
der  Buchmalerei  und  ihre  wechselvolle  Ge- 
schichte bis  zum  Anbruch  der  gotischen 
Periode.  Ich  beschränke  mich  hier  auf  die 
kunsthistorischen  Gesichtspunkte,  indem  ich 
in  kurzen  Worten  besonders  die  verschie- 
denen Einflüsse  hervorhebe,  unter  denen 
dieser  Aufschwung  erfolgte. 

Wenn  ich  oben  bemerkte,  der  künstlerische 
Wert  der  Exultetminiaturen  sei  sehr  gering, 
so  bedarf  dieses  Urteil  doch  einer  gewissen 
Einschränkung.  Auch  für  den  tlüchtigen  Blick 
hebt  sich  unter  den  erhaltenen  Rollen  der 
Rotel  von  Bari  durch  seine  treffliche 
Malerei  von  allen  anderen  in  selir  vor- 
teil halter  Weise  ab.  Nicht  nur  ist,  wie 
schon  gesagt,  der  Text  auf  beiden  Seiten 
durch  prächtige,  mit  Medaillonsbildern 
ausgestattete  Zierleisten  eingeralimt,  auch 
die  sichere  Zeichnung  und  besonders 
die  feine  Farbengebung  der  Miniaturen 
zeugen  von  einem  tüchtig  geschulten 
Meister,  der  nicht  weit  absteht  von  dem 
Maler  des  griechischen  .Menologiums  für 
Kaiser  Basilius  II.  Die  Miniaturen  zeigen 
eine  Feinheit  und  .\kkuratesse,  wie  sie 
damals  der  italienischen  Kunst  fremd 
war.     Es   ist    in   der  Tat  ein   Grieche. 

'')  Geschichte  der  christliclicii  Kunst  II,  1.  61. 


welcher  die  schöne  Rolle  malte.  Abgesehen 
von  der  künstlerischen  Behandlung  der  Minia- 
turen spricht  dafür  die  Auswahl  der  Heiligen 
in  den  Medaillons,  die  dem  Orient  ange- 
hören, sprechen  dafür  auch  die  griechischen 
Beischriften.  Entstanden  ist  sie  aber  in  Bari 
selbst,  nicht  etwa  aus  dem  Orient  herüber- 
gebracht, wo  man  den  Ritus  der  Osterkerzen- 
weihe  gar  nicht  kannte;  zudem  ist  der  lateinische 
Text  des  Praeconiums  in  »longobardischer« 
Schrift  geschrieben. 

Einen  sehr  verschiedenen  Charakter  haben 
die  meisten  übrigen  Rollen,  die  wir  in  drei 
Gruppen  einteilen  können.  Zur  ersten  Gruppe 
gehören  jene  Rollen,  welche  vor  Abt  Desi- 
derius  von  Monte  Cassino  entstanden 
sind,  zur  zweiten  und  dritten  jene,  die  unter 
ihm  bezw.  nach  ihm  gemalt  wurden.  Zum 
Verständnis  dieser  Einteilung  mu(i  an  den 
jedem  Kenner  mittelalterlich-italienischer  Kunst 
bekannten  Bericht  Leos  von  Ostia  erinnert 
werden,  Abt  Desiderius  habe  im  jähre  1066 
zur  Ausschmückung  der  von  ihm  erneuerten 
Klosterkirche  von  Byzanz  in  der  Mosaikmalerei 
ertahrene  Männer  kommen  lassen ,  da  die 
Mosaikkunst  in  Italien  seit  500  Jahren  un- 
bekannt geworden  sei.  '^)  Aber  nicht  nur  für 
die  musivische  Kunst  war  diese  Tat  des  kunst- 
beflissenen Abtes,  der  später  als  Viktor  III. 
den  päpstlichen  Stuhl  bestieg,  von  großem 
\'orteil ,  auch  die  Wand-  und  Buchmalerei 
profitierten  davon.  Während  die  vor  ihm 
entstandenen  Rollen,  nämlich  jene  von  Bene- 
vent, Capua  und  Gaeta  stellenweise  von  einer 
barbarischen  Roheit  zeugen,  dringt  uns  aus 
den  Cassinenser  Rollen  dieser  Zeit  etwas  wie 
heller  Sonnenschein  entgegen,  so  fein  abge- 
tönt sind  hier  die  Farben,   so  freundlich  die 


'ä)  Leo  Ost.,    Chronic.    Cass.    1.    III   c.   29.  .Migne 
175,  748  s. 


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BIENENSCHWARM.     Abb.  8 


tv^  DIH  MINIATUREN  DER  RXULTl-TROLLEN  m>3 


Bildnisse  der  dargestellten  Personen,  einige 
Miniaturen  nehmen  sich  geradezu  als  die  Arbeit 
eines  Griechen  aus.  Auch  die  Kleidung  und 
die  Verzierungsweise  zeigen  den  gelehrigen 
Schüler  eines  griechischen  Meisters.  Es  ge- 
hören zu  dieser  Gruppe  die  Rolle  im  Britischen 
Museum,  in  der  Barberinischen  Bibliothek  und 
ein  Eragment  im  Vatikan.  "')  Daß  die  Minia- 
turen dieser  Rollen  wirklich  der  Zeit  des  Desi- 
derius  angehören,  bezeugt  ihre  überraschende 
Ähnlichkeit  mit  mehreren  chronologisch  genau 
datierbaren  Handschritten,  von  denen  eine 
das   Bildnis  des  Abtes  selbst  enthalt. -°) 

Unter  seinem  Nachfolger  Oderisius  hielt 
sich  die  Blüte  der  Buchmalerei  in  dem  Berg- 
kloster nicht  auf  derselben  Höhe,  besonders 
die  Eigurenmalerei  leidet  an  großen  Mängeln, 
worunter  eine  fast  komisch  wirkende  Länge 
der  Personen  auffällt,  die  sich  schon  unter 
Desiderius  geltend  macht.  Nocli  schneller 
verblaßten  die  Traditionen  nach  dem  Tode 
des  Oderisius,  man  beschränkte  sich  auf  die 
ornamentale  Illustration  der  Bücher.  Dieser 
Rückgang  der  Miniaturenmalerei,  welcher  sich 
sowohl  in  den  Handschriften  von  Monte  Cassino 
als  auch  anderer  süditalienischer  Benediktiner- 
klöster beobachten  läßt,  zeigt  sich  auch  in 
zwei  Exultetrollen  dieser  Zeit,  in  den  Rollen 
von  Sorrent  und  Neapel.  Zeichnung  wie 
Earbengebung  sind  gleich  mangelhaft,  an  ihren 
Anfertigern  war  die  hohe  Blüte  der  Cassinenser 
Miniaturmalerei  spurlos  vorübei-gegangen.  East 
ein  Jahrhundert  später  hat  man  mit  archaisti- 
scher Tendenz  nochmals  an  die  unter  Desi- 
derius entstandenen  Arbeiten  angeknüpft  und 
auch  einigen  Erfolg  erreicht,  wie  die  Rollen 
von  Salerno  und  der  Bibliotheca  Casanatense 
(Rom)  zeigen.  Sie  verbinden  Cassinenser  und 
Beneventische  Motive  miteinander  und  er- 
scheinen nach  derselben  Vorlage  gearbeitet 
zu  sein,  sie  gehören  der  Zeit  um  1200  an. 
Noch  einen  Schritt  weiter  führt  uns  die  jüngste 
Rolle  zu  Pisa,  welche  gotische  Schrittzüge 
autweist.  Ihre  Entstehung  fällt  in  das  Ende 
des  13.  Jahrhunderts.  Sie  enthält  mehrere 
Miniaturen,  die  uns  in  keiner  anderen  Rolle 
begegnen,  z.  B.  die  Schlachtung  des  Oster- 
lammes  durch  die  Israeliten  in  Ägypten  und 
die  Bestreichung  der  Türplosten  mit  dessen 
Blute.  Wie  die  Rolle  zu  Bari,  so  nimmt  auch 
sie  eine  singulare  Stellung  ein.  Mit  den  süd- 
italienischen Rotein  zeigt  sie  keine  Verwandt- 
schaft,   sie    dürfte    einem    s^eschicktcn    toska- 


nischen  Miniaturmalei'  ihre  Illustrationen   ver- 
danken. 

Es  wurde  bereits  die  Abhängigkeit  einzelner 
Rollen  von  der  byzantinischen  Kunst  her- 
vorgehoben, ein  Hinweis  auf  gewisse  ikono- 
graphische  Eigentümlichkeiten  wird 
dieses  Verhältnis  noch  deutlicher  machen.  Da 
sind  zunächst  einige  biblische  Szenen,  welche 
den  Zusammenhang  der  Exultetminiaturen  mit 
der  byzantinischen  Malerei  erweisen.  Der 
Abstieg  Christi  zur  Vorhölle  zeigt  genau  die- 
selbe Entwicklung  des  T3'pus  hier  wie  dort 
Während  nämlicii  die  Miniatur  der  Bareser 
und  der  übrigen  Rollen  bis  ca.  1050  den  Heiland 
darstellen,  wie  er  sich  gerade  anschickt,  aus 
der  Vorhölle  zurückzukehren,  indem  er,  mit 
der  Linken  Adams  Hand  ergreitend,  mit  der 
Rechten  die  Kreuzesfahne  haltend,  sich  dem 
Lichte  zuwendet,  zeigen  ihn  die  jüngeren 
Miniaturen,  wie  er  mit  der  Kreuzesfahne  in 
der  Linken,  mächtig  ausschreitend,  zur  Vor- 
hölle herniedersteigt.  Genau  dieselbe  Ent- 
wicklung der  Szene  innerhalb  hundert  Jahren 
sehen  wir  in  der  griechischen  Mosaikmalerei: 
in  St.  Lucas  (Phocis)  haben  wir  die  Komposition 
von  Bari  und  in  Daphni  bei  Athen  die  Kom- 
position der  jüngeren   Rollen.-') 

Noch  deutlicherer  gibt  sich  diese  Verwandt- 
schaft aus  einigen  allegorischen  Sujets.  In 
der  Rolle  von  Salerno  erscheint  über  den 
Israeliten  bei  dem  Durchgange  durch  das 
Rote  Meer  eine  halbnackte  Frauensperson,  die 
mit  beiden  Händen  über  ihrem  Haupte  ein 
sternbesätes  Tuch  hält,  in  welches  der  Wind 
bläst,  22)  die  Beischrift  (Nr^-Nacht)  läßt  über 
ihre  Bedeutung  keinen  Zweifel.  Dieselbe 
Allegorie  sehen  wir  bei  der  gleichen  Szene 
in  einem  griechischen  Psalter  des  10.  Jahr- 
hunderts zu  Paris.  In  demselben  Psalter  sieht 
man  wenige  Blätter  weiter  die  >  Nacht  noch- 
mals als  stattliche  Frauensperson  mit  dem 
schwellenden  Schleier  an  der  linken  Seite  des 
Propheten  Isaias,  während  rechts  von  ihm 
die  »Morgenröte:  als  ein  Irisches,  munteres 
Knäblein  mit  der  Fackel  ein  herschreitet, ^3)  die 
ihm  in  der  Rolle  von  Benevent  und  Salerno 
entwunden  ist,  weshalb  er  hier  als,  »Caligo 
(Finsternis)  traurig  und  schwarz  ist,  also  wieder- 
um dasselbe  Bild,  nur  im  Gegensinne.  Diese 
ikonographische    Übereinstimmung    ist   oflen- 


■9)  Auch  die  Rolle  aus  Fondi  nähert  sich  dieser  Gruppe. 

=°)  Prachtvolle  Miniaturen  besonders  im  Vat.  lat.  1202. 
Probe  bei  Bertaux  pl.  VIII,  Venturi  III.  75  ^  Beissel, 
Vatik.  Miniaturen  Taf.  Vlll. 


-')  Millet,  Le  Monastilre  de  Daplini,  Paris  1899, 
pl.  XVII. 

'=)  Venturi  1.  c.  Fig.  674. 

^3)  Cod.  Gr.  159  fol.  419.  455  Bordier,  Manuscripts 
Grecs  de  la  Bibl.  Nat.,  Paris  1885,  iiv  Abb.  des  Isaias 
bei  Kraus,  a.  a.  O.  I,  45;. 


tx^  DIE  MINIATUREN  DER  EXULTETROLLEX  J^ö 


185 


bar  auf  griechische  Beeinflussung  zurückzu- 
führen. ^^ 

Kann  bei  der  damaligen  pohtisciien  Lage 
diese\'er\vandtsciiaft  zwischen  der  griechischen 
und  süditahenischen  Buchmalerei  nicht  sehr 
auffallen,  so  ist  eine  andere  Beobachtung,  die 
E.  Bertaux  zuerst  gemacht  hat,  mehr  über- 
raschend. Wie  wir  oben  bei  der  Beschreibung 
der  Miniaturen  gesehen  haben,  ist  die  Mater 
Tellus  (Erde)  als  eine  halbnackte  Erau  am 
Boden  dargestellt,  an  deren  Brüsten  wilde 
Tiere  saugen.  Wer  erinnert  sich  hier  nicht 
einer  Anzahl  karolingischer  Elfenbeintafeln  mit 
derselben  Darstellung?  Auf  eben  diesen  Tafeln 
ist  ferner  die  Ecclesia  Kirche)  als  eine  gekrönte 
Frau  dargestellt.  -5)  Die  gleiche  Personifikation 
haben  wir  auch  in  den  E.vultetrollen.  Sollte 
sich  hier  etwa  neben  dem  byzantinischen 
germanischer  Einfluß  geltend  gemacht 
haben  ?  Man  ist  um  so  lieber  geneigt,  diese 
Frage  bejahend  zu  beantworten,  wenn  man 
die  Übereinstimmung  mit  einem  andern  nor- 
dischen Illustrationsmotiv  erwägt.  Der  Anfangs- 
buchstabe des  Exultet.  ebenso  desN'eredignum 
ist  in  den  Rollen  reich  mit  Bandgeflecht  und 
phantastischenTiergebilden  verziert,  Bildungen, 
die  in  dieser  Form  niemals  in  den  griechischen, 
um  so  häufiger  aber  in  den  nordischen  Hand- 
schritten vorkommen.  In  den  Sakramentarien 
(Missalien)  zählen  sie  nach  hunderten.^ß)  Aller- 
dings finden  sich  diese  Zierbuchstaben  nicht 
ausschließlich  in  den  cisalpinen,  sondern  auch 
häufig  in  den  italienischen  Handschriften, 
aber  in  diese  waren  sie  erst  aus  jenen  über- 
gegangen. So  knüpft  sich  das  Band  immer 
enger  zwischen  .Mittelitalien  und  Germanien. 

Diese  letzte  Übereinstimmung  bietet  uns 
ferner  vielleicht  auch  einen  Fingerzeig  nach 
dem  Ursprung  der  Rollen  überhaupt  und 
ihrer    Miniaturen    im    besondern.      Auch    in 


-'  Die  Nacht  als  l'rau  mit  Schleier  findet  sich  auch 
in  dem  Hortus  deliciarum  der  Herrad  von  Landsberg, 
der  gleichfalls  stark  byzantinisch  beeinflußt  ist. 

=äj  P.  Weber,  Geistliches  Schauspiel,  Stuttgart  1894, 
20  ff. 

"*)  Vergl.  Springer.  Der  Bilderschmuck  in  den 
Sakramentarien  des  frühen  .Mittelalters,  Leipzig  1885,  10  fl. 
Ebner,  .Missale  Romanum,  Freib.   1896,  429  ff. 


Süditalien  stand  wie  im  Norden  der  Text  des 
Exultet  ursprünglich  in  einem  Buche  (Sakra- 
mentar).  Der  größeren  Feierlichkeit  wegen 
gnfl'  man,  wohl  unter  griechischem  Einfluß, 
auf  die  alte  Rollenform  zurück,  die  sich  übrigens 
stellenweise  bis  tief  ins  Mittelalter  erhalten  hat. 
Indem  man  aber  den  Text  aus  dem  Sakra- 
mentar  separat  abschrieb ,  stattete  man  ihn 
auch,  wie  Bertaux  annimmt,  in  gleicher  Weise 
aus  wie  das  liturgische  Buch,  d.  h.  man  ver- 
sah die  Rolle  mit  historischen  (biblischen), 
liturgischen  und  persönlichen  Darstellungen 
(Bildnissen);  2")  zu  den  liturgischen  Bildern  ge- 
hört z.  B.  der  Diakon  auf  dem  Ambon.  Doch 
möchte  ich  auf  diese  letzteBeobachtungBcrtaux' 
nicht  viel  Gewicht  legen.  Die  Ausstattung 
liturgischer  Schriften  mit  Miniaturen  war  all- 
gemein üblich,  durfte  also  auch  bei  den  Rollen 
nicht  fehlen.  Die  Sujets  der  Miniaturen  waren 
dann  von  selbst  gegeben  durch  den  Inhalt 
des  Textes  und  auch  durch  die  .\rt  und  Weise 
des  \'ortrages,  sodaß  man  nicht  nötig  hatte, 
in  dieser  Hinsicht  bei  den  Sakramentarien  eine 
.Anleihe  zu  machen.  Was  vollends  die  Bild- 
nisse betriflt,  so  waren  sie  weder  den  Sakra- 
mentarien noch  andern  liturgischen  Büchern 
eigentümlich,  speziell  das  .Autorenbildnis  ist 
eine  antike  Gewohnheit,  die  frühzeitig  in  die 
christlichen  Bücher  überging.  Nirgends  aber 
lag  es  näher,  solche  Bildnisse  anzubringen, 
als  am  Schluß  des  Exultet,  wo  der  Diakon  die 
Gläubigen  ötfentlich  zum  Gebete  für  die  geist- 
liche und  weltliche  Obrigkeit  aultorderte.^'^) 
Die  künstlerisch  zumeist  nicht  bedeutenden 
Miniaturen  der  Exultetrollen  sind  also,  um  aus 
unsern  Darlegungen  zum  Schluß  das  Resümee 
zu  ziehen,  vom  liturgischen  und  besonders 
vom  kunsthistorischen  Standpunkte  eine  inter- 
essante Erscheinung  in  der  süditalienischen 
Klosterkunst.  Unwillkürlich  lassen  sie  unsern 
Blick  hinüberschweifen  nach  dem  griechischen 
Osten  wie  nach  dem  karolingisch-ottonischen 
Norden,  wo  man  sich  geradeso  wie  im  Süden 
vor  der  byzantinischen  Überlegenheit  beugte. 

'^)  Ebner,  a.  a.  O.  450. 

=3)  E.  Diez,  Die  .Miniaturen  des  Wiener  Dioskorides, 
in:  Byzant.  Denkmäler  111,  Wien  1903,  58  fr.  Beissel, 
Geschichte  der  Evangelienbücher,  Freiburg  1906,  278  ff. 


Dir  christliche  Kunst.     V. 


i86 


©^  ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALLICELLA  ^S3 


iiiiiiiniii]iinnii?iiiFiPf'^"'"i"'?""^' 


^^'  ^-'  E  '\l^W" 


111?  f  >^- 


l/MiAiAi>ll^ 


j  .  i  1,14.:. 


Sta.  MARIA   DELLA  VALLICELLA  IN  ROM 
Längsschnitt.   —  Text  S,  190  ß". 


DAS  EINSTIGE  ORATORIUM  BEI 

Sta.  MARIA    IN    VALLICELLA    IN 

ROM 

Von  Dr.  M.  SCHWARZ  (Rom) 
Mit  5  Abbildungen  S.  i86  und   187) 

Tm  Frühjahr  1656  mußte  sich  entsclieiden, 
A  welchem  Architekten  die  ruhmvolle  Auf- 
gabe zutallen  würde,  dem  Neubau  der  Peters- 
kirche das  Atrium  anzufügen,  das  die  kon- 
stantinische Basilika  gehabt  hatte.  Schon 
zur  Zeit  Madernas  stand  es  fest,  daß  ein 
solches  das  Riesenwerk  abschließen  müsse. 
Den  nach  Innozenz'  X.  Tod  gewählten  Chigi 
Alexander  VII.  reizte  der  Ruhm,  seinen  Namen 
auf  die  Schlußsteine  des  schier  zwei  Jahrhun- 
derte hindurch  geförderten  Werkes  zu  setzen. 
Es  verging  das  erste  Jahr  nach  seiner  Erhebung 
nicht,  ohne  daß  in  der  Kardinals- 
kongregation der  Fabbrica  di 
S.  Pietro  die  Erwägungen  be- 
gannen, wie  über  den  endgül- 
tigen Schmuck  der  Tribuna 
von  St.  Peter  so  auch  über  die 
Anlage  des  Vorplatzes.  In  den 
ersten  Wochen  des  Jahres  1656 
bestanden  noch  Bedenken  be- 
züglich des  letzteren;  es  ist  uns 
in  der  Bibliothek  der  Familie 
Chigi  die  Formulierung  erhal- 
ten, die  ihnen  Kardinal  Pallotto 
gab.  Aber  der  Wille  des  Papstes 
siegte.  Am  31.  Juli  beschließt 
die  Kongregation  die  Pläne  in 
Auftrag  zu  geben  und  zwar  an 
Bernini.  •") 


In  jenem  Zeitalter  der  Intrigen  werden 
andere  Architekten,  deren  es  in  Rom  selbst 
nicht  bloß  einen  bedeutenden  gab,  der  Ent- 
scheidung nicht  ganz  tatlos  entgegengesehen 
haben.  Der  Umstand,  daß  des  allmächtigen 
Bernini  Gesundheit  im  vorhergehenden  Herbst 
und  noch  im  April  1656  durch  ein  hartnäcki- 
ges Fieber  in  Frage  gestellt  war,  2)  mochte 
die  Hoffnung  auf  Erfolg  eines  Mitbewerbers 
erhöhen.  So  gehe  ich  wohl  nicht  fehl,  wenn 
ich  eine  eigentümliche  Schrift  des  zeitweise 
von  Innozenz  X.  begünstigten  Francesco  Boro- 
mino  als  ein  Mittel  auffasse,  sich  dem  neu 
gewählten  Papst  für  die  geplanten  großen 
Aufgaben  zu  empfehlen.    Bei  den  Biographen 

')  Die  Archis'alien  wurden,  wie  es  scheint  zum  ersten- 
mal, veröffentlicht  bei  Fraschetti:  II  Bernini,  Milane  1900. 

p.  514  SS. 

')  1-rasclieiti,  1   c.  p.  423. 


Sr».  M.\RIA   DELLA  VALLICELLA  IN  ROM 
Schnitt  durcli  Jen  kleinen   Hof  und  die  Sakristei 


SJ^  ORATtmiUM   BFI  Sia   MARIA  IX   X'AI.LK.ELI.A  ^a 


1S7 


Berninis  ist  viel  die  Rede  von  den  Intrigen 
seiner  Gegner;  die  allerdings  noch  spärlich 
vertretene  neuere  Forschung  hat  wenig  Ur- 
kundliches beibringen  können  zur  Kritik  dieser 
Erzählungen.  \'ielleicht  ötinet  sich  hier  eine 
interessante  Quelle. 

Die  Schritt  ist  ein  in  der  Literatur  des 
siebzehnten  Jahrhunderts  wohl  ganz  verein- 
zelt dastehender  ausführlicher  Bericht  Boro- 
minos  über  den  Bau  des  Hauses  der  Oratori- 
aner  in  Rom.  Ein  Briet,  datiert  10.  Mai  1656 
und  dann  noch  eine  förmliche  \'orrede  an 
die  Leser  geben  zu  wissen,  daß  der  Marchese 
di  Gastet  Rodriguez')  den  Baumeister  ver- 
anlaßt hat,  den  Bericht  zu  schreiben  und 
ihm  nun  betiehlt,  denselben  für  den  Druck 
vorzubereiten.  Ob  damals  die  Absicht  der 
\'erötfentlichung  ernsthatt  bestanden,  läßt  sich 
nicht  erkennen.  Vermutlich  wurde  das  Manu- 
skript den  maßgebenden  Stellen  unterbreitet, 
und  als  es  den  Zweck  verfehlte,  zurückgelegt. 
Es  kam  später  mit  anderen  Papieren  und 
Zeichnungen  Borominos  in  die  Hände  des 
römischen  Buchhändlers  Sebastiano  Giannini. 
Dieser  verötfentlichte  die  Relation  t'ast  jojahre 
nach  ihrer  Abfassung  samt  einer  lateinischen 
Übersetzung  in  einem  prächtigen  Band  als 
Erläuterung  zu  67  großen  Kupferstichblättern, 
die  die  Zeichnungen  Borominos  für  den  Bau 
wiedergeben.  2) 

Die  Hauptstütze  unserer  Aufstellung  ist  das 
Datum ;  an  diesem  Zeitpunkt  konnte  Boromino 
noch  nicht  von  einer  fertigen  Arbeit  berichten; 
es  stand  offenbar  der  ganze  westliche  Trakt 
noch  im  Rohbau  da,  und  das  vielleicht  nicht 
einmal  in  seiner  ganzen  Ausdehnung.  Eine 
Treppenanlage,  die  Giannini  in  seinem  wohl 
erst  zu  seiner  Zeit  gefertigten  Ubersichtsplan 
hier  angibt,  erwähnt  der  l"e.\.t  nicht,  während 
er  doch  weniger  wichtige  Treppen  im  fertigen 
Teil  einzeln  bespricht.  Die  einfach  schöne, 
durch  schwache  Risalite  belebte  Front  gegen 
Monte  Giordano  ist  ebent'alls  nicht  erwähnt, 
vom  Uhrtürmchen,  für  das  Giannini  im  Nach- 
laß des  Meisters  drei  Varianten  fand,  ist  im 
Text  nur  die  Lage  bezeichnet  und  motiviert. 

')  Gesandter  des  Königs  von  Spanien  in  Rom ;  aul 
seine  V'ermittlung  beltam  Boromino  den  Auftrag,  den 
Entwurf  zur  Vollendung  des  Palastes  an  piazza  di  Spagna 
anzufertigen ;  der  I-ntwurf  wurde  aber  dann  nicht  be- 
nützt. In  dem  W'idniungsbrief  sind  noch  Grabdenk- 
mäler erwähnt,  die  Boromino  für  den  .Marchese  ge- 
zeichnet habe. 

")  Seb.  Giannini :  Opera  del  caval.  Francesco  Boro- 
mino. (^avala  da  suoi  Driginali  cioc  l'oratorio  e  fabrica 
per  l'abitazione  dei  P.  P.  delloratorio  di  S.  Filippo  N'eri 
con  le  Vedute  in  prospettiva  etc.  Roma  1725.  Auf 
S.  5  —  51:  Relazionc  della  presente  opcra  composta  dal 
medesimo  cav.  Fr.  Boromino  .  .  .  e  copiaia  dal  suo  ori- 
ginale inediio. 


niiriß  des  Gebäudckomplexes  der  Oratori 
Text  S.  190)!". 

Ausdrückliche  Polemik  findet  sich  in  der 
Relation  nicht,  von  zwei  Bemerkungen  ab- 
gesehen, von  denen  in  anderem  Zusammen- 
hang zu  reden  ist.  Man  darf  aber  doch  wohl 
Berechnung  darin  sehen,  wie  das  wirklich 
Wertvolle  am  Gebäude  hervorgekehrt  wird, 
nämlich  die  zweckmäßige  Raumdisposition 
und  besonders  auch  die  technische  Sicher- 
heit —  in  letzterer  Hinsicht  hatte  sich  ja 
Bernini  als  Architekt  der  Peterskirche  schon 
zweimal,  1636  und  164J.  arg  bloßgestellt. 
Boromino  war  sicher  durchaus  nicht  der 
Meinung,  daßseineXeuerungen  in  den  schnuik 
kenden  Details  wenig  wert  seien ;  aber  er 
wußte,  daß  er  ihretwegen  am  meisten  ange- 
griffen wurde  und  liel.<  sie  in  den  Hinter- 
grund treten  gegen  V'orteile,  die  allgemein 
anerkannt  werden  mußten. 

Auch  abgesehen  von  der  \'erkiuipfung  mit 

3)  Die  punktierten  Linien  bezeichnen  die  Häuser,  die 
abgerissen  wurden.  —  Der  palmo  Romano  =  o  2254  m. 
A.  Haupteingang;  B.  Sprechzimmer;  C.  Zimmer  des  Pfört- 
ners; D.  Oratorium;  E.  Haupttreppe:  F.  Kleiner  Hof; 
G.  Sakristei;  H.  Paramentenräume;  1.  Eingang  in  die 
Kirche;  L.  Großer  Hof  1  »Garten«):  M.  l.avaboraum ; 
N.  Speisesaal;  O.  Raum,  von  dem  aus  hohe  Gä;tc  be- 
dient werden ;  P.  Küche;  Q.  Spülraum;  R.  Ncbtntreppen  . 
S.  Aborte;  T.  Wirtschafishof;  V.  Speise:  X  .\ufbewah- 
rung  von  Tischtüchern  usw. 


i8S 


Bi^  ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALLICELLA  J*^« 


GEBR.  RANK 


EINGANGSBAUTEN:   PFORTNERHAUS 


.Mnuchen   igoS.       l'gl.  II'.  Jg..  S.  2g4 


der  Geschichte  der  Kolonnaden  von  St.  Peter 
ist  der  Bauhericht  ein  für  Architektur-  und 
Kulturgeschichte  interessantes  Dokument;  es 
ist  geeignet,  uns  die  Absichten  des  verrufenen 
Barockstiles  klar  zu  legen  —  sie  berühren 
sich  vielfach  mit  modernsten  Gedanken.  Es 
lebte  in  Boromino  viel  gesunde  Einsicht  in 
das  Wesen  seiner  Kunst;  die  Neuerungslust 
war  bei  ihm,  der  die  Errungenschaften  seiner 
Vorgänger  sich  durchaus  zum  Eigentum  ge- 
macht hatte,  nur  ein  Element,  mag  sein,  daß 
es  ihm  das  liebste  war;  in  der  geschichtlichen 
Würdigung  seiner  Persönlichkeit  dar!  es  nicht 
in   den  Vordergrund  treten. 

Die  Entstehung  des  Gebäudeblockes  von 
Sta.  Maria  della  Vallicella,  heute  gewöhnlich 
Chiesa  nuova  genannt,  zieht  sich  von  der 
Grundsteinlegung  der  Kirche  an  ( 1 7.  Sept.  1575) 
gut  8oJahre  hin.  Die  Ursache  des  langsamen 
Fortschreitens  war,  daß  die  Mittel  nach  und 
nach  als  Almosen  gesammelt  werden  mußten; 
der  hl.  Stifter  selbst  enthielt  sich  sogar  des 
Bittens  und  wartete  auf  spontane  Gaben.  Nur 
die    Kirchenfassade    übernahm     ein    einziger 


Gönner,  ein  Bruder  des  Kardinals  Cesi ;  sie 
kostete  ihn  über  30000  scudi.  Man  hielt 
streng  daran  fest,  daß  jeweils  das  für  die 
Seelsorge  Nötigere,  der  Allgemeinheit  Die- 
nende in  Angriff  genommen  wurde.  So  ent- 
stand erst  die  Kirche,  die  im  Frühjahr  1577 
schon  bezogen,  aber  erst  am  23.  Mai  1599 
feierlich  konsekriert  wurde  ; ')  nach  ihrer  Fertig- 
stellung mußten  Zufahrten  geöffnet  werden, 
was  die  Einkünfte  vieler  Jahre  verschlang. 
Dann  kamen  nach  der  Reihe  die  Sakristei, 
das  :  Oratorium-'.,  ein  zweiter  Kirchenraum 
für  besondere  Zwecke,  in  Verbindung  damit 
Bibliothek  und  Fremdenherberge,  an  letzter 
Stelle  erst  das  weitläufige  Wohnhaus.  Noch 
zu  Lebzeiten  des  hl.  Philipp  Neri  waren  öst- 
lich von  der  Kirche  ältere  Gebäulichkeiten 
als  Wohnung  der  Patres  adaptiert  worden. 
Wälirend  der  Regierung  Urbans  VIII.  (1623 
bis  1644)  entschloß  man  sich,  den  Neubau 
auf  die    westliche    Langseite    der   Kirche    zu 


')  Die  Angaben  über   die  Kirche    bei  Bacci :  Vitii  Ji 
S.  Filippo  Neri.     Brescia  1706. 


C?:^  ORATORIUM  BEI  Sta   MARIA  IN  VALLICRLLA  ?^K^ 


1S9 


GEBR.  RANK 


Ausstellititg   Mihtckett  igo8. 


EINCANGSBAUTEN ;  VERWALTUNGSGEBÄUDE 
ygt-  ly-  7g-.  S.294 


verleiben.  \'oni  Papst  wurde  ein  Breve  er- 
reicht, das  die  Besitzer  der  armseligen  Häuser 
aut  dem  Bauplatz  zwang,  sie  nach  Schätzung 
an  die  Kongregation  zu  verkaufen;  auch  eine 
Kapelle  der  lil.  Cäcilia  mußte  aufgehoben 
werden.  Es  ging  nicht  ohne  Widerstand  ab, 
und  nur  allmählich  wurde  das  Feld  frei.  Beim 
Sakristeibau,  den  wohl  der  im  Bericht  ge- 
nannte Mario  Arcanio')  begann,  war  man 
sich  über  die  Gesamtanlage  noch  nicht  klar; 
erst  der  folgende  Hausarchitekt,  Paolo  Marus- 
celli,  entwarf  einen  Plan  für  das  Ganze.  Das 
Wohlwollen  des  Papstes  mußte  noch  einmal 
in  Anspruch  genommen  werden,  um  ein  regel- 
mäßiges Rechteck  für  den  Bau  zu  erreichen; 
er  gestattete  der  Kongregation,  an  der  Süd- 
westecke aul  Gemeindegrund  überzugreifen. 
Maruscellis  Projekt  erwies  sich,  als  man  an 
die  Ausführung  ging,  als  ungenügend.  Nach 
einigen  N'erbesserungsversuchen  wurde  in  die- 

')  Über  ihn  handelt  Baglioni,  Vite  dci  pittori,  scul- 
tori  ed  architetti  (Xapoli  1753  p.  215)  aus  persönlicher 
Erinnerung.  Darnach  starb  Arcanio  noch  unter  Urban  V'III. 
Über  Maruscelli  finde  ich  keine  authentischen  Angaben. 


sem  Stadium  Francesco  Boromino  mit  der 
Lösung  der  Schwierigkeiten  betraut.  Er  war  seit 
dem  Regierungsantritt  Innozenz'  X.  (15.  Sept. 
1644),  bis  Mitte  1647  etwa,  der  bevorzugte 
Baumeister  des  Papstes;  vielleicht  hat  eine 
\'erinittlerrolle  zwischen  ihm  und  dem  Ora- 
toi'ium  der  Oratorianer  und  Beichtvater  des 
Papstes  Virgilio  Spada  gespielt,  der  in  einem 
modenesischen  Avviso  (3.  Febr.  16^6)  als  beim 
Papst  gegen  Bernini  intrigierend  erscheint;-) 
in  unserem  Baubericht  heißt  es,  Spada  habe 
selbst  in  Architektur  dilettiert  und  vom  Ordens- 
obern, P.AngeloSaluzzi,  die  Lösungsvorschläge 
Borominos  zur  Begutachtung  bekommen.  Der 
neue  Bauleiter  ersetzte  den  ganzen  Plan  Marus- 
cellis durch  einen  eigenen,  nach  dem  alles 
ausgeliihrt  wurde.  Im  Jahre  i  64S  wurde  das 
Gewölbe  des  Betsaales  ausgefüiirt ;  es  ist  niciit 
möglicii,  aus  dem  Bericht  weitere  Jahreszahlen 
herauszuschälen:  dali  im  Mai  1656  noch  niciit 
alles  fertig  war,  ist  sciion  dargelegt  worden. 
Boromino    empfand    offenbar  von    Anlang 


»)  Fraschetti,  1.  c.  p.  27 


1 90 


ö^  (^RA'njRIUM  BF.I  Sta.  MARIA  IN  VAI.I.ICHLLA 


GKBR.  RANK 


HAUPTEIN'GANG 


Aiisstelluiig  Mnmhen  iQoS 


an  den  Reiz  der  Autgahe,  für  eine  rund  60- 
köpfige  »Familie  mit  ganz  individuellen  Be- 
dürfnissen, hei  beschränkten  und  docii  für 
das  wirklich  Notwendige  ausreichenden  Mit- 
teln, an  unabänderlich  daliegende  Verhältnisse 
sich  anschmiegend,  für  ewige  Zeiten  eine 
Wohnstätte  zu  schatten.  Es  ist  ein  Verdienst, 
das  ihm  die  Kunstgeschichte  nicht  vergessen 
sollte,  daß  er  das  uralte  Thema  —  man  denke 
nur  an  die  altchristlichen  »Lauren  und  an 
den  Klostergrundriß  in  St.  Gallen  aus  dem 
neunten  Jahrhundert  —  im  Sinn  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  neu  erschöpfte. 

Der  mit  Hilfe  Urbans  VIII.  gev^'onnene  Bau- 
platz schloß  sich,  wie  gesagt,  als  volles  Recht- 
eck an  die  Westseite  der  Kirche,  reichte  aber 
nach  Norden  noch  ein  gut  Stück  über  sie 
hinaus.')  Der  dreieckige  Platz,  der  hier  hinter 
der  Apsis  der  Kirche  den  Patres  noch  gehörte, 
wurde  von  vorneherein  für  vom  Übrigen  ge- 
trennte, um  einen  schattigen  Brunnenhof  gele- 
gene Wirtschaftsgebäude  bestimmt.  Die  Bewe- 
gungslreiheit  des  Künstlers  war  arg  gehindert 
durch  die  Sakristei,  die,  planlos  auf  das  Terrain 
gestellt,  dasselbe  in  einen  kleineren  südlichen 

'J  Vergl.  zum  tollenden  Abb,  S.  186  u.  1S7,  Repro- 
duktionen aus  dem  Gianninischcn  Werke.  Aufnahmen 
der  Innenräume  in  ihrem  jetzigen  Zustande  herzustellen, 
lohnte  sich  nicht.  Die  rücksichtslose  moderne  Adaptierung 
hat  die  Wirkung  der  Räume  barbarisch  zerstört. 


und  einen  größeren  nördlichen  Teil  zerschnitt; 
sie  lag  zudem  noch  einige  Fuß  über  dem 
maßgebenden  Niveau  der  Kirche.  Man  rühmt 
den  Grundsatz  Berninis,  daß  der  geschickte 
Baumeister  jede  Ungunst  der  Verhältnisse  zu 
einem  Vorteil  müsse  machen  können.  Lange 
bevor  Bernini  die  eigene  Forderung  in  der 
Scala  regia  des  Vatikans  erfüllte,  leistete  Boro- 
mino  sein  Meisterstück,  indem  er  hier  die 
Sakristei  in  den  Organismus  des  Klosters  ein- 
bezog, den  anfänglichen  Fremdkörper  zu  einem 
notwendigen  Glied  machte.  Der  Charakter 
des  Institutes  brachte  es  mit  sich,  daß  regel- 
mäßig eine  große  Anzahl  von  Auswärtigen 
in  das  Haus  zugelassen  werden  mußte,  sei 
es  zu  seelsorglichen  Zwecken,  sei  es  als  Gäste 
oder  zu  Dienstleistungen.  Anderseits  mußte 
aber  doch  das  Ordenshaus  eine  stille  Heimat 
sein  für  seine  Bewohner.  Boromino  benützte 
die  gegebene  Teilung  des  Bauplatzes,  um  dem 
doppelten  Bedürfnis  zu  genügen;  er  verlegte 
alle  tür  die  Familie  bestimmten  Räume  in 
den  nördlichen,  alle  Fremden  zugänglichen  in 
den  südlichen  Teil ;  obwohl  die  beiden  Anlagen 
durch  breite  Korridore  innigst  zusammenge- 
halten wurden,  konnten  sie  durcli  wenige 
Türen  gegeneinander  abgeschlossen  werden. 
An  die  Front  auf  den  Kirchenplatz  hinaus 
kam  das  »Oratorium«  zu  liegen,  ein  sozu- 
.saijen   intimerer  Kirchenraum,  in  dem   täglich 


E?^  (^RATCTRIUM  Bl-I  Sia.  MARIA  IN  VAT.I.ICELI.A  »"^a 


191 


mfliriiKils  katechetische  Vorträge  gehahen 
wurden  und  walirend  der  Wintermonate  die 
in  der  Musikgeschichte  bedeutsam  gewordenen 
religiösen  Konzerte  stattfanden  ;  der  Saal  nahm 
der  Höhe  nach  auch  noch  den  ersten  Stock 
ein,  liel.s  aber  in  der  Längenausdehnung  gegen 
die  Kirche  hin  noch  reichlichen  Platz  für  die 
Porteria  .  unten  und  eine  Fremdenwohnung 
oben.  Mit  letzterer  stand  in  direkter  \'erbindung 
eine  Ehrenloge  gegenüber  dem  Altar,  für 
Kardinäle  und  Fürstlichkeiten,  die  den  Ver- 
anstaltungen in  großer  Zahl  beizuwohnen 
ptlegten.  Über  dem  Altar  war  ein  großes 
Musikchor,  seitlich  weiter  unten  noch  zwei 
kleinere.  Nicht  weit  davon  im  Haus  sollte 
noch  ein  Ubungssaal  tür  Orchester  und  Sänger 
hergerichtet  werden.  Alles  dies  wie  auch  das 
Chor  der  Kirche  konnten  die  Singknaben 
und  Musiker  erreichen,  ohne  das  Familienhaus 
zu  betreten.  Die  gegen  Monte  Giordano  hinaus 
die  ganze  Breite  des  kleineren  Hofes  einneh- 
mende, zweiläurige  Treppe  war  als  Aufgang 


der  Gäste  repräsentativ  ausgestaltet,  die  Loggia 
des  piano  nobile  nicht  wie  im  zweiten  Hot 
geschlossen.  Über  Oratorium  und  »Foresteria« 
erhob  sich  ein  holier  Saal,  für  die  reichen 
Bücherschätze  des  Hauses,  bis  ins  einzelnste 
von  Boromino  selbst  eingerichtet.  Die  Biblio- 
thek wurde  ergänzt  durch  ein  feuersicheres 
Gemach  für  das  Archiv,  ein  Zimmer  lür  die 
Münzen-  und  Raritätensammlung,  die  Zelle 
des  Bibliothekars  und  vor  allem  einige  Räume, 
in  welchen  Gelehrte  aus  der  Stadt  zu  jeder 
Tageszeit  Bücher  benützen  konnten,  auch  wenn 
keine  Aufsicht  im  Hauptsaal  war.  —  Nicht 
weit  von  hier  wurde  ein  »Haus  im  Hause  ; 
hergerichtet  für  einen  Gast,  der  im  Advent 
und  in  der  Fastenzeit  alljährlich  sich  einstellte. 
Es  war  dies  der  Kapuziner,  dem  die  beschei- 
denen Söhne  des  hl.  Philippus  in  den  Gnaden- 
zeiten die  Kanzel  ihrer  Kirche  überließen  und 
der  dann  mit  einem  Laienbruder  seines  Ordens 
eine  eigene  Wohnung  brauchte.  Er  erhielt 
einige  Zimmerchen  im  zweiten  Stock  zwischen 


Pl)RTAL  IS  SCHMIEDEISEN  MIT  BROW.ErÜLLUNGEN;  DIE  U.MRAIIMUN'G  GETRIEBENES  MESSING 

Enhviir/:   Ollio  OrlanJo  Ku":   —  Ausführung :   Josf^h  Frohmhrck  —  AusstelluHg  Miinchru  igoS 


192 


C^  ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALLICELLA  mQ 


Ettiiutir/ .    Otho 


ZWEI    BELEÜCHl  UKGSKOKPEK 
•rlandc<  Kurz   -  Ans/Ükrung:   Jostfh   Frohnshtck 


Ajcssielbing  Mjifiche. 


Kirche  und  Refektor  angewiesen,  wo  er  voll- 
kommen ungestört  war  und  niemand  störte; 
aut  einem  versteckten  Balkon  konnte  er  ge- 
legentlich wie  daheim  die  scotola«  besor- 
gen, d.  h.  ungesehen  seine  einzige  Kutte  aus- 
klopfen. 

Um  den  größeren,  gartenahnlichen  Hol 
reihten  sich  in  drei  geschlossenen  Etagen 
ca.  60  möglichst  gleichwertige  Zellen,  mit 
dem  Blick  auf  Monte  Giordano  und  die  da- 
malige via  del  Parione  (heute  del  Governo 
vecchio).  Auch  über  der  Sakristei  waren  noch 
Wohnräume ;  hier  konnte  man  an  ein  großes 
Fenster  treten  und  zum  Bruder  Pförtner  hin- 
untersprechen, wenn  er  einen  mit  dem  Glocken- 
zeichen gerufen  hatte.  Das  Refektor  und 
darüber  der  ^Rekreationssaal',  der  nach  jeder 
Mahlzeit  die  ganze  Familie  versammelt,  er- 
halten die  gegen  den  Lärm  und  die  Horcher 
der  Straße  vollständig  geschützte  Lage  gegen 
den  Wirtschattshof  hin.  Eine  Treppe,  die  bis 
unters  Dach  hinaufreicht,  führt  aus  den  oberen 
Gängen  an  den  Vorraum  des  Speisesaales; 
eine  zweite,  ovale,  in  die  Halle  zwischen 
Kirche  und  Sakristei.  »Eine  richtig  angelegte 
Treppe  erspart  Geld  und  Zeit.« 
(Sctiluß  folgt) 


WETTBEWERB    FUR    EINE    KIRCHE    IN 
URDINGEN 

Erläuterungen  zu  dem  im  vorigen  Heft  publi- 
zierten Ausschreiben  in  diesem  Betreff 

I  Interm  3.  Februar  wurde  ein  größerer  Lageplan  im 
Maßstab  1:2500  versendet. 

Zugleich  wurden  noch  folgende  Erläuterungen  gegeben. 

Ob  bei  Bebauung  der  Umgebung  der  Kirche  das  ge- 
schlossene oder  ofl'ene  Bausystem  durchgeführt  werden 
soll,  darüber  liegt  ein  förmlicher  Beschluß  nicht  vor, 
doch  dürfte  nur  das  gesclilossene  System  in  Frage 
Icommen. 

Die  Gruppierung  der  drei  in  den  Bebauungsplan  am 
Marktplatz  eingezeichneten  Gebäude  (Kirclie,  Pfarrhaus 
und  Vereinshaus,  welch  letzteres  im  Wettbewerb  nicht 
zu  bearbeiten  ist),  ist  für  den  Wettbewerb  nicht  maß- 
gebend, die  Platzgestaltung  ist  vielmehr  noch  nicht  end- 
gültig festgelegt,  sondern  von  der  Stadtverordnetenver- 
sammlung nur  im  Prinzip  genehmigt.  Demnach  ist  es 
nicht  erforderlich,  daß  die  Kirche  gerade  an  der  Stelle 
errichtet  wird,  wo  sie  auf  dem  Lageplan  eingetragen 
ist,  nur  müssen  die  erforderliclien  Breiten  für  die  Straßen 
bleiben. 

Im  ganzen  muß  die  Kirclie  Platz  für  1500  Personen 
bieten,  die  Verteilung  auf  Sitz-  und  Stehplätze  bleibt 
dem  Architelvten  überlassen ;  besondere  Plätze  für  Kin- 
der sind  vorzusehen,  ihre  Zahl  aber  steht  im  Belieben 
des  .\rchiteliten. 

Noch  möchten  wir  bemerl<en,  daß  die  Ostung  der 
Kirche  eingehalten  werden  soll.  Der  Pfarrhof  kann  nach 
Belieben  angebracht  werden,  je  nachdem  es  der  Archi- 
tekt praktisch  und  schön  findet. 


Für  die  Redikti 


rüich:  S.  Staudha: 


r  (Prom 
Bruckn 


Verlag  der  Gei 
Sämtliche  in  J 


Schaft  für  christliche  Kunst,   G. 


M.  Emonds-Alt   pinx 


Nachb,  verb. 


CHRISTUS 


C.WONTAFELN,     ESTWURF  US'D    AUSFLHRUNG  VON  RUDOLF  HARRACH  (FIRMA  F.  HARRACH  &  SOHN)  IN  MÜNCHEN 
CetrUbenes  M,rssing,   Email.mlagen.   -    '/.i'm   Aluir  S.  200  gtliiing 


DIR  KIRCHLICHE  KUNST  AUF  DER  AUSSTELLUNG  MÜNCHEN  1908 

Von  ALEXANDER  HEILMEVER 


Auf  einer  so  grolkn  Revue,  wie  die  letzte 
Münciiner  Ausstellung,  die  alle  Zweige 
der  Kunst  und  des  Kunstgewerbes  umfaßte, 
durfte  auch  die  kirchliche  Kunst  nicht  fehlen. 
Die  Repräsentation  auf  der  Ausstellung  konnte 
natürlich  keinen  umfassenden  Überblick  geben, 
sie  konnte  nicht  über  den  gegenwärtigen  Stand 
der  christlichen  Kunst  unterrichten,  weil  es 
dazu  eines  viel  größeren  Rahmens  als  der 
kirchlichen  Kunst  auf  der  Ausstellung  zur  Ver- 
fügung stand,  bedurft  hätte.') 

Und  dann  die  Schwierigkeit,  Gegenstände 
der  kirchlichen  und  sepulkralen  Kunst  als 
Ausstellungsgegenstände  vorzuführen.  Immer 
wird  sich  damit  die  \'orstellung  feierlicher 
Ruhe  und  Würde  verbinden,  Forderungen, 
die  sich  im  lärmenden  Gewühle  einer  Aus- 
stellung nicht  erfüllen  lassen. 

Wir  haben  schon  darüber  berichtet,  wie  der 
Architekt  diese  keineswegs  leichte  Aufgabe 
gelöst  hat.  Was  der  Kirche  im  Äußern,  durch 
die  Umstände  und  Umgebung  bedingt,  an 
Monumentalität  abging,  ersetzte  reichlich  die 
Intimität  und  Feinheit  der  künstlerischen  Raum- 
wirkung der  Innenräume.  Fine  nicht  un- 
wesentliche Arbeit  des  Architekten  bestand  in 
der  Einordnung  und  Wertung  des  Details, 
der  so  verschiedenartigen  Gegenstände  kirch- 
licher Kunst  im  Räume,  eine  Aufgabe,  die 
Wilhelm  Spannagel  mit  seltenem  Geschick  und 
Taktgefühl  bewältigt  hat. 

Die    An-    und    Einordnun''    der    einzelnen 


')  Sämtliche  .Abbildungen  dieses  Heftes  sind  der  kirch- 
liclien  .Abteilung  der  Ausstellung  München  1908  ent- 
nommen. 


Altäre  im  Chor,  im  Vorraum  und  in  den 
Nischen  war  eine  glückliche.  Unsere  Ab- 
bildungen veranschaulichen  sehr  deutlich  die 
Situierung  und  Wirkung  der  Altäre  im  Räume. 
Wir  verweisen  insbesondere  auf  den  schönen 
Steinaltar  von  Karl  Bauer  in  Ulm  mit  dem 
Relief  von  Prof.  Max  Heilmaier  und  auf  den 
aus  poliertem  Stein  hergestellten  Altar  von 
Alois  Müller  (Abb.  S.  207  und   199). 

Ganz  besonders  wirkungsvoll  repräsentierte 
sich  der  Hochaltar  im  Chorraum,  ein  Stein- 
altar, nach  Entwürfen  des  kgl.  Baurates  Höfl 
und  seines  .\rchitekten  Lohnes  ausgeführt 
und  für  die  Gefangenen-Anstaltskirche  in 
Landsberg  bestimmt  (.\bb.  S.  200). 

Er  ist  in  einfachen  Formen,  in  einer  der 
jungen  Münchener  Schule  eigenen  archaisie- 
renden Art  gehalten.  Mit  Verständnis  und 
Geschick  verwendete  frühromanische  Formen 
gewinnen  durch  das  Material  und  seine  Be- 
handlung einen  eigentümlichen  Reiz.  Die 
Steinskulptur  gelangt  zu  reicher  Entfaltung, 
für  Relieiplastik  bietet  sich  gute  Gelegen lieit 
und  Mosaik  könnte  hier  reichliche  N'erwendung 
finden.  Wir  haben  ja  schon  gute  Beispiele  in 
der  Maximilianskirclie  zu  München.  Die 
Neigung  zum  Primitivismus,  weiche  neuer- 
dings als  Reaktion  gegen  die  üppige  Stilfülle 
der  vergangenen  Jahre  einsetzt,  darf  natürlich 
nicht  ins  Extreme  führen.  Aul  die  Darstellung 
der  menschliclien  Figur  übertragen,  mutet  sie 
wenig  überzeugend  und  liebenswürdig  an. 

In  der  Sachkunst,  im  Kunstgewerbe  hin- 
gegen ist  die  Betonung  materialgerechter  Be- 
handlung   wie    auch    unter   Umständen    das 


Die  chriithche  Kunst. 


194  SJ^  KIRCHLICHE  KUNST  AUF  DER  AUSSTELLUNG  MÜNCHEN  1908  mä 


ZurQckoehen    auf    erprobte     Techniken     am 
Platze. " 

Nach  dieser  Richtung  hin  bot  die  Aus- 
steUung  ein  sehr  interessantes  Bild  dar.  Das 
kirchliche  Kunstgewerbe  zeigte  lioffnungs\olle 
Ansätze  einer  neuen  fruchtbaren  Entwicklung, 


steht.  Aufbau,  Form,  Schmuck  und  Verzie- 
rung des  Gerätes  wird  als  etwas  organisch  Ge- 
wordenes anmuten  und  darum  so  klar  und 
deutlich  sprechen.  Manche  Verzierung,  z.  B. 
eine  rhythmische  Reihung  eines  einfachen 
geometrischen  ()rnamcntsalsl'lächenschmuck, 


WILHELM  SPANNAGEL 


DAS  INNERE  DER  KIRCHE 


besonders  in  den  Metallarbeiten.  Die  Mün- 
chener Eisenarbeiter,  Kupferschmiede,  Gold- 
und  Silberarbeiter  verfügen  über  einen  hohen 
Grad  von  Leistungsfähigkeit  und  Können. 
Alle  Techniken:  Schmieden,  Schweißen, 
Meißeln,  Ziselieren  und  Gravieren  werden 
von  geschickten  fleißigen  Händen  vituos  ge- 
handhabt. 

Um  den  Wert  einer  guten  Handarbeit 
richtig  einschätzen  zu  können,  muH  man  sich 
einmal  in  Werkstätten  wie  Rudolf  Harrach 
(Firma  Harrach  &  Sohn)  oder  Steinicken  & 
Lohr  angesehen  haben,  wie  aus  einem  Stück 
Metall    ein    Leuchter,   ein    Rahmen  etc.   ent- 


ergibt sich  sozusagen  von  selbst  bei  rationeller 
\'erwendung  des  Materials  und  bei  geschickter 
Handhabung  der  Handwerkszeuge.  Der  hohe 
Reiz,  den  der  Tabernakel  von  Harrach  durch 
seine  Metallbehandlung  ausübte,  bestand  nicht 
zum  geringsten  in  einer  sehr  geschickt  durch- 
geführten Kombination  solcher  Ausdrucks- 
mittel, die  noch  erhöht  und  gesteigert  wurden 
durch  Verwendung  von  Glasflüssen,  Steinen. 
Mosaik  etc.  (Abb.  S.  201).  Es  ist  ein  ent- 
schiedenes Zeichen  von  Gesundung  des  Hand- 
werkes, wieder  auf  solche  .  einlache  rhyth- 
mische Reihungen  von  Schmuckformen,  wie 
sie     sicli    aus      manueller    Handhabung    der 


■95 


München   igo8 


«  WILHELM  Sl'AXXAÜHL 
DAS  INNERE  DER  KIRCHE 
BLICK   ZUM    HOCHALTAR 


196  ex^  KIRCHLICHE  KUNST  AUF  DER  AUSSTELLUNG  MÜNCHEN  1908  m<^ 


WILHELM  SPANNAGEL 


KIRCHLICHE  ABTEILUNG  UND  FRIEDHOFANLAGE 


W/t,,;!:   Mnn,-/,r,i  igoS 


Handwerkszeuge  und  dem  natürlichen  Emp- 
finden ergeben,  zurückzugreifen.  Einen  reichen 
Formensciiatz  von  einfachen  geometrischen 
Motiven  bietet  ja  gerade  die  altere  kirch- 
liche Kunst  dar. 

Von  der  richtigen  \'er\vendung  ornamen- 
taler und  symbolischer  Motive  an  der  rechten 
Stelle  hängt  es  ab,  welche  Wirkungen  man 
erreicht. 

Es  ist  sehr  klug,  bei  einfachen  Gegenständen 
von  allem  Zierat  abzusehen  und  vor  allem  das 
Zweckmäßige  hervortreten  zu  lassen.  Die  nach 
Entwürfen  von  Prof.Romeis  von  RudolfHarrach 
hergestellten  Kanontafeln  sind  in  Messing 
getrieben  und  sinngemäß  mit  ganz  einfachen 
Bandlinien  und  Vierecken  geschmückt.  Ein 
großer  Reiz  liegt  aber  in  der  Zusammen- 
stellung von  glänzendem  Metall  und  Email, 
was  natürlich  die  Abbildung  (S.  19^)  nicht 
wiedergeben  kann. 

Die  von  Bernh.  Wenig  entworfenen  und  von 
Steinicken  &  Lohr  ausgeführten  Vortrags- 
laternen (Abb.  S.  218—220  und  224)  erhielten 
ihreForm  lediglich  ausihrerZwecksbestimmung 
heraus ;  das  gleiche  gilt  auch  für  die  Leuchter 
und  Meßkännchen,  Rauchfaß,  Schiffchen  und 
Kelch,  die  Seite  202,  205  und  208  abgebildet 
sind. 

Die  Leuchter  von  Harrach  und  Steinicken, 
(siehe   Abb.  S.    202,    204,    206,    2131,   zeigen 


ein  vornehmes  Streben  nach  geschmackvoller 
Einfachheit,  bei  guter  Gliederung:  Betonung 
des  Standfußes,  der  Leuchterschale  und  des 
Schaftes  mit  Berücksichtigung  einer  prakti- 
schen Handhabung.  Was  dem  Auge  am 
nächsten  ist  und  wo  Raum  ist  für  die  Ent- 
faltung von  dekorativem  Beiwerk  wie  z.  B. 
am  Leuchterfuß,  da  entfaltet  sich  auch  gleich 
l-'ülle  und  Freude  am  ornamentalen  Schmuck; 
(s.  Abb.  S.  202,  206;  ähnlich  auch  bei  den 
Altarkreuzen  S.  203,  206).  Hier  liegt  aber 
doch  die  künstlerische  Betonung  auf  dem  be- 
deutsamen Mittelpunkt  selbst,  auf  dem  Chri- 
stuskörper am  Kreuze.  Das  Kreuz  wird  dar- 
um oft  einfach  in  Ebenholz  gehalten,  von 
dem  sich  der  silbernleuchtende  Körper  ernst 
und  prächtig  abhebt.  Man  achte  auf  die  von 
Steinicken  &  Lohr  ausgeführten  Altarkreuze 
(Abb.  S.  206  u.  216)  oder  die  mit  eingelegten 
Kreuzesbalken  aus  Elfenbein  (Abb.  S.  203)  oder 
auch  aul  die  Vortragskreuze,  die  Harrach  und 
Steinicken  &  Lohr  (Abb.  S.  217 — 220)  aus- 
führten. 

Mit  der  Bedeutung  und  Würde  des  Gegen- 
standes im  liturgischen  Dienst  steigert  sich 
naturgemäß  auch  der  Reichtum  der  ange- 
wandten Materialien  und  der  Ausführung,  da- 
her die  Schönheit  und  Pracht  der  Monstranzen. 

Bei  der  Ausführung  dieser  kirchlichen  Prunk- 
geräte   herrscht   nun   das   Bestreben    vor,  die 


197 


^^ 


o n 


a 


1^ 


198 


o     Ausstellung 
München  igoS 


<a  ^  ,s>  «)  -a  <a    WILHELM  SPANNAGEL 
GANG  ZUR  VORHALLE  DER  KIRCHE 


199 


o    AussteÜuftg 
Mufichen  iqoS 


■^  WILHELM  SPANNAGEL 
VORHALLE  DER  KIRCHE 


200  ©^  KIRCHLICHE  KUNST  AUF  DER  AUSSTELLUNG  MÜNCHEN  1908  ^^a 


verschiedenartigsten  Materialien,  Silber,  Gold, 
Edelsteine,  Ebenholz,  Elfenbein  in  sinngemäßer 
Anordnung  in  eine  harmonische  Überein- 
stimmung zu  bringen,  ein  Rhythmus  von 
Farben  und  Formen. 

Die  von  Harrach  ausgeführte  Monstranz 
(Abb.  S,  210)  gewinnt  einen  hohen  Reiz  durch 
solche  Verwendung  verschiedener  Materialien ; 
so  sind  z.  B,  die  beiden  reizenden  Engelfigür- 
chen  zur  Seite  aus  Elfenbein  gebildet.  Aus 
den  Werkstatten  von  Steinicken  ilx  Lohr 
ging  die  prächtige  und  mit  sicherem  Stilgefühl 
geformte  Monstranz  für  die  Kirche  Blaichach 
bei  Immenstadt  hervor,  (Abb.  S.  209) 

Neben  den  edlen  Glanzmetallen  Gold,  Silber, 


Bronze,  Kupfer,  Messing,  kommt  auch  Eisen 
wieder  zur  Verwendung.  Der  hübsche,  zier- 
liche und  elegant  geformte  Altarleuchter  von 
Reinhold  Kirsch  (Abb.  Beil.  S.  35),  sowie  das 
schöne  von  Zech  ausgeführte  Grabsteingitter, 
ferner  die  von  Prof  Richard  Berndl  entworfenen 
und  von  Niedermeyer  ausgeführtenOpferstöcke 
(Abb.  S.  222 — 223  und  Beil.  S.  33)  weisen  auf 
eine  im  Münchner  Kunstgewerbe  hochent- 
wickelte Eisentechnik  hin.') 

Glasmalerei,  Grabmalkunst  und  Mosaik 
waren  in  höchst  anregender  und  vielfach 
achtunggebietender  Weise  vertreten.  Wir 
haben  darauf  schon  im  vorigen  Jahrgang 
(S.294 — 301)  mehrfach  hingewiesen;  auch  wird 
diese  Zeilschrift  auf  mehreres  noch 
zurückkommen. 

Arg  vernachlässigt  ist  bekanntlich 
die  kirchliche  Paramentik.  Was 
davon  aus  neuerer  Zeit  in  Gebrauch 
ist,  erhebt  sich  größtenteils  nicht 
über  Fabrikarbeit.  Die  mit  schreiend 
bunten  Anilinfarben  gefärbten  und 
mit  konventionellen  Ornamenten 
bestickten  Gewänder  sind  weit  ent- 
fernt von  der  geschmackvollen  Ein- 
heit, die  sich  in  früheren  Jahrhun- 
derten von  der  Architektur  bis  auf 
die  Kirchengeräte  und  -Gewänder  er- 
streckte. Es  wird  so  kommen  müs- 
sen, wie  auf  den  andern  Gebieten 
kirchlicher  Kunst  auch,  das  kirch- 
liche Kunstgewerbe  muß  durch 
Künstler  gehoben  werden.  Wir  wol- 
len es  dankbar  anerkennen,  wenn 
sich  solche  finden,  die  gleich  Bern- 
hard Wenig  das  Verständnis  für  diese 
Aufgaben  mitbringen  und  wenn  Ar- 
beiten entstehen,  wie  wir  sie  auf  der 
letzten  Münchner  Ausstellung  ge- 
sehen haben.  Das  von  Joerres  nach 
Entwürfen  von  Wenig  ausgeführte 
Meßgewand,dieFahnendiesesKünst- 
lers  (Abb.  S.  214 — 216)  können  als 
Vorbilder  gelten. 

Nach  all  dem  zu  schließen,  scheint 
sich  ein  Umschwung  im  kirchlichen 
Kunstgewerbe  vorzubereiten.  Wie 
in  der  Architektur  und  Plastik,  geht 
man  auch  in  der  Sachkunst  allent- 
halben auf  gute  alte  Vorbilder  zu- 
rück. Die  künstlerische  Auswer- 
tung der  Tradition  soll  an  Stelle 
gedankenloser  Nachahmung  treten. 


HüCU.^LTAK  DER  GHFANGENANSTALT  LANDSBERG  a,  L.  ENTWORFEN  VON 
OBERBAURATHÖFLUNDARCH.  LOHNES.  FIGfJRL.  ARBEITEN  HANS  MILLER 


')  Mehrere  sctiöne  schmiedeiserne  Altar- 
leuctiter  von  Reinfiold  "Kirsch  in  München 
sind  abgebildet  im  4.  Heft  desPionier  S.  28, 
29  und  50. 


RUD.  HARRACH  (FIRMA  F.  HARRACH  &  SOHN)    TABERNAKEL  DES  HOCHALTARS  S.  200 

///  Mi'tall  getrithtn,  mit  MosaikeiHlagen  und  Glasßussftt 


l>le  chrirtlichc  Kunsi.     V. 


©^  ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALLICELLA  ä>^a 


RUDOLF  HARRACH  SANCTUSLEUCHTER 

Mitdell  ?;v,  Alois  MuUcr.     Guß,  .'  w  hoch 

Das  zu  würde-  und  weiheloser  Fabrikar- 
beit erniedrigte  Idrchliche  Kunstgewerbe  soll 
gehoben  und  in  seinen  künstlerischen  Be- 
strebungen unterstützt  und  gefördert  werden. 
Dann  wird  auch  in  geschickter  Anlehnung  an 


die  Tradition,  die  deshalb  nicht  Konvention 
zu  werden  braucht,  Neues  erstehen.  Das 
Können  wird  wieder  zur  Kunst  im  Handwerk 
führen  und  aus  der  Handwerksgerechtigkeit 
wird  Schönheit  erblühen.  Die  .Münchner 
Werkstätten  könnten  es  ganz  gut  wagen, 
eine  solche  Renaissance  des  kirchlichen  Kunst- 
gewerbes einzuleiten. 


DAS  EINSTIGE  ORATORIUM  BEI 

Sta.   MARIA    IN   VALLICELLA   IN 

ROM 

Von  Dr.  M.  SCHWARZ  (Rom) 

Mit  3  Abbildungen  S.  i86  und   iH; 

(Schluß) 

D  ei  der  Ausgestaltung  der  einzelnen  Teile  ver- 
^  fährt  Boromino  wie  der  modernste  Archi- 
tekt; er  studiert  den  vorliegenden  Zweck  in 
seiner  ganzen  Eigentümlichkeit  und  paßt  ihm 
die  Form  an,  unbekümmert  darum,  ob  sie 
auch  die  herkömmliche  ist.  Äußerst  lehr- 
reich ist  da  sein  Refektor.  Fast  immer  ist 
dies  in  den  Klöstern  Roms  ein  alltäglicher 
rechteckiger  Saal ;  Boromino  wählte  als  Grund- 
fläche ein  Oval  und  überwölbte  es  in  einer 
entsprechenden  Kalotte,  ähnlich  wie  Vignola 
seine  Kirche  Sta.  Anna  dei  Pala  frenieri.  Ein  zu- 
fälliger Umstand  ward  dazu  Anlaß.  Esstand  mit- 
ten auf  dem  Bauplatz  ein  kleines  Mietshaus,  zu 
dessen  \'erkaul  derBesitzer  erst  durch  einen  vor- 
aussichtlich langwierigen  Prozeß  gezwungen 
werden  mußte ;  die  Zugangstreppe  des  Häus- 
chens bedeckte  nun  eben  die  Ecke  des  für 
den  Speisesaal  bestimmten  Platzes.  Um  mit 
dem  Bau  beginnen  zu  können,  mußte  Boro- 
mino diese  Ecke  vermeiden.  Wollte  man 
auf  eine  regelmäßige  Grundfläche  nicht  ver- 
zichten, so  war  dies  nur  aui  dem  gewählten 
Weg  zu  erreichen.  Wie  von  selbst  war  da- 
mit zwei  anderen  Forderungen  genügt,  die 
die  Verhältnisse  stellten.  Die  Höhe  des  Refek- 
tors  war  durch  die  zum  Teil  schon  stehenden 
Parterrehallen  festgelegt;  sie  hätte  für  einen 
rechteckigen  Saal  von  der  gewünschten  Länge 
und  Breite  nicht  gereicht,  selbst  wenn  man 
für  ihn  das  tiefere  Niveau  der  Kirche  annahm ; 
im  eiförmigen  Gewölbe  dagegen  begnügte 
sich  das  Auge,  das  den  Raum  nach  hinten 
immer  enger  werden  sieht,  mit  der  verfüg- 
baren Höhe.  Boromino  beabsichtigte  dem 
Kunstgrifl'  noch  nachzuhelfen,  indem  er  über 
den  Fenstern  in  berechneter  Höhe  Kappen 
in  das  Gewölbe  einschneiden  ließ.  —  Zwei- 
tens bot  die  ovale  Anlage  eine  günstige  Aku- 
stik,  die  wegen   einer  dem  Institut  eigentüm- 


E?^  ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALI.ICHI.LA  J«^?« 


liehen  Übung  außerordentlich  wichtig  schien. 
Nach  Beendigung  des  Essens  hatte  nämlich 
nach  der  Regel  einer  der  Patres  einen  Moral- 
kasus vorzulegen,  über  den  sich  andere  im 
Gesprächston  äußerten.  In  dem  niedrigen, 
nach  oben  einheitlich  gerundeten  Saal  konnte 
man  der  Rede  leicht  folgen,  zumal  fast  der 
ganze  Kreis  dem  Sprecher  auf  den  Mund 
sehen  konnte.  Boromino  formuliert  hier  den 
bedeutsamen  Grundsatz :  eine  ungewöhnliche 
Form,  aber  die  angemessenste  (il  piü  proprio), 
die  sich  für  das  Institut  finden  ließ. 

Eine  nicht  ganz  so  neue  Idee  — Vignola  z.  B. 
hatte  sie  schon  hundert  Jahre  früher  im  Schloß 
Caprarola  angewendet  —  ergab  den  Aufriß 
der  Höfe  (vgl  den  Querschnitt  durch  den  klei- 
nen Hof,  Abb.  S.  i86  unten).  Um  die  nötige 
Zahl  von  Zellen  zu  gewinnen,  mußten  auf  das 
Parterre  noch  drei  Stockwerke  aufgesetzt  wer- 
den. Bei  dieser  Höhenentwicklung  wurde  aber 
selbst  schon  der  größere  Hof  schachtartig  tief, 
für  Luft  und  Licht  zu  wenig  zugänglich.  Da 
rettete  der  Gedanke,  das  Gebäude  nach  innen 
schon  über  dem  Korridor  der  ersten  Etage  flach 
zu  schließen.  Hier  bot  sich  dann  noch  eine 
auch  sonst  erwünschte  Terrasse,  wo  man  bei 
jeder  Tageszeit  im  Sommer  eine  gute  Strecke 
Schatten  und  im  Winter  ebensoviel  Sonne 
hatte :  in  aller  Bequemlichkeit  konnte  hier 
die  ganze  Kommunität  das  Brevier  rezitieren, 
auf  und  ab  gehend  oder  zu  zwei  und  zwei 
auf  den   Bänken  der  Balustrade  sitzend. 

Auch  aus  diesem  Kunstgriff  ließ  sich  bei 
konsequenter  \\'eiterführung  ein  zweiter  \'or- 
teil  entwickeln.  Der  Korridor  des  »piano 
nobile,  mußte  der  Hofarchitektur  wegen  be- 
deutend höher  sein  als  die  auf  ihn  sich  öff- 
nenden Zellen  bei  ihrem  geringen  Quadrat- 
inhalt sein  durften.  Ein  Mezzanino  wollte 
man  nicht  einfügen,  um  nicht  einen  Teil 
der  Patres  von  vorneherein  in  minderwer- 
tige Zimmer  zu  verbannen.  Es  war  aber 
schwierig,  die  Zimmerhöhe  von  der  des  Kor- 
ridors unabhängig  zu  machen.  Die  Über- 
legung, daß  man  die  Zellen  des  dritten  Stock- 
werkes doch  nicht  auf  die  bei  Nacht  und 
Regen  unpassierbare  Terrasse  konnte  münden 
lassen,  wies  den  Ausgang.  Hier  oben  war 
auf  alle  E'älle  ein  schmaler  innerer  Gang  not- 
wendig. Boromino  legte  nun  auch  schon 
unter  diesem,  im  zweiten  Stock  einen  ganz 
gleichen  ein,  so  daß  die  Decke  der  Zimmer 
im  ersten  nicht  auf  das  Niveau  der  Terrasse 
hinaufzureichen  brauchte.  Durch  Eenster  in 
den  Hof  hinaus  konnten  die  Gänge  ohne 
-Mühe  beleuchtet  werden. 

Eine  dritte  Neueriuig  löste  die  immer 
äußerst  schwierige   Abortfrage  —  Boromino 


RUDOLF  II.\RR.AC11  (FIR.MA  F.  H.  &  SOHK)  ALTARKRIXV. 

Aus/iihntiig  in  vergoldeter  Bronze,   Kreuz  schwarz  oxydiert  mit 

Gcliiein/assung   und  Steinen 


spricht  in  seinem  Bericht  davon  nicht  ohne 
sich  beim  Leser  zu  entschuldigen.  Am  lieb- 
sten hätte  er  für  das  Haus  eine  eigene  Kloake 
gebaut;  aber  die  Durchfüiirung  bis  zum  Tiber 
wäre  zu  teuer  gekommen ;  so  mußte  er  an 
die  öffentliche  Leitung  anschließen.  Da  er 
die  modernen  Spülsysteme  nicht  kannte,  mußte 


204 


©^  (ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALLICELLA  J'^Ö 


er  auf  andere  Weise  möglichst  für  eine  selbst- 
tätige Reinhaltung  der  Verbindungen  sorgen. 
In  den  kleineren  Anlagen  an  der  Pforte  und 
in  den  Wirtschaftsräumen  wurde  sie  dem 
eingeleiteten  Regenwasser  und  den  Brunnen- 
abfällen überlassen.  Zur  Hauptanlage  benützte 
er  nach  einem,  wie  es  scheint  durchaus  eigenen 
Gedanken  den  Kern  der  vierläufigen  Treppe 
zum  Refektor,  der  vom  Fuß  des  Gebäudes 
bis  ganz  oben  reichte  und  einen  fast  quadra- 
tischen Schacht  bildete.  Er  ordnete  unter 
dem  Dach  frei  über  dem  Hohlraum  auf  eige- 
nen Bogen  zehn  Klosetts  an,  die  jener  Zeit 
für  das  ganze  Haus  zu  genügen  schienen. 
Doppelte  Türen  verhinderten,  daß  Gerüche 
in  die  Korridore  hinausdrangen. 

Als  Material,  in  dem  alles  hergestellt  wer- 
den mußte,  war  vom  Bauherrn  das  billigste 
vorgeschrieben,  der  Ziegelstein.  Weder  für 
Türpfosten  noch  Kamine  noch  sonstiges  Detail 
durfte  außerhalb  der  gottesdienstlichen  Räume 
und  des  kleinen  Hofes  der  edlere  Travertin 
verwendet  werden.  Die  Zierformen  waren 
damit  auf  das  Ärmlichste  beschränkt.  Boro- 
mino  verzweifelte  trotzdem  nicht  an  künst- 
lerischer Wirkung.  Wieder  spricht  er  hier 
einen  Grundsatz  aus,  auf  den  man  sich  heute 
wie  auf  etwas  Neues  besinnt :  die  Schmuck- 
heit eines  Gebäudes  kann  ohne  reichere  De- 
koration, auch  schon  durch  richtig  gewählte 
Proportionen  und  Umrisse  erreicht  werden ; 
er  gebraucht  den  Vergleich  mit  dem  Kleide 
des  Menschen,  bei  dem  billiger  Stoff  in  ele- 
gantem Schnitt  besser  wirkt  als  das  teuerste 
Tuch  in  ungeschickter  Mache.  Als  das 
Schönste  in  seinem  Hause  schätzt  er  die  ge- 
wissenhaft proportionierten  großen  Säle  und 
besonders  die  Durchblicke  durch  lange  Rauni- 


RAUCHFASS  UND  SCHIFFCHEN.    ENTWURF  VON  PROF.  KOMEIS,  AUSGEF.  VON  HARRACH  &  SOHN 
///  Messing  getrieben  itiut  vi-ystllu-rt 


LEUCHTER  ZUM   HOCHALTAR  S.  20u  —  ENTWURF  UND  AUS- 
FÜHRUNG  \ON    R.    HARRACH  (FIRMA  F.  HARRACH  &  SOHN) 

fluchten.  Er  freut  sich  beim  Gedanken,  daß 
der  Blick,  wenn  bei  musikalischen  Auffüh- 
rungen alle  Türen  geöffnet  sind,  durch  die 
reich  abgewechselten  Räume  der  »Foresterias 
schweift  und  dann  noch  durch  das  ganze 
Oratorium  bis  zum  Musikchor.  In  der  Frem- 
denwohnung sucht  er  dem  Hauptsaal  durch 
Abschrägen  der  Ecken  und  runde  Überleitung 
aus  der  Wand  in  die  Decke  die  nötige  Höhen- 
wirkung zu  geben ; 
das  Schlafzimmer  da- 
neben ist  eigens  nie- 
driger gemacht  als  in- 
timerer Raum.  Beim 
Passieren  der  Treppe 
zum  Refektor  sieht 
man  auf  jedem  Ab- 
satz durch  ein  Fenster 
in  die  Wandelhallen, 
über  80  m  weit.  Im 
obersten  Geschoß  der 
Haupttreppe  führt  er 
die  Wand,  welche  die 
beiden  Läufe  bis  da- 
hin trennt,  nicht  wei- 
ter hinauf,  so  daß 
oben  eine  weite,  lufti- 
ge, von  zwei  Seiten 
beleuchtete  Halle  sich 


©^  ORAT(^RIUM  BEI  Sta   MARIA  I\  X'ALLICF.I.I.A  9"^« 


ergibt.  Was  mit  der  ovalen  Anlage  mehrerer 
Nebentreppen  für  eine  besondere  Wirkung 
beabsichtigt  war,  ist  leider  nicht  zu  ersehen. 

Wo  Pilaster  anzubringen  sind,  sieht  er 
darauf,  sie  möglichst  stark  aus  der  Mauer- 
linie heraustreten  zu  lassen,  damit  sie  »die 
ihnen  eigentümliche  Schönheit:;  entfalten. 
Auch  in  der  Farbe  unterscheidet  er  sie  wo- 
möglich von  der  Mauerflucht  indem  er  sie 
in  helleren  Ziegeln  ausführen  läßt.  Zu  sei- 
nem Leidwesen  muß  er  im  ersten  Stock 
des  großen  Hofes  die  Loggia  schließen ;  er 
setzt  nun  wenigstens  die  dünne  Wand  so 
weit  nach  innen,  daß  außen  zwischen  den 
Pilastern  Balkone  bleiben.  Die  kahl  wirken- 
den getünchten  Mauerflächen  belebt  er  mit 
vollem  Bewußtsein  des  Eftektes  durch  eine 
Art  »hängende  Gärten:;  in  den  Ecken  neben 
den  Pilastern,  oben  auf  der  Balustrade,  unten 
im  Hof,  überall  wo  Platz  ist,  werden  große 
Tongefäße  aufgestellt,  in  denen  Zitronenbäum- 
chen ihr  Grün  entfalten  sollen;  auf  den  ge- 
nannten Baikonen  soll  außerdem  jeder  In- 
haber des  zugehörigen  Zimmers  Bluinen  seiner 
Wahl  in  Töpfen  pflegen.  Wenn  Gurlitt')  die 
Höfe  freudlos  fand,  war  es,  weil  er  sie  nicht 
in  diesem  Schmuck  sah.  —  Borominos  Sorge 
um  die  architektonische  Wirkung  ging  ins 
kleinste.  In  dem  schon  vor  ihm  hergestellten 
Gang  zwischen  Kirche  und  Sakristei  lief  am 
Ansatz  des  Gewölbes  ein  Gesims  hin ;  er 
ließ  es  abschlagen,  weil  es  den  Gang  nied- 
riger machte. 

Boromino  ist  durchdrungen  gewesen  von 
der  Einsicht,  daß  konsequente  Zweckmäßig- 
keit und  richtige  Proportionen  ein  wichtigstes 

')  Geschichte  des  !5arockstile.s  in  Italien.  Stuttgart  1887. 
S.  560. 


RUDOLF  IIAÜRACU 


RUDOLF  HARRACll  (I  IR.MA  1-.  HARKACIl  ,v  SOHN)         KELCH 

Sildery  lialbiitatte   Vergoldung,  am  Nodtts  inattgriiur  l-'.dehtcitie 

(Chrysofrase) 


Element  der  Baukunst  sind.  Immerhin  hat 
auch  er  das  unangebrachte  Streben  seiner  Zeit 
geteilt,  die  Monumentalarchitektur  des  Palastes 
aufdas  billige  Nutzgebäude  zu  übertragen.  Nur 
ungernhateraufreichereDekoration  verzichtet; 
aus  Ziegeln  wenigstens  stellt  er  einfache  Ka- 
pitelle her  für  seine  Pilaster,  weil  keine  mar- 
mornen zur  Verfügung  waren.  Die  Herrschaft 
der  S\-mmetrie,  des  Schemas  erkennt  er  ohne 
Widerspruch  an,  so  sehr  er  unter  ihr  seulzt, 
da  vieles  im  vorhandenen  Bau  einer  Einbe- 
ziehung in  das  System  zu  spotten  schien ; 
mehrfach  mußte  er  zu  perspektivischen  Kunst- 
stücken greifen.  Als  das,  was  ihn  am  gan- 
zen Bau  zumeist  befriedigt,  »weil  es  das 
meiste  Studium  gekostet«,  nennt  er  bezeich- 
nenderweise :  daß  es  ihm  gelungen  ist,  die 
Treppe  zum  Refektor  genügend  zu  beleuchten, 
ohne  die  Fensterlinie  der  hinteren  Front  zu 
unterbrechen  und  ohne  die  Gewölbe-  und 
Stufenhöhe  von  Absatz  zu  Absatz  zu  ändern. 
In  den  Höfen  verwendet  er  die  größtmög- 
lichen Pilaster;  er  tut  sich  etwas  darauf  zu 
gute,  daß  er  als  erster  wieder  zwei  Stock- 
werke   in    einer    Ordnung    zusammengefaßt 


206 


S?^  ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALLICELLA  ?^a 


ALTARKKEÜZ  UND  LEUCHTER  VON  VERGOLDETEM  METALL  VON  STEINICKEN  &  LOHR,  MÜNCHEN 
Aiisstelbnt^  Müticheu  igoS 


habe,  nachdem  das  von  Michelangelo  an  den 
Kapitolspalästen  gegebene  Muster  ein  Jahr- 
hundert hindurch  unverwertet  geblieben.  Er 
rühmt  von  seinen  Pfeilerkolossen,  sie  mach- 
ten ordentlich  Lärm  (fanno  gran  rumore), 
ohne  zu  überlegen,  ob  das  im  armen  Klo- 
sterhof auch  am  Platz  ist.  Der  größte  Miß- 
griff" in  dieser  Richtung  ist,  daß  er  dem  in 
das  Wohnhaus  eingegliederten  »Oratorium« 
eine    lörmliche   Kirchenfassade  anklebte    und 


zwar  eine  auf  Täuschung  berechnete.  Füi 
eine  aufrichtige  war  kein  Platz  vorhanden 
da  die  Schmalseite  verbaut  war.  Die  für  Aus 
wärtige  bestimmte  Türe  führte  vom  Kirchen 
platz  seitlich  in  eine  Vorhalle  und  von  hier 
im  rechten  Winkel  in  den  heiligen  Raum 
sie  war  also  architektonisch  ganz  tonlos ;  trotz 
dem  steigerte  sie  Boromino-  zum  Portal,  so 
daß  der  Eindruck  entsteht,  als  wäre  ihr  ge- 
genüber   der  Altar;    die  Steigerung   geschah 


o    Ausstellung^ 
Miinchtn  tgoS 


«,  «  /a  ^  «  ALTAR  EINER  SEITENKAPELLE 
ALTARENTWURF  VON  KARL  BAUER- ULM 
RELIEF  VON  PROF.  MAX  HEILMAIER  ^  's  « 


2o8 


^m  (ORATORIUM  BRI  Sta,  MARIA  IN  VALUCELLA  ^a 


KELCH  AUS  VERGOLDETEM  SILBER,  MIT  STEINEN  BESETZT 

ENTWURF    VON    BERNHARD    WENIG,    AUSFÜHRUNG    VON 

STEINICKEN  &  LOHR 


aut  ganz  gewaltsame  Weise ;  es  bedeckte  von 
der  Fassade  nur  der  untere  Teil  des  linken 
Flügels  etwas  vom  Oratorium,  während  der 
obere  Teil  und  der  ganze  rechte  Flügel  pro- 
fane Räume  hinter  sich  hat- 
ten. 

In  der  Ausführung  dieser 
Fassade  kam  nach  dem  Be- 
richt —  ein  Beschauer  hat 
sie  sicher  noch  nie  bemerkt 
—  eine  gewisse  Symbolik 
zur  Geltung.  Ihre  groben, 
in  Ziegel  aufgeführten  Pila- 
ster  mit  dem  vereinfachten 
Detail  sollten  das  Oratorium 
als  derinTravertin  verkleide- 
ten Kirche  untergeordnet, 
als  ihre  »Tochter«  kenn- 
zeichnen. Ihre  fünfteihge 
Güederung  nach  links  und 
rechts  sollte  an  die  Gestalt 
eines  Mannes  mit  ausgebrei- 
teten Annen  erinnern;  der 


oval  vortretende  Türvorbau  entspräche  der 
Brust,  der  Balkon  darüber,  vor  der  Biblio- 
thek, dem  Hals.  Die  barocke  Idee,  Baufor- 
men so  aus  der  Menschengestalt  zu  entwik- 
kein,  muß  der  Zeit  besonders  entsprochen 
haben ;  sie  liegt,  wenn  die  im  Besitz  eines 
römischen  Architekten  befindlichen  und  von 
ihm  publizierten  Zeichnungen  wirklich  von 
Bernini  stammen,')  auch  den  Kolonnaden  von 
St.  Peter  zugrunde.  Allzuwichtig  muß  Boro- 
mino  der  »scherze«  nicht  gewesen  sein;  denn 
in  einer  reicher  gedachten  Variante  ist  die 
fünfteilige  Gliederung  zu  einer  siebenteiligen 
erweitert.  —  Im  Bericht  vergißt  er  nicht  her- 
vorzuheben, daß  seine  Fassade  nicht  wie  viele 
andere  in  Rom,  unnütz  hoch  über  das  Ge- 
bäude aufragt.  Das  verschlägt  in  diesem  Fall 
nicht  viel ;  das  ganze  Schaustück  entbehrt 
eben  doch  der  Wahrhaftigkeit;  es  täuscht  ge- 
waltsam über  Lage  und  Größe  des  Betraumes. 
Allerdings  ist  dies  im  ganzen  Bauwerk  wohl 
die  einzige  unerlaubte  Täuschung;  deshalb 
ist  das  Oratorium  doch  wohl  nicht  mit  Recht 
als  Muster  borominesker  Willkür  verschrien. 
Fs  wurde  schon  bemerkt  und  mit  dem 
Intrigenzweck  begründet:  in  unserer  Schrift 
wird  die  Aufmerksamkeit  möglichst  abgelenkt 
von  den  anfechtbaren  Neuerungen.  Nur  an 
zwei  kurzen  Stellen  wird  eine  Verteidigung 
versucht.  Im  Vorwort  wird  auf  Michelangelo 
exemplifiziert;  der  große  Meister  habe  er- 
fahren müssen,  daß  ein  Neuerer  in  den  Formen 
auf  Anerkennung  lang  warten  muß;  seine 
Gegner  seien  beständig  daran  gewesen,  ihm 
die  Bauleitung  von  St.  Peter  zu  entreißen. 
Boromino  fühlt  sich  offenbar  in  ähnlicher 
Lage;  seinen  Neidern   ruft   er  das  Sprichwort 


Fraschetti  o.  c  p.  3 14  ss. 


MESSKANNCHE.N,  AUS  SILBER  GETRIEBEN.     ENTWURF    VON   BERNHARD  VVENle 
FÜHRUNG  VON  STEINICKEN  S:  LOHR 


209 


MONSTRANZ  AUS  VIlRGOLDIiTl-M  SILBHR,  MIT  EDI:LSTEINEN  BE- 
SETZT, FÜR  DIE  KIRCHE  IN  BLAICHACH  BEI  IMMENSTADT 
STEINICKEN  &  LOHR  (MCXCHEX) 


Dl«  christliche  Kunst.     V.     7. 


C2^  ORATORIUM  BEI  Sta.  MARIA  IN  VALLICF.LLA  ?^23 


zu:  l'invidia,  fratel  niio,  sc  stessa  laccra;  mit 
eigentümlich  verhaltener  Empfindung  spricht 
er  aus:  wenn  der  Architekt  immer  nur  Kopist 
sein  dürfte,  hätte  ganz  sicher  er  ein  anderes 
Handwerk  sich  gesucht.  —  Im  Lauf  der  Schil- 
derung kommt  er  zu  den  auffallenden  Balu- 
stern an  der  Loge  der  Kardinäle  im  Ora- 
torium; er  hat  sie  gegen  alle  Regel  nicht  rund, 
sondern  dreieckig  gestaltet,  weil  sie  so,  richtig 
gegen    einander   gestellt,    für    den  Blick  von 


unten  eine  geschlossene  Wand  bil- 
deten und  dem  oben  Sitzenden  doch 
gestatteten,  zwischen  durch  hinunter 
zu  sehen.  Eine  solche  Neubildung, 
meint  er,  könne  nur  verurteilen,  wer 
nicht  weiß,  was  in  der  Architektur 
erfinden   heißt. 

Sehr  oft  weist  der  Bericht  auf 
die  technischen  Erfolge  hin,  auf  die 
nie  sich  genugtuende  Vorsicht  und 
die  glücklichen  Neuerungen  hierin. 
Da  mußte  Boromino  zwei  große  Säle, 
das  Oratorium  und  die  Bibliothek 
aut  einander  stellen,  von  denen  der 
obere  noch  dazu  ganz  frei,  ohne 
Widerlager  an  der  Langseite,  aut- 
ragte. Um  das  Gewölbe  des  unte- 
ren auf  alle  Fälle  sicher  zu  stellen, 
gab  er  den  Mauern  von  unten  auf 
eine  außergewöhnliche  Stärke  und 
baute  in  die  Ecken ,  als  eine  Art 
Streben,  Querpfeiler  ein  ;  er  bezeich- 
net drei  antike  Bauten,  an  denen 
er  diesen  Kunstgrift"  beobachtet,  wie 
er  auch  sonst  wiederholt  ein  auf- 
merksamstes Studium  der  römischen 
Ruinen  verrät.  Eine  weitere  Festi- 
gung des  Gewölbes  erwartet  er  von 
dem  einen  der  Pfeiler  an  der  un- 
glücklichen Fassade.  Er  kann  be- 
friedigt konstatieren,  daß  in  den 
acht  Jahren  seit  der  Fertigstellung 
dieses  Traktes  nicht  der  geringste 
Ril.'  sich  gezeigt  habe.  —  Sehr  viel 
tut  er  sich  auf  eine  Neuerung  im 
Einwölben  des  obersten  Stockwer- 
kes in  den  übrigen  Teilen  des  Hauses 
zugute.  Um  hier  die  nötige  Zim- 
merhöhe zu  gewinnen,  ohne  das 
Dach  über  ein  gewisses  Maß  heben 
zu  müssen,  führte  er  die  Wölbungs- 
linie frei  in  den  Dachraum  hinauf; 
die  Mauer  war  so  dick,  daß  die  Decke 
nur  die  Hälfte  brauchte,  um  aufzu- 
sitzen, auf  die  andere  konnten  die 
Dachsparren  noch  aufliegen.  Boro- 
mino findet  einen  gewissen  Reiz 
darin,  daß  man  beim  Blick  aus  den 
Fenstern  draußen  unmittelbar  das  Dach  über 
sich  hat,  während  drinnen  sich  die  Decke  erst 
viel  höher  schließt.  Er  hatte  diesen  Kunstgrifl" 
schon  im  Palast  der  Falconieri  erprobt  und 
empfahl  ihn  später  auch  dem  Papst  Innozenz  X. 
für  einen  großen  Saal  in  seinem  Palast  (an 
piazza  Navona.?),  dem  man  schon  eine  flache 
Decke  hatte  geben  wollen,  weil  die  gewöhn- 
liche Wölbung  nicht  anging. 

Boromino  verstand  seine  Aufgabe  als  Bau- 


MONS:  RANZ 


211 


MONSTRANZ  FÜR  DIE  ST.  PAULSKIRCHH  IN  MÜNCHI-.N  VON 

RUDOLF  HARRACH.  SILBERVFRGOLDET.  DIE  BEIDEN  ELFEN- 

BEINEXGEL  MODELLIERT  VON  GEORG  ALBERTSHOFER 


ö^  ORATORIUM  BEI  Sta   MARIA  IN  VALLICELLA  S^e> 


KL'liULl"  HARKACll 


MODELL  /ü   1;INI:R   MONSTRANZ 


meister,  wieder  in  durchaus  modernem  Sinn, 
dahin,  daß  er  nicht  bloß  für  die  Mauern, 
sondern  auch  für  die  Ausstattung  der  Räume 
verantwortHch  sei.  Er  verschaffte  sich  aus 
diesem  Grunde  eine  genaue  Kenntnis  der 
verschiedenen  Hantierungen,  die  in  jedem 
einzehren  vorzunehmen  wären:  bei  der  Ein- 
richtung des  »Oratoriums«  denkt  er  z.  B. 
daran,  daß  es  für  den  Prediger  unangenehm 
wäre,  sich  durch  die  Menge  der  Versammelten 
durchdrängen  zu  müssen;  errichtet  ihm  nicht 
weit  von  der  Kanzel  ein  Plätzchen  her,  an 
das  er  unbemerkt  gelangen  und  wo  er  un- 
gestört den  Stundenschlag  abwarten  kann.  — 


Er  sorgt  dafür,  daß  man  in  der  Bibliothek 
beim  Benützen  eines  Buches  von  der  oberen 
Galerie  nicht  jedesmal  in  den  Saal  herunter- 
steigen muß,  sondern  oben  ein  Tischchen 
findet,  und  er  gibt  demselben  seinen  Platz 
an  einem  Fenster,  von  dem  der  Blick  auf  die 
grünen  Hügel  des  Janikel  fällt  —  ein  feiner 
Gedanke,  durch  den  er  die  »hängenden  Gärten« 
der  Höfe  ergänzt:  die  vielbeschäftigten  Patres 
sollen  mitten  in  der  Stadt  ein  Stück  freier 
Natur  haben ;  in  derselben  Absicht  hat  er 
von  den  Wohnzellen  des  obersten  Stockwerkes, 
aus  welchen  man  über  die  Stadt  weg  in  die 
Landschaft  sieht,  aufs  sorgfältigste  den  Cha- 
rakter der  Mansarde  terngehalten;  sie  sollten 
als  die  angenehmsten  im  Hause  gelten.  Das 
Refektor  mit  allem  Zubehör  ist  mit  beson- 
derem Bedacht  eingerichtet.  Die  Küche  muß 
zugleich  nahe  am  Saal  sein,  damit  schnell 
serviert  werden  kann,  und  fern  von  ihm,  da- 
mit ihr  Geruch  und  Geräusch  nicht  belästige; 
in  diesem  Sinn  verlegt  Boromino  sie  an  den 
[spitzen  Winkel  des  Wirtschaftshofes  und  lührt 
die  Verbindung  mit  dem  Saal  so,  daß  die 
Störungen  durch  die  Wendung  des  Weges  auf- 
gehalten werden  und  die  Diener  doch  mit  wenig 
Schritten  hin  und  zurück  kommen  (s.  Abb. 
S.  1 87).  Der  Gast  am  Ehrentisch  sieht  bei  offener 
Türe  in  einen  hell  erleuchteten  Raum  mit  einem 
fließenden  Wasser  —  der  piazza  d'arme  nennt 
ihn  Boromino  scherzweise,  weil  darin  Teller, 
Schüsseln,  Weinflaschen,  Obst  usw.  aufbe- 
wahrt und  hergerichtet  werden.  Den  Diener, 
der  hier  schaltet  und  dem  der  Römer  in  seiner 
repräsentativen  Art  den  Titel  »refettoriere«  gibt, 
stellt  sich  der  Architekt  beim  Spülen  des  Ge- 
schirres vor  und  er  disponiert  ihm  Marmor- 
tische und  Schränke  so,  daß  sie  ihm  zur 
Hand  stehen.  Zwischen  diesem  »Arsenale 
und  dem  Speisesaal  wird  einer  Forderung 
Genüge  geleistet,  die  wieder  eine  der  Kon- 
gregation eigentümliche  Übung  stellt.  Man 
kennt  das  Reinlichkeitsgetühl  als  einen  cha- 
rakteristischen Zug  des  hl.  Philipp  Neri,  der 
zur  hl.  Messe  nicht  einen  Kelch  gebrauchen 
wollte,  den  schon  ein  anderer  benützt ;  er 
machte  seinen  Söhnen  peinlichste  Reinlichkeit 
zur  Pflicht ;  sie  mußte  in  der  Sakristei  herr- 
schen, was,  wie  unser  Bericht  anführt,  all- 
täglich viele  auswärtige  Priester  ins  Haus  zog; 
sie  herrschte  auch  bei  Tisch ;  vor  jeder  Mahl- 
zeit mußten  die  einzelnen  eigens  die  Finger 
waschen  und  dann  eigenhändig  die  Serviette 
mit  dem  Tischzeug  dem  angewiesenen  Kästchen 
entnehmen.  Im  Vorraum  des  Refektors,  in  den 
die  die  Treppen  Herabkommenden  zunächst 
treten,  stellt  Boromino  alles,  Wasser,  Handtuch, 
numeriertes    Kästchen    so    bereit,    daß    das 


©^  (ORATORIUM  BEI  Sfa   MARIA  IN  VAI.I.ICF.LI.A  J'^a 


Geschäft  ohne  Stauung  möglichst  schnell  sich 
abwickelt.  Er  zeichnet  selbst  die  zwei  Brunnen 
mit  je  vier  Kränen  und  richtet  es  ein,  daß 
dafür  beim  Graben  der  Fundamente  gefundene 
Marmorstücke  \'erwendung  linden.  — •  Es  sind 
im  Bericht  noch  mehr  Einzelheiten  beschrie- 
ben, die  Boromino  als  Raumkünstler;  cha- 
rakterisieren. Die  Ausstattung  des,  wie  schon 
bemerkt,  im  Mai  1656  noch  nicht  fertigen 
Westtraktes  mit  den  vielen  Zellen  ist  noch 
nicht  erwähnt.  Aus  Blatt  58  des  Tafelwerkes 
ersieht  man,  daß  Boromino  aucii  da  nicht 
nachlässig  wurde;  er  hat  sich  nicht  mit  einer 
hotelmäßigen  Aneinanderreihung  identischer 
Zimmer  begnügt. 

In  den  kunstgeschichtlichen  Büchern  wird 
Boromino  regelmäßig  nur  als  der  extravagante, 
von  Eifersucht  gequälte  Rivale  Berninis  geschil- 
dert ;  den  Ausgangspunkt  bildet  gewöhnlich  der 
nurscheinbartragische  Abschluß  seines  Lebens; 
wie  sich  aus  einem  wiederholt  veröft'entlichten 
Gerichtsakt  ergibt,  hat  er  den  unglücklichen 
Selbstmordversuch  in  einer  Krise  seines  Ner- 
venleidens   begangen.      Es    stimmt   das    her- 


ALTARLELCHTER   AUS  POLIERTEM 
.MESSING.  VOK  STEIKICKEN  &•  LOHR 


gebrachte  Klischee 
nicht  ohne  weiteres 
mit  dem  Bild  üherein, 
das  unsere  » Relation « 
von  seiner  Arbeits- 
weisegibt. Zum  min- 
desten ist  es  ein  Pro- 
blem, daß  der  Mann, 
der  während  der  Re- 
gierunglnnozenz'  X. 

die  Laterankirche 
neu  gestaltete,  die 
großen  Bauten  an 
piazza  Navona  und 
piazza  di  Spagna  (St. 
Agnese  und  Palast 
der  Propaganda)  lei- 
tete, die  noch  unter 
Urban  MII.  begon- 
nene Universitätskir- 
che St.  Eustachio 
vollendete,  im  Jahre 
1651  noch  dazu  we- 
gen  eines   im  Zorn 

begangenen  Tot- 
schlages vor  Gericht 
sich  zu  verantworten 
hatte  —  daß  dieser 
Mann  die  gleichen 
zehn  Jahre  hindurch 
mit  einer  wohl  bei- 
spiellosen Folgerich- 
tigkeit und  mit  in- 
nigster Anteilnahme 

den  Oratorianern  einen  Schauplatz  ihrer  Exi- 
stenz errichtete,  als  hätte  er  immer  mit  ihnen 
gelebt.  Daß  er  mit  ganzer  Seele  bei  der  Ar- 
beit war,  daiür  mag  man  seine  oft  wieder- 
kehrende V'ersicherung  als  Beweis  nehmen, 
daß  ihm  die  göttliche  Vorsehung  jeweils  den 
erlösenden  Gedanken  eingegeben  habe,  daß 
besonders  der  hl.  Philipp  Neri  beim  ganzen 
Bau  .ihn  innerlich  geleitet.  Auch  der  Be- 
richt'selbst  als  literarisches  Dokument  spie- 
gelt am  allerwenigsten  ein  zerrüttetes  Seelen- 
leben wider.  Obwohl  offenbar  alles  auf  die 
Wirkung  auf  den  Papst  hin  angeordnet  ist, 
kommt  nirgends  eine  unschöne  Gesinnung 
zum  Vorschein;  die  gelegentliche  Befriedigung 
über  sich  selbst  —  Selbstlob  kann  man  nir- 
gends sagen  —  ist  durchaus  naiv;  eine  Be- 
schönigung gegen  besseres  Wissen  kann  ich 
an  keiner  Stelle  bemerken;  die  wiederholte 
Erwähnung  von  Laienbrüdern  der  Kongre- 
gation, die  Einzelheiten  der  Ausstattung  ge- 
arbeitet haben,  berührt  angenehm  wie  ein 
Akt  freundlichen  Wohlwollens  gegen  die  Be- 
scheidenen. —  Mit  einer  an  klassische  Schrift- 


LEUCHTER    i- L  R    DIE    OSTER. 

KERZE.      ENTWURF  B.  WENIG 

AUSFCHRUKG  :      STEINICKEN 

&  LOHR 


214 


52^  STUTTGARTER  KUNSTBERICHT  »^33 


KASULA  (VORDERSEITE)  VON'  BERNHARD  WENIG 
Vgl.  AM'.  S.  2rj 

werke  gemahnenden  Klarluit  und  mühelosen 
Selbstverständhclikeit  werden  die  oft  reclit 
verwickehen  Verhältnisse  und  die  Genesis  der 
Lösungen  ausgebreitet ;  eine  Unzahl  von  Details 
wird  aus  lebendigster  Anschauung  heraus  mit- 
geteilt. 

Das  Gebäude,  das  Boromino  so  in  jahre- 
langer Arbeit  dem  Institute  angeschaflen  hat, 
ist  von  der  gegenwartigen  italienischen  Regie- 
rung seinem  Zweck  entzogen  worden.  Es 
läßt  sich  vermuten,  daß  man  hier  eine  ähn- 
liche Erfahrung  macht  wie  beim  ebenfalls  ent- 
eigneten CoUegio  Romano  der  Jesuiten,  das 
man  zu  nichts  recht  gebrauchen  kann  und  gern 
wieder  los  hätte.  Das  ist  eben  der  Fluch, 
der  dieser  Sünde  an  der  Architektur,  der 
Zweckentlremdung,   naturgemäß  lolgt. 

STUTTGARTER  KUNSTBERICHT 

Vom  Württembeigi  sehen  Kun  st  vere  i  ii.  Cail 
vonHäbcrlin.  Friedrich  Keller  im  Stuttgarter 
Galerie  verein.  Stuttgarter  Künstlerbund. 
Schwäbische  Maler.  Erich  Ivrl  er-S  am  a  de  n. 
Die  Münchner  »48«.  Münchner,  Berliner, 
Dresdner,  Wiener  und  andere  Maler.  Plastiker. 

Von  ERNST  STÖCKHARDT 
r)er  Württembergische  Kunstverein  stellt  sich 
begreiflicherweise  in  erster  Linie  den  einheimischen 
Künstlern  zur  Verfügung,  manches  junge,  aufstrebende 


T.dent  verdankt  ihm  sein  Emporkonimen,  und  es  ist  in- 
lülgedessen  nirgends  ein  besserer  Überblick  über  deren 
Leistungen  zu  gewinnen,  wie  in  jenen  sachkundig  ge- 
leiteten Räumen.  Dort  aber  bot  sich  mir  jüngst  ein  über- 
raschendes Bild 

So  weit  ich  zurückdenke,  so  viele  Gemäldesammlungen 
ich  besichtigt  habe,  noch  niemals  sah  ich  ein  solch  »aus- 
verkauftes Haus«,  wie  gelegentlich  der  Ausstellung  von 
Gemälden  und  Skizzen  unseres  Nestors  Carl  von  Häber- 
lin- Stuttgart.  Alle  seine  kleineren  Arbeiten  trugenden 
Vermerk  »Verkauft«  —  eine  geradezu  phänomenale  Er- 
scheinung ,  vollends  in  jetziger  geldarmer  Zeit,  wo  bei 
den,  ich  möchte  sagen:  berüchtigten  (weil  die  Künstler- 
schaft schwer  schädigenden  sogenannten)  Kunstauktionen 
oft  kaum  der  Rahmen  bezahlt  wird.  Mancher  jüngere 
Maler  aber  wird  nicht  ohne  Neid  den  Riesenerfolg  des 
18^2  geborenen  Meisters  beobachtet  haben.  Es  wäre 
aber  em  großer  Irrtum,  ihn  lediglich  als  Ausfluß  des 
Lokalpatriotismus  aufzufassen.  Die  Häberlinsche  Kollek- 
tion zeigte  in  hochinteressanter  Weise  den  Werdegang 
des  Künstlers  von  der  Studienzeit  in  München  bis  in 
die  letzten  Monate.  Ihren  Mittelpunkt  bildete  das  große, 
jetzt  freilich  nicht  mehr  zeitgemäße  Galeriebild  »Christen- 
verfolgung«, in  der  Komposition  deutlich  an  die  Münch- 
ner Schule  zu  Pilotys  und  Lindenschniilts  Zeit  erinnernd, 
vorzüglicli  gezeichnet,  im  Kolorit  etwas  matt,  wie  es 
damals  eben  beliebt  war,  bis  auf  die  kräftig  und  effekt- 
voll hervortretende  Mittelgruppe  des  gesteinigten  greisen 
.\lartvrers  und  seiner  schönen  Tochter  —  trotz  der  ver- 
änderten Geschmacksrichtung  ein  Werk  von  hohem,  künst- 
lerischem Wert,  welches  immerdar  eine  Zierde  des  Braith- 
Museums  in  Biberach  bilden  wird.  Ebenlalls  überaus 
fein  in  der  Zeichnung  und  dem  an  niederländische  Vor- 
bilder erinnernden  Kolorit  ist  das  kleine  Bild  »Ein  Hu- 
manist«, während  das  große  Gemälde  »Gewissen«  der 
späteren  Freilicht-Periode  angehört :  Ein  von  den  Furien 
Verfolgter  hat  sich  in  eine  Höhle  geflüchtet,  um  hier 
seinem  Leben  ein  Ende  zu  machen,  jene  aber  drängen 
aus  dem  hellen  Tageslicht  nach  —  ein  packender  Vor- 
wurf! Sichere,  wie  immer  exakte  Zeichnung,  efl'ektvolle 
Farbenkontraste  bringen  diese  naturalistisch  durchgeführte 
Komposition  zu  höchster  Wirkung.  Von  Theatralik  und 
Atelierlicht  ist  hier  schon  nichts  mehr  zu  spüren,  und 
dieser  Richtung  blieb  der  Meister  treu,  wie  sein  großes 
Familienbild  »Im  Garten«  aus  dem  Jahre  igo8  deutlich 
zeigt,  welches  zugleich  die  ungeschwächte  Künstlerkraft 
der  76jährigen  Meisters  erkennen  läßt:  Ganz  sonnig, 
ohne  raflinierte  Refle.xe  gemalt,  sitzen  die  lebensgroßen 
Figuren  in  anmutiger  Gruppierung  und  Ungezwungen- 
heil um  den  Tisch  im  Grünen. 

Bevor  ich  zu  unseren  jüngeren  Künstlern  übergehe, 
möchte  ich  hier  der  umfangreichen  Kollektion  von  Ge- 
m.üden,  Skizzen  und  Studien  gedenken,  welche  unter 
der  dankenswerten  Ägide  des  Stuttgarter  Galerie- 
vereins fiist  gleichzeitig  mit  der  Häberlinschen  im  Mu- 
seum der  bildenden  Künste  zur  Ausstellung  gelangte, 
unseres  1840  zu  Neckarwailiingen  geborenen  Professors 
Friedrich  Kel  le  r- Stuttgart,  dem  Nachfolger  Häber- 
lins  als  Leiter  der  technischen  Malklasse  an  der  Kunst- 
akademie. Wohl  waren  von  nah  und  fern  Werke  von 
ilim  zusanmiengetragen,  um  ein  ungefähres  Bild  seines 
Lebenswerkes  zu  bieten,  aber  es  fehlten  doch  gerade 
jene  großen  dekorativen  Arbeiten ,  die  Keller  für  den 
l)rachenfels  a.  Rh.,  für  das  Justizgebäude  in  Ulm ,  für 
diverse  Kirchen  u.  a.  O.  geliefert  hat  und  des  Meisters 
bedeutendste  Werke  darstellen.  An  deren  Stelle  traten 
wenigstens  mehrere  flott  hingeworfene  skizzierte  Ent- 
würfe, welche  die  Sammlung  wirkungsvoll  ergänzten. 
Hierbei  zeigte  sich  evident,  daß  die  großzügige  dekorative 
Kunst  Kellers  ihren  grundlegenden  Ursprung  in  der 
Dekorationsmalerwerkstatt  hat,  wo  er  seine  Laufbahn  be- 
gann und  sein  Talent  entdeckte.    Dies  führte  ihn  nach 


SJ^  STUTTGARTER  KUNSTBERICHT  J^<a 


215 


München  und  wurde  von  ihm  in  uner- 
müdlichem Studium  unter  W'ilhehii  Lin- 
denschmitts Anleitung,  durch  Piloty,  Ma- 
k.irt  und  andere  Größen  der  damaligen 
Münchner  Künstlerwelt  heeinlUißt,  zur 
nachmaligen  Bedeutungweiter  entwickelt, 
ohne  von  der  damals  beliebten  Anek- 
dotenmalerei merklich  angeregt  zu  wer- 
den. Derartiges  fand  sich  in  der  hiesi- 
gen Ausstellung  nicht  vor.  Unter  seinen 
iiier  zusammengebrachten  Gemälden  rag- 
ten die  »Steinbrecher«  (1879.  Hamburger 
Kunsthalle)  am  mächtigsten  hervor,  in 
interessanter  Weise  ergänzt  durch  die 
mit  höchster  Feinheit  gemalten  kleinen 
Steinbruchstudien,  wie  überhaupt  Kellers 
Studien  geradezu  vorbildlich  genannt  wer- 
den müssen.  Deren  enorme  Zahl  und 
klassische  Ausführung  konnten  der  hiesi- 
gen jüngsten  Malergeneration  so  recht 
deutlich  zeigen,  wie  früher  zeichnerisch 
studiert  wurde.  Auch  eine  Anzahl  reli- 
giöser Bilder  war  ausgestellt,  welche  Kel- 
ler bekanntlich  mit  Vorliebe  malte.  Seine 
»Grablegung«  (1884)  ist  schon  längst  im 
Besitz  der  hiesigen  Staatsgalerie,  ihre  Vor- 
züge sind  wohlbekannt.  In  zwei  inter- 
essanten Auffassungen  war  Christi  Fuß- 
salbung durch  Magdalena  vorhanden, 
eine  ältere  von  1889  aus  dem  Besitz  eines 
Herrn  Pfäfi'lin  in  Straßburg,  ferner  die 
meines  Erachtens  jene  weit  überragende 
jüngere  von  1892  im  Besitz  des  Hofrat 
Schmitt  hier.  Aus  allerneuester  Zeit 
stammt  wohl  das  angefangene  Gemälde 
»Lots  Flucht«.  Auf  dem  beigefügten 
skizzierten  Entwurf  treten  die  Gestalten 
von  Lot  und  seinen  Töchtern  schatten- 
haft aus  dem  im  Hintergrund  brennen- 
den Sodom  hervor.  Zwei  erst  in  diesem 
Jahre  entstandene  prächtige  Freilichtskiz- 
zen von  Steinbrucharbeitern  waren  Glanz- 
nummern der  später  zu  besprechenden 
Ausstellung  des  Stuttgarter  Künstlerbun- 
des, ein  Beweis,  wie  frisch  unser  neun- 
undsechzigjähriger  Meister  noch  arbeitet. 

Daneben  wollte  die  gleichzeitig  ausgestellte,  ihrem 
Umfang  nach  recht  anspruchsvolle  Kollektion  des  Balin- 
ger  Künstlerp.iares  H.  (laspar  und  Frau  M.  Gaspar- 
Filser  nicht  befriedigen.  Da  ich  jedes  ehrliche  Streben 
gern  anerkeime,  will  ich  das  'Falent  und  den  Fleiß  die- 
ses Ehepaares  nicht  unterschätzen,  nur  darf  er  nicht  in 
Flüchtigkeit  ausarten.  Auch  das  Großzügige  in  den  Ar- 
beiten der  Frau  Caspar  Filser  wurde  schon  gelegentlich 
einer  früheren  Besprechung  rühmend  hervorgehoben. 
Was  uns  hier  vorgeführt  wird,  sind  häßliche,  mindestens 
wenig  schöne  Gesichter  und  Gestalten,  dabei  ist  die 
Zeichnung  oft  laienhaft  unkorrekt.  »Melancholie»  von 
11.  Caspar  ist  eine  sitzende  Frau  in  moderner  Tracht, 
die  malerische  X'orzüge  nicht  aufweist.  Seine  »Röme- 
rin«, ein  wenig  bekleideter  Halbakt,  will  sich  wohl  an 
klassische  Vorbilder  anlehnen,  aber  das  Inkarnat  ist  tot 
und  unwahr,  das  Ganze  verfehlt.  Besser  gelang  sein 
»Giovannino«,  ein  nackter  Bube  süditalienischer  Herkunft, 
als  Studie  —  nicht  als  Bild  —  lobenswert.  Und  das 
Porträt  einer  jungen  Dame  zeigt  wenigstens  Ansätze  zu 
richtigem  Sehen  und  eine  gute  Zusammenstellung  der 
Farben.  Frau  Caspar-Filser  aber  fängt  an,  manieriert  zu 
sein.  Alle  Achtung  vor  ihrem  fast  männlichen  Talent, 
von  dem  wir  Großes  erwarten  dürfen,  aber  nur  dann, 
wenn  die  Künstlerin  die  ihr  geläufige  bodenständige 
Heimat  naturwahr   und   nicht  allzu   skizzenhaft  wieder- 


K.\SULA  (RÜCKSEITE)  VON  BERNHARD  WENIG,  AUSGEFÜHRT  IN  DER  PARA- 
MENTENANSTALT    FIRMA   M.  JORRES    lÜR    DIE   KIRCHE    IN  SCHWABERING 


gibt.  Ihr  großes  Triptychon  »Übsternte«,  ihre  .Herbst- 
saat« —  übrigens  nicht  unbedeutende  Arbeiten  —  leiden 
überdies  an  zu  reichlicher  Verwendung  gelblichbrauner 
Töne.  Auch  ihr  »Vorfrühling«  leidet  unter  dieser  Ma- 
nier. Die  »Schnitterinnen«  im  Weizenfeld  erscheinen 
als  ein  schwächlicher  Versuch  nach  Graf  Kalckreuth; 
aber  welch  anderen  intensiven  Sonnenglanz  zeigt  dessen 
leichtbewegtes,  reifes  Kornfeld,  z.  B.  »Im  Sominer« ! 
U'eit  glücklicher  gelang  der  Künstlerin  die  duftige  »Reife 
Wiese«  und  die  in  ihrer  Zartheit  ein  wenig  an  .Monet 
anklingende  »Maisonne«.  Auch  hier  freilich  fehlt  die 
Tiefe,  und  der  Himmel  ist  zu  blaß.  Als  in  ihrer  cha- 
rakteristischen F'ärbung  wohlgelungen  ist  dagegen  die 
Alblandschaft  »Tauwetter«  hervorzuheben. 
>•  Auch  K  a  r  1  S  c  h  i  c  k  h  a  r  d  t  -  Stuttgart  beschränkt  sich 
fast  ausschließlich  auf  heimische  .Motive,  einfache  Land- 
schaften aus  dem  Neckartal  und  der  Schwäbischen  .Mb, 
aber  hier  finden  wir  wirkliche  Natur,  in  die  nichts  »hinein- 
geheimnist«  ist.  Freilich  dürfte  mehr  Licht  und  Sonne 
in  den  meisten  dieser  zuletzt  ausgestellten  .Arbeiten  sein, 
die  Luft  dürfte  leichter,  der  Himmel  lichter  sein.  Als 
gelungen  ist  sein  ».Märzenschnee«  hervorzuheben,  ein 
stimmungsvolles  Landschaftsbild  mit  dem  Blick  auf  die 
fernen  Berge  der  Alb.  Die  alte  »Brücke  hei  Ditzen- 
bach«  im  sonnigen  maigrünen  Wald  mit  hübscher  Per- 
spektive, desgleichen  seine   »Bäume  am  Wasser«  zeich- 


2l6 


©^  STUTTGARTER  KUNSTBERICHT  ^ö 


BRUDERSCHAFTSFAHNE  VON    BERNHARD   WENIG,   AUSGhliHKl    > 
FIRMA  M.  JÖRRES  FÜR  DIE  KIRCHE  IN  SCHWAHERING 

nen  sich  durch  Irisches,  dufliges  Kolorit  erfreulich  aus. 
Sein  >Somniertag«  wurde  auf  der  Ausstellung  Mün- 
chen 1908  mit  Recht  viel  beachtet.  Sein  »Motiv  bei 
Niedernau«  mit  den  herbstlichen  Pappeln,  sein  > Früh- 
ling« sind  als  besonders  glücklich  behandelt  noch  zu 
erwähnen.  Beachtenswerte  Skizzen  vervollständigten  seine 
KoUelftion.  Ungeteiltere  Anerl;ennung  fand  eine  Reihe 
von  Gemälden,  welche  der  von  schwerer  Krankheit  ge- 
nesene Otto  Rei  niger- Stuttgart,  ein  führendes  Mit- 
glied des  Stuttgarter  Künstlerbund  es,  nach  län- 
gerer Pause  ausstellte.  Nicht  ohne  Grund  gilt  Reiniger 
als  einer  unserer  bedeutendsten  Maler.  Wundervoll  er- 
g.inzen  Feinheit  und  Reichtum  des  Kolorits  in  seinen 
neuesten  Gemälden  den  bekannten  großen  einheitlichen 
Stil  des  Meisters.  Namentlich  sein  »Motiv  bei  Ham- 
burg« mit  dem  zarten  Duft  des  Meeres,  sein  > Abend 
am  Kochers  im  goldigen  Schimmer  der  untergehenden 
Sonne,  der  von  ihm  mehrfach  gemalte  »Weiher  am 
Tachensee<,  dann  das  weite,  von  einem  Bächlein  durch- 
zogene Feld,  von  rotumsäumten  Wetterwolken  beschat- 
tet, das  alles  dokumentiert  den  Meister  im  Fortschreiten 
zu  immer  größerer  Vollkommenheit.  Auch  Albert 
Käppis -Stuttgart  ist  als  tüchtiger  Maler  bekannt.  Er 
war  mit  gut  charakterisierenden  Motiven  vom  Adriatischen 
Meer  und  der  Ostsee   bei  Rügen  und  einem  größeren 


Gemälde»  Fischer  am  Bodensee<  würdig 
vertreten.  Hermann  Drück-Neckarthail- 
fingen  begegneten  wir  schon  oft  in  den 
Sälen  des  Württembergischen  Kunstvereins 
und  konnten  ihm  manches  Lob  zollen.  Dies- 
mal sandte  er  u.  a.  einige  anspruchslose, 
sicher  gezeichnete  und  gut  aquarellierte 
Veduten  aus  Messina  und  Calabrien,  von 
aktuellem  Interesse  infolge  der  kürzlichen 
Erdbebenkatastrophe.  Sein  »Somniertag« 
zeigt  dagegen  ein  Stückchen  Heimat  in 
recht  glücklicher  Ausführung.  Auch  seine 
Gattin,  Frau  Elise  Drück -von  Stock- 
maj-er,  zeigt  ein  hübsches  Talent,  nament- 
lich ihr  »Interieur«  ist  gelungen,  während 
ihre  Motive  vom  Gardasee  fast  allzusüß 
erscheinen.  R.  Thost-Stuttgart  hatte  ne- 
ben mehreren  Landschaften,  von  denen  nur 
»Mondschein«  (Wald  mit  Wasserspiegel; 
hervorgehoben  werden  kann,  eine  vorzüg- 
lich gemalte  große  Pastellstudie  »Spiegel- 
bild« (Rückenansicht  einer  Dame  in  weißem 
Kleid  mit  Porträtspiegelung)  ausgestellt, 
welche  starkes  Talent  und  feinen  Geschmack 
für  dieses  Fach  verrät.  C.  Wahl  er- Stutt- 
gart behandelte  in  zwei  Pendants  »Mor- 
gensonne«  und  »Abendsonne«  das  gleiche 
Motiv,  eine  sonnenbeschienene,  malerische 
Dorf  kirche,von  denen  namentlich  dicAbend- 
stimniung  gelungen  ist.  EmilErich  Rath- 
Stuttgart  brachte  vortreffliche  Porträts,  be- 
sonders gefiel  dasjenige  einer  ergrauten 
Dame  im  Profil  mit  lebhaftem,  liebens- 
würdigem Gesichtsausdruck.  Auch  das 
Porträt  eines  Herrn  S.  auf  dunklem  Hin- 
tergrund ist  famos  gemalt.  —  Eine  kleine 

Künstlervereinigung    »Die    Freunde« 
brachte   nicht   viel   Rühmenswertes.      Das 
beste  Stück  dieser  Kollektion  war  das  Por- 
trät einer  Matrone  von  J.  Kurz-Stuttgart. 
Von  Eugen  Hafner- Wickersdorf  (Stutt- 
garter) wäre  ein  gut  studierter  »Neuschnee« 
im  Wald  und  der  duftige  lichte  »Frühnebel« 
erwähnenswert,    von     Eugen    Stamm- 
bach-Stuttgart  mögen  einige  Schneeland- 
schaften, eine  recht  annehmbare  »Garten- 
laube« und  der  »Waldweg«  mit  hübschem 
Baumschlag     hervorgehoben    sein,    aber    ihm   gelingen 
Luft    und    Himmel    nicht,     die   sind    geradezu    bleiern 
schwer.     Günstiger  wirkten   in  jeder  Hinsicht  die  zwei 
Pendants,    welche    dieser    strebsame    Künstler   für   die 
nachfolgende  .^  u  s  s  t  e  1 1  u  n  g  des  » S  t  u  1 1  g  a  r  t  e  r  K  ü  n  s  t- 
lerbundes«    reservierte:     Seine    »Tannen«    sind    dort 
malerisch    gruppiert    und   gut   getönt,   desgleichen  seine 
»Parkgruppe«.      Einer   der   Fülirer    dieser  größten   Ver- 
einigung von  Künstlern  der  Residenz,  Carlos-Grethe- 
Stuttgart,  stellte  wieder  zwei  »Crevettenfischer«  aus,  einen 
auf  einem  Fuchs,    einen    auf  einem  Schimmel  stumpf- 
sinnig  im  Schritt   der   schwachen    Brandung   entgegen- 
reitend, beide  im  Halbdunkel  vor  Morgengrauen.    Sein 
größeres  Gemälde    »Im  Boot«,   mit    markigen,   lebens- 
großen Fischern  bemannt,  im  Hintergrund  nur  eine  grau- 
weiße Fläche,  erscheint  übergroß. 

Christian  Lan  de  n  b  er  ger- Stuttgart,  auch  ein 
hervorragendes  Mitglied  der  Vereinigung,  hat  Porträts 
und  Landschaften  etc.  ausgestellt,  vielseitig,  wie  er  ist. 
Von  ersteren  gefiel  das  Porträt  des  78  jährigen  Malers 
D.  Bantel-Ebingen  besonders,  es  ist  markig  und  lebendig 
in  Zeichnung  und  Farbe.  Auch  ein  anderes  männliches 
Kniestück,  ein  recht  scliwärzlich  angelegter  und  skizzen- 
haft behandelter  Kopf,  ist  brillant  charakterisiert.  Da- 
gegen  erscheinen   in   dem   Bild    »Am  Gartenhaus«    die 


©^  STL'TTGARTF.R  KUXSTBF.RICHT  »^Ö 


beiden  lebensgrossen  jungen  Damen  unkörperlich,  llacli 
und  allzu  skizzenhaft  behandelt,  eine  Manier,  die  fast 
allen  vorher  besprochenen  Porträts  mit  Ausnahme  der 
von  E.  E.  Rath  gemalten,  anhaftet.  Die  Farbe  soll  eben 
heutzutage  alles  sein,  Zeichnung  Nebensache,  ein  Irrtum, 
der  sich  späterhin  schwer  räclien  dürfte,  namentlich  bei 
grossem  Format.  Wie  schön  wirkte  dagegen  die  kleine 
ältere  Skizze  Landenbergers  iSchnitter«.  Hier  stellte 
der  Künstler  plastische  Gestalten  in  lebhaftem  Rhythmus 
in  ein  wogendes  Kornfeld.  Weniger  kräftig  ist  sein 
iBoot  auf  dem  Ammersee«,  die  Abendstimmung  ist 
doch  wohl  etwas  zu  süß.  Immerhin  ein  Meister  der 
Farbe,  auf  den  Stuttgart  stolz  sein  darf.  Einen  schrofl'en 
Gegensatz  bildet  der  in  früheren  Berichten  rühmend 
erwähnte  Amandus  1-aure- Stuttgart,  der  noch  immer 
mit  Vorliebe  dunkle  Zirkusbildchen  und  groteske  Szenen 
aus  der  Boheme  darstellt  und  auch  jetzt  wieder  solche 
brachte.  Von  ihm  scheint  der  talentvolle  junge  Kom- 
ponierschüler Molfenter  tüchtig  gelernt  zu  haben. 
Beide  zeigen  den  geschlossenen  Vorhang  eines  Zirkus, 
durch  dessen  Spalte  intensives  Licht  in  den  dunklen 
Vorraum  fällt  und  auf  Molfenters  Bildchen  ein  paar  flott 
skizzierte  Schimmel  streift,  während  bei  Faure  Mitglieder 
der  Truppe  herumlungern.  Von  Faure,  dessen  Talent 
für  Szenen  ä  la  Goya  bekannt  ist,  waren  noch  manche 
famose  Skizzen  ausgestellt,  so  namentlich  ein  vorzüglich 
komponiertes  »Theatc-r  in  Paris«,  zugleich  übrigens  ein 
stimmungsvolles  »Kircheninneres«.  R.  Pötzelberger- 
Stuttgart  stellte  diesmal  nur  bescheiden  aus.  R.  Pankok- 
Stuttgart  war  nur  durch  eine  »Mülile«  im  Wald  mit 
hübschem  Wasserspiegel  vertreten.  E.  Laiblin-Stutt- 
gart  krankt  etwas  an  Farblosigkeit:  Seine  »Waldland- 
schaft« ist  in  der  Zeichnung  recht  gut,  der  Himmel 
aber  ist  zu  schwer.  Diesen  Mangel  zeigt  auch  sein 
>Venedig«,  eine  übrigens  beaclitenswerte  Arbeit.  Ge- 
fälliger in  der  Tönung  ist  die  »Hafeneinfahrt«  von 
August  Specht-Stuttgart.  Seine  Spezialität  sind  Motive 
von  der  Wasserkante,  Fischer  und  deren  Behausungen, 
Viehweiden  auf  der  Düne  u.  dergl.,  die  er  mit  Glück 
und  Geschick  behandelt.  Alfred  Schmidt- Stuttgart 
stellte  einen  ».\bend  am  See«  aus.  Die  wundervolle 
abendliche  Färbung  des  Wassers,  die  Zeichnung  ist 
vortrefflich.  Von  diesem  jungen  Künstler  war  gleich- 
zeitig das  »Porträt  einer  jungen  Dame«,  Kniestück,  vor- 
handen, frappant  ähnlich  und  flott  hingestelh.  Stricli- 
Cha pell- Sersheim  sandte  wieder  einige  große  Land- 
schaften, meisterhaft  behandelt  in  Komposition  und 
Kolorit.  Erwin  Starker-Stuttgart  wirkt  in  seinen 
kleinen  Bildern  besser,  wie  in  großem  Format.  Sein 
in  Silberglanz  liegender  »Untersee«,  die  schäumenden 
Wasser  des  »Rheinfall«  u.  a.  von  ihm  ausgestellte  Bilder 
verdienen  alles  Lob.  Fritz  Lang-Stuttgart  brachte 
eine  recht  gelungene  »Fränkische  Landschaft«  in  fein 
abgetönter  grauer  Regenstimmung.  Auch  sein  kleiner 
»Schloßplatz«,  der  prächtige  »Papagei«  mit  tiefgrünem 
Hintergrundgebüsch,  die  »Kühe  auf  der  .Alb«  sind 
koloristisch  fein  behandelt.  Ihm  ist  Farbe  alles.  Besser 
zeichnete  AI.  Eck ener  -  Stuttgart  seine  in  Tempera 
gemalten  »Pflügende  Ochsen«,  wogegen  die  Landschaft 
zuviel  rötlich-braune  Töne  zeigt. 

Von  Gesamtausstellungen  nichtschwäbischer  Maler 
nahm  die  von  Erich  Erler-Samaden  hervorragendes 
Interesse  in  .\nspruch.  Der  Bruder  des  berühmteren 
Fritz  Erler-Münclicn  von  der  »Scholle«  zeigt  sich  da 
als  eine  markante  Künstlerpersönliclikeit,  der  man  den 
seif  made  man  freilich  ansieht.  Wir  wissen  ja,  daß  er 
keine  Malschulc,  keine  .Vkademie  besucht  hat,  und  be- 
wundern umsomehr  den  hohen  Grad  von  Künstlertum, 
den  er  aus  sich  selbst  und  aus  seiner  Umgebung  ge- 
schöpft hat.  In  der  früheren  winterlichen  Einsamkeit 
des  Ober-Engadin  hat  er  gleich  dem  größeren  Segantini 
eifrig  in  und   an  der  Natur  studiert,   Luft  und  Gebirge 


KASUI.A,  NACH  ABGABEN  VON  PROF.  TH.  SPIESS,  F.NTWOK- 

FEN    VON    F.  GÄSSL.       AUSGEFÜHRT    IN    DER    STICKEREI- 

.\NSTALT  .M.  AUER 

hat  er  Sommer  und  Winter  in  jenen  weltverlassenen 
Höhen  mit  feinem  Künstlerauge  beobachtet,  auch  die 
Bewohner  und  Gäste  des  Landes  haben  sein  Skizzen- 
bucli  bereichert.  .\ber  während  seine  Landschaften 
unter  diesen  wertvollen  Einllüssen  fast  ohne  .\usnahme 
hervorragend  schön  und  bedeutend  ausfielen,  wollen 
ihm  die  menschlichen  Körper  oft  nicht  geraten.  Den 
klaren  Hochgebirgston,  die  durchsichtige  Luft,  das  matte 
Grün  der  Wiesen  in  jenen  Höhen  trifft  Erler  vorzüglich. 
So  bewundern  wir  z.  13.  an  der  »Hirtenpredigt«  die 
wunderbare  Klarheit  der  Hochgebirgskettc  im  Hinter- 
grund. Und  hier  ist  auch  die  nur  flüchtig  skizzierte 
Gruppe  der  Andächtigen  im  Vordergrund,  gerade  in 
ihrer  Kleinheit,  vortrefflich  gezeichnet.  Sein  ».-Kbcnd- 
läuten «  mit  dem  einsamen  im  Gebet  stillhaltenden 
Reiter  charakterisiert  vorzüglich  die  unbeschreibliche 
Rulie  der  Hochgebirgseinsamkeit  bei  herbstlicher  .Abend- 
stimmung. Außerordentlich  frisch  wirkt  die  Schnee- 
studie mit  der  streifenden  gelben  Katze.  Die  prächtige 
landschaftliche  Umrahmung  wird  aber  stark  beeinträch- 
tigt, wo  Erler  riesengroße  Figuren,  die  monumental 
wirken  sollen,  hineinstellt.  Ganz  unverständlich  freilich 
ist  die  »Winzermaske«  mit  Eule  und  Kakadu  und  dem 
geöffneten  Käfig.  Vorzüglich  weiß  er  frischgefallenen 
lockeren  Schnee  wiederzugeben,  so  aul  dem  Gemälde 
»Heilige  drei  Könige«  und  »Winterstille«  mit  dem 
äsenden  Hirsch,  hier  freilich  dürfte  die  .Mondnacht  doch 
gar  zu  blau  geraten  sein.  Seinem  wiederholten  Aufent- 
halt am  Ammersee  scheinen  die  blumenreichen  Ge- 
mälde »Sommersonne«,  »Gatten  am  Walde«,  »Garten 
einer  alten  Dame«,  >.\prilsonne«  u.  a.  ihre  I^ntstehung 


Die  christliche  Kunst. 


2l8 


e?:^  STUTTGARTER  KUNSTBF.RICHT  m>S 


VMUTl:  \(,l^l;l  tV   VO\'  ItUDOLF   HARRACH 

ZU  verdanken,  und  auch  in  diesem  Genre  zeigt  lirler 
seine  große  Kunst.  Ihm  liommt  freilich  zugut,  daß 
eine  so  reichhaltige  Kollektion  ermöglicht,  ihn  im  ganzen 
zu  beurteilen,  nicht  nach  einzelnen  Arbeiten. 

Wenn  ich  jetzt  als  mindestens  ebenso  interessant, 
freilich  ganz  anders  geartet,  die  einige  Wochen  früher 
ausgestellt  gewesene  Sammlung  der  »48«  aus  der  Mün- 
chener Künstlergenossenschaft  erwähne,  so  ge- 
schieht dies  des  Kontrastes  wegen.  Gibt  es  doch  kaum 
einen  schärferen  Kontrast  als  den  zwischen  jenem  mo- 
dernen Himmelsstürmer,  der  von  keinerlei  Schule  ab- 
hängig ist,  und  unseren  längst  liebgewonnenen,  längst  an- 


erkannten und  berühmte  Namen  tragenden 
Münchnern.  Und  merkwürdig,  obgleich  diese 
H.  Lindenschniitt,  Franz  Defregger, 
Alex,  und  Ferd.  Wagner,  Alois  Erdtelt, 
Ed.  Grützner,  G.  v.  Canal,  Toby  Rosen- 
thal, Rob.  Schleich,  W.  Kreling  etc.  von 
unseren  Jungen  als  veraltet  längst  abgetan  sind, 
wie  imponierten  und  erfreuten  sie  mit  den 
meist  noch  unbekannten  Arbeiten,  welche  sie 
hierher  gesandt  hatten!  Vielfacli  hieß  es:  Ach, 
wenn  doch  die  jungen  Maler  auch  noch  so 
malen  könnten!  Und  die  >- Asphaltmalerei«  aus 
der  Mitte  vorigen  Jahrliuiiderts  gefiel  manchen 
besser,  wie  die  neuzeitliclien  Farbenzerlegungs- 
experimente. So  erziehe  diese  .Ausstellung,  die 
einer  n.ilieren  Besprechung  ja  nicht  bedarf,  einen 
unverhofften  Erfolg,  der  im  Zusammenhang 
mit  der  Häberlin-  und  Keller-Ausstellung  wohl 
zu  denken  gibt.  Unzweifelhal't  hat  das  Ringen 
unserer  Generation,  ihr  Suchen  nach  neuen 
Werten  im  Gebiet  der  Malkunst  tatsächlich 
viel  Gutes  gebracht,  aber  das  Gute  früherer 
Perioden  behält  seine  Ewigkeitswerte  und  darf 
nicht  geringschätzig  betrachtet  werden. 

Auch  F.  M.  Bre dt- Ruhpolding  könnte  zu 
den  Münchnern  älterer  Richtung  zählen.     Er 
sandte  eine  Kollektion  seiner  bekannten  glatt 
und  süß  gemalten  Haremsbilder  mit  ihren  Vor- 
zügen und  Fehlern.  Max  Ed.  Giese-München 
exzellierte  mit  seinen  großen  Aquarellen  >Pas- 
sau<,    dem  duftigen   »Vorfrühling«    und    dem 
alten  Stadttor  zu  >Lochhausen  im  Winter«,  so- 
wie Max  Flash  aar -München  mit  einem  fein 
komponierten    Miniaturaquarell  ■    Sachverstän- 
dige <.  Auch  »Stilles  Wasser<  im  Waldesdickicht 
bei  Mondenscliein  von  W.R. Bonge -München 
zeichnete   sich    durch    flotte  Behandlung    und 
glückliches    Kolorit    aus.      Rick  off  München 
sandte    ein   vorzüglich  charakteristisches   Por- 
trät des  seligen  »Papa  Geis«  und  hübsche  an- 
spruchslose Genrebildchen,  u.  a.  einen  gelun- 
genen  »Geizhals«.     Die  weiß  in  weiß  darge- 
stellten Kinderportrats  von  H  u  m  m  e  1  -  M ünchen 
sind  etwas  sehr  auf  Etfekt  gemalt.    Einen  tüch- 
tigen Tiermaler  lernten  wir  in  H.  Naumann- 
München  kennen.     Eine  Menge   prächtig   ge- 
malter und  famos  cliarakterisierter   Schnauzer 
sandte  Richard  Streb el-Münclien.  Von  Ton- 
stimmung freilich  scheint  er  niclit  viel  zu  hal- 
ten, so  auf  dem  Bild   »Meine   Frau    und  ihre 
Hunde«,   wo   das  rote  Kleid  hart    gegen   die 
Lult  stellt  und  das  Gras  zu  aufdringlich  wirkt, 
'l'heodor  Bohnen  berger-München  ist  ein 
leiner  eigenartiger  Porträtist,   wie  die   »Dame 
in   hoUändisclier   Tiacht«    in   dem   vorzüglich 
gemalten   bräunhchen  Velvet   und   der  kleine 
»Skiläufer«    beweist.     Bei  den  Münclmer  Ve- 
duten von  Bössenroth -Dachau  sind  die  Be- 
leuchtungseffekte in  warmen  gelbroten  Tönen 
wohlgelungen. 
Von    norddeutschen  Malern   ist   der   gutgemalte  Akt 
einer   jungen    Blondine    im  Wald  von  J.  Engel-Berlin 
zu  erwälinen.    Das  Porträt  einer  »Dame  in  Grün«   von 
Linde-Walther-Berlin   zeichnet   sich    durch   reizende 
Farbenzusammenstellung  aus.    Martin  Brandenburg- 
Berlin  sandte  einen  vornehm  behandelten  »Erlenwald«, 
dagegen    konnte   »Loge«  weniger   befriedigen.     Um  so 
beachtenswerter  waren  die  »Gartenpartien«  von  Pottner- 
Berlin  in  ihrer  farbenteilenden  Technik.    Die  dämmerige 
»Flußlandschaft«  von  Kallmorgen-Berlin  zeiclinet  sich 
durch  schönes,    weiches  Kolorit  aus.     Die  sich  auf  der 
Düne   sonnenden  Kinder   von  Bischoff-Culm-Berlin, 


©^  STUTTGARTER  KUNSTBERICHT  »€S3 


219 


wie  auch  die  Blumen  pllückenden  Landmad- 
chen,  selir  hübsche  Arbeiten,  wirlcen  doch  etwas 
konventionell.  KaiserEichberg-  Steglitz  hatte 
eine  größere  Kollektion  von  Bildern  und  farbigen 
Radierungen  gesandt,  erstere  meist  auf  külile 
grünblaue  Töne  gestimmt.  Der  »Reiser  Tüm- 
pel« ist  als  besonders  gelungen  hervorzuheben. 
M.  Fritz-  Waren  war  mit  einer  stimmungsvollen 
»Überscliwemmung  im  Spree wald«  vorteilhaft 
vertreten,  namentlich  entzückte  der  duftige  Bir- 
kenhain. Schnei  der- D  i  dam- Düsseldorf  inter- 
essierte besonders  durch  das  Porträt  des  früheren 
hiesigen  Hofschauspielers  Schmidt-Häßler.  Auf 
Fritzeis -Kaiserswerth  »Gegen  Abend«  stehen 
die  von  der  Sonne  gestreiften  Bäume  prächtig 
gegen  die  heiße  Sonnenluft.  Es  ist  ein  hoch- 
poetisches Bild. 

Hine  interessante  Kollektion  sandte  Hans 
Unger-Dresden.  Dort  und  in  Paris  machte 
er  seine  Studien,  und  so  vereinigen  sich  in  sei- 
nen .\rbeiten  die  Vorzüge  beider  so  grundver- 
schiedenen Richtungen  in  glücklicher  Weise, 
jedenfalls  hat  er  von  ihnen  viel  gelernt  und  be- 
sitzt feinen  Farbensinn.  Hegenbach-Dresden 
erfreute  durch  zwei  gelungene  Bilder. 

H.  v.  .-Vn gel i- Wien  glänzte  mit  einem  Porträt 
seiner  Frau.  Bewundernswert  ist  die  feine  ele- 
gante Auffassung,  die  prächtige  Faktur,  das  Ge- 
mälde läßt  jedoch  kalt.  C.  von  Breuninger- 
Wien  war  mit  einem  Kabinettstückchen  in  Aqua- 
rell iVor  dem  Ausgang«  (einer  reizenden  Bie- 
derniaierin)  vortrefi'lich  vertreten.  E  U hl- Wien 
steht  ganz  im  Zeichen  der  alten  flandrischen 
Meister,  auch  ihre  päte,  die  glatte  porzellanene 
Malweise  hat  er  angenommen,  übrigens  in  sol- 
cher Vollkommenheit,  daß  man  seine  Freude 
daran  haben  kann.  Seine  Landschaften  sind 
vorzüglich,  namentlich  die  »Felspartie  bei  Jeri- 
cho« und  die  biblisch  behandelten  »Felder  mit 
Schafen«.  Bedeutender  noch  sind  seine  Innen- 
räume eines  belgischen  Museums,  hier  erreicht 
er  eine  beachtensw-erte  Leuchtkraft  auf  dem  Wege 
der  Farbenteilung. 

Richer-  B  utler-Paris,  ein  feinsinnigerKünst- 
1er,  der  längere  Zeit  in  Überlingen  am  Boden- 
see weilte,  sandte  eine  größere  Zahl  interessan- 
ter Arbeiten,  so  eine  »Stürmische  See«  in  feiner 
Tönung  und  unter  anderen  offenbar  Pariser  Wer- 
ken das  Porträt  einer  »Dame  in  Schwarz«,  wel- 
ches sich  durch  vornehme  und  geistvolle  Be- 
handlung auszeichnet. 

Die  Plastik  war  wie  immer  auch  in  dieser 
Berichtsperiode  nur  wenig  vertreten.  Eine  der 
reizendsten  .\rbeiten  war  unstreitig  der  schalkhaft 
dreinhlickende  Knabe,  welchen  Schmutzcr- 
Berlin  Jungbrunnen«  benannt  hat.  Ferner  sah 
man  tüchtige  Arbeiten  von  Schaer-Krause- 
Zug,  H.  Baldin-Zürich,    Otto  Pilz- Dresden. 

Erklärlicherweise  überwiegen  im  Würiteni- 
bergischen  Kunstverein  auch  in  der  Plastik  Stutt- 
garter Künstler.  Eine  hervorragende  Arbeit  unter 
diesen  ist  eine  für  eine  hiesige  Kirche  bestimmte 
lebensgroße  Bronzestatue  »Johannes«  von  dem 
talentvollen  und  ideal  veranlagten  Emil  Kiemlen-Stutt- 
gatt.  Würde  und  strenge  Gesclilossenheit  zeichnen 
diesen  Johannes  aus,  während  der  leider  in  kleinem 
Format  modellierte  Johannes«  von  Daniel  Stocker- 
Stuttgart,  in  schreitender  Bewegung  entworfen,  mehr 
den  Feuergeist  des  Propheten,  übrigens  in  bedeutender 
Art,  versinnbildlicht.  Ferner  waren  vertreten  der  viel- 
seitige R.  Pötzelberger-Stuttgart,  Melchior  von 
Hugo,    G.    A.    Bredow,   Karl  Donndorf  jun.    und 


VORTRAGKREUZ  VON  RUDOLF  HARRACH.    MODELL  ZUM  KRUZIFIXUS 
VON'  BM-DHAUER  KOPP.  —  AUSFCHRUNG  IN  SILBER:  AX  DEN  KREUZ- 
AKMES'  BERGKRISTALL;  AM  KREUZ  ELFENBEINEINLAGE;  HALBEDEL- 
STEINE 


Thuma- Stuttgart,  ein  junges  aufstrebendes  Talent,  letz- 
terer mit  einem  »Heil.  Martinas«  zu  Roß,  einer  vielver- 
sprechenden Arbeit. 

Am  I.  März  wurde  die  Ausstellung  des  Württem- 
bergischen Kunstvereins  eröffnet,  welche  ganz  im  Zeichen 
modernster  Kunstrichtung  steht.  Das  Ehepaar  Bruno 
May-Stuttgart  und  Frau  Valerie  .May-Hülsniann, 
beide  Schüler  des  Professor  Hölzel-Stuttgart,  zeigen 
sich   in   einer   großen   Zahl   farbenfroher    Stilleben   für 


220      ©^  STUTTGARTER  KUNSTBERICHT  —  BERLINER  KUNSTBRIEF  !^^& 


VORTRAGKREUZ  AUS  OXYDIERTEM  MESSING  UND  VERSIL- 
BERT.   ENTWURF  VON   BERNHARD  WENIG,    AUSFÜHRUNG 
VON  STEINICKEN  &  LOHR 

dieses  Genre  gleicherweise  heivorragend  talentiert.  Es 
sind  oft  gewagte  Farbenkontraste,  die  sie  verwenden, 
z.  B.  leuchtende  hellgelbe  >Margueriten«  vor  einem 
grellgrünen  Hintergrund,  dann  wieder  inanche  vorsichtig 
zusammengetönte  Farhenskala,  wie  die  rosa  Puppe  mit 
dunkelroten  Rosen  vor  einem  tiefdunkelroten  Hinter- 
grund, wie  sie  es  überhaupt  lieben,  lichtere  Töne  aus 
dunklem  Hintergrund  hervorleuchten  zu  lassen.  So 
verstehen  sie,  stets  gewaltsam  unser  Auge  auf  ihre 
Arbeiten  hinzulenken  durch  z.  T.  direkt  hierauf  ab- 
zielende Experimente.  Weniger  erfreuhch  sind  ihre  in 
Hodlerscher  Art  stilisierten  figürlichen  Arbeiten.  Das 
Porträt  eines  sitzenden  jungen  Mädchens  von  Frau 
May-H.  ist  im  Arrangement  und  seiner  noblen  grauen 
Tönung  gelungen,  aber  das  Gesicht  ist  nicht  ausgeführt 
und  ebenso  skizzenhaft  behandelt,  wie  »Die  heil.  Elisa- 
beth  als   Kind«.     Merkwürdig,    was    auf   den   Stilleben 


an  Farbe  geradezu    verschwendet    wurde,   haben    beide 
an  den  figürhchen  Bildern  üblerweise  gespart. 

G.  Bechler-Maurach  von  der  »Scholle«  sandte  eine 
Reihe  größerer  interessanter  Landschaltsbilder  aus  seiner 
Hochgebirgsgegend,  alle  in  der  bekannten  horizontalen, 
rein  auf  dekorative  Fernwirkung  berechneten  Flächen- 
manier gemalt.  Eine  bedeutende  Wirkung  kann  den 
meisten  von  ihnen  nicht  abgesprochen  werden,  nament- 
lich ist  das  Gemälde  »Mein  Fenster«  mit  dem  Blick 
auf  das  verschneite  Gebirge  vortrefflich  zu  nennen, 
desgleichen  das  einzige  nichtwinterliche  Bild  der  Kol- 
lektion »Maitag«  mit  dem  sich  erst  vorsichtig  hervor- 
wagenden Grün  der  Berghalde  und  der  klaren,  noch 
kalten  Luft  über  den  Bergspitzen,  die  fast  so  durch- 
sichtig scharf  behandelt  ist,  wie  von  Erich  Erler.  Violet 
B.  Wenner- Stuttgart  zeigte  sich  als  talentierte  Porträt- 
malerin. Auch  Käthe  Olshausen-Schönberger- 
Berlin  ist  keine  schlechte  Malerin.  Interesse  beansprucht 
auch  die  Büste  des  Bildhauers  A.  Brütt  von  Franziska 
von  Seeger. 


BERLINER  KUNSTBRIEF 

Von  Dr.  Hans  Schniidkunz  (Berlin-Halensee) 

r^er  neuerUche  Aufschwung  der  religiösen  Kunst  und 
des  Interesses  für  sie  war  bisher  nicht  gleichmäßig. 
In  Architektur  und  Malerei  am  lebhaftesten,  in  Plastik 
und  Kunstgewerbe  schwächer,  hat  jener  Aufschwung  in 
der  künstlerischen  Graphik,  in  der  Griffelkunst,  im  Kunst- 
druck, noch  wenig  geleistet  und  erst  recht  wenig  Be- 
achtung gefunden.  Die  technische  Graphik,  die  mecha- 
nische Reproduktion  steht  allerdings  schon  längst  im 
Dienste  der  Kirche.  Die  künstlerische  jedoch  hat  ihren 
Leistungen  und  ihrer  tiefen  Bedeutung,  die  sie  zurzeit 
Dürers  besaß,  seither  wenig  eigentlich  Religiöses  hinzu- 
gefügt —  oder  man  weiß  es  gewöhnlich  nicht.  Allmäh- 
lich gelingt  uns  eine  Rettung  der  christlichen  Kunst  des 
19.  Jahrhunderts;  allein  seit  deren  Beginn  dauert  es  lange, 
bis  die  Graphik  schon  überhaupt  und  gar  erst  imrehgiösen 
Dienste  wieder  emporkommt.  Die  spärhche  Zahl  un- 
serer graphischen  Sammlungen  erschwert  dieses  Empor- 
kommen erst  recht. 

Ein  Zurückgreifen  jenes  Interesses  auf  das  18.  Jahr- 
hundert und  etwa  noch  weiter  zurück  steht  erst  bevor 
und  wird  voraussichtlich  bei  den  Malerstechern  eigens 
schwer  zu  tun  haben.  Scheint  doch  der  auf  ekstatische 
Stimmungen  gerichtete  Geschmack  des  17.  Jahrhunderts 
der  Graphik  wenig  gefrommt  zu  haben!  Trotzdem 
dürfte  sich  ein  solches  Suchen  lohnen,  zumal  da  die 
Grifl'elkunst  oft  intimer  in  die  Weise  der  Zeit  und  des 
Künstlers  einführt,  als  die  Gemälde.  Schließlich  haben 
ja  die  meisten  ausgedehnter  arbeitenden  Profankünstler 
ab  und  zu  religiöse  Stofie  behandelt. 

Für  die  zweite  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  (in  der 
uns  aus  Berlin  vornehmlicli  G.  F.  Schmidt  und  C.  B. 
Rode  angehen)  sowie  bis  ins  19.  hinein  ist  wohl  auch 
für  uns  der  wichtigste  Name  der  des  Spaniers  Goya. 
Die  nun  wieder  erweckte  Neigung  für  ihn  prägte  sich 
auch  in  Neuerwerbungen  des  Berliner  Kupierstich- 
kabi nettes  aus.  Als  er  50  Jahre  alt  war,  wurde  die 
Lithographie  erfunden;  wie  er  auch  sie  sich  angeeignet 
hat,  zeigen  uns  dort  einige  seltene  Stücke  (>Der  Mönch«, 
iDer  Überfall«  usw.).  Auch  an  den  seinerzeit  hoch, 
jetzt  niedriger  geschätzten  Nachfolger  der  Niederländer, 
an  C.  W.  E.  Dietrich  in  Dresden,  werden  wir  dort 
erinnert,  z.  B.  durch  die  Radierung  der  Geburt  Christi 
in  Rembrandtscher  Weise.  Neuerwerbungen  aus  älterer 
Zeit  brachten  besonders  Deutsche,  und  Franzosen  vom 
Ende  des  1 5.  Jahrhunderts,  natürlich  mit  v.'eit  mehr  Re- 
ligiösem,   als    aus    jener    rationalistisch-weltlichen   Zeit ; 


C!^  BERLINER  KUNSTRRIEF  »«Sä 


voran  den  vielseitig  abhängigen  Westfalen  Israel  von 
M  eckenem. 

Das  Berliner  Kupferstichkabinet  hat  bei  der  Erwei- 
terung des  Berliner  Museenkomplexes  viel  Raum  und 
unter  der  kurzen  Direktion  von  M.  Lehrs  eine  größere 
Ausdehnung  in  die  Gegenwart  herein  bekommen.  Wech- 
selnde Ausstellungen  zeugen  davon.  Auch  sie  sind  fast  nur 
wehlich;  duftige  Steindrucke  des  Pariser  A.  Belleroche 
verdienen  Hervorhebung.  Doch  findet  sich  z.  B.  von 
dem  Kopenhagener  Carl  Bloch  (1854 — 1890),  der 
u.  a.  biblische  Stofl'e  und  jüdisches  Volksleben  behan- 
delte, eine  gute  Radierung  von  1885  »Christus  und  der 
ungläubige  Thomas  i. 

In  unserer  Zeit  (für  die  das  Dresdener  Kabinett  durch 
die  frühere  und  jetzt  fortgesetzte  Direktion  von  Lehrs 
eine  besonders  wichtige  Stätte  ist)  haben  religiöse  Graphik 
am  ehesten  Franzosen  und  auch  Engländer  gepflegt. 
Ebenso  wie  auf  den  diesen  beiden  Nationen  angehören- 
den A.  Legres  (geb.  1857),  haben  wir  in  Berliner  Be- 
richten noch  auf  manche  Neuere  aufmerksam  gemacht. 
Jetzt  stellte  bei  Keller  &  Reiner  der  Kopenhagener 
Louis  Moe  Radierungen  aus,  zum  Teil  farbige.  Sie 
verbinden  in  anziehender  Weise  Stricharbeit  mit  Flächen- 
arbeit; für  letztere  scheint  Schabkunst  zugezogen  zu  sein. 
Erstere  tritt  speziell  in  den  wenigen  an  Religiöses  rühren- 
den Stücken  hervor.  Sein  im  Buch  der  Schick- 
sale studierender  Teufel  ist  wohl  schon  be- 
kannt; sein  »Totentanz  der  Sünder«  verdient 
wegen  seines  gewaltigen  Zuges  eine  beson- 
dere Beachtung  auch  innerhalb  der  jetzt  wie- 
derum häufiger  werdenden  Totentänze. 

Farbige  Holzschnitte,  von  mehreren  Plat- 
ten (bis  zu  sechs)  mit  der  Hand  gedruckt,  sahen 
wir  bei  Schulte  von  Martha  Wenzel;  doch 
kommen  sie  mit  ihren  Interieurs  und  dergl. 
für  Religiöses  kaum  stärker  in  Betracht,  als  die 
auf  Landschaften  beschränkten  Radierungen 
von  F.Hollenberg(bei  Keller  &  Reiner),  die 
übrigens  Zweig-  und  Blattwerk  geschickt  wie- 
dergeben. 

Im  Kunstgewerbemuseum  überraschte  wäh- 
rend des  Oktobers  eine  »Sonderausstellung 
von  Arbeiten  einer  Gruppe  englischer 
Künstler«  für  Schrift,  Druck  und  Schmuck 
(vorher  in  Weimar).  Seit  Januar  1908  will  zu 
London  eine  Gesellschaft  von  Kalligraphen  die 
Druckkunst  (»lettering«)  fördern,  nachdem  seit 
zehn  Jahren  eine  Schule  von  Schreib-  und 
Illuminierkünstlern  sowie  Drucktechnikern  die 
alten  band-  und  inschriftlichen  Traditionen 
wieder  aufgenommen  habe.  Der  »klassische 
Charakter«  der  Schriftfornien  soll  erneuert 
und  das  Manuscriptum  als  eines  der  schön- 
sten Handwerke,  die  Inschrift  als  eines  der 
vornehmsten  Ornamente  betrachtet  werden. 
Uns  interessieren  besonders  kalligrapliische 
Einzelblätter,  zum  Teil  haussegenartig  in  Rah- 
men aufgehängt,  weltlich  (besonders  für  Poe- 
sien), sowie  religiös.  Präsident  E.  Johns  ton 
schrieb  z.  B.  einen  liebliclien  Bettscgen  und 
interessiert  namentlich  durch  einen  schlicliten 
und  individuell  freien  Schnitt  seiner  Buchsta- 
ben. Künsteleien  sind  seltener  als  in  bekann- 
ten deutschen  Versuchen,  am  ehesten  noch 
bei  A.  E.  R.  Gill,  dessen  mannigfaltige  Grab- 
schriften und  (vom  Leipziger  Inselverlag  auf- 
genommene) Titelblätter  und  dergl.  jedoch 
wohl  zu  fruchtbarer  Wirkung  berufen  sind. 
G.  He  Witt  schreibt  u.  a.  ein  Paternoster  in 
Gold  auf  Rot,  sowie  den  Text  der  Bergpre- 
digt, der  geätzt  und  gedruckt  herausgegeben 
ist  (im  selben  Verlag).     Ein  anderes  Paterno- 


ster, mit  etwas  bizarrer  Initiale,  und  ein  prächtig  ge- 
rändertes Blatt  »Der  Herr  mein  Hirte«,  bringt  P.  Mor- 
timer  neben  Miniaturen-Büchlein;  die  Damen  L.  M. 
Harcourt  und  E.  Zompolides  schließen  sich  mit 
Gebetblättern  (»Salve  rcgina«  und  dergl.)  an.  Über- 
gehen wir  zierliche  Proben  von  Kleinillustration  und 
Randdekor,  an  beste  Spätgotik  erinnernd,  so  verdient 
noch  der  Sekretär  jener  Gesellschaft,  P.J.Smith,  Er- 
wähnung. Er  hat  in  dem  hier  überhaupt  eifrigen  Verlage 
B.  T.  B  a  t  s  f  o  r  d  zu  London  ein  interessantes  Alphabetbuch 
herausgegeben  und  ein  von  dem  bekannten  J.j.  (juth  rie 
entworfenes  Büchlein  der  Seligkeiten  ausgeführt.  Gedruckt 
ist  es  in  der  »Pear  Tree  Press«.  Und  nun  stehen  wir  vor 
dem  nicht  mehr  neuen  Reichtum  der  lingländer  an  künst- 
lerischen Druckpressen.  C.  R  i  c  k  e  1 1  s  und  C.  H.  S h  a n  n  o  n, 
uns  bereits  vertraut,  besitzen  die  »Vale  Press«  und  bringen 
hier  z.  B.  die  Legende  des  hl.  Julian  (»L'Hospitalier«)  und 
Miltons  Jugendgedichte.  Die  »Ashandene  Press«  druckt  das 
Hohe  Lied  in  besonders  reicher  Handschrift  und  Miniatur 
von  zwei  Künstlern  ;  die  »Eragny  Press«,  im  Besitze  des  be- 
kannten Graphikers  L.Pissarro  (Bruder  des  Malers),  zeigt 
illustrierte,  zum  Teil  alttestamentliche Poesien.  T.J.  Cob- 
den-Sandersonist  beteiligt  an  einer  »Doves  Press«  und 
einer  »Doves  Binderv«,  die  uns  nun  mit  Buchbänden, 
besonders  von  R.  Philpott  u.a.,  zu  einer  geschmacks- 


ALTARKREUZ.    KREÜZBALKEN  AUS  SCHWARZEM  EBENHOLZ.    CHRISTUS 
ALTSILBER,  DAS  ÜBRIGE  VERGOLDET.    STEINICKEN  &  LOHR,  MCNCHEN 


e^^  BERLINER  KUNSTBRIEF  ms> 


reichen  Buchbindekunst  führt.  —  Anna  Simons,  die 
Vermittlerin  der  ganzen  Ausstellung,  entwirft  neben 
anderen  Künstlern  Ex  libris  und  dergl.,  zeichnet  histo- 
rische Kelche  in  Gesamtansicht,  Aufriß,  Grundriß  und 
dergl.  (bis  zurück  zu  einem  reichhaltig-schönen  irischen 
»Ardagh-Cup<,  9.  oder  10.  Jahrh.)  und  stellt  eigenes 
Kirchengerät  aus,  das  überhaupt  dort  neuerdings  Vorliebe 
zu  finden  scheint.  Solche  Geräte  und  weltlichen  Schmuck 
sehen  wir  auch  von  P.  Cooper  und  von  dem  uns  bereits 
bekannten  H.  Wilson,  der  u.  a.  ein  größeres  Silberkreuz 
sowie  einen  Anhänger  mit  kleiner  Engelfigur  zeigt.  Gegen- 
über seiner  kräftigeren  Art  ist  der  von  E.  P.  Agnew 
entworfene,  auch  Kreuzchen  enthaltende  Sclimuck  mehr 
eine  weiche  Farbenstimmung. 


OPFERSTOCK,  ENTWORFHN  VON  PROF.  RICHARD    BERNDI. 
AUSGEFÜHRT  VON   SCHLOSSERMEISTER   L.  NIEDERMEYER 


Der  erfreulichste  Eindruck,  den  diese  Schrift-  und 
Schmuckschau  hinterläßt,  und  ihre  beste  Lehre  sind  das 
Zeugnis,  das  sie  für  eine  Vereinbarkeit  von  Traditions- 
treue und  Eigensprache  ablegt. 

Eine  »Ausstellung  kirchlicher  Kunst  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Fahnen-  und  Paranienten- 
Stickerei,  sowie  der  für  kirchliche  Zwecke  geeigneten 
Spitzen«  plant  der  hiesige  Verein  Frauen-Erwerb.  Unter 
den  beabsichtigten  zwölf  Gruppen  soll  eine  für  »graphische 
Kunst,  Kunstverlag«  eintreten.  Der  letztere  Zweig  ist 
wohl  bereits  dankbar  zu  behandeln;  zumal  den  religiösen 
Buchschmuck  haben  wir  in  der  Öffentlichkeit  noch  kaum 
kennen  gelernt.  Sodann  kommt  auch  die  gegenwärtige 
Popularisierung  des  künstlerischen  Steindruckes  in  Be- 
tracht, wie  sie  z.  B.  für  W.  Steinhausen  wirkt. 

Wer  in  der  Literatur  oder  in  der  Ausstellungspraxis 
für  religiöse  Graphik  eintritt,  wird  das  künstlerische  und 
technische  Detail  keineswegs  um  des  Inhaltes  willen 
ignorieren  dürfen.  Wir  wollen  auch  erfahren,  wie  denn 
die  spezifisch  graphischen  Sprachweisen  in  den  Dienst 
des  Inhaltes  treten.  Wir  vermuten,  daß  manchen  Dar- 
stellungen je  nach  ihrem  Zweck  oder  nach  dem  Cha- 
rakter ihres  Inhaltes  eine  schärfere  Zeichnung,  dagegen 
anderen  eine  weichere,  fl.ichigere,  malerischere  Weise, 
niitluministischen  Wnkungen,  zugehört.  Dort  eher  Hoch- 
druck, hier  eher  Flachdruck;  und  vom  Tiefdruck  dort 
eher  der  eigentliche  Stich,  hier  eher  die  Radierung  und 
gar  erst  ihre  malerischere  Sippe. 

Kurz:  künstlerisch  zu  schaffen,  was  not  tut,  es  sozial 
zu  verwerten  und  theoretisch  zu  erkennen,  bleibt  für 
unser  Thema  überviel,  selbst  solange  wir  noch  kein 
Museum  christlicher  Kunst  besitzen,  das  ja  mit  Graphik 
ganz  besonders  zu  tun  haben  müßte. 

Eugene  Burnand,  geb.  1850  zu  Moudon  und  jetzt 
zu  Bressonaz  lebend  (beides  im  Waadtland),  Schüler 
von  J.  L.  Geröme,  war  erst  durch  Genre-  und  Tierbilder 
bekannt.  Später  lernten  ihn  Freunde  der  christlichen 
Kunst  schätzen,  zumal  wegen  seines  strengen  und  kräftig- 
menschlichen, stark  männlichen  Christustypus.  »Christi 
Gebet  nach  dem  Abendmahl«  zeigt  den  samt  den  Elfen 
nach  vorne  tretenden  und  mit  energischer  Wendung  gen 
Himmel  betenden  Heiland.  Jetzt  bereiten  die  Pariser 
Verleger  Berger-Levrault  et  Cie.  eine  künstlerische  Aus- 
gabe der  evangelischen  Gleichnisse  vor,  nach  64  bis  84 
Kompositionen  Burnands  (Zeichnungen  mit  Kohle  und 
Rötel).  Die  Pariser  >Socicte  nationale  des  beaux-arts« 
stellte  sie  in  ihrem  Salon  1908  aus,  und  nun  sehen  wir 
sie  bei  Scliulte. 

Das  Thema  war  bisher  anscheinend  nicht  sonderlich 
und  eher  auf  protestantischer  als  auf  katholischer  Seite 
beliebt,  wie  denn  auch  Burnands  Bildergehalt  auf  seinen 
Calvinismus  weist.  Doch  kennt  man  ja  das  Künstler- 
interesse für  den  guten  Hirten,  für  den  verlorenen  Sohn, 
für  den  barmherzigen  Samariter,  für  die  klugen  und 
törichten  Jungfrauen.  Der  Reformationsmann  G  Pencz, 
bei  dem  wie  bei  Burnand  Madonnenbilder  zu  fehlen 
scheinen,  behandelte  in  Kupferstichen  Gleichnisse  wie  das 
vom  reichen  Manne.  Der  Venetianer  Schiavone  malte 
in  zwei  Bildchen  von  epischem  Breitformat  die  Parabel 
vom  ungerechten  Haushaher  und  die  vom  Weinberge, 
letztere  mit  Zusammendrangung  der  zeitlich  verschie- 
denen Erzählungsmomente.  Burnand  widmet  ihr  und 
ebenso  anderen  Parabeln  mehrere  Darstellungen.  Jedes 
Blatt  trägt  französisch  einen  Titel  und  einen  Text  nach 
genauem  Bibelzitat,  natürlich  mit  besonderer  Verwertung 
von  Matth.  13  (die  deutschen  Übersetzungen  sind  ge- 
radezu störend).  Mehrere  der  Bilder  zum  Hochzeitsmalil 
(Luk.  14  und  Matth.  22)  sind  überarbeitete  Skizzen  zu 
Gemälden;  und  eine  von  diesen  geht  über  den  Text 
hinaus,  indem  sie  die  Ankleidung  zum  Mahle  darstellt. 
Am  eindrucksvollsten  erscheinen  uns  die  Blätter  von  den 
auf  den  Bräutigam  Wartenden;  namentlich  die  seelische 


e^  BERLINER  KUNSTBRIEF  S»^a 


Erscliütterung  der  einen  einzeln 
dargestellten  törichten  Jungfrau  ist 
überraschend.  Doch  auch  andere 
schon  erwähnte  Themen  sind  prä- 
gekniftig  durchgeführt,  mit  (cal- 
vinistischer)  Betonung  des  Ver- 
dammenswerten,  wie  z.  B.  des 
ungerechten  Richters.  Indessen 
scheint  ein  Aufgabenzwang  man- 
ches entbehrliche,  nicht  so  recht 
aus  dem  Vollen  gehende  Stück 
verschuldet   zu  haben. 

Scheiden  wir  die  religiöse  Kunst 
in  eine  mehr  lehrhafte  mit  Vor- 
wiegen des  Zeichnerischen,  und 
in  eine  mehr  stimniungshafte  mit 
Vorwiegen  des  Malerischen,  so 
gehört  Burnand  ebenso  mehr  dort- 
hin, wie  Uhde  melir  liierher.  Mit 
diesem  hat  aber  jener  in  den  jetzt 
vorgeführten  Werken  eine  mehr 
humanistische  als  theistische  Kunst- 
religion gemein.  Dies  zeigt  sich 
ebenfalls  in  dem  mit  ausgestellten 
Gemälde  «La  voie  douloureuse<; 
auch  hier  sind  der  Leidensausdruck 
bei  den  Frauen  und  die  erhabene 
Strenge  bei  Cliristus  von  eindring- 
licher Wirkung. 

Gleichzeitig  gibt  es  bei  Schulte 
eine    umiängreiche,   mehrfachem 

Privatbesitz  entnommene  Kollektion  Carl  Spitz  weg 
(1808— 1885).  Sie  bestätigt  das  bekannte  Urteil:  köst- 
lich im  gegenständlichen  Interesse  an  dem  humoristi- 
schen Inhalt;  formenarm,  zumal  im  Interieur;  entzückend 
in  landschaftlichen,  zumal  Waldes-  und  Stadtwinkeln  mit 
engem  Fernblick ;  geschickt  im  Äußerlichen  der  reli- 
giösen Idylle  mit  Einsiedlern,  betenden  Mädchen  u.  dgl., 
einschließlich  der  düsteren  heiligen  drei  Könige.  Ein 
Selbstporträt  von   1856  ist  sympathisch. 

Zu  Spitzweg  passen  gut  vier  jüngere  Stuttgarter  Künstler 
>Die  Freunde«,  namentlich  Julius  Kurz,  dessen  In- 
terieurs mit  Figuren  allerdings  die  Oberilächlichkeit  jenes 
noch  überbieten.  Daneben  Fritz  Hafner,  der  durch 
sehr  lockere  Malweise  an  den  ihn  anscheinend  stützen- 
den Steinhausen  erinnert ;  Georg  Lebrecht,  halb  zeich- 
nend, halb  malend;  Eugen  Stammbach  —  all  diese 
vorwiegend  landschaftlich.  Auch  die  oberbayerischen 
Landschaften  des  wenig  bekannten  Müncheners  August 
Seidel  (1820 — 1904),  meist  aus  seiner  früheren  Zeit, 
fügen  sich  durch  ihr  l:;rinnern  an  K.  Rottniann  hier  an. 
Die  behauptete  Einwirkung  I.  Constables  auf  ihn  ver- 
dient wohl  noch  eine  Prüfung. 

Gerade  entgegengesetzt  führen  uns  die  bereits  aus 
Secession  bekannten  meist  grell  sonnigen  Gemälde  des 
Dresdeners  Ü.  Hettner  (Sohn  des  Literarhistorikers); 
das  wohl  beste,  »Abend  auf  der  Terrasse«,  teilt  mit  son- 
stiger Modernkunst  eine  Steifheit  der  Gesichter. 

Neben  dem  schon  bekannten  Schnee-Schweden  G.-A. 
Fjaestad,  der  ebenfalls  auch  Kombinationen  von  Stift 
und  Pinsel  in  gut  einheitlichen  Landschaftsskizzen  bringt, 
dürfte  der  Engländer  C.  W.  Bartlctt  noch  wenig  be- 
kannt sein.  In  einer  Malweise  länglicher  Flocken  zeigt 
er  Muttcrbilder,  eine  >.'\blaßpro2ession  in  der  Bretagne« 
u.  dgl.,  sowie  ein  »Schmerz  und  Trost«  ohne  rechten 
Zusammenschluß  der  tröstenden  mit  der  schmerzvollen 
Figur. 

Ein  »Wochen-Abreißkalender«,  betitelt  »Kunst  und 
Leben«  (soeben  in  Berlin  bei  Fritz  Heyder  erscheinend), 
wird  uns  hier  durch  eine  Exposition  der  45  Originale 
seiner  Zeichnungen  vorgeführt.  Moderne  Vereinfachung 
des  Holzschnitts.     Wir  nennen  Franz  Heins  »Weih- 


OPFERSTOCK,  ENTWORFEN  VON  PROF.  RICH.\KD  BEUXDI.,  .M.  S(, 
SliRMEISTER  L.  NIEDERMEYER 


IKI  VONSCHLOS- 


nacht«,  Hans  Lindloffs  totentanzartigen  »Aschermitt- 
woch«, Rudolf  Schiestls  »Im  (jarten«,  Willibald 
Weingaertners  gehaltvolle  Vertreibung  aus  dem  Para- 
dies:  J  Schatten«. 

Auch  der  vorangegangenen  Ausstellungen  bei  Schulte 
gedenken  wir  noch  mit  manchem  Zuwachs  an  Kennt- 
nissen. Weniger  gilt  dies  von  dem  in  typischer  Mo- 
dernität, doch  interessant  arbeitenden  ungarischen  Künstler- 
verein »Keve«  und  von  der  niederländischen  Gruppe 
»Vie  et  lumiere«  mit  ihrem  gesteigerten  Licht-Im- 
pressionismus, wie  er  sich  am  stärksten  wohl  in  einer 
verllimmernden  Frühlingslandschaft  von  Alois  de  Lact, 
dann  auch  bei  Anna  i3och  und  als  Weiß-  und  Blau- 
grün-.Studie  in  den  »Kommunikantinnen«  von  Anna 
de  Weert  ausspricht,  während  Ru  dolph  e  deSaegh  er 
durch  duftige  Bachlandschaften  erfreut.  Mehr  fessehen 
uns:  von  Paul  H  ev  u.  a.  Märchen  Wandbilder  für  Schulen. 
Ini  Besitze  von  Meinhold  &  Söhne,  Dresden  ;  von  .Matth. 
Schiestl  neben  einem  »Haus  im  Jura«  das  .sinnvolle 
»In  Italien«;  von  dem  i'von  E.  Zimmermann  por- 
trätierten) älteren  Schweizer  A.  Stabil  und  von  dem 
jüngeren  C.  A.  Brendel  Landschaften  —  letzterer  zeigt 
den  ausgebrannten  Hamburger  Michaelisturm  und  bringt 
auch  Radierungen  ;  von  dem  uns  in  der  »Großen«  wieder- 
begegnenden Dresdner  F.  Dorsch  ein  »Kloster  Man- 
rath«;  endlich  von  den  schon  früher  erwähnten  Münch- 
ner »Achtundvierzigern«  manches  Religiöse,  wie  die  dra- 
matische und  lichtkräftige  >  Kreuzabnahme  G.  Papperitz' 
(farbige  Reproduktion  im  11.  Jahrgang),  sowie  die  etwas 
pathetische  jBibüa  sacra«  F.  Kirchbachs  und  endlich 
kräftig  expressive  .Mpenlandschaften  C.  Reisers,  deren 
lithographische  Manier  nicht  wie  sonst  stört. 

Ein  corotartiger  Duft  findet  sich  in  jüngsten  Land- 
schaften Ott.  So  z.  B.  in  den  feuchten  (besonders  Dünen-) 
Landbildern  von  C.  P.  G  r  u  p  p  e ,  der  ebenfalls  bei  Schulte 
ausstellt.  Gehen  wir  von  da  hinüber  zum  Salon  Wert- 
heim,  der  in  seinen  zwei  Ausstellungen  von  Juli  bis 
Oktober  quantitativ  nicht  dürftig  ist,  so  begegnet  uns 
wiederum  .Ahnliches  und  zwar  besonders,  wenngleich 
mit  Übertreibung,  bei  dem  Hamburger  Aenderly 
Möller.  Wcichleuchtende  Winterlandschaft  u.  dgl.  bringt 


224 


©^  BERLINER  KUNSTBRIEF  J^« 


der  Münchner  H.  Frobenius.  Kircheninterieurs  zeigen 
neben  sonstigem  Landschafihchen  der  Berhner  A.  Plitz- 
ner  und  (etwas  oberflachhch)  der  im  allgemeinen  durch 
Interieurs  hervorragende  Miinchner  C.  L.  Voß.  Eine 
Burglandschaft  >Der  Drachen«  ist  von  dem  Pariser 
H.  Vogel  da  (wahrscheinlich  dem  bekannten,  geb.  1856). 
Der  bereits  mehrmals  hervorge- 
hobene Londoner  Ch.  Shannon 
porträtiert  sich  selbst,  mit  dem 
Titel  »The  marble  torso«.  Auch 
dem  Brüsseler  J.  Fran(;ois  und 
dem  Wiener  K.  Feiertag  (»Bei 
der  Arbeit«)  gebührt  ein  Blicl< ; 
ebenso  den  Buntstiftzeichnungen 
und  Lithographien  (besonders 
»Stätte  des  Friedens«)  des  Berli- 
ners H.  Prentzcl. 

Aus  all  diesem  Landschaftsge- 
webe u.  dgl.  hebt  sich  eine  phan- 
tasieliräftige  Konzeption  heraus, 
von  dem  Münchner  S.  L  a  n  d  s  i  n- 
ger,  geb.  1855,  bereits  bekannt 
durch  Schule  Böckün  mit  Figur- 
landschaften und  mit  Graphik. 
Sein  Triptychon  ^Die  Kraniche 
des  Ibykus«  teilt  zwar  wieder  mit 
der  Moderne  ein  Zurückbleiben  im 
pliysiognomischen  Ausdruck,  ist 
aber  sonst  eine  Schöpfung  im  be- 
sten Sinne  des  Wortes. 

Auch  im  K  ü  n  s  1 1  e  r  h  a  u  s  e  mit 
seinen  LokalKünstlerrevuen  oder 
Lokalkünstler-Kevuen  hebt  sich  aus 
den  vielerlei  Landschaften  wenig 
Produktionskräftiges  hervor.  LIn- 
ter  jenen  finden  sich  auch  solche 
des  bekannten  Schlachtenmalers 
K.  Röchling,  wieder  mit  einem 
Zuge  nach  dem  Dufte  Corots, 
wie  ihn  auch  der  Hamburger  F. 
Schwinge  (bei  Keller  &  Reiner) 
hat;  tirolische  von  O.  H.  Engel- 
hardt;  Mond-  und  Sommernacht 
von  H.  Licht;  ein  Frühling  mit 
Akten  (der  wenigstens  keine  Ta- 
pete ist)  von  W.  Müller-Schö- 
nefeld; neben  manchem,  das 
»gestellt«  ist,  die  guten  Stücke 
»Sorgenvoll«  und  »Verwundet« 
von  dem  auch  durch  Illustrationen 
bekannten  E.  H  enseler  ;  ein  »F>- 
Zähler«  mit  hübschem  Stubenlicht 
von  R.  Breßler;  und  eine  »Non- 
ne« mit  einem  gut  angebrachten 
harten  Zuge  von  J,  Fehling.  Pla- 
stiker kehren  aus  der  »Großen« 
wieder;  so  J.  Pageis  und  mit 
einer  Bronze  »Böses  Gewissen« 
F.  Lepke. 

An  der  stets  neu  ergreifenden 
»Grablegung«  A.  Feuerbachs 
bei  Gurlitt  vorbei  kommen  wir 
zum  Salon  Keller  &  Reiner. 
Dem  Düsseldorfer  Akademiedirek- 
tor Peter  Janssen  (1844—1908)  ist  hier  eine  Sonder- 
ausstellung, zumeist  aus  seinen  letzten  Jahren,  gewidmet. 
Sie  interessiert  nicht  nur  durch  ihre  Weisung  des  Weges 
von  dem  Düsseldod'  Bendemanns  und  Sohns  und  der 
Genremaler  zu  dem  Gebhardts,  auf  den  besonders  das 
Bild  »Kommet  her  zu  mir  .  .  .«  von  1903  04  deutet, 
sondern  auch  absolut.  Die  Aussprache  der  Physiognomie, 
sowie  die  Kraft  der  Bewegungen   steht  hoch  über  mo- 


VORTRAGLATERNE   AUS  OXYDIERTEM  MES- 
SING   UND  VERSILBERT.     ENTWORFEN  VON 
BERNHARD     WENIG,      AUSFÜHRUNG      VON 
STEIINCKEN  &  LOHR 


dernen  Einbildungen,  stört  aber  doch  manchmal  durch 
eine  allzugroße,  mehr  logische  als  ästhetische  Deutlich- 
keit, sowie  durch  trockene,  kunstliche  Modellarbeit. 
Vieles  ist  Skizze;  so  die  von  1903:  »Es  ist  mehr 
Freude  über  einen  Sünder,  der  Buße  tut  .  .  .«.  Auch 
eine  Bleistiftzeichnung  von  1907:  »Straßenszene  aus  Pa- 
lermo«, hat  religiöses  Sujet.  Von 
der  Ausmalung  der  Kemenate  in 
Schloß  Burg  (wohl  1906)  sind  viele 
Studien  da;  unter  ihnen  die  rüh- 
rende Zeichnung  von  1904  (Kohle 
und  Kreide):  »Brautpaar  in  Burg«. 
Aquarelle  schließen  sich  an,  wie 
z.B.  das  von  1902;  »Kranke  auf 
Schiebkarre«.  (Näheres  siehe  H.  5, 
Beilage  S.  21.) 

DER  PIONIER 

Jahresabonnement  inkl.  Frankozu- 
stellung M.  5. — .  Der  Pionier  er- 
scheint seit  1.  t)ktober  vor.  Jahres 
im  Format  und  in  der  Ausstattung 
der  vorliegenden  Kunstzeitschrift 
»Die  christliche  Kunst«  und  dürfte 
auch  den  Abonnenten  der  letzteren 
eine  willkommene  Beigabe  im 
Sinne  einer  Erweiterung  derselben 
sein.  Sein  Inhalt  unterscheidet 
sich  vollständig  von  jenem  der 
»Christlichen  Kunst«  und  beschäf- 
tigt sich  in  praktischer  Weise  durch 
kurze  Artikel  und  geeignete  Illu- 
strationen mit  Fragen  der  kirch- 
lichen Kunst  und  des  kirchUchen 
Kunsthandwerks :  Kircheneinrich- 
tung, Paramentik  und  dergl.  Inhalt 
der  bisher  erschienenen  sieben 
Hefte:  Zur  Einführung.  —  Woher 
derName  Vesperbild?  Von  Dr.  An- 
dreas Schmid.  —  Seit  wann  sind 
die  Fenster  verglast?  Von  Regie- 
rungs-  und  Baurat  Max  Hasak.  — 
Zur  Geschichte  der  liturgischen 
Gewandung.  Von  S.  Staudhamer. 

—  Zum  Kapitel  »Volkskunst«.  Von 
Friedrich  Hacker.  Reproduktions- 
teclmiken.  —  Der  Klerus  als  För- 
derer christlicher  Kunst.  Von  S. 
Staudhamer.  —  Die  Zinkographie. 

—  Die  Kunst  auf  dem  letzten 
Katholikentag.  —  Altarleuchter. 
Von  A.  Wenig.  —  Vereinsgabe 
der  Deutschen  Gesellschaft  für 
christliche  Kunst.  —  Die  Bilder  in 
unseren  Schulen.  Von  E.  Guten- 
sohn. —  Reinigung  metallener 
Kirchengeräte.  —  Entwürfe  auf 
Vorrat?  —  Über  Glockenzier.  Von 
A.  Wenig.  —  Durchforschung  der 
Landkirchen  auf  ihre  künstlerischen 
und  kunstgeschichtlichen  Werte. 
VonP.Bretschneider. — Was  gehört 
zu  einem  kirchlichen  Kunstwerk? 
Von  S.  Staudhamer.  —  Künstleri- 
scher Buchschmuck  im  Mittelalter.  Von  Dr.  Seb.  Huber.  — 
Bewertung  der  Kunstwerke.  Von  S.  Staudhamer.  —  An- 
regungen und  Mitteilungen.  —  Heft  7.  —  Über  die  heutige 
Lage  der  christlichen  Kunst.  —  Der  Granatapfel,  ein  Sinn- 
bild der  göttliclien  Liebe.  Von  P.H.  Heimanns.  —  Christ- 
licher W'andschmuck.  Von  Fr.  Hacker.  —  Der  Holzschnitt. 
—  Zur  kirchlichen  Denkmalkunde.  —  Anregungen  und 
Mitteilungen.  —  Zahlreiche  Abbildungen. 


Für  die  Redakii 


S.  Suudha 
Drack  von 


(Promenadeplatz  3) ;   Verlag  de 
Brnckmann  A.-G.   —  S.iimliche 


Jesellschaft  für 
München. 


ciirislliclie  Kunst,   G.  1 


MARIA 


GEBET 


VON   PIETRO  PERU6IN0 
ail  aus  der  „Anbetung  des  Jesuskindes",  Galerie  Pitti  in  Florenz) 


MAXIMILIAN  LIEBENWEIN 


ANBETUNG  DER  HL.  DREI  KÖNIGE 


MAXIMILIAN  LIEBENWEIN 


Von  EDUARD  HAAS 


N  licln  als  ob  icli  mir  einbildete,  Maximilian 
^^  Lieben  wein  x entdecken  <  zu  wollen, 
oder  gar  stolz  darauf  wäre,  ihn  entdeckt  zu 
haben.  Ein  Künstler  wie  Liebenwein  hat  das 
nicht  nötig.  Übrigens  feierte  der  Mann  kürz- 
lich seinen  40.  Geburtstag,  er  steht  also  so- 
zusagen im  schönsten  Mannesalter.  Da  käme 
ich  wohl  schon  ein  bißchen  zu  spät  mit  meinen 
Ansprüchen  auf  das  althergebrachte  Linsen- 
muß. Jeder  von  uns  ist  gewiß  schon  da  oder 
dort,  sei  es  im  Münchener  Glaspalast  bei 
der  Internationalen,  in  der  Wiener  Secessions- 
oder  in  irgendeiner  Provinzausstellung,  beim 
Lesen  eines  Buches  oder  eines  Kalenders  einem 
Liebenwein  begegnet.  Der  Name  ALiximilian 
Liebenwein  hat  in  der  Kunstwelt  seit  langem 
einen  guten  Klang,  man  kennt  die  Schöp- 
fungen des  Künstlers  und  erfreut  sich  an  den 
reichen,  reifen  Gaben  seiner  Kunst;  aber  — 


Hand  aufs  Herz  —  wer  weiß  wohl  etwas 
Näheres  über  den  Künstler  Maximilian  Lieben- 
wein zu  berichten?  Es  geht  einem  hier  wie 
mit  manchen  alten  Bekannten ;  tagtäglich  trifft 
man  sie,  tährt  mit  ihnen  aut  der  »Elektrischen«, 
mit  einem  Wort,  man  kennt  und  grüßt  sie, 
man  schätzt  sie  sogar;  doch,  weß'  Art  sie 
sind,  das  konnte  man  noch  nicht  ergründen. 
Ja,  die  guten  alten  Bekannten.  Maximilian 
Liebenwein  gehört  entschieden  auch  zu  der 
Gattung.  Schon  so  oft  war  er  mir  in  die 
Quere  gekommen,  daß  das  Interesse,  das  ich 
ihm  und  seiner  Kunst  entgegenbrachte,  sich 
nachgerade  zur  Neugierde  auswuchs.  Und 
damit  diese  endlich  oefriedigt  werde,  raffte 
ich  mich  —  es  ist  bereits  ein  paar  Jahre  her  — 
auf  und  schrieb  schnurstracks  an  —  Ma.ximilian 
Lieben  wein,  akademischer  Maler,  Wohlgeboren 
in   Burghausen  an  der  Salzach. 


Die  chrtitllche  Kumt.     V. 


SJ^  MAXIMILIAN  LIEBENWEIN  »^-a 


MAMMII  lAN  LIEBEWVEIX 

ll'niufi',;, 


HILFE  I\  TODESNOT 


:/,!,//    Spnrl.-asstn^a.uiJe  zn   Linz 


Es  dauerte  nicht  lant;e,  da  kam  ein  Briet, 
dessen  Kopf  eine  von  Liebenwein  selbst  ent- 
worfene Vignette  schmückte,  darstellend  den 
hl.  Georg,  wie  er  hoch  zu  Roß  mit  gefalteten 
Händen  Gott  dankt  für  die  glückliche  Über- 
windung des  greulichen  Drachen.  »Sie  bitten 
um  einige  Daten  aus  meinem  Leben  \  Dieser 
Bitte  ist  leicht  nachzukommen,  da  mein  Lebens- 
lauf nicht  sehr  komplizieit  ist,  wenigstens 
äußerlich   nicht. 

»Ich  bin  in  Wien  am  ii.  April  1869  als 
Sohn  eines  Kaufmanns  geboren,  besuchte  die 
Bürgerschule  und  das  Gymnasium  (zu  den 
Schotten),  wo  ich  1S87  absolvierte.  Von 
meiner  L'amilie  iür  den  ärztlichen  Berul  be- 
stimmt, hatte  ich  als  Gymnasiast  manchen 
Kampf  zu  bestehen,  als  ich  mich  der  Kunst 
zuwenden  wollte.    Ich  setzte  aber  durch,  d,tl.( 


ich  an  die  Akademie  in  Wien  kam,  wo  ich 
1887  bis  1891  unter  Professor  Julius  Viktor 
Berger  die  allgemeine  Malerschule  besuchte. 
189'!  bis  1892  diente  ich  als  Einjähriger  in 
Wien  und  in  Wiener-Neustadt  bei  einem 
Reiterregimente.  Im  Herbste  1892  kam  ich 
in  die  Spezialschule  Prof.  Trenkwalds;  es 
herrschten  aber  so  unleidliche  Verhältnisse 
damals  in  der  Schule,  daß  ich  einen  schweren 
Unfall  meines  Vaters  als  gute  Gelegenheit 
ergriff,  um  zu  gehen.  (Februar  1893.)  Im 
Januar  1894  hatte  ich  es  endlich  nach  aber- 
maligen schweren  Kämpfen  durchgesetzt,  nach 
Karlsruhe  meinem  Freunde  Ferdmand  Andri 
folgen  zu  dürfen,  wo  ich  an  der  großherzog- 
lichen Kunstschule  bei  Professor  Kaspar  Ritter 
eintrat.  Ich  vertauschte  diesen  Lehrer  aber 
bereits  Neujahr   1895    mit  meinem    geliebten 


AUS 


MAXIMILIAN  I.IEBEN'WHIN   ««« 
»ST.  JÖRG,  1£INE  FROMME  MAR. 


228 


ss:^  MAXIMILIAN  LIEBENWEIN  l^<S 


i^mm-^ 


Lehrer  und  Meister  Professor  Heinrich  Zügel, 
dem  ich  den  größten  Teil  meines  Könnens 
verdanke.  Die  Vorliebe  für  die  Darstellung 
des  Tieres  und  vor  allem  die  machtvolle  Per- 
sönlichkeit dieses  Meisters  war  es,  was  mich 
an  seine  Schule  so  sehr  fesselte,  daß  ich  mit 
ihm,  als  er  im  Herbst  1895  "'^'-"'^  München 
berufen  wurde,  nach  München  zog.  Ich  blieb 
noch  bis  1897  in  der  Schule,  machte  mich 
dann  selbständig  und  zog  im  Jahre  1899  nach 
Burghausen  a.  d.  Salzach,  wo  ich  bisher  lebe. 
Seit  1901  bin  ich  verheiratet.  Seit  diesem 
Jahre  (1901)  bin  ich  auch  Mitglied  der  Wiener 
Secession,  seit  1904  Mitglied  des  »Deutschen 
Künstlerbundes«,  seit  1907  Mitglied  der  Luit- 
poldgruppe  in  München.  Meine  wichtigsten 
Werke  sind:  »Vier  Legenden«  (1899);  >  Der  ge- 
stiefelte Kater«  (1900),  Hamburg,  Privatbesitz; 
das  »Märchen  von  der  Gänsemagd«  (1902); 
»St.  Jörg,  eine  fromme  Mär«  (1903  —  04), 
im  Besitze  Sr.  Exzellenz  Graf  Doubsky;  »Ka- 
lender«, 14  Zeichnungen,  im  Besitze  der  groß- 
herzoglichen Kunstsammlung,  »Albertina«  in 
Wien  (1904);  »Dornröschen«  (1904—05)  und 
»König   Drosselbart«    (1905 — 06).      So,    jetzt 


habe  ich  Ihnen  beinahe  mehr  geschrieben,  als 
anständig  ist.  Im  übrigen  müssen  Sie  sich 
Ihre  Meinung  über  mich  natürlich  selbst  bil- 
den .  .  .  < 

Ob  dieser  letzte  Absatz  auch  noch  vor  die 
breite  Öffentlichkeit  gehört?  Gar  keine  Frage, 
natürlich.  Es  ist  dies  der  nämliche,  ehrliche 
gerade  Zug,  den  wir  in  Liebenweins  Schrift, 
kräftig  und  eindrucksvoll  mit  breiter  Rund- 
schriftfeder hingesetzt,  wie  in  seinen  Bildern 
mit  den  starken  Konturen  wiederfinden. 

Der  Drang,  künstlerisch  zu  gestalten,  äußerte 
sich  bei  Liebenwein  schon  in  seiner  frühesten 
Jugend.  Bereits  im  vierten  Lebensjahre  be- 
klexte  er  täglich  einen  Bogen  Papier  mit  den 
Gebilden  seiner  ungezügelten  Kinderphantasie, 
mit  Tigerjagden,  Elefanten,  Rittern,  Zirkus- 
pferden etc.  Im  Elternhause  war  jedoch  für 
den  Jungen  wenig  Anregung  zu  holen.  Der 
Vater  war  ein  trockener,  gestrenger  Zahlen- 
mensch; das  besagt  alles.  Dafür  aber  war 
das  Haus  des  mütterlichen  Großvaters  Maxi- 
milian Liebenweins  für  ihn  ein  wahres  Paradies. 
Der  Großvater  war  des  Kaisers  Leibkammer- 
diener und  kaiserlicher  Jagdleiter,  Forstmann 
von  Beruf,  und  diente  seinem  kaiserlichen 
Herrn  seit  dessen  viertem  Lebensjahr.  Seine 
Wohnung  war  voll  Jagdtrophäen  und  gute 
Bilder  und  Kupferstiche  von  Gauermann, 
Pausinger,  Ridingerund  andere  herrliche  Dinge 
hingen  an  den  Wänden.  Außerdem  war  er 
Entomologe,  besaß  große  Sammlungen,  die 
dem  Wissensdurstigen  stets  offen  standen, 
eine  reiche  Bibliothek  wissenschaftlicher  Werke 
und  war  ein  Kunstfreund.  Künstler  und  Ge- 
lehrte gingen  bei  ihm  aus  und  ein.  Der  Groß- 
vater besaß  aber  auch  Kunstschätze:  Gute 
alte  Möbel,  chinesische  Malereien  und  ein 
Buch,  in  das  Kupferstiche  alter  Meister  ein- 
geklebt waren.  Über  diesem  Buche  saß  der 
junge  Max  oft  stundenlang,  hielt  sich  die 
Ohren  zu,  damit  er  nicht  gestört  werde,  und 
bestaunte  sein  Lieblingsbild,  Albrecht  Dürers 
»Ritter,  Tod  und  Teufel  <.  Fügen  wir  dem 
noch  bei,  daß  Liebenweins  Höchstes  im  G3'm- 
nasium  die  Naturgeschichte,  das  Sammeln 
von  Insekten,  der  Umgang  mit  Hunden,  Pfer- 
den und  Katzen,  oder  gar  mit  wilden  Tieren 
war,  so  sind  wir,  wenigstens  in  großen  Um- 
rissen, der  Quelle  und  dem  Wesen  der  Lieben- 
weinschen  Kunst  schon  ziemlich  nahe  ge- 
rückt und  wir  fangen  auch  an  zu  begreifen, 
warum  er  zu  Zügel  kommen  mußte.  Seelen- 
verwandtschaft. 

Da  spielt  aber  noch  so  ein  kleines,  un- 
scheinbares Ereignis  aus  der  Jugendzeit  Maxi- 
milian Liebenweins  herein.  Sein  Lieblings- 
dichter am  Schottengymnasium  war  eine  Zeit- 


©^  MAXIMILIAN  LIEBEN  WEIN  J^ö 


229 


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lang  Scheffel  und  er  ahmte  ihn  einmal  in 
einer  Schularbeit  aus  Leibeskräften  nach.  Als 
die  Arbeit  zurückkam,  stand  darunter:  »Kaum 
genügend!«  »Scheffeln  S'  nicht  so!  Hätten 
Sie  weniger  gescheffelt,  so  hätten  Sie  eine 
bessere  Note  bekommen.  Nachahmung  frem- 
der Art  ist  immer  schimpflich,  verfehlt  und 
unwürdig.  Goethe  sagt:  das  höchste  Glück 
ist  die  Persönlichkeit!«  Diese  Korrektur  — 
sie  kam  von  seinem  Lieblingslehrer,  dem  hoch- 
gebildeten und  hochgesinnten  P.  Hugo,  den 
er  wie  einen  Vater  verehrte  —  merkte  sich 
der  Jüngling  für  sein  ganzes  Leben.  Wer 
weiß,  ob  wir  nicht  diesem  »Zwischenfall«, 
diesem  simplen  Schüleraufsatz  gerade  den 
Liebenwein  verdanken,  den  wir  heute  als 
krattvolle,  eigenartige  künstlerische  Persönlich- 
keit so  hoch  schätzen.  Sagt  er  doch  selber 
einmal:  Von  jener  Korrektur  gelten  für  mich 
die  Verse  Liliencrons: 

»Schwamm  ich  viele  Jahre  lang 

Steuerlos  im  Leben, 

Hat  mir  heut'  der  scharfe  Gang 

Wink  und  Ziel  gegeben  !< 
In    seinen    Ölstudien,    Skizzen   und  Zeich- 
nungen, wie  auch  in  seinen  fertigen  Arbeiten 


verleugnet  Liebenwein  keineswegs  seine  Ab- 
stammung. Jedoch  —  und  das  ist  charakte- 
ristisch für  ihn  —  nicht  wie  zahllose  andere 
Zügelschüler  wird  er  ein  blinder  Verehrer, 
ein  gedankenloser  Kopierer  seines  Meisters; 
o  ja,  auch  er  weiß  die  seltene  markante  Eigenart 
des  bedeutenden  Impressionisten  zu  schätzen; 
ihm  aber  dient,  was  er  hier  gelernt,  wie  dies 
ja  bei  selbständigen  Naturen,  bei  wirklichen, 
begabten  Künstlern  immer  so  ist  und  auch 
so  sein  soll,  als  solides,  sicheres  Fundament, 
auf  dem  er  sich  seinen  eioenen  höchst  per- 
sönlichen Kunsttempel  aufbaut.  Liebenwein 
geht  einen,  ja  mehrere  Schritte  weiter  wie 
Zügel.  Ihn  interessieren  nicht  nurTierstudien, 
sondern  alle  Gebiete  der  künstlerisciien  Be- 
tätigung. Über  alles  macht  er  sich  her,  Tier- 
studien, Architektur-,  Landschafts- und  Figuren- 
studien finden  wir  in  seiner  Mappe  und  sind 
die  Bilder  noch  so  flüchtig  iiingeworfen,  so- 
fort erkennen  wir  in  Liebenwein  den  flotten 
Zeichner,  bei  dem  jeder  Strich  sitzt  wie  der 
wohlgezielte  Hieb  eines  Fechters.  Aber  auch 
schon  in  den  Skizzen  blinzelt  uns,  zwar  nur 
verstohlen ,  der  große  Farbensymphoniker 
Liebenwein  schelmisch  an. 


!30 


©^  MAXIMILIAN  LIEBENWEIN  mQ> 


Und  dann  wollen  wir  uns  zur  rechten  Zeit 
daran  erinnern,  daß  Liebenwein  eigentlich 
auch  von  Albrecht  Dürer  herkommt.  Von 
Zügel  den  sicheren  Blick  für  das  Charakteristi- 
sche, die  farbenfreudige  Irische  Impression, 
von  Dürer  wieder  die  zeichnerischen  Quali- 
täten, die  strengen  scharten  Konturen  und 
die  Vorliebe  für  religiöse  Bilder.  Maximilian 
Liebenwein  gehört  zu  unsern  Heiligenmalern, 
wobei  er  von  besonderer  Art  ist.  Aber  eben 
das  Besondere  schätze  ich  an  ihm  so  hoch, 
weil  es  eine  echt  künstlerische  Individualität 
ist.  »Das  Rosen  wunder  der  hl.  Elisa- 
beth« betitelt  sich  eines  seiner  Werke;  jetzt  in 
der  oberösterreichischen  Landesgalerie  zu  Linz 
(Abb.  S.  231).  Herbst  ist's,  ein  buntes,  feuriges, 
farbenprächtiges  Bild,  der  hügelansteigende 
Laubwald  dort ;  wie  die  hochgegiebelten,  mittel- 
alterlichen Bauernhäuschen  in  der  frisclien 
Herbstsonne  so  freundlich  leuchten,  jawohl 
leuchten,  man  liest  ihnen  förmlich  das  Be- 
hagen an  dem  schönen  Herbsttage  aus  den 
kleinen  Guckfensterin.  Die  Armen  des  Ortes 
haben  sich  unter  dem  großen  Maulbeerbaum 
versammelt;  denn  auch  ihnen  wird  hier  gleich 
den  Vögeln  des  Himmels  heute  das  Tischlein 
gedeckt  —  von  der  hl.  Elisabeth.  Heilig? 
Kann  diese  hoheitsvolle  Gestalt  in  dem  ein- 
fachen  schwarzen   Gewände,   mit  dem   edlen, 


ernsten  Profil  etwas  anderes  sein  als  eine 
Heilige.-  Und  wie  sie  jetzt,  da  der  hohe  Herr 
Gemahl  mit  seinen  Reisigen  von  der  fröh- 
lichen Jagd  heimkehrend,  vom  schmucken 
Rosse  herab  mit  vorwurfsvoller  Gebärde  über 
ihr  Beginnen  Aufschluß  begehrt,  wie  sie  vor 
ihm  steht,  im  dunkeln  Schöße  die  blühen- 
den Rosen  —  kein  Wort  kommt  über  ihre 
Lippen;  aber  fühlen  muß  er's,  der  liebevolle 
Gatte;  was  bin  ich  doch  für  ein  erbärmlicher 
Wicht  einem  solchen  Weibe  gegenüber.  Und 
wüßte  man  nichts  von  der  Legende,  hier  in 
diesem  tarbensprühenden  und  doch  so  stren- 
gen Bilde  lernte  man  sie  in  ihrer  ganzen 
schlichten  Erhabenheit  kennen.  Ein  Gegen- 
stück: >St.  Isidor«.  Draußen  auf  dem 
Acker,  wo  er  mit  den  schnaubenden  Stieren 
das  rauhe  Feld  bebaut,  hat  er  beim  Feldkreuz 
ein  wenig  Rast  gemacht.  Gebet  und  Arbeit 
gehören  zusammen,  das  weiß  er,  wenn  er 
auch  nur  ein  armer  Bauernknecht  ist  in 
engen  schwarzen  Lederhosen.  Unser  Herrgott 
scheint  an  dem  frommen  Isidor  sein  besonderes 
Wohlgefallen  zuhaben;  während  der  so  dem 
Zöllner  gleich  im  Evangelium  im  Gefühle 
seiner  Sündhaftigkeit  seinen  Blick  beschämt 
zu  Boden  schlägt,  merkt  er  gar  nicht,  wie 
mittlerweile  der  liehe  Gott  einen  Engel  auf 
die   Erde   herniedergesandt  hat,    der  nun  mit 


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MAXIMIMAX  LlHBEWVlilX,   XI' UJAIIRSK  \  U 


Mit  GtnehmiguHg  der  ÖsUrr. 
LtogtstlUchafl  —   Text  S,  330 


«'S"»  MAXIMILIAN  LII-.BF.NWEIN'   'S"«® 
ROSHXWUNDER  DER  HL.  ELISABETH 


©^  MAXIMILIAN  LIEBENWEIN  mß 


des  Isidors  Pflug  drauflospflügt,  daß  es  eine 
wahre  Freude  ist.  Ist  das  ein  Jubel  für  die 
kleinen  Engelchen,  so  etwas  gibt  es  nicht 
alle  Tage,  selbst  im  Himmel  nicht,  und  da 
kommen  sie  nun  in  Scharen  herabgeflogen, 
wie  die  Mücken  in  der  Luft  tanzend.  Über- 
mütig sind  die  Knirpse,  einer  setzt  sich  gar 
dem  ohnedies  so  hart  arbeitenden  Stier  auf 
den  breiten  Rücken  und  tut  »Hota,  hota, 
Rößchen«.  Na,  warte  nur  du  Schelm,  was 
wird  da  der  liebe  Gott  sagen!  —  So  malt 
Liebenwein  Heiligenbilder.  Realistisch?  Viel- 
leicht, warum  auch  nicht?  Er  darf  sich  das 
erlauben;  er  hat  den  nötigen  sittlichen  Ernst 
und  ein  reiches  reines  Talent  dazu  und  noch 
etwas,  und  das  ist  die  Hauptsache  —  den 
unerläßlichen,  gefestigten,  warmherzigen  Idea- 
lismus. 

Der  Maler  sinniger  Heiligenbilder  schafft 
auch  wundersame  Märchenzyklen.  Aber  auch 
hier  wird  Liebenwein  nicht  lediglich  zum 
Illustrator  bereits  bekannter  Geschichten,  unter 
seiner  Hand  erstehen  die  alten  Märchen  zu 
neuem  lebendigem  Leben,  sie  bekommen  ein 
ganz  neues  Gesicht,  so  daß  wir  sie  mit  Inter- 
esse wieder  miterleben,  beinahe  wie  damals, 
als  wir  noch  den  Märchentraum  der  Jugend 
träumten.  Die  spezifischen  Qualitäten  Lieben- 
weins :  sein  trefl"sicherer  Blick  für  das  Charakte- 
ristische, die  Fähigkeit,  jede  Idee  auf  die  denk- 
bar einfachste  Formel  zu  bringen,  sein  aus- 
geprägter Farbensinn  und  seine  Vorliebe  für 


das  Dekorative  prädestinieren  den  Künstler 
förmlich  für  größere,  ins  Monumentale  gehende 
Autgaben.  Einen  ihm  gewordenen  Auftrag 
dieser  Art,  die  künstlerische  Ausschmückung 
großer  Wandflächen  im  Sitzungssaale  des 
städtischen  Sparkassengebäudes  in  Linz  a.  D. 
mit  allegorischen  Bildern,  hat  Liebenwein  in 
geradezu  glänzender,  mustergültiger  Weise 
erledigt.  (Abb.  S.  226.)  Mit  diesem  seinem 
jüngsten,  vor  kurzem  erst  vollendeten  Werke 
hat  der  Künstler  seinen  Namen  in  die  Reihen 
der  Meistgenannten  unserer  Tage  gerückt. 

Wenn  oben  betont  wurde,  Liebenwein  ver- 
meide bei  seinen  Märchenzyklen  das  herkömm- 
lich schablonenhaft  Illustrative,  so  soll  damit 
nicht  gesagt  sein,  daß  der  Künstler,  der  ja 
im  Gegensatze  zu  so  vielen  seiner  zeitgenössi- 
schen Kollegen  ein  hervorragender  Zeichner 
ist,  nicht  auch  auf  dem  Gebiete  der  Illustra- 
tion, wie  überhaupt  des  Buchschmuckes  mit 
Erfolg  tätig  ist.  Einige  charakteristische  Proben 
dieses  Zweiges  der  vielseitigen  Kunst  Lieben- 
weins finden  unsere  Leser  in  diesen  Blättern 
(Abb.  S.  229, 232  u.  23  3).  Wer  sich  näher  für  diese 
gediegene  Kleinkunst  interessiert,  der  verfolge 
den  »Neuen  deutschen  Kalender;-,  den  Maxi- 
milian Liebenwein  im  Vereine  mit  dem  Herrn 
Kuraten  Frank  in  Kaufbeuren  schon  seit  et- 
lichen Jahren  herausgibt.  Ein  eigenes,  um- 
fangreiches Kapitel  ließe  sich  über  die  ex  libris- 
Kunst  Liebenweins  schreiben ;  denn  auch  hierin 
ist  er  ein  Meister  (Abb.  S.  228  u.  230). 


MAXIMILIAN  LIEBENWEIN,  ERNTE  UND  ST.  ISIDOR 
^wei  Zeicknungen  des   Titelblattes  vott  »Neuer  deutsclur  Kalendern   —   Text  oben 


S^  MAXIMILIAN'  LIEBENWHIX  i>^ö 


Xach  all  dem  kommen  wir  zu  dem  Schlüsse: 
Maximilian  Liebenwein  ist  nicht  nur  ein  Künst- 
ler von  starker,  seltener  Eigenart,  von  packen- 
der Phantasie  mit  einer  verborgenen  Ader  still 
beschaulicher,  humordurchwebter  Romantik, 
ein  Künstler  von  gut  geschultem  Formen-  und 
reichem,  mit  Geschick  und  Geschmack  kontra- 
stierenden Farbensinn,  dem  die  unbeschränkte 
Beherrschung  der  Technik,  die  Kenntnis  aller 
modernen  Errungenschaften  nicht  Selbstzweck, 


sondern  nur  Mittel  zum  Zweck  sind  —  Lieben- 
wein ist,  und  das  wollen  wir  hier  besonders 
betonen,  ein  Heimatkünstler  in  des  Wortes 
schönster  und  edelster  Bedeutung.  Eines  Be- 
weises dessen  bedarf  es  wohl  nicht,  wer  seine 
Bilder  gesehen,  insonderheit  seine  Märchen- 
zvklen,  der  wird  es  fühlen.  Dieser  Zug  im 
Wesen  Liebenweins  ist  es  vor  allem,  der  uns 
diesen  Künstler  so  sympathisch,  so  anheimelnd 
macht. 


LXe  chilitllchc  Kunst.     V.     8. 


234 


'S'm  DIE  HOHKONIGSBURG  J^a 


DIE  HOHKONIGSBURG 

Hiezu  das  Einschaltblatt 

Der  Stielt  um  den  äußeren  Anblick  der  Hoh- 
kc'inigsburg  ist  höchst  lehrreich.  Jeder, 
der  die  Sachlage  nicht  kennt,  muß  annehmen, 
daß  die  jetzige  Burg  eine  Neuschöpfung  ist 
und  die  alte  Burg  ein  Trümmerhauten  war. 
Warum  könnte  man  denn  sonst  so  völlig  im 
Zweifel  darüber  sein,  wie  die  Veste  eigent- 
lich ausgesehen  hat.''  —  Es  wird  daher  jeder- 
mann erstaunt  sein,  zu  hören,  daß  die  Burg 
bis  an  die  Dächer  aufrecht  dagestanden  hat 
und  der  vielumstrittene  Turm  noch  ein  biß- 
chen höher.  —  Uir^iöglich!  —  Und  doch  ist 
dem  so!  —  Der  Beweis  ist  leicht  zu  führen. 
Die  Königliche  Meßbildanstalt  zu  Berhn  hat 
die  Hohkönigsburg  im  Jahre  1900  photo- 
graphiert,  ehe  ein  Stein  angerührt  worden  ist. 
153  Blatt,  je  40  zu  39  cm  groß,  in  der  vor- 
züglichen Ausführung,  welche  allen  Photo- 
graphien des  Geheimen  Rates  Meydenbauer 
eigentümlich  ist,  zeigen  auf  das  genaueste  den 
Zustand  der  Burg  vor  Inangriflnahme  der  Wie- 
derherstellungsarbeiten. Da  ist  auch  das  Innere 
desoberstenTurmgemachesinHöhederDächer 
über  der  Burg  zu  sehen,  welches  ebenso  vier- 
eckig ist,  wie  der  ganze  Turmstumpt  darunter. 
Das  Kunststück,  auf  dieses  nicht  allzustarke 
Mauerwerk  einen  runden  Turm  aufzusetzen, 
wird  jeder  Baumeister  gerne  denen  überlassen, 
für  die  in  allen  Jahrhunderten  der  Spruch  an- 
geschrieben worden  ist:  »Wer  tut  bauen  an 
der  Straßen,  muß  die  Leute  reden  lassen.  . 
Natürlich  hat  auch  weder  der  Baumeister  des 

14.  Jahrhunderts    noch    der    vom    Ende    des 

15.  Jahrhunderts  dieses  Kunststück  gewagt. 
Jeder  Baumeister  sieht,  daß  der  obere  Teil 
des  Turmes  viereckig  war  und  nicht  rund. 
So  hat  es  auch  Viollet-le-Duc,  der  berühmte 
französische  Baumeister  und  Gotiker,  schon 
im  Jahre  1875  dargestellt  und  gedruckt,  und 
der  elsässisch-französische  Baumeister  Böswil- 
wald  hatte  seine  vorher  angefertigten  Aut- 
nahmen damals  Viollet  mit  dem  viereckigen 
Turm  zur  Verfügung  gestellt.  —  Dem  Gotiker, 
welcher  seinen  Viollet  studierte,  war  die  Hoh- 
königsburg nichts  Unbekanntes,  im  Gegenteil 
recht  vertraut,  ehe  die  Stadt  Schlettstadt  noch 
diese  alte  Veste  dem  Kaiser  schenkte.  Bilden 
doch  die  Säle  der  Hohkönigsburg  im  4.  Bande 
des  vDictionnaire  raisonne  de  l'architecture 
hochgepriesene  Beispiele  des  unvergleichlichen 
Konstruktionsgeschickes  der  mittelalterlichen 
Baumeister.')    Man  betrachtete  mit  Bedauern 


die  meisterhaften  Zeichnungen,  da  der  Ein- 
sturz der  ohne  Dächer  dastehenden  Säle  vor- 
auszusehen war.  Zur  Wiederherstellung  ge- 
hörten reiche  Mittel.  Wer  sollte  sie  hergeben.' 
—  Das  hatte  sich  vermutlich  auch  die  Eigen- 
tümerin, die  Stadt  Schlettstadt,  gesagt,  als  sie 
die  Burg  dem  Kaiser  schenkte.  Sie  war  an 
die  richtige  Stelle  gegangen.  Ohne  den  Kaiser 
wären  sicherlich  die  oberen  Säle  nicht  mehr 
vorhanden ;  denn  schon  die  30  Jahre  seit  Bös- 
wilwald  und  Viollet  hatten  manches  zum  Ein- 
sturz gebracht. 

Wer  die  Kunstgeschichte  daraufhin  schreiben 
wollte,  welche  Bauten  vor  100  Jahren  noch 
aufrecht  standen  und  was  heute  davon  fast 
spurlos  vom  Erdboden  verschwunden  ist ;  wie 
viel  z.  B.  Friedrich  Wilhelm  IV.  von  Preußen 
der  Kunst  und  der  Menschheit  an  Baudenk- 
mälern erhalten  hat,  dadurch,  daß  erden  Bitten 
und  Vorschlägen  seiner  Ratgeber  entsprechend 
aus  den  damaligen  geringen  Mitteln  eine  ver- 
fallende Kirche  nach  der  anderen  wiederher- 
stellen und  unter  Dach  und  Fach  bringen  ließ, 
der  würde  jeden  Streit  verstummen  machen, 
ob  man  Ruinen  wiederherstellen  müsse  oder 
nicht. 

Doch  noch  einmal  zu  dem  runden  oder 
viereckigen  Turm.  Nicht  bloß  im  4.  Bande, 
auch  im  3.  Bande  beschäftigt  sich  Viollet-le- 
Duc  mit  der  Hohkönigsburg.  2)  Daselbst  bringt 
er  auch  zwei  Grundrisse  der  alten  Veste.  In 
beiden  ist  der  Turm  viereckig  und  er  schreibt 
dazu:  >La  tour  carree  L  est  le  donjon  qui 
domine  lensemble  des  defenses,  et  parait  ap- 
partenir  ä  l'ancien  chäteau.«  (Der  viereckige 
Turm  L  ist  der  Donjon,  welcher  das  Ganze 
der  Befestigungen  beherrscht,  und  dem  alten 
Schlosse  anzugehören  scheint.) 

Es  kann  also  gar  kein  Zweifel  darüber  be- 
stehen, daß  der  umstrittene  Turm  der  Hoh- 
königsburg viereckig  war. 

Wer  die  Holzschnitte  und  Kupferstiche  jener 
Zeit  kennt,  von  Hartmann  Schedels  Chronik 
angefangen  bis  zu  den  Städtebildern  Merlans, 
der  weiß,  daß  sie  auf  Genauigkeit  der  Wieder- 
gabe keinen  Anspruch  machen.  Aus  solchen 
Bildern  läßt  sich  auf  die  baulichen  Einzel- 
heiten nichts  Sicheres  schließen,  selbst  wenn 
die  Bezeichnung  daruntersteht,  was  sie  dar- 
stellen sollen.  Gegenüber  dem  heute  noch 
stehenden  Bauwerk  können  sie  überhaupt  nichts 
beweisen. 

Unsere  Abbildungen  zeigen  die  Hohkönigs- 
burg vor  Inangriffnahme  der  Arbeiten,  auf- 
getragen von   der  Meßhildanstalt    nach   ihren 


'}  Viollet-le-Duc,  Dictioiinaire  raisonne  Ue  larchitec- 
ture  iVan^aise  du  Xl<^  au  XVI=  siöcle.  Paris  iS7>.  Bd.  4, 
S.  253  ff. 


')  Viollet-le-Duc,  Dictionnaire  raisonne  du    l'architec- 
ture.   Paris   1875.    S.  171  ff. 


O^  DIE  AUGUSTIXERKIKCHH  IN  MÜNCHEN  »SSÖ 


235 


Photographien,  und  den  jetzigen  Zustand  nach 
der  Wiederherstellung. 

Der  Entwurf  ist  seinerzeit  von  der  Akademie 
des  Bauwesens  geprüft  worden,  die  sich  aus 
Privatarchitekten  und  Baubeamten  Nord-  und 
Süddeutschlands  zusammensetzt,  und  diese  hat 
ihn  als  zutreffend  und  gut  befunden.  Alk- 
erdenkliche  Vorsicht  hat  also  gewaltet,  und 
tatsächlich  ist  die  Wiederherstellung  durchaus 
gelungen. 

Man  kann  dem  Kaiser  nur  dankbar  sein, 
daß  er  durch  sein  Eintreten  für  die  Wieder- 
herstellung der  Burg  eines  unserer  großen 
Baudenkmäler  vor  dem  Untergang  gerettet 
hat,  und  dem  Baumeister  gebührt  gerechtes 
Lob.  Hasak,  Regierungs-  und  Baurat  a.  D. 


DIE    EHEMALIGE 
KLOSTERKIRCHE 


AüGUSTINER- 
IN    MÜNCHEN 


Von  HUGO  STEFFEN',  Architekt 


(Hierzu  die  .\bbildungen  S. 


bis  241.) 


Trotzdem  ihr  nach  langem  Kampfe  schon  das 
Todesurteil  gesprochen  wurde,  steht  sie 
noch  immer,  die  ehemalige  Augustiner-Kloster- 
kirche, zur  Freude  ihrer  Getreuen,  zum  stillen 
Verdrusse  derjenigen,  denen  der  alte  Bau  schon 
längst  ein  Dorn  im  Auge,  als  harmonischer 
Abschluß  des  herrlichen  Stadtbildes  am  Ein- 
gange der  Neuhauser-  in  die  Kautingerstraße. 
Wird  sie  erhalten  bleiben  oder  wird  sie 
wirklich  fallen  müssen,  einem  Neubau  Platz 
machend?  Bald  ist  auch  die  letzte  Frist  herum, 
welche  die  endgültige  Entscheidung  bringt; 
die  Resultate  des  zurzeit  ausgeschriebenen 
Wettbewerbes  für  Bebauung  des  sogenannten 
Augustinerstockes  —  dessen  Hauptfrontseite 


die  Kirche  einnimmt  —  werden  bestimmend 
wirken,  da  es  den  Bewerbern  daran  freige- 
stellt ist,  das  altehrwürdige  ehemalige  Gottes- 
haus zu  erhalten  oder  dem  Neubaue  des  auf 
dem  Areale  zu  errichtenden  Polizeigebäudes 
zu  opfern.  Sollte  letztere  Idee  zur  Durch- 
führung kommen,  wäre  es  wirklich  tief  zu 
bedauern,  nicht  nur  der  Kirche  selbst  wegen, 
sondern  auch  wegen  ihrer  innigen  Zugehörig- 
keit zu  dem  eingangs  erwähnten  köstlichen 
Straßenbilde  Alt-ÄIünchens,  welches  durch  den 
Abbruch  der  Kirche  vollständig  zerstört  würde, 
denn  etwas  Besseres  ist  an  ihre  Stelle  nicht 
zu  finden  (Abb.  S.  236   und  237). 

Den  Mittelpunkt  dieser  Hvmne  der  Bau- 
kunst bildet  St.  Michael,  jener  hochgieblige, 
reichgegliederte  Renaissancekirchenbau,  zu 
linker  Hand  erstrecken  sich  die  vornehmen 
Fassaden  des  ehemaligen  Jesuitenklosters  — 
jetzt  Akademie  der  Wissenschaften  —  und 
rechts  bildet  die  Augustinerkirche,  deren  mittel- 
alterlicher Chor  vom  Wahrzeichen  Münchens, 
den  wuchtigen  Frauentürmen  überragt  wird, 
einen  vollendeten  Abschluß  und  harmonisches 
Ausklingen.  Mit  welch'  hervorragendem  \'er- 
ständnis  und  jener  so  oft  zu  bewundernden 
Anpassung  der  Renaissancemeister  an  die  Werke 
ihrer  Vorfahren  brachte  Friedrich  Sustris  seine 
Michaelskirche  in  herrlichste  Wechselwirkung 
zu  der  nur  eine  Straßenbreite  ent lernten  Kloster- 
kirche der  Augustiner!  Wie  kühn  und  wohl- 
bedacht stellte  er  den  ruhigen  Seitenflächen 
der  letzteren  seinen  hohen  Prunkgiebel  ent- 
gegen und  schuf  uns  dadurch  das  jetzt  be- 
drohte, weit  über  Bayerns  Grenzen  hinaus 
bekannte,  herrliche  Straßenbüd. 

Einsichtige  Männer,  Prof.  Gabriel  v.  Seidl 
an  der  Spitze,  haben  den  Reiz  des  alten  Baues 
an  sich  und  seine  Unersetzlichkeit  als  Glied 


SITLAIIONM'L.W  UND  CRLNDRISS  DER  AUCUSTINERKIRCHE  IN'   Mi  M  iits' 


236 


ö^  DIE  AUGUSTINERKIRCHE  IN  MÜNCHEN  m.(ä 


CHOR  DER  AUGUSTIN'ERKIRCHE  A\  DER  NEUHAUSERSTRASSE    UND  BLICK  AUF  DIE 
FRAUENKIRCHE  (DOM) 


des  Gesamten  wohl  erkannt  und  sind  für 
dessen  Erhaltung  kräftig  eingetreten.  Das 
Mauerwerk  ist  völlig  intakt  und  noch  imstande, 
Jahrhunderte  zu  überdauern,  weshalb  also  es 
abbrechen?  Das  mindeste,  was  wir  wünschen 
müssen,  ist,  daß  man  nach  dem  Muster  jener 
Städte  verfahre,  die  derartige  ihrem  Zweck 
entfremdete,  auch  mitten  im  Zentrum  gele- 
gene Kirchen  bei  guter  Restaurierung  im  Ge- 
schosse teilten  und  irgend  welchen  nützlichen 
Zwecken  zuführten,  wie  z.  B.  Lübeck,  das 
seine  mittelalterliche  Katharinenkirche  nach 
erfolgter  Teilung  in  zwei  Stockwerke  oben 
zu  Ausstellungen  bezügl.  Versammlungsräumen 
und  unten  zu  städtischen  Verwaltungsbureaus 
verwendete,  wodurch  allerdings  der  Innen- 
raum aufgeteilt  wurde,  aber  doch  der  alte 
Bau  selbst  und  seine  Gesamtwirkung  im  Stadt- 
bilde erhalten  blieb.  Ahnliches  gilt  von  Jena 
und  Mücheln  bei  Wettin.  Die  Barfüßerkirche 
zu  Basel,  die  Pauluskirche  zu  Worms,  die 
Kirche  der  Nürnberger  Burtj  dienen  jetzt  zu 


Museen  und  sogar  im  anmutigen  Landsberg 
a.  Lech  verfuhr  man  nach  dem  Muster  größerer 
Städte  und  schonte  auf  diese  Weise  ein  nicht 
mehr  für  Kultuszwecke  erforderliches  mittel- 
alterliclies  Kirchlein. 

Warum  soll  München,  die  Stadt  der  Künst- 
ler, die  Zentrale  des  Heimatschutzes  etc.,  etwas 
von  seinen  unwiederbringlichen  Schönheiten 
opfern  ?  Steht  dies  nicht  im  größten  Wider- 
spruch? Immer  seltener  werden  in  Groß- 
städten die  abgeschlossenen  Städtebilder,  hin- 
weggerafft  durch  Unverstand  oder  dringendste 
neuzeitliche  Bedürfnisse;  auch  die  bayerische 
Hauptstadt  besaß  deren  in  reicher  Zahl,  doch 
was  ist  jetzt  noch  übrig?  Ein  dringendes  Be- 
dürfnis zum  Abbruch  der  in  Frage  stehenden 
Kirche  ist  nicht  vorhanden,  denn  das  Areal 
der  dahinterliegenden,  weitläufigen  Klosterge- 
bäude bietet  Raum  genug  .für  die  im  Wettbe- 
werb vorgeschriebenen  Bedürfnisse  des  künfti- 
gen Polizeigebäudes  und  für  dessen  eventuelle 
spätere  Erweiterung  stehen  außerdem  die  noch 


RS&«  DIE  AUGUSTINERKIRCHE  IN  MÜNCHEN  >«sa 


257 


ST.  MICHAELSKIRCHE  (LINKS),  AUGUSTINERKIRCHE  (RECHTS)  UND  HINTER  LETZTERER  DIE  FRAUENTÜRME 


im  Privatbesitze  befindlichen  beiden  Häuser 
an  der  Ecke  von  Löwengrube  und  Augustiner- 
stralk zur  \'erfügung.  Es  gibt  schon  ander- 
orts  Beispiele  genug,  wo  man  manches  alte 
Stadtbild  in  der  Meinung,  dafür  etwas  »Bes- 
seres« hinzusetzen  oder  zu  gestalten,  zer- 
störte, um  es  darnach  bitter  zu  bereuen.  Ich 
erinnere  hier  nur  an  die  verunglückte  Frei- 
legung des  Domes  in  Ulm,  wo  man  sich 
jetzt  die  Köpfe  zerbricht,  mit  was  für  Mitteln 
die  alte  Harmonie  der  früheren  Umbauung 
wieder  zu  erreichen  sei.  Hoffentlich  ist  man 
in  München  beizeiten  klüger  und  läßt  die 
Augustinerkirche  nach  wie  vor  bestehen.  Voll- 
ständig befriedigend  für  ein  künstlerisch  fein- 
fühlendes Gemüt  wäre  freilich,  wenn  auch  das 
Kircheninnere  als  einheitliches  Ganzes  erhalten 
bleiben  könnte, ')  doch  dem  stellen  allseits 
bedeutende  wirtschaftliche  Bedenken  der  kost- 

")  Vgl.  S.  35   der  Beilage,  Heft  7. 


baren  Grundfläche  wegen  entgegen  und  eine 
Verwendung  für  gottesdienstliche  Zwecke  ist 
von  keiner  Seite  in  Aussicht  genommen.  Darum 
soll  man  den  Mittelweg  einschlagen,  die  Kirche 
als  hervorragendes  Glied  des  Straßenbildes  er- 
halten und  das  Innere,  in  zwei  Geschosse  ge- 
teilt, nützlichen  Zwecken  zuführen,  wie  auch 
der  Wettbewerb  trefflich  bei  eventueller  Erhal- 
tung der  Kirciie  vorschreibt,  nämlich:  die  obere 
Hälfte  des  geteilten  Kirchenraumes  mit  seiner 
herrlich  stuckiertcn,  gewölbten  Decke  als  gro- 
ßen Saal  ohne  Einbauten  für  Zwecke  des  V.'m- 
wohneramtes  zu  erhalten  und  die  untere  Hälfte 
zu  Läden,  natürlich  nicht  den  jetzt  üblichen, 
auf  Eisenstelzen  ruhenden,  rentabel  auszu- 
nützen, was  wohl  als  Mittelweg  die  treffendste 
Lösung  bedeuten  dürfte. 

In  dem  jetzigen,  verwahrlosten  Zustande 
freilich  kann  die  Kirche  nicht  weiterbestehen ! 
Seit  lahren  schon  sind  die  unteren  Mauern 
an    ein    PJakatinsiitut    vermietet;    das    ganze 


2^,S 


em«  DIE  AUGUSTINERKIRCHH  IN  MÜNCHEN  ^^ö 


äußere  Hauptgesims  des  Mittelschiffes  entlang 
ist  ein  hoher  Verschlag  aus  rohen  Brettern 
angebracht,  um  ein  weiteres  Herabfallen  der 
alten,  höchst  malerisch  wirkenden  Dachziegel 
auf  die  verkehrsreiche  Straße  zu  verhindern. 

Und  das  herrliche  Innere,  ist's  nicht  allein 
schon  der  Erhaltung  wert?  Doch  aufweiche 
Profanierung  blicken  die  feinen  graziösen 
Stukkaturen  der  Gewölbe,  die  herrliche  Orgel- 
empore jetzt  herab!  Da  lagern  hoch  aufge- 
stapelt Ballen  und  Fässer,  Kisten  und  Säcke, 
da  wird  geschoben  und  gekarrt;  die  unteren 
Mauern  sind  zerstoßen,  die  Fensterscheiben 
blind  und  zersprungen,  denn  seit  der  Säkularisa- 
tion des  Jahres  1803  dient  die  entweihte  Kirche 
zur  Mauthalle  (vgl.  Abb.  S.  239). 

Sie  ist  ein  elfjochiger,  ehemals  unverputzter 
Backsteinbau,  wie  die  meisten  der  mittelalter- 
lichen Kirchen  und  öffentlichen  Gebäude  Mün- 
chens, mußte  aber  im  Laufe  der  [ahrhunderte 
mancherlei  Veränderungen  über  sich  ergehen 
lassen. 

Es  war  zu  Ende  des  13.  Jahrhunderts,  als 
Herzog  Ludwig  der  Strenge  die  Augustiner- 
mönche nach  München  berief  und  ihnen,  die 
hauptsächlich  der  Krankenpflege  oblagen,  an- 
fangs am  Heiliggeist-Spitale  ein  Unterkom- 
men bereitete.  Da  der  Orden  in  steter  Tat- 
kraft emporblühte,  wies  ihm  der  Herzog  einen 
Platz  auf  dem  großen  Haberfelde  außerhalb 
der  Stadtmauern,  unweit  des  sog.  schönen 
Turmes,  zur  Erbauung  von  Kirche  und  Klo- 
ster an  und  1294  wurden  letztere  nebst  dem 
Friedhofe  durch  Bischof  Emicho  von  Frei- 
sing zu  Ehren  der  beiden  heiligen  Johan- 
nes —  für  welche  schon  vorher  auf  dem 
Platze  ein  Kapell- 
chen stand  — 
feierlichst  einge- 
weiht. 

An  längs  be- 
stand die  Kirche, 
entweder  gerin- 
gen Raumbedüri- 
nissesodertehlen- 
derGeldmittel  hal- 
ber, nur  aus  dem 
dreijochigen,  in 
seinem  oberen 
Teile  (bis  aut  die 
in        rundbogige 

verwandelten 
Fenster  und  den 
Kalkmörtelüber- 
zug) heute  noch 
in  ursprünglicher 
Weise  erhaltenen 
Chor,  der  ein  auf 


DIE  VliRUNST.'VLTETE  STIRNSEITE  DER  AL'GUSTINERKIRCHE 
AN  DER  ETTSTRASSE 


fünf  Seiten  geschlossenes,  von  zwölf  kräftigen 
Strebepfeilern  flankiertes  Achteck  bildet.  Die 
Pfeiler  standen  ohne  die  später  hinzugekomme- 
nen Anbauten  bis  zum  Erdboden  herab  vollstän- 
dig frei,  wofür  als  sicherer  Beweisim  Dachboden 
der  letzteren  die  teils  freiliegenden,  teils  ver- 
mauerten Sandsteinkaflgesimse  der  unteren 
Teile  zeugen.  Bei  Erhaltung  und  Renovie- 
rung der  Kirche  wäre  es  daher  angebracht, 
wenigstens  am  hinteren  Teile  des  Chores  die 
Strebepfeiler,  wie  ehemals,  wieder  ganz  frei- 
zustellen. 

Die  Giebelseite  war,  wie  bei  solchen  An- 
lagen meist  Übung,  mit  einem  Dachreiter  als 
Glockentürmchen  abgeschlossen  der  —  laut 
dem  Sandtnerschen  Stadtmodell  von  1572  im 
bayerischen  Nationalmuseum,  welches  die 
Kirche  nach  der  zweiten  Bauperiode  zeigt  — 
beim  Anbaue  des  Langhauses  erhalten  blieb 
und  von  da  ab  den  Dachfirst  in  der  Mitte 
schmückte.  Daß  übrigens  das  Modell  nicht 
trügt,  bestätigen  im  Dachraum  der  Kirche 
die  Spuren  der  Spreizen  des  1620  entfernten 
Dachreiters. 

Ganz  abgesehen  von  den  Zutaten  aus  der 
Renaissancezeit  ist  es  ja  auf  den  ersten  Blick 
selbst  für  den  Nichtfachmann  erkenntlich,  daß 
Chor  und  Langhaus  zwei  ganz  verschiedenen 
Bauperioden  angehören.  Ersterer  in  seinen 
charakteristischen,  mittelalterlichen  Formen 
mit  den  kräftigen  Strebepfeilern,  letzteres  ohne 
diese,  ein  Werk  späterer  Zeit. 
Für  den  Fachmann  geben  noch 
die  verschiedene  Technik  des 
Mauerwerkes,  vor  allem  aber  der 
charakteristische  Absatz  zwi- 
schen Chor  und 
Langhaus,  wel- 
cher durch  Unter- 
brechung und 
Höherlegung  des 

Hauptgesimses 
bei  letzterem  mar- 
kiert ist,  sicheren 
Beweis,  daß  an- 
fangs nur  der 
Chor  als  selb- 
ständige Kirche 
bestand.  Außer- 
dem sind  die  Glie- 
derungen        des 

Hauptgesimses 
ganz  verschiede- 
ne, am  Chor  be- 
.  steht  selbiges  aus 
zwei  Platten  und 
einer  Kehle,  am 
Langhause      hin- 


S-:^  Din  AUGUSTINliRKlRCnii  IX  MCNCMCN 


»€öa 


259 


gegen  aus  einer  Platte  und  einer  Kehle. 
Ganz  im  Gegensatze  zur  jetzigen  Zeit  pfleg- 
ten unsere  Altvorderen  jedem  Anbau  an 
schon  Bestehendes  den  Stempel  iinx-r  Zeit 
aufzudrücicen,  beziehungsweise  den  ange- 
lugten  Teil  von  dem  schon  vorhandenen 
völlig  auseinander  zu  halten,  worauf  eben 
die  unvergleichlich  malerische  Wirkung 
ihrer  Bauten  fußt,  während  wir  Modernen 
ein  sogenanntes  einheitliches  Zusammen- 
stimmen und  kaltlassendes  Gleichmäßig- 
machen  bevorzugen  und  anwenden. 

Wenige  Monde  vorEinweihung  derKirche 
warihr  Gründer,  Herzog  Ludwig,  gestorben, 
doch  sein  jüngster  Sohn  gleichen  Namens, 
der  spätere  Deutsche  Kaiser,  schenkte  zeit 
seines  Lebens  den  Augustinern  und  ihrem 
Gotteshause  große  Sympathien  und  För- 
derung, ja,  es  war  sogar  sein  Wunsch,  in 
den  Grüften  der  Kirche  beigesetzt  zu  werden. 

Um  1458  unterzog  man  das  Gotteshaus 
einer  großen  Erweiterung,  indem  man  dem 
Chor  das  achtjochige  Langhaus  mit  niede- 
ren Seitenschiffen  vorbaute,  wobei  auch, 
den  spätgotischen  Rippenprofilen  der  Ge- 
wölbe nach  zu  urteilen,  der  Anbau  am 
Chor  und  Einbau  der  Sakristei  erfolgte; 
letztere  befindet  sich  unter  dem  erhöhten 
Mönchschore  und  ruht  ihr  Sterngewölbe 
auf  einem  einzigen  schlanken,  von  einer 
Steinbank  umgebenen  Syenitpfeiler  inmit- 
ten   des  Raumes.    (Abb.  S.  240.) 

Ob  das  Langhaus,  da  Strebepfeiler  feh- 
len, ehemals  von  einer  geraden  Balkendecke 
überspannt  wurde,  ist  nicht  zu  bestimmen; 
ebensogut  können  es  auch  Gewölbe  gewe- 
sen sein,  denn  die  sich  nach  unten  in 
mehrfachen  Absätzen  verstärkenden  Mauern 
wären  kräftig  genug,  den  Schub  von  Ge- 
wölben auch  ohne  Strebepfeiler  aufzuneh- 
men. Gibt  es  doch  mancherlei  Beispiele 
aus  dem  späten  Mittelalter,  wo  die  Gewölbe 
stattlicher  Kirchen  ohne  Hilfe  von  Streben, 
nur  durch  kräftig  verstärktes  Mauerwerk 
.aufgefangen  wurden. 

Durch  meine  langen  Studien  in  der  Kirche  liehen  großen  Baumeister;  man  mußte  sie  für 
angeregt,  hätte  ich  gern  den  Namen  des  Bau-  Monumentalbauten  von  auswärts  heranziehen 
meisters  vom  Langhause  erfahren,  doch  alle  und  so  ist  es  leiciu  möglich,  daß  der  Magistrat 
Forschungen  darnach  in  Archiven  etc.  waren  auf  Ganghofer  durch  die  in  Frage  stehende 
bis  jetzt  vergeblich.  Es  drängte  sich  mir  näm-  Erweiterung  der  Augustinerkirclie  aufmerk- 
lich die  \'ermutung  auf,  daß  vielleicht  Jörg  sam  wurde  und  ihm  dann  den  Bau  des  Domes 
Ganghofer,  welcher  1468  den  Grundstein  zur  übertrug.  Die  Daten  deuten  in  auffallender 
Frauenkirche  legte,  auch  die  Erweiterung  der  Weise  darauf  hin  und  vielleiciu  ist  es  mir 
Augustinerkirche— die  ursprünglich,  wie  schon  noch  möglich,  eine  urkundliciie  Bestätigung 
eingangs  erwähnt,  auch  als  unverputzter  Back-  darüber  zu  erlangen.  — 
steinbau   mit  Sandsteinverblendungen    ausge-  L'ntcr  der  Kirche  befinden  sicii  ausgedehnte 

führt  war  —  übertragen  wurde.    In  München      Katakomben,    die    unter  dem    linken   Seiten- 
selbst gab  es  zu  damaliger  Zeit  keine  eigent-      schiffe  noch  wohlerhalten,  sich  von  dort  aus 


BLICK  IN  DEN  CHOR  DER  AUGUSTIXERKIRCHE  MIT  DF.M  SPATER 
EN  rFERNTi;N  GEM.Xl.DE  TINTORETTOS.     Ttxt  S.  238 


240 


f5^  DIE  AUGUSTINERKIRCHli  IN  MÜNCHEN  »^ö 


BLICK   IN   Dil-:  SAKRISIKI  UNTUK   DEM  ClIOKH  DER 
AUGLTSTINERKIRCHE  IX   MÜKCIIEX.      Text  S.  .'JQ 


bis  unter  die  Klostergebäude  an  der  Ettstraße 
hinziehen,  wo  sie  verschüttet  sind.  Die  oberen 
Gewölbe  unter  der  Kirche  wurden  1803,  bei 
Übernahme  durch  den  Staat,  zur  Gleichung 
der  Niveauverhältnisse  eingeschlagen  und  mit 
Urbau  ausgefüllt.    (Abb.  S.  241.) 

Wie  überwältigend  feierlich  mögen  wohl 
hier  die  Beisetzungen  gewirkt  haben  1  Vorbei 
an  den  in  vierreihigen  Nischen  übereinander 
stehenden  Särgen  der  längst  entschlafenen 
Brüder  führte  der  Zug  unter  dem  gedämpften 
Klang  der  Gebete  bei  Fackelscheine  hinein 
in  die  Gänge,  wo  für  jeden  der  jetzt  noch 
rüstig  Mitschreitenden  ein  Platz  schon  bereit 
war.    Memento  mori!  — 

Im  Jahre  1620  erfolgte  eine  vollständige 
Umgestaltung  der  Kirche  im  Geschmacke  der 
Zeit,  wobei  äußerlich  von  der  Architektur  des 
einfachen,  mittelalterlichen  Gotteshauses  nur 
der  Chor  mit  seinen  Strebepfeilern  und  im 
Innern  die  Sakristei  nebst  den  prächtigen 
Gewölben  der  Choranbauten  erhalten  blieben. 
Mittelschifl' und  Chor  überspannte  man  durch 
ein  von  graziösen  Stuckornamenten  reichver- 
ziertes Tonnengewölbe  mit  Stichkappen  und 


die  Spitzbogenarkaden  der  Seitenschiffe  wur- 
den gleich  sämtlichen  Fenstern  in  rundbogige 
umgewandelt,  überhaupt  das  ganze  Kirchen- 
innere im  Geschmacke  der  Zeit  einheitlich 
ausgestaltet,  wie  wir  es  heute  noch  vor  uns 
sehen  (Abb.  S.  239). 

Aus  der  Periode  dieses  Umbaues  stammt 
auch  die  einst  teilweise  mit  Malereien  und 
Stukkaturen  geschmückt  gewesene,  großzü- 
gige Giebelsilhouette  und  der  Kalkmörtel- 
überzug, mit  dem  man  den  natürlichen  Back- 
steinbau umkleidete.  Der  mittelalterliche  Dach- 
reiter inmitten  des  Firstes  wurde  entfernt  und 
dafür  ein  anderer  von  Holz  an  der  Gratspitze 
des  Chores   angebracht. 

Die  bayerischen  Fürsten  und  viele  Personen 
von  Stand  und  aus  der  wohlhabenden  Bür- 
gerschaft, welche  sich  auch  Begräbnisse  für 
sich  und  ihre  Familien  in  den  Grüften  der 
Kirche  sicherten,  trugen  ununterbrochen  zur 
Ausschmückung  bei.  So  ließ  ein  Herr  Sebastian 
Füll  von  Windach  den  kostbaren  Chorahar 
errichten,  den  ein  Kolossalgemälde  von  Tinto- 
retto,  die  Kreuzigung  Christi,  12  m  hoch  und 
6  m  breit,  ein  Werk  von  unschätzbarem  Werte 
schmückte.  Auch  die  übrigen  Altäre  zeigten 
kostbare  Marmorarbeiten  und  Gemälde  von 
Peter  Candid,  Ulrich  Loth,  Andre  Faisten- 
berger,  dem  kaiserlichen  Hofmaler  Pallach  u.  a. 
mehr.  Die  herrliche  Orgel  stiftete  um  7000  fl. 
die  Churbayerische  Landmannschaft. 

Die  Kunstkammer  der  Maler  und  Stein- 
metzen wurde  die  Kirche  seinerzeit  wohl  mit 
Recht  benannt;  kostbare  Reliquien,  wunder- 
tätige Gnadenbilder,  verbunden  mit  großen 
Ablässen  zogen  die  Gläubigen  in  Scharen  her- 
bei und  1699  erlaubte  Kurfürst  Max  Emanuel 
dem  damaligen  Prior  Johann  Baptist  Inninger 
den  Zubau  eines  > Mietstockes«  zum  Kloster 
»weil  ein  solcher  der  Stadt  ein  Ansehen  gebe«. 
Es  ist  dies  die  an  der  Löwengrube  gelegene, 
von  der  Ett-  bis  zur  Augustinerstraße  sich  hin- 
ziehende Häuserfront,  die,  wie  der  Name  be- 
sagt, vom  Kloster  an  Private  vermietet  wurde. 

Die  Ausdehnung  des  Klosters  war  eine 
stattliche.  Nach  der  Ettstraße  zu  wurde  es 
von  einem  kunstvoll  gehaltenen  Garten  be- 
grenzt, in  dem  eine  kleine,  an  die  Kirche 
gelehnte  Kapelle  mit  vorgelagertem  Treppen- 
lürmchen  eingebaut  war,  welche,  samt  dem 
hölzernen  Dachreiter  über  dem  Chore,  kurz 
nach  der  Säkularisation  entfernt  wurde.  — 

Im  übrigen  besitzt  das  alte  Gotteshaus 
auch  eine  gewisse  historische  Bedeutung,  da 
in  der  Nacht  des  11.  Oktober  1347  der  Abt 
des  Klosters,  Nikolaus  de  Luna,  der  Leiche 
des  mit  dem  Kirchenbanne  belegten,  plötzlich 
aufderJagdbeiFürstenfeld-Bruckim  73. Lebens- 


5^  DIE  AUGUSTINF.RKIRCHIi  IN  MÜNCHl-N  »«Sa 


241 

jähre  verstorbenen  Kaisers  Ludwig  des  Bayern      Sciiiosses  über  und  mit   anderen   gesciiah  es 
an    der  Schwelle    der  Kirche    die   Beisetzung      in  ähnhcher  Weise.    Das  Abschlußgitter   be- 
verweigerte.    Da  nun  die  wirkliche  Ruhestätte      ';->-•'•       ■         •    ■        - .    .      f^ 
des  Kaisers  unbekannt  ist,  entstand  die  Ver- 
mutung,  daß  er  doch  in  aller  Stille,   seinem 
Wunsche    gemäß,    in    den   Augustinergrüften 
bestattet  wäre.    Im  Jahre   1877"  nahm  der  Ge- 
lehrte Faßl  mit  Genehmigung  Koni»  Ludwigs  II 

dortselbstAusgrahungen  und  Nachforschungen      dene  andere  Reliquien  an  die  Meiligen- Geist 
vor,    deren    Resultate    er   in   einer   jetzt    ver-      kirche  über 


hndet  sich  im  bayerischen  Nationahnuseum 
zu  München  und  von  den  prachtvollen  Mar- 
moraltären, Epitaphien  etc.  wurde  ein  großer 
Teil  zerschlagen,  verschleppt.  Das  allverehrte 
)_Gnadenkindl«  ging  in  den  Bürgersaal,  eine 
Kirche  in  der  Xeuhauserstraße,  lind  verschie- 


griifenen  Schrift  »Die  Grabstätte  Ludwig  des 
Bayern«  (in  der  Staatsbibliothek  aufbewahrt) 
niederlegte.  Es  wurde  auch  eine,  den  Por- 
träten des  verblichenen  Kaisers  frappant  ähn- 
liche, außergewöhnlich  gut  konservierte  Leiche 
gefunden,  doch  ein  si'cheres  Urteil  darüber 
ließ  sich  nicht  feststellen.  — 

Nach  der  Säkularisation  wurden  die  aus- 
gedehnten Klostergebäude  als  Justizbureaus 
verwendet,  der  Mietstock  an  Private  verkauft 
und  die  am  i.  Oktober  1803  für  immer  ge- 
schlossene Kirche,  nachdem  sie  all  ihrer  Schätze 
beraubt,  zur  Mauthalle  profaniert.  Das  wert- 
volle Inventar  unterstellte  man  größtenteils 
dem  Verkaufe;  so  kam  die  kostbare  Orgel 
in  den  Dom  zu  Speyer;  das  großartige  Altar- 
bild von  Tintoretto'in  die  Kapelle  des  ehe- 
maligen Lustschlosses  Schleißheim  bei  Mün- 
chen, wo  es  infolge  der  geringen  Tiefe  des 
Raumes  zu  keiner  Wirkung  kommt,  ja  halb- 
vergessen dem  Verfall  entgegenschlummert. 
Weitere  Gemälde  von  Rubens,  Peter  Candid  etc., 
gingen    in    die   Gemäldegalerie   des   gleichen 


Ckn 


OKABGEWÜLBE  IN  DER  EHEMALIGEN  AÜGÜSTINERKIRCHE 
IN  MÜNCHEN 


Ein  Jahrhundert  ist  nun  schon  über  die 
aufregende  Epoche  des  Klöster-  und  Kirchen- 
sturmes hinweggebraust.  Jetzt  ist  das  alte 
Gotteshaus  wieder  von  neuem  hineingezogen 
worden  in  den  Kampf  Hinwegzutragen  ist 
aus  ihm  nichts  mehr,  jetzt  soll's  ihm  selbst 
ans  Leben  gehen ! 

Doch  immer  noch  hoffen  jene,  die  die  alte 
Kirche  schätzen  und  in  richtiger  Erkenntnis 
ihres  Wertes  als  historisch  künstlerische  Stätte 
und  Mittelpunkt  des  herrlichsten  Altmün- 
chener  Straßenbildes  für  ihr  Leben  die  Lanzen 
brachen,  bis  zu  letzter  Stunde  auf  ihre  Er- 
haltung. 


AUSSTELLUNGFÜRCHRISTLICHE 
KUNST  IN  DÜSSELDORF  1909 

Am  15.  Mai  wird  die  Ausstellung  für  christ- 
■^  liehe  Kunst  in  Düsseldorf  im  Städtischen 
Ausstellungsgebäude  eröflnet.  Die  Deutsche 
Gesellschaft  für  christliche  Kunst  betei- 
ligt sich  an  der  Ausstellung  als  Gruppe, 
soweit  nicht  manche  ihrer  Mitglieder  — 
z.  B.  die  Düsseldorfer  Künstler  —  sich 
aus  besonderen  Gründen  einer  anderen 
Gruppe  anschlössen.  Leider  konnten  der 
Gesellschaft  bloß  drei  Räume  zur  \'erfü- 
gung  gestellt  werden,  von  denen  nur 
einer  etwas  größere  Dimensionen  besitzt. 
So  mußte  denn  auf  eine  ursprünglich  ge- 
plante Abteilung  für  kirchliche  Architek- 
tur, die  ganz  besonders  interessant  hätte 
werden  können,  von  vorneherein  ganz 
verzichtet  werden.  Aber  auch  die  Betei- 
ligung der  Maler  und  Bildhauer  der  Ge- 
sellschaft kann  nur  eine  sehr  beschränkte 
sein,  da  die  Kaumverhältnisse  eine  Beteili- 
gungauf brcitererGrund  läge  nicht  zulassen. 
Die  objektive  Kritik  wird  auf  dieser 
unter  allen  Umständen  bcgrül.<enswertcn 
Ausstellung  einen  schweren  Stand  haben. 
Sie  wird  den  religiösen  und  den  künst- 
lerischen Gehalt  der  ausgestellten  Arbeiten 
prüfen.  Kern  und  Schale,  Wesen  und  Schein 
auseinanderhalten  müssen. 


'42 


©^  JULIUS  VON  KLEVER  ^a 


JULIUS  VON  KLEVEK 


JULIUS  VON  KLEVER 

Von  Dr.  phil.  C.  E.  GLEYE,  Dresden 

Tm  letzten  Jahrzehnt  haben  mehrere  Wan- 
A  derausstellungen,  die  die  Hauptstädte  West- 
europas besuchten,  weiteren  Kreisen  einige 
Kenntnisse  von  der  zeitgenössischen  russischen 
Malerei  vermittelt,  von  der  man  bis  dahin 
nur  wenig  wußte.  Ab  und  zu  war  auf  irgend 
einer  Ausstellung  ein  Bild  von  Rjepin  wie  ein 
Meteor  aufgetaucht.  Am  meisten  wußte  man 
noch  von  Werestschagin,  dessen  Tendenz- 
und  Orientbilder  mehrere  Male  ihren  Rundzug 
durch  Europa  machten.  Als  einer  der  ersten 
russischen  Maler  ist  auf  einer  Berliner  Kunst- 
ausstellung zu  Beginn  der  achtziger  Jahre  der 
Balte  Julius  Klever  mit  seinen  Landschaften 
erschienen,  zu  einer  Zeit,  als  der  Kult  des 
feinsinnigen  russischen  Naturschilderers  Tur- 
genew  in  Deutschland  auf  der  Höhe  stand  und 
sein  Ruhm  noch  nicht  durch  Dostojewski  und 
Tolstoj   verdunkelt  war. 

Bei  Klevers  erstem  Auftreten  in  Berhn  schrieb 
ein  angesehener  Kunstrichter  jener  Tage  (A. 
Rosenberg):  »Ein  frisches,  resolutes  Talent, 
ein  Beobachter,  der  sich  nicht  in  poetische 
Träumereien  verliert,  sondern  mit  keckem 
Pinsel  die  Dinge  wiedergibt,  wie  sie  sind. 
Manches  fällt  dabei  flüchtiger,  roher,  deko- 
rativer aus,  als  es  gerade  nötig  ist,  aber  im 
ganzen  spricht  doch  aus  diesen  handfesten 
Malereien  ein  selbständiges  Talent,  das  bei 
der  Jugend  des  Künstlers  noch  einer  weiteren 


Entwicklung  und  einer  gleichmäßigen  Durch- 
bildung fähig  ist.«  Als  diese  und  ähnliche 
Urteile,  die  in  dem  Künstler,  was  uns  heute 
wundert,  einen  Realisten  feststellten ,  gefällt 
wurden,  hatte  der  junge  Künstler  in  seiner 
russischen  Heimat  schon  Ruhm  und  Volks- 
tümlichkeit in  reichem  Maße  erworben,  schon 
war  er  der  russische  Landschaftsmaler  par 
excellence.  Bilder  von  seiner  Hand  befanden 
sich  schon  in  den  öffentlichen  Galerien  und 
in  denen  des  Kaiserhauses  und  der  bekannten 
großzügigen  russischen  Sammler:  schon  hatte 
er  in  Russland  eine  große  künstlerische  Mis- 
sion  erfüllt. 

Julius  Klever  ist  geboren  im  Jahre  1850 
zu  Dorpat,  der  ehedem  deutschen  Musenstadt 
am  Embach,  als  Sohn  eines  Gelehrten.  Es  ist 
interessant,  daß  derselben  nördlichen  Hälfte 
des  Baltenlandes  auch  die  großen  Düssel- 
dorfer E.  v.  Gebhardt,  G.  v.  Bochmann  und 
Eugen  Dücker  entstammen.  Der  Wunsch, 
Künstler  zu  werden,  und  zwar  Landschafter, 
ist  in  dem  jungen  Klever  schon  früh  erwacht, 
aber  nur  unter  der  Bedingung  gestatteten  ihm 
die  Eltern  die  Petersburger  Kunstakademie  zu. 
beziehen,  daß  er  sich  dem  Brotstudium  der 
Architektur  widmete.  Hier  auf  der  Akademie 
ist  seine  erste  Liebe  eine  prachtvolle  Samm- 
lung von  Gemälden  der  Meister  von  Barbizon 
gewesen,  die  ein  fürstlicher  Mäzen  der  Aka- 
demie gestiftet  hatte.  Ihr  Einfluß  zeigt  sich 
deutlich  in  den  ersten  Schöpfungen  des  jungen 
Künstlers,  der  erst  nach  zweijährigem  Archi- 


243 


244 


S?^  JULIUS  VON  KLEVER  ^Ö 


tekturstudium  offiziell  in  die  Klasse  für  Land- 
schaftsmalerei übertrat,  in  der  die  Professoren 
Worobjewund  Baron  Klodtseine  Lehrerwaren. 
Durch  Klever  ist  zuerst  Naturauffassung  und 
Malweise  der  Meister  von  Barbizon  der  russi- 
schen Kunst  vermittelt  worden.  Das  ist  eins 
seiner  Verdienste  und  nicht  das  letzte.  Nach- 
dem auf  der  akademischen  Ausstellung  des 
Jahres  1872  der  Kaiser  Alexander  IL  das  Bild 
»Frühling  in  Russland«  des  damals  22  jährigen 
Künstlers  gekauft  halte,  machten  ihn  seine 
Bilder  »Alter  Park«,  »Waldeinsamkeit«,  iln- 
sei  Nargen ::,  die  ihren  Weg  in  die  bekannten 
großen  russischen  Galerien,  wie  z.  B.  die  der 
Gebrüder  Tretjakow  in  Moskau  fanden  und 
in  ungezählten  Kopien  und  Reproduktionen 
über  das  ganze  russische  Reich  verbreitet 
wurden ,  berühmt.  Die  Motive  zu  diesen 
charaktervollen  Gemälden  hatte  der  Künstler 
meist  in  seiner  baltischen  Heimat  gefunden, 
für  die  er  der  eigentliche  Heimatkünstler  ist. 
So  z.  B.  zu  seiner  berühmten  Parklandschaft. 
Wie  oft  hat  er  diesen  alten  Park  malen  müs- 
sen !  Bei  einem  Besuche  des  alten  Schlosses 
Marienburg  in  Livland  hatte  sich  ihm  die 
ganze  Poesie  solch  eines  halbverwilderten, 
weltverlorenen  Parkes  eines  alten  Herrenhauses 


lüLIUS  \0N   Kl  I.VEK 


DER  WEG  /U  GROSSMAMAS  G.\R1HN 


erschlossen,  und  auch  von  Klever,  in  dem 
ohne  Zweifel  ein  gutes  Stück  Romantiker 
steckt,  gilt,  was  vor  kurzem  ein  feinsinniger 
Kritiker  von  dem  zu  früh  dahingegangenen 
Dichter  Prinz  Schönaich-Karolath  gesagt  hat: 
»Immer  wieder  hat  er  die  Märchenwelt  des 
Parkes  alter  Edelsitze  in  neuer  Fassung  em- 
porleben lassen,  bald  in  herbstlicher  Trauer, 
wenn  der  Nebel  um  Allerseelen  durch  die 
Wipfel  auf  die  letzten  Astern  regnet,  bald 
im  Juniduft,  wenn  die  Rosen  blühen,  die 
Springbrunnen  verschlafen  platsch  ern,  aus  den 
Taxushecken  der  Pan  und  die  Sphinx  von 
Stein  lachen.«  Auf  ein  verlorenes,  der  est- 
ländischen  Küste  vorgelagertes  Eiland  im  Fin- 
nischen Meerbusen  versetzt  uns  sein  Bild 
»Waldeinsamkeit«,  von  dessen  Qualitäten  un- 
sere Abbildung  (S.  245)  natürlich  nichts  ver- 
raten kann.  Durch  diesen  Märchenwald  der 
Insel  Nargen  läßt  er  auch  sein  Rotkäppchen 
schreiten.  Mit  diesen  seinen  Waldbildern  stellt 
sich  Klever  den  großen  Waldschilderern  des 
19.  Jahrhunderts  ebenbürtig  an  die  Seite. 

Aber  das  Herz  des  russischen  Volkes  hat  sich 
Klever  durch  seine  Winterbilder  erobert.  Wie 
er  den  russischen  Winterwald  dargestellt  hat, 
das  hat  ihm  niemand  nachgemacht,  vor  allem 
nicht  den  Schnee  mit  der  wunder- 
vollen, unvergleichlichen  Leucht- 
kraft. Und  die  meisten  seiner  Win- 
terlandschaften sind  Abendlandschaf- 
ten ;  die  Sonne  geht  zur  Rüste.  Ge- 
rade diese  seine  Bilder  haben  eine 
so  große  Verbreitung  gefunden  in 
Kopien  und  Reproduktionen  und  zu- 
letzt auch  in  vielen  Fälschungen.  Er 
selbst  hat  sie  —  oft  gegen  seinen 
eigenen  Willen  —  immer  wieder 
malen  müssen.  Ihn  hatten  zuerst 
die  koloristischen  Probleme  gereizt, 
welche  die  vom  scheidenden  Son- 
nenlicht gestreiften  Schneeflächen 
boten.  Und  wer  den  sprunghaften 
Charakter  der  Russen  wirklich  kennt, 
weiß  wohl,  wie  vertraut  ihm  abend- 
liche Emmausstimmungen  sind.  So 
erklärt  sich  die  Volkstümlichkeit 
gerade  dieser  Bilder  Klevers.  Denn 
nichts  hat  einem  so  vielseitig  begab- 
ten Künstler  wie  Klever  so  fern  ge- 
legen, wie  Einseitigkeit  oder  scha- 
blonenhafte Routine.  Es  wird  w^ohl 
wenig  Landschafter  geben,  die  in 
gleich  vollendeter  Weise  den  Stim- 
mungsreiz der  einzelnen  Jahreszeiten 
wiederzugeben  imstande  sind  wie 
Klever,  die  in  gleicher  Weise  die 
Forderungen  des  Paysage  intime  er- 


©^  JULIUS  \'OX  KLEVER  *^Ö 

T 


HS 


ILllLS  VON  KLEVER 


WAl.DtSDLN'KEL  (KÜSM.AMJ) 


füllen  und.dabei  doch  den  Vortrag  ins  Heroische 
steigern  können.  Es  sind  zwei  sehr  weit  von- 
einander entfernte  Pole,  die  durch  Klevers 
Gemälde  »Welke  Blätter«  und  »Verlassener 
Friedhof;   dargestellt  werden. 

Das  Bild  Welke  Blätter  (durch  eine  Ra- 
dierung von  B.  Mannfeld  weiteren  Kreisen 
bekannt)  verrät  deutlich  den  Einfluß  Daubignys, 
aus  dem  Bilde  X'erlassener  Friedhofs  tönt  uns 
der  Xachhall  einer  Heldensvmphonie  ent- 
gegen. Eine  Charakteristik  der  Eigenart  Kle- 
vers wäre  nicht  vollständig,  wenn  wir  nicht 
seines  großen  Kompositionstalentes  gedenken 
würden,  das  ihn  besonders  zur  Lösung  deko- 
rativer Aufgaben,  die  ihm  oft  gestellt  wurden, 
befähigte  und  dann  vor  allem  seiner  eminenten 
koloristisciien  Begabung.  Diese  tritt  besonders 
deutlicii  iiervor  in  der  im  Auftrage  des  Kaisers 
Alexander  III.  gemalten  Illumination  des  Mos- 
kauer Kremls  während  der  Krönung«,  und  dem 
von  der  Rigaer  Städtischen  Galerie  erwor- 
benen »Wasserfest  auf  der  Düna  beim  700- 
jährigen  Jubiläum  der  Stadt  Riga..  In  seinen 
zahlreichen  Waldbildern  hat  der  Künstler  stets 
besonderes  Gewicin  auf  das  Erfassen  und  die 
Wiedergabe  des  (.)rganischen,  des  intimen 
Waldlebens  mit  seinen  Flechten  und  Moosen 
gelegt;  für  ihn  hat  stets  das  Wort  Leopardis 
gegolten:    minor   natura   e   minor  arte.     In 


Petersburg  hat  Klever,  dem  der  Kaiser  Alexan- 
der III.  1893  den  erblichen  Adel  verlieh, 
wiederholt  Sonderausstellungen  mit  seinem 
Freunde  Rufim  Sudkowski,  dem  hervorragen- 
den, früh  verstorbenen  russischen  Marinemaler, 
veranstaltet.  Der  Einfluß  dieses  Freundes 
zeigt  sich  in  Klevers  erfolgreichen  \'ersuchen, 
das  Meer  darzustellen.  So  z.  B.  in  dem  ein- 
zigen Bilde  des  Künstlers,  das  ein  religiöses 
Motiv  wiedergibt:  Christus  auf  dem 
Meere  .  eine  Schöpfung,  die  nicht  nur  in 
Rußland,  sondern  auch  in  Deutschland  großes 
Aufseilen  erregt  hati,Abb.S.242).  Es  darf  hier  an 
wenig  bekannte,  diesem  \'orwurf  gewidmete 
Worte  Goethes  erinnert  werden:  Um  aber  zum 
Heiligsten  überzugehen,  wüßte  ich  in  dem 
ganzen  Evangelium  keinen  höheren  und  aus- 
drucksvolleren Gegenstand  als  Ciiristus,  der 
ieiclit  über  das  Meer  wandelnd,  dem  sinkenden 
Petrus  zu  Hilfe  tritt.  Die  göttHche  und  mensch- 
liche Natur  des  Erlösers  ist  in  keinem  ande- 
ren Falle  den  Sinnen,  und  so  identisch  dar- 
zustellen, ja  der  ganze  Sinn  der  christlichen 
Religion  nicht  besser  mit  wenigem  auszu- 
drücken. Das  Übernatürliche,  das  dem  Na- 
türlichen auch  in  übernatürlich  -  natürlicher 
Weise  zu  Hilfe  kommt  und  deshalb  das 
augenblickliche  Anerkennen  der  Schitfer  und 
Fischer,  daß  der  Sohn  Gottes  bei  ihnen  ge- 


246  ©^  FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG  DER  SECESSION  MÜNCHEN  J'^a 


JULIUS  VON  KLEVER 


SELBSTBILDNIS 


genwärtig  sei,    hervorruft,    ist    selten   gemalt 
worden.« 

Seit  mehreren  Jahren  lebt  Klever  in  Berlin, 
wo  er  sich  schon  in  den  achtziger  Jahren  einen 
Freundeskreis,  der  ihm  treu  geblieben  ist,  ge- 
schaffen hat.  Aber  er  weiß  es,  was  er  Ruß- 
land, und  Rußland  weiß  es,  was  es  ihm  ver- 
dankt. In  der  Geschichte  der  russischen  Land- 
schaftsmalerei, ja  der  Entwicklung  des  russi- 
schen Naturgetühls  wird  sein  Name  stets  einen 
ehrenvollen  Platz  behaupten,  und  mit  Recht 
vermisste  der  feinsinnige  Verfasser  des  be- 
rühmten Buches  über  den  russischen  Roman, 
der  Graf  de  Vogue,  wohl  einer  der  besten 
Kenner  der  russischen  Kultur,  als  vor  drei 
Jahren  während  der  russischen  Revolution  die 
Wanderausstellung  moderner  russischer  Maler, 
die  sich  anmaßte,  ein  Bild  vom  Gesamtschaffen 
der  russischen  Malerei  zu  geben,  auch  nach 
Paris  kam,  auf  dieser  russischen  Ausstellung 
die  Landschaften  Julius  von  Klevers. 


DIE  FRÜHIAHRSAUSSTELLUNG 
DER  SECESSION  MÜNCHEN 

Wiederum,  wie  jedes  Jahr,  taucht  eine  Fülle 
malerischer  und  zeichnerischer  Neuschöp- 
fungen auf,  die  mehr  Aufschluß  geben  über 
den  kolossalen  Andrang  zum  Kunstgebiet  und 
seine  Überproduktion,  als  über  wertvolle  Kul- 
turdokumente. Alljährlich  sehen  wir  dasselbe 
Bild:  Eine  Anzahl  frischer  und  fröhlich  hin- 
geschriebener Malereien,  eine  Menge  Studien, 
eine  Menge  Naturausschnitte,  aber  selten  ein 


Gemälde,  selten  ein  innerlich  empfundenes 
künstlerisches  Gebilde.  Das  Charakteristikum 
der  modernen  Kunst  ist  die  Technik  und  zwar 
die  Technik  des  Blendens,  des  Verblüffens. 
Der  Technik  allein  dient  das  Motiv,  vom 
hölzernen  Gartenzaun  bis  zum  mehr  als  natur- 
großen Kohlstrunk,  der  Straßenlaterne,  der 
Stubentür  etc.  Es  kommt  einem  immer  so 
vor,  als  ob  die  Jungen  und  Jüngsten  dem 
Beschauer  zuschreien  wollten:  »Seht,  was  wir 
alles  mit  der  Farbe  machen  können,  uns  ist 
nichts  zu  schwer,  wir  malen  Erde,  Luft,  Was- 
ser, Sonnenschein.  Wir  können  alles !'^  Ja, 
die  heutige  Kritik  hat  dies  auch  anerkannt 
und  sie  spricht  vor  modernen  Gemälden  von 
Frdgeruch,  von  Feuchtigkeit  der  Luft,  von 
heifier,  zitternder  Sonnenglut.  Aber  steckt  in 
all  dem  nicht  doch  auch  ein  großer  Tadel? 
Pst  es  der  Endzweck  der  Kunst,  Natur  natür- 
lich darzustellen?  War  nicht  in  allen  hohen 
Kunstepochen  das  Streben,  die  Erscheinungen 
der  Natur  in  feste  Formen  zu  bannen,  das 
Natürliche  herauszutreiben  und  auf  der  Grund- 
lage von  Natur,  an  Stelle  der  banalen  Wirk- 
lichkeit eine  innerliche,  vergeistigte  zu  setzen  ? 
Die  Wirkung  auf  die  Menschenseele,  auf  die 
Empfindungen  edler  Seelenregungen  ist  doch 
das  erste  und  höchste,  was  wir  unter  dem 
Worte  »Kunst«  uns  vorstellen.  Wir  können 
nur  dann  Fortschritte  in  der  Kunst  erkennen, 
wenn  sie  uns  aus  der  nüchternen  Alltäglich- 
keit zu  höheren  Zielen  zu  führen  imstande 
ist.  Allerdings  verlangen  wir  mit  diesen  Zielen 
auch  technisches  Können,  kurz  eine  klare, 
sichere  Sprache  und  Ausdrucksweise,  aber  sie 
braucht  ihre  Übungen  nicht  an  Gegenstände 
zu  hängen,  die  an  sich  schon  geschmack- 
widrig sind.  »Kunst  ist  Wahl«  hat  irgend 
einmal  ein  Kritiker  gesagt  und  dies  mit  Recht. 
Eine  schlechte  Wahl  aber  ist  es,  wenn  z.  B. 
Walter  Sehn  ackenberg  ein  nacktes  Frauen- 
zimmer vor  dem  Toilettetische  malt,  das  im 
Begriffe  ist,  sich  zu  schminken  und  weiter 
nichts  anhat,  als  bis  über  die  Kniee  herauf- 
gezogene knallgrüne  Strümpfe,  von  einer  Auf- 
dringlichkeit der  Farbe,  die  einer  optischen 
Ohrfeige  gleichkommt.  Überhaupt  diese  Ganz-, 
Halb  und  sonstigen  weiblichen  Akte!  Bis 
zum  Überdruß  tauchen  diese  akademisch-posie- 
renden,  langweiligen  Gestalten  auf  Sie  ver- 
folgen einen  bis  in  den  Kunstverein  und  jede 
kleine  Kunsthandlung.  Julius  Heß  hat  sich 
drei  solcher  Frauenzimmer  geleistet,  dazu  in 
einer  Farbe  von  trüber  Süßigkeit  und  abso- 
lutem Schmutz,  die  mehr  aJs  abstoßend  wirkt. 
Hans  von  Marees'  Arbeiten,  die  noch 
vor  kurzem  an  derselben  Stelle  hingen,  waren 
dagegen   von   Phidiasischer  Erhabenheit.    Es 


SJ^  FRUHJAHRSAUSSTELLUNG  DER  SECESSION  MÜNCHEN  >^ö         247 


1  RAN/  JOM;ril   MAYIJ; 


HAUSALI  ARCHIA" 


AussUiiuTi£  Mütuhen  tgoS 


ist  manchmal  unbegreiflich,  wie  stark  die 
Neigung  vorherrscht,  den  menschlichen  nack- 
ten Körper,  der  doch  in  allen  Teilen  so  schön 
sein  kann,  unter  so  schiefem  Gesichtswinkel 
zu  betrachten.  Dasselbe  gilt  noch  von  man- 
chen Fleischmalereien,  die  wir  nicht  alle  auf- 
zählen mögen.  Sonderbar  ist  auch  das  weib- 
liche, nackte  Wesen  vor  dem  Spiegel,  das 
sich  den  Hut  aufsetzt,  eine  Tätigkeit  die  meist 
als  letzte,  nach  beendeter  Toilette  vorgenom- 
men wird.  Eine  weitaus  ernstere  Arbeit  an 
sich,  obwohl  nicht  in  der  Ausführung,  ist 
der  tote  Christus  von  Curt  Witte.  Freilich 
von  einer  geistigen  oder  gar  religiösen  Durch- 
dringung des  erhabenen  Themas  ist  der  Künst- 
ler noch  himmelweit  entfernt;  es  ist  eine 
Malstudie.  Aber  auch  die  Manier,  den  Strich, 
den  Farhenfleck  als  solchen  wirken  zu  lassen, 
grenzt  hier  an  eine  Art,  die  dem  Wesen  der 
Malerei  widerspricht.  Je  technikloser,  je  weniger 


auffällig  etwas  mit  den  Mitteln  der  Farbe  zur 
Darstellung  gelangt,  desto  edler  und  geistiger  ist 
auch  das  Werk.  Abgesehen  von  einigen  Bild- 
nissen, die  ebenfalls  mehr  aut  farbige  Wirkung, 
als  auf  psychologische  \'ertiefung  hin  aufge- 
faßt wurden,  gehört  die  Mehrzahl  der  Studien 
wie  immer,  dem  Gebiete  der  Landschaft  oder 
des  Innenraums  an. 

Unter  Bildnissen  sind  als  bessere  Leistungen 
zu  nennen  diejenigen  von  Paula  von 
Blancke  nburg,  Fritz  Burger,  Wilhelm 
Gallhof  und  Hans  Lesker.  Als  vortretT- 
liche  Malerei  von  fast  monumentaler  Wucht 
sind  idic  Nibelungen,  von  Hans  Bühler 
zu  betrachten.  Der  Maler  trägt  in  seine  etwas 
bräunlichen  Menschenleiber  jene  Kraft  hinein, 
die  an  ein  gigantisches  Geschlecht  gemahnt 
und  die  wir  auch  in  erster  Linie  bei  einem 
solchen  Thema  voraussetzen.  Die  Helden  des 
Nibelungenliedes  tauchen  dem  Beschauer  frei- 


248 


K-:^  FRÜHIAHRSAUSSTELLUNG  DER  SECESSION  MÜNCHEN  ^ö 


JOSi;PH   KOPP  GRABMAL  HARTMAW 

Neuer  Nord/riedhnf  m  München 


JOSEPH  KOPP 


GRABMAL  CONSONI 

■edhcf  in  München 


lieh  unwillkürlich  auf,  aber  anders.  Von  großem 
Interesse  sind  auch,  zumal  rein  dekorativ  be- 
trachtet, die  farbigen  Zeichnungen  von  Julius 
Diez,  zu  den  Stücken:  »Was  Ihr  wölk-:  und 
»Maß  für  Maß«.  Mit  spielender  Leichtigkeit, 
unterstützt  von  einer  starken  Phantasie,  sind 
diese  für  das  Künstlertheater  geschaffenen 
Kostümfiguren  in  dem  eigenen,  so  reizvollen 
persönlichen  Stil  dieses  Meisters  geschaffen.  Es 
steckt  in  allen  ein  gut  Stück  mittelalterlicher 
Tradition  und  dies  ist  nicht  das  Schlechteste. 
Manche  von  den  ausgestellten  Landschaften  be- 


gegneten uns  schon  im  Kunst  verein  und  müssen 
wir  auf  die  Kunstvereinsberichte  hinweisen. 
Als  neue  Nummern  kommen  in  Betracht, 
ein  treffliches  »Hochwasser  im  Walde«  von 
Otto  Altenkirch.  In  ähnliche  Stimmung 
versetzt  Giulio  Bedain  zwei  Bildern  »Trübes 
Wetter  in  Burghausen«  und  »Spätherbst  in 
Dachau«.  Allzustark  pastos  und  rahmig  schil- 
dert Ludwig  Bock  das  Wasser  eines  Mühl- 
baches. Von  toniger,  abgeklärter  Wirkung 
sind  die  mehr  melancholisch  ernsten  Studien 
von  Hans  Borchardt.  — 


©^  FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG  DLR  SRCESSION  MÜNCHEN  »^a  249 


JOSEPH  KOPP 


JOSEI'H  KOPP 


Die  kleine  Nachlaßaussteliung  von  Faul 
Cczanne  fällt  unter  den  einheimischen  Bil- 
dern stark  ab.  Man  hat  diesen  Maler  stets 
hochgeschätzt;  was  wir  hier  sehen,  stellt  ent- 
weder das  Schlechteste  dar,  was  Cezanne  ge- 
malt hat,  oder  das  ihm  gespendete  Lob  war 
stark  übertrieben.  Nichts  ist  in  der  ganzen 
Kollektion,  was  nicht  von  Einheimischen  besser 
gemalt  würde,  ja  es  sind  Dinge  dabei  von 
solch  kindlicher  Ungeschicklichkeit,  wie  z.  B. 
einige  Stilleben  mit  Früchten,  die  selbst  die 
mildeste  Jury  eines  Provinz-Kunstvereins  nicht 


annehmen  dürfte.  Ruft  man  sich  erst  die 
Schuch- Ausstellung  ins  Gedächtnis,  so  er- 
füllt es  jeden  Kunstfreund  mit  Schmerz,  daß 
unser  Meister,  der  himmelhoch  über  jenem 
stand,  verkannt  und  unerkannt  aus  dem  Leben 
schied.  Gleiche  Gedanken  beschäftigen  unser 
Emplinden  bei  dem  reichen  Nachla(.i  von 
H.  Braun.  Auch  dieser  reichbegabte  Künst- 
ler starb  jung,  in  Not  und  Elend  und  wie 
man  sagte,  an  Verzweiflung  über  den  Miß- 
erfolg seiner  Tätigkeit.  Es  ist  heute  im  Zeit- 
alter des  internationalen  \'erkehrs  kaum  glaub- 


Ule  cliristllche  Ku 


250  ©^  FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG  DI:R  SFXESSION  MÜNCHEN  m& 


|ÜSi;PH   KOPP 


/,ii  uidlicheii   Fl 


GRABDKXKMAP  BAUM DACH 
■i-dl,p/  zu  l\l,i„L-l,ni 


lieh,  d;U.(  solch  ein  gewaltiges  Talent,  wie  es 
diese  höchst  malerischen  und  lein  empfun- 
denen Blätter  verraten,  nicht  Anerkennung 
zu  finden  vermochte.  Und  doch  versteht  man 
es  wieder,  zieht  man  in  Betracht,  daß  gerade 
die  feinsten  Künstlernaturen,  die,  welche  nicht 
schreien,  nicht  mit  Ellenbogenkraft  sich  durch 
die  Menge  den  Weg  bahnen  wollen,  einsam 
bleibend  oder  tauben  Ohren  predigend,  in 
Unbeachtetheit  dahinschwinden.  Die  hasten- 
den, nervösen  Menschen  unsererEpoche  haben 
keine  Zeit  mehr,  selbst  zu  suchen,  sie  haben 
auch  am  Ende  nicht  das  Verständnis  für  die 
Kunst,  sie  sind  direkt  auf  die  Künstler  ange- 
wiesen, die  als  die  >/Guten:(  abgestempelt, 
jede  weitere  Bemühung  betreffs  Garantie  der 
Tüchtigkeit  überflüssig  machen. 

Als    schon    bekannter    Meister    gilt    Paul 
Crodel,  von  dem  drei  tüchtige  Arbeiten  vor- 


handen, '1  heodor  Essers  »Motiv  aus  einem 
zoologischen  Garten«  ist  von  sonniger  Heiter- 
keit und  Klarheit.  Dasselbe  gilt  von  den 
weichen,  fein  wertigen  Leistungen  Rudolf 
Nissis,  von  Charles  Vetter,  H.  B.  Wie- 
land t  und  Richard  Wintern itz,  der  immer 
mehr  den  Bahnen  Uhdes  zu  folgen  bestrebt 
ist.  Letztgenannter  Meister  ist  mit  einem 
kleineren  Bilde,  aber  einer  Perle  im  modernen 
Sinne  vertreten;  spazierende  junge  Damen 
am  sonnigen  Nachmittag.  Ist  hier  wirklich 
flutendes  Sonnenlicht  wiedergegeben,  so  ist 
der  gleiche  Versuch  bei  den  Arbeiten  Eugen 
Wolffs  gescheitert.  Besser  gelangen  diesem 
Maler  einige  Interieurs  von  kräftigem  Far- 
benreiz. 

Als  Techniker  dürfte  wohl  Theodor  Hum- 
mel mit  am  höchsten  zu  bewerten  sein,  alles, 
was  er  anfaßt,  gelingt  ihm,  kein  Thema  ist 
zu  schwer,  er  hat  sein  Handwerk  gelernt  wie 
selten  einer,  nur  bedauert  man,  daß  dieser 
Maler  und  Könner  sich  nicht  dazu  aufschwin- 
gen kann,  mit  dem  Erlernten  nun  etwas  zu 
schaffen.  Man  erfreut  sich  an  seinen  roten 
Rosen,  seiner  sonnigen  Landschaft,  oder  an 
seinem  größten  Bild,  dem  Innenraum  einer 
Brauerei  mit  dem  Gewirr  von  Kupferkesseln, 
Treibriemen,  Geschirren,  Rädern  und  Stangen, 
aber  man  bedauert  zugleich,  daß  all  diese 
Geschicklichkeit  an  einem  innerlich  so  ma- 
geren Thema  verschwendet  wurde.  Den  mo- 
dernen Malern  ist  nun  einmal  ein  jeder  Ge- 
genstand, es  mag  sein,  was  es  will,  als  rein 
farbige  Erscheinung  oder  als  Träger  von  Luft 
und  Licht  geeignet  als  Vorwurf  zu  einer 
Malerei,  ob  sie  nun  hier  einen  Bräuhauskessel 
vorstellen  oder  dort  eine  Strickmaschine, 
kommt  nicht  in  Betracht.  |a  selbst  die  mensch- 
liche, nackte  Gestalt  wird  unter  keinem  an- 
deren Gesichtspunkt  aufgefaßt.  Diese  gleich- 
wertige Behandlung  aller  Objekte  führt  zu 
einer  Einseitigkeit,  die  darin  besteht,  daß  man 
das  Wesen  der  Dinge  verkennt  und  nun  alles, 
ob  lebend  oder  tot,  ein  und  derselben  Pro- 
blemdurchführung unterwirft.  So  behandelt 
zwar  in  leinen,  perlmutterartigen  Tönen  Josef 
Huhn  eine  Salontüre,  und  die  Dame,  welche 
davorsteht,  ist  Nebensache,  und  so  wie  die 
Salontüre  ist  die  »Balkontüre?,  und  das  Bild 
>'An  der  Balkontüre«.  Des  weiteren  arbeitet 
nach  dieser  Richtung  Paul  Roloff.  »Am 
Büfett«  heißt  seine  Studie  und  ein  nacktes 
Mädchen  steht  vor  diesem.  Weshalb  eigent- 
lich? Am  weitesten  ging  wohl  Jul.  Seyler 
in  seiner  merkwürdigen  Leistung  »Durch  die 
Furt«  und  in  der  abstoßenden  Wiedergabe 
eines  sich  aus- oder  anziehenden  Modells.  Weit 
erfreulicher   ist    das  Bestreben  von  Richard 


v^^  FRÜHJAHRSAUSSTELI.LXG  DER  SECESSIOX  MCXCHHX  f^iö  251 


lOSEI'H  KOPP 


Ifest/rieMo/  i 


GRABMAL  STURM 
Miinchfft 


JOSl£PH  KOPP 


DOPPKI.GKAB  HEII.ENSTEINER 
Ku/sUin-Ztll 


Pietzsch,  eigene  Gedanken  mit  der  Land- 
schaft zu  verkörpern;  wohl  weniger  in  der 
banalen  Dreschmaschine«,  als  in  dem  hei- 
teren >.Sommertag  in  Icking«.  Der  talentvolle 
Maler  soll  nur  ruhig,  ohne  nach  links  oder 
rechts  zu  schauen,  seinen  eigenen  Gefühlen 
nachgehen,  dann  wird  er  noch  Wertvolles  er- 
reichen.—  Zu  stark  pointillistisch  angehaucht 
ist  Karl  Reisers  Erühlingsbild  aus  Parten- 
kirchen; etwas  zu  groß  im  Format,  jedoch 
vorzüglich  in  der  Beobachtung  ist  AI.  Purt- 
schers Bild  Durch  die  Furtx.  In  noch 
größeren  Dimensionen  bringt  Burger-Mühl- 
feld eine  Hochofen-Szene,   bei  der  man  zu- 


erst an  Menzel  und  dessen  geistreiche  Art 
denkt,  wie  so  etw-as  auch  künstlerisch  ge- 
löst werden  kann.  Amandus  Faure  hat 
in  »Zirkus-Erlebnisse  nichts  Neues  gesagt, 
ebenso  sind  die  Bilder  von  Hugo  v.  Haber- 
mann, W.  Lehmann,  Hans  v.  Hayek, 
U.  Hübner,  Alb.  Lamm,  C  Th.  Mever- 
Basel,  Fritz  Oßwald,  Karl  Picpho,  Rud. 
Schramm-Zittau.  H.  Zügel  schon  in  gleicher 
Art  und  so  oft  besprochen  worden,  daß  eine 
Wiederholung  ermüden  dürfte  und  wir  nur 
bestätigen,  daß  alle  jene  Maler  Gutes  boten 
und  zur  X'erschönerung  der  Frühjahrsaus- 
stellung beitrugen.    Eine  hübsche  Ergänzung 


ÖC^  DÜSSELDORFHR  KUNSTBERICHT  mxä 


|usi:i'H  KOPP 


GRADDENKMAl. 


findet  sich  noch  in  dem  großen  Nachhtß  von 
Handzeichnungen  des  früh  verstorbenen  Zeicli- 
ners  derjugend und desSimpHzissimus: Rudolf 
Wilke.  Achtung  gebietendes  Können  spricht 
aus  diesen  Blättern,  die  dem  Gebiete  der  Kari- 
katur angehören.  Ein  etwas  derber,  wiewohl 
eigenartiger  Humor  durchweht  jede  noch  so 
flüchtige  Skizze,  der  man  es  ansieht,  daß 
alles  scharf  beobachtet  und  in  stark  persön- 
lichen Stil  übersetzt  wurde.  Nach  der  Natur 
wird  Wilke  kaum  viel  gezeichnet  haben,  da- 
für sehen  die  Darstellungen  zu  bizarr,  zu 
grotesk  aus,  aber  gerade  deswegen  haben 
diese  Übersetzungen  jene  Note,  die  der  Satire 
oder  dem  Burlesken  so  recht  entspricht. 

Wie  stets,  so  sind  auch  diesmal  nur  wenige 
Werke    der   Plastik    zu  verzeichnen. 

Einige  Kleinbronzen,  ein  Hase  von  J.  Bary- 
Doussin,  ein  Skiläufer  von  Ernst  Geiger, 
die  hübsche  Brahms- Statuette  von  Max 
Hoehne,  »Diana«  von  K.  E.  Moeller, 
»Bronzekopf«  von  Paul  Oßwald  und  eine 
flott  aus  dem  Stein  gearbeitete  Bajadere  von 
Hans  Schwegerle  sind  tüchtige  Leistungen. 

Franz  Wolter 


DÜSSELDORFER  KÜNSTBERICHT 

Von  Dr.  KARL  BONE,  Düsseldorf 

Die  Winterausstellungen 

P)en  Darbietungen  des  abgelaufenen  Winters  kommt 
vor  allem  das  Lob  großer  Vielheit  und  Vielseitigkeit 
zu.  Aber  auch  die  Auswahl  verschonte  die  Besucher  fast 
durchweg  mit  allzu  abstoßenden  Exzentrizitäten  undWider- 
wärtigkeiten.  Dem  Schönen  war  der  Weg  nicht  ver- 
legt, weder  dem  Schönen  aus  älterer  Zeit  (Spitzweg  u.a.) 
noch  dem  fremden  (Belgier,  Niederländer,  Herkomer  u.a.), 
noch  dem  deutschen  Schönen  anderer  Kunststätten  (Mün- 
chen, Berlin,  Karlsruhe)  noch  den  Erzeugnissen  Düssel- 
dorfs selber,  die  der  Kunst,  nicht  dem  augenblicklichen 
Eft'ekt  und  Erfolg  zustreben.  Diese  Düsseldorfer  konnte 
man  am  zahlreichsten  —  freilich  keineswegs  vollzählig  — 
zusammensehen  in  der  Weihnachtsausstellung 
des  Vereins  Düsseldorfer  Künstler  in  der 
städtischen  Kunsthalle.  Nur  ein  unfreundlicher  Beurteiler 
konnte  diesmal  sagen,  man  sehe  es  den  Werken  an,  daß 
sie  für  den  Weihnachtsverkauf  gemalt  seien.  Daß  der 
Künstler  seine  Bilder,  soweit  er  sie  nicht  auf  Bestellung 
malt,  verkaufen  will,  ist  doch  naturgemäß;  ein  Vor- 
wurf kann  ihm  aus  diesem  Wollen  nur  gemacht  werden, 
wenn  er  ihm  Opfer  bringt,  die  seiner  und  der  Kunst 
unwürdig  sind;  ja  man  könnte  es  ihm  als  Kurzsichtig- 
keit anrechnen,  wenn  er  zu  einer  Weihnachtsausstellung 
Werke  oder  Entwürfe  brächte,  die  den  Ankauf  durch 
Kunstfreunde  von  vorneherein  ausschließen.  Aber,  was 
wir  diesmal  sehen,  konnte  mit  wenigen  Ausnahmen 
ebensogut  in  jeder  Kunstausstellung  großen  Stiles  er- 
scheinen. Denn  der  große  Stil  bedient  sich  nicht  des 
duadratrutenmaßes;  er  kann  mikroskopisch  erscheinen. 
Von  A  bis  Z,  von  Ackermann  bis  Zacharias,  war 
ernstes  und  zielbewußtes  —  das  Ziel  freilich  nicht  immer 
einwandfrei  —  Streben  erkennbar,  ohne  daß  Ängstlich- 
keit oder  Absicht  die  Freiheit  der  Bewegung  störend 
beeinflußt  hätte.  Wenn  ich  hier  die  kräftigen  Dorfbild- 
chen von  O.  Ackermann,  den  jungen  »Mönch  in  den 
Blumen«  von  A.  Bertrand,  das  lesende  Mädchen  von 
Aug.  Blan kenstein,  ein  gleiches,  aber  an  Farben- 
fröhlichkeit recht  verschiedenes  von  Josse  Grossens, 
einige  Heide-  und  Waldbilder  von  G.  Hacker,  Still- 
leben von  M.  Hainbuchen,  Alma  Hamel,  Mag  da 
Kröner,  Meta  Weber,  die  vortrelflichen  Interieurs 
und  Dorfbilder  von  H.  Hermanns,  die  prächtigen  Son- 
nenscheinwirkungen auf  dem  Innenbilde  >Sonnenschein< 
von  M.  Heß,  den  echten  > Herbstmorgen  an  der  Erft« 
von  C.  Jutz  jun.,  die  geschickten  Farbflecke  auf  W. 
Kukuks  Ansicht  >Aus  Oberstdorf  (Algäu)«,  die  wasser- 
klare Flußkrümmung  >An  der  Stever«  von  G.  Lasch, 
M.  Lucas'  »Häuser  am  Wasser«,  den  sonnigen  »Spät- 
herbste  von  G.  Mühlig,  die  neuartige,  trefthch  erfaßte 
»Sandgrube  in  Münsterland«  von  A.  Schlüter,  das 
frisch  und  lebendig  gemalte  »Niederländische  Volksfest« 
von  M.  St  ern,  das  »Längster  MarktschifFi  in  feinnebeliger 
Frühmorgenstimmung  von  W,  G.  Y.  Titcomb,  das  Kna- 
benporträt »Mein  Sohn«  von  Fred  Vezin,  v.  Willes 
Eifelbilder  besonders  hervorhebe,  so  würden  wohl  andere 
andere  Bilder  lieber  nennen;  z.  B.  die  Kühe  »Im  Ginster« 
von  J.  J.  Junghanns,  H.  E.  Kohles  »Zypressen«,  oder 
den  »Frühlingsanfang«  von  A.  Lies,  oder  die  Waldbilder 
von  Chr.  Kröner,  oder  C.  Heydens  Bilder  »Aus 
Rothenburg«,  oder  C.  Havers  »Am  Herd«  oder  ebenso 
Nennenswertes.  Die  Künstler  der  Weihnachtsausstellung 
zeigten  übrigens  im  Laufe  des  Winters  auch  weitere  Lei- 
stungen in  der  Kunsthalle  sowohl  wie  in  der  perma- 
nenten Ausstellung  von  E.  Schulte,  und  andere  sekun- 
dierten ihnen  oder  ragten  hervor.  Dies  letztere  kann 
man  diesmal  nicht  von  den  Darbietungen  E.  v.  Geb- 
hardts  sagen;  weder  die  Einzelstudienköpfe  noch  die 
beiden  Figurenbilder  »Heilung  des  Gichtbrüchigen«  und 


55^  DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT  »SSffl 


»Bethanien«  zeigten  den  Meister  nach  allen  Riclitungen 
auf  der  Höhe  seines  Schaffens.  Der  Hauptvorzug  des 
zuerst  genannten  Figurenbildes  liegt  in  der  außerordent- 
lich scliarfen,  unübertrefflich  individuellen  Charakteri- 
sierung der  einzelnen  Köpfe,  die  den  langen  grünen 
Tisch  umgeben,  an  dessen  Kopf  Gebhardts  tvpischer 
Christus  das  Wunder  —  die  Darstellung  läßt  eher  an 
ein  Taschenspielerstücitchen  »jetzt  zähle  ich  eins,  zwei, 
drei,  und  der  Mann  ist  gesund«  denken  —  verkündigt 
oder  erklärt.  Was  hier  an  Glück  der  Komposition  fehlt, 
bildet  den  Hauptvorzug  des  anderen  Figurenbildes,  das 
den  Besuch  Christi  in  Bethanien  darstellt;  in  sehr  glück- 
licher Weise  ist,  während  Martlia  sich  um  vieles  —  des 
vielen  ist  fast  zuviel  —  kümmert,  Maria,  die  den  besten  Teil 
erwählt,  nicht  gerade  zu  einer  Hauptperson  gemacht, 
sondern  sie  lauscht  verklärten  Blickes  dem  Gespräche, 
das  Christus  mit  ihrem  Bruder  führt;  nun  aber  ist  der 
Maler  von  der  ihm  gewohnten  Farbengebung  erheblich 
abgewichen  und  das  befremdet  nicht  nur  durch  das  Un- 
gewohnte, sondern  nimmt  dem  Bilde  aucli  an  sich  alle 
Wärme,  die  hier  doch  so  recht  am  Platze  wäre. 

Von  weitgreifendem  Interesse  ist  ein  Wandbild  von 
Josse  Goossens,  das  für  das  Rathaus  von  Bergisch- 
Gladbach  bestimmt  ist.  Es  stellt  >Die  Einführung  des 
Büttenpapieres  durch  holländische  .Arbeiter  im  Jahre  1511« 
dar.  Das  Theatralische,  das  in  derartigen  halbhistorischen 
Darstellungen  noch  immer  spukt,  hat  der  Künstler  aufs 
glücklichste  zu  vermeiden  gesucht  und  die  Verständlich- 
keit der  Szene  dabei  eher  gemehrt  als  gemindert;  er  hat 
ihr  volkstümliche  Frische  und  Natürlichkeit  gegeben,  oline 
etwa  auf  Kosten  der  historischen  Bedeutsamkeit  ins  Genre- 
hafte hinüberzuirren.  So  ausgeprägt  bei  dem  Bilde  auch 
der  Charakter  der  Flächendekoration  ist  und  bei  näherem 
Herantreten  zunimmt,  fehlt  es  doch  nicht  —  namentlich 
nicht  aus  größerer  Entfernung  —  an  Tiefblick  in  die 
Ferne,  der  durch  die  Wahl  der  Farben  —  nur  hie  und 
da  erheben  sich  Zweifel  an  deren  Angemessenheit  — 
wirksam  unterstützt  wird.  Es  ist  recht  zu  wünschen, 
daß  die  Stoffe,  mögen  sie  ihm  von  außen  geboten  oder 
von  ihm  selber  gewählt  werden,  ihn  auf  diesen  vor- 
nehmen Stilwegen  fesseln,  die  doch  wahrlich  keinen 
Widerspruch  mit  frischer  Naturauffassung  fordern. 

Eine  andere  erfreuende  Erscheinung  war  eine  Zu- 
sammenstellung landschaftlicher  Bilder  vom  Niederrhein 
von  Ernst  Hardt.  Die  Entfernung  von  dem  sonst 
geistesverwandten  Max  Ciarenbach  hat  sich  in  der  Rich- 
tung, die  bereits  in  einem  früheren  Kunstberichte  vor- 
hergesagt wurde,  vollzogen,  ohne  daß  einer  der  beiden 
dabei  zu  Schaden  gekommen  wäre.  Dem  Weichen,  Nebel- 
haften, dem  geheimen  Weben  und  Werden  in  der  Natur, 
wie  es  jenem  sympathisch  ist,  steht  in  Hardts  Werken 
das  Fertige,  in  Farbe  und  Zeichnung  Bestimmte,  das 
Repräsentierende  gegenüber.  Es  ist  dieselbe  Natur  zu 
verschiedener  Stunde.  Die  beiden  Künstler  sind  berufene 
Darsteller  des  Niederrheins  und  seiner  landschaftlichen 
Eigenart. 

F.  Klein-(Tie  valier  zeigte  in  der  Kunsthalle  und 
bei  Schulte  eine  .Anzahl  farbenfrischei  Szenen  aus  Italien, 
meist  von  der  Riviera,  einigermaßen  in  der  .Art  des  Spa- 
niers Sorolla,  ihn  aber  doch  nicht  in  Unmittelbarkeit  der 
Auffassung  erreichend ;  auch  das  frisch  .Anmutende  fehlte 
bei  manchem;  mehrt  sich  beides,  so  wird  noch  viel  Er- 
freuliches folgen. 

G.  .\I  a  c  c  o  bot  (Kunsthalle)  einen  umfassenden  Ein- 
blick in  die  aufgesammelten  malerischen  Früchte  seiner 
Orientreise;  im  Vordergrunde  stand  Kairo  mit  seinen 
seltsamen  Winkeln  und  überladenen  Bazars;  vielfach  ge- 
malte Dinge,  die  weder  stofflich  nocli  malerisch  Neues 
bieten  konnten  und  den  Maler  selber  in  den  Hintergrund 
drängten;  weit  interessanter  und  teilweise  hervorragend 
waren  die  Studienköpfe,  hinsichtlich  der  .Ausführung  so- 
wohl als   hinsichtlich   der  verständniss'ollen  Auffassung 


GRABMAI.  BINAI'Fl. 


solch  fremder  Typen.  Der  GcsanitkoUektion  fehlte  es 
aber  an  Farbenlebendigkeit ;  der  vorherrschend  stumpf- 
bräunliche Ton  wirkte  eintönig;  nur  einzelne  Skizzen 
traten  lebliafter  hervor;  besonders  einige  landschaftliche. 
Einen  bewundernswerten  Reichtum  von  Wald-  und  Wild- 
bildern, zum  Teil  abweichend  von  früher  mit  Vorliebe 
von  ihm  behandelten  Szenen,  brachte  der  siebzigjährige 
Professor  Chr.  Kröner  in  ungeschwächter  Kraft. 

Bei  Schulte  trat  von  Düsseldorfern  Fritz  Reusing 
mit  einer  Sonderausstellung  hervor.  Erscheint  sich  wieder 
ganz  dem  ernsten  und  einheitlichen  Porträt  zuzuwenden, 
und  was  er  ausstellte  zeigt,  daß  er  daran  wohl  tut.  Das 
wahre  Porträt  will  nicht  Figur  in  einem  Genrebilde  sein. 
Das  sielit  man  recht  deutlich  an  dem  großen  Familien- 
(Genre-)Bildc,  das  er  diesmal  ausstellte,  »zwei  Damen  und 
ein  Herr  beim  Frühstück« ;  seine  Absicht,  die  Dargestellten 
recht  lebendig  und  lebenswahr  in  ungezwungener  Szene 
erscheinen  zu  lassen,  ist  ihm  nicht  gelungen ;  Porträt  und 
Szene  bleiben  im  Streit,  und  wenn  er  das  Bild  »Licht 
und  Schatten«  nennt,  so  ist  allerdings  fast  ebensoviel 
Schatten  als  Licht  darin.  Umso  erfreulicher  ist  die 
Rückkehr  —  hoffentlich  ist  sie  es  —  zu  dem  Kreise, 
dessen  Ptlege  dem  Künstler  recht  zu  eigen  gegeben  ist; 
er  ist  jung  genug,  um  sich  diesem  Kreise  mit  vollem 
Erfolge  hinzugeben. 

H.  Ritzenhofen  hat  sich  von  dem  trüben  Wasser 


254 


©^  DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT  ^a 


JOSEPH  KOPP 


ERBPI'GRABXIS  Itl- 
ht  Kii/stcin.     Gcsniiitaiisicht 


der  alten  > Welle  >  ')  noch  nicht  so  ganz  frei  gemacht, 
als  es  sein  schönes  Fronleichnamsbild  der  Ausstellung 
1907  zu  zeigen  schien.  Die  Lichtwirkungen,  auch 
die  trübsten  und  farbenlosesten,  verlangen  doch  als 
Grundlage  festen  Formensinn  und  klare,  richtige 
Zeichnung,  wenn  diese  auch  nicht  linear  hervor- 
tritt. Der  junge  Künstler  würde  sich  gewiß  größere  Er- 
folge sichern,  wenn  er  hierauf  einmal  eine  Zeitlang 
ganz  besonderen  Wert  legen  wollte.  Es  ist  ein  Irrtum, 
zu  glauben,  jene  alten  Meister,  bei  denen  keine  Pinsel- 
striche die  Zeichnung  markieren,  hätten  nicht  zeiclmen 
gekonnt,  und  darum  könne  man  sich  das  Zeichnen- 
lernen ersparen  und  doch  ein  großer  Meister  werden. 
Die  Sache  liegt  eher  umgekehrt:  je  weniger  die  Zeich- 
nung —  so  will  man  es  ja  heute  —  als  solche  sicht- 
bar wird,  umso  notwendiger  ist  sie  als  Grundlage  bis 
in  die  Einzelheiten  hinein.  Auch  im  tollsten  abendlichen 
Kindergewimmel,  wie  am  »Martinsabend«,  setzt  sich  das 
Gewimmel  aus  wirklichen  und  zwar  fröhlichen  be- 
geisteiten  Kindern  zusammen;  dickköplige  Kröten, 
widernatürliche  Verzerrungen  dürfen  auch  im  tiefsten 
Dunkel  nicht  für  fröhliche  Kinder  gelten  sollen  oder 
wollen. 

Von  Münchnern  war  der  neue  Besuch  Ch.  Pal  mies, 
dessen  eindrucksvolle  Schneebilder  gegenwärtig  bleiben, 
mit  seinen  Stadt-(München-)Bildern  willkonmien:  das 
Kämplen  zwischen  dem  scheidenden  Tageslicht  und 
dem  Sternenlicht  einerseits  und  der  künstlichen  Beleuch- 
tung anderseits.  Wirksam  sind  diese  Bilder  zweifel- 
los, aber  man  hat  das  Gefühl,  daß  der  Künstler  noch 
Besseres  als  sie  im  Pinsel  führt,  und  dieses  Bessere 
dürfte  ihn  auch  allmählich  von  der  Gefahr  des  Exzen- 
trischen wegleiten  nach  der  schönen  Mitte  hin.  —  Andere 
Kollektionen  sandten   von  dort    der  oft  und  gerne  hier 

■)  S.    Jahrg.   I,  Nr.   11,  Beil.  S.  V. 


gesehene  L.  A.Kunz,  A.  Lüdeke,  F.  Schmid- 
Breitenbach.  Die  beiden  Skizzen  von  Fr.  v. 
U  h  d  e  sollten  hoffentlich  nicht  einen  Vorge- 
schmack von  seinen  Beiträgen  für  die  Ausstellung 
für  christliche  Kunst  geben;  das  war  nichts  weni- 
ger als  christliche  Kunst. 

Eine  eigentlich  bedauerliche  Erscheinung  in  der 
Kunsthalle  war  die  erstmalige  Ausstellung  der 
«K  ün  stier  v  er  bindungNied  er  rhein«.  Wenn 
das  knochen-  und  blutlose  Gespenstlein  auf  ihrem 
Plakate  mit  den  beiden  roten  Schminkflecken 
rechts  und  links  vor  dem  Nasenknödel  Erschei- 
nung des  Geistes  dieser  Verbindung  sein  sollte 
und  der  eingeladene  Flecken:  >Wald«  von  Chr. 
Rohlls  (Hagen)  als  Freier  des  Gespenstleins  da 
war,  dann  ist  nicht  viel  zu  hoffen;  auch  diese 
neueste  >Welle«  muß  in  sich  versinken.  Dann 
köiinen  auch  einzelne  gute  Namen  und  selbst  ein- 
zelne gute  Leistungen  z.  B.  die  überraschend  wohL 
gelungene  Dorfstraße  im  sonnigen  Fronleich- 
namsschmuck (von  M.  Ophey)  nichts  ändern,  die 
ersteren  werden  wieder  ihre  eigenen  Wege  gehen, 
die  letzteren  ihren  Urhebern  hoffentlich  eindring- 
lichst zuflüstern:  dies  Gespenstlein  zeigt  den  Weg 
zur  Höhe  der  Kunst  nicht. 

Das  Gespenstlein  gab  nicht  einmal  eine  befrie- 
digende Vorstellung  von  Düsseldorfer  Plakatma- 
lerei;  und  ohne  Plakate,  »künstlerische«  (?!)  geht's 
doch  heute  nicht.  So  hatten  wir  denn  auch 
diesen  Winter  zwei  Plakat-Ausstellungen.  Die  erste 
I  (in  der  Kunsthalle)  galt  dem  Kovemberfeste  in 
^  !  der  Tonhalle,  war  aber  recht  klaglich,  obschon 
gute  Namen  unter  den  Bewerbern  waren.  »Düs- 
SCH  seldorf  im  Jahre  2000«  war  als  Grundidee  für  das 
Fest  hingestellt.  Die  Befangenheit  in  kurzsichtigen 
Luftfahrten  war  teilweise  geradezu  albern.  Aber 
auch  selbst  abgesehen  von  dem  Gedankeninlialt, 
der  bei  solchen  Plakaten  sich  nur  sehr  wenig  oder  gar 
nicht  als  genrehalt  geltend  machen  sollte  ■ —  hier  tat 
er  es  teilweise  im  Übermaß  — ,  war  kaum  das  eine 
oder  andere  einigermaßen  wirksam.  Da  konnte  man 
sehen,  wie  weit  man  trotz  aller  Plakatwirtschaft  und 
plakathaften  Malerei  vielfach  vom  sicheren  Erfassen  der 
Idee  des  Plakats  entfernt  ist.  Die  andere  Plakataus- 
stellung (im  Kunstgewerbemuseum)  brachte  die  zahl- 
reichen Entwürfe  zu  dem  gemeinsamen  Plakate  für  die 
Doppelausstellung  im  Sommer  1909.  Diese  Ent- 
würfe konnten  ebenso  wenig  befriedigen  als  die  Plakate 
für  das  Novemberfest.  Dementsprechend  wurde  ein 
erster  Preis  gar  nicht  erteilt;  zweite  und  dritte  Preise 
wurden  zuerkannt;  es  ist  aber  schwer  zu  sagen,  warum 
und  wofür.  Ein  Entwurf  wird  nun  zu  Brauchbarkeit  zu 
rechtgestutzt.  Es  ist  eine  beachtenswerte  Erscheinung, 
daß  die  heutigen  Künstler  der  so  verlockenden  Plakat- 
aufgabe im  allgemeinen  so  hilflos  gegenüberstehen;  ja, 
was  ist  Kunst  ohne  Ideen?  —  und  Ideen  sind  doch  so 
ganz   1  unmodern«. 

Eine  Zeitlang  beherbergte  die  Kunsthalle  auch  ein- 
mal eine  sogenannte  »Raumkunst-Ausstellung«,  geschaffen 
und  arrangiert  von  Max  Benirschke,  Lehrer  an  der 
Kunstgewerbeschule.  Man  konnte  nicht  leicht  über  den 
Eindruck  eines  der  heutigen  »besseren«  Möbel-  und 
Ausstattungsgeschäfte  oder  auch  großer  Warenhäuser 
hinauskommen,  in  denen  die  blankgewichste  Dutzend- 
ware aufgereiht  steht.  Ob  reich  und  überladen  oder 
hungrig-armselig,  alles  liegt  auf  dem  Wege  nach  fabrik- 
mäßiger Massenherstellung.  Zudem  herrscht  bei  der 
»modernen«  Raumkunst  im  allgemeinen  das  Negierende, 
der  Widerspruch  gegen  alles,  was  bisher  für  naturge- 
mäß galt,  aufdringlich  vor.  Und  so  ist  die  heutige 
»Raumkunst"  von  behaglicher  und  anmutender  Zweck- 
mäßigkeit weiter  entfernt,  als  irgend  eine  minder  selbst- 


5^4  DÜSSELDORFER  KUNSTl^ERICHT  ^ö 


2)5 


bewußte  frühere.  Desto  mehr  r c  d  e  n 
die  Herren  Raumkünstler  meistens 
von  der  ;  Sachlichkeit  und  Zweck- 
mäßigkeit« als  einzige  duelle  der 
Raumkunst  und  dulden  kein  Bezvvei- 
feln,  ja  die  Deklamationen  lassen 
keinen  Moment  dazu  übrig:  das 
weiß  ich  alles  ganz  allein;  hör  zu, 
sei  pali  und  red  nichts  drein.  Von 
den  lautesten  Sängern  dieser  Melo- 
die liat  sich  Max  Benirschke  noch 
nicht  genug  unabhängig  gemacht. 
Man  muß  den  Eindruck  des  Möbel- 
geschäfts erst  überwinden,  um  hier 
den  Sinn  für  das  Maßvolle  in  Farbe 
und  teilweise  auch  in  Form  zu  be- 
merken ;  man  ahnt  wieder  das  ur- 
menschliche Gefühl,  daß  etwas,  um 
stark  zu  sein,  nicht  gerade  plump 
sein,  um  fest  zu  sein,  niclit  gerade 
als  ein  Klotz  erscheinen,  um  »sach- 
lich und  zweckmäßig«  zu  sein,  nicht 
gerade  Uranfänge  eines  Zyklopenstiles  repräsentieren 
muß.  Aber  die  Fluclit  vor  dem  Gefälligen  sollte 
ganz  aufhören;  ein  zügelloses  Spiel  braucht  ihm  des- 
halb nicht  gestattet  zu  werden.  Mit  seinem  Spruche 
>ümne  tulit  punctum,  qui  miscuit  utile  dulci«  will 
Horaz  sagen,  daß  voller  Beifall  dem  zukomme,  der 
über  dem  Zweckmäßigen  nicht  das  Gefällige,  aber 
auch  nicht  über  dem  Gefälligen  das  Zweckmäßige  ver- 
gesse, sondern  beide  zur  Einheit  verschmelze. 

hl  diesem  Sinne  gab  wohl  der  neue  Direktor  der 
Düsseldorfer  Kunstgewerbeschulc,  Wilhelm  Kreis, 
als  geeignetes  Programm  seiner  persönlichen  .Auffassungen 
und  Ziele  eine  umfangreiche  Ausstellung  aus  seinen 
bisherigen  Werken  und  Entwürfen  in  dem  Kunstge- 
werbemuseum. Der  allgemeine  Eindruck  mußte  der 
sein,  daß  ein  vielseitiger  und  unbeengter  Geist  die 
Leitung  der  Schule  übernehme,  der  nicht  lielfen  werde. 


JOsl.l'H   KOPP 
KEl.ll.F  AX    l:iN'l..\l  GK.\Bni;XK.\IAI 


das  Kunstgewerbe  und  die  »Raum- 
kunst« —  die  wahrlich  nichts  Neues 
ist!  —  in  die  tote  Sackgasse  modern 
sein  wollenden  Schablonenvorur- 
teils zu  treiben.  Mögen  das  kom- 
mende Schüler-  und  Lehrer-Ausstel- 
lungen bestätigen!  Über  die  aus- 
gestellten Werke  eingehend  zu  spre- 
chen, fehlt  es  an  Raum,  aber  auch 
an  Veranlassung.  Die  Bismarcktürme 
und  viele  andere  Werke,  große  und 
kleine,  von  M.  Kreis  sind  bekannt 
genug.  Wenige  werden  mit  allem 
ganz  einverstanden  sein,  aber  jeder 
dürfte  sich  einem  Manne  gegenüber- 
gestellt fühlen,  der  in  seiner  Eigen- 
art fertig  ist  und  so,  wie  er  ist,  auch 
bleiben  wird.  Vermag  ein  solcher 
zu  leiten,  ohne  die  Freiheit  zu 
beeinträchtigen,  dann  wird  er  im- 
mer nützlich  sein. 

Stark  unter  dem  Banne  modern- 
kunstgewerbliclier  Richtung  stand  die  Ausstellung  von 
Entwürfen  zu  einem  Brunnenbau  vordem  Kunstpalaste 
zwischen  den  beiden  lange  umstrittenen  hohen  Beton- 
säulen  an  Stelle  der  mächtigen  Betongruppe  (Wasser- 
ungeheuer  usw.)   von   Prof  Karl  Janssen. 

Unter  dem  sehr  vielen  wußte  die  Jury  nichts  ohne 
weiteres  Brauchbares  zu  finden.  Formloses,  gesuchtes 
Zeug,  Mangel  an  jeglicher  Einheit  oder  vergebliches 
Ringen  nach  einheitsschaffender  Idee  auf  dem  vorge- 
schriebenen Boden  »Kunst  und  Industrie«.  Nur  ganz 
vereinzelte  Entwürfe  zeigten  Lust  und  Befähigung  für 
ideale  .Auffassung  und  monumentalen  und  doch  leichten 
Aufbau-  Man  darf  gespannt  sein,  was  nun  werden  wird; 
zu  befürchten  ist,  daß  Grund  da  sein  wird,  sich  nach 
den  Seeungeheuern  zurückzusehnen. 

Im  Kunstpalast  selber  herrscht  bereits  reges  Leben 
in  Vorbereitung  der  Doppelausstellung,  die  am   i^-Mai 


JOSEPH   KOPP 


ERBBEGRÄBNIS  KEISCH 


Inntnansicht.      ^gt.  Abb.  S.  JJ4 


256 


JOSEPH  KOPr 


Entimtr/ 


£2^  DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT  ^Cö 


eröffnet  werden  und  bis  in 
den  Spätlierbst  dauern  soll. 
Es  ist  kaum  zu  bezweifeln, 
daß  beide  Ausstellungen 
ängstliche  wie  absichtliche 
Skeptiker  durch  ihren  Reich- 
tum und  ihre  Bedeutsamkeit 
überraschen  werden.  Die 
Vorsicht  der  Einladungen 
wie  der  Jury  im  Zusammen- 
wirken mit  der  Vielheit  und 
Eigenart  der  Anmeldungen 
verspricht  das  Beste.  Ins- 
besondere wird  diese  erste 
große  Ausstellung  für  christ- 
liche Kunst  ein  ganz  beson- 
deres Interesse  dadurch  er- 
regen, daß  ihr  retrospekti- 
ver Teil  sich  nicht  wieder, 
wie  so  oft,  auf  das  Mittel- 
alter beschränkt,  sondern, 
dieses  diesmal  zurücktreten 
lassend,  das  für  seine  christ- 
liche Kunst  eigentlich  wenig 
bekannte  17.  und  18.  Jahr- 
hundert und  das  vielfach 
schon  halbvergessene,  wenn 
nicht  despektierlich  ange- 
sehene 19.  Jahrhundert  in 
dessen  erster  Hälfte  (Naza- 
rener),  dann  aber  auch  die 
meist  so  zersplitterte  Kunst 
der  Gegenwart  —  in  den 
permanenten  und  periodi- 
schen Ausstellungen  sieht 
man  ja  sehr  wenig  davon  — 
zur  Geltung  bringen.  Ge- 
rade in  der  christlichen 
Kunst  ist  eineaustauschende 
und  anregende  Gemeinsam- 
keit unter  den  Künstlern 
—  ganz  unbeschadet  ihrer 
persönlichen  Eigenart  — 
eine  sozusagen  innerlich  ge- 
gebene Sache  ;  und  so  ist  es 
auch  eine  erfreulichelirschei- 
nung,  daß  sich  im  Hinblick 
auf  die  Ausstellung  und  die 
aus  ihr  hervorgehenden  An- 


I 


JOSIlPH   KIM' 


Ost/H.-.i/w/  , 


GR.\H,STi;i\ 
München 


regungen  eine  Anzahl  jüngerer  christlicher  Künstler  zu- 
sammengefunden hat,  die  als  eine  geschlossene  Gruppe 
von  Malern,  Bildhauern  und  Architekten  in  besonderem 
Raum  ausstellen  wird.  Das  Ausgestellte  wird  hotf'ent- 
lich  ebenso  würdig  und  wertvoll  sein,  als  der  Gedanke 
eines  solchen  Zusammenschlusses.  Man  wird  aber  in 
der  ganzen  Kette  von  Räumen  ganz  gewiß  gar  große 
Verschiedenheiten  von  Auffassungen  dessen,  was  christ- 
liche Kunst  ist  und  sein  soll,  finden  und  bei  aller  Vor- 
sicht der  Anordnenden  und  der  Jury  manches,  bezüglich 
dessen  die  Ansichten  über  Zulässigkeit  und  Erbaulichkeit 
recht  weit  auseinandergehen  werden.  Gerade  das  aber 
wird  Klärungen  fördern  helfen,  die  von  allzugroßer  Be- 
engtheit ebenso  fern  sind,  als  von  allzugroßer  Schranken- 
losigkeit.  Diese  Klärungen  sind  aber  um  so  wichtiger, 
weil  die  Ausstellung  nicht  nur  große  Werke  für  kirchliche 
und  sonstige  Öffentlichkeit,  sondern  auch  den  Schmuck 
für  das  Haus,  das  Geeignete  für  die  häusliche  Andacht, 
bis  zur  künstlerischen  Einlage  in  das  Gebetbuch  berück- 
sichtigen wird;  so  wird  auch  das  große  Publikum,  der 


gemeine  Mann  seinen  Nutzen  aus  der  Veranstaltung 
ziehen  können.  Und  da  ist  der  Wunsch  wohl  begründet, 
daß  die  Ausstellung  im  Herbste  als  ein  gelungenes 
Werk  möchte  geschlossen  werden  können. 


ZU  UNSEREN  BILDERN 

Auf  S.  248  —  256  reproduzieren  wir  mehrere  Grab- 
denkmäler des  Bildhauers  Joseph  Kopp  in  München. 
Auch  die  gleichzeitig  mit  diesem  Heft  ausgegebene 
Nummer  des  Pionier  enthält  sieben  Abbildungen  von 
Grabmälern  dieses  Künstlers.  Joseph  Kopp  wird  von 
Mitte  Mai  bis  Anfang  Juni  in  den  Räumen  der  Gesell- 
schaft für  christliche  Kunst  eine  Ausstellung  halten.  Bei 
diesem  Anlaß  werden  wir  einen  Artikel  über  seine  Tätig- 
keit auf  dem  Gebiete  des  christlichen  Grabmals  ver- 
öffentlichen. Die  Entwürfe  dürfen  natürlich  ohne  Er- 
laubnis des  Künstlers  nicht  nachgebildet  werden. 


Für  d.c  Rcdaktic 


S.  Suudha 
Druck  von 


ntr  (Prom 
F.  BrackiT 


IcpUtz  3);    Verlag  der  Gesellschaft 
A.-G.   —  Sämtliche  in  München. 


i 


Gesellschaft  für  christliche  Kunst 


Hiife  der  Christen 


Die  christliche  Kunst,  V.  Jhrg. 


OTTO  RICHTER,  BERLIN 


Giebelfeld  am  Amtsgericht  Schoneberg  hei  Berlin 


KAISER  OTTOS  DES  GROSSEN  ERZBISCHÖFLICHE  METROFOLITAN- 
KIRCHE  ST.  MAURITIUS  UND  KATHARINA  IN  MAGDEBURG 

Von  Architekt  FRANZ  JACOB  SCHMITT  in  München,  vormals  Domhaumeistcr  zu  St.  Stephan  in  Metz 


Am  Sitze  der  Benediktinerabtei  Fritzlar  in  Hes- 
sen wurde  im  Jahre  9 1 9  Heinrich  der  \'ogler, 
als  erster  sächsischen  Stammes,  zum  deutschen 
Könige  erhoben,  leiderstarb  er  aber  bereits  936 
in  der  Fülle  des  Glückes  wie  Ruhmes  und  so 
ward  sein  Sohn  als  Otto  I.  einstimmig  zum  Nach- 
tolger  gewählt.  Schon  der  Krönungsort  Aachen 
bezeichnete  die  Erwartung,  welche  man  von 
dem  neuen  Herrscher  hegte,  schien  doch  der 
Geist  Kaiser  Karls  des  Großen  aut  ihn  über- 
gegangen; auch  Ottos  Gemahlin  Editha,  die 
Tochter  des  englischen  Königs  Edmund,  wurde 
vom  Mainzer  Erzbischofe  gekrönt.  Schon  929 
hatte  Otto  I.  seiner  Gattin  Magdeburg  an  der 
Elbe  geschenkt  und  Editha')  wohnte  zumeist 
daselbst.  Hier  ein  Bistum  zu  gründen,  faßte 
Otto,  seit  den  Kriegen  mit  den  \\'cnden  jenseits 
der  Elbe,  seinen  Entschluß,  welchem  Vorhaben 
sich  aber  der  Halberstädter  Diözesanlischof 
Bernhard  und  dessen  Metropolit  derErzbischot 
von  Mainz  widersetzten.  So  kam  es,  daß  Otto 
9362)  zunächst  ein  Kloster  in  Magdeburg 
gründete,  nebst  einer  Kirche  zu  Ehren  des 
heiligen  Mauritius  und  der  Theabaischen  Legion. 
Der  Gründer  beschenkte  das  Gotteshaus3)  reicli- 


')\ViJukiniiI.II.inMon.  Gcrm.III.S.  (49:  >26.Jan.946 
ist  der  Todestag  von  Königin  Edgid  (Edidis),  nachdem  die- 
selbe 19  Jahre  In  Sach.sen  gewolint.  Sie  wurde  von  allen 
Sachsen  tief  betrauert  und  in  der  Stadt  Magathaburg  in 
Basilicanova  an  der  nördlichen  Seite  nach  Osten  bestattet.« 

')  Die  .Xnnalen  von  Mülvcrstedts  geben  an:  >lm 
Jahre  956  ling  Otto,  der  große  Kaiser,  das  Münster  in 
Magdeburg  zu  bauen  an  und  gründete  dabei  eine  König- 
liche Abtei  zu  Ehren  der  heiligen  Apostel  Peter  und  Paul 
und  der  heiligen  Moritz  und  Innocenz.« 


lieh,  schon  im  Jahre  937  durch  den  ganzen 
Zoll  von  Magdeburg  nebst  liegenden  Gütern 
und  mit  Reliquien  von  St.  Mauritius.  Des 
heiligen  Benediktus  Söhne  besiedelten  die  neue 
Stiftung,  bei  der  eine  tüchtige  Klosterschule  ent- 
stand, während  der  Kaiserzwischen  961  bis  966 
der  Magdeburger  Kirche •»)  nicht  nur  die  Land- 
schaften übergab,  welche  jetzt  den  größeren  Teil 
des  Saalkreises  bilden,  sondern  auch  Giebichen- 
stein  nebst  den  Salzgütern  bei  Halle  an  der 
Saale.  \m  Jahre  962  hatte  Otto  sein  Vorhaben 
glücklich  erreicht  und  Papst  Johann  XIL  be- 
stimmte, daß  die  Benediktinerabtei  in  Magdeburg 
für  die  Christen  jenseits  der  lilbe  zum  Erz- 
bistum.^) erhoben  werde,  somit  der  ganz  gleiche 
\'organg,  wie  bei  dem  Benediktinerkloster 
St  Feter  in  Salzburg.  Ik'reits  965  stattete  Otto 
das  neue  Erzhochstift  mit  der  Gerichtsbarkeit 
von  Magdeburg    und  seiner  Umgebung  aus, 


3)  Chron.  Magdeburg  ap.  Meibom.  S.  R.  G.  11.  272  : 
»Um  nun  dem  Kloster  bei  dessen  Ausbau  und  Erweite- 
rung einen  Beweis  seiner  Zuneigung  zu  geben,  erbaute 
Kaiser  Otio  über  den  Gebeinen  der  .seligen  Königin  Ediilia, 
die  9.(6  im  elften  Jahre  seiner  Herrschaft  gestorben  war 
und  neben  der  er  selbst  nach  seinem  Heimgang  zu  ruhen 
wünschte,  mit  zwar  großen  Kosten,  aber  mit  noch  größerer 
Hoffnung  auf  dereinstige  Belohnung  mit  aller  Pracht  und 
Kunst  ein  neues  Kloster.  Um  es  auszuschmücken,  ließ  er 
kostbaren  Marmor  mit  Gold  und  Edelsteinen  herbeischaffen 
und  in  alle  Säulenkapitäle  Reliquien  von  Heiligen  sorgsam 
einschließen.« 

<)  Auf  Seite  49  berichtet  die  von  Janicke  herausge- 
gebene Magdeburger  Schöppenchronik :    »Im  Jahre  956 
sandte  Kaiser  Otto  den  Marmelstein  nach  .Magdeburg,  der 
zu  dem  Dom  kam  und  großes  Gold  dazu.« 
5)  Mon.  Germ.  VIII,  Seite  616. 


-58 


cs:^  DER  DOM  ZU  MAGDEBURG  ?^<a 


worauf  dann  durch  Papst  Johann  XIII.  bei  der 
Synode  zu  Ravenna  967  die  Errichtung  der 
Erzdiöze  feierhch  verkündet  wurde.  Erzbischof 
Hatto  von  Mainz  und  der  neue  Halberstädter 
Bischof  Hildeward  (t  996)  willigten  ein;  dem 
neuen  Erzbistunie  wurden  als  Suffraganbigtümer 
Brandenburg,  Havelberg,  Lebus,  seif  1128 
Cammin,  Merseburg,  Zeitz,  ab  1028  Naumburg, 
Meißen  und  Posen  unterworfen,  deren  Grün- 
dung bereits  erfolgt  oder  doch  vorgesehen  war. 
In  Paris  wurde  durch  Childebertl.  an  der  Stelle 
der  nachmaligen  Benediktinerabtei  St.  Germain 
des  Pres  der  Zentralbau  St.  Vincent-le  Rond 
errichtet  und  in  seinem  Todesjahre  558  geweiht, 
leider  sind  hierüber  nähere  Angaben  nicht  über- 
liefert. Karl  der  Große  ließ  von  796  bis  804 
die  gewölbte  Achtecksbasilika  St.  Maria  mit 
großem  Vorhofe  in  Aachen  erbauen  und  hierin 
besitzt  Deutschland  das  bedeutendste  altchrist- 
liche Monument.    Ein  derartiijes  Bauwerk  reizte 


zur  Nachahmung  und  so  entstand  in  Magdeburg 
an  der  Elbe  durch  Kaiser  Otto  den  Großen  die 
Ecclesia  rotunda;  das  Gotteshaus ')  brannte  zu 
Anfang  des  XI.  Jahrhunderts  ab,  worauf  an 
gleicher  Stelle  die  St.  Nikolauskirche  des  Kolle- 
giatstiftes  aufgeführt  wurde,  welche  jedoch  1 3 1  o 
abgebrochen  werden  mußte,  um  für  die  z  weiWest- 
türmederneueuMetropolitankircheSt.  Mauritius 
und  Katharina  Platz  zu  machen.  Noch  heute 
besitzt  die  Magdeburger  Domkirche  in  ihren 
Chorkapellen  einen  kleinen  Zentralbau  goti- 
schen Stiles  aus  durchbrochenen  dünnen  Sand- 
steinplatten in  Form  eines  regelmäßigen  Sech- 
zehneckes mit  3  m  60  cm  lichtem  inneren  Durch- 
messer nebst  ein  er  Altarmensa,  worauf  diesitzen- 
den  Steinstatuen  von  Kaiser  Otto  I.  und  seiner 
ersten  Gemahlin  Editha  stehen.  Der  Über- 
lieferung gemäß  istd  lese  sechzehneckige  Kapelle 
eine  Nachbildung  des  vormaligen  Zentralbaues 
der  Ecclesia  rotunda,  was  sehr  glaubwürdig 
erscheint.  Karls  des  Großen  Aache- 
ner Pfalzkapelle  ist  im  Äußern  ein 
Sechzehneck,  auch  die  im  Jahre 
799  geweihte  Kapelle  des  Falken- 
hofes der  ehemaligen  Reichsstadt 
Nymwegen  ist  ein  Achteck  mit 
16  seitigem  zweigeschlossigem  Um- 
gange. Ob  die  von  Kaiser  Otto 
dem  Großen  westlich  der  Domkirche 
St.  Mauritius  und  Katharina  errich- 
tete Rotunda-)  als  Mausoleum  oder 
als  Taufkirche  gedacht  war,  ist  nicht 
überliefert.  In  der  Erzdiözese  Mainz 
wurde  822  zu  Fulda  nächst  der  dop- 
pelchörigen  Benediktinerabteikirche 
St.  Salvator  die  Rundbasilika  St.  Mi- 
chael als  Grabkapelle  geweiht  und 
in  Regensburs:   an    der  Donau  lag 


REKONSTRUKTION  DES  UR- 
BAUES  DER  ERZB,  METROPOI.I- 
TAXKIRCHE  UND  DER  ECCLESIA 
ROTUNDA.    VON   F.  |.  SCHMITT 

A.  Cliorvorlage  mit  Triumphbogen, 

B.  Gewölbte  Conclia  mit  dem  Hocli- 
altar.  C.  Vierung  über  flachsedecl;tcni- 
obkiDgem  Räume.  D.  und  E.  Quer- 
arme mit  HolzbalUendeciie.  F.  Flaclv 
gedecktes  Langhaus  niii  14  Frcisäulen 
und  ;oOberg.adenfenstcrn.  G.undH. 
Flachgedeclile  Seitenschiflc  mit  2  Ar- 
kaden auf  1  Mittcls.iulc.  L.  Eccelsia 
rotunda  St.  NicoUusv..\lvra.  .\L  Neu- 
bau  der  120S  begonnenen  Erzbischöfl. 
Metropolitan-DomkirchemitChoruui- 
gang,  Kapellenkr; 


Feri 
beiden  West 
Kreuzgang 


•Ma 


Holzbalkendecke 


')  Auf  Seite  84  berichtet  die  Schoppen- 
Chronik:  »Erzbischof  Walthard  baute  auch 
die  sogenannte  Rotundenkirche  wieder,  wel- 
che die  Wenden  zerstört  hatten,  als  sie  Mag- 
deburg verbrannten.  Es  war  dies  die  alte 
St.  Xicolaikirche,  welclie  auf  dem  neuen 
Markte  gelegen  hatte,  da  wo  jetzt  die  Dom- 
türme stehen.« 

=)  Die  Magdebuger  Ecclesia  rotunda  dürfte 
Anregung  und  Einwirkung  geübt  haben 
beim  Rundbau  der  iVetus  capella  Sancta 
Anna"  des  regulierten  ;\ugustinerchorherren- 
stiftes  auf  dem  Petersberge  bei  Halle  an  der 
Saale  in  der  Erzdiözese  Magdeburg,  ferner 
bei  der  Rundkapelle  des  Schlosses  Groitzsch 
bei  Pegau  an  der  Elster,  weiter  bei  dem 
mit  Doppeltürmen  versehenen  tlktogon  des 
durch  Kaiser  Konrad  II.  gegründeten  regu- 
lierten .-^ugustinerchorherrenstiltes  auf  dem 
St.  Georgenberge  bei  Goslar  in  der  Diözese 
Hildesheini,  endlich  bei  dem  im  Xlll.  Jahr- 
hundert errichteten  und  iSoo  zerstörten  Zen- 
tralbau St.  Spiritus  zu  Salzwedel  in  der  Alt- 
niark. 


©^  DER  DOM  ZU  MAGDEBURG  ^Sö 


2)9 


iM.i;  iK).\i  /i    M  \(,i)i:nL'KU  ^c)Ms|:ll^.) 


das  Baptistcrium  St.  Johannes  des  Taufers  mit 
einem  l\olle>;iatstit"te  verbunden,  bis  zur  Mitte 
des  XIV.  Jahrhunderts  vor  der  Westseite  des 
alten  St.  Petersdomes  romanischen  Stiles.  Auch 
hier  gab  die  Herstellung  der  gotischen  Doni- 
doppeltürme  N'eranlassung  zum  Niederlegen 
der  St.  Johanneskirche.  Die  Magdeburger 
Rotunde  wird  ungewölbt  gewesen  sein  und 
so  konnten  eben  die  feuergefährlichen  höl- 
zernen Balkendecken  ihres  Mittelraumes  und 
Umganges  dem  verheerenden  Brande  keinen 
Widerstand  leisten  und  scheinen  auch  im 
Anlange  des  XI,  Jahrhunderts  der  Substanz  des 
Monumentes  den  Untergang  gebracht  zu  haben. 
DicsechsSaulenschäfte  ausedlem  Marmor-  und 


Granitniateriale ')  in  der  kreuzgewölbten  Krypta 
der  Magdeburger  I.iebfrauenbasilika  dürften 
wohl  vordem  das  Innere  der  Ecclesia  rotunda 
geziert  haben  und  fanden  hier  durch  den  \on 
1064 — 1078  regierenden  Hrzbischof  Werner 
ihre  zweckentsprechende  Wiederverwendung. 
Für  die  im  Sommerund  Herbste  1901  indem 
Magdeburger  Dom  eingeführte  Xiederdruck- 
dampfheizung^)  sind  zur  Aufnahme  der  Roiir- 
leitungen   ungefähr  2oj  m  begehbare  Kanäle 


')  Dr.  Franz  Kugler:  Geschichte  der  Haukunst,  II.  Band, 
Seite  376. 

')  Auf  Seile  26  bis  28  berichtet  Herr  Harnis-Magdehurg 
hierüber  in  der  am  19.  M.irz  1902  zu  Berhn  erschienenen 
»Denkmalpflege.« 

Ji* 


26o 


Sj:^  der  DOM  ZU  MAGDEBURG  ji^:ö 


bis  zu  etwa  3  m  Tiefe  unter  dem  Plattenboden 
angelegt  worden.  Dabei  haben  die  Ausschach- 
tungen einige  Gegenstände  von  allgemeinem 
Interesse  an  das  Tageslicht  gefördert,  weiter  aber 
auch  die  Veranlassung  zur  Freilegung  umfang- 
reicher Grundmauern  gegeben  und  damit  einen 
willkommenen  Beitrag  zu  der  leider  so  außer- 
ordentlich lückenhaften  Baugeschichte  des 
Magdeburger  Domes  geliefert.  Die  im  süd- 
lichen Teile  des  Chorumganges  und  im  süd- 
lichen Seitenschifle  freigelegten  alten  Grund- 
mauern stammen  aus  einer  Zeit  vor  der  Aus- 
führung des  heutigen  Domes  gotischen  Stiles; 
sie  zeigen  eine  abweichende  Längsrichtung,  eine 
Achse,  welche  genauparallelderjenigen  desSüd- 
arnies  vom  Kreuzgange  festgestellt  worden  ist. 
Daher  wird  mit  Recht  angenommen,  daß  dieser 
Teil  des  Kreuzganges  im  Jahre  1207  beim 
Brande  vom  Dome  Ottos  des  Großen  erhalten 
geblieben  und  somit  auf  unsere  Zeit  gekommen 
ist.  Das  bei  dem  Chorumgange  autgefundene 
alte  Mauerwerk  besteht  aus  Bruchsteinen  und 
reicht  nur  etwa  2  m  unter  den  Plattenboden; 
die  Grundmauern  im  südlichen  Seitenschiffe 
bestehen  aus  festem  Bruchsteinmauerwerk  und 
reichen  tiefer  als  die  Ausschachtung  für  die 
Heizkanäle.  Die  im  Jahre  1901  aufgefundenen 
Fundamentmauern  des  Domes  St.  Mauritius 
und  Katharina  habe  ich  in  Verbindung  mit 
dem  55  m  langen  Südflügel  des  Kreuzganges 
aufgezeichnet  und  so  (Abb.  S.  258)  eine  Rekon- 
struktion des  im  X.Jahrhundert  von  Kaiser  Otto 
dem  Großen  erbauten  Gotteshauses  erreicht. 
Hiernach  war  es  eine  im  Langhause  dreischiffige 
Basilika  von  38  m  Länge,  dann  folgte  ein 
Querhaus  von  gleichfalls  38  m  lichter  Länge,') 

')  Hocliinteressant  ist  diese  Gfeiclilieit  der  Länge 
von  Langliaus  und  Q.uerfiaus,  es  stellt  liiefür  aber  der 
alte  St.  Mauritiusdom  nicht  vereinzelt  da,  hat  doch  auch 
Magdeburgs  Suft'ragan-Bischof  in  Merseburg  bei  seinem 
Dome  St.  Laurentius  und  Johannes  der  Täufer  das  Lang- 
haus wie  duerhaus  mit  je  28  m  lichter  Länge  zur  Aus- 
führung bringen  lassen.  Die  Abteikirche  St.  Stephan  und 
Sebastian  des  Benediktinerinnenklosters  St.  Maria,  Petrus 
und  Cyriacus  zu  Frose  in  der  Diözese  Halberstadt  hatte 
im  Lirbaue  von  950  ein  Langhaus  von  22'ii  m  Länge 
bei  9  m  MittelschitTbreite  und  ein  QuerschifF  von  25  m 
Länge  mit  nur  y'/a  m  lichter  Breite.  Bei  dem  im 
Jahre  1863  aufgegrabenen  altchristlichen  Urbaue  der  Bene- 
diktinerabteikirche San  Abondio  in  Como  besaß  das  Lang- 
haus 23V2  m  Länge  und  das  Querhaus  233,4  m,  dabei 
hatte  letzteres  6  m  65  cm  lichte  Breite,  während  das 
Mittelschiff  11  m  19  cm.  maß.  Die  Patriarchenkathedrale 
St.  Hermachoris  und  Fortunat  zu  Aquileja  hat  ein  Mittel- 
schiff von  II  m  40  cm  und  ein  Q.uerschiff  von  nur  9  m 
lichter  Breite.  Im  romanischen  St.  Stephansdome  zu  Metz 
besaßen  Langhaus  wie  duerhaus  je  43  m  Länge  ;  während 
aber  das  duerschiff  eine  lichte  Breite  von  10  m  60  cm 
hatte,  erreichte  das  Mittelschiff  14  m  Lichtweite,  wie  ich 
in  meinem  Aufsatze  »die  Kaüjedrale  St.  Stephan  zu  Metz 
in  der  ehemaligen  Kirchenprpvinz  Trier«  im  I.  Jahrgange 
der  Monatsschrift  »Die  christliche  Kunst«  auf  Seite  226— 252 
und  250—252  sowie  270  —  272  nachgewiesen  habe. 


während  dieses  aber  eine  lichte  Breite  von  10  m 
hatte,  erreichte  das  Mittelschiff' eine  solche  von 
i2'/2  m;  beide  Abseiten  besaßen  die  gleiche 
Länge  wie  das  Mittelschiff'  und  je  8  m  80  cm 
Breite.  Die  Vierung  bildete  kein  Quadrat, 
sondern  ein  Oblongum  von  10  m  auf  12'/ 2m 
lichter  Weite.  Die  ganze  Länge  des  Kirchen- 
inneren erreichte  vom  Westeingange  bis  zum 
Apsidenschlusse  62V2  m,  während  der  heutige 
gotische  Dom  von  der  inneren  Flucht  der 
Westdoppeltürme  bis  zum  inneren  5/io  Apsiden- 
schlusse 90'/2  m  mißt. 

Zunächst  erscheint  auffallend,  daßsich  keine 
Fundamente  von  den  ehemaligen  Glocken- 
türmen gefunden  haben  und  wenn  der  Urbau 
Kaiser  Ottos  ihrer  etwa  entbehrt,  so  ist  doch 
diesem  Mangel  sicher  im  Laufe  des  XL  Jahr- 
hunderts abgeholfen  worden,  was  ja  auch  bei 
der  Benediktinerinnenabteikirche  St.  Maria  und 
Gertrud  zu  Essen  in  der  Diözese  Hildesheim 
(heute  Köln)  und  bei  Unser  Lieben  Frauen  und 
St.  Markus-Münster  des  Benediktinerklosters 
Mittelzeil  auf  der  Lisel  Reichenau  im  Boden- 
see in  der  Diözese  Konstanz,  da  wie  dort, 
durch  einen  nachträglichen  Hochturmbau  über 
dem  Westchore  geschehen  ist.  Sind  nun  sämt- 
liche mittelalterlichen  Kirchen  derStadt  Magde- 
burg mit  Doppeltürmen  versehen,  so  wird  die 
ehemalige  Kathedrale 2)  des  Erzbischofes  im 
romanischen  Stile  wohl  auch  dieser  Zierde 
nicht  entbehrt  haben;  wurde  der  gotische  Neu- 
bau des  XIIL  Jahrhunderts  doch  planmäßig 
mit  vier  Türmen  von  quadratischem  Grundrisse 
ausgestattet.  Es  wird  Sache  der  Lokalforschung 
sein,  die  Nachgrabungen  unter  dem  heutigen 
Plattenboden  des  Domes  fortzusetzen  und  sicher 
werden  die  jetzt  noch  unbekannten  Glocken- 
türme, sei  es  am  Chore  oder  an  der  Westseite, 
sich  auffinden  lassen.  Merkwürdig  ist  ferner 
bei  dem  Urbaue  des  Magdeburger  Domes 
die  lateinische  Kreuzesform,  denn  diese  gehört 
wohl  dem  XI,  nicht  aber  schon  dem  X.  Jahr- 
hunderte an ;  in  diesem  herrscht  noch  durch- 
gehends  die  T-Form,  welche  ich  auf  Seite 
171  — 176  des  Jahrganges  1890  der  Karl  von 
Lützowschen  »Zeitschrift  für  bildende  Kunst« 
im  Ostchor  des    von  978 — 1009    durch  Erz- 

")  Mon.  Germ.  XVl.  Seite  183:  »An  Commemoratio 
Pauli,  30.  Juni  11 29,  erhob  sich  gegen  den  Erzbischof 
Norbert  eine  große  Empörung  der  Bürger  der  Stadt  Magde- 
burg, weil  er  die  Domkirche,  welche,  wie  er  erfahren 
hatte,  entweiht  worden  war,  zur  Nachtzeit  wieder  weihte. 
Bei  dem  \\'achsen  des  Aufstandes  zog  sich  Norbert  mit 
den  Bischöfen  von  Meißen  und  Havelberg  sowie  dem 
Magdeburger  Dompropste  in  die  oberen  Räume  des 
alten  Münsters  zurück  und  wurde  dort  lange  belagert,« 
und  weiter  :  »Sie  nötigten  ihn  auf  ein  .Municipium  zusteigen, 
welches  vor  Zeiten  von  Kaiser  Otto  an  der  Stelle  eines 
Turmes  der  Domkirche  erbaut  worden,  aber  wegen  seines 
frühen  Todes  unvollendet  geblieben  war.« 


26l 


DER  DOM  ZU  MAGDF-lU'Rr,    II 


202 


S-^  DER  DOM  ZU  MAGDEBURG  ä^a 


bischof  Willigis  erbauten  Mainzer  St.  Martinus- 
domes  nachgewiesen  habe.  T-Form  hat  im 
Erzsprengel  des  Mainzer  MetropoHten  weiter: 
I.  die  Benediktinerinnenabteii<irche  St.  Maria 
in  Steinbach  bei  Michelstadt  im  hessischen 
Üdenwalde,  2.  der  Urbau  der  St.  Michaels- 
basilika auf  dem  oberen  Heiligenberge  bei 
Heidelberg  am  Neckar,  3.  die  St.  Remigius- 
palastkapelle  Kaiser  Karls  des  Großen  in  Niedcr- 
ingeIheimbeiMainz,4.derUrbauderSt.Justinus- 
säulenbasilika  zu  Höchst  bei  Frankfurt  am 
Main,')  5.  die  ehemalige  Pfeilerbasilika  der 
Benediktinerabtei  auf  dem  St.  Johannesberg 
im  Rheingau  und  6.  die  ehemalige  St.  Salvator- 
basilika  in  Frankfurt  am  Main.  ■-)  Bei  den  bis 
jetzt  bekannten  Fundamentmauern  des  alten 
Magdeburger  Domes  wurden  vom  Querhause 
nach  Osten  hinausgebaute  Apsidiolen  nicht 
gefunden,  immerhin  dürften  sie  nicht  gefehlt 
haben,  besitzt  solche  doch  auch  die  kreuz- 
förmige dreischiffige  Basilika  St.  Maria  3)  in 
Magdeburg,  sowieSt.  Cvriakus  und  Metronus  der 
ehemaligen  Benediktinerinnenabtei  Gernrode 
am  Harz  in  der  Dii)zese  Halberstadt,  welche 
dem   im  Jahre  960  begonnenen  Basilikenbaue 


■)  »Repertorium  für  Kunstwissenschaft«  1900:  »Die 
Karolingische  SäulenbasiHka  St.  Justinus  zu  I  lochst  am 
Main«  von  Arcliitelit  Franz  Jacob  Scliniitt. 

-)  Berliner  »Deutsche  ßauzeitungs  Seite  11)5  —  19$  vom 
25.  April  1892:  »Die  ehemalige  St.  Salvatorbasililia  in 
Frankfurt  am  Main«  von  Architekt  Franz  Jakob  Schmitt. 

3j  Die  südöstliche  Apsidiole  von  St.  Maria  existiert 
noch  heute,  wahrend  die  nordöstliche  einer  bereits  im 
Mittelalter  ausgeführten  Erweiterung  der  Sakristei  des 
Präuionstratenserchorherrenstiftes  weichen  mußte.       ,    ■ 


zugeschrieben  werden.  Die  überaus  pietät- 
volle Wiederverwendung  der  Säulenschäfte 
und  Kapitale  des  romanischen  Domes  im  goti- 
schen Neubaue  beim  Cliorinneren,  dessen  ge- 
wölbter Empore  und  im  vormaligen  Kapitel- 
saale an  der  Ostseite  des  Kreuzganges  gibt 
uns  einen  willkommenen  Einblick  in  die  for- 
male Konstruktion  des  untergegangenen  Monu- 
mentes aus  dem  X.Jahrhunderte.  Vier  Mono- 
lithschäfte im  jetzigen  mit  fünf  Seiten  des 
Zehneckes  geschlossenen  Chore  haben  bei  '/^m 
Durchmesser  eine  Höhe  von  3'/2  ni;  da  aber 
der  Schaftdurchmesser  ungleich,  so  werden 
Kapitälaufsätze  zur  Ausgleichung  für  die  Ar- 
kaden und  die  auf  denselben  sich  erheben- 
den Hochschiffsmauern  vorhanden  gewesen 
sein.  Besagtes  Konstruktionsmotiv  findet  sich 
in  altchristlicher  Zeit  bei  den  Baudenkmälern 
von  Ravenna  und  kam  zur  Karolingerzeit 
von  da  in  den  deutschen  Norden,  wo  die 
St.  Justinussäulenbasilika  zu  Höchst  in  der 
Erzdiözese  Mainz  ein  treffliches  Beispiel  gibt; 
als  architiaviertes  Gesims  erscheint  der  Kapitäl- 
aufsatz  bei  den  Säulen  der  Vorhalle  von  St.  Vitus 
und  Stephanus  der  Benediktinerabtei  Corvey 
in  der  Diözese  Paderborn.  Es  entsteht  die 
Frage,  ob  der  Dom  Kaiser  Ottos  des  Großen 
imLanghause  eine  reineSäulenbasilikagewesen 
oder  ob  bei  ihm  schon  der  regelmäßige  Wechsel 
von  Säule  und  I-'feiler  stattgefunden  hat?  Das 
herrliche  Säulenmaterial  kam  wohl  vonRaven na 
und  hier  sind  alle  Monumente  reine  Säulen- 
basiliken, was  auch  von  den  Domkirchen  zu 
Aquileja,  Grado  und  Parenzo  gilt;  aus  Karolin- 
gerzeit ist  es  die  St.  Justinusbasilika  in 
Höchst  am  Main,  die  Rundbasilika  St.  Mi- 
chael in  Fulda,  war  es  ebenda  die  Bene- 
diktinerabteikirche St.  Salvator,  ferner 
der  alte  St.  Petersdom  zu  Köln  a.  Rhein 
und  der  1030  abgebrochene  Urbau  des 
Spevrer  Domes  St.  Maria. 4)  In  Sach- 
sen findet  sich  nachmals  zu  Goslar  die 
durch  Kaiser  Heinrich  III.  1045  errichtete 
und  1056  durch  Papst  Viktor  II.  geweihte 
St.  Petersbasilika  mit  zehn  Freisäulen  im 
dreischiffigen  Langhause  und  zu  Pader- 
born die  1017  erbaute  Hallenanlage  St. 
Bartholomäus  auf  sechs  Freisäulen.  — 
Bei  meiner  Rekonstruktion  des  Urbaues 
vt)m  Magdeburger  Dome  St.  Mauritius 
und  Katharina  habe  ich  im  Langhause  als 
Stützen  der  Hochschiftsmauern  beider- 
seits je  sieben,  also  zusammen  14  Frei- 
säulen angenommen,  dies  ergibt  bei  38  ni 


KREUZGANG  AM  DOM  ZU  MAGDEBURG 


•>)  Seite  275 — 278  der  Karl  von  Lützowschen 
Zeitschrift  für  bildende  Kurwt  1888:  »Römische 
Tempel  in  Speyer«  von  Arcliitekt  Franz  Jakob 
Schmitt. 


©^  DER  DOM  ZU  -MAGDFRURG  ^<a 


263 


INNERES  DES  DOMES  /X   MAGDEBURG 


Länge  eine  Aclisenweite  von  43/4  m  im  Säulen- 
niittel;  zum  \'ergleiche  sei  angeführt,  daß  beim 
Dome  St.  Maria  zu  Konstanz  am  Bodensee  die 
Säulen  von  Mittel  zu  Mittel  in  4'/2  m,  in  Lim- 
burg an  der  Haardt  beiderBenediktinerbasilika 
Heiligkreuz  und  St.  Johannes  der  Evangelist 
in  4  m  15  cm  und  bei  der  Benediktinerbasi- 
lika Allerheiligen  zu  Schatihausen  am  Rheine, 
Diözese  Konstanz,  in  5  m  Entfernung  sich 
hetinden.  Da  alle  diese  Baudenkmäler  reine 
Säulenbasiliken  sind  und  ihre  Substanz  viele 
Jahrhunderte  in  solidem  Zustande  dauerte,  so 
besteht  kein  konstiuktives  Bedenken,  wenn 
ich  für  den  Kaiserdoni  in  Magdeburg  auch 
eine  reine  Säulenbasilika  voraussetze,    zumal 


es  Otto  dem  Großen  an  Monolithschäften 
durchaus  nicht  gemangelt  zu  haben  scheint. 
Wenn  auf  Seite  369  seiner  Geschichte  der 
romanischen  Baukunst  L'ranz  Kugler  im  fahre 
1859  über  die  dreischiftige  Basilika  St.  Cvria- 
kus  und  Metronus  der  Benediktinerinnen  zu 
Gernrode  im  heutigen  Herzogtum  Anhalt 
schrieb:  >  In  den  \'erhältnissen  des  Innern  ist 
ein  bestimmt  energischer  Zug  hervorzuheben, 
der  sich  namentlich  in  der  freien  und  derben 
Spannung  der  unteren  Arkadenbögen  geltend 
macht.,  so  dürfte  das  Gleiche  wohl  auch  für 
Jie  ehemalige  Kathedrale  des  l-rzbistums  Mag- 
deburg anzunehmen  sein.  Hier  gab  die  große 
Breite  der  Seitenschiffe  von  8  m  80  cm,  ganz 


264 


<?xm  DER  DOM  ZU  MAGDEBURG  S^>Q 


wie  bei  der  durch  Bischof  Bernward  (995  bis 
1022)  erbauten  Benedilvtinerabteikirche  St.  Mi- 
chael in  Hildesheim,  Veranlassung,  statt  der 
üblichen  einfachen  Bogenöffnung  sie  durch 
einen  von  einer  Freisäule  getragenen  Dop- 
pelbogen in  die  Flügel  des  Querhauses  mün- 
den zu  lassen.  Diese  Konstruktion  findet  sich 
bei  der  dreischiffigen  Basilika  St.  Hermachoras 
und  Fortun at  des  Patriarchen  von  Aquileja, 
sowie  bei  der  mit  doppeltem  Querhause  ver- 
sehenen dreischiffigen  Basilika  St.  Maria  und 
Markus  der  Benediktinerabtei  Mittelzeil  aut 
der  Insel  Reichenau  im  Bodensee;')  wenn  das 
Baumotiv  hier  erstmals  im  deutschen  Süden 
auftritt,  so  dürfte  der  im  X.Jahrhundert  ausge- 
führte Urbau  des  Magdeburger  Domes  wohl 
hiefür  das  älteste  Beispiel  im  Norden  Deutsch 
lands  sein ;  von  Magdeburg  ging  es  aut  St.  Mi- 
chael in   Hildesheim  über. 

Aus  demNecrolog.  Magdeb.  von  946 — 1033 
ist  bekannt,  daß  am  22.  Februar  roo8  auf 
Sonntag  Reminiscere  die  Krypta  der  Dom- 
kirche geweiht  worden  ist.  Da  nach  dieser 
Krypta  romanischen  Stiles  1896  Regierungs- 
und Baurat  Angelroth  im  geosteten  Chore  des 
heutigen  Domes  erfolglose  Nachforschungen 
angestellt  hat,  so  wäre  sehr  zu  wünschen,  wenn 
auf  Grundlage  der  im  Jahre  1901  entdeckten 
Fundamentmauern  des  Ottonischen  Domes 
neuerdingsGrabungen  erfolgen  möchten;  heute 
wissen  wir,  wo  sich  Chorvorlage  und  Concha 
befunden  haben,  hierunter  werden  sich  auch 
noch  die  Spuren  einer  ehemaligen  Säulen- 
krypta auffinden  lassen.  Vom  St.  Stephans- 
dome in  Halberstadt  ist  urkundlich  überlietert, 
daß  seine  gewölbte  Krypta  imjahre  974  konse- 
kriert  worden  ist;  beim  nachmaligen  Neubaue 
gotischen  Stiles  ward  sie  verschüttet,  ihr  be- 
glaubigtes Vorhandensein  dürfte  aber  tür  die 
Magdeburger  Archi-Episkopalkirche  und  deren 
frühere  Krypta  von  nicht  geringer  Beweiskratt 
sein. 2)  Weiter  möge  die  Frage  aufgeworten 
werden,  ob  wohl  die  alte  Magdeburger  Kathe- 
drale doppelchörig  gewesen  ist?  Die  Kunst- 
geschichte kennt  in  Deutschland  und  den  ehe- 
dem zum  Reiche  gehörigen  Ländern  derzeit 
20  Domkirchen,  welche  mit  einem  Ost-  und 
einem  Westchore  ausgestattet  waren;  dazu  ge- 
hören wohl  Naumburg  mit  St.  Peter  und  Paul, 
Merseburg  mit  St.  Laurentius  und  Johannes 
dem  Täufer,  Hildesheim  mit  St.  Maria,  Minden 


')  Friedrich  Adler  »Baugesdüchtliche  Forschungen«, 
Berhn)   1870. 

')  Die  noch  heute  dauernde  romanische  Säulenkrypta 
der  ehemaligen  Pramonstratenser-Chorherrenstiftskirche 
St.  Maria  zu  Magdeburg  dürfte  wohl  in  der  Mutterkirche 
St.  Mauritius  und  Katharina  der  Erzdiözese  ihr  Vorbild 
gehabt  haben. 


mit  St.  Peter  und  Gorgonius,  Paderborn  mit 
St.  Maria,  LiboriusundKilian,  Münster  in  West- 
falen mit  St.  Paulus,  Bremen  mit  St.  Peter 
und  Maria,  sowie  Prag  in  Böhmen  mit  St.  Vitus, 
Adalbert  und  Wenzel, 3)  bis  zur  Stunde  aber 
weder  Halberstadt  mit  St.  Stephans,  noch 
Magdeburg  mit  St.  Mauritius  und  Katharina. 
Wenn  daher  im  alten  Sachsenlande  der  Bene- 
diktinerorden die  Abteikirchen  St.  Peter  und 
Paul  zu  Ilsenburg,  St.  Vitus  zu  Drübeck,  St.  Maria 
zu  Huyseburg,  St.  Stephan  und  Sebastian  zu 
Frose,  St.  Johannes  der  Täufer,  Anastasius 
und  Innocenz  zu  Gandersheim,  St.  Cyriakus 
und  Metronus  zu  Gernrode,  St.  Michael  sowie 
St.  Godehard,  beide  zu  Hildesheim,  endlich 
St.  Maria  und  Gertrud  zu  Essen 4)  doppelchörig 
erbaute,  so  ist  dies  wohl  auf  keine  Anregung 
der  Oberhirten  von  Halberstadt  und  von  Magde- 
burg   zurückzuführen. 

Beim  Neubaue  des  gotischen  St.  Stephans- 
domes in  Metz  hat  man  die  Längsachse  des 
romanischen  Urbaues  genau  beibehalten,  eben- 
so geschah  es  bei  dem  Neubaue  des  Renais- 
sancedomes St.  Rupertus  und  Virgilius  in 
Salzburg,  5)  und  leicht  ließen  sich  diese  Bei- 
spiele noch  vermehren;  anders  wurde  aber 
in  Magdeburg  an  der  Elbe  verfahren.  Wohl 
steht  auch  hier  der  Hochaltar  nahezu  aut 
gleicher  Stelle  wie  im  Dome  Kaiser  Ottos 
des  Großen;  aber  die  Längenachse  war  ehe- 
dem nach  Südosten  gerichtet  und  wurde  tür 
den  gotischen  Bau  nordöstlich  verschoben, 
was  dann  auch  das  Niederlegen  des  alten  Nord- 
flügels vom  Kreuzgange  nötig  machte;  dieser 
erhielt  hierauf  die  selten  vorkommende  Grund- 
rißform eines  Paralleltrapezes. '5)  Derzeit  ist 
der  Beweggrund  zu  besagter  Abweichung  un- 
bekannt; Schwierigkeiten  des  Terrains,  ein 
Wasserlauf  oder  schlechter  Erdboden  dürtten 
es  aber  sicher  nicht  gewesen  sein. 

Die  Baugruppe  vom  alten  Dome  St.  Mauritius 

3)  In  den  letzten  Jahren  des  XIX.  Jahrhunderts  hat 
beim  Ausbaue  des  gotischen  Langhauses  Dombaumeister 
Mocker  sowohl  den  Westchor,  als  auch  dessen  ehe- 
malige Krypta  romanischen  Stiles  vom  St.  Veits  Urbaue 
entdeckt. 

4)  Alfried,  seit  848  Bischof  von  Hildesheim,  gründete 
im  Jalire  873  das  Benediktinernonnenkloster  zu  Essen 
an  der  Ruhr,  es  blieb  kirchlich  bei  Hildesheini  und  kam 
erst  spater  zur  Erzdiözese  Köln. 

5)  »C)sterr.  Monatschrift  fürden  öffentlichen  Baudienst« 
1 897  :  I-  Die  Erzbischöfliche  Metropolitankirche  St.  Rupertus 
und  Virgilius  zu  Salzburg  in  romanischer  Zeit«  von  Architekt 
Franz  Jakob  Schmitt. 

•=}  Des  heutigen  Kreuzganges  Ostflügel  hat  eine  Länge 
von  42"/2  m,  wahrend  der  Westflügel  4'h  m  weniger, 
also  nur  38  m  lang  ist;  Nord-  und  Südtlügel  haben  je 
55  m  Länge.  Die  Maße  entnahm  ich  einem  Lageplane  des 
Magdeburger  Domes  in  dem  durch  Architekturphoto- 
graph E.  von  Flottwell  1891  herausgegebenen  Werke: 
»Mittelalterliche  Bau-  und  Kunstdenkmäler  in  Magdeburg.« 


S.  K.  H.  Prinz  Ruprecht  von  Bayern 


jOI«  christliche  Kunst,  V. . 


i 


WANDGEMÄLDE  IX   DER  DOMINIKANERKIRCHE  ZU  REGENSBURG 


?6^ 


und  Katharina  mit  seinem  an  der  Südseite 
ausgedehnten  Kreuzgange  und  der  westwärts 
stehenden  Ecclesia  rotundamuß  entscliiedenen 
Reiz  besessen  haben,  hat  docii  die  Arnostadt 
Pisa  bis  auf  den  heutigen  Tag  im  St.  Marien- 
dome nebst  Canipo  santo,  dem  kreisrunden 
Campanile  und  Baptisterium  ein  derartig  groß- 
artiges Architei<turbild.  Aber  auch  das  l<reuz- 
förmige  dreischilTige  Innere  vom  Dome  Ottos 
des  Großen  dürfte  durch  die  kostbaren  Marmor- 
säulen, mit  welciiem  Schmucke  wohl  Wand- 
maiereien,  gleich  der  St.  Blasiusstiftskirche 
Braunschweigs  wetteiferten,  vornehmsten  Iiin- 
druck  ausgeübt  und  weithin  Bewunderung  sich 
erworben  haben. 


EIN  ZYKLUS  VON  WANDGE- 
MÄLDEN AUS  DEM  LEBEN  DES 
HL.  THOMAS  VON  AQUIN  IN 
DER  DOMINIKANERKIRCHE  ZU 
REGENSBURG 

Von  Dr.  J.  A.  ENDRI-S 

In  der  Dominikanerkirche  St.  Blasius  zu  Re- 
^  gensburg  wurde  in  der  jüngsten  Zeit  eine 
Anzahl  alter  Wandgemälde  von  der  ver- 
hüllenden Tünche  befreit.  Zuerst  stieß  man 
noch  zu  Anfang  der  neunziger  Jahre  des 
verflossenen  Jahrhunderts  auf  heraldisch 
höchst  bemerkenswerte,  gemalte  Epitaphien 
in  der  Chorpartie  des  nördlichen  Seiten- 
schiffes, deren  Reihe  vielleicht  noch  am  Ende 
des  I  3.  Jahrhunderts  erötlnet  wurde.  In  den 
letzten  Jahren  schlössen  sich  daran  Funde 
im  Chor  des  Mittelschiffs  und  an  der  Nord- 
und  Südwand  des  Schilfs  der  Kirche.  Der 
langgestreckte  Chor  von  St.  Blasius  muß  ur- 
sprünglich ein  ganz  einfaches  Chorgestühl 
besessen  haben,  ehe  das  jetzt  vorhandene  in 
der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  an 
seine  Stelle  trat.  An  diesem  alten  Chorge- 
stühl fehlte  offenbar  der  Aufbau  an  der 
Rückwand.  Denn  hinter  den  jetzigen  Chor- 
stühlen erscheinen  an  der  Wand  gemalte 
frühgotische  Blendarkaden.  Diese  gemalten 
Hallen  tragen  geradeso  wie  die  Standorte 
der  jetzigen  Holzchorstuhlwände  die  Namen 
jener  deutschen  Städte  eingeschrieben,  deren 
Klöster  ihre  Abgeordneten  zu  den  Kapiteln 
der  deutschen  Ordensprovinz  zu  entsenden 
pflegten.  Später,  aber  noch  im  15.  Jahr- 
hundert, wurden  über  diesen  Blendbögen 
fünfzehn  Szenen  aus  der  Leidensgeschichte 
Christi  gemalt  und  in  gleicher  Höhe  gegen 
Osten  hin  links  die  Figur  des  hl.  Dominikus, 


rechts  jene  des  hl.  Thomas  von  Aquin  an- 
gebracht. Eine  Heiligenreihe  aus  irühgotischer 
Zeit,  in  gemalter  Nische  stehend,  schmückt 
die  Südseite  der  Kirche  unmittelbar  beim 
Eingang  zur  jetzigen  Sakristei.  Durch  die 
Neuschaffung  dieses  Eingangs  sind  die  Bilder 
teilweise  zerstört  worden.  Links  über  dem 
Eingang  erscheint  die  große  Figur  der 
hl.  Katharina  von  Alexandrien,  vor  welcher 
der  betende  Stifter  kniet.  Sein  mächtiges 
Wappen  steht  vor  ihm.  Eine  Inschrift  hält 
das  Jahr  1331  fest.  An  der  nördlichen 
Längswand  des  Seitenschiffs  wurde  das 
larbenfrische  Bild  von  Maria  Schutzmantel 
gefunden,  ein  \'orwurf  den  der  Dominikaner- 
orden ganz  besonders  bevorzugte.  Gegen 
Westen  war  an  der  gleichen  Wand  ein  großes 
Olbergbild  angebracht.  Und  zwar  stellte 
sich  heraus,  daß  dieser  gleiche  Gegenstand, 
nachdem  er  früher  etwas  tiefer  gemalt  war, 
später,  das  alte  Bild  teilweise  verdeckend,  in 
die  Höhe  gerückt  wurde.  Der  Olberg,  das 
Werk  eines  sehr  guten  Meisters,  entstand 
1520.  Ungelähr  zwei  Dezennien  früher  war 
die  Südwand  der  Kirche  dem  Olberg  gegen- 
über mit  zwei  Gemäldezyklen  in  vier  Bilder- 
reihen untereinander  geschmückt  worden. 
Der  obere  Zyklus  erzählt  das  Leben  des 
hl.  Sebastian,  der  untere  jenes  des  be- 
rühmtesten Lehrers  aus  dem  Dominikaner- 
orden, des  hl.  Thomas  von  Aquin.  Der 
Beschreibung  dieses  letzteren  sollen  die  folgen- 
den Zeilen  gewidmet  sein  (vgl.  Abb.  S.  267). 

Der  Zyklus  aus  dem  Leben  des  hl.  Thomas 
besteht  aus  acht  Bildern,  in  zwei  überein- 
anderstehcnden  Reihen.  Die  einzelnen  Dar- 
stellungen werden  durch  eine  gemalte  Leiste 
voneinander  getrennt.  Die  Erhaltung  der  Ge- 
mälde läßt  viel  zu  wünschen  übrig.  Doch 
ist  nur  ungefähr  ein  Drittel  der  beiden  ersten 
Darstellungen  links  ganz  zerstört,  da  hier  der 
Mauerbewurf  erneuert  wurde.  Der  Inhalt 
der  einzelnen  Bilder  kann  überall  noch  leicht 
erkannt  werden,  ja  einzelne  Figuren  zeichnen 
sich  durch  eine  verhältnismäßig  gute  Erhal- 
tung aus.  Der  Maler  sah  sich  veranlaßt, 
fünf  Szenen  durch  gemalte  Spruchbänder  zu 
erläutern.  Der  gelehrte  Aquinate  gehörte 
eben  nie  zu  den  eigentlich  volkstümlichen 
Heiligen.  Auch  diese  Spruchbänder  sind  teil- 
weise lesbar  und  lassen  sich  leicht  ergänzen. 

Die  Gemälde  erzählen  den  Ruhm  des  Hei- 
ligen, angefangen  von  seiner  \'orherverkün- 
digung  durch  einen  Eremiten  bis  zu  der  Er- 
scheinung nach  seinem  Tode  an  der  Seite 
des  hl.  Augustinus.  .■Ms  literarische  Grund- 
lage der  Bilder  ist  die  Biographie  des  Heiligen 
zu    betrachten,    welche  \Vilhelm    von   Tocco 


Dir  chrittlkhe  Ko 


266        WANDGEMÄLDE  IN  DER  DOMINIKANERKIRCHE  ZU  REGENSBURG 


als  Prior  des  Dominikanerklosters  zu  Bene- 
vent und  Prokurator  bei  der  Kanonisation 
des  Aquinaten  am  päpstlichen  Hofe  zuAvignon 
um  1319  verfaßte.')  Sie  ruht  zwar  auf  einer 
etwas  älteren  und  einfacheren  Lebensbe- 
schreibung des  bedeutenden  Dominikaner- 
historikers Bernardus  Guidonis,^)  verdrängte 
aber  durch  ihr  offizielles  Ansehen  alle  übrigen 
Berichte  über  Thomas. 

Von  den  vier  Bildern  der  oberen  Reihe 
bietet  das  erste  eine  Doppelszene.  Die  Ver- 
kündigung der  Geburt  des  Heiligen  und 
Thomas  als  Kind  im  Bade.  Die  drei  übrigen 
beziehen  sich  auf  seine  Aufnahme  in  den 
Dominikanerorden,  seine  Haft  und  seinen 
Aufenthalt  in  der  Schule  Alberts  des  Großen. 

Die  Verkündigung  der  Geburt  des  hl. 
Thomas  und  die  Badeszene  des  Kindes  finden 
in  einem  und  demselben  Räume  statt.  Nach 
Wilhelm  von  Tocco  sagte  der  Mutter  des 
Aquinaten,  Theodora,  em  Mitglied  der  Ere- 
mitenkongregation auf  dem  Berge  Roccasicca, 
namens  Bonus,  die  Geburt  eines  Sohnes  mit 
den  folgenden  Worten  voraus:  Gaude  domina, 
quia  es  praegnans,  et  paries  filium,  quem 
vocabis  Thomam.3)  Von  der  Rede  des 
guten  Eremiten  haben  sich  die  letzten  vier 
Worte  auf  dem  Spruchbande  über  den  Figuren 
erhalten.  Dagegen  blieb  von  dem  Eremiten 
selbst  nur  mehr  die  Hand  mit  dem  Krücken- 
stocke, dem  beliebten  Attribute  der  Einsiedler, 
übrig.  Wohl  eine  der  besten  Figuren  des 
ganzen  Zyklus  ist  die  gut  erhaltene  Gestalt 
Theodoras.  Sie  trägt  als  Zeichen  ihrer  fürst- 
lichen Abkunft  ein  pelzverbrämtes  Oberge- 
wand. Die  Wiedergabe  des  Staunens  ist  dem 
Maler  in  Gestus  und  Gesichtsausdruck  treff- 
lich  gelungen. 

Auf  der  zweiten  Szene  des  Bildes  sehen 
wir  den  kleinen  Thomas  bereits  im  Bade, 
einen  beschriebenen  Zettel  in  der  Hand 
haltend,  welchen  ihm  die  Wärterin  zu  nehmen 
sucht.  Die  Legende  erzählt  nämlich,  daß 
der  Kleine  sich  dereinst,  als  er  gebadet 
werden  sollte,  einen  zufällig  gefundenen 
Schriftstreifen  kindlich  hartnäckig  nicht  habe 
entwinden  lassen.  Als  ihm  die  Mutter  das 
Händchen  öffnete,  sei  das  Ave  Maria  auf 
dem  Zettel  gefunden  worden. 4) 


')  Gedruckt  Acta  SS.  Boll.  Mait.  I,  657  ff. 

')  Vgl.  meine  Abhandlung  :  Studien  zur  Biographie 
des  hl.  Thomas  von  Aquin,  Histor.  Jahrb.  d.  Görres- 
Gesellschaft  29  (1908),  537  ff. 

3)  Acta  SS.  Ic.  659  D. 

■♦)  Acta  SS.  Ic.  659  F.  Wilhelm  von  Tocco  verlegt  den 
Vorgang  nach  Neapel.  Die  Darstellung  unseres  Kunstlers 
entspricht  der  schlichteren  Erz.ählung  bei  Bernardus  Gui- 
donis,  Vita  s.  Thomae  c.  2,  gedruckt  in  Bon.  Mombri- 
ius,   Sanctuarium   pars  IL   (s.  1.  eta.;  unpaginiert). 


Das  zweite  Bild  setzt  uns  in  den  Kapitels- 
saal des  Dominikanerklosters  von  Neapel.  In- 
mitten mehrerer  Dominikaner  sitzt  der  Prior 
—  es  ist  Thomas  Agni  de  Lentino,  später 
Patriarch  von  Jerusalem  —  auf  erhabenem 
Stuhle  mit  verzierter  Rücklehne.  Thomas 
kniet  als  Knabe  vor  ihm.  Er  hat  seinen 
verbrämten  Rock  abgelegt  und  bereits  den 
weißen  Habit  der  Dominikaner  angezogen. 
Thomas  Agni  vollendet  die  Einkleidung,  in- 
dem er  ihm  das  Skapulier  mit  der  Kapuze 
darreicht. 

Bekanntlich  waren  die  Angehörigen  des 
hl.  Thomas  mit  seinem  Eintritt  in  einen 
Mendikantenorden  nicht  einverstanden.  Als 
er  von  Neapel  aus  zu  den  Studien  nach 
Paris  gesandt  wurde,  hoben  ihn  daher  seine 
älteren  Brüder  auf  und  schafften  ihn  auf 
eines  der  Schlösser  der  Familie,  S.  Giovanni, 
wo  sie  ihn  während  einer  längeren  Haft  auf 
andere  Gedanken  zu  bringen  suchten.  Unter 
anderem  sollen  sie  das  schändliche  Mittel 
versucht  haben,  ihn  durch  eine  Dirne  vom 
Ordensleben  abwendig  zu  machen.  Doch 
'Fhomas  habe  das  Weib  mit  einem  brennen- 
den Scheite  des  Kaminfeuers  in  die  Flucht 
geschlagen.  Darauf  habe  er  mit  dem  ver- 
kohlten Teile  des  Scheites  ein  Kreuz  an  die 
Wand  gezeichnet,  vor  dem  er  betend  ent- 
schlummerte. Während  des  Schlafes  sei  er 
dann  von  Engeln  gegürtet  worden. 5)  Unser 
Maler  zieht  den  Vorgang  zusammen.  Mit 
der  Fackel  in  der  hocherhobenen  Rechten 
treibt  Thomas  die  Dirne  zur  Türe  hinaus. 
In  die  Linke  gibt  ihm  der  Künstler  einen 
Buchsack,  weil  die  Biographen  berichten,  daß 
sich  Thomas  von  seinem  Kloster  aus  Bücher 
für  die  Zeit  seiner  Haft  erbeten  habe.  Noch 
während  der  Handlung  läßt  der  Künstler 
den    Gefangenen    durch    zwei   Engel   gürten. 

Nachdem  Thomas  vom  Jahre  1245  — 1248 
an  der  Universität  Paris  studiert  hatte,  begab 
er  sich  zur  Fortsetzung  seiner  Studien  an 
das  durch  Albert  den  Großen  eben  neu  ins 
Leben  gerufene  Studium  generale  nach  Köln. 
Dort  fiel  er  durch  sein  schweigsames  Wesen 
derart  auf,  daß  ihn  seine  Studiengenossen 
den  stummen  Ochsen  nannten. 6)  Darauf 
nimmt  das  vierte  Bild  in  Legende  und  Dar- 
stellung Bezug.  Erstere  besagt  im  Anschluß 
an  Wilhelm  von  Tocco,  nur  den  Text  etwas 
kürzer  fassend :  Nos  vocamus  hunc  bovem 
mutum,  sed  magnum  dabit  in  mundo  mugitum 


5)  Acta  SS.  Ic.  661.  Die  älteste  Q.uelle  für  die  un- 
wahrscheinliche Verführungsgeschichte  ist  der  phantasie- 
volle Niederländer  Thomas  CantJmpratanus.  S.  meine 
oben  zitierte  Abhandlung,  S.  774  ff. 

«>)  Acta  SS.  Ic.  662  F. 


267 


M* 


268        WANDGEMÄLDE  IN  DER  DOMINIKANERKIRCHE  ZU  REGENSBURG 


(Wir   nennen    diesen  den  stummen  Ochsen, 
er  aber  wird  ein  großes  Gebrüll  in  der  Welt 
erheben).      Mit    diesen    Worten    soll    Albert 
der    Große    auf   die    künftige    Bedeutung 
seines    Schülers    Thomas     hingewiesen 
haben.      Auf   unserem   Bilde    nimmt 
Albert    rechts   oben   den    Lehrstuhl 
ein.     Sechs  Schüler,  darunter  ein 
vornehmer  Laie,  bilden  seine  Zu- 
hörerschaft.   Thomas    sitzt    sin- 
nenden Blicks  im  Vordergrunde. 
Seine    nächsten    drei    Nachbarn 
sind    offenbar    gerade   mit    ihm 
beschäftigt.      Der    vorderste    in 
der    Reihe    will    sich   von    dem 
Gegenstand  der  Vorlesung  nicht 
länger  abziehen  lassen.    Er  legt 
den    Finger   auf  die   Stelle    des 
eben  erklärten  Buches    und    be- 
gnügt sich  damit,   einen  bedenk- 
lichen Blick  auf  den  unterschätz- 
ten Genossen    zu  werfen.     Der 
zweite    in    der   Reihe   kann    ein 
spöttisches  Lächeln  nicht  untei 
drücken,  während  ein  dritter  hm 
ter   dem   Rücken    von   Thomis 
sichtlich  die  Nase  über  ihn  rümpft 
Auch  hier  ist  dem  Maler  die  Ge 
bärdensprache    recht    wohl    ge 
hingen. 

Die  untere  Bilderreihe,  \\eil 
näher  am  Publikum,  war  der  Be 
Schädigung  mehr  ausgesetzt  als 
die  obere.  Am  meisten  hat  ge 
litten  das  erste  Gemälde  mit  dei 
Szene,  welche  die  Biographen 
auf  die  Erzählung  des  Sakristans 
von  S.  Domenico  Maggiore  zu 
Neapel,  Dominikus  von  Caserta 
zurückführen.  Dieser  sah  näm 
lieh  dereinst,  wie  Thomas  be 
tend  zwei  Ellen  hoch  über  die 
Erde  erhoben  wurde  und  er  \er 
nahm  die  vom  Kreuze  ausgehende 
Stimme:  »Thomas,  du  hast  gut 
über  mich  geschrieben.  Welchen 
Lohn  willst  du  von  mir  für  deine 
Mühe  erlangen.?'  Thomas  habe 
geantwortet:  Herr  nur  dich!  ■) 
Auf  dem  Bilde  erkennt  man  noch 
drei  Bogenstellungen  der  Kirche 
und  davor  die  schwebende  Ge- 
stalt des  Heiligen  nebst  den  zwei 
zugehörigen  Spruchbändern  mit 
(Bene)  scripsisti  de  me.  Quam 
recipies.?    Domine  "~ 


-x-^*»» 


LEONHARD  THOMA 
OSTEKMORGEN 


dem  Text: 

mercedem 

non   alKim  nisi  teipsum. 


')  Acta  SS.  Ic.  670  f. 


Dagegen  blieb  von  dem  Kruzifixe  auf  der 
linken  Seite  nur  der  Rest  vom  Querholze  des 
Kreuzes  erhalten. 

Das  nächste  Bild  zeigt  Thomas  mit  einem 
Ordensgenossen  an  reichbesetzter  Tafel, 
an  deren  Langseite  ein  König  und  eine 
Königin  Platz  genommen.  Eine  vor- 
nehme Jünglingsgestalt,  wohl  nur 
eine  Füllfigur  und  ganz  in  der 
Art  des  vornehmen  Laien  in  der 
Schule  Alberts,  nimmt  stehend 
rechts  den  Vordergrund  ein.  Es 
handelt  sich  hier  um  die  reizende 
.Anekdote,  welche  bekundet,  daß 
Thomas  als  Professor  zu  Paris 
der  kleinen  Schwäche  mancher 
seiner  Standesgenossen,  nämlich 
einer  nicht  selten  zur  Unzeit  sich 
geltend  machenden  Geistesab- 
wesenheit, auch  seinen  Tribut 
zollte.  Er  war  nämlich  dereinst 
mit  seinem  Prior  von  König  Lud- 
wig dem  Heiligen  von  Frank- 
reich zu  Tisch  befohlen.  Ganz 
in  seine  Gedanken  vertieft  ver- 
gaß er  die  ihn  umgebende  Situa- 
tion und  brach  plötzlich  in  die 
Worte  aus:  »letzt  bin  ich  fertig 
mit  der  Häresie  des  Manichäus.« 
Der  Prior  zog  ihn  an  der  Kapuze 
und  sagte:  »Gebt  acht,  Magister, 
da  ihr  jetzt  an  der  Tafel  des  Kö- 
nigs von  Frankreich  seid.«  Mit 
einer  Verneigung  gegen  den  hl. 
Konig  habe  dann  Thomas  um 
Entschuldigung  gebeten. 2)  Auch 
hier  sind  die  Legenden  des  Bil- 
des noch  großenteils  lesbar. 

Der  Chronologie  nach  sollte 
diese  Darstellung  der  vorigen 
\orangehen.  Denn  der  Vorgang, 
welchen  Dominikus  von  Caserta 
berichtet,  fällt  bereits  in  die  letzte 
Zeit  des  Lebens  von  St.  Thomas, 
wahrend  die  Einladung  bei  dem 
hl.  Ludwig  in  einer  der  voraus- 
gehenden Lehrperioden  des  Hei- 
ligen zuParisstattgefunden  haben 
muß. 

An  vorletzter  Stelle   schildert 
der  Maler  den  Tod  des  hl.  Tho- 
mas in  der  Zisterzienserabtei  Fos- 
sanova.      Der   Heilige    ruht  auf 
dem  Sterbelager.     Die  Sterbekerze   ist  ange- 
zündet.    Drei  Mönche,    darunter  ein    Zister- 
zienser, bemühen   sich   um.  den  Sterbenden. 

=;  Acta  SS.  Ic.  675  BC. 


WANDGEMÄLDE  IN  DER  DOMINIKANERKIRCHE  ZU  REGENSBURG        269 


I.EONHARD 
THOMA,  MÜNCHEN 


PAPST 
GRKGOR  DER  GROSSE 


An  dem  Fenster  links  im  Gemache  ist  scheinbar 
als  Verzierung  der  \'erglasuiig  ein  Stern  ange- 
bracht. Tatsächlich  will  der  Maler  das  Gesicht 
einesZisterzienscrsvonFossanova andeuten,  der 
einen  Stern  von  wunderbarem  Glänze  über  dem 
Klosterherablallensah-EswarzurselbenStunde, 
als  im  Kloster  das  Schallbrett  zum  Zeichen  des 
Todes  von  Thomas  geschlagen  wurde.') 


Den  ganzen  Zyklus  schließt  die  Darstellung 
einer  Vision  des  Dominikanerlektors  Albertus 
Mandukasinus  von  Brescia  (gestorben  um  1 5 1 4) 
ab.  Dieser,  vielleicht  ein  unmittelbarer  Schüler 
von  Thomas,  jedenfalls  ein  begeisterter  An- 
hänger seiner  Lehre,  scheint  sich  um  die  An- 


■)  Act.1  SS.  Ic.  67  7  K. 


270        WANDGEMÄLDE  IN  DER  DOMINIKANERKIRCHE  ZU  REGENSBURG 


erkennung  dieser  letzteren  sehr  bemüht  zu 
haben.  Dem  entspricht  denn  aucli  die  Vision, 
welche  er  hatte  und  über  die  wir  durch  das 
Protol^oll  des  Kanonisationsprozesses  des  Aqui- 
naten  unterrichtet  sind.  Als  er  nämlich  einst- 
mals vor  dem  Altar  der  heiligen  Jungfrau  betete, 
erschienen  ihm  zwei  Gestalten  in  wunderbarem 
Lichtglanz,  die  eine  infuliert,  die  andere  im 
Gewände  der  Predigerbrüder,  aber  mit  außer- 
ordentlichem Schmucke  geziert.  So  hatte  sie 
unter  anderem  auf  der  Brust  einen  großen, 
kostbaren  Stein,  welcher  die  Kirche  erleuch- 
tete.') Der  Bischof  gab  sich  als  der  Kirchen- 
lehrer Augustinus  zu  erkennen  und  bezeich- 
nete als  seine  Absicht,  die  Lehre  und  Ehre 
seines  Begleiters,  des  Bruders  Thomas  von 
Aquin,  zu  bestätigen.  'Dieser  ist  nämlich,', 
sagte  er,  >  mein  Sohn,  welcher  der  Lehre  der 
Apostel  und  der  meinigen,  in  allem  folgte  und 
die  Kirche  Gottes  durch  seine  eigene  Lehre 
erleuchtete.  Das  deuten  die  kostbaren  Steine 
an  und  vornehmlich  der,  welchen  er  auf  der 
Brust  trägt. '<  Augustinus  schließt:  »An Ruhm 
ist  er  mir  gleich  mit  der  Ausnahme,  daß  er 
durch  den  goldenen  Kranz  der  Jungfräulich- 
keit mich  überragt.  :2) 

Der  letztere  Gedanke  fand  auf  dem  Spruch- 
bande unseres  Bildes  seine  Stelle.  Aul  die- 
sem Bilde  kniet  Albert  von  Brescia  vor  dem 
Marienaltar,  der  eine  gemalte  Altarretable  mit 

')  in  pectore  habebat  magnuni  I.ipidcin  prctiosuni,  qui 
ecclesiam  illuniinabat.     Act.  SS.  Ic.  708 15. 
=)  Act.  SS.  Ic.  70SC. 


HL.  THO.MAS  VON  AQUIN 
Zu  nebcttstehendcvt    Text 


der  Kreuzigungsgruppe  besitzt  und  dessen  Titel 
als  Marienaltar  durch  eine  kleine  Inschrift  am 
vorderen  Rande  des  Altartuchs  angedeutet  ist. 
An  derSeite  des  Altares  erscheinen  Thomas  und 
Augustinus.  Für  Thomas  strebte  der  Regens- 
burger Künstler  höchst  wahrscheinlich  Porträt- 
ähnlichkeit an.  Und  zwar  hielt  er  sich  an 
die  Reproduktion  jenes  lange  Zeit  in  Viterbo 
erhalten  gebliebenen  Thomasporträts,  das  nach 
der  Tradition  die  Züge  des  Heiligen  in  authen- 
tischer Weise  überlieferte.  Die  Ähnlichkeit 
zwischen  der  Regensburger  Darstellung  und 
jener  von  Viterbo  (vgl.  Abbildung  unten 3)  ist 
kaum  zu  verkennen.  Sie  erstreckt  sich  auf  den 
Gesichtswinkel  des  Malers,  auf  die  Gesichts- 
züge und  die  eigenartige  Kopfbedeckung.  Viel- 
leicht geschah  es  unter  dem  Einflüsse  der 
gleichen  Vorlage,  daß  der  Regensburger  Maler 
auf  dem  vierten  und  füniten  Bilde  der  ganzen 
Folge,  wo  er  für  die  jugendlichere  Erschei- 
nung von  Thomas  vermutlich  ebenfalls  Por- 
trätähnlichkeit anstrebte,  stets  die  gleiche  Wen- 
dung des  Kopfes  beibehielt. 

Was  die  obige  Vision  betrifi"t,  so  weiß  jeder 
Kenner  der  wissenschaftlichen  Richtungen  am 
Ausgang  des  13.  Jahrhunderts,  daß  sich  in 
ihr  ein  deutlicher  Hinweis  auf  die  bestehende 
Divergenz  zwischen  dem  doktrinell  konserva- 
tiveren Augustinismus  und  der  durch  Albertus 
und  Thomas  angebahnten  Richtung  bekundet, 
welche  man  kurz  als  Aristotelismus  zu  be- 
zeichnen pflegt.  Die\'ision  Alberts  von  Brescia 
verfolgte  zu  ihrer  Zeit  eine  apologetische  Ten- 
denz. Für  die  Zeitgenossen  des  Regensburger 
Malers  im  Dominikanerkloster  von  St.  Blasius 
entbehrte  das  Bild  einer  zeitgeschichtlichen 
Nebenbeziehung.  Für  sie  war  die  Zusam- 
menstellung von  Augustinus  und  Thomas  an 
sich  von  Bedeutung.  Ikonographisch  besitzt 
die  Vision  des  Albert  von  Brescia,  was  auch 
auf  unserem  Bilde  zum  Ausdruck  kommt, -i)  in- 
sofern ein  hohes  Interesse,  als  sie  den  Künst- 
lern das  Attribut  an  die  Hand  gab,  durch  das 
sie  die  Gestalt  des  hl.Thoinas  kennzeichneten. 
Es  ist  die  kleine  strahlende  Scheibe  auf  seiner 
Brust,   nämlich  jener  »kostbare  Stein,   der  die 


3)  Die  für  die  Abbildung  benützte  Reproduktion  des 
Porträts  von  Viterbo  trägt  die  Inschrift:  Divi  Thomae 
.\quinatis  Angelici  Doctoris  vera  effigies  Viterbii  asser- 
vata  ipsius  sancti  temporibus  exarata  eumque  naturaliter 
exprimens.  Es  ist  jedoch  auf  den  ersten  Blick  klar,  daß 
das  Origin.al,  welches  unsere  I-(eproduktion  wiedergibt, 
erst  der  neueren  Zeit  angehören  kann.  Die  Photographie 
für  die  Abbildung  verdanke  ich  Herrn  geistl.  Rat  D.Sachs. 
—  Die  Photographie  der  )5ilder  in  der  Dominikanerkirche 
zu  Regensburg  überließ  mir  für  diesen  Aufsatz  gütigst 
Herr  geistl.  Rat,  Rektor  Dr.  Schehz. 

<)  Auf  der  Abbildung  nicht  zu  ei  kennen.  Das  Original 
zeigt  einen  roten,  von  Lichtglanz  umgebenen  Stein. 


WANDGEMÄLDE  IN  DER  DOMINIKANERKIRCHE  ZU  REGENSBURG        271 


I.EONHARD  THOMA,  MÜNXHKK 


DIE  HL.  CACILIE 


Kirche  erleuchtete.  «■)  Er  svmboHsiert  die  Lehre 
und  die  Scliriften  des  Heiii.t^en.^) 

Der  Wert  des  Thomaszyklus  der  Regens- 
burger Dominikanerkirche  liegt  im  allgemeinen 

')  Bei  Kraus  Sauer,  Gesch.  d.  christl.  Kunst,  Freiburg, 
1908,  II,  157  ist  mit  Bezup;  auf  das  Thomasbild  von 
Benozzo  Gozzoli  im  Louvre  irriger  Weise  die  Rede  von 
einer  Hostie  auf  der  Brust  des  Heiligen.  Das  gleiche 
ist  der  Fall  bei  P.  W.  von  Keppler,  Aus  Kunst  und  Leben, 
Neue  Folge,  Freiburg  igo6,  S.  16. 

')  Nach  Antonius  von  Brescia  erläutert  der  hl.  Augu- 
stinus die  Gestalt  des  mit  ihm  erscheinenden  hl.  Tliomas 
in  folgender  Weise:  Ipse  enim  est  filius  meus,  qui  doc- 
trinam  .Vpostolicam  et  mcam  in  Omnibus  est  secutus  et 
ecclcsiani  Dei  sua  doctrina  illuminavit.  Qiiod  designant 
lapidcs  pretiosi  et  praccipue  lapis,  quem  gestat  in 
pectore,  qui  designat  intentionem  rcctam,  quam  ad 
defensionem  lidei  habuit  et  declarationc  ostcndit.  Q.ui 
lapides  pretiosi  et  praecipue  lapis  iste  libros  multos  et 
opcra  scripturae  suae,  quae  composuit,  significant,  quod 
mihi  in  gloria  est  aequalis,  excepto  quod  ipse  in  virgini- 
tatis  aureola  me  excedit.    Acta  SS.  Ic.  708  C. 


in  der  Seltenheit  ähnlicher,  auf  das  ganze  Leben 
des  hl.  Thomas  bezüglichen  Darstellungen. 
Für  die  rcgensburgische  und  bayerische  Kunst- 
geschichte macht  er  uns  mit  einem  Künstler 
bekannt,  der  sich  nicht  allzuhoch  über  die 
Stufe  handwerksmäßigen  Schaffens  erhebt,  aber 
iinmerhin  schätzenswerte  Ansätze  zu  richtiger 
Auffassung  und  Wiedergabe  von  Handlungen 
und  namentlich  zu  psychischem  Ausdruck  be- 
kundet. Wieweit  seine  Erfindungsgabe  reicht, 
vermag  nicht  entschieden  zu  werden,  da  wir 
nicht  wissen,  welche  Anhaltspunkte  ihm  für 
seine  Arbeit  zu  Gebote  standen.  Daß  er  die 
Neigung  besaß,  sich  seine  Arbeit  zu  erleichtern, 
zeigt  der  Jünglingstypus,  den  er  lediglich  in 
der  Farbe  geändert  zweimal,  auf  der  vierten 
und  sechsten  Darstellung,  wiedergibt.  Die  Per- 
son des  Malers  ist  einstweilen  in  völliges  Dunkel 
gehüllt. 


ö^  AUSSTELLUNG  VON  WERKEN  DER  PILOTYSCHULE  !^öa 


AUSSTELLUNG  VON  WERKEN 
DER  PILOTYSCHULE 

in    der    Galerie    Heinemann  (München) 

Noch  mehr  als  die  seinerzeitige  Ausstellung 
von  Werken  der  Diez-Schule  bedeutet 
diese  an  Pilotys  Namen  sich  anknüpfende 
künstlerische  Rundschau  aus  seinem  und 
seiner  Schüler  Wirkungskreis  ein  Ereignis. 
Wir  haben  uns  im  Jagen  und  Drängen  neu- 
zeitlichen KunstschaiTens  angewöhnt,  die  Alt- 
münchner Schultraditionen  entweder  zu  ver- 
gessen, oder  sie  als  wenig  wertvoll  anzu- 
sehen, hauptsachlich  deshalb,  weil  mit  Pilotj- 
jene  Historienmalerei  verknüpft  ist,  die  von 
Belgien  ihren  Ausgangspunkt  nahm,  und  all- 
mählich jene  theatralische  Haltung  sich  an- 
eignete, die  mit  dem  wirklichen  Leben  im 
Widerspruch  stand.  Betrachten  wir  nun 
ganz  vorurteilslos  die  Werke  jener  Zeit,  die 
mit  Mühe  und  großen  Opfern  aus  Galerien 
und  Privatbesitz  zusammengebracht  wurden, 
so  erkennen  wir  bald,  daß  es  nicht  das  Thema 
oder  der  stoffliche  Inhalt  war,  was  das  da- 
malige   kunstbegeisterte     jungmünchcn     zur 


OrrO  RICHTER 
BERLIN'   0  0  0  0 


DER  ZWÖLFJÄHRIGE 
JESUS  IM  TEMPEL    o 


Piloty-Schule  drängte,  sondern  der  innere  Wert 
der  Malerei,  das  positive  Können,  die  mal- 
technischen Errungenschaften,  welche  Piloty 
seinen  Schülern  zu  übermitteln  vermochte, 
kurz,  die  künstlerische  Anregung  nach  jeder 
Richtung.  Das  Wertvollste  der  pädagogischen 
Methode  Pilotys  war  die  vollkommene  Wah- 
rung der  persönlichen  Eigenart  des  Schaffen- 
den und  wir  haben  weder  vorher,  noch 
nachher  an  der  Münchner  Akademie  eine 
solch  große  Anzahl  grundverschiedener  Künst- 
lernaturen zu  verzeichnen,  wie  sie  in  der 
Piloty-Schule  sich  entfalten  konnten.  Man 
mag  sich  auch  keine  größeren  Gegensätze 
denken  als  etwa,  um  nur  ein  paar  Namen 
zu  nennen,  Leibl  und  Makart,  Habermann 
und  Grützner,  Gabriel  Max  und  Oberländer, 
Lenbach  und  Alex,  von  Wagner  usw. 

Piloty  verstand  es  eben,  wie  dies  die  noch 
lebenden  Künstler  aus  seiner  Schule  stets 
betonen,  auf  die  Ideen  und  Gedanken  der 
Schüler  einzugehen  und  ihrer  Neigung  ent- 
sprechend, die  ihnen  gemäße  Bahn  zu  weisen. 
Vor  allem  aber  legte  der  Lehrer  das  größte 
Gewicht  auf  das  Handwerk  der  Malerei  selbst 
und  wir  sehen  auch  in  dem  reichen  Material 
Dinge,  die  von  solch  vorzüglicher  Qualität 
der  Malerei  sind,  daß  sie  ruhig  den  Vergleich 
mit  manch  großem  altem  Meister  aushalten 
können.  Um  gleich  einen  der  interessan- 
testen und  genialsten,  leider  vergessenen 
und  verschollenen  Künstler  herauszugreifen, 
nennen  wir  Jul.  Berger,  dessen  Studien  aus 
Wohnräumen  und  Ateliers,  von  Landhäusern, 
Akten  und  Bildnissen  von  ungemein  feinem 
Schmelz  der  Farbe  und  Duft  der  Technik 
sind,  wie  wir  dies  etwa  bei  den  besten  Fran- 
zosen oder  Holländern  kaum  wiederfinden. 
Ski/zen  und  Studien  wie  sie  Sziny ei-Merse- 
Pal  in  den  sechziger  und  Anfang  siebziger 
Jahren  schuf,  glaubt  man  auf  den  ersten 
Blick  für  eine  Unmöglichkeit.  Ein  :  Idyll«, 
eine  »Gartenszene«,  der  »Spaziergang«,  vor 
allem  aber  das  ^  Picknick«  sind  Perlen  einzig- 
artiger Farbensymphonien,  zu  denen  man 
Parallelen  unter  den  jetzt  lebenden  Künstlern 
schwer  finden   wird. 

Sind  solche  Talente  allerdings  selten,  so 
erfreuen  wieder  andere,  weniger  starke  Na- 
turen durch  ihr  gediegenes  Können,  das  auch 
ein  Minderbegabter  in  Ausdauer  und  Fleiß 
erreichen  konnte,  indem  er  sich  eng  an  die 
Schultradition  anschloß.  Gerade  das,  was 
noch  \iel  früher  zurückliegenden  Zeiten  ein 
einheitliches  Kulturgepräge  gab  und  in  den 
letzten  Ausläufern  der  Münchner  Schule  der 
siebziger  und  achtziger  Jahre  noch  einen 
starken  Abglanz  verlieh,  fehlt  unserer  moder- 


273 


Ol«  chrisUlche  Kunst      V.     9. 


274 


ö^  AUSSTELLUNG  VON  WERKEN  DER  PILOTY-SCHULE  ^?;i 


DER  BARMHERZIGE  SAMARITAN 


nen,  stets  nach  neuen  Problemen  jagenden 
Zeit  vollständig.  Nur  auf  diese  Weise  des 
Anschlusses  konnten  Maler  wie  Alhert  und 
Max  Adamo,  E.  Correns,  Ad.  Eherle, 
Joseph  Flüggen,  Johann  Herterich, 
Toby  Rosenthal  und  nuch  \ielc  andere 
ganz  beachtenswerte  Leistungen  zustande 
bringen.  Ferner  konnten  manche  Talente 
sich  an  fremdelndividualitäten  so  anschmiegen, 
daß  sie  vollständig  eine  eigene  Art  zu  unter^ 
drücken  imstande  waren,  oder  diese  nur 
kaum  merklich  mitsprechen  ließen.  Ein  Genie 
allerdings  wird  stets  gegen  fremde  Kunst 
Stellung  nehmen,  sie  gleichsam  hassen  und 
mit  allen  Mitteln  darnach  trachten,  nur  Ei- 
genes, Erlebtes  und  Selbstgeschautes  in 
eigner,  ihm  allein  gehörender  Formensprache 
zum  Ausdruck  zu  bringen.  Vor  allem  er- 
kennt man  gleich  als  solche  Kraftnatur 
schon  in  den  ersten  Stadien  r'er  Entwicklung 
Franz  von  Lenbach.  Wir  können  von 
ilim  ein  Knabenporträt,  einen  Bauernkopf, 
das  wundervolle  Bildnis  Herrn  von  Lipharts 
bewundern,  dann  aber  das  großzügige  Bildnis 


Pilotys  selbst,  das  schon  alle  Eigenschaften 
enthält,  wodurch  Lenbach  später  in  seiner 
volleren  Entwicklung  so  große  Bedeutung 
erlangte. 

Von  Wilhelm  Leibl  sind  nur  einige  Proben 
seines  Könnens  ausgestellt,  ein  Frauen-  und 
ein  Mädchenkopf  von  1862  und  das  eminent 
gemalte  Prolilbildnis  eines  Herrn  mit  Brille. 
Freier  ist  Leibl  wohl  später  nie  gewesen,  als 
in  diesem  breit  hingestrichenen  Bildnis.  — 
Reichhaltiger  ist  Hans  Makart  vertreten, 
und  wenn  wir  heute  auch  etwas  fremder 
dieser  eigentlich  seelenlosen  Kunst  gegen- 
überstehen, erstaunlich  bleibt  es  dennoch, 
welche  Farbenglut  und  welchen  Schmelz  des 
Materials  der  Frühverstorbene  mit  leichtem 
Pinsel  hinzauberte,  der  gleich  dem  zarten 
Windhauche,  der  die  Blüten  des  Frühlings 
berührt,  nur  eben  über  die  Leinwandfläche 
hinglitt.  Von  solch  feinem  Duft  sind:  die 
hellzitronfarbige  Skizze  zum  Sommernachts- 
traum, dann  die  beiden  Damen  mit  Hund, 
die  Siesta  am  Hofe  der  Medici,  die  Skizze 
zur  Papstwahl.    In  anderen  Entwürfen  ist  er 


275 


?i* 


276 


e^  AUSSTELLUNG  VON  WERKEN  DER  PILOTY-SCHULE  S^Q 


OTTO  RICHTER,   BERLIN 


AUFERSTEHUNG 


kräftiger,  bis  er  seine  Farben  zum  rauschenden 
Prunke  steigert,  die  Orgien  von  Farbenakkor- 
den bedeuten.  Wird  uns  Makart  gerade  der 
Farbe  wegen  nie  gleichgültig  sein,  so  stehen 
wir  den  ahnlichen  Kompositionen  mit  Bühnen- 
wirkung von  Alexander  von  Liezenmayer 
viel  fremder  gegenüber.  Recht  sinnig  ist  die 
heilige  Elisabeth  aufgefaßt,  wie  sie  Abschied 
von  ihren  Eltern  nimmt,  ferner  von  technisch 
hervorragender  Qualität  das  Bildnis  des  Grafen 
Pocci  von    1875. 

Was  N.  Gysis  und  Haber  mann  Tüch- 
tiges gekonnt  haben,  geht  gleichfalls  aus  dem 
reichen  Studienmaterial  hervor.  Ersteren, 
einen  der  feinsinnigsten  Künstler  letztver- 
gangener Zeit,  sieht  man  in  geistreichen  Kom- 
positionen, die  allerdings  schon  bekannt  sind, 
und  in  einigen  sanfitonigen  Bildern,  und  bei 
Hugo  von  Habermann  bedauert  man  ange- 
sichts seiner  früheren  Glanzleistungen,  daß 
er  alte,  gute  Bahnen  verlassen  und  sich  zu 
stark  zeitgenössischen  ausländischen  Einflüs- 
sen unterworfen  hat.  Einige  Studienköpfe 
sind  von  einer  souveränen  meisterlichen  Durch- 


arbeitung und  verraten  neben  aller  Schul- 
tradition eine  Selbständigkeit,  die  damals  in 
den  siebziger  Jahren  wenige  besaßen.  —  Ihm 
an  Kraft  kommt  William  Chease  sehr 
nahe.  Von  diesem  Künstler  sind  nur  Bild- 
nisse zu  sehen,  aber  alle  von  gleich  frischer 
Auffassung  und  Technik,  so  daß  man  glauben 
möchte,  jedes  Stück  müsse  in  einem  Tag,  in 
einem  Zuge  vollendet  worden   sein. 

Über  Franz  von  Defregger  ist  es  wohl 
überflüssig.  Neues  zu  berichten.  Ganz  ver- 
traut sind  uns  von  früheren  retrospektiven 
Ausstellungen  her  die  bekannten  Meister- 
leistungen, die  in  ihrer  Tonschönheit  ihres- 
gleichen suchen.  Denkt  man  allein  nur  beim 
Anblick  der  weiblichen  Halbakte,  wie  sie 
Defregger  auffaßte  und  malte,  an  unsere 
heutigen  Produkte,  welche  in  großen  Aus- 
stellungen und  Kunstvereinen  in  Masse  uns 
entgegentreten,  so  überschleicht  wohl  jeden 
das  Getühl  der  Mißstimmung,  weil  alles  so 
roh,  brutal  und  kulturlos  geworden.  Abge- 
sehen von  der  phänomenalen  Fleischmalerei, 
wie  sie  Defregger  zeigte,  begegnet  uns  heute 
selten  mehr  ein  weiblicher  Akt,  der  so  dezent 
aufgefaßt  wurde,  wie  dieser  kernige  Tiroler 
Meister  es  verstand,  dem  die  Tvpen  seiner 
Heimat  am  nächsten  lagen.  Von  dem  Lands- 
mann Defreggers,  dem  reich  begabten,  aber 
ungleich  gearteten  AI.  Gabi  sind  einige 
ganz  besonders  tüchtige  Leistungen  zu  ver- 
zeichnen. Ein  >Knabenkopf«  könnte  eben- 
sogut Leibl  zum  Urheber  haben,  so  trefllich 
ist  er  nach  jeder  Richtung  hin  durchgeführt. 
Ahnliche  Vorzüge  weisen  dann  ferner  die 
Studien  auf  von  Graf  An  gelo  von  Courten, 
Ferd-  Barth,  P.  Bau  m  gart  n  e  r,  W.  von 
C  z  a  c  h  o  r  s  k  i ,  E.  Hofmeister,  H  e  r  m . 
Kaulbach,  Hugo  Ko  tsche  n  reiter,  L. 
von  L  a  n  g e  n  m  a n  t  e  1 ,  Rudolf  und  Otto 
Seitz,  The  od.  Schuez,  Alex,  von 
W  a  g  n  e  r. 

Eduard  Grützner  steuerte  einige  feine 
Interieurstudien  bei,  unter  denen  besonders 
das  so  oft  schon  gemalte  »Stadtarchiv  in 
Hall«  sich  am  wirkungsvollsten  darbietet.  — 
Marcus  Grönvoldistu.  a.  vorzüglich  ver- 
treten durch  den  virtuos  behandelten  Abt- 
stuhl im  Kloster  Maulbronn,  Otto  Gebier 
durch  einige  im  altmeisterlichem  Ton  ge- 
haltene Tierstudien,  Otto  Faber  du  Faur, 
der  brillante  Schilderer  militärischer  Szenen, 
mit  zwei  gediegenen  Werken  »Schwere  Ar- 
beit« und  »Rast«.  Recht  interessant  ist  es, 
darauf  aufmerksam  zu  machen,  mit  welch 
sicheren  Mitteln  ein  Virtuose  der  Malerei  wie 
Gyula  von  Benczur  seine  Studienköpfe 
heruntermalte,   oder  wie  Carl  Gussow,   der 


R;^  KUNSTAUSSTELLUNGEN  DÜSSELDORF  1909  ^^ö 


277 


HERMAW  JOACH.  PAGELS,   BERLIN" 


juniiii 


in  gleichem  Fahrwasser,  aber  mit  mehr  deut- 
scher SchwerfäUigkeit  seinen  Realitätssinn 
offenbarte. 

Bei  Gabriel  von  Hackl  kommt  die  Art 
der  Piloty-Schule  trotz  dem  Eigenwillen  des 
Meisters  ebenso  klar  zum  Ausdruck  wie  bei 
Matthias  Schmid,  insbesondere  in  seinen 
Erstlingsbildern,  die  von  erstaunlicher  Frische 
und  Kraft  des  Kolorits  sind.  Bei  Hackl  sind 
die  bedeutendsten  Arbeiten  ^Reveille«  (1885), 
»TirolerStube '.,  >.TirolerKüches,  »Ungebetene 
Gäste  :,  bei  Schmid  die  berühmt  gewordenen 
»Karrenzieher',  Einzug  der  Missionare  :  und 
der  sonstigen  Studien,  die  bei  Anlaß  des  70.  Ge- 
burtstages des  Künstlers  im  Kunstvercin  all- 
seitige Bewunderung  erweckten. 

An  den  unvergeßlichen  humorvollen  Schil- 
dererbäuerlichen Genres  Ed.  Kurzbauer  wird 
man  durch  eine  Kollektion  seiner  Bilder  er- 
innert. Kurzbauer  ist  ein  Künstler,  dem  nicht 
das  Gegenständliche  die  Hauptsache  war,  son- 
dern der  in  geschmackvollster  Weise  alle  seine 
Darstellungen  unter  dem  Gesichtspunkte  einer 
malerischen  und  zeichnerischen  Auffassung 
stellte.  Die  Reihe  der  großen  und  talentvollen 
Schüler  ist  mit  den  vorgenannten  nicht  er- 
schöpft, die  Ausstellung  birgt  noch  vieles,  das 


gewürdigt  zu  werden  verdient,  wie  die  an  die 
alten  Niederländer  erinnernden  Bilder  Ad. 
Obe'rländers,  die  seelenvollen  F'rauenköpfe 
von  Gabriel  Max,  die  brillanten  Bildnisse 
Gabriel  Schaching'ers,  die  Landschafts- 
studien Karl  Raupps,  Joseph  Woptncrs, 
Ed.  Youngs  usw.  Es  sei  nur  so  viel  gesagt, 
daß  durch  persönliches  Anschauen  und  Ge- 
nießen dem  Kunstfreunde  große  Anregungen 
und  Freuden  vermittelt  werden,  von  einerglän- 
zenden Epoche  in  Münchens  Kunstleben,  die 
mit  dem  Namen  Piloty  aufs  engste  verknüpft  ist. 

Franz  Wolter 

GROSSE  KUNSTAUSSTELLUNGEN 
DÜSSELDORF  1909 

des  Ausschusses  der  Ausstellung  für  eil  ristlichc 
Kunst  e.V.  und  des  Vereins  zur  Vcranst.iltung 
von  Kunstausstellungen  c.  V.  unter  dem  Protek- 
torate Seiner  Kaiserlichen  und  Königlichen 
Hoheit  des  Kronprinzen  des  Deutschen  Reiches 
und  von  Preußen  im  Städtischen  Kunstpalast 
am  KaiserWilhelni-Park 

Anfang  Mai  1909 
\Jl^ic  aus  der  vorstehenden  Bezeichnung  der  großen 
'  '  Sommerdarbietung  1909  ersichtlich,  h.u  eine  Ver- 
einigung der  .Misichten  des  Ausschusses  der  Ausstellung 
für  christliche  Kunst  und  des  Vereins  zur  Veranstaltung 


©^  KUNSTAUSSTELLUNGEN  DUSSELDORF  1909  m<?, 


RICHARD   KAISER,  MÜNCHEX 


AUFZIEH  EXDES  GEWITTER 


von  Kunstausstellungen  hinsichtlich  der  Benützung  des 
Kunstpalastes  auf  dem  Rheingelande  am  Kaiser  Wilhelm- 
Platz  stattgefunden.  Diese  Vereinigung  bedeutet  aber 
l;eines\vegs  ein  Aufgehen  der  Ausstellung  für  christliche 
Kunst  in  einer  allgemeinen  Kunstausstellung.  Vielmehr 
finden  die  beiden  Ausstellungen  unter  durchaus  getrennter 
Verwaltung  statt;  die  beiden  Verwaltungen  treten  aber 
überall  miteinander  in  Verbindung,  wo  es  das  Interesse 
der  Veranstaltungen  erfordert  oder  nahe  legt.  Beide 
Kunstausstellungen  haben  ein  gemeinsames  Plakat,  das 
nun  wohl  in  beschleunigter  Eile  allwärts  sich  präsentieren 
und  seine  bescheidene  Stimme  eindringlich  genug  er- 
heben wird,  um  die  vielen  Wege,  die  aus  aller  Welt 
nach  Düsseldorf  führen,  in  den  Sommermonaten  und 
Herbstmonaten  so  zu  bevölkern,  wie  es  der  Bedeutung 
der  Ausstellungen  entsprechen  würde.  Es  wird  auch  eine 
gemeinsaiue  Dauerkarte  für  beide  Ausstellungen  (a  5  M. 
für  eine  erwachsene,  2  M.  für  eine  ininderjährige  Person) 
ausgegeben,  daneben  aber  auch  Dauerkarten  für  eine  der 
beiden  Ausstellungen  (ä  4  M.);  um  Auswärtigen,  die 
nur  für  kurze  Zeit  oder  nur  bisweilen  nach  Düsseldorf 
kommen  können,  den  Besuch  der  Ausstellungen  zu  er- 
leichtern, werden  für  Auswärtige  Dauerkarten  zu  ermäßig- 
tem Preise  ausgegeben  (ä  5  M.);  der  Eintrittspreis  für 
den  einmaligen  Besuch  beträgt  für  beide  Autstellungen 
zusammen  i  M.,  für  jede  besonders  75  Pfg.  Gemein- 
scliaftlich  sorgen  beide  Verwaltungen  für  Veranstaltung 
von  Konzerten  an  mehreren  Tagen  der  Woche.  Gemein- 
schaftlich ist  endlich  auch  der  Eingang  zu  den  beiden 
Ausstellungen  durch  das  Hauptportal  des  Kunstpalastes. 
Im  Innern  der  großen  Rotonde  scheiden  sich  die  Wege; 
die  Stufen  zur  Linken  führen  zur  Ausstellung  für  christ- 


liche Kunst,  die  zur  Rechten  zu  der  Allgemeinen  Aus- 
stellung, die  nicht  ganz  mit  Recht  als  » profane  i  bezeich- 
net zu  werden  pflegt,  da  sie  doch  auch  Werke  christlicher 
Kunst  zuläßt  und  auch  tatsächlich  zur  Schau  bringen 
wird  und  zwar  keineswegs  etwa  solche,  die  die  andere 
Verwaltung  abgelehnt  hätte.  Die  Verschiedenheit  des 
Gesamtcharakters  der  beiden  Ausstellungen  hat  die  Leitung 
der  Vorarbeiten  in  unzweifelhaft  bester  Absicht,  die  aber, 
wie  so  viele  beste  Absichten,  nicht  überall  das  ganz 
Richtige  trifft,  schon  äußerlich  in  der  Ausstattung  der 
beiden  Eingangspforten  kennzeichnen  wollen.  Auf  der 
Rotondenseite  der  Ausstellung  für  christliche  Kunst  ist 
Schv^'arz  mit  Gold  gehöht  der  Grundton  und  soll  nicht 
nur  den  Ernst  der  christlichen  Kunst  versinnbildlichen, 
sondern  auch  gleich  von  vorneherein  eine  ernste  Stimmung 
bei  dem  Besucher  hervorrufen.  Gegenüber  herrschen 
fröhliche  und  lichtvolle  Töne.  Es  würde  nun  aber  doch 
ein  recht  falscher  Schluß  sein,  wenn  jemand  daraus 
sciiließen  wollte  oder  sollte,  der  christlichen  Kunst  seien 
fröhliche  und  lichtvolle  Töne  fremd ;  sie  sei  etwas  Trüb- 
seliges oder  gar  Kopfhängerisches ;  das  sind  die  echten 
christlichen  Künstler  nicht  gewesen,  die  auf  solchen  Wegen 
christliche  Kunst  zu  pflegen  wähnten.  »Dienet  dem  Herrn 
in  Fröhlichkeit!«  das  gilt  auch  dem  christlichen  Künstler. 
Ebensowenig  schließt  die  profane  Kunst  den  höchsten 
Ernst  aus,  und  die  Ausstellung  wird  in  mehr  als  einer 
Darbietung  das  beweisen.  Doch  dies  nur  nebenher. 
Auch  die  Räume  der  Ausstellung  für  christliche  Kunst 
haben  nur  in  den  ersten  Teilen  den  schwarzen  Grund- 
ton ;  schnell  folgen  andere  Töne  und  Dekorationen,  von 
deren  Beachtung  der  Besucher 'sich  durch  die  ausge- 
stellten Werke  nicht  allzusehr  abziehen  lassen  sollte.  Auch 


©^  KUNSTAUSSTELLUNGEN  DÜSSELDORF  1909  »^:a 


279 


in  der  anderen  Ausstellung  verdient  die  Ausstattung  der 
Räume,  um  die  sich  vor  allem  unser  Meister  des  Inte- 
rieurs, Heinr.  Hermanns,  verdient  gemacht  hat,  die 
höchste  Beachtung. 

Die  Veranstaltung  der  Ausstellung  für  christliche 
Kunst  ist  nicht  ein  akademischer  Hinfall,  sondern  eine 
Folge  der  Erkenntnis,  dass  etwas  eminent  Wirksatncs 
geschehen  müsse,  um  die  beteiligten  Kreise,  Künstlcr- 
kreise  sowohl  wie  Geistlichkeit  und  Laienwelt,  von  Ab- 
wegen und  Irrwegen,  die  bereits  eingeschlagen  sind,  und 
Festigkeit  zu  bekommen  drohen,  zurückzuführen,  zu- 
gleich aber  auch  die  wahren  Wege  christliclier  Kunst 
festhalten  und  Hand  in  Hand  mit  allem  echten  Fortschritt 
ausgestalten  zu  helfen.  Dem  Festhalten  der  Errungen- 
schaften des  christlichen  Kunstbetriebes  in  den  ver- 
gangenen Jahrhunderten  will  die  Ausstellung  durch 
ihren  retrospektiven  Teil  dienen.  Es  konnte  dem  Kunst- 
ausschusse nicht  in  den  Sinn  kommen,  einen  zeitlich, 
räumlich  und  sachlich  ganz  umfassenden  Rückblick  zu 
eröffnen.  Lag  doch  die  Ausstellung  von  1902  und  ihre 
ergänzenden  Nachfolgerinnen  von  1404  und  1907  noch 
zu  nahe,  und  ist  die  Festlegung  dessen,  was  sie  boten, 
doch  zu  sorgsam  und  umfassend  geschehen,  um  jetzt 
schon  eine  Wiederholung  für  das  Mittelalter  und  dessen 
Wende  bis  zum  Ausgange  des  16.  Jahrhunderts  ange- 
messen erscheinen  zu  lassen.  Beim 
17.  Jahrhundert  machten  jene  Aus- 
stellungen halt.  Von  der  folgen- 
den Zeit  kann  man  sagen,  daß  sie 
hinsichtlich  der  christlichen  Kunst 
ebenso  reich,  als  der  heutigen  Welt 
im  allgemeinen  unbekannt  ist.  I;s 
ist  noch  wie  gegenwärtig,  daß  der 
> Kunstverständiget  mit  dem  sinn- 
vollen Worte  >Zopfi  sich,  die  Augen 
verschließend,  abwandte,  wenn  ihn 
sein  Weg  vor  oder  in  eine  Kirche 
fülirte,  die  nicht  romanisch  oder 
gotisch  war.  Es  ist  noch  wie  gegen- 
wärtig, daß  von  »kunstsinnigen« 
Pfarrern,  Kirchenvorständen  usw.  die 
prächtigsten  Arbeiten  der  Barock- 
undKokokozeit  aus  den  Kirchen,  von 
den  Altarschranken,  den  Ürgelbüh- 
nen  weggerissen  und  wie  Brenn 
holz  in  einen  Winkel  zusammengc- 
häuft  oder  an  einen  herum/ielun- 
den  .-\ntiquitätensucher  verkauft  wur- 
den, um  dann  im  Korridor  oder  im 
Salon  eines  minder  beengten  Geistes 
bessere  Wertschätzung  zu  finden,  j.i, 
es  ist  noch  gegenwärtig,  daß  wo  d.is 
Auge  der  aul'sichtfülirendcn  geist- 
lichen oder  weltlichen  Behörde  ein- 
mal schlummert,  kostbare  romani- 
sche und  gotische  und  spätere  Werke, 
weggetauscht  gegen  die  unglaub- 
lichsten handwerksmäßigen  Fabri- 
kate und  statuarische  Zuckerbäcke 
reien,  wie  sie  der  gewandtredende 
Fabriksreisende  aufschwatzt,  die 
nämlichen  Wege  gehen.  Und  nun 
erst  die  malerische  Innendekoration  ! 
Es  liegt  dringende  Notwendigkeit 
vor,  daß  da  Wandel  geschatfen  werde 
und  bessere  Wege  der  Misere  ein 
Ende  machen. 

Die  Werke  christlicher  Kunst  au-. 
dem  17.  und  1  S.Jahrhundert  können 
aus  mancherlei  Gründen  nur  in  ver- 
hältnismäßig wenigen  F.inzelobjek- 
ten  gezeigt  werden.     L'nter  diesen       k.\ki.  I'KIN/,  wiek 


sind  aber  auch  vorherrschend  Gegenstände  allerersten 
Ranges,  teilweise  solclie,  die  noch  nie  zu  einer  Ausstel- 
lung hergegeben  worden  sind.  Ein  besonders  großer 
Reichtum  wertvoller  und  niegezeigter  Kunstwerke  wird 
aus  üsterreicli  kommen,  aus  dessen  reichen  Klöstern, 
Stiftern  und  Städten,  aus  seinen  Museen,  der  Albertina 
und  vom  Hofe;  auch  die  Galerie  Liechtenstein  hat  Perlen 
ilirer  Sanmilung  zur  Verfügung  gestellt.  Die  Museen 
und  der  Privatbesitz,  namentlich  des  Adels,  in  Rhein- 
land und  Westfalen  werden  es  natürlich  auch  nicht  an 
sich  fehlen  lassen.  Im  19.  Jalirhundert  treten  die  Naza- 
rener  an  die  Spitze,  Overljeck,  Veit,  Cornelius,  dann 
die  Düsseldorfer  Maler  der  St.  Apollinariskirche  bei  Re- 
magen, Deger,  Karl  und  Andreas  Müller  und  ihre  Freunde 
und  Nachfolger  bis  in  das  20.  Jahrhundert  hinein  Aber 
auch  an  den  Malereien  christlicher  Art  der  Künstler,  die 
der  Riclnung  der  Nazarener  fremd  oder  auch  gegensätz- 
lich gegenüberstanden,  wird  es  nicht  fehlen;  die  bedeu- 
tendsten Namen  werden  mit  den  bedeutendsten  Werken 
vertreten  sein. 

Eine  eigenartige  abgeschlossene  kleine  Gruppe  wird 
die  Schule  von  Beuron  bilden.  So  reiht  sich  an  die 
retrospektive  Ausstellung  wie  von  selber  und  unver- 
merkt die  christliche  Malerei  und  bildende  Kunst  der 
Gegenwart  an,  zu  der  bereits  Namen  wie  Eduard  von 


BAUERNHAUS  IN  SI'AKBACII 


28o 


C^«  KUNSTAUSSTELLUNGEN  DUSSELDORF  1909  mo, 


Gebhardt  durchaus  geieclinet  werden  müssen.  Es  folgen 
die  Säle  der  Düsseldorfer  Künstler,  darunter  der  Saal 
jener  neuen  Gruppe  Düsseldorfer  christlicher  Kunstler, 
von  der  bereits  im  vorigen  Hefte  der  Zeitschrift")  die 
Rede  war.  Dann  folgt  die  Dresdner  »Zunft",  dann 
die  Säle  der  Münchner,  deren  Anordnung  die  Gesell- 
scliaft  für  christUche  Kunst  zu  München  übernommen 
hat,  dann  Hannover,  Aachen  usw.  Die  Vertretung  des 
Kunsthandwerkes  hat  sich  der  Semperbund  besonders 
angelegen  sein  lassen.  In  Vertretung  des  Auslandes 
folgt  zunächst  Frankreich,  von  dem  die  Ausstellung  mit 
ganz  besonders  hervorragenden  Werken  der  Malerei 
und  Plastik  beschickt  wird ;  dann  in  dem  großen  Saale, 
der  in  zahlreiche  kleine  Abieilungen  zerschnitten  ist, 
das  übrige  Ausland,  Belgier,  Holländer,  Engländer,  Skan- 
dinavier und  wahrscheinHch  auch  einige  russische  Werke. 
Zahlreiclie  Einbauten  veranschaulichen  die  Richtungen, 
die  in  großer  Verschiedenheit  die  heutige  kirchliche 
Architektur  einschlägt.  Was  die  Kapellen  und  Kirchen- 
teile darzustellen  nicht  vermögen  bei  der  Beengung 
des  Raumes,  ist  durch  Pläne,  Zeichnungen,  malerische 
Darstellungen,  Photograpbien  in  Aufbau  und  Wirkung 
gezeigt,  hn  unmittelbaren  .Anschluß  an  den  Kunstpalast 
ist  eine  ganze  Friedhofsanlage  in  künstlerischer  einfacher 
Umschließung  hergestellt,  die  mit  Grabmälern  und  gärt- 
nerischem Schmuck  ausgestattet  erscheinen  soll,  für  die 
man  aber  auch  eine  Urnenhalle  als  zuläßig  angesehen 
hat.  Die  Grabplastik,  die  in  der  Friedhofsanlage  keinen 
Raum  findet,  wird  in  dem  sogenannten  Ehrenhofe  auf- 
gestellt. Die  sonstigen  plastischen  Werke  sind  vorherr- 
schend so  in  die  einzelnen  Säle  und  Einbauten  verteilt, 
daß  sie  selber  bestens  zur  Geltung  kommen  und  zu- 
gleich die  Räume  zu  verschönern  und  zu  bereichern 
Gelegenlieit  haben.  In  den  oberen  Räumen  werden 
architektonische  Entwürfe  und  Reproduktionen  ausge- 
stellt werden.  Diese  Abteilung  soll  besonders  auch  dem 
bürgerliclien  Hause  dienen,  das  auf  kostspielige  Originale 
verzichten  muß.  Zu  dem  Zwecke  sind  zahlreiche  Re- 
produktionen usw.  in  Glas  und  Rahmen  und  mit  Preis- 
angabe aufgereiht ;  man  wird  leicht  sehen,  daß  das 
cliristliche  Haus  nicht  zu  dem  billigen  Schund  mancher 
Schaufensterauslagen  und  noch  weniger  zu  dem  noch 
erbärmlicheren  —  wenn  auch  fromme  und  biblische 
Dinge  darstellenden  —  Schund  der  aufdringlichen  Kol- 
porteure zu  greifen  braucht,  um  ihr  Heim  als  ein  christ- 
liches zu  kennzeichnen.  Das  Volk  kann  sich  dort  mit 
den  Werken  selber  bekannt  machen,  aber  auch  mit  den 
Wegen,  aut  denen  es  sicher  in  den  Besitz  würdigen 
Wandschmuckes  gelangen  kann. 

Für  die  Zulassung  von  Künstlern  und  Werken  zu  der 
christliclien  Kunstausstellung  mußten,  damit  nicht  Aus- 
schreitungen das  Echte  überwucherten,  gewisse  Grenzen 
eingehalten  werden;  aber,  wenn  die  Ausstellung  zu  wirk- 
lichem Fortschritte  der  christlichen  Kunst  luhren  wollte, 
dann  durften  diese  Grenzen  nicht  zu  enge  gezogen  werden  ; 
weder  Herkömmlichkeiten  noch  persönliches  Urteil  — 
gar  zu  leicht  Vorurteil  —  durften  übereilte  Entscheidungen 
herbeiführen.  Es  gehört  zum  Wesen  der  christlichen 
Kunst,  wie  des  Christentums,  an  jeglichem  menschlichen 
Fortschritt  tätigen  .\nteil  zu  nehmen  und  jeglichen  mensch- 
lichen Fortschritt  auch  der  eignen  Entwicklung  dienst- 
bar zu  machen,  soweit  er  dazu  föiderlich  sein  kann. 
Und  wenn  nun  gar  auf  dem  Boden  der  christlichen  Kunst 
vermeintlich  oder  selbst  angeblich  Abweichungen  vom 
Bisherigen  als  Fortschritte  präsentiert  und  in  weiteren 
Kreisen  anerkannt  werden,  so  müßte,  wenn  alles  übrige 
verwerflich  wäre,  das  einzige  Körnlein  des  Richtigen 
gerechte  Würdigung  und  Verwertung  hnden.  Bei  aller 
Maßhaltung  wird  daher  ganz  gewiß  manche  Einzelleistung 
erscheinen,  die  mancher  mindestens  bedenklich  nennen 
wird,  das  eine  oder  andere  vielleicht  gar   von  der  Art, 

■)  Heft  8,  Seite  256. 


daß  es  schwer  sein  würde,  seine  Gegenwart  in  einer 
Ausstellung  für  christliche  Kunst  zu  rechtfertigen.  Es 
handelt  sich  aber  bei  der  diesmaligen  Ausstellung  nicht 
so  sehr  um  die  Frage,  ob  ein  Werk  gerade  ein  eminent 
christliches  sei  und  von  jedermann  als  solches  erkannt 
und  anerkannt  werde,  als  vielmehr  um  die  Frage,  ob 
und  wieweit  ein  Werk  der  weiteren  Entwicklung  echt 
christlicher  Kunst  in  der  einen  oder  anderen  Richtung 
förderlich  sein  könne.  Kann  es  zugleich  als  hervorragendes 
Vorbild  christlicher  Kunstbetätigung  emporgehoben  wer- 
den, umso  besser,  und  es  ist  Grund  zu  hoffen,  daß  die 
.\usstellung  viele  derartige  Werke  zeigen  wird ;  kann  es 
das  nicht,  so  haben  die  Künstler,  die  Kunstgelehrten, 
die  Kritik  der  öffentlichen  Meinung  zuzusehen,  was  Gutes 
etwa  daran  sei.  Es  kommt  hinzu,  daß  die  Ausstellung 
eine  interkonfessionelle  sein  soll  und  werden  wird,  nicht 
in  dem  Sinne  etwa,  daß  nur  solches  zugelassen  werde, 
was  sich  auf  dem  den  Konfessionen  gemeinsamen  Boden 
bewege,  sondern  in  dem  Sinne,  daß  die  verschiedenen 
christlichen  Konl'essionen  ganz  unbehindert  zeigen  können, 
in  welchem  Maße,  in  welchen  Formen,  mit  welchen  Ab- 
sichten sie  an  der  Förderung  und  Weiterentwicklung 
der  christlichen  Kunst  mittätig  zu  sein  für  geeignet  halten. 
Die  Verwirklichung  dieses  Gedankens  in  gemeinsamer 
Arbeit  wird  manche  Schwierigkeit  finden,  und  vielfach 
wird  ideale  Selbstverleugnung  nötig  sein;  am  guten 
Willen  wird  das  meiste  liegen.  Wie  es  aber  auch  kommen 
mag,  das  Gesamte  der  Ausstellung  läßt  sich  bereits  ge- 
nugsam übersehen,  um  sagen  zu  können,  daß  sie  geeignet 
ist,  einen  Merkstein  in  der  Geschichte  der  Entwicklung 
der  christlichen  Kunst  und  insbesondere  für  ihre  Weiter- 
gestaltung im  20  Jahrhundert  zu  bilden. 

Die  Ausstellung  des  Vereins  zur  Veranstaltung  von 
Kunstwerken  im  südlichen  Teile  des  Kunstpalastes  wird 
es  sich  zur  wesentlichen  Aufgabe  machen,  den  jetzigen 
Stand  der  Düsseldorfer  Kunst  in  allen  ihren  Zweigen 
vor  Augen  zu  stellen.  Wenn  auch  die  Malerei  wohl 
wie  immer  in  den  Vordergrund  treten  wird,  so  werden 
doch  auch  Architektur,  Plastik,  Radierung,  Kupferstich, 
Steindruck  usw.  von  der  Lebendigkeit  und  Tüchtigkeit 
ihrer  Betätigung  Zeugnis  geben.  Die  Gestaltung  der  Räume 
ist  mit  großem  Geschick  von  der  Absicht  geleitet  worden, 
alle  einzelnen  Werke  in  freundlich  günstigem  Lichte,  in  an- 
mutenderRäumlichkeit  und  auf  Hintergründen  geschmack- 
voll umrahmter  Wandfiächen  erscheinen  zu  lassen,  die 
niclit  nur  an  sich  erlreulicheföne  zeigen,  sondern  aucli  eine 
Aufeinanderfolge  voll  Harmonie  bilden.  Zu  den  Werken 
der  Düsseldorfer  Künstler  sind  nur  noch  hundert  bestimmte 
Werke  auswärtiger  liervorragender  Künstler  eingeladen 
worden.  Diese  Werke  aber  hängen  zerstreut  in  den  ver- 
schiedenen Sälen  und  Zimmerchen  zwischen  den  Werken 
der  Düsseldorfer,  und  auch  diese  sind  ohne  jede  Rück- 
sicht auf  irgendwelche  Gruppenbildung  auf  die  Räume 
verteilt.  Die  Verteilung  faßt  Rücksichten  ins  Auge,  die 
jedem  einzelnen  Werke  als  solchem  dienen.  Zu  den 
Werken  lebender  Künstler  kommen,  unter  sie  gestellt, 
wenige  von  verstorbenen  Meistern  (Leibl,  Menzel). 

So  dürften  denn  für  beide  Ausstellungen  alle  Vor- 
lagen gegeben  sein,  der  Gesamtdarbietung  im  Kunst- 
palaste einen  Wert  zu  verleihen,  dem  der  glückliche 
Erfolg  der  bisherigen  Ausstellungen  im  Kunstpalaste 
ebenfalls  zukäme  und  jedenfalls  zu  wünschen  ist. 

Bone 


28l 


KARL  HERRMANN,  MÜNCHEN 
<s>/tB«  HUNGRIGES  VOLK  ««« 


de  chrisUlcbe  Kunst.     V.     9. 


282 


©^  BERLINER  KUNSTBRIEF  K^ 


BERLINER  KUNSTBRIEF 

Von  Dr.  HANS  SCHMIDKUNZ,  Berlin-Halensee 

(Scliliil!) 

Dei  Keller  &  Reiner  zeigten  zahlreiche  Porträts  des 
Papstes  Pius  X.  von  O.  Hierl-Deronco  ein  Inter- 
esse für  die  Verbindung  der  Figur  mit  dem  Hinter- 
grund und  in  dem  einen  hellgrauen  Stück  auch  etwas 
Seelisches,  machten  aber  sonst  den  Eindrucl«,  als  hatte 
sie  jemand  mit  einer  » dekorativen c  Brühe  Übergossen. 
Gegensatz:  die  zwar  tapetenliaft  flachen,  aber  durch 
Schlichtes  und  lieblich  Seelenvolles  erfreuenden  Porträts 
von  Luise  v.  Kehl  er,  in  Pastell  und  (ihre  Eltern  dar- 
stellend) in  Tempera.  Mancherlei  Porträtkunst  findet  sich 
in  den  dort  eifrig  gepflegten  Kunstdrucken.  So  über- 
trägt z.  B.  Otto  Goetze  die  langstrichelige  Technik  des 
A.  Zorn  in  sein  radiertes  Porträtgenre;  Lotte  Boltze 
interessiert  durch  Bildnisse,  deren  eines  Stichel  und 
kalte  Nadel  vereinigt.  Genreliaftes  Porträt  findet  sich 
auch  in  Carl  Mosers  Farbholzschnitten  mit  geschum- 
merten großen  Flächen.  Jos.  Ulli  (aus  Norwegen)  ra- 
diert Satirisches  mit  mancherlei  Übertreibung,  z.  B.  mit 
greller  Wirkung  weißer  Stellen  (»Der  Zug  des  Todes«, 
»Opfer  der  Narrheit«,  »Der  Reiclie«).  Wieder  Gegen- 
sätze: die  duftigenBIumen-Farblithograpliien  vonHelene 
Lange  (München)  und  die  Silhouetten  des  verstorbenen 
Rob.  Erbe  (Dresden). 

Unter  zahlreichen  Kollektionen  beschränken  wir  uns 
ungern  auf  die  Erwähnung  eines  häufigen  Vorkommens 
von  Stadtbildern  usw ,  z.  B.  in  den  Zeichnungen  und 
Aquarellen  von  Marie  Henri ques  (Kopenhagen).  Der 
mystisch-mythologische  Herm.  Hendrich  gewinnt  bei 
wiederholter  Betrachtung.  In  seinen  nebeligen  Gemälden 
nach  R.  Wagner,  nach  Goethes  Märchen  von  der  grünen 
Schlange  u.  dgl.  steckt  jedenfalls  Schöpferisches. 

Sein l'ranzösisches Seitenstück,  H. Fantin- Latour,  war 


bei  Schulte  u.  a.  durch  Lithographien  >  Oeuvre  de  Wagner« 
und  »Oeuvre  de  Berlioz«  vertreten.  Bei  Keller  & 
Reiner  liclen  ihm  gegenüber  die  auf  heroische  Sehn- 
sucht oder  auf  Ahnliches  ausgehenden  Landschaften  von 
Th.  Wolf- Ferrari  ab,  zumal  durch  ihre  etwas  derben 
Graufarben  in  breitkurzer  Strichweise. 

Als  Plastiker  interessierte  uns  Paul  Peterich  aus 
Florenz  besonders  durch  ein  sehr  zart  getöntes,  anmuti- 
ges Madonnenrelief,  das  ein  wenig  ülDer  bloße  Welt- 
lichkeit hinausreicht,  dann  durch  seine  getönte  Gruppe 
von  Mutter  und  Kind:  »Das  erste  Lächeln«,  durch  Por- 
trätbüsten u.  dgl.  Seine  Marmorstatue  »Schönheit«  ist 
von  der  Stadt  Charlottenburg  zur  öffentlichen  Auf- 
stellung angekauft. 

Bei  Gurlitt  interessierte  die  Ausstellung  des  wohl- 
bekannten Graphikers  Emil  Orlik  besonders  durch 
seine  Verarbeitung  japanischer  Eindrücke  sowie  durch 
seine  Entwürfe  für  eine  Drehbühne. 

Des  Weimarers  Theod.  Hagen  Landschaften  lassen 
Äußerlich-Gröberes  und  Innerlich  Feineres  unterscheiden. 
Der  seit  kurzem  beliebte  Dresdener  Rob.  Sterl  kam 
mit  Porträts,  unter  denen  »Mutter  und  Kind«  ebenso 
Hervorhebung  verdient,  wie  unter  den  Plastiken  von 
Fritz  K  lim  seh  eine  Mutter  mit  Töchterchen. 

Die  »moderne«  »Aestheten«-Art derausdrucksloscn.oft 
wie  absichtlich  dummen  Gesiebter,  der  die  Körperlich- 
keit ersetzenden  Flächen  und  der  mehr  dem  Eigensinne 
des  Subjektes,  als  dem  Eigentlichen  des  Objektes  dienen- 
den Vereinfachungen  blüht  bei  Karl  Hofer,  einiger- 
maßen auch  bei  K.  Otto-Müller,  dessen  mehr  graphi- 
sche als  malerische  Blässe  wenigstens  durch  Zartheit 
anzieht.  Einen  belebenden  Gegensatz  dazu  zeigen  von 
dem  gut  Düsseldorfisch  bewährten  Historien-  und  Fres- 
kenmaler F.  Klein-Chevalier  mehrfache  Bilder,  zumal 
solche  mit  den  Motiven  schleppender  Arbeiter  u.  dgl. 
Zuletzt  kamen  Stuttgarter,  denen  unsere  Eingangsworte 


MAX  GIESE,  MÜNCHEN 


DIE  ALTE  MOOSHÜTTE 


55^  BERLINER  KUNSTBRIEF  »^« 


283 


RICIIAKD  \VI\TI£RKITZ 


Ausstellung  tifr  Seit 


München  iqo8 


ganz  besonders  gelten,  liöchstens  ausgenommen  Chr. 
l.andenberger,  der  mit  seinen  hauchartigen  Farben- 
flecken  manch  freundliche  Stimmung  erreicht. 

Eine  Überraschung  inmitten  der  französischen  Äußer- 
lichkeiten des  Salons  C  a  s  s  i  r  e  r  waren  zuletzt  Zeichnungen 
des  belgischen  Bildhauers  Georg  Minne.  Gegenüber 
dein  Eckig-Harten  seiner  Plastiken  zeigen  diese  Bleistift- 
Studien  von  1908  scharfe,  aber  nach  Rundung  und  nach 
einer  Einheit  der  Gewand-  und  der  Körperlinien  strebende 
Striche.  Themen:  besonders  mehrfache  Kreuztragung, 
auch  Kreuzigung,  Pieta  usw.  Still-getreue  Arbeit!  Um 
so  lauter  schreien  die  Atelierkünste  in  Malerei,  Graphik 
und  Plastik  von    Henri    Matisse;    über    manches,  das 


mit  Zeichnungen  von  Kindern  zu  wetteifern  scheint, 
erheben  sich  zu  eigenen  dekorativen  Wirkungen  besonders 
Gemälde  von  gedeckten  Tischen.  Matisses  Berliner 
Seitenstück,  Benno  Berneis,  mag  sich  ebenfalls  in 
seiner  Weise  >ausleben<.  Kollektionen  zeigen  am  ehesten, 
ob  man  zu  einem  Künstler  gerne  zurückkehrt,  oder  von 
ihm  bald  genug  hat.  In  diesem  Sinne  gewinnen  Gas- 
sirers  Lieblinge  wie  Ulrich  und  Heinrich  Hübner 
am  wenigsten;  und  an  Spczialinteressen  müssen  wir  die 
deutsche  und  französische  Stilleben- Ausstellung  mit 
Verschiedenartigem  von  Cczanne,  das  bald  mehr  linear 
einem  Gauguin  zur  Seite  steht,  bald  mehr  flächig  durch- 
gearbeitet erscheint,  oder  die  in  porös-rauhem  Material 


)*• 


284 


^m  BERLINER  KUNSTBRIEF  ms, 


HEINRICH  TOLD,  BOZEN 


PORTRÄT  DES  J.  SAUTNER 


primitiv-stilisierenden  Bildwerke  Herrn.  Hallers  ab- 
geben. 

Dei  Einzug  des  Dekorativen  in  die  Graphik  wurde 
besonders  deutlich  durcli  die  graphische  Winterausstellung 
der  Secession.  Der  Spezialhistoriker  kann  sie  für  eine 
Geschichte  der  zeichnenden  Künste  gut  brauchen,  seien 
es  nun  die  Radierungen  von  Philipp  Franck,  von  K. 
Stratlimann,  von  Rud.  Stumpf,  von  Erna  Frank 
und  anderen,  oder  die  farbigen  satirischen  Skizzen  von 
Ernst  Stern,  oder  die  Illustrationen  des  verstorbenen 
Rud.  Wilke  idessen  Büste  von  Ed.  Beyrer  beigefügt 
war),  oder  Vielfaches  von  Allbekannten;  und  vielleicht 
wird  er  gleich  uns  in  den  Werken  von  Olaf  Lange 
noch  am  ehesten  eine  schöpferische  Phantasiekraft  finden. 

Mit  dem  für  die  Hamburger  Musikhalle  bestimmten 
Bralims-Denkmal  scheint  Max  Klinger  am  wenigsten 
die  Herzen  der  Bildhauer  und  der  Plastikfreunde  gewonnen 
zu  haben  —  eher  noch  eine  Bewunderung  für  Einzel- 
heiten an  den  Beifiguren,  welclie  die  starte  vereinfachte 
Herme  des  Komponisten  fast  erdrückend  umgeben,  ohne 
daß  beim  Rundgang  um  das  Werk  echt  plastische  Ein- 
lieitlichkeiten  herauskommen.  Man  möchte  umsomehr 
von  einer  Iransskription  aus  der  Graphik  sprechen,  als 
in  dieser  die  Klinger-.-\usstellung  der  Secession  wertvollste 
Eindrücke  gebracht  hat,  zumal  in  der  ganz  selbständig 
schöpferischen  Doppeheihe  »Vom  Tode«. 

Als  besonders  großes  und  lautes  Ereignis  hat  die 
Secession  eine  Ausstellung  Hans  v.  Mar e es  veranstaltet. 
Seit  einiger  Zeit  hagelt  es  nur  so  von  .A.usrufen  der 
Entdeckung  einer  neuen  monumentalen  Kunst,  die  sicli 
durch  das  große  Sehen,  die  klare,  geschlossene  Form- 
gehung,  das  Raumerlebnis  u.  dgl.  m.  kennzeichne.    Nun 


darf  man  sich  vor  allem  das  fortwährende 
»Entdecken«  verbitten,  das  so  tut,  als  hätte 
nicht  längst  jeder  Kenner  das  gewußt  und 
verwertet,  was  nur  eben  den  in  die  Gegen- 
wart Eingeschlossenen  neu  ist.  Sodann  kommt 
das  Rätsel,  warum  Marces  nicht  zur  Ausrei- 
fung gelangt  sei.  Wir  meinen:  er  hat  die 
deutsche  und  christliche  Kunst,  für  welche 
die  Welt  des  Sehens  ein  Mittel  zum  Zweck 
des  inneren  Erlebens  ist,  verlassen,  um  in  der 
italienischen  und  alt-  oder  neuheidnisclien 
Kunst  das  scheinbar  Größere  zu  finden,  für 
das  ihm  doch  wieder  deren  sinnliche  Kraft 
lehlte.  Die  Überzeugung,  daß  der  echte  Künst- 
ler ein  mit  Hilfe  des  Naturvorbildes  Schaffender 
sei,  wurde  bei  ihm  zum  Prinzip  eines  stilisie- 
renden Raumbaues.  Da  bewundern  wir  Wag- 
rechtes und  Lotrechtes  und  in  die  Tiefe  Gellen- 
des, mit  hineingebauten  Figuren  ohne  Aktivi- 
tät und  l'>zählungskraft  und  mit  geistvoller 
Einheitlichkeit  der  meist  stumpfen  Farbe  (z.  B. 
in  dem  schon  vor  den  Studien  in  Italien  ge- 
malten »Bad  der  Diana«).  Wir  freuen  uns 
des  Triptychons  der  »Drei  Reiter«  in  der  zwei- 
ten Fassung,  die  zwei  Jahre  vor  des  Künstlers 
Tod  kam  (1885),  und  möchten  uns  hier  die 
Legenden  der  Heiligen  Martin,  Hubertus  und 
Georg  erzählen  lassen,  bekommen  aber  gerade 
ihr  Gesicht  am  wenigsten  zu  sehen. 

An  H.  V.  Marees  und  an  P.  Peterich  schließen 
wir  den  bei  Keller  i5c  Reiner  ausstellenden 
C.  M.  Rehel  aus  Rom  an.  Das  Äußerste  an 
inhaltsarmen  Gesichtern  dürfte  hier  immerhin 
noch  nicht  geleistet  sein,  und  das  Hineinfügen 
von  szenischen  und  Porträtfiguren  in  eine  Land- 
schaft ist  von  Interesse.  So  seien  »St  Georg« 
und  »Nun  wandere,  Maria«  hervorgehoben. 
Aber  auf  die  Dauer  möchten  wir  solch  äußer- 
liche Mythologie  nach  italienischer  Renaissance 
mit  unheiligen  Konversationen  doch  lieber 
nicht  bekommen. 

Auch  der  Bildhauer  J.  G.  Schade w  hatte  nicht  erst 
eine  Entdeckung  nötig.  Die  ganzen  oder  halben  Erlblge 
seines  Gegensirebens  gegen  klassizistisclie  Künstlichkeit, 
das  die  Berliner  Nüchterniieit  so  vielseitig  mit  preußisch- 
antikem  Heldentum  zu  verbinden  wußte,  kamen  auf  der 
ihm  gewidmeten  Ausstellung  in  der  Akademie  der 
Künste  so  zur  Geltung,  wie  man  sie  kannte.  Ein  gutes 
Arrangement  ließ  den  eindringlichen  Porträts,  den 
Schlachtenreliefs  mit  ihren  geschickten  Übergängen  vom 
Flachrelief  in  Rundplastik  und  nicht  zuletzt  seinen  Zeich- 
nungen leicht  gerecht  werden. 

Sehr  wenig  »Entdeckung«  war  die  akademische 
Aquarell-.^usstellung.  Sie  ging  nicht  etwa  auf  die 
frühen  Ursprünge  dieser  Malgattung  in  Englands  Atmo- 
sphäre zurück,  erleichterte  uns  auch  nicht  etwa  das  Er- 
kennen des  besonders  bei  den  Deutschen  und  teilweise 
schon  in  alten  » Illuminierungen <  wichtigen  Verhältnisses 
von  Saftfarben  und  Deckfarben  und  kreidigen  Zusätzen, 
ließ  die  luftige  Frische  des  eigentlichen  Aquarells  mehr 
nur  ahnen  und  interessierte  mit  Ed.  Hildebrandt 
sowie  zahlreichen  Neueren  mehr  inhaltlich. 

Line  wirkliche  Entdeckung  waren  ebenda  chinesische 
Gemälde,  gesammelt  von  Olga  Wegener.  Ihre  dekora- 
tive Kraft  mag  zu  ihrer  jetzigen  Bewunderung  noch  eigens 
beitragen;  und  der  Japanfreund  sieht  wohlihre  symbolische 
und  kalligraphische,  sozusagen  raumkindliche  Art  über- 
wunden durch  die  Erben  dieser  Kunst. 

Nebenbei  stellte  die  Akademie  neuere  Gemälde  aus 
und  interessierte  uns  u.  a.  für  ein  »Lux  in  tenebris«  von 
Karl  Marr,  darstellend  einen  Engel,  der  ein  in  Glorie 
strahlendes  Lamm  trägt  und  einem  weiblichen  Rücken- 


285 


I 


1^6 


PS^  BHRI.INRR  KUNSTBRIP.F  J^ö 


EUGENE  BURNAND,   PARIS 

Große  Reproduictio. 


JOHANNES  UND  PETRUS  AM  OSTERMORGEN 
bei  Ernst  Fhukli  in  B.isel 


akte  gegenübersteht.  Polierter  sind  die  Figuren  auf  einer 
Kreuzigung  von  Ernst  Hildebrand  mit  guter  Stim- 
mung eines  dunl<len  Felsens  und  Gewitters. 

Auf  Rundg.ingen  durch  die  Berhner  Salons  tritt  man 
immer  besonders  gerne  in  die  stillen  kleinen  Räume 
Caspers  ein.  Zwar  bevorzugt  auch  er  das  optisch 
Interessante  und  das  Französische.  Doch  ein  überlegter 
Geschmack  wählt  hier  das  Feinere,  bevorzugt  das  »Kabinett- 
stück« und  läßt  Mannigfahiges  zur  Geltung  kommen,  in 
Einzelwerken  wie  in  Kollektionen;  solche  gab  es  z.B. 
von  dem  Münchener  Landschafter  Rieh.  Pietzsch  und 
von  dem  Berliner  Genre-  oder  Typenmaler  Franz 
Skarbina,  zu  dessen  sechzigjälir.  Geburtstag  eine  lange 
Reihe  virtuoser  Bildchen  von  verregneten  Straßen  u.  dgl. 
zu  sehen  war.  Storni  von  Gravesan de  war  eine  der 
erlreulichsten  Erscheinungen:  seine  Zeichnungen  und 
Geinälde  machen  uns  lebhaft  anscliaulich,  was  die  Kunst 
aus  dem  stürmischen  Küstenland  wie  aus  dem  stillen 
Interieur  herausholen  kann.  Für  das  letztere  gibt  es  hier 
immer  wieder  gute  Franzosenslücke,  von  D.  Bergeret 
oder  von  J.  Choquet  oder  von  dem  » Figaro  «-Zeichner 
H.  Tenre.  Auch  für  die  Landschaft  (Reich -Münster- 
berg u.  a.)  sowie  für  das  Stadtbild  (G.  Roussel  u.a.) 
fällt  manches  erfreuliche  ah;  von  K.  Fath  interessiert 
eine  Kirchenwand  in  Grün,  u.  dgl.  m. 

Etwas  Intimes  haben  aucli  die  kleinen  Räume  der 
Kunstausstellung  Wert  heim;  nur  daß  gar  viel  Forciertes 
und  Zusammengewürfeltes  die  Be- 
trachtung erschwert.  Aus  vielerlei 
Gegenden  werden  vorwiegend  Lhi- 
bekanntere  geholt  und  wandeln 
liier  ihre  Landscliaftskünste,  spe- 
ziell Jahrzeitskünste  u.  dgl.  ab  — ■ 
in  .Mengen,  die  uns  auch  nur  eine 
.\uswahl  des  > Wichtigsten«  ver- 
wehren. Aus  Brüssel  fallen  land- 
schaftliche Spezialitäten  von  Van 
Danime-Sylva,  von  J.  Fran- 
cois  auf;  aus  dem  mährischen 
Wessely  kommt  Ludw.  Ehren- 
haft; aus  München  kommen  H. 
Frobeniusz.  B.  mit  einer  weicli 
leuchtenden  Winterlandschaft,  C. 
Leop.  Voss  mit  Interieurs  und 
besonders  S  igm.  Lan  dsinger, 
von  dessen  lang  bekannten  Figuren- 
landschaften  hier    >Die  Kraniche 


deSIbykus«  endlich  auch  eine  künst- 
lerischere Kunst  vertreten.  Manch 
minnigliches  Märchen  u.  dgl.  wird 
in  Steinzeichnung  und  Aquarell 
von  Franz  Hein  gestaltet.  Ein 
oder  der  andere  Berliner  kommt 
besonders  graphisch:  so  Hans 
Pretzel  mit  Buntstiitzeichnungen 
undmitLitliographien,  unter  denen 
•  Stätte  des  Friedens«  erwähnt  sei; 
andere  mit  Landschaftsproben  von 
Nord  und  von  Süd,  wie  Alfred 
Pfitzner  und  Pa  ul  Paeschke. 
Eine  besonders  glückliche  Wa- 
renhausidee war  es,  daß  Otto 
Kirmse  eine  seit  Jahren  versuchte 
Zentralstelle  lürGrabmalskunst  nun 
durch  einen  Kunstsalon  für  Plastik 
iniTrauerwarenhaus  0 1 1  o  W  e  b  e  r 
durchgeführt  hat.  Unterstützt  durch 
ein  eigenes  Photographie-Arcliiv, 
will  dieser  Salon  die  Leidtragen- 
den anregen,  nicht  Waren,  son- 
dern Werfie  zu  nelmien,  und  fügt 
auch  sonstige  Schmuckplastik  hin- 
zu. Fürs  erste  zeigt  er  neben  einigen  bereits  in  die 
Kunstgeschichte  eingetretenen  Werken,  zumal  dem  im 
besten  Sinne  dekorativen Strousberg-Sarkophag von  Rein- 
hold Begas,  auch  nicht  wenig  Neues,  das  zum  Teil 
über  Typisches  hinausgeht.  Voranstellen  dürfen  wir  wohl 
Reliefs  und  eine  Grab-Architektur  von  Otto  Richter; 
und  Erwähnung  verdienen:  »Der  Glaube«  von  A.Mülle  r- 
Krefeld,  »Das  Leid«  von  Cav.  Val.  Casal  und  ein 
Relief  »Weinlese«  von  Wilh.  Jacobi. 

Die  nachgerade  ermüdenden  Kollektionen  ostasiati- 
scher Kunst,  in  denen  die  verschiedensten  Ausstellungs- 
gelegenlieiten  wetteilern,  sowie  die  Museumslrüchte  des 
Kolonialwesens  erwecken  meist  den  Anschein,  als  hätten 
die  lernen  Völker  keine  religiöse  Kunst  darzubieten. 
Neueste  Sammlungen  führen  endlich  darüber  hinaus. 
So  hat  unser  Museum  für  Völkerkunde  zahlreiche 
Schätze  aus  Mexiko  erworben,  welche  in  alte  religiöse 
Traditionen  Einblick  gewähren.  Ein  ganz  einzigartiges 
Ereignis  aber  ist  die  im  März  1909  dort  eröfl'nete  ost- 
asiatische und  speziell  zentralasiatische  Ausstellung, 
welche  die  Früchte  mehrerer  neuer  Reisen  bringt. 
Namentlich  eine  zweite  E.xpedition  nach  dem  Bezirke 
von  Turfan  im  nordöstlichen  Turkestan,  am  Rande  der 
Gobi-Wüste,  schuf  geradezu  Überraschungen. 

Es  handelt  sich  um  ein  oder  um  das  Hauptland  des 
Buddhismus,  aber  zugleich  um  ein  Land  der  Kreuzung 
von  Nationen.    Noch  mehr:  wir  blicken  in  Grenzgebiete 


EUGKNl;   BLUN  WI 


ri\l   \l      \G 
hrmt  hinckh  tn  Basel 


\l  GASTMAHL 


©^  BERLINER  KUXSTBRIEE  *^Z3 


287 


von  Buddhismus  und  Christentum  Iiinein. 
Wir  denken  zurück  an  den  Gnostizismus 
mit  seiner  Fortführung  heidnischer  Motive, 
mit  seinem  Sitz  innerhalb  der  Wechsel- 
wirkung zwischen  Orient  und  Okzident, 
mit  seinem  Eingehen  auf  volkstümliche  An- 
sprüche mittels  apokrypher  Evangelien- 
Schriften,  mit  seiner  unchristlichen  Tren- 
nung des  Unendlichen  und  Endlichen,  mit 
seinem  dazwischenstehenden  >  Dcmiourgos« 
und  mit  seiner  Annäherung  an  den  Nesto- 
rianismus,  der  jene  Trennung  cliristologisch 
darstellte,  sowie  an  den  Manichäismus,  der 
sie  zum  Gegenspiel  zwischen  gutem  und 
bösem  Prinzip  ausgestaltete.  Nun  verstehen 
wir  die  durch  die  neuen  Funde  aufge- 
deckte, vielleicht  den  Findern  und  Ausstel- 
lern selbst  nicht  genug  bewußte  und  jeden- 
falls in  der  Ausstellung  erst  mühsam  heraus- 
zusuchende Berührung  zwischen  den  beiden 
letztgenannten  Richtungen  und  dem  Bud- 
dhismus, oder  die  Mittelstellung  des  Ma- 
nichäismus zwischen  diesem  und  dem  Chri- 
stentum. Aus  einer  Ruine  von  Idiqut  Schahri 
tinden  wir  manich.iische  Reste:  Miniatu- 
ren, in  denen  hübsche  Ranken  mit  Blattern, 
unter  Vorherrschaft  von  Blau  und  Rot,  an 
Gotisches  erinnern;  Buchblatter  in  soghdi- 
scher  und  sonstigen  Sprachen ;  dann  Tem- 
pelfahnen und  Fragmente  von  Wandge- 
mälden. Ein  Heiligenbild,  darstellend  eine 
Frau  mit  Heiligenschein,  die  einen  Säug- 
ling hält,  kann  nestorianisch  oder  manichä- 
isch  oder  buddhistisch  sein.  Aus  derselben 
Gegend  sehen  wir  ein  entweder  nesto- 
rianisches  oder  manichaisches  ^\'andgemal- 
de,  auf  welchem  ein  segnender  oder  spre- 
chender Gottmensch  (? Christus?)  vor  drei 
mit  Zweigen  in  den  Händen  versehenen 
Priestern  steht.  Ein  Seidenbild  zeigt  die 
Gestalt  eines  Welthüters  (eines  Verwandten 
des  Demiourgos?).  Das  türkische  Volk  der 
Uiguren  ist  in  seiner  Kulturbedeutung  be- 
reits anerkannt;  es  bekam  nestorianische 
Missionäre  und  tritt  uns  jetzt  in  Erinne- 
rung durch  Handschriften  mit  Miniaturen 
in  ähnlicher  Färbung,  wie  oben. 

Dann  aber  gelangen  wir,  mit  einigen 
Reminiszenzen  wie  z.  B.  Tempelfahnen,  ins 
eigentlich  Buddhistische.  Ein  Grottentem- 
pel wurde  entdeckt  in  den  Ruinen  von  Bäzählik  bei  dem 
tjrfanischen  .Murtuq,  von  etwa  600 — 900  n.  Chr.  hincr- 
halb  einer  quadratischen  Umfassung  steht  eine  eben- 
solche Cella;  aus  ihren  Wänden  wurden  die  großen 
Fresken  herausgesägt  und  hergebracht.  Sie  zeigen  haupt- 
sächlich Mönche  bei  kultischen  Aufzügen,  mit  typisclien. 
aber  kräftig-großen  Physiognomien,  in  einer  mehr  linea- 
ren als  llächigen  Darstellung,  alles  reich  gefüllt,  da  eine 
Hölle,  dort  ein  dämonischer  Begleiter  des  Stifters,  dann 
wieder  >die  Predigt  von  Benares<. 

Auch  aus  dem  östlichen  China  kamen  Überreste, 
sogar  von  seiner  vorbuddhistischen  Zeit  her.  Der  ersten 
Hälfte  der  »HanZeit,  206  vor  bis  221  nach  Chr,  gehört 
aus  der  Provinz  Schantung  ein  Steinsarg  an,  erworben 
von  der  katholischen  Mission  in  Südschantung.  Seine 
Innenwand  Reliefs  zeigen  auf  rauhem  Stein  ausgeglättet 
Figuren  (besonders  auf  Wagen  fahrend!  und  (jebaude- 
teile.  Endlich  Japan  .  Ein  meisterhaftes  Tempelbild,  in 
prachtvollem  Braun  und  Schwarz  auf  Gold,  stellt  einen 
mit  zwölf  Gottheiten  herabschwebenden  Buddha  dar;  es 
stammt  aus  einem  Kloster  auf  dem  Kövasan,  vom  Jahre 
1649.    Der  Gott  Kwanon  erscheint  in  einer  Bronzeplastik 


SIMON'   W.  .MARIS,   .\MSrERD.\M 


GI.CCKMCHli  Mfl  lER 


von  1176,  mit  einem  Heiligenschein,  der  eine  Inschrift 
trägt,  und  zusammen  mit  der  Göttin  Seishi  auf  bemalten 
Flügeltüren  eines  Altarschreines  von  ungefähr  1200. 
Dazu  dann  Tempclschutzgottheiten,  Dämonen,  und  »Him- 
melskönige» von  729—7.(8.  Koreanische  Kloster-  und 
Tempelstatuen  ergänzen  diese  reiche  Welt. 

Recht  kleinlich  erscheinen  die  meisten  Versuche,  in 
unserer  eigenen  Welt  Volkstümliches  zu  schaffen  und 
zu  zeigen.  Was  da  alles  von  >vereinigten«  und  unver- 
einigten Werkstätten  u.  dgl.  in  vielfacher  Menge  vorgeführt 
wird,  bestätigt  immer  wieder  unseren  Verlust  der  reli- 
giösen Hauskunst;  abgesehen  davon  zeigt  das  Bessere 
einen  Anschluß  an  die  Sachlichkeit  des  gotischen  Kunst- 
gewerbes. Daß  eine  Ausstellung  «Die  Dame  in  Kunst 
und  Mode«  uns  erst  recht  nichts  Wesentliches  bietet, 
auch  abgesehen  davon,  daß  sie  zu  einer  Berufung  auf 
die  Kunst  sehr  wenig  berechtigt  war,  läßt  sich  denken. 
Das  sie  veranstaltende  H  o  h  e  n  z  o  1 1  e  r  n  K  u  n  s  t  g  c  w  c  r  b  c- 
haus  zeigte  vorher  eine  .■\usstellung  von  Trachten- 
gruppen  und  plastischen  Karikaturen,  die  zwar 
ebenfalls  mehr  auf  gesellschaftliches  Interesse  ausging, 
aber  doch  auch  kulturgeschichtlich  einiges  darbot.    Man 


288 


©^  WETTBEWERB  URDINGEN  ?^?3 


AUGUST  HERR.MANS'-ALGÄU,    .MÜNCHEN 


konnte  sich  die  Karikaturen  plastischer,  weniger  graphisch 
denken,  konnte  sich  die  Marionette  als  Mittelglied  jener 
beiden  Gattungen  vorstellen  und  konnte  besonders  über 
russische  Werke  erfreut  sein.  Über  das  Jahr  1700  ging 
wohlniireine  »Puppe  in  niederländischer  Tr.ichtc  zurück. 
Mit  Religiösem  standen  einijje  Stücke  des  18.,  wenige 
des  ig.  |.ihrhunderts  in  Beziehung;  und  anscheinend 
waren  daran  nur  Oberbayern,  Tirol  und  (besonders 
Ober-)  Italien  beteiligt.  Man  sah  Krippen  und  einzelne 
Krippenfiguren,  einen  »Engel  aus  der  Ursulinerinnen- 
Krippe  Innsbruck  18.  Jahrb.«,  Heilige  drei  Könige,  Christ- 
kinder und  »Marienkinder«  (ein  blumenreiches  aus  Ober- 
italien, ein  schlichteres  aus  Südtirol)  und  zwei  Mönchs- 
figuren (einen  mit  Totenkopf). 

In  Kürze  weisen  wir  nocli  hin  auf  die  interessanteste 
und  im  guten  Sinne  nationalste  Veranstaltung  dieses 
Winters;  Die  Internationale  Volkskunst- Aus- 
stellung, veranstaltet  vom  Deutschen  Lyceum- 
Club.  Doch  hat  dieser  einen  »Führer«  herausgegeben, 
in  ersichtlicher  Eile  verfaßt  von  Marie  v.  Bunsen, 
der  zwar  durch  die  etwas  kunterbunte  Ausstellung  selbst 
ungenügend  leitete,  als  Leistung  für  sich  aber  noch  in 
alle  Zukunft  Wert  behalt. 

Wir  werden  an  anderer  Stelle  noch  eigens  auf  diese 
^\-r.^nstaltunl'  zurückkommen. 


ERGEBNIS  DES  WETTBEWERBES 
ÜRDINGEN 

A  nläßlich  des  von  der  Deutschen  Gesell- 
■'»■  schalt  für  cliristhche  Kunst  veranstalteten 
Wettbewerbes  zur  Erlangung  künstlerischer 
Entwürfe    tür    eine    neue    katholische  Kirclie 


in  Urdingen  am  Niederrhein  liefen  126  Pro- 
jekte ein.  Die  künstlerische  Qualität  dieses 
Ergebnisses  ist  eine  sehr  hohe  und  war  die 
Tätigkeit  des  Preisgerichtes  in  den  Sitzungen 
vom  22.  und  23.  April  eine  sehr  anstrengende. 
Den  I.  Preis  (700  M.)  erhielt  Kennwort 
>/Name  Jesu«  von  Otho  Orlando  Kurz 
(Herbert  &  Kurz,  München) ;  der  II.  Preis 
(500  M.)  fiel  auf  ■  Chorgruppe«  von  Hans 
Rummel  (Frankfurt  a.  M.);  der  III.  Preis 
(300  M.)  wurde  dem  Projekt  »Rotes  Kreuz« 
von  den  Architekten  Verheyen  und  Stobbe 
(Düsseldorf)  zuerkannt.  Ferner  wurden  fünf 
ly.  Preise  zugesprochen  für  Projekte  von 
Prof.  Richard  Bernd!  (München),  D.  Böhm 
(Ofienbach  a.  M.),  Carl  Colombo  und  Ernst 
Müller  (Köln),  Adolf  Nöcker  (Köln)  und  Ernst 
Riedl  (Murnau).  Mit  Rücksicht  auf  ihre  be- 
deutenden Qualitäten  wurden  außerdem  noch 
sieben  Projekte  mit  Belobungen  ausgezeichnet, 
nämlich:  »Weiße  Ostern«  von  Herm.  Moser 
(Ulm  a.  D.),  »Halleluja«  von  Aug.  Schiffer 
(Düsseldorf),  »Die  vom  Niederrhein«  von 
Albert  Kirchmayer  (Augsburg),  »Christliche 
Kunst  II«  von  Hans  Brühl  (München),  »Ein 
modernes  Stadtbild«  von  Hugo  Lechmig 
(Düsseldorf),  Heimatstrom«  von  Dr.  E.  B. 
Fiechter  (München),  »Ohne  Fleiß  kein  Preis« 
von  Willy  Graf  (Stuttgart).' 


örtlich  :  S.  Staudhamer  (Promcoadeplatz  3) ;   Verlag  der  Gesellschaft  für  christliche 
Druck  von  F.  Bruckmann  A.-G.  —  Sämtliche  in  München. 


lilN  SAAL  DKR  DEUISCHEX  Gi:SI  I  I  ^CIIAI  T   I  1   H   llllüSi  I  H   lli;  Kl   \S1    MI  1    l)i:\l    lilMjlOFSTUHl.  IN'   BAMBKI«., 
Ausstellung  /ur  christlkhc  Kum!,  DüsseldorJ  igog 


VOX  I)]-R  VIII.  INTERNATIONALEN  AUSSTELLUNG  IN  VENEDIG 

Von  Dr.  Ü.  DOERING-Dachau 


In  diesem  Jahre  nach  dem  Prozentsatze  der 
*■  auf  den  Ausstellungen  befindlichen  Werke 
spezitisch  christlichen  Inhaltes  über  deren 
Stellung  in  der  modernen  Kunst  ein  annähernd 
richtiges  Urteil  abgeben  zu  wollen,  scheint 
mißlich  infolge  des  Iiinflusses,  den  die  große 
Düsseldorfer  Ausstellung  übt.  Während  dort- 
hin von  allen  Seiten  die  kirchlichen  Kunst- 
werke zusammenkommen,  weisen  die  übrigen 
Orte  verhältnismäßig  nur  sehr  wenig  auf  Nun 
liegen  die  Dinge  aber  so.  daß  die  geringe  Zahl 
solcher  Kunstwerke  auch  in  andern  Jahren 
allerorts  zu  beobachten  ist.  Und  weil  nun 
Düsseldorf  in  diesem  Jahre  zeigt,  daß  es  doch 
eine  stark  produktive  christliche  Kunst  in  unse- 
rer Zeit  gibt,  so  folgt  daraus,  daß,  sei  es  nun 
infolge  von  Prinzipien  der  Ausstellungskom- 
missionen oder  zu  großer  Zurückhaltung  der 
Künstler,  die  seltene  Gelegenheit,  solche  Dinge 
zu  sehen,  nicht  an  der  Unprodukiivität  der 
letzteren  liegt.  So  weit  die  Bescheidenheit 
der  Künstler  in  Betracht  kommt,  so  dürfte 
man  sie  in  diesem  l'alle  keineswegs  billigen. 
Geben  sie  doch  dadurch  den  Gegnern  wie  den 
Unerfahrenen  die  Miiglichkeit,  zu  behaupten 
und  zu  glauben,  daß  die  Kunst  der  Kirche, 
wie    die    künstlerische   Gestaltung    religiöser 


Gegenstände  überhauptim  letzten  Hintertreflen 
stehe  und  wenig  Beachtung  verdiene.  Auch 
die  venezianische  Ausstellungkönnte  äußerlich 
solchen  Gedanken  Nahrung  geben.  Der  Werke 
christlichen  Inhalts  sind  bei  bester  Rechnung 
nicht  viel  mehr  denn  zwanzig  unter  den  vielen 
Hunderten.  Nur  die  annähernde  Hälfte  davon 
stellt  Gegenstände  der  Heilslehre  dar,  und 
unter  ihnen  kommt  höchstens  eins  für  die 
Zwecke  des  kirchlichen  Dienstes  in  Betracht. 
Zur  gerechten  Beurteilung  des  Ranges  der 
christlichen  Kunst  gelangt  man  hier  nur,  wenn 
man  sich  vergegenwärtigt,  daß  jene  wenigen 
Stücke  Repräsentanten  großer  Gruppen  sind, 
die  es  tatsächlich  gibt.  Zu  irrigen  Schlüssen 
würde  auch  führen,  aus  dem  Maße  der  Betei- 
ligung der  Nationen  ihr  Interesse  an  der  Kunst 
christlichen  Inhaltes  abschätzen  zu  wollen. 
Natürlich  spielen  politische  Verhältnisse,  Tem- 
perament, allgemeine  Lebensanschauungen  da- 
bei mit,  würden  aber  erst  hei  längerer  Be- 
obachtung in  ihrer  Wirksamkeit  deutlich 
werden.  Gleichwohl  mag  es  kein  bloßer  Zufall 
sein,  daß  die  meisten  \Verke  christlichen  In- 
haltes auf  der  venezianischen  Ausstellung  aus 
Deutschland  stammen,  und  daß  danach  Italien 
und  Unaarn  die  größten  ZiHern  erreichen  und 


I'ic  christliche  Kuii 


290 


e^  VIII.  INTERNATIONALE  AUSSTELLUNG  IX  VENEDIG  *^a 


FELIX   BAUMHAÜKR 

Aiisstrlhnig  für 


christliche  Kunst,   Düsseldorf  iqog 


daß  aus  Frankreich  überhaupt  nichts  dergleichen 
da  ist.  Allerdings  fehlen  andere  Nationen 
auch,  aul  die  im  einzelnen  nicht  eingegangen 
werden  kann.  Wir  wollen  aber  nicht  betrach- 
ten, was  nicht  da  ist,  sondern  das  positive 
Ergebnis  anschauen. 

Vorweg  seien  ein  paar  Architekturhilder 
erwähnt.  So  schildert  z.  B.  der  Engländer 
James  G.  Laing  in  geschickt,  aber  etwas 
kalt  durchgeführten  Aquarellen  mehrere  bel- 
gische und  französische  Kircheninterieurs,  sein 
Landsmann  AxelHerman  Haig  in  einer 
tüchtigen  Radierung  das  Äußere  der  Chor- 
partie an  der  Kathedrale  von  Amiens. 


Von  der  Schilderung  des  Menschen- 
werkes wenden  wir  uns  zu  der  des 
Menschen  selbst.  Daß  unter  den  Re- 
präsentanten der  Malerei  christlicher 
Motive  Darstellungen  aus  dem  Volks- 
leben verhältnismäßig  zahlreich  sind, 
ist  bei  dem  Interesse,  dessen  dieser 
Gegenstand  zurzeit  sich  erfreut,  nur 
natürlich.  Daist  ein  prächtiges  Stück 
des  Polen  Ladislaus  Jarotzky, 
eine  :  Bauern-Prozession  in  den  Kar- 
pathen«.  Der  Beschauer  blickt  dem 
Zuge  nach,  der  sich  gegen  den  Hinter- 
grund entfernt.  Trotz  des  Umstandes, 
daß  die  Figuren  im  allgemeinen  von 
rückwärts  gesehen  werden,  ist  doch 
ihre  Charakterisierung  gut  gelungen. 
Es  fesselt  weiter  die  Vollsaftigkeit  der 
Farben,  vor  allem  die  Kulturschilde- 
rung eines  Volkes,  dessen  Eigentüm- 
lichkeiten uns  wenig  vertraut  sind 
und  das  unbewußt  ein  inniges,  für 
uns  vielfältig  anregendes  und  lehr- 
reiches Verhältnis  zurprimitiven  Kunst 
hat.  Ähnliche  Eigenschaften  besitzt  ein 
Ländliches  Leichenbegängnis«  des 
Österreichers  Fryderyk  P autsch. 
Eine  bunte  Schilderung  russischen 
Volkslebens,  wobei  die  lebhaften  Far- 
ben, die  von  unsern  westeuropäischen 
Begriffen  von  einer  Leichenfeier  gänz- 
lich abweichen,  durch  die  weißen 
Töne  der  winterlichen  Landschaft 
noch  besonders  befördert  und  ver- 
stärktwerden. Der  Venezianer  Luigi 
Nono  schildert  in  einem  großen 
Temperagemälde  einen  »Ersten  Re- 
gen«, der  auf  frische  Kindergräber 
niedersinkt.  Eine  Bäuerin  schmückt 
eins  davon  und  schützt  es  zugleich 
mit  einem  aufgespannten  großen  Re- 
HRisTüs  genschirm.  Ich  kann  nicht  finden,  daß 
dieser  dem  gewollten  Ernst  der  Situa- 
tion entspricht,  vielmehr  bekommt  die 
Szene  für  mich  dadurch  etwas  Burleskes.  In  der 
Malerei  ist  das  Bild  recht  wirkungsvoll,  zumal 
das  landschaftliche  Element,  bei  dem  das  kräftige 
Grün  des  Friedhofes  gegen  das  Schiefergrau  der 
ihn  umgebenden  Berge  einen  erfreulichen, 
feinen  Kontrast  gibt.  Volle  Lebenslust,  echt 
italienische  Freude  an  Sonne  und  Farben  leuch- 
tet aus  Ferruccio  Scattolas  »Kirchweih 
des  hl.  Johannes«.  Endlich  sei  hier  zweier 
interessanter  Werke  des  Giuseppe  Pellizza 
da  Volpedo  gedacht,  der  vor  zwei  Jahren 
gestorben  ist.  Er  war  ein  Künstler,  den  seine 
tiefe  Liebe  zur  Natur  befähigte,  sein  Bestes 
in    Einsamkeit     und     Zurück^ezoijenheit    zu 


291 


WII.IIF.I.M  HAVr.RKAMP 


PIi:iA    GIPS) 


Ausilfllung  /ür  chrhlticht  Klilisl,    llus>ft,<or/  iQi,i) 


M' 


J9: 


t?^  VIII.  INTERNATIONALE  AUSSTELLUNG  IN  VENEDIG  S^Q 


finden.  Mit  seinem  Bilde  »Auf  dem  Heu- 
boden« erregte  er  schon  auf  den  Ausstellungen 
in  Mailand  1894  und  zu  Florenz  und  Turin 
in  den  zwei  folgenden  Jahren  Aufsehen.  Der 
Einfluß  Segantinis  ist  nicht  zu  verkennen. 
Das  Stück  wirkt  mit  seiner  schlichten  Dar- 
stellung (ein  Mann  wird  mit  den  hl.  Sterb- 
sakramenten versehen)  höchst  ergreilend,  far- 
big ist  es  ein  Meisterwerk  pointillistischer 
Technik,  diskret,  vornehm, dabei  vollerLeucht- 
kraft  bis  in  die  tiefsten  Schatten  hinein,  har- 
monisch ausgeglichen  gleich  Pellizzas  andern 
Werken.  Dieselben  Vorzüge  zeigt  das  klei- 
nere Bild  Die  geknickte  Blume:,  die  Schil- 
derung des  Begräbnisses  eines  jungen  Mäd- 
chens. Auch  hier  der  schlichte  Gedanke,  die 
vollendet  vornehme  Färbung,  die  namentlich 
durch  den  Kontrast  der  weiß  gekleideten 
jungen  Mädchen  und  zuschauender,  bunt 
gekleideter  Kinder  interessant  ist.  Die  Kom- 
position ist  streng  und  ruhig. 

Bilder,  wie  diese,  sind  keineswegs  religiöse 


FR.WZ  SCHILLING  HL.  CHRISTOI'H 

Aiisstrl/liiig  /,„■  chrhtliclie   Kianl.    Piissel.i.u-/  iq,,q 


Bilder,  aber  immerhin  weit  davon  entfernt, 
Genredarstellungen  im  rückständigen  Sinne 
zu  sein.  Sie  sind  echte  Poesie  in  Auffassung 
und  Schilderung,  im  Geiste,  der  die  zeich- 
nende Hand  gelenkt,  die  Farben  gemischt 
hat,  beides  zu  dem  Zweck,  ästhetischen  Ein- 
gebungen zum  rechten  Ausdrucke  zu  ver- 
helfen. S<i  darf  man  auch  der  .Matutin« 
des  Lioncllo  Balestrieri  derlei  poeti- 
schen Wert  beimessen.  Hervorragend  ist  in 
dieser  farbigen  Radierung  die  Andachts- 
stimmung der  im  ersten  Morgengrauen  Be- 
tenden wiedergegeben.  Dazu  mit  einer  be- 
wunderungswürdigen Bewältigung  außeror- 
dentlicher Schwierigkeiten  der  Beleuchtung. 
Eindringendes  erstes  Frühlicht,  das  besonders 
die  eine  Figur  stark  hervorhebt,  mischt  sich 
mit  dem  warmen  Licht  der  Kerzen,  das  auf 
den  Gewändern  der  andern  schimmert,  und 
kämpft  samt  ihm  mit  dem  bläulichen  Dunkel 
des  Kirchenraumes.  Balestrieri  zeigt  in  diesem 
Werke  eine  Tiefe,  die  seinen  andern  Arbei- 
ten, in  denen  ein  novellistisches  Element  oft 
zu  fühlbar  hervortritt,  nicht  immer  eigen  ist. 
Interessant  ist  im  Gegensatze  zu  diesem  ita- 
lienischen Werk  des  München-Dachauischen 
Radierers  Oscar  Graf  prächtige  Studie 
Gebet  vor  der  Schlacht«.  Ein  knorriger  alter 
Recke,  der,  neben  seinem  ungeduldig  scharren- 
den Gaul  stehend,  andächtig  des  Himmels 
Beistand  anruft.  Das  Ganze  ein  echt  deutsch 
empfundenes  Stück.  Schade,  daß  vom  selben 
Künstler  nicht  noch  andere  seiner  mit  Ge- 
danken der  Religion  erfüllten  Erzeugnisse 
ausgestellt  sind.  Sie  lassen  in  ihrer  herben 
Kraft  den  Wunsch  gerechtfertigt  erscheinen, 
ihren  Meister  einmal  mit  einer  Aufgabe  mo- 
numentalen Umfanges  beschäftigt  zu  sehen. 
Die  Kunst  eindringlicher  Charakterschilde- 
rung feiert  Triumphe  vor  allem  in  der  Por- 
trätmalerei, die  auf  dieser  Ausstellung  reich- 
lich und  mit  ausgezeichneten  Leistungen  ver- 
treten ist.  Ich  nenne  das  Bildnis  des  Kardinals 
Ludwig  Haynald,  Bischofs  von  Kalocsa.  Das 
Bild,  ein  Meisterwerk  von  MihalyMunkäcsy, 
gehört  zu  den  Zierden  der  ungarischen  Staats- 
sammlungen. Es  zeigt  des  Künstlers  glänzende 
Fähigkeit,  persönliche  Eigenart  zu  schildern, 
Sinn  und  Art  des  Dargestellten  aufs  feinste 
herauszuarbeiten,  dabei  koloristische  Probleme 
zu  lösen.  Das  geistvolle  Gesicht  des  Kirchen- 
fürsten, der  überlegene,  dabei  wohlwollende 
Ausdruck  prägt  sich  unverlöschlich  ein,  und 
die  Bewunderung  hierfür  vereint  sich  mit  der 
des  tiefen  Kolorits,  das  auf  Klänge  von  ver- 
schiedenartigem Rot  gestimmt  ist  und  durch 
den  dunkeln  Fond  wie  durch  das  Weiß  in 
der  Gewandunt;  zu  kräftio:er  und   dabei  über- 


293 


294  ®^  ^'III-  INTERNATIONALE  AUSSTELLUNG  IN  VENEDIG  ^^a 


THi:OI)0R    UAIEKL 


iw„y/  Ton   y.  A„s 


BKMALUNG  EINER  CHOKWAND  UND  APSIS  (ENTWURF) 
sstelhmg  für  christliche  Kunst,  Dussehtoyf  iqog 


aus  vornehmer  Wirkung  gesteigert  wird. 
Munkäcsy  gehörte  zu  jenen  faustischen  Na- 
turen, in  deren  Brust  zwei  Seelen  wohnen, 
eine,  die  am  Irdischen  hangt,  eine,  die  gewalt- 
sam emporstrebt.  In  seiner  Kunst  kamen  beide 
voll  und  fruchtbar  zur  Entfaltung.  Eine  Ähn- 
lichkeit in  solcher  Beziehung  zeigt  mit  dem 
dahingeschiedenen  genialen  Ungarn  so  man- 
cher deutsche  Meister,  und  dieser  bezeich- 
nende Zug  unserer  nationalen  Eigenart  tritt 
in  mehr  als  einem  trefflichen  Werke  gerade 
auf  dieser  Ausstellung  vor  Augen.  Ich  denke 
dabei  nicht  zuletzt  an  Albert  von  Keller. 
Neben  einigen  seiner  bekannten  Damen- 
porträts zeigt  er  uns  eins  seiner  merkwür- 
digen Visionsbilder,  nicht  vorwiegend  als 
Beweis  einer  über  Schwierigkeiten  erhabenen 
bestrickenden  Technik  und  Vortragsweise, 
sondern  vor  allem  zum  Einblick  in  sein  in  selt- 
same Träumereien  versunkenes  Innenleben 
und  seine  Stellung  zu  den  Geheimnissen 
religiöser  Verzückung.  In  diesen  Randgebieten 
christlicher  Wahrheiten  und  dichterischer 
Schwärmerei  wandelt  auch  die  Monumental- 
kunst des  Galileo  Chini.     Freilich  beschäf- 


tigt sich  seine  große  dekorative  Schöpfung 
in  der  Kuppel  des  Hauptgebäudes  nicht  eigent- 
lich mit  der  Religion,  kann  aber,  da  sie  die 
Allegorisierung  der  Kunstgeschichte  von  den 
ältesten  bis  zu  den  neuesten  Zeiten  zum  Ge- 
genstande hat,  natürlich  nicht  umhin,  die  Ge- 
danken der  christlichen  Kunst  mit  zu  charak- 
terisieren, ihrer  historischen  Bedeutung  ge- 
mäß ausführlich  zu  behandeln.  Dies  geschieht 
im  vierten  Kuppelfelde,  das  den  Übergang 
von  heidnischer  zu  christlicher  Kunst  und  die 
Schöpfungen  von  Byzanz  schildert,  ferner  im 
fünften,  welches  jene  des  Mittelalters  und  der 
Renaissance  andeutet.  Das  Motiv  des  sechsten 
ist  Michelangelo.  Im  siebenten  werden  in 
der  Kunst  des  Bernini  und  Tiepolo  zwei 
wichtigste  Erscheinungen  des  Barock  zur  Ver- 
tretung der  ganzen  Epoche  herausgegriffen. 
Von  einer  eigentlichen  religiösen  Vertiefung 
ist  in  diesen  Dekorationen  nicht  die  Rede, 
dafür  wirken  sie  im  Rahmen  des  Ganzen  ein- 
heitlich und  harmonisch  und  erfüllen  ihren 
Zweck  der  historischen  Reminiscenz.  Außer 
ihnen  ist  die  großmonumentale,  dekorative 
Malerei  noch  vorzugsweise  in  einem  Zyklus  des 


e^  VIII.  INTHRNATIOXALE  AUSSTELLUNG  IN  VENEDIG  »«^ 


295 


Römers  Aristide  Saitorio 
vertreten,  der  auch  eine  Zeit- 
lang in  Weimar  tätig  gewesen 
ist.  In  mächtigen  phantasie- 
vollen Zeichnungen  dichtet  er 
Epen  des  menschlichen  Le- 
bens. Eine  unbedingt  christ- 
liche, sittlich  vertiefte  Auffas- 
sung liegt  ihnen  zugrunde  und 
macht  sich  allenthalben  fühl- 
bar. Dennoch  gehören  die  For- 
men und  Gestalten  nicht  dem 
Kreise  eigentlich  religiöser  Dar- 
stellungen an,  sind  vielmehr 
durchaus  von  den  Auffassun- 
gen der  Antike  beherrscht.  Eine 
Analyse  des  eigentümlichen 
Stils,  der  sich  hieraus  in  \'er- 
mischung  mit  modernsten  Auf- 
fassungen und  gewissen  Ein- 
seitigkeiten der  Zeichnung  er- 
geben hat,  kann  hier  als  zu 
weit  führend  nicht  wohl  unter- 
nommen werden. 

Bleibt  bei  Schöpfungen  sol- 
cher Art  die  Abschätzung  ihres 
christlichen  Inhaltes  und  Wer- 
tes mehr  dem  Gefühl  über- 
lassen, bieten  sich  die  in  un- 
serm  Zusammenhange  in  Be- 
tracht kommenden  Momente 
vorzugsweise  in  Andeutungen, 
so  treten  bei  einer  Anzahl  an- 
derer Werke  der  Ausstellung 
die  christlichen  Gegenstände 
klar  und  ohne  weiteres  be- 
greiflich hervor.  Die  Stotf- 
kreise  der  biblischen,  in  einem 
Falle  der  legendarischen  Über- 
lieferung sind  in  einer  ver- 
hältnismäßig nicht  zu  geringen 
Zahl  zu  malerischer  Geltung  ge- 
bracht. Das  eine  legendarische 
Bild  stammt  von  dem  Münch- 
ner Julius  Diez.  Wer  den 
Namen  hört,  weiß  sogleich,  daß 
dieses  Bild  —  es  stellt  den  hl.  Hubertus  vor  — 
in  einer  nur  diesem  Künstler  eigentümliciien 
stilisierten  Art  gegeben  sein  muß.  Wir  sehen 
einen  wenig  schönen  alten  Gesellen  zusammen- 
geduckt auf  seinem  Pferde  hocken.  Die  Land- 
schaft zeigt  Winterstimmung,  die  Bäume  sind 
seltsam  genug  vereinfacht,  und  das  Ganze 
trägt  das  Gepräge  einer  gesuchten  Naivität. 
—  Natürlich  ist  eine  verfehlte  \'ortragsweise 
um  so  schwerer  zu  ertragen,  je  bedeutender  der 
Gegenstand  ist.  So  istKärolv  Ferency's 
"Kreuzesabnahmes,     eine      mittelgroße     Im- 


THEODOR   HAIERI. 

Aussteltinig  y«. 


CHRISTI  HIM.MEI.F.\HRr  (l-NTWUBF) 
•itlühe  Kunst,  Duiseldor/  iqog 


pression  in  Tempera,  das  äußerste,  was  uns 
diesmal  an  Häßlichkeit  zugemutet  wird.  Ein 
Christus  ohne  jede  Hoheit,  eine  in  unschöner 
Haltung  gegebene  Gottesmutter  in  giftgrünem 
Unterkieide  mit  roten  Blumen,  S.  Johannes 
in  Weiß,  Joseph  von  Arimathäa  in  braun,  einer 
immer  abstoßender  als  der  andere.  I:in  grüner 
Berghintergrund  vervollständigt  den  unerfreu- 
lichen Eindruck.  Gegen  derlei  gehalten  ist 
das  meiste  schön,  und  auch  eine  ziemlich 
süßlich  durchgeführte  ?  Madonna  mit  dem 
Jesuskinde*  vom  verstorbenen  K.iroly  Lotz 


296 


»^  VIII.  INTERNATIONALE  AUSSTELLUNG  IN  VENEDIG  J»^a 


wirkt  dagegen  mit  ihren  weißen,  grauen,  blauen 
und  sparsamen  rotbraunen  Tönen  schier 
meisterlich.  Uneingeschränkte  Anerkennung 
verdient  dagegen  »Die  Geburt  Christi«  des 
Andor  Bori'ith,  die  der  ungarische  Staat 
samt  mehreren  andern  bedeutenden  Stücken 
aus  seinem  Besitze  hergeliehen  hat.  Das  Ge- 
mälde zeigt  die  hl.  Familie  und  die  anbetenden 
Hirten  in  treftlicher  Lebenswahrheit.  Jeder 
Kopf,  jede  Figur  eine  Charakterstudie,  die 
freundlichen  Züge    nicht  süßlich,  die  herben 


F.  SCHII  LIXC  CHRISTUS 

A:,sslcl!,i,ig /.  Christi.    Kunst.   Dussel.iorf  igog 


ohne  Niedrigkeit,  alles  schlicht  und  unab- 
sichtlich, wie  die  Wirklichkeit  selbst  es  ähn- 
lich geboten  haben  mag.  Die  Farbe  ist  voll, 
tief  und  harmonisch,  die  Lichtstimnmng,  die 
Verteilung  von  Hell  und  Dunkel  erinnert  an 
Rembrandt.  Von  allen  Gemälden,  die  auf 
dieser  Ausstellung  dem  christlichen  Gedanken- 
kreise angehören,  ist  dieses  von  Boruth  das 
einzige,  das  ich  mir  auf  einem  Altar  denken 
könnte.  Denn  bei  allen  übrigen  treten  die 
malerischen  und  technischen  Absichten  allzu 
fühlbar  hervor,  der  christliche  Inhalt  leuchtet 
nicht  immer  in  völlig  ungetrübter  Klarheit. 
Das  ist  auch  bei  der  »Pietä«  von  Molnär 
länos  Pentelei  der  Fall.  Schon  der  Titel 
ist  unrichtig  gewählt,  denn  es  fehlt  bei  dem 
toten  Heilande  die  trauernde  Mutter,  aber  das 
ist  ja  nebensächlich.  Gezeichnet  ist  der  Akt 
hervorragend  gut,  besonders  die  Verkürzung 
wohlgelungen.  Gebilligt  kann  auch  werden, 
daß  die  Fußpartie  in  einen  Halbschatten  ge- 
hüllt ist,  dessen  äußere  Motivierung  allerdings 
nicht  einleuchtet,  der  aber  den  Vorteil  hat, 
die  wieder  aufstrebende  Linie  der  Füße  zu 
mildern  und  der  Horizontale  zu  ihrem  Recht 
zu  verhelfen.  Dagegen  kann  die  Auffassung 
des  Kopfes  nicht  befriedigen.  Die  Biegung 
nach  hinten  zur  Rechten  hebt  besonders  die 
Nasenpartie  in  unschöner  Weise  hervor,  was 
sich|durch  Wendung  zur  Linken  leicht  hätte 
vermeiden  lassen.  Auch  ist  das  Gesicht  nicht 
jenes,  welches  wir  uns  als  das  des  Erlösers  vor- 
stellen möchten.  Das  ganze  Bild  ist  schließ- 
lich trotz  Nimbus  und  Dornenkrone  nichts 
als  eine  freilich  virtuos  gegebene  Studie  vom 
Seziertisch.  Unwillkürlich  fordert  es  zum 
Vergleich  mit  dem  Stuckschen  Christus 
heraus,  der  wohl  so  ziemlich  auf  jeder  Aus- 
stellung zu  finden  ist,  an  der  dieser  Meister 
sich  beteiligt.  Gegen  diesen  Ciiristusakt  kann 
freilich  ein  anderer  schwer  aufkommen.  Alle 
Linien,  alle  Einzelheiten  vereinigen  sich  hier 
zu  einem  Ganzen  von  äußerster  formaler 
Vollendung,  und  das  Einzige,  was  man  zwei- 
felnd fragen  darf,  ist,  ob  in  diesem  nunmehr 
tot  hingestreckten  Körper  eine  Seele  gelebt 
hat,  die  der  Wclterlösung  fähig  war,  und  ob 
dieser  Christus  berufen  ist,  der  Auferstehung 
entgegen  zu  schlummern.  Das  sind  Fragen, 
die  nicht  wie  bei  Pentelei  leichthin  zu  ver- 
neinen sind,  sondern  über  die  bei  Stuck  das 
Nachgrübeln  je  nach  Auffassung  und  persön- 
licher Empfindung  zu  dem  oder  dem  Ergeb- 
nis führen  kann.  Mein  Gefühl  will  sich  bei 
der  Monumentalität,  die  dem  Werke  zweifellos 
in  hohem  Grade  eigen  ist,  doch  nicht  so 
erwärmen,  wie  bei  vielen  weitaus  kunstloseren 
Arbeiten  anderer  Meister,  vor  allem  aus  älterer 


Eduard  von  Gebhardt 


Der  arme  Lazarus 


Die  chriitHche  Kun.t,  V.  J.hr, 


tSSä«  VIII.  INTHRNATIONALE  AUSSTELLUNG  1\  \H\'HDIG 


297 


FRANZ  SCHILLING 


ENTWURF  FÜR  EIN  TREl'l'LNHAUS 
AtisstelUmg  /iir  christliche  Kunst,  Di'isseldorf  tqog 


Zeit.  Aber  auch  in  neuerer  maciit,  glaube 
ich,  nach  der  Richtung  der  Gemütstiefe  so 
mancher  Künstler  dem  großen  Zauberer  von 
München  mit  Erfolg  den  Rang  streitig.  Das 
gleiche  gilt  auch  von  den  andern  Stuckschen 
Bildern,  die  für  das  Religiöse  in  Betracht 
kommen  und  über  die  ich  mich  kurz  fassen 
kann,  weil  die  Akten  über  sie  längst  ge- 
schlossen sind,  die  »Vertreibung  aus  dem 
Paradiese«  und  die  »Kreuzigung«.  Wer  den 
Beruf  der  Kunst  darin  erkennt,  unnachahm- 
liche Vollendung  der  Form,  feinste  Phantasien 
der  Farbe  liervorzubringen,  wird  diese  Stücke 
zu  den  ersten  reciinen,  über  die  einst  die 
Kunstgeschichte  zu  bericiiten  haben  wird. 
Wer  aber  mehr  sucht,  der  darf  in  irgend 
ein  altes  Kirchlein  gehen,  für  das  kein  Vir- 
tuose gemalt   iiat,  und  wird  dort  Iniden,  was 


er  sucht.  Und  wenn  er  der  Kunst  neuerer 
Zeit  sich  zuneigt,  so  wird  er  auch  bei  ihr 
reichliches  Genügen  haben  an  Meistern,  die, 
statt  nur  die  Sinne  zu  blenden,  zu  Herz  und  Ge- 
müt sprechen,  etwa  an  Fugel,  Gebhardt,  Kunz 
oder  auch  Thoma.  Es  ist  nur  ein  kleines 
Blättchen,  nur  ein  Holzschnitt,  der  von  Hans 
Thoma  hier  in  Venedig  ausgestellt  ist,  die 
andern,  deren  Namen  ich  sagte,  fehlen  über- 
haupt. Es  ist  die  )> Kreuzigung«.  Ganz  einfach, 
ganz  wie  sie  seit  alters  dargestellt  ist,  wie 
sie  uns  im  Herzen  gemalt  stellt,  ohne  groL'e 
Künste,  die  um  ihrer  selbst  willen  glänzen 
sollen.  Auch  Thoma  ist  ein  Führender  im 
Reiche  der  Kunst  wie  Stuck.  Wer  mit  klarem 
Sinn  und  warmem  Herzen  diese  Kreuzigung 
mit  der  auf  dem  großen,  farbig  und  zeich- 
nerisch Staunen    erregenden  Stuckschen  Ge- 


Dle  chHiUkhe  Kun 


298 


Si^  Dil-   KUNST  IM  BÜRGERLICHEN  HEIM  *^a 


THEODOR  WIKTER 


CHRISTUS  IM  GRABE 


Ausstellung  für  christliche  Kunst,   DiascUeif  iqog 


mälde  vergleicht,  wird  schwerlich  zweifeln, 
welches  von  beiden  Werken  den  höheren 
inneren  Wert  besitzt. 

Wollen  wir  zum  Schluß  den  Eindruck  der 
ganzen  Ausstelhing  zusammenhissen,  so  muß 
man  sagen,  daß  sie  namentlich  hinsichtlich  der 
Anordnungdcs  Ganzen  befriedigt,  während  die 
Qualität  der  künstlerischen  Darbietungen  auf 
der  Höhe  der  früheren  steht.  Den  schwersten 
Stand  hatten  die  Italiener,  in  deren  Abteilung 
denn  auch  nicht  wenig  Mittelmäßiges  geraten 
ist.  Die  fremden  Nationen  konnten  eine 
sorgsamere  Auswahl  trefl'en.  Die  deutsche 
Kunst  ist  am  stärksten  durch  München  ver- 
treten. So  hat  der  oben  erwähnte  F.  von  Stuck 
eine  Kollektivausstellung,  die  in  35  Nummern 
alle  bedeutenderen  Werke  des  Künstlers  um- 
laßt und  bei  der  italienischen  Kritik  eine  begei- 
sterte Aufnahme  fand.  Sam  bergersandte  drei 
seiner  brillanten  Bildnisse:  Welti  (Abb.  IV.  Jg., 
S.  303),  Dr.  Schäfer  (Abb.  IV.  Jg.,  Beil.  zu  H.  5) 
und  Becker-Gundahl.  Von  den  drei  Bildern  F.  v. 
Uhdes  nennen  wir  das  bekannte  Bildnis  des 
Schauspielers  Wohlmuth.  Tüchtige  Werke  ent- 
hält die  Ausstellung  u.  a.  von  Richard  Kaiser, 
Hugo  von  Habermann,  G.  v.  Kuehl,  H.  v.  Zügel, 
Charles  Tooby,  Pietzsch. 


DIE    KUNST   IM  BÜRGERLICHEN 
HEIM 

Von  E.  GUTENSOHN 

IVylehr  als  je  werden  in  unserer  Zeit  die  so- 
^ '  '  zialen  Gegensätze  fühlbar.  Äußerlich  frei- 
lich tritt  der  Unterschied  von  arm  und  reich 
vielleicht  weniger  scharf  hervor  als  in  frühe- 
ren Zeiten,  denn  die  moderne  Kultur  »nivel- 
liert«, sie  gleicht  äußerlich  aus.  Immerhin 
haben  wir  täglich  Gelegenheit,  auf  der  einen 
Seite  Prunk  und  Luxus,  auf  der  andern  harte 
Arbeit  und  Entbehrung  wahrzunehmen:  Ge- 
gensätze, die  dem  liebevollen  Geiste  des  Chri- 
stentums ganz  und  gar  nicht  entsprechen; 
Gegensätze,  die  das  ärmere  Volk  bitter  fühlt, 
denn  es  ist  heutzutage  gescheit  genug,  um 
sie  beim  Nachdenken  über  seine  Lage  zu 
empfinden.  Es  ist  darum  ganz  natürlich,  daß  der 
kleine  Bürger  nach  einem  Ausgleich  dieser  tief 
liegenden  sozialen  Gegensätze  trachtet,  indem 
er  einer  Übervorteilung  von  selten  der  wirt-  : 
schaftlich  Stärkeren  zu  begegnen  sucht,  in-  \ 
dem  er  ferner  für  seine  Arbeitsleistung  eine 
den  Verhältnissen  der  Zeit' entsprechende  Ent- 
lohnung anstrebt,   indem  er  endlich  auch  dar- 


Si^  DIR  KUNST  IM  BÜRGRRLICFII'N 


■IM  »«Sä 


299 


nach  traclitet,  seine  ganze  Lebenshaltung  zeit- 
gemäß zu  heben  und  mensclienwürdiger  zu 
gestalten.  Es  ist  nicht  zu  verkennen,  daß 
heute  dem  einlachen  Bürger  manche  Ver- 
gnügungen, manche  Bildungsgelegenlieiten 
geboten  sind,  die  ihm  früher  wegen  der  da- 
mit verbundenen  Kosten  unerreichbar  waren. 
Wie  aber  ein  großer  Unterschied  besteht  zwi- 
schen dem  kleinen  Luxus  des  Ärmeren  und 
dem  kostspieligen  Luxus  des  Reichen,  so  ist 
nicht  minder  ein  bedeutender  Abstand  zwi- 
schen dem  Luxus  des  Gebildeten  und  dem 
des  Ungebildeten.  Letzterer,  weil  geistig  zu 
beschränkt,  um  höhere,  geistige  Genüsse  zu 
erstreben,  hält  dafür  niedrige,  materielle,  wie 
Essen  und  Trinken  u.  dgl. 
für  am  meisten  begehrens- 
wert; er  verzeiht  auch  an- 
dern eher  diese  Art  Luxus, 
weil  er  ihn  begreiflicher  fin- 
det als  den  geistigen :  Kunst- 
genuß u.  dgl.,  für  den  er  sel- 
ber keinen  Sinn  hat,  wes- 
halb er  ihn  für  überflüssig 

hält.  Erfreulicherweise 
wächst  nun  heutzutage  in- 
folge der  erhöhten  \'oIks- 
bildung  auch  in  den  Krei- 
sen der  Arbeiterschaft  mehr 
und  mehr  das  Bedürfnis  nach 
dem  Besitze  edler  geistiger 
Güter.  Es  ist  dies  zugleich 
ein  erfreuliches  Zeichen  von 
der  materiellen  Hebung  des 
Volkes,  denn  ein  Bedürfnis 
nach  ästlietischem  und  gei- 
stigem Genuß  stellt  sich, 
wie  uns  die  Kulturgeschichte 
zeigt,  erst  dann  bei  einem 
Volke  ein,  wenn  es  die  ärg- 
ste Not  des  Lebens  über- 
wunden hat.  Dieses  Bedürf- 
nis, diese  Sehnsucht  nach 
Veredlung  und  \'erschöne- 
rung  des  Lebens,  wie  sie 
insbesondere  die  Kunst  bie- 
tet, läßt  sich  als  Wirkung 
der  nüchternen  Leere  be- 
trachten, welche  sich  bei 
dem  von  der  Prosa  des  sich 
immer  gleich  abwickelnden 
Tagewerkes  Ermüdeten  ein 
stellt,  und  die  nun  nach 
einem  Inhalt  strebt,  nach 
einem  Gegenstande,  der  das 
Gemüt  befriedigt,  dem  die 
Arbeit  in  der  I'abrik  oder 
^^'erkstätte  nichts  zu  bieten 


\  ermochte.  Mit  anderen  Worten :  die  Seele 
des  Menschen,  die  untertags  einseitig  durch 
den  Beruf  in  Anspruch  genonmien  war,  strebt 
nach  freier  Betätigung  jener  geistigen  Kräfte, 
die  während  des  Tages  ruhten;  sie  sucht  Er- 
holung, Abwechslung,  wie  wir  es  nennen. 
»Erholung  ist  Rückholung  des  Gleichgewichts 
unserer  Kräfte ,  das  durch  den  Tagesberuf 
und  die  gewöhnliche  Beschäftigung  gestört 
wird«,  sagt  der  Ästhetiker  M.  Hoffmann.  — 
Wohl  dem,  der  diese  Erholung  in  einem  be- 
haglichen Heim  sucht  und  fmdet!  Behaglich 
und  schön  wird  aber  selbst  das  schlichte  Heim 
des  Arbeiters  außer  durch  den  Geist  der  Ord- 
nung   und    Reinlichkeit,    der    Eintracht    und 


Al.l-XASDKR  IVKK 


Atisstflliins  /«r  chrisilichf  KntiMl.   DusttUurf  looq 


©^  DIE  KUNST  IM  BÜRGERLICHEN  HEIM  >^a 


THEODOR  BAIERL 


KREUZABNAHME 


"eUtiftg  für  clirislHche 


DnsseUorf  igvg 


Liebe,  der  darin  vor  allein  herrschen  muß, 
auch  durch  die  Kunst.  Niemand  möge  ein- 
wenden, der  Arbeiter  verstehe  von  der  Kunst 
zu  wenig,  er  könne  deshalb  auch  keine  Kunst 
in  sein  Heim  bringen.  Das  wäre  ein  gänz- 
lich falscher  Standpunkt.  Es  ist  dagegen  zu 
bedenken,  daß  wohl  fast  jeder  Mensch  einen 
angebornen  Sinn  für  das  Schöne  hat  (verrät 
ja  auch  der  Wilde  Kunstsinn,  wenn  er  seine 
Waffen  und  Geräte  verziert  und  sich  mit 
Schmuck  behängt),  freilich  der  eine  mehr, 
der  andere  weniger,  der  eine  mehr  für  diese, 
der  andere  mehr  für  jene  Seite  des  Schönen. 
Ebensowenig  wäre  der  Einwurf  stichhaltig, 
die  Kunst  sei  überhaupt  für  den  kleinen  Mann 
zu  teuer.  Wenn  wir  unter  Kunst  nicht  die 
Luxuskunst  verstehen,  so  können  wir  sehr 
wohl  von  einer  Kunst  im  Heim  des  Arbeitersund 
überhaupt  des  schlichteren  Bürgers  sprechen. 
Da  den  meisten  Menschen  ihr  Heim  als 
Ort  der  Erholung,  der  Ruhe  nach  vollbrach- 
tem Tagwerk,  als  Sammelpunkt  der  Kraft  für 
neue  Tätigkeit  dient,  ferner  den  Kindern  zur 
Erziehung,  der  Hausfrau  als  steter  Platz  für 
ihr  Wirken,  so  wird  es  sich  von  selbst  emp- 
fehlen, auf  geschmackvolle  Ausstattung  der 
Wohnung  möglichst  bedacht  zu  sein.  Ob 
jemand  guten  Geschmack  besitze,  zeigt  sich 
oft  schon  in  der  Wahl  der  Wohnung.    Wer 


auf  ein  angenehmes  Heim  etwas  hält,  der  wird, 
wenn  dies  möglich,  nach  einer  Wohnung 
trachten,  die  einen  Ausblick  ins  Freie,  aut 
Bäume,  auf  eine  Kirche  oder  einen  Kirch- 
turm u.  dgl.  bietet.  Aus  denselben,  aber  auch 
aus  sanitären  Gründen  wird  er  auch  lieber 
die  höheren  als  die  niederen  Stockwerke  be- 
ziehen, lieber  eine  gegen  die  Sonnenseite  als 
eine  gegen  Norden  gelegene  Wohnung  mie- 
ten. Wenn  er  genötigt  ist,  in  einem  Hin- 
terhause zu  wohnen,  wird  er  ein  solches  be- 
vorzugen, das  gegen  einen  Garten  liegt  usw. 
(Das  Wohnen  im  Hinterhause  bietet  übrigens 
meist  den  Vorteil  größerer  Ruhe.)  Dies  sind 
indes  Dinge,  die  man  schon  deshalb  —  lei- 
der! —  als  nebensächlich  bezeichnen  muß, 
weil  es  angesichts  der  mißlichen  Wohnungs- 
verhältnisse in  den  größeren  Städten  dem 
»kleinen  Manne«  häufig  unmöglich  ist,  bei 
der  Wahl  seiner  Wohnung  auch  seinen  Ge- 
schmack ein  gewichtiges  Wort  mitsprechen 
zu  lassen. 

Günstiger  verhält  es  sich  schon  bezüglich 
der  Einrichtung  des  Heims.  Beim  Einzug 
in  dasselbe  starren  uns  überall  die  leeren 
Wände  entgegen.  Oft  sind  diese  tapeziert, 
oft  auch  nur  getüncht,  welch  letzterer  Um- 
stand durchaus  keinen  Ubelstand  bedeutet. 
Besser  schön  getüncht,  als  häßlich  tapeziert! 


301 


©3^  DIR  KUNST  IM  BÜRGERLICHEN  HEIM  mQ 


GEBHARD    FUGEl. 


i:HET  DAS  LAMM  GOTTES  (EN'TWURFl 


Es  ist  durchaus  nicht  gleichgültig,  welche  Far- 
ben die  Wand  aufweist.  Matte,  einfache  Be- 
malung in  angenehm  grauen  (bläulich-,  grün- 
lich-, briiunlichgrauen)  Tönen  wirkt  am  ruhig- 
sten; grelle,  besonders  rote  Farben  wirken 
unruhig  und  sollen  sogar,  wie  behauptet  wird, 
auf  empfindliche  Gemüter  eine  nachteilige 
Wirkung  ausüben.  Kommt  man  in  die  Lage, 
sich  die  Tapeten  selber  zu  wählen,  so  suche 
man  sich  ebenfalls  ein  ruhiges  Muster  in  mat- 
ten, womöglich  hellen  Farben,  weil  allzu  grelle 
Farben  und  bunte  Muster  nicht  nur  auf  die 
Dauer  nicht  gefallen,  sondern  auch  die  Wir- 
kung etwaandieWandgehängterfarbigerBilder 


und  sonstiger  farbiger  Gegenstände  sehr  beein- 
trächtigen können.  Auch  zu  groß  und  zu  lebhaft 
inderBewegung  soll  das  Muster  nicht  sein.  In  die- 
ser Beziehung  hat  der  sogenannte  »Jugendstil«, 
der  nun  wieder  überwunden  ist,  viel  gefehlt. 
Tapeten  mit  gewaltig  großen  Blumen  und 
Blättern  und  sonderbar  gekrümmten  Ranken 
zogen  den  Blick  des  ins  Zimmer  Eintretenden 
sofort  auf  sich,  als  wären  sie  und  nicht  die 
Einrichtung  darin  die  Hauptsache.  Aufdring- 
liches Wesen  in  Form  und  Farbe  ist  aber 
protzenhaft  und  hat  keinen  Platz  im  Gebiete 
der  wahren  Kunst.  Wie  die  Wand  einfach 
gehalten  sein  soll,   so  auch  die  Zimmerdecke, 


C;^  Dil-  KLXST  IM  BL  RCEKI.lCHliN  Hl-I.\l  J^/;^ 


GI.BHARD   lUGl  I, 


i;i:i;i  1  L'NG  ii,  iki  iEmw  l'kf- 


Ausitclluug  /ur  chyistlichf  Kunst,    Düsseldorf  igog 


denn  unser  Auge  sielit  niclit  aufwärts,  son- 
dern vorwärts;  es  soll  also  nichts  an  der 
Decke  sein,  was  sich  derart  aufdrängt,  daß 
der  Blick  nach  oben  gebannt  wird.  Die  Decke 
könnte  ganz  gut  weiß  bleiben  (daher  auch  in 
manchen  Gegenden  der  Ausdruck:  Weißdecke), 
meistens  zeigt  sie  aber  eine  an  den  vier  Sei- 
ten herumlaufende,  bald  schmälere,  bald  brei- 
tere ornamentale  Bordüre  und  in  der  Mitte 
eine  Rosette.  Dagegen  wäre  nun  an  sich 
nichts  einzuwenden,  der  Fehler  ist  aber  der, 
daß  das  Muster  der  Decke  meist  mit  dem  der 
Tapete  im  grellsten  Gegensatz  steht.  Land- 
schaften, Genres  u.  dgl.  bildliche  Darstellun- 
gen an  der  Decke   sind   nach   dem  Gesagten 


vollständig  zu  verwerfen.  Bilder  gehören  an 
die  Wände,  nicht  an  die  Decke;  dies  ist  nur 
in  sehr  großen  Räumen :  in  Kirchen,  hohen 
Sälen  etc.  angebracht,  wo  sich  ein  weites  Ge- 
sichtsfeld bietet. 

Nachdem  wir  uns  nun  über  das  Aussehen 
der  Wohnräumlichkeit  klar  geworden  sind, 
sei  unsere  Aufmerksamkeit  nunmehr  der  Ein- 
richtung derselben  zugewendet.  Diese  kann 
auch  dann  Kunstgeschmack  zeigen,  wenn  sie 
nicht  »kunstvolle,  d.  Ii.  luxuriös  ist.  Der  Reiche 
mag  seine  Möbel  beim  Kunsttischler  bestel- 
len und  einzig  darin  seine  Befriedigung  fin- 
den, daß  er  Gottseidank  in  der  Lage  ist,  ein 
respektables  teures  Haus  zu  machen  und  sei- 


304 


Q'm  DIH  KUNST  IM  BÜRGERLICHEN   HEIM  »■^a 


VALENTIN  KRAUS 


UNSERE  ERLÖSUNG 


Aiisitrllniis;  fnr  chrhlliche   Kiinat,    PiisselJor/  loog 


nen  Besuchern  Zimmereinrichtungen  zuzeigen, 
bei  deren  Anbliciv  sie  von  einem  Staunen  ins 
andere  fallen.  Das  ist  aber  nicht  das  Wohl- 
getühl  eines  befriedigten  ästhetischen  Bedürf- 
nisses, sondern  Prunksucht  und  die  eitle  Lust, 
anderen  mit  den  überladenen  Wohnungsschät- 
zen möglichst  zu  imponieren.  Bei  der  Wahl 
der  Wohnungsgegenstände  ist  nun  allerdings 
darauf  zu  achten,  daß  dieselben  stilvoll  seien. 
Stilvoll  ist  dasjenige,  was  einen  gefälligen  Ein- 
klang zwischen  seiner  Form  und  seiner  Be- 
stimmung, zwischen  seiner  äußeren  Erschei- 
nung und  seinem  Zwecke  oder  auch  den  hiezu 
verwandten  Mitteln,  besonders  dem  Material, 
zeigt.  Was  nicht  zum  Wesen  der  Sache  ge- 
hört, also  aller  äußerlich  angefügte  Schmuck, 
ist  überflüssig.  So  ist  es  z.  B.  vom  künstle- 
rischen Standpunkte  aus  erlaubt,  die  Beine 
eines  Tisches  geschweift  zu  machen,  ja  wir 
werden  an  solchen  ein  größeres  Gefallen  fin- 
den, als  an  geraden,  weil  jene  durch  ihre  Aus- 
beugung sofort  daran  erinnern,  daß  sie  eine 
Last,  nämlich  die  Tischplatte  zu  tragen  haben 
und  daher  eine  ähnliche  Beugung  zeigen,  wie 
der  Mensch,  der  eine  Last  zu  tragen  hat  und 
sich  deshalb  bückt.  Unnötig  erscheint  es  da- 
gegen  vom  künstlerischen   Standpunkte,    daß 


z.  B.  an  Kästen  Säulen  angebracht  werden, 
die  doch  mit  der  Bestimmung  des  Kastens 
nichts  zu  tun  haben.  Säulen  sollen  tragen, 
am  Kasten  haben  sie  diese  Tätigkeit  nicht  zu 
erfüllen.  Leider  haben  wir  heutzutage  immer 
noch  eine  Scheinkunst,  die  zwar  derech- 
ten Kunst  ähnlich  sieht  und  dennoch  billiger 
kommt,  die  aber  im  Volke  den  Sinn  für  die 
gute  kunsthandwerkliche  Arbeit  vielfach  er- 
tötet hat!  Um  wie  viel  besser  ist  doch  die 
schlichte  Volkskunst  auf  dem  Lande  —  wo 
wir  sie  überhaupt  noch  antreffen  — ,  als  die 
unsoliden  Möbeleinrichtungen  unserer  städti- 
schen Warenhäuser  und  Abschlagszahlungs- 
geschäfte! Die  einfachen  Stühle  aus  Apfel- 
baumholz mit  ihren  bei  aller  Einfachheit  charak- 
teristischen Lehnen,  die  bemalten  Büfetts  und 
angestrichenen  Kästen,  worauf  religiöse  Em- 
bleme wie:  Herz  Jesu  und  Herz  Maria,  das 
Lamm  Gottes,  auch  wohl  Engelsköpfchen,  Va- 
sen mit  Blumen  u.  dgl.  gemalt  sind,  das  zeugt 
von  einem  recht  gesunden  künstlerischen  Ge- 
schmack im  Volke!  Einfach  und  geschmack- 
voll sei  darum  auch  unser  Losungswort.  Ein- 
fache Möbel,  mit  hübscher  Farbe  angestrichen, 
der  auch  die  Wandbemalung,  bezw.  die  Ta- 
pete entspricht,  das  wäre  wohl  das  Ideal  eines 


AuisMluitg  für  christliche 
Kunst,  Düsseldorf  tQog  o 
'f/.  Abk.  S.  jod 


\'ALENTIN  KRAUS 
ALTARSCHREIN  « 


Uo  chhitlicbe  Kunsc    V. 


3o6 


©^  DIE  KUNST  IM  BÜRGERLICHEN  HEIM  mö 


jm'h  t 


AlurmuJell  von  Jal,ub  Angcrmair  mit  Relief  von  Val.  Kraus 

Vgl.  S.  3o; 

Ausstellung  fiir  christliche  Kunst.   Ditsscldorf  iqog 

geschmackvollen     Wohnraumes     für    unsern 
Bürgerstand. 

Neben  der  Auswahl  der  Einrichtungsstücke 
läßt  die  Anordnung  derselben  im  Zimmer 
eine  volle  Betätigung  des  guten  Geschmackes 
zu.  Wie  die  harmonische  Wohlordnung,  der 
Geist  des  wohltuenden  Zusammenwirkens  aller 
häuslichen  Gegenstände  in  unser  Heim  ein- 
geführt werde,  das  läßt  sich  im  einzelnen  nicht 
angeben;  es  möge  genügen,  darauf  aufmerk- 
sam gemacht  zu  haben. 


Außer  der  Möbeleinrichtung  kommt  auch 
der  Zimmerschmuck  in  Betracht.  Der 
erste  und  beste  Schmuck,  den  die  Wohnung 
des  christlichen  Mannes  aufweisen  soll,  ist  ein 
Kruzifix.  Man  hängt  dies  gern  in  die  der 
Zimmertüre  schräg  gegenüber  liegende  Ecke, 
doch  kann  es  auch  anderswo  seinen  Platz  fin- 
den. Neben  dem  Kruzifix  dürfen  auch  gute 
religiöse  Bilder  nicht  fehlen,  denn  diese  haben 
nicht  nur  eine  künstlerische  Wirkung,  son- 
dern sind  auch  sehr  geeignet,  unseren  Blick 
von  den  Sorgen  des  Alltags  hinweg  zum  Ewi- 
gen zu  richten  und  uns  dadurch  aufzurichten 
und  zu  trösten.  Bildnisse  des  Landesfürsten 
und  vaterländischer  Helden,  sowie  Darstellun- 
gen von  Ereignissen  aus  der  Geschichte  un- 
seres Vaterlandes  wecken  und  stärken  das  pa- 
triotische Gefühl.  Weniger  Wert  haben  die 
Darstellungen  aus  dem  Alltagsleben,  sog.  Gen- 
res; wenn  solche  verliebte  Szenen  darstellen, 
sollten  sie  der  Kinder  wegen  aus  dem  Heim 
einer  christlichen  Familie  lieber  überhaupt  aus- 
geschlossen bleiben.  Besser  ziere  man,  wo 
sich  noch  freie  Wandflächen  darbieten,  diese 
mit  Landschaften. 

Der  Einfluß,  den  die  an  der  Wand  hän- 
genden Bilder  besonders  auf  den  Geist  und 
die  Denkungsweise  der  Kinder  ausüben,  ist 
viel  größer  als  manche  Eltern  ahnen,  und  wenn 
sie  auch  für  sich  selber  keinen  Anstoß  neh- 
men an  manchen  Darstellungen,  wie  man  sie 
auf  weltlichen  Bildern  finden  kann,  so  sollte 
man  doch  um  der  Kinder  willen  lieber  bei 
religiösen,  patriotischen  und  landschaftlichen 
Darstellungen  bleiben;  wo  man  Genres  wählt, 
müssen  sie  wenigstens  unschuldig  und  harm- 
los sein. 

Wer  aber  geschmackvolle  Bilder  will,  der 
kaufe  nicht  auf  Jahrmärkten  oder  bei  herum- 
ziehenden Händlern  billigesog. Ölfarbendrucke; 
es  gibt  heutzutage  tüchtige,  solide  Kunstverlags- 
anstalten genug,  die  um  billigen  Preis  treffliche 
Bilder  herstellen,  so  daß  niemand  nötig  hat, 
zu  Schundware  zu  greifen!  Für  religiöse  Bil- 
der sei  vor  allem  hingewiesen  auf  die  Gesell- 
schaft für  christliche  Kunst  in  München,  Karl- 
straße 6,  die  treffliche  Reproduktionen  alter 
und  neuer  Meister  zu  den  verschiedensten 
Preisen  liefert.  Wer  sonst  noch  gute  farbige 
Bilder  will,  der  kommt  nicht  in  Verlegenheit, 
denn  an  wirklich  guten  und  dabei  billigen 
Erzeugnissen  echter  Bilderkunst  ist  durchaus 
kein  Mangel;  möchten  sie  nur  überallhin  ge- 
langen! 

Es  ist  nun  aber  nicht  genug,  daß  man  gute 
Bilder  besitze;  sie  müssen  auch  richtig  ge- 
rahmt sein  und  passend  aufgehängt  werden. 
Die  Umrahmung  hat  den  Zweck,  dem   Bilde 


307 


BALTHASAR  .SCHMriT  MAt.MI KAI 

AuiilrlluHg  /„r  chrisIlUht  KmtsI,   Diisirl./m-/  iqoq 


©^  DIE  KUNST  IM  BÜRGERLICHEN  HEIM  mG> 


VMSCP'^S  FRlWWSWeCBI 


7Sfm\Qm.0m 


HAI  THASAK  SCHMITT 


Ausstellung  für  christliche  Kunst,   Düsseldorf  igog 


II,  KREUZWEGSTATIOX 


eine  Grenze  gegen  die  Wand  zu  geben.  Bilder, 
welche  einen  weißen  Papierrand  haben,  brauch- 
ten eigentlich  keinen  Rahmen,  da  schon  der 
weiße  Rand  einen  solchen  bildet;  da  sie  aber 
ohnehin  des  besseren  Schutzes  wegen  unter 
Glas  kommen  müssen ,  nehme  man  einen 
schmalen,  einfachen  Rahmen,  ja  nicht  einen 
autdringlichen,  weil  ein  solcher  die  Wirkung 
des  Bildes  stört;  er  soll  ja  im  Dienste  des 
Bildes  stehen,  darf  also  nicht  als  Hauptsache 
erscheinen,  ebenso  wie  auch  die  Wand  bloß 
der  Hintergrund  und  das  Bild  die  Beseelung 
und  Belebung  der  Wandfläche  ist,  weshalb, 
wie  schon  früher  erwähnt,  aufdringliche  Ta- 
petenmuster zu  verwerfen  sind.  Gegenwärtig 
werden  außer  schwarzen  und  vergoldeten  Rah- 
men auch  gern  farbige  (rotbraune,  grüne  u. 
dgl.)  verwendet.  Sie  machen  sich  oft  recht 
gut,  nur  ist  bei  ihrer  Verwendung  der  Grund- 
satz zu  beachten,  daß  sie  eine  Farbe  haben 
müssen,  die  das  Bild  gut  gegen  die  Wand  ab- 
schließt. Im  allgemeinen  soll  die  Rahmenfarbe 
im  Bild  nicht  vorhanden  sein.  Darum  nimmt 
man  bei  mehrfarbigen  Bildern  gern  Goldrah- 
men, denn  Gold  kommt  ja  in  farbigen  Bil- 
dern meistens  nicht  vor.    Auch  Eichen'rahmen 


(Naturholz)  sehen  recht  hübsch  aus.  Die  Breite 
des  Rahmens  muß  immer  im  richtigen  Ver- 
hältnis zur  Bildgröße  stehen.  Bei  großen  Bil- 
dern, auch  bei  solchen,  die  einen  breiten  Rand 
haben ,  ist  der  Rahmen  am  besten  schmal, 
bei  kleineren  Bildern  und  solchen  ohne  Rand 
darf  er  breiter  sein.  Größere  Bilder  hängen 
wir  höher,  kleinere  niedriger.  Kleine  möge 
man  aber  nur  dann  an  die  Wand  hängen, 
wenn  schon  einige  größere  da  sind,  da  sonst 
die  dekorative  Wirkung  gänzlich  verloren  geht. 
Wer  farbige  und  »schwarze«  Bilder  hat,  wird 
nicht  beiderlei  nebeneinander  plazieren;  er 
wird,  wie  schon  aus  dem  früher  Gesagten 
hervorgeht,  gut  tun,  wenn  er  die  farbigen 
an  eine  mattfarbige  Wand,  die  andern  (Holz- 
schnitte, Kupferstiche  u.  dgl.)  an  eine  Wand 
mit  lebhatterer  Farbe,  demnach  in  ein  ande- 
res Zimmer,  bringt.  Daß  die  Bilder  außer- 
dem svmmetrisch  verteilt  werden  müssen,  ver- 
steht sich  von  selbst. 

Außer  dem  Bilderschmuck  treffen  wir  in 
manchen  Wohnungen  noch  manch  andere 
Sachen  und  Sächelchen,  sogenannte  Nipp- 
sachen, an,  die  eben  auch  zur  Zier  dienen 
sollen;   oft  sind  es  deren  so  viele,   besonders 


©S^  DIF.  KUN'ST  IM  BÜRGERLICHEN  HEIM  >®ft3 


309 


r''  ^ 


LfR  HfRR  WAHM  VOM  MIR /lllfNTPi)^  ^>m\\%  mMil  NICH  iCHMArHIfW 


BALTHASAR  SCHMITI 


ellung  Jür  chrUttUht  Kunst,   DusseUorf  ,Q.,g 


IV.  KKEU/WEGSI  AlIOS' 


bei  reiclien  Leuten ,  dalS  sie  ein  Gefühl  der 
Unruhe  und  UnbehagHchi<eit  erzeugen ,  daß 
wir  uns  in  einem  solchen  Zimmer  veranlaßt 
sehen,  ganz  besonders  aufzupassen,  um  nichts 
zu  zerbrechen.  Solche  Dinge  sind  unnötig. 
Geradezu  gewarnt  muß  werden  vor  den 
geschmacklosen,  manchmal  bronzierten  oder 
vergoldeten  Gipshguren ,  die  man  billig  im 
Bazar  kauft,  wie  z.  B.Osterhasen,  Schäfer 
und  Schäferin,  Kätzchen  u.  dgl  ,  oder  gar 
Schweinchen,  auf  denen  Gras  wächst!  Zu 
verwerfen  sind  ferner  künstliche  Blumen,  die 
ohnehin  bald  ihre  Earbe  verlieren ,  sowie 
überhaupt  alles  unechte,  nachgemachte  Zeug. 
Dagegen  werden  natürliche  i51umen,  etwa 
Feldblumen,  die  man  gelegentlich  gepllückt 
hat  und  in  ein  Glas  oder  eine  \'ase  mit  Was- 
ser stellt,  immer  einen  hübschen  Schmuck 
des  Zimmers  bilden,  ebenso  lebende  Pflanzen 
in  Töpfen.  Schon  eine  einzige  Blattpflanze 
in  einem  kleinen  Blumentisch,  den  sich  ein 
geschickter  Arbeiter  auch  selber  machen  kann, 
verleiht  dem  Räume  einen  Hauch  der  heitern 
Natur  und  darum  eine  besondere  Traulich- 
keit. Man  stellt  den  Blumentisch  am  besten 
in  eine  Ecke,  denn  es  ist  überhaupt  gut.  in 
den  Zimmern  die  F.cken  der  zusammenstoßen- 


den Wände  nach  Tunlichkeit  zu  verbergen. 
Auch  Bücherbretter  können  in  einer  Ecke 
ihren   Platz  finden. 

Kommoden  und  'Fische,  wenn  letztere  ge- 
rade nicht  benützt  werden,  bedeckt  man  gerne 
mit  passenden  Teppichen.  Man  kann  dazu 
unbedenklich  lebhaftere  Farben  wählen,  es 
genügen  dabei  einfache  und  billige  Muster, 
schon  diese  verleihen  dem  Räume  ein  gefäl- 
liges Aussehen.  Zu  beachten  wäre  auch,  daß 
Tisch-  und  Kommodedecken,  wie  auch  Sessel- 
überzüge u.  dgl.  in  der  Farbe  möglichst  unter- 
einander und  auch  mit  der  der  Wände  har- 
monieren sollten;  indes  läßt  sich  diese  For- 
derung freilich  oft  beim  besten  Willen  nicht 
durchfuhren.  Was  Bodenteppichc,  Läufer, 
Bettvorlagen  betrifft,  so  gilt  hier  besonders 
die  Regel,  daß  grelle  Farben  und  Muster  ver- 
mieden werden  müssen,  weil  sie  das  Auge 
des  Besuchers  zu  sehr  auf  sich  lenken  und 
ihn  zwingen,  mit  gesenktem  Blick  ins  Zim- 
mer zu  treten  und  dadurch  einen  \'erstoß 
gegen  die  gute  Sitte  zu  begehen.  Für  Fußtep- 
piche empfehlen  sich  ruhige,  weder  zu  dunkle, 
noch  zu  helle  Farben  und  als  Muster  symme- 
trisch zusammengesetzte  einfache  Ornamente 
oder    stilisierte   Pfianzengebilde.      Schlechten 


3IO 


S;^  PROIEKT  FÜR  EINE  PFARRKIRCHE  IN  URDINGEN  ?^S 


1 

1      1    4S'#^^^^H 

HANS  MILLER 


ENTWURF 
■st/n-/u-  Kinist.   DiiszeMoy/ 


ZU  EINEM  TAUFSTEIN 

IQOQ 


Geschmack  verrät  es,  wenn  Tiere  oder  gar 
menschliche  Gestalten  in  die  Fußbodenbedek- 
kungen  eingestickt  sind,  bei  deren  Anblick 
man  den  Fuß  unwillkürlich  zurückzieht,  weil 
man  sich  scheut,  über  Menschen-  und  Tier- 
leiber zu  steigen.  Ebenso  sollten  die  Fenster- 
vorhänge nicht  menschliche  Figuren,  Häuser 
oder  Burgen  u.  dgl.  zeigen,  sondern  am  besten 
aufsteigende    Blumenranken. 

Zur  Einrichtung  eines  Heims  gehören  auch 
die  Gefäße  in  Stube  und  Küche.  Daß  diese 
im  Heim  des  einfachen  Mannes  nicht  prunkvoll 
sein  können  und  auch  nicht  zu  sein  brauchen, 
liegt  auf  der  Hand.  Am  besten  ist  es,  ganz 
weißes  Geschirr  zu  nehmen  oder  wenigstens 
solche  Muster,  zu  denen  man  leicht  wieder 
das  gleiche  Stück  kaufen  kann ,  wenn  eines 
zerbrechen  sollte.  Es  nimmt  sich  unschön 
aus,  wenn  z.  B.  mehrere  Personen  beim  Kaffee 
sitzen,  von  denen  jede  ein  andersfarbige  Tasse 
hat.  Natürlich  wird  man  ebenso  trachten,  wenn 
ein  Stück  Möbel  angeschafft  werden  soll,  ein 
solches  zu  nehmen,  das  in  Form  und  Farbe 
zu  den  bereits  vorhandenen  paßt. 

Aus  den  in  dem  Vorstehenden  gegebenen 
allgemeinen  Richtpunkten,  die  natürlich  nicht 
ganz  erschöpfend  sein  konnten,  weil  sich  ja 
unter  verschiedenen  Verhältnissen  auch  man- 
ches verschieden  gestaltet,  mag  wohl  jeder 
selbst  herausfühlen,  was  unter  der  »Kunst 
im  bürgerlichen  Heim«  zu  verstehen  ist;  nicht 
luxuriöse     »stilvolle«     Einrichtuni; ,     sondern 


die  Befolgung  jener  Ge- 
setze und  Regeln,  die  uns 
der  Sinn  für  das  Schöne 
diktiert,  in  der  Beschränkung 
einlacher  Lebensverhält- 
nisse. Die  Hauptsache  aber 
ist  und  bleibt  immer,  daß 
die  Bewohner  das  Schöne 
in  Charakter  und  Gemüt 
zeigen,  das  Schöne,  das  sich 
im  Wollen  und  Handeln  zu 
erkennen  gibt.  Jede  Lei- 
denschaftlichkeit im  Ge- 
spräche, wozu  wohl  oft  ein 
liäusliciier  Zwist  verleiten 
kann,  soll  unterlassen,  jede 
heilige  Gemütserregung,  die 
zu  einem  übereilten  Ent- 
schlüsse verleitet,  soll,  ganz 
besonders  in  Gegenwart  der 
Kinder,  möglichst  vermie- 
den werden,  damit  diese  nur 
immer  das  Bild  eines  harmo- 
nischen Zusammenlebens 
der  Erwachsenen  vor  Augen 
haben  und  von  ihnen  wohl- 
tuende Eindrücke  empfangen.  Dieses  Bild 
der  ruhigen  und  beruhigenden  Zusammen- 
stimmung, des  gleichmäßigen  Einklangs  wird 
sich  dann  dem  leicht  empfänglichen  Kindes- 
gemüte  einprägen  und  ihm,  wie  das  ganze 
elterliche  Haus,  überhaupt  für  sein  ferneres 
Leben  als  Vorbild  vor  Augen  schweben.  Das 
ist  die  pädagogische  Bedeutung  der 
»Kunst  im  bürgerlichen   Heim;. 


ÜBER  DAS  ERGEBNIS  DES  WETT-j 
BEWERBS  FÜR  EINE  PFARR- 
KIRCHE MIT  PFARRHAUS  IN 
URDINGEN  AM  NIEDERRHEIN 

Um  den  W'ert  und  den  Erfolg  einer  Kon- 
kurrenz beurteilen  zu  können,  muß  man 
verschiedene  Faktoren  in  Betracht  ziehen:  ein-  j 
mal  den  Gegenstand  selbst,  um  den  es  sich 
handelte,  dann  die  Art,  wie  die  Aufgabe  ge- 
stellt wurde,  ferner  das  Preisgericht  und  die 
Qualität  der  Künstler,  die  an  dem  Wettbewerb 
teilgenommen  haben.  Das  Objekt,  um  das 
es  sich  handelt,  spielt  eine  wichtige  Rolle  — 
denn  es  ist  nie  gleichgültig,  was  gestaltet  wer- 
den soll.  Ein  gewöhnlicher  Nutzbau,  z.  B.  ein 
Bahnhof  oder  eine  Fabrik,  bietet  niemals 
solche  Möglichkeiten  einer  architektonischen 
Ausgestaltung  wie  ein   Sakralbau. 


LEO  SAMBERGFR 


STLDII-:  ZU  i;iNEM  PUOPUKTEN 

AulsUlluiig  /lir  chrisllkhr  Kutist,   Dlitirlllt'r    lilOQ 


E?:^  PROJEKT  FÜR  EINli  PFARRKIRCHE  IN  URDINGEN  J-^Cö 


Der  Kirchenb.m  fordert  gebieterisch  eine 
künstlerische  Ausgestaltung.  Zu  allen  Zeiten 
stellen  die  Tempel  Höhepunkte  architektoni- 
scher Kunst  dar.  Es  ist  also  ganz  natürlich,  daß 
sich  junge  Architekten  zu  Kirchenhaukonkur- 
renzen  drängen  und  sich  von  solchen  Aut- 
gaben mächtig  angezogen  fühlen.  Die  immer 
stärker  werdende  Beteiligung  an  den  Wettbe- 
werben der  D.  Gesellschaft  für  christliche  Kunst 
beweist  es.  Die  Gesellschaft  ist  schon  längst 
nicht  mehr  imstande,  die  Ergebnisse  dieser 
Wettbewerbe  in  ihre  Räume  zu  fassen,  daher 
sie  schon  seit  längerer  Zeit  in  großen,  öft'ent- 
lichen  Lokalen  ausgestellt  werden. 

Aus  der  großen  Zahl  der  Einsendungen, 
es  sind  das  letztemal  126  Projekte  eingegan- 
gen, läßt  sich  auch  ein  Schluß  auf  die  Quali- 
tät der  am  Wettbewerbe  beteiligten  Architekten 
ziehen.  Es  ist  nicht  die  Zahl,  welche  dem  Be- 
sucher imponierend  entgegentritt,  sondern  der 
augenfälhg  gute  Durchschnitt  der  Leistungen; 
es  beteiligen  sich  immer  weniger  Leute,  welche 
durch  zeichnerische  Manier  und  sonderbare 
Erfindungen  und  Einfälle  aufzufallen  suchen. 

Das  Bauen  auf  dem  Papier  hat  ja  ohnehin 
etwas  Problematisches  und  auch  der  Beste 
läuft  dabei  noch  Gefahr,  einem  »schönen 
Bild«  zuliebe  Dinge  zu  konstruieren,  die  in 
Wirklichkeit  weniger  >:schön«  aussehen  wür- 
den. Unsere  Architekten  sind  zwar  in  letzter 
Zeit  vorsichtiger  geworden  und  üben  eine 
gewisse  Zurückhaltung,  seitdem  sie  die  »Zweck- 
mäßigkeit-', und  »Sachlichkeit«  an  Stelle  der 
Schönheit  gesetzt  haben.  Sie  wollen  letztere 
nur  gelten  lassen,  wenn  jene  elementaren  For- 
derungen erfüllt  sind.  Das  ist  ganz  gut  so. 
Wir  sind  in  der  Baukunst  seitdem  vorange- 
kommen, seit  wir  wieder  mehr  gesunde  natür- 
liche Grundsätze  befolgen. 

Die  Kirchenbaukunst  kann  nur  gewinnen, 
wenn  sie  auch  für  sich  die  modernen  Grund- 
sätze der  Sachlichkeit  und  Ehrlichkeit  im  Bauen 
in   Anspruch  nimmt. 

Das  Programm  zur  Erlangung  von  Ent- 
würfen für  eine  neue  katholische  Pfarrkirche 
mit  Pfarrhaus  in  Ürdingen  am  Niederrhein 
enthält  auch  den  von  Prof.  Hennerici  für  Ür- 
dingen aufgestellten  Bebauungsplan  und  be- 
tont nachdrücklich,  wie  erwünscht  es  wäre, 
bei  der  Bebauung  des  Platzes,  der  den  Mittel- 
punkteines neubesiedelten  aufstrebenden  Stadt- 
teiles bilden  wird,  diese  Umgebung  ins  Auge  zu 
fassen.  Die  Kirche  ist  also  als  natürliche  Do- 
minante in  diesem  neuen  Stadtteil  gedacht. 
Mit  der  Kirche  sollte  auch  das  Pfarrhaus  in 
direkte  Verbindung  gebracht  werden.  Er- 
wünscht war  ferner,  die  Umgebung  so  zu 
gestalten,   daß  kirchliche  Umzüge  und  Prozes- 


sionen rund  um  die  Kirche  auf  eigenem  Boden 
abgehalten  werden  können. 

Die  Autgabe  war  demnach  für  den  Künstler 
eine  so  verlockende,  weil  ja  mit  diesem  Pro- 
gramm die  modernsten  Aufgaben  der  Archi- 
tektur gegeben  waren:  Gestaltung  einer  sehr 
interessanten  Situation  im  Sinne  des  moder- 
nen Städtebaues  und  Gestaltung  eines  Monu- 
mentalbaues, einer  Kirche. 

Die  ganz  erkleckliche  Anzahl  guter  Lö- 
sungen, welche  diese  Aufgabe  gefunden  hat, 
beweist,  wie  angelegentlich  die  Teilnehmer 
des  Wettbewerbes  sich  mit  dieser  Aufgabe 
beschäftigt  haben  und  mit  welchem  Ernst  sie 
an  die  Lösung  dieser  Probleme  gingen.  Faßt 
man  das  Ergebnis  in  die  prämiierten  Arbeiten 
zusammen ,  so  muß  es  als  ein  vorzügliches 
angesehen  werden.  Das  Preisgericht  hatte 
keine  leichte  Arbeit,  es  mußte  auswählen,  ab- 
wägen und  oft  unter  mehreren  Projekten  mit 
gleichen  Vorzügen  sich  doch  für  eines  ent- 
scheiden. Es  hat  sich  in  solchen  Fällen  durch 
Zuerkennung  von  dem  Grade  der  Auszeich- 
nung nach  gleichen  Preisen  geholfen  und 
z.  B.  fünf  vierte  Preise  verteilt,  einen  an  Pro- 
fessor Richard  Bern  dl  in  München,  einen 
an  die  Architekten  Colombo  und  E.  Müller 
in  Köln;  einen  an  O.  Böhm  in  Ütfenbach; 
einen  an  den  Architekten  Riedl  in  Murnau 
und  einen  an  den  Architekten  Noecker  in 
Köln.  Ein  III.  Preis  fiel  an  den  Architekten 
Stobbe  in  Düsseldorf,  der  die  Situation  gut 
zu  gestalten  wußte.  Der  II.  Preis  kam  an  den 
Architekten  H.  Rummel  in  Frankfurt,  dessen 
Projekt  den  örtlichen  Charakter  geschickt  be- 
tonte und  auch  einen  guten  Innenraum  zeigte. 
Mit  dem  I.  Preis  ausgezeichnet  wurde  das  Pro- 
jekt des  Münchner  Architekten  Otho  Or- 
lando Kurz.  Kurz' Lösung  enthielt  sozusagen 
in  sich  alle  die  Vorzüge  der  übrigen:  eine 
gute  Situierung  und  Ausgestaltung  des  Platzes, 
eine  malerisch  anmutende  Baugruppe,  die  eine 
wirksame  Dominante  im  neuen  Stadtteil  ab- 
geben würde,  auf  die  kirchlichen  liturgischen 
Anforderungen  Bedacht  nehmende  Grund- 
risse und  einen  stimmungsvollen  Innenraum. 

Wie  unbefangen  und  sachlich  das  Preisge- 
richt waltete,  mag  schon  aus  dem  einen  Um- 
stand hervorgehen,  daß  unter  den  Prämiierten 
Künstlern  nord-,  süd-  und  mitteldeutsche  Ar- 
chitekten vertreten  sind. 

Das  künstlerische  Ergebnis  dieses  Wettbe- 
werbes kann  also  nach  jeder  Richtung  hin 
befriedigen  und  dies  kam  auch  während  der 
Dauer  der  öiTentlichen  Ausstellung  deutlich 
genug  zum  Ausdruck.  Mit  besonderer  Befrie- 
digung muß  es  die  \'eranstalterin  des  Wett- 
bewerbes, die  Deutsche  Gesellschaft  für  christ- 


■■tussteUiing  /ür  chrisllicht 
Kunst,  Diisseldor/  tqog    o 


«"S"»    \X:0  SA.MBERGEK    '<»««' 
ERZBISCHOF  Dr.  VON  ABERT 


Die  chrislllche  Kun«.     V.     lo. 


3'4 


S3^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF   1909  m& 


HUBERT  NETZER  MADONNA 

J:i  der/ürsll.  Quadtschen  Schtoßkaprllc  zu  hny.    AusUellung  /ür 

christliche  Kunst,  Düsseldorf  iQog 

liehe  Kunst  erfüllen,  daß  vor  allem  Künstler 
und  Kleriker  diesen  Veranstaltungen  ein 
immer  mehr  steigendes  Interesse  entgegen- 
bringen;  diese  Wettbewerbs- Ausstellungen 
bieten  auch  in  der  Tat  eine  einzige  Gelegen- 
heit, Kirchenbaufragen  zu  studieren  und  sich 
mit  ihren  künstlerischen  und  praktischen  Auf- 
gaben vertraut  zu  machen.') 

')  Eine  reich  illustrierte  Publil<ation  über  den  Wettbe- 
werb wird  im  Verlag  der  Ges.  f.  ehr.  K.  erscheinen.  D.  R. 


Dil:  GROSSEN  KÜNSTAUSSTEL- 
LUNGEN IN  DÜSSELDORL  1909 

Von  Professor  Dr.  KARL  BONE,  Düsseldorf 

A  ni  festgesetzten  Eröffnungstage,  am  1 5.  Mai, 
■'^  konnte  die  Eingangspforte  des  Kunst- 
palastes in  festlicher  Weise  autgetan  werden, 
um  eine  wohlvorbereitete  doppelte  Entfaltung 
von  Kunstwerken  aller  Art  zu  zeigen,  die 
den  Gesamteindruck  des  Fertigen  machte. 
Dies  bringt  den  besonderen  Vorteil  mit  sich, 
daß  der  erste  Gesamteindruck  sich  auch  zu 
einem  Gesamturteil  gestalten  kann,  das  eine 
wesentliche  Umänderung  nicht  zu  fürchten 
hat.  Greift  man  die  Gesamtdarbietung  der 
beiden  ausstellenden  Vereine  (Ausschuß  der 
Ausstellung  für  christliche  Kunst  e.  V.  und 
Verein  zur  Veranstaltung  von  Kunstaustel- 
lungen  e.  V.)  zusammen,  so  darf  man  wohl 
sagen ,  daß  der  Gesamteindruck  ein  sehr 
günstiger  ist.  In  ausgesucht  angemessener 
Weise  ausgestattet  und  umrahmt,  sind  beide 
Ausstellungen  dazu  angetan,  durch  Eigenart 
und  Neuheit  anzumuten  und  anzuregen.  Man 
kann  hinzufügen,  daß  die  Zweiheit  zwar 
deutlich  hervortritt,  daß  aber  sichtlich  weder 
feindliche  noch  auf  absolut  verschiedenem 
Boden  stehende  Kräfte  einander  gegenüber- 
stehen, daß  vielmehr  ein  gemeinsames  höchstes 
Ziel  —  die  Kunst  —  sie  vereinigt.  Aber 
auch  im  einzelnen  sind  der  Übereinstim- 
mungen, der  Übergänge,  der  Gegensätze, 
deren  Betrachtung  beiden  von  Nutzen  sein 
kann,  so  viele  und  so  bedeutsame,  daß  nicht 
darüber  hinweggesehen  werden  kann,  wenn 
auch  die  Berichterstattung  die  beiden  Aus- 
stellungen zunächst  auseinanderhalten  und  bei 
der  Betrachtung  den  besonderen  Standpunkt 
einnehmen  muß,  den  jede  von  beiden  ver- 
tritt. Dabei  liegt  es  noch  auf  der  Hand, 
daß  der  Kreis,  den  die  Ausstellung  für  christ- 
liche Kunst  zu  vertreten  hat,  sachlich  weit 
enger  und  bestimmter  umschrieben  ist,  als 
der  Kreis  der  anderen  Ausstellung,  der  seiner- 
seits wieder  örtlich  enger  begrenzt  ist.  End- 
lich kann  es  keine  Frage  sein,  daß  für  die 
Zeitschrift» Die  christliche  Kunst«  dernördliche 
Teil  des  Kunstpalastes  der  fruchtbarere  ist; 
sie  hat  aber  auch  der  anderen  Ausstellung 
gebührende   Beachtung  zu  widmen. 

Einen  Umblick  über  den  ganzen  und  viel- 
seitigen Reichtum  von  Kunstwerken,  die  der 
Kunstpalast  während  der  Sommermonate 
birgt,  mögen  einige  Notizen  aus  den  Kata- 
logen andeuten.  —  Der  Katalog  des  Vereins 
zur  Veranstaltung  von  Ausstellungen  zählt 
415   malerische,  75  plastische  und  608  archi- 


©^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DUSSELDORJ-  1909  »^^ 


515 


tektonische  Arbeiten.  \'on  verstorbenen  Künst- 
lern finden  sich  nur  W.  Leib!  und  A.  von 
Menzel  vertreten.  Wie  die  auswärtigen 
Werke  nach  den  Anschauungen  der  Leitung 
mit  strenger  Sorgfalt  ausgewählt  sind,  so  hat 
die  Jury  auch  seitens  der  Düsseldorfer  nur 
das  ihrer  Ansicht  nach  Wertvollste  zugelassen. 
Die  Beschränktheit  des  Raumes  namentlich 
führte  dazu,  in  Werken  mäßigen  äußeren  und 
inneren  Eormates  den  Höhestandpunkt,  den 
die  Düsseldorfer  Kunst  augenblicklich  ein- 
nimmt, zur  Anschauung  bringen  zu  wollen. 
Die  eingeladenen  Werke  sollten  nicht  etwa 
nur  zeigen,  daß  die  Düsseldorfer  Werke  sich 
neben  dem  Besten  sehen  lassen  können  —  in 
der  Absicht  wohl  sind  die  auswärtigen  Werke 
von  den  Düsseldorfern  räumlich  nicht  ge- 
schieden — ,  sondern  sie  sollten  dartun  helfen, 
daß  überall  im  gleichen  Rahmen  ein  gleich 
ernstes  und  nicht  erfolgloses,  wenn  auch  hie 
und  da  gründlich  abirrendes  Streben  nach 
Förderung  und  wahrer  Freiheit  der  Kunst 
in  Bewegung  ist. 

Im  Katalog  der  Ausstellung  für  christliche 
Kirnst  findet  sich  als  e  rste  Abteilung  eine 
Reihe  von  Werken  »zeitgenössischer  Künster 
(einschl.  19.  Jahrhundert)..  Es  folgen  zwölf 
Düsseldorfer  Architekten«,  dann  eine  Sonder- 
ausstellung von  Prof  J.  Kleesattel ,  Düssel- 
dorf« ;  )  Kunstverein  für  Rheinland  und  West- 
falen \ ,  »Semperbund  ( ,  »Beuroner  Kunst- 
schule ,  »Deutscher  Werkbund'.,  eine  Reihe 
von  »Sonderausstellungen«,  »Friedhofanlage 
von  M.Kreis«,  »Städtisches Gartenamt  Düssel- 
dorf«. Die  zweite  Abteilung  bringt  den 
Rest  der  retrospektiven  Ausstellung,  und  zwar 
A.Rheinland  und  Westfalen  in  158  Num- 
mern und  B.  Osterreich  in  ebenfalls  158 
Nummern.  Als  dritte  Abteilung  folgt  (im 
Obergeschoß)  diegraphische  Abteilung  in  zahl- 
losen Einzelblättern,  die  größtenteils  einge- 
rahmt und  mit  Preisen  bezeichnet  sind. 

Der  Zweck  und  Plan  dieser  Ausstellung  ist 
bekannt.  Das  Maß  der  Erreichung  des  Ge- 
wollten liegt  nicht  in  der  Ausstellung  allein, 
sondern,  und  vielleicht  am  meisten,  im  Stu- 
dium und  in  der  Nutzbarmachung  der  Aus- 
stellung für  die  christliche  Kunst.  Soll  das 
geschehen,  so  muß  auch  an  Widerstrebendes 

mit  Vorurteilslosigkeit  herangetreten  werden. 
*  * 

* 
Die  Ausstellung  für  christliche  Kunst  sollte 

durch  die  ausgestellten  Werke  nicht  unmit- 
telbar gleichsam  eine  Antwort  sein  auf  die 
Frage:  Was  ist  christliche  Kunst?  und  der 
Besucher  sollte  nicht  ohne  weiteres  aus  ihr 
den  beruhigenden  Gedanken  mitnehmen,  dal.i 
er  nun  wisse,   wie  ein  Bild,  eine  Statue,  ein 


M.W  SEIBOI.D  M.\DONK.\  (MAKMOR) 

Aussteilttti}^  /iir  christlUhe  Kunst,   Piisstliior/  iqoQ 

Bauwerk  aussehen  müsse ,  um  unbestritten 
als  ein  Werk  der  christlichen  Kunst  zu  gelten, 
oder  daß  er  nun  wisse,  wie  ein  Künstler 
arbeiten  müsse,  um  vielleicht  wider  Willen 
unter  die  christlichen  Künstler  gerechnet  zu 
werden.  Noch  weniger  sollte  es  jedem  Werke 
gewährleistet  sein,  daß  es,  aus  echter  und 
ungetrübter  christlicher  Überzeugung  und 
Empfindung  herausgeschafien,  auf  dem  Boden 
christlicher  Lebens- und  Weltanschauimg  stehe. 
.Aber  dadurch,  daß  die  Ausstellung  in  ihrem 
retiospektiven  Teile  ausgesuchte  Werke  zeigt, 
die  in  den  letztvergangenen  Jahrhunderten  als 


3i6 


ÖB«  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORI-  1909  f'^a 


Werke  christlicher  Kunst  oder  wenigstens 
als  mit  ihr  verträgliche  gegolten  haben  und 
selbst  beim  christlichen  Kultus  gebraucht  wor- 
den sind,  in  ihrem  neuzeitlichen  Teile  aber 
Werke  zur  Schau  stellt,  die  die  Urheber  als 
Werke  christlicher  Kunst  präsentierten,  er- 
möglicht sie  es,  anknüpfend  an  die  vorliegen- 
den Werke,  die  Fragen  nach  dem  Wesen  und 
den  Grenzen  der  christlichen  Kunst,  nach  der 
Notwendigkeit  christlicher  Gesinnung  für  den 
christlichen  Künstler,  nach  der  Beziehung  der 
christlichen  Kunst  zu  den  nebeneinander  her- 
gehenden Strömungen  auf  dem  geistigen  und 
dem  kunsttechnischen  Gebiet  zu  vielfacher 
und  auch  fruchtbarer  Erörterung  zu  führen. 
Als  Fortsetzung  der  früheren  retrospektiven 
Ausstellungen  kann  sie  ein  Gesamtbild  von 
der  Stetigkeit  der  christlichen  Kunst  geradezu 
grundlegend  vervollständigen.  Es  kann  aber 
auch  in  dieser  Ausstellung  jedem  fühlbar  ge- 
macht werden,  wie  sehr  für  Übung  christ- 
licher Kunst  ein  ausgebreitetes  und  zugleich 
verständnisvolles  Wissen  von  den  religiösen 
Dingen  —  vom  christlichen  E  m  p  f  i  n  d  e  n 
einmal    abgesehen    —    unerläßliche    Voraus- 


setzung ist,  und  daß  dieses  Wissen  die  höch- 
sten Triumphe  in  seiner  organischen  Ver- 
schmelzung mit  den  durchaus  künstlerischen 
Dingen   feiert. 

Zum  Wesen  der  christlichen  Kunst  gehört 
es,  christlichen  Ideen  sinnlich  wahr- 
nehmbare Form  auf  dem  Wege  der 
Kunst  zu  geben.  Hier  ist  die  Kunst  nicht 
^Selbstzweck«,  sondern  sie  greift  aus  der 
ganzen  Welt  der  Ideen  den  christlichen  Ge- 
danken mit  dem  ganzen  zugehörigen  Ideen- 
kreise heraus  und  stellt  sich  in  dessen  Dienst; 
dieser  Dienst  ist  aber  ein  durchaus  freier  und 
darum  eher  ein  Bündnis.  Der  Kreis  der 
christlichen  Ideen  tritt  der  Kunst  als  ein  ge- 
schlossener, in  der  Kirche  gleichsam  personi- 
fizierter gegenüber.  In  diesem  Bunde  der 
Kirche  mit  dem  Künstler  ist  jene  dem 
Inhalte  nach  die  Gebende  und  Grenzbestim- 
mende, diese  sind  die  Empfangenden  und 
Schaftenden.  Der  Bund  aber  ist  so  geschlossen, 
daß  die  Kirche  nichts  fordert,  was  dem  Wesen 
der  Kunst  widerspräche,  —  im  Gegenteil,  sie 
weiß,  daß  die  Kunst  nichts  in  ihrem  Wesen 
tragen  kann,  was  der  Kirche  widerspricht  — , 


^«!«!*!!«!«!>i»:fyK'£{*A 


JObEI'H  HL  I;l-,K-H:1.DK1KCH  GRABDKN'KMAL  i.MODhi.Lj 

Ausstctluiig  für  (hristlichc  Kunst,   Dinseldor/  iqoq 


&S^  DIR  KUXSTAUSSTF.I.I.UXGF.X  T\   DÜSSF.I.DORF  1909  »^ö 


317 


JOSEPH  HÜBER-FELDKIRCH 


GRAHÜENKMAL  (MOÜELI  j 
DussfUior/  \Qcit} 


die  Kunst  aber  alle  ihre  Kräfte,  jegliches 
Mittel,  jeglichen  Fortschritt  zum  darstellenden 
Dienste  bereit  zu  halten  hat.  Dabei  fällt  ganz 
besonders  ins  Gewicht,  daß  die  christliche 
Kunst  nicht  von  heute  ist,  und  von  dem,  was 
sie  einmal  wirklich  in  sich  aufgenommen  hat, 
nichts  wieder  völlig  aufgibt,  sondern  es  fest- 
hält wie  eine  liebgewordene  Tradition.  Diese 
tritt  bald  hier  bald  dort  als  etwas  Bekanntes 
hervor  und  durfte  oft  nicht  fehlen,  ohne 
schmerzlich   vermißt  zu  werden. 

N  on  dem  Standpunkte  aus,  der  im  \'or- 
stehenden  skizziert  ist,  ergibt  sich  für  die 
Ausstellung  der  Satz,  daß  sie  einen  durchaus 
würdigen  Hindruck   macht.   Welch   ein  Reich- 


tum von  Stoffen  und  Formen,  welch  ein 
Ernst  der  Arbeit  offenbart  sich  von  Saal  zu 
Saal!  Und  das  auf  einem  Boden,  der  für  viele, 
weil  gewaltsam  totgeschwiegen,  der 
\'ergangenheit  angehört,  für  andre  ein  >  wässe- 
riger Aufguß  von  Resten  des  Xazarenertums, 
für  dritte  ein  brauchbares  Frbauungsmittel 
ohne  eignen  Wert  ist!  Der  wievielste  von 
denen,  die  bei  jeder  Gelegenheit  ein  Dutzend 
moderner  Prolankünstler  im  Munde  führen, 
mag  wohl  eine  Ahnung  von  der  Hohe  Schaper- 
scher  Gestaltung  haben  und  wissen,  daß  neben 
diesem  Künstler,  den  wir  in  diesem  Zusammen- 
hang nur  beispielsweise  nennen,  nicht  wenige 
mit    hoher    Meisterschaft    die    Ideenwelt    des 


3i8 


P^S^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909  S^G 


-.ti)^.«...ji.Mtii?iijiir liiiM-M  i'm  'r iVfii 


üßep^iiwfeQfswop. 


?j  SefundaMeit'ßottßUJtaifjcit 


hnai'^fiiiiMainaiiaAMiajMi 


jMIhiM^WMMiiafc***.  ■  -*'  I  i»  (■ 


GEORG  WINKIER  DER  I 

Ausshlhmg  /iir  chrhtluhc   Kunst,   l>i,iStldor/  IQOQ 

Christentums  in  Sichtbarkeit  bringen.  Man 
begegnet  auf  der  Ausstellung  auch  Künstler- 
namen, die  aus  der  Sphäre  christlicher  Kunst 
bei  vielen  hinwegzuweisen  scheinen.  Sollte 
nicht  der  Name  Lovis  Korinth  für  viele 
einen  solchen  Klang  haben?  Aber  wer  den 
Raum  36  glücklich  gefunden  hat,  der  diesen 
Namen  trägt,  der  wird  den  Eindruck  emp- 
fangen, daß  ein  energischer  Geist  ein  acht- 
bares Können  und  Wollen  zusammengepreßt 
für  die  Idee,  der  er  Gewalt  über  sich  gegeben 
hatte ;  er  wird  gerade  deshalb  allerdings  um 
so  schmerzlicher  bedauern,  daß  dem  Künstler 
die  innere  Würde,  die  zum  Gestalten  christ- 
licher Werke  gehört,  gänzlich  fehlt.  Konzen- 
triertes Wollen  und  Können,  wo  es  wirklich 
vorhanden  ist,  kann  nicht  völlig  wertlos  sein, 
selbst  wenn  es  auf  Abwege  gerät.  Wo  der 
ernste  religiöse  Wille  mangelt,  wo  den  Künst- 
ler nicht  Liebe  zum  geistigen  Inhalt,  sondern 
im  besten  Fall  nur  ein  rein  künstlerisches 
Interesse  am  Gegenstand  erfüllt,  da  kann  bei 
noch  so  viel  technischem  Können  freilich  kein 
Werk  entstehen,   das  in  einer  Ausstellung  für 


üiihiT^rnttSa/i  christliche  Kunst  ganz  befriedigt.  Wenn 
aber  anderseits  den  guten  und  ernsten 
Willen  kein  ausreichendes  Können  be- 
gleitet, darf  nicht  der  Wille  für  die  Tat 
gelten.  Vielleicht  wird  mancher  Künst- 
ler, den  sein  Werk  im  Atelier  befrie- 
digte, die  Schwäche  des  Ganzen  und 
mancher  Einzelheit  empfinden,  wenn 
er  es  in  dieser  Ausstellung  sieht;  diese 
Selbstprüfung  kann  ihm  nur  nützen. 
Förderliches  wird  er  in  Menge  und 
überall  finden,  durchaus  Abzuweisen- 
^,,  des  nur  hier  und  da. 

'%  ^  Eine  Besonderheit  der  Ausstellung 

■  für   christliche    Kunst    ist    der    breite 

Raum,  der  neben  der  Kunst  im  eigent- 
lichen und  herkömmlichen  Sinne  des 
Wortes    diesmal,    bald    räumlich    ge- 
trennt,   bald    zu    engem   Zusammen- 
wirken, dem  Kunsthandwerk  ein- 
geräumt ist,  wo  die  Übergänge  hier  zur 
Kunst,  dort  zum  schlichten  Handwerk 
bald    sachentsprechend,    bald  grund- 
sätzlichen Bestrebungen  folgend,  mög- 
lichst vermischt  sind.  Man  sieht  deut- 
lich:   auf  dem   strittigen  Boden   der 
Betätigung    christlicher   Kunst  sucht 
das  Handwerk  unter  der  vermittelnden 
Bezeichnung    »Kunsthandwerk«    tun- 
lichst unbekümmert  um  die  Künstler 
testen  Boden  zu  gewinnen ;  von  der 
isiDOR      anderen  Seite  mehrt  sich  die  Zahl  der 
Künstler,    die  einer  Verbindung  mit 
dem  Handwerk  nicht  ausweichen,  son- 
dern vielmehr  dem  Handwerk  einen  künstle- 
rischen Zug  verleihen  wollen.  In  diesem  Sinne 
nennt  sich   der  Semperbund   »Verein    für 
Handwerkskunst«    und   der   Deutsche 
Werkbund  »eine  Vereinigung  von  Künst- 
lern und  Firmen  der  Industrie  und  des  Hand- 
werks«. Ob  diese  Versuche,  einen  Zustand  her- 
beizuführen, der  naturgemäß  ist  und  früher  tat- 
sächlich bestanden  hat,   von  Erfolg  begleitet 
sind   oder   scheitern    werden,   muß   man    ab- 
warten.    Dem    Ziele    nahe   sind    die   Bestre- 
bungen keineswegs.     So  innerlich  notwendig 
bei  tausenderlei  Gelegenheiten,  insbesondere 
auch  bei  Vollendung  und  Ausstattung  von  kirch- 
lichen  Gebäuden   die  Tätigkeit  des  Künstlers 
und  des  Handwerkers  ist,   deren  jeder  tüglich 
nur    in   seiner   Sache   Sachverständiger    ist, 
ebenso  notwendig  ist  es,    daß  für  dieses  Zu- 
sammenarbeiten jeder  die  ihm  zukommende 
Stellung  einnimmt.  Es  ist  darum  keine  Hebung, 
sondern  eine  Fälschung  des  Handwerkes,  wenn 
dem  Handwerker,  z.  B.  dem  Dekorationsmaler, 
beigebracht  wird,  er  könne  des  Künstlers  ent- 
behren ;    was    er    an    eingebildeter    Künstler- 


319 


■  •""Irihnig  Jur  christlkltf 
KhiiiI,  DiittrMor/  igog    o 


««/8>  HI-INlUCfl  SCHIKSTL««« 
V.  KKELZWEGSTATION  ;HOLZ) 


320 


^mi  DTR  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909  m.rä 


JOSEPH   MOUST  JOHANNES  I'ARRICIDA 

Aitsstellntig  für  chriitlUhc  Kunst,   Düsseldorf  jqoq 


Schaft  in  sich  autnimmt,  büßt  er  an  seinem 
wahren  Werte  em.  Und  wer  hat  den  Scliaden 
davon?  Nun,  abgesehen  von  dem  idealen 
Schaden,  den  Kunst  und  Handwerk  dabei 
erleiden,  das  Volk  und  die  Kirche.  Meistens 
ireilich  geschieht  dieser  Schaden  in  Kurz- 
sichtigkeit und  Unwissenheit,  vielfach  auch 
unter  dem  angeblichen  oder  vermeintlichen 
Vorwande  finanzieller  Rücksichten.  Darum 
tut  vor  allem  Lernen  not,  Lernen  durch 
vergleichende  und  aufklärende  Anschauung, 
unterstützt  durch  einsichtsvolle  Belehrung. 
Wer  immer  aber  sich  belehren  lassen  will, 
den  ruft  die  Ausstellung  für  christliche  Kunst 
zu  sich  heran,  sie  ruft:  »Gebet  der  Kunst, 
was  der  Kunst  ist,  und  gebet  dem  Handwerk, 
was  des  Handwerks  ist!«  Vornehme  Firmen 
des  Handwerks  haben  endlich  einmal  be- 
gonnen, in  oflener  Aufschrift  den  schaftenden 
Künstler  neben  dem  ausführenden  Handwerker 
zu  nennen;  andere  wollen's  noch  allein  tun 
und  sehen  in  dem  entwerfenden  und  model- 
lierenden Künstler  nur  den  anonymen  Lohn- 
arbeiter, dessen  Verdienst  dem  Verdienst  des 
Ziselierenden  oder  Polierenden  gleich  sei. 
Aber  der  Entwerfende  ist  deshalb  noch  nicht 
Künstler,  weil  er  sich  etwa  Schüler  irgend 
einer  Kunstgewerbeschule    nennen    kann,    er 


muß  wahrhaft  Künstler  sein  und  als  christ- 
licher Künstler  ein  Mann  von  tiefer  und 
vielseitiger  Bildung.  Wenn  ihm  ein  aus- 
lührender  Handwerker,  der  in  gleicher 
Liebe  mit  ganzer  Seele  beim  Werke  ist, 
zur  Seite  tritt,  und  beide  zusammen  in 
ihrem  Werke,  jeder  mit  den  ihm  eigenen 
Kräften  und  besonderen  Fähigkeiten  sei- 
nes Berufes  eine  christlicheldee  zur  Sicht- 
barkeit bringen,  dann  kann  etwas  ent- 
stehen, was  der  Ausstellung  für  christliche 
Kunst  als  ein  Ideal  gelten  kann.  Und  in 
der  Ausstellung  iinden  sich  solche  Werke, 
z.  B.  der  hochvollkommene  Bischofsstuhl 
für  Bamberg  (Abb.  S.  289).  Die  Auftrag- 
geber können  in  der  Ausstellung  Beispiele 
sehen,  wie  man  Prächtiges  mit  großen 
Mitteln,  aber  auch  Edles,  Würdiges,  Er- 
bauliches, künstlerischen  Anforderungen 
Entsprechendes  mit  bescheidenen  Mitteln 
beschaffen  kann.  In  ersterer  Hinsicht 
darf  wohl  schon  an  dieser  Stelle  auf  die 
Apsis  der  demnächstigen  romanischen 
hl.  Geistkirche  zu  Düsseldorf  hingewiesen 
werden,  entworfen  von  Prot.  Klee  satt  el, 
ausgestattet  mit  den  malerischen  Ent- 
würfen von  W.  Döringer,  mit  dem  in 
der  Apsis  aufgestellten  reichen  Altar  von 
Bildhauer  Pehle.  Es  ist  ein  Grundirrtum, 
daß  ein  Künstler  immer  mit  maßlosen 
Ansprüchen  komme,  eine  Handwerksfirma  aber 
hillig  und  ebensogut  >bediene«  —  auch  ohne 
Mitwirkung  eines  wirklichen  Künstlers ;  man 
könnte  eher  das  Gegenteil  behaupten:  nur 
der  wahre  Künstler  kann  mit  geringen  Mitteln 
Großes  Schäften,  und  je  größer  der  Künstler, 
umso  unabhängiger  ist  er  von  der  Größe 
der  Mittel. 

Für  eine  Betrachtung  der  einzelnen  Ab- 
teilungen läge  es  nun  am  nächsten,  mit  der 
Retrospektiven  Abteilung  den  Anfang 
zu  machen.  Aber  eine  so  stetige  Entwick- 
lung, wie  sie  aus  den  früheren  retrospek- 
tiven Ausstellungen  des  Mittelalters  unschwer 
herausgelesen  werden  konnte,  wird  sich  aus 
dem  diesmal  Gebotenen,  das  in  der  Eröft- 
nungsredeals  Stichproben«  bezeichnet  wurde, 
nur  schwer  zu  einer  wirklichen  Brücke  vom 
Mittelalter  zur  Gegenwart  verknüpfen  lassen; 
es  erfordert  eingehendes  Vergleichen  und 
Erwägen  der  zahlreichen  Einzelgegenstände ; 
die  am  meisten  typischen  werden  bei  der 
späteren  Erörterung  ausdrücklich  zu  nennen 
sein.  Aber  für  eine  Zeitschrift,  die  sich 
hauptsächlich  die  Pflege  der  lebenden  Künst- 
ler zur  Aufgabe  macht,  i.st  es  nicht  un- 
passend, wenn  sie  zunächst  die  neue  Kunst 
behandelt.     (Forts,  folgt.) 


Für  die  Rcdaktic 


ortlich :  S.  Stsiudbamer  (PromenadepUu  5) ;   Verlag  der  Gesellschaft  für  christliche 
Druck  voti  F.  Bmckmann  A.-G.   —  Sämtliche  in  München. 


Martin    Feuerstein   pin 


Verl,  der  6esellscli.  f.  cliristl.  Kunst,  tvlu 


F1SCHPREDI6T  DES  HEILIGEN  ANTONIUS  VON  PMDUM 


)£RÜNT  MANUS  rOEAS,  ET  PEDES^MfcüS.  DINl5MERAVtRüNT 


MAITHAUS  SCHIESTL 


KKIXZIGDNG,  ENTWURF 


AitssteUung  für  christliche  Kunst,   Düsseldorf  tgog 


DIE  GROSSEN  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909 

Von  Prof.  Dr.  KARL  BONE 

(Fortsetzung) 


Tst  man  durch  den  schwarzbespannten,  gold- 
*  geschmückten  Eingang  in  den  Bereich  der 
christhchen  Kunst  hineingeschlüpft,  so  sieht 
man  gegenüber  dem  Eingang  eine  schwarz- 
bchangene  Pforte,  über  der  auf  schwarzem 
Grunde  das  fahle  Bild  ».-^bend  (Holzhauer 
und  Tod)«  von  A.  Hildenbrand  (Pforz- 
heim) hängt.  Gewaltsam  erfaßt  von  der  Lin- 
ken her  im  ersten  Saale  das  große  Gemälde 
> Christus  im  Reiche  der  Toten«  von  Mikael 
Sko Vgaard.  Es  dürfte  nicht  leicht  sein, 
aus  der  ganzen  Menge  der  Bilder  ein  ge- 
eigneteres für  diesen  ersten  Platz  zu  finden ; 
nicht  als  ob  es  das  vollkommenste  Werk 
wäre,  nicht  als  ob  es  keinerlei  Einsprucii 
herausfordern  könnte  und  müßte;  aber  es 
ist  eine  Konzeption  der  göttlichen  Gewalt 
Christi  über  den  Tod  von  größter  Klarheit, 
geschlossener  Einheit,  monumentaler  Fesse- 
lung eines  Augenblickes  und  dabei  von  hoch- 
dramatischer  Bewegung  der  Massen  und  des 
Lichtes.  Am  besten  gelang  dem  Künstler  die 
machtvolle  Christusgestalt,  wie  sie  die  Arme  so 
weit  ausgebreitet,  sie  alle  umschließend,  die  im 
Todesschatten  wandelnd,  nun  seinem  Lichte 


zueilen,  wie  sie  Tod  und  Teutel  niedertritt. 
Die  Schilderung  der  zu  Befreienden  ist  zu 
kraß  und  eintönig.  Ob  der  Künstler  die  betref- 
fende Stelle  des  .\postolikums  richtig  aufgefaßt 
hat,  läßt  sich  schwer  sagen.  Das  etwas  lärmende 
Gemälde  bildet  für  .Arnold  Böcklins  bekannte 
Kreuzabnahme,  die  in  der  Nähe  aufgehängt 
ist,  eine  schlimme  Kaciibarschaft,  weil  es  die 
Vorzüge  dieser  Schöpfung  totschlägt.  Gerne 
wendet  man  sich  der  sinnigen  Hl.  Familie 
von  L.  Feld  mann  zu;  in  der  Werkstatt 
des  Nährvaters  steht  der  Jesusknabe  am 
Stuhle  mit  einem  Buche  und  richtet  eine 
tiefernste  Frage  an  die  jungfräuliche  Mutter, 
die  diese  sichtlich  nicht  sofort  zu  beantworten 
weiß,  Joseph  aber,  sein  Hobelwerk  unter- 
brechend, wendet  sich  hastig  mit  dem  .Aus- 
druck des  Staunens  den  beiden  zu.  Mehr 
als  W.  Trübners  in  starker  Verkürzung  ge- 
sehener Ciiristus  im  Grabe  ,  ein  durch  bei- 
gemaltes Attribut  und  Aufschrift  willkürlich 
individualisierter  Akt  und  als  solciier  eine 
Bravourleistung,  fesselt  C.  Stratiimanns 
j Maria  .,einegesucinschnörkeligeKomposition 
in  der  bekannten  feinmusternden  Ausführung: 


Die  chriilllclie  Kui 


©^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909  ä>'^fa 


Maria  vor  einem  Dornbuscii  knieend,  der  in 
seinem  ganzen  Gezweige  die  Vorstellung  der 
Dornenkrone  heranzieht,  ja  in  einer  Zweig- 
spitze unter  Hinzunahme  blutigroter  Dorn- 
spitzen zu  einem  kroneniörmigen  Kerzenhalter 
sich  gestaltet,  aus  dem  sich  eine  flammende 
Kerze  erhebt. 

Es  folgt  ein  kleines  halbdunkles  Kabinett, 
dessen  rechte  Haltte  einige  Hauptwerke  Fr.  von 
Uhdes  enthält,  die  linke  solche  von  E.  von 
Gebhardt,  vom  ersteren  den  .v Christus«,  das 
Tischgebets,  die  »Anbetung  der  Hl.  drei 
Könige,  und  die  Predigt  auf  dem  Meere«, 
deren  lauschende  landliche  Jugend  unüber- 
trefflich, auch  kaum  anachronistisch  wirkend 
ist,  Christus  selber  aber  nicht  viel  mehr  als 
ein  «interessanter«  Erzähler.  Die  von  Geb- 
hardtschen  sieben  Bilder  stellen  eine  Stufen- 
reihe dar  von  der  »Himmelfahrt  Christi«  bis 
zum   'Johannes«  der  letzten  Ausstellung. 

In  der  mittleren  Abteilung  des  folgenden 
großen  Saals,  die  wir  durchschreiten,  hängt 
gleich  links  der  »Christus«  von  M.Muncakzy, 
ferner  die  Skizzen  von  P.  Janssen  und 
dessen  Gemälde  »Kommet  alle  zu  mir«  mit 
dem  Kreuzträgergedränge  (Abb.  s.  erste  Son- 
derbeilage des  zehnten  Heftes).  Die  lebhaften 
Farben  in  E.  Pfann Schmidts  Kaseinbildern 
und  M.  Seligers  gesucht  naivem,  »Die  Liebe 
hört  nimmer  auf«  zeigen  immerhin  ein  so- 
lides Können.  Gerne  verweilt  man  vor  den 
vorzüglichen  Bronzen  von  J.  Limburg 
»Bischof  Dr.  Franz  Zorn  von  Bulach«  (Abb. 


Jg.  lY,  S.8)  und  »Pius  X.  ,  beide  in  Lebensgröße, 
auch  wohl  vor  M.  Streichers  Marmorbüste 
)la  Fede«. 

Der  folgende  Saal,  von  der  »Dresdener 
Zunft  eingenommen,  führt  schon  in  die 
Sphäre  des  Zusammengehens  von  Kunst  und 
Handwerk,  wovon  später  die  Rede  sein  wird. 
Einige  Bronzen  von  A.  Höfer,  A.  Hudler 
und  G.  Wrba  geben  zu  denken,  während 
die  äußerlich  aufgebauten  farbigen  Studien 
zu  einem  Jüngsten  Gericht  von  K.  Rößler 
der  Vertiefung  bedürfen,  wenn  sie  etwas 
werden  sollen.  Zwischen  diesen  beiden  Wand- 
malereien hindurchschreitend,  kommen  wir  zu 
den  drei  Münchener  Sälen  (19,  19a  und  19b). 

Es  ließ  sich  von  vorneherein  erwarten,  daß 
die  Deutsche  Gesellschaft  für  christliche  Kunst, 
der  fast  alle  in  den  Münchener  Sälen  ver- 
tretenen Künstler  angehören,  es  sich  angelegen 
sein  lassen  würde,  eine  vorsichtige  und  viel- 
seitige Auswahl  zu  treffen  und  das  Gebotene 
um  so  wertvoller  sein  zu  lassen,  je  beschränkter 
der  Raum  war,  der  ihr  zur  Verfügung  ge- 
stellt wurde.  Die  Münchener  Kunst  hat  sich 
bescheiden  müssen;  aber  sie  hat  keinen  Scha- 
den davon;  denn  die  Besucher  verweilen  um 
so  lieber  bei  ihr  und  kehren  gern  zu  ihr 
zurück.  Die  Werke  jener  Künstler  der  Deut- 
schen Gesellschaft  für  christliche  Kunst,  welche 
nicht  in  München  wohnen,  sind  in  den  an- 
deren Abteilungen  der  Ausstellung  unterge- 
bracht; so  begegneten  wir  Feldmann  bereits 
vorhin  (S.  321),  ebenso  Limburg. 


HIN  SAAL  DER  AUSSTELLUNG  FÜR  CHRISTLICHE  KUKST,  DCSSELDOKF  1909 
MIT  GEMÄLDEN  VON  MARTIN  FEUERSTEIN  UND  FRITZ  KONZ 


DIE  KUXSTAUSSTl-LI.LXC.RX  IX   DÜSSELDORF  1909  ^:^  323 


FKIT/.  KLNZ 


Aus  dem  Zyklus  der  Franziskusbilder 


GEISTLICHES  GESPRÄCH 
Ausstellung  /itr  christliche  Kutist,  Diisseldor/  lejog 


Trotz  der  erwähnten  guten  Piastiken  vor 
der  Eingangstür  fülilt  man  beim  Eintritt  in 
den  Münciiener  Mittelsaal  eine  Art  Befreiung. 
Man  ist  wieder  ganz  in  der  Sphäre  christlicher 
Kunst,  aber  nicht  etwa  in  einem  Museum 
alter  Kunst  oder  gewerblicher  Imitationen, 
vielmehr  kommt  die  Gegenwart  zu  ihrem 
Rechte,  hie  und  da  vielleicht  eher  zu  viel 
als  zu  wenig. 

Das  Auge  ruht  wohl  zuerst  auf  der  Porträt- 
statue des  Bischofs  P.  L.  Haflner  (Mainz)  von 
Georg  Busch  (Modell  zum  Grabmal  iiu  Dome 
zu  Mainz) ;  es  ist  ein  vortreffliches  Werk, 
und  besonders  ist  es  dem  Künstler  gelun- 
gen, die  ernste  Inbrunst  und  die  geistvolle 
Fröhlichkeit  ohne  Widerstreit  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  die  in  dem  Verstorbenen  zu  einer 
so  seltenen  Einheit  verschmolzen  waren.  In 
der  benachbarten  Plastik  von  \'.  Kraus  tritt 
die  Kreuzigungsdarstellung  ihrem  Zweck  ge- 
mäß beherrsciiend  in  den  Vordergrund;  die 
Darstellung  der  Bitte  j  unser  tägliches  Brot 
gib  uns  heutet  bringt  der  Künstler  durch  die 
am  Fuß  des  Kreuzes  betenden  Landleute,  die 
aus  Gründen  der  künstlerischen  Gruppierung 


und  wegen  ihrer  nebensächlichen  Rolle  am 
Altar  in  kleineren  Maßen  gehalten  sind  v^bb. 
S.  305   und   306). 

Die  Madonna«  mit  Dornenkrone  von 
G.  Netz  er  ist  ohne  Aufschrift  kaum  als  solche 
zu  erkennen,  aber  eine  ernste  Leistung.  Un- 
mittelbarer religiös  wirkt  die  Piet.'i  von  B  u  s  c  h  e  r , 
über  der  schon  mehr  ein  Zug  erschöpfter  Resi- 
gnation liegt  (Abb.  S.  334).  Hervorragend  und 
voll  Würde  sind  die  Arbeiten  von  B.  Schmitt, 
(Abb.  S.  307 — 309),  nicht  minder  das  Hochrelief 
St.  Georg<  von  G.  \\'aderelAbb.Heft2,S..4o) 
und  desselben  Künstlers  Grabdenkmal  für  Erz- 
bischof von  Thema  (.\bb.  S.  39).  Der  »Licht- 
träger von  Fritz  von  .\Hller  ist  ein  Weihe- 
geschenk katholischer  Edelleute  Bayerns  für 
die  Dormitio  B.  \'.  Mariae.  Davon  rindet  sich 
bereits  im  3.  Heft,  S.  91,  eine  Abbildung  mit 
näherem  Bericht.  In  der  anderen  Vitrine 
sind  Goldschmiedarbeiten  aufgestellt,  unter 
denen  eine  stilvoll  entwickelte  Nlonstranz  von 
Rud.  llarrach  mit  \'eibindung  von  EU'en- 
beinplastik  hervortritt  (Abb.  S.  211);  vorzüg- 
lich ist  des  nämlichen  Künstlers  Kelch  mit 
.\hren  und  Trauben  als  N'erzierunt;,  die  mit 


324 


K^  DIE  KUNSTAUSSTFJ.LUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909  J^ö 


JU^iTUN  WAuMiLl  Lk 


MAkU  \LKKL\D1GU\G 


Ausstellung  /ut-  christliche  Kunst,  Düsseldorf  igog 


vornehmer  Zurückhaltung  last  nur  andeutend 
verwendet  sind.  Unter  den  Malereien  des 
Saales  interessieren  vor  allem  die  vorzüglichen 
Bilder  von  Leo  Samberger  »Christus«  und 
)  ErzbiscHof  Dr.  von  Abert«  (Abb.  S,  313),  dann 
mehreres  von  J.  Huber-Feldkirch  (Abb. 
S.  316  und  317),  der  noch  zu  erwähnen  sein 
wird;  K.  Schleibners  »Flucht  nach  Ägyptens 
ist  gefällig.  Ausdrucksvoll  und  warm  in  der 
Farbe  i,st  j.  Albrechts  »Hl.  Benno«  (Beil. 
zu  H.  V),  C.  J.  Becker-Gundahls  eindrucks- 
voller 'Christus  am  Kreuz«  ist  als  >.un\  ollendet« 
bezeichnet  (Abb.  S.  330). 

Der  kleine  Saal  zur  Rechten  gehört  drei 
Meistern:  M.  Feuerstein,  G.  Fugel  und 
Fr.  Kunz,  alle  drei  bekannt  und  bewährt. 
G.  Fugel  greift  hier  in  Auffassung  und  Be- 
handlung am  weitesten  zurück  und  weiß 
neueste  Errungenschaften  damit  zu  verschmel- 
zen ;  die  Szenen  „Berufung  Petri«  und  «Sehet 
das  Lamm  Gottes«  sind  groß  gesehen 
(Abb.  S.  392  und  303).  Beim  Abendmahl 
(Abb.  S,  301,  vgl.  die  erste  Fassung  auf  S.  293 


des  vierten  Jhrgg.)  ist  der  Moment  der  Dank- 
sagung und  Segnung  des  Brotes  gewählt; 
unter  den  Aposteln  sind  vortreffliche  Köpfe. 
M.Feuerstein  bringt  lebhafte  Farben  und 
sein  Stil  weist  nach  Paris,  wo  er  seine  zeich- 
nerische Meisterschaft  und  die  gefällige  Kom- 
position sich  aneignete. 

Stark  eigenartig  und  individuell  ausgeprägt 
ist  Fritz  Kunz;  man  freut  sich;  einige  sei- 
ner Illustrationen  zuFederers»Franz  von  Assisi« 
hier  im  Original  zu  sehen.  Die  beiden  Skiz- 
zen zu  einem  Marienleben  sind  von  eigen- 
artig starker  farbiger  Wirkung.  Um  den  Künst- 
ler genauer  kennen  zu  lernen,  hält  man  sich 
am  besten  an  die  beiden  größeren  Franzis- 
kusbilder (Abb.  S.  323).  Da  erkennt  man  das 
ganz  Persönliche  seiner  Art;  ja,  das  Persön- 
liche ist  so  stark,  daß  es  gewissermaßen  sel- 
ber »Art«   wird.') 

Als  Mittelpunkt  des  Saales  zur  Linken  zieht 

^)  Wir  erinnern  an  das  im  Verlag  der  Gesellschaft  für 
christliche  Kunst  erschienene  Werl<:  Der  hl.  Franz  von 
Assisi,  von  Fritz  Kunz  und  Heinrich  Federer.      D.  Red. 


e2^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN   DUSSELDClRl-  1909  i^^ 


der  farbenleuchtende  Bischofsstuhl 
für  Bamberg,  an  dem  Architekt  Ro- 
meis als  Entwerfender,  Bildiiauer 
Pruska  als  Urheber  der  plastischen 
Modelle  und  Hofsilberarbeiter  Har- 
rach als  Ausführender  zusammenar- 
beiteten, die  Augen  an.  Es  ist  ein 
prächtiges  Werk  in  edelstem  Stil- 
gefühl, für  das  heutige  Auge  auf  den 
ersten  Blick  fast  zu  prächtig.  Aber 
man  muß  bedenken,  daß  das  Werk 
für  das  Halbdunkel  eines  romani- 
schen Domes  bestimmt  ist;  auch  ge- 
wöhnt sich  das  Auge  selbst  in  der 
jetzigen  Autstellung  schnell  daran 
und  emphndet  das  Wohltuende  des 
harmonischen  Zusaninienstimmens 
der  Metalle  (\'ergoldung,  grünliche 
Bronze ,  schwärzlichoxvdiertes  Sil- 
ber), der  Halbedelsteine,  der  Tönun- 
gen im  Hintergrunde  und  in  den 
Flachreliefs.  Alles  einzelne  ist  in 
Zeichnung  und  technischer  Ausfüh- 
rung beachtenswert,  —  ein  Werk 
ersten  Ranges.  Unter  den  Plastiken 
ragen  die  Reliefs  von  H.  Schiestl 
aus  der  Pfarrkirche  zu  Dorfprozelten 
(hl.  Wendelin  und  hl.  Rochus)  her- 
vor, neben  ihnen  der  hl.  Benediktus 
von  J.  S  c  h  e  e  1  (Abb.  S.  3  3 2).  Von  dem 
genannten  Heinrich  Schiestl  sieht 
man  eine  ergreifende  Kreuzwegsta- 
tion in  Relief  im  Umgang  um  den 
Ehrenhof  (Abb.  S.  319).  Von  den 
Gemälden  des  Saales  sind  die  meisten 
Entwürfe  für  monumentale  oder  de- 
korative Kirchenausmalungen.  Sehr 
anziehend  sind  die  Entwürfe  zur 
Ausmalung  von  Apsis  und  Chor- 
wand einer  Kirche  von  j.  Gunter- 
m  a  n  n  vor  allem  durch  die  vortreff- 
liche Behandlung  von  Zeichnung 
und  Farbe  f.^bb.  S.  293).  Wirkungs- 
voll ist  der  Entwurf  für  die  Aus- 
malung der  Taubstummenkirche  in 
Dillingen  von  Th.  Baierl,  mit  dem 
Altarmodell  von  Jakob  Angermair 
(Abb.  S.  306).  Die  flotten  Entwürfe 
von  W.  Koppen,  die  ausgeprägt 
modern  empfunden  sind,  zeigen 
gleichwohl  ein  ernstes  Studium  der 
Alten  und  streben  deren  Größe  an. 
Hervorzuheben  sind  in  diesem  Saale 
noch  die  von  B.  Locher  trefflich 
gezeichneten  »Vier  Evangelisten;. 
Es  sind  übrigens  nicht  alle  Münche- 
ner, die  die  Ausstellung  für  christliche  Kunst  be- 
schickt haben,  in  diesen  drei  Sälen  vereinigt.  So 


GEORG  SCHREYi  iGt; 

AusiUüufii:  /i, 


I  IJIHl  NDKl;   ClIKIMLS 


sind  Gabriel  .Max,  Editier,  Uhde,  Flescli  Bru- 
nin-jen  u.  a.  Münciiener.  Gabriel  Max  geht  in 


326  EJ^  DIE  KUNSTAUSSTELI.UNGF.N  IN  DÜSSELDORF  1909  ma 


ANTON  HESS 


MADONNA,    MARMOR 


Ausstelliiiig  für  christliche  Kunst,   Düsseldorf  igog 


seinem  ^Christus«  nochüberdaslängstbekannte 
Übermaß  des  Weichlichen  und  darum  auch 
innerlich  Flachen  hinaus.  Ihm  neigt  sich  A. 
Echtler  in  seiner  »Mater  dolorosa«,  zu. 
Es  ist  nicht  zu  wünschen,  daß  diese  Art  ge- 
suchter Weichlichkeit,  die  zu  technischen 
Spielereien  und  Virtuositäten  hinabsteigt,  in 
der  christlichen  Kunst  Platz  greife.  Gefällig 
sind  die  Bilder  ^Christus«  und  »Madonna« 
von  Ludmilla  von  Flesch-Bruningen. 

Gehen  wir  nun  zurück  durch  die  Münchener 
Säle  zu  den  Werken  des  stillen  Frankfurter 
Meisters  W.  Stein  hausen,  dem  ein  be- 
sonderer an  den  Saal  der  Feuerstein, 
Fugel  und  Kunz  anstoßender,  zu  den  Dres- 
denern zurückführender  Raum  (Nr.  1 6)  gegeben 
worden  ist.  So  günstig  und  reich  ist  der 
Künstler  hier  in  Düsseldorf  wohl  noch  nicht 
vorgestellt  worden.  Man  erkennt  seine  Tiefe 
und  seinen  Ernst,  auch  die  Vorzüge  seiner 
Behandlungsweise.  Und  doch  gehört  eine  sozu- 


sagen persönliche  Svmpathie  dazu,  \ollbefrie- 
digt  zu  sein.  Eine  oft  neblige  Unbestimmtheit, 
die  bisweilen  wie  Zaghaitigkeit  aussieht,  be- 
unruhigt, ohne  in  den  Kreis  des  Geheimnis- 
vollen zu  versetzen.  So  wirkt  z.  B.  die  ge- 
heimnisvolle Spannung  bei  der  Brotausteilung 
(unter  der  Kreuzigung  des  Bremer  Altarbildes) 
höchstens  wie  Neugier.  Steinhausen  ist  nicht 
der  Künstler,  der  dem  Idealismus  Kraft  und 
Klarheit  erhalten  lehrt  und  die  irrige  Meinung 
widerlegt,  daß  Kraft  und  Klarheit  dem  Na- 
turalismus und  Realismus  ausschließlich  eigen 
seien.  Man  sollte  nicht  übersehen,  wie  vielmehr 
Kraft  und  Klarheit  in  Stein hausens  Zeichnung 
liegt,  als  in  seinen  Gemälden,  bei  denen  doch" 
Farbe  und  Farbengegensätze  mitwirken  könn-  i 
ten;  das  ist  ein  Punkt  von  allgemeiner  Be- 
deutung und  mag  daran  erinnern,  daß  nicht 
der  Dichter  allein,  sondern  auch  der  Maler 
und  selbst  der  Plastiker  »der  Dichtung  Schleier 
aus  der  Hand  der  Wahrheit«  empfangen  hat. 
(Fortsetzung  folgt) 


327 


Altislilliing  /ur  christlichr 
Kumt,  Diissttdcr/  igog    o 


ROMANISCHER  CHOR  LXD  TAUFSTKIN.  ENTWORFEX 
VOS  PROF.  KLI-ESAriUL  (DCSSELDORF),  AUSMALUNG 
VON  ÜÜKINCER  ;  ALTAK  VOX  PEHLE  oooooooo 


328 


©^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  ^Q 


AussUlluNg  fiir  christliche  Knust,   Düsseldorf  rgog 

DIE  X.  INTERNATIONALE  KUNST- 
AUSSTELLUNG IN  MÜNCHEN  1909 

Von  FRANZ  WOLTER 

r^ie  Kunstdarbietungen  im  großen  Stile,  die 
^-^  von  Jahr  zu  Jalir  nicht  allein  in  Bayerns 
Haupt-  und  Residenzstadt  veranstaltet,  sondern 
in  jeder,  durch  die  Natur  der  Sache  einiger- 
maßen ähnlich  veranlagten  Stadt  geboten 
werden,  regen  zu  dem  Gedanken  an,  ob  denn 
auch  wirklich   das  Publikum   in   ein   näheres 


Verhältnis  zur  Kunst  gebracht  wird.  Handelt 
es  sich  um  eine  internationale  Kundgebung, 
wie  in  diesem  Falle,  so  wird  die  Frage  noch 
dringender.  Was  eine  Nation,  eine  Generation 
verlangt,  erhält  sie  und  je  stärker  sich  das 
äußerliche  Leben  entwickelt,  je  rascher  die 
lockenden  Vergnügungen  des  Alltags  einander 
ablösen,  je  raffinierter  die  Leckerbissen  der 
Tafel  und  A'ariete-Freuden  ersonnen  werden 
und  je  rascher  die  Autodroschken  die  Straßen 
durchsausen,  je  oberflächlicher  und  schneller 
wird  auch  die  Kunst  genommen,  denn  die 
Zeit  zur  Vertiefung  fehlt,  und  wahrhaftig,  um 
zur  Kunst  zu  gelangen,  gehört  mehr  Zeit  als 
der  bildungshungrige  Mensch  nur  ahnt.  Ein 
stilles  Versenken,  ein  gemütvolles  sich  Ergehen 
kostet  Zeit,  darum  nur  schnell  das  Sensa- 
tionelle, Packende  und  Pikante,  das  momentan 
reizt  und  erquickt,  gekostet  —  nicht  einmal 
genossen.  Die  Folgeerscheinung  ist  derTriumph 
der  Technik,  der  äußerlich  blendenden  Mache, 
kurz  das  Virtuosentum.  Wir  stehen  auch  in 
dieser  großen,  fast  3000  Kunstwerke  umfas- 
senden Ausstellung  des  Glaspalastes  durch- 
wegs vor  Problemen  der  Technik  des  äußer- 
lichen Scheins.  Ein  ziemlich  gleiches  Niveau 
allüberall,  der  Höhepunkt  des  Malenkönnens 
mit  unseren,  nun  einmal  gegebenen  Mitteln 
ist  erreicht  und  viele,  ja  recht  viele  können 
malen  und  meißeln.  Der  Unterschied  ist  nicht 
mehr  so  groß  wie  in  vergangenen  Jahrzehnten, 
eine  gewisse  Gleichmäßigkeit  ist  fast  erreicht. 
Es  hat  keinen  Wert,  dies  zu  beklagen  oder 
hierüber  sich  zu  ereifern,  es  ist  nur  die  Pflicht 
des  Chronisten,  diesen  künstlerischen  Baro- 
meterstand abzulesen,  denn  das,  was  entsteht, 
entwickelt  sich  mit  Naturnotwendigkeit  in  der 
Weltordnung.  Die  überaus  hohe  Bewertung 
des  technischen  Könnens  charakterisiert  im 
Zeitalter  der  Elektrizität,  der  Dampfmaschinen 
und  des  Luftschiff"es  unsere  Epoche  und  wie 
von  den  rein  technischen  Erfolgen  der  neuesten 
Erfindungen  alles  berauscht  wurde,  sosetzt  auch 
als  Spiegelbild  die  Kunst  den  höchstenTriumph 
daran,  auch  auf  ihrem  Gebiet  zu  zeigen,  was 
mit  den  Mitteln  der  Farbe,  des  Pinsels  und 
des  Meißels  geleistet  werden  kann.  Die  Freude, 
jede  noch  so  erdenkliche  Schwierigkeit  zu 
überwinden,  ist  an  die  Stelle  einer  edleren, 
inneren  Gestaltungskraft  getreten.  Die  Wir- 
kung auf  die  Seele,  auf  das  Gemüt,  das  was 
man  bisher  in  jeder  Kunst  vergangener  Zeit 
als  erste  und  heiligste  Aufgabe  ansah,  mußte 
ersteren  Bestrebungen  weichen.  Und  doch 
sind  noch  genügend  Dinge  da,  die  als  Oflen- 
barungen  echter,  wahrhafter  Kunst  zu  betrach- 
ten sind,  Dinge,  die  uns  über  die  \'erkörpe- 
rung  der  Idee,  des  Könnens  vergessen  machen. 


©^  X.  IN'TERNATIOXAI.r:  KUXSTAUSSTELLUNG  IX  MUXC.HF.X  >^ö       ^29 


leJocli  wird  manches 
da\  on  durch  das  blen- 
dende Feuerwerk  der 
Mache  verdunkelt  und 
\  ieles,  gar  vieles  kam 
Liberhaupt  nicht  zu 
Worte,  weil  ihm  die 
Cjunst     der     Ausstel- 

lungsleituny  nicht 
schien.  Der  Laie  hat 
überhaupt  keinen  Be- 
griff, wie  groß  die 
Kunstproduktion  in 
München  im  Laufe 
nur  eines  Jahres  ist. 
Leicht  könnte  man  mit 
diesem  Material  drei 
und  vier  Glaspaläste 
füllen  und  wahrlich 
das  Schlechteste  wäre 
nicht  darunter,  denn 
die  Rücksichtnahme 
auf  Gruppen  und  Kol- 
legen, auf  Macht,  An- 
sehen und  Kunstpoli- 
tik erfordert  mitunter 
eine  Binde  vor  den 
Augen,  es  wäre  sonst 
nicht  begreiflich,  daß 
unter  dem  Guten  so 
manch  Schlechtes  pla- 
ziert wurde  und  das 
nicht  in  den  letzten 
Sälen.  Dies  sei  von 
vorneherein  aus  Grün- 
den der  Gerechtigkeit 
gesagt. 

Im  Arrangement  der 
Ausstellung  sind  ver- 
hältnismäßig wenige 
Neuerungen  gemacht 

worden.  Im  großen,  der  Plastik  gewidmeten 
Vestibül  rauscht  der  altgewohnte  Springbrun- 
nen, die  Wände  erstrahlen  in  einem  nicht  ge- 
rade angenehmen  Gelb,  das  dem  Flor  der 
Blumen,  welche  das  Wasserbecken  umschlie- 
ßen, namentlich  aber  der  Plastik  keine  gün- 
stige Folie  verleiht.  Etwas  zu  mächtig  erhebt 
sich  hier  die  Reiterstatue  des  hl.  Wenzel  in 
Bronze  von  J.  V.  Myslbeck,  sie  wirkt  förm- 
lich erdrückend.  Neue  Anregungen  werden 
kaum  von  diesem  stark  akademisch  gehaltenen 
Werk  ausgehen,  wie  denn  insbesondere  das 
Ausland  auf  unsere  einheimische  Plastik,  ab- 
gesehen von  einzelnen  tüchtigen  Erscheinun- 
gen, wenig  befruchtend  einzuwirken  imstande 
ist.  Es  stecken  überall  noch  zu  starke  An- 
lehnungen an  einmal  überlieferte  Schönheits- 


IKANV  WOLTER 


DER  Hl^  I'.\L'I-L> 


Ausstellung  j!tr  christliche  Kurt 


begriffe  und  die  Schablone  ist  oft  allzu  deut- 
lich erkennbar.  Zumal  tritt  in  einer  stärker 
als  je  geprägten  Form  eine  manierierte  Antike 
hervor,  die  noch  frostiger  erscheint  als  die 
Xeubelebungen  zur  Empire -Zeit.  Für  uns 
Deutsche,  für  das  ganze  germanische  Volk 
steht  eine  Kunst,  die  aus  dem  Volke  sich 
herausgebildet,  die  wie  die  ganze  Plastik  des  Mit- 
telalters mit  dem  Geschäftsieben  der  Nation  ver- 
wachsen war,  unendlich  viel  näher  alsdie  schön- 
ste antikisierende  Bildhauerei  und  wenn  sie  noch 
so  stark  die  Grazie  und  die  sinnfällige  Schön- 
heit einer  vergangenen  hohen  Kunstblüte  mit 
den  äußerlich  blendenden  Mitteln  der  Tech- 
nik heraullieschwören  kann.  Recht  lehrreich 
ist  hier  das  Beispiel,  welches  Ferdinand 
von  Miller  in  seinem    Christus«  auf  schrei- 


330      ©B^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  TN  MÜNCHEN  ms 


sielluiig  /:ir  chrhtlu-lic  Kiinsl,  Dusset,/.  >/ 


tendem  Pferde  für  die  St.  Annakirche  in  Mün- 
chen gegeben  hat.  Der  Künstler  hat  die  Stelle 
der  Apokalypse  plastisch  übersetzt,  die  da  heißt: 
Und  siehe,  ein  weißes  Roß,  und  der  auf 
demselben  saß,  hatte  einen  Bogen  und  ward 
ihm  gegeben  ein  Kranz  und  er  zog  aus, 
siegend,  damit  er  siege.«  Die  edle,  vornehme 
würdige  Erscheinung  des  Christus  hat  der 
Meister  in  großzügiger  Form  und  in  einem 
persönlich  eigenartigen  Stil  vortrefflich  wieder- 
gegeben und  Roß  und  Reiter  wie  ein  orga- 
nisches Ganzes  gebildet,  daß  alles  wie  aus  dem 
Vollen  heraus  geschöpft  erscheint.  Weniges 
kommt  diesem  gleich,  wie  denn  überhaupt 
die  meisten  plastischen  Arbeiten  ungeachtet 
ihrer  Größe  wenig  monumentalen  Charakter 
tragen.  Man  sehe  darob  den  stark  musku- 
lösen Steinschleuderer,  »In  Gefahr«  betitelt,  von 
Richard  Aigner  an;  die  allerdings  fleißig 
und  lebendig  durchgeführte  Ringergruppe« 
von  Wilh.  Haverkamp,  die  von  südHchem 
Temperament  belebte  Danteszene  »Der  Styx« 
von  Rutelli  Mario  oder  die  an  Meunier 
erinnernde  realistisch-malerische  Bildnerei  wie 
die  »Wölfin  von  G.  Graziosi.  Das  alles 
sind  ja  an  sich  tüchtige  Leistungen,  aber  es 


fehlt  ihnen  der  Charakter,  der  große  Zug, 
der  jedes  Kleinliche  vermeidet.  —  Es  gehören 
ferner  hieher  die  trefflichen  Arbeiten  Gae- 
tano  Cellinis,  die  Statue  des  Bildhauers 
Prof  Sinding  von  Rasmus-Harboe  und  die 
im  Ausdruck  der  Angst  und  des  Schreckens 
ohne  Übertreibung  erfaßten  Bauerngestalten 
von  »Anno  neun«  von  Christian  Plattner. 
Alle  diese  an  sich  guten  Leistungen  könnten 
mit  Fug  und  Recht  in  wenig  größerer  Aus- 
führung dem  Fach  der  Kleinplastik  angehören. 
Von  wirklich  großzügigem  Charakter  sind 
die  Bronzebüsten  von  Robert  Diez  und  ein 
drittes  Werk,  ein  wuchtiger  Kopf  einer  Löwin 
in  rotem  Marmor.  Das  hat  etwas  von  antiker 
Art  mit  modernem  Geiste  beseelt.  —  Zu  un- 
ruhig in  den  Gewandpartien  erscheint  die  sonst 
wirkungsvoll  erdachte  Marmorgruppe  »Der 
Abgrund  von  Pietro  Canonica,  im  krassen 
Gegensatz  hierzu  steht  das  klobige,  an  mittel- 
alterliche rustikale  Steinmetzarbeit  gemahnende 
Reiterstandbild  von  Franz  Metzner.  In  ein- 
fach schlichter  Haltung,  im  Zivilanzug  mit 
Hut  und  Stock  ist  das  durchaus  ähnliche  Stand- 
bild des  Grafen  Konrad  v.  Preysing  von  Ge- 
org Busch  gegeben  (Abb.  III.,  Jg.  S.  231),  gut 


331 


B!^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  J^O 


JOSEPH  SCHEEL 

Ausstflhiilg  /ity  dir 


I  \'I-,DIKT  iHOI  /l 
n-ldorf  igoQ 


Studiert  und  an  Altes  erinnernd  der  »Eros« 
von  Artur  Volkmann,  jedoch  dürfte  die 
stark  fleischliche  Abtönung  dem  Werke  an 
Gefälligkeit  Abbruch  tun.  Wie  denn  überhaupt 
in  der  Patinierung  und  Fassung  der  plastischen 
Werke  entweder  des  Guten  zu  viel  oder  zu 
wenig  getan  wird.  Es  müssen  doch  Büsten 
lebender  Menschen  einerseits  nicht  Ausgra- 
bungen gleichen,  die  eine  tausendjährige  Pa- 
tina tragen,  anderseits  auch  nicht  einer  Figur 
aus  dem  Wachskabinett  zum  verwechseln  ähn- 
lich sein.  Unter  den  stark  vertretenen  weib- 
lichen Akten  sind  erwähnenswert  die  ins  Süß- 


liche hinübergleitende  .  Salome«  von  Emil 
Epple,  »Das  schlafende  Mädchen«  von  Luigi 
Secchi,  »Nach  dem  Bade«  von  Oskar  Gar- 
vens.  Herber  und  strenger  in  der  Form  ist 
das  Tugend  betitelte  Werk  von  Giuseppe 
Romagnoli.  Hervorragend  hat  sich  Hein- 
rich Wadere  mit  vier  Werken  eingestellt, 
von  denen  das  Relief  der  Tänzerin  durch  die 
feine  Bewegung  und  das  große  Grabmonu- 
ment durch  den  Adel  der  Form  und  des  Aus- 
drucks fesseln. 

Eine  ausgezeichnet  in  tiefstem  Schmerz  sich 
windende  Gestalt,  eine  Art  Niobide  schuf 
Ödon  Szamovlsky.  Selten  ist  die  Tragik 
so  wuchtig  zum  Ausdruck  gekommen,  daß 
man  den  Akt  an  sich,  das  Fleisch  ganz  ver- 
gißt, wie  bei  dieser  Figur.  —  An  Büsten  und 
Kleinplastiken  ist  wirklich  kein  Mangel  und 
manches  hier  sowohl  wie  bei  den  Ausländern 
hätte  man  weglassen  können.  Entzückend, 
wenn  auch  nicht  direkt  zur  Kleinplastik  ge- 
hörend, ist  das  weich  und  voll  modellierte 
-  Brunnenbuberk  von  Ed.  Beyrer,  wie  denn 
von  diesem  talentvollen,  aufstrebenden  jungen 
Künstler  noch  sonst  treftliche  Büsten,  u.  a. 
die  vom  Maler  Leo  Putz,  aus  der  großen  Menge 
hervorragen.  Ein  fleißig  durchgeführtes,  da- 
bei in  der  Auffassung  lieb  und  natürlich  wahr 
empfundenes  Aktflgürchen  in  Elfenbein  brachte 
Karl  Kiefer.  Sehr  begrüßenswert  ist  es, 
wenn  wieder  dem  edlen  Material,  wie  in 
diesem  Falle ,  größere  Aufmerksamkeit  ge- 
schenkt wird,  und  gerade  das  Elfenbein  ist,  wie 
das  alle  Kulturepochen  von  der  Antike  an  es 
beweisen,  geschaffen  zum  plastischen  Schmuck. 
Von  Valent.  Winkler  sehen  wir  neben 
einem  entzückenden  lachenden  Kinderköpf- 
chen in  Marmor  eine  ausgezeichnet  beobach- 
tete Dogge  und  eine  vortreft'liche  Hirsch- 
gruppe in  Bronze.  Recht  lebendig  wirken 
die  gut  bewegten,  vergoldeten  Bronzen  >  Eulen- 
spiegel', und  Minnesänger  von  Franz  Ber- 
nauer. Hübsch  in  der  Auffassung  sind  auch 
der  »Kegeljunge  ■.  von  Carl  Pieper  und  die 
singenden  Chorknaben  von  Christ.  Stütt- 
gen.  Daß  die  Bildhauer  wieder  mehr  zum 
Holz  greifen,  ist  ebenfalls  erfreulich.  Wir 
haben  in  der  Ausstellung  davon  einige  ganz 
tüchtige  Proben.  Neben  Th.  v.  Gosen  kommt 
Charles  Amgst  mit  seinem  den  Charakter 
des  Materials  entsprechend  schnittig  behan- 
delten  :  Handwerkern   in  Betracht. 

Einermerkwürdigen,  mehrundmehrin  Mode 
kommenden  Unart,  die  von  dem  Pariser  Meister 
Rodin  ausging,  muß  noch  Erwähnung  ge- 
schehen, und  das  ist:  der  Kultus  des  Torsos, 
vielmehr  des  Bruchstückes.  Wir  haben  ge- 
rade heuer  von  dieser  Art  verschiedene  Proben, 


FSB.«  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  »«sa 


die  nicht  glücklich  genannt  werden 
können,  u.  a.  von  A.  Hanak,  Henri 
van  Perck,  Ivan  Mestro vic  etc. 
Letzterer  Künstler  hat  in  seinem  Frag- 
ment wohl  das  Beste  geleistet,  wie  denn 
diese  Plastik,  vom  Gesichtspunkte  der 
Kunst  aus  betrachtet,  hoch  dasteht;  trotz- 
dem bedauert  man  die  schlecht  abge- 
schnittenen Arme  der  willkürlich  ver- 
stümmelten weiblichen  Figur,  die  nicht  als 
Zufallszerstörung,  sondern  als  beabsich- 
tigte erscheint,  und  dies  hebt  einen  großen 
Teil  des  künstlerischen  Genusses  auf. 

In  der  kleinen,  aber  äußerst  erlesenen 
Gesellschaft  der  Secessionsplastik  treffen 
wir  durchaus  gute  Arbeiten.  Da  sind 
vor  allem  die  dekorativ  figürlichen  Schild- 
halter vom  Hamburger  ßismarck- Denk- 
mal von  Hugo  Lederer,  die  acht  pla- 
stischen Werke  von  Hermann  Hahn, 
darunter  die  antikisierende  Reiterstatue, 
die  vorzüglich  beobachteten  Tierdarstel- 
lungen von  Fritz  Beim,  dessen  Talent 
auf  eine  großzügige  Form  gerichtet  ist. 
Eine  ganz  außerordentlich  einfache,  aber 
um  so  eindrucksvollere  Leistung  ist  der 
große  afrikanische  Leopard.  Eine  Reihe 
trefflicher  Bildnisbüsten  sind  noch  zu 
nennen  von  Heinr.  Jobst,  Cipri  Ad. 
Bermann,  Alex.  Oppler  und  Theod. 
V.  Goosen. 

Ist  es  schon  bei  der  Plastik  schwer. 
die  Gebilde  der  Kunst,  die  mit  dem 
geistigen  Auge  gesehen  werden  sollen, 
um  wahrhafte  Würdigung  zu  finden, 
in  beschreibender  Form  dem  Leser  vor- 
zustellen, so  ist  diese  Schwierigkeit  be- 
deutend größer  bei  der  Malerei  und  den 
graphischen  Künsten.  Es  ist  auch  schlech- 
terdings unmöglich,  die  überaus  ver- 
wickelte, nur  durch  persönliches  Erleb- 
nis zu  erfassende,  sinnliche  Erscheinung 
der  Kunst  so  vor  die  Augen  des  Lesers 
zu  stellen,  daß  eine  subjektive  Vorstel- 
lung eines  anderen  exakt  verstanden  wer- 
den kann.  Hieran  hindern  schon  allein  die 
nie  vollkommen  gleich  richtig  aufgefaß-  "'^"' 
ten  Anwendungen  von  Worten  und  \'or- 
stellungen,  trotz  einer  gewissen,  einmal 
übernommenen  Konvention.  Wenn  daher  eine 
ganz  genaue  beschreibende  Behandlung  der 
Kunstobjekte  im  folgenden  hinter  sachliclien 
Erwägungen  und  Betrachtungen  allgemeiner 
.Natur  zurücktreten  muß,  so  glauben  wir  eher 
etwas  für  das  Verständnis  zur  Kunst  beige- 
tragen zu  haben,  als  wenn  wir  den  Ton  einer 
angenehmen  und  unterhaltenden  Stimmungs- 
lektüre  anschlagen. 


AN\  KKAHI-OKM 

A  usslfllutij^  /ii 


URblKUSiObNBiLU 
•  chrittticht  Kunst,   Pustfläorf  iqoq 


Betreten  wir,  bevor  wir  den  Rundgang  durcii 
die  Gruppen  der  Münchner  Kunst  fortsetzen, 
ein  kleines  Sanktuarium,  das  den  Namen  Fritz 
Aug.  V.  Kaulbach  trägt.  Wir  kennen  den 
vornehmen  Künstler  von  starker  Persönlich- 
keit schon  lange  in  seinen  Leistungen  und 
vermögen  nichts  Neues  zu  seiner  Charakte- 
ristik zu  sagen.  Und  doch,  halten  wir  Um- 
schau in  allen  Sälen  des  weiten  Hauses,  wir 


334      E»^  >^-  IXTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  Ji^a 


finden  selten  diese  Abgeklärtheit,  diese  Ruhe 
und  Sicherheit,  wie  hier.  Es  liegt  in  all  den 
Gebilden  der  Malerei  etwas,  man  möchte  sagen 
Zeitloses,  etwas,  das  nicht  heute  und  morgen 
gilt,  sondern  \on  dauerndem  Werte  im  Wech- 
sel der  Zeiten  und  Moden  ist.  Mit  einer  Fülle 
von  neuen  hervorragenden  Schöpfungen  hat 
er  das  kleine,  mit  roten  Teppichen  ausgestat- 
tete Gemach  geschmückt.  Kostbare  Möbel 
geben  dem  Gesamten  einen  behaglichen  Ein- 
druck. Vor  allem  aber  erfreut  in  den  letzten 
Werken  die  Klarheit  und  Frische  der  in  un- 
mittelbarem Schaffen  vor  der  Natur  entstan- 
denen Bildnisse,  und  in  dieser  Richtung  hat 
der  rastlos  wirkende  Künstler  wieder  einen 
weiten  Schritt  nach  vorwärts  getan.  Als  be- 
sondere Anziehungspunkte  sind  einige  Damen- 
bildnisse zu  nennen.  Kaulbach  ist  ja  der  Schil- 
derer des  weiblichen  Geschlechtes;  wir  nennen 
hier  eine  Dame  in  Weiß,  mit  einem  Früchten- 


tlidu-  Kumt,   DnsseUorf  iqog 


korb,  eine  sitzende  weibliche  Figur,  welche 
die  Züge  der  Gattin  des  Meisters  trägt,  ein 
weiteres  Damenporträt  in  heller  Gewandung. 
Daneben  kommen  besonders  die  Bildnisse  seiner 
Kinder  in  Betracht.  Der  Künstler  hat  von 
Jahr  zu  Jahr  stets  malerische  Berichte  über 
die  eigenen  Sprößlinge  gegeben  und  diesmal 
von  bedeutender  künstlerischer  Kraft.  Hieher 
gehört  auch  das  Doppelbildnis  der  Prinzen 
Luitpold  und  Albrecht  von  Bayern,  die,  in 
helleuchtende  Landschaft  gestellt,  in  brüder- 
licher Eintracht  an  dem  vertraulichen  Täub- 
chen  sich  erfreuen,  das  der  ältere  der  Brüder 
auf  der  Hand  trägt.  In  majestätisch  feierlicher 
Haltung,  wie  zum  Opfertische  schreitend,  sehen 
wir  die  Tänzerin  Ruth  St.  Denis,  dann  wieder 
ein  kostbares  Tulpenstück,  Skizzen  und  Stu- 
dien kleineren  Formats  oder  eine  farbenfreu- 
dige Landschaft  —  kurz,  eine  Fülle  des  Er- 
lesenen, die  uns  über  die  Welt  des  brutalen 
Alltags  und  nicht  weniger  der  so 
vielen  brutalen  Malerei  zu  einer 
schöneren,  idealeren  erhebt.  —  Will 
man  ganz  gerecht  sein,  so  darf  man 
freilich  den  wichtigen  Faktor  nicht 
unbeachtet  lassen,  daß  Kaulbach 
vor  allen  andern  Ausstellern 
ein  gewaltiger  Vorteil  eingeräumt 
wurde,  indem  er  in  der  Lage  war, 
sich  alle  andern  Kunstgenossen  fern 
zu  halten,  für  seine  Bilder  die  vor- 
teilhafteste Beleuchtung  einzurich- 
ten, die  Umgebung  zu  ihnen  zu 
stimmen  und  durch  die  elegante 
Ausstattung  seines  Raumes  die  Be- 
sucher und  Besucherinnen,  wenn 
nicht  zu  hypnotisieren,  so  doch  in 
eine  gehobene  Verfassung  zu  ver- 
setzen. 

In  den  Sälen  der  Münchner  Künst- 
ler-Genossenschaft  mit  Deutschland 
treten  wir  dann  auf  schon  realeren 
Boden.  Es  herrscht  viel  Geschmack 
vor,  aber  auch  das  Gegenteil.  Das 
kommt  davon,  daß,  wie  ebenfalls  in 
anderen  Korporationen,  eine  per- 
sönliche Freundschaft,  Zugeneigt- 
heit.kameradschaftlicheGesinnung, 
endlich  Zugehörigkeit  zu  einer 
Gruppe,  bis  zur  \'erleugnung  des 
eigenen  künstlerischen  Gewissens 
führt.  Sind  solche  Faktoren  für 
weniger  im  Vordergrund  des  In- 
teresses gelegene  Säle  entschuld- 
bar, so  wird  gleich  die  Harmo- 
nie dort  gestört,  wo  zuerst  das 
redliche  Bestreben  bemerkbar  war, 
die  Kunstwerke   nach  ihrem  wirk- 


335 


Ausstfilung  für  christUcht  Kunst, 
Düsttidor/  igog  ooooooooo 
Mit  Geurhmigung  dtr  Münchner 
Graphischen  GeselUdia/t  Pick  £?>  Co., 
München     oooooooooooo 


'S  «  KASPAU  SCHLEIBNER 
FLUCHT  NACH  AGVPTHN 


36      &^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  f^Q 


BETRACHTENDER  .MÖNCH 
Aitsstelluttg  für  christliche  Kinisl,   Dusseldorf  iqoq 


liehen  Werte  zu  ordnen.  Gleich  in  den 
ersten  Sälen  fallt  dies  auf,  wenn  man  das 
ungemein  delikate  Interieur  mit  der  Dame  in 
heller  Ivleidung  von  Carl  Albrecht  in  Ver- 
gleich zieht  mit  ähnlichen  Themen.  O.  Frei- 
wirth- Lützows  »Gevatterin«  macht  hier 
eine  rühmliche  Ausnahme,  der  Künstler  führt 
uns  in  die  Zeit  unserer  Urgroßväter  zurück 
und  schildert  mit  feinem  Verständnis  für  Licht 
und  Schatten  ein  behagliches  stilles  Heim  von 
warmer  Beseelung  der  Gestalten.  Daß  selbst- 
verständlich die  altbekannten  Namen  im  Reiche 
der  Kunst,  die  Defregger,  Grützner,  M. 
Schmid,  L.  Willroider,  J.  Wenglein,  J. 
Wopfner,  F.  Simm,  A.  Fink,  Walter 
Firle,  G.  Papperitz  nicht  fehlen,  sei  nur  er- 
wähnt. Von  zwingender  Stimmungsgewalt 
sind  sowohl  die  Schnee-  und  Gebirgsbilder, 
als  namentlich  'Die  Hochsee «  von  Hans 
von  Petersen.  Gerade  in  letzterem  Gemälde 
verstand  es  der  Künstler,  wieder  jene  Note 
hineinzutragen,  die  von  der  Unendlichkeit  des 
Meeres  in  seiner  elementaren  Gewalt  kündet. 
Ganz  anders  sieht  G.  Schönleber  die  welt- 
umspannenden   Gewässer.     Sein    -Abend    am 


Strande  mit  dem  ein- 
samen Boot  gleicht  ei- 
nem friedlichen  Volks- 
lied und  A.  Bachmann 
und  K.  Boehme  haben 
ebenfalls  in  ihrer  Art 
Beisteuer  zu  jenen  Vor- 
würfen geleistet. 

Die  religiöse  Malerei 
verschwindet  von  Jahr 
zu  Jahr  mehr  aus  den 
offiziellen  Ausstellun- 
gen, sie  wird  wohl  von 
tüchtigen  Künstlern 
noch  gepflegt,  aber  sie 
genießt  gar  keine  Aner- 
kennung. Kaum  ein 
Dutzend  Gemälde  reli- 
giösen Inhalts  ist  in  die- 
ser großen  Bilderschau 
zu  finden.  Eines  der 
bedeutenderen  Werke 
ist  >  Die  Verehrung  der 
Reliquie  des  heiligen 
Blutes  in  Brügge?,  von 
Max  Gaisser.  Das  in 
Form  des  Triptychons 
angelegte  Werk  zeigt  im 
Hauptbilde  die  versam- 
melten Gläubigen,  wel- 
che der  vom  Priester 
in  kostbarer  Fülle  dar- 
gebotenen Reliquie  ihre 
Andacht  bezeigen,  während  aut  den  Flügel- 
bildern das  äußerliche  Straßengepränge  der 
Prozessionen  als  wirksamer  Gegensatz  zur 
stillen  Feierlichkeit  gestellt  ist.  Das  Weihe- 
volle der  Handlung  ist  dem  Künstler  in 
vortrefflicher  Weise  gelungen  und  spiegelt 
sich  in  den  grobknochigen  echten  Typen 
flämischer  Bürger  und  Landleute  jene  tiefe 
Frömmigkeit  wider,  welche  dieser  uns  stamm- 
verwandten germanischen  Rasse  so  charakte- 
ristisch ist.  Selten  hat  Gaisser,  von  dem  wir 
manch  treffliches  Bild  gesehen  und  auch  auf 
der  Ausstellung  sehen  können,  etwas  ge- 
schaffen, was  so  frei  von  Schablone,  so  frei 
von  jeder  Herkömmlichkeit,  einen  solch  starken 
Eindruck  hervorzurufen  geeignet  ist. 

In  ähnhcher  Weise  läßt  sich  dasselbe,  mu- 
tatis  mutandis,  von  Otto  Strützels  großem 
weitzügigem  Gemälde  x  Gewitter  an  der  Isar< 
sagen;  ein  Bild,  das  mit  in  erster  Linie  von 
den  im  übrigen  zahlreichen  Landschatten  zu 
nennen  ist.  Es  schließen  sich  diesem  Meister 
hier  an:  Hans  Prentzel  »Der  Heidehügel'.; 
Josue  von  Gietl  »Trüber  Märztag  ;  Otto 
Gampert      Herbstmorgen    im  Schleißheimer 


©^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  »«S?2      337 


Moos     und    ?Eiii   Sommertag    ;   A.    Dierks 
s Landungsbrücke       und    Kaiser-Eicliberg 
i-Frühlingsahend  im  Luch:;  C.  Bracht    :Die 
drei   Türme   im    GauertaL;;    Robert  Curry 
»Märzschnees    und    Gregor  v.  Bochmann 
>An    verlassener    Heerstraße«;    A.    Schüler 
»Ostertag»;    H.    Licht      Landschaft    an    der 
Mündung    der    Havel;.     Angenehme    Über- 
raschungen bieten  einige  Künstler,  die  bisher 
wohl  immer  geschmackvoll,  aber  nicht  so 
ganz  sicher  auftraten  und  die  diesmal  in 
einigen  Bildern  eine  vornehme  und  ge- 
festigte Künstlernatur  verraten.     Hieher 
gehören  Jul.  Schräg  mit  einigen  farbig 
gesehenen  Interieurs,  Wilhelm  Immen- 
kamp mit  dem  Bildnis  Dr.  W.  Raabes, 
M.  Hartwig   Im  Aprils,  TheodorWin- 
ter  »Frühling  ;,  Pet.  Kraemer    Bildnis- 
studie ,    Fritz    Bayerlein      Park    im 
Schnee:,  August   Rieper   mit    einigen 
leuchtenden    Innenräumen,    H.  Linde 
Braudiele  in  Lübeck'.;  Hans  Blum  >:Im 
Gemüsegarten ;c.  Vorzüglich  ist  ein  farben- 
sattes Interieur  von  Klara  Walther  mit 
feinem  Schmelz  der  Töne,  in  brillanter 
Technik  wiedergegeben. 

\'on  altmeisterlicher  Kraft  und  zeichne- 
rischer \'ollendung,  doch  unserem  Gefühl 
nicht  fremdartig,  sind  die  bis  ins  kleinste 
Detail  durchgeführten  Bauernköpfe  von 
Georg  Schildknecht.  Auch  das  ist 
eine  Malerei,  die  abseits  steht  vom  Alltags- 
geschmack, der  immer  mehr  droht  zu  ver- 
flachen und  demokratischer  zu  werden. 
\'()n  bewährter  \'irtuosität  sind  F.  Gräs- 
seis Enten  ,  wie  Jul.  Adams /Katzen  , 
die,  wohl  unerreicht  in  ihrer  ganzen  Ras- 
seneigenartigkeit, von  keinem  anderen 
Künstler  so  gemalt  werden.  Stark  vertreten 
ist  das  Beleuchtungsproblem,  sei  es,  daß 
eine  natürliche  oder  eine  künstliche  Licht- 
quelle gesucht  oder  gestellt  wurde.  So 
schildert  A.  Graf  Courten  den  von  der 
Lampe  erhellten  sterbenden  \\'ilhelm  nach 
Heines  Wallfahrt  nach  Kevelaer  ,  wie  die 
Gottesmutter  ihn  zu  sich  ruft;  A.Wilkens 
eine  in  ähnlichem  Effekt  gemalte  ■  Hoch- 
zeit auf  Fano  ;  Wilh.  Claudius  Böh- 
mische Dorfmusikantenc.die  unter  Festes- 
beleuchtung zum  Tanz  aufspielen;  Ferd. 
Dorsch  ein  Lampionfest :<.  Diese  Art 
technisch  geschickt  gelöster  Probleme 
kehrt  nun  auch  in  den  übrigen  Abtei- 
lungen, in  den  verschiedenen  \'ariationen 
wieder.DiegefährlicheKlippedesSchwarz- 
malens  wird  meist  glückhch  umschiflt. 
Eigenartig  dunkle  und  helle  Farben  werden 
gefunden,   die   gerade  bei  solchen  Wir- 


kungen eine  wertvolle  Bereicherung  für  un- 
sere Ausstellungsmalerei  bedeuten.  Es  kommen 
Bilder  zustande,  die  auf  den  Gegensatz  ge- 
richtet sind  und  aus  der  Allgemeinheit  heraus- 
fallen sollen.  Gerade  aus  diesen,  vom  maler- 
ischen Standpunkte  aus  berechtigten  Erwä- 
gungen erw^ächst  der  Wert  solcher  Gemälde, 
die  ins  dekorative  Gebiet  hinüberragen. 
Unter  den  poetisch   veranlagten  Künstlern 


AuisUUunt  Jttr  ckriithciu 


ST   |0>EPH 


Die  chrlnllclie  Kuiut. 


:8      C^«  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  ms> 


kommt  in  erster  Linie  A.  Kühles  in  Betracht. 
Er  gehört  zu  den  wenigen  Malern,  welche  die 
Natur  als  Basis  ihres  SchaiTens  wählen,  weder 
sie  nachmachen,  noch  ihre  Motive  sklavisch 
benützen,  sondern  ihre  Ideen,  ihre  Welt  in 
die  Werke  hineintragen,  die  uns  mehr  inter- 
essieren als  das  alte  Winkelwerk  der  Städte 
und  Burgen  selbst,  welche  Kühles  z.  B.  als 
Vorwürfe  wählt.  Die  Kunst  hängt  mit  dem 
menschlichen  Empfinden  so  eng  zusammen, 
daß  sie ,  sollte  sie  den  Anschluß  an  die 
Empfindungen  des  Gemütes  verlassen,  einer 
wurzellosen  Pflanze  gleicht,  die  schnell  dahin- 
welkt. Am  schönsten  hat  Kühles  diesen  An- 
schluß in  dem  von  idyllischem  Zauber  um- 
wehten Bilde  :  Im  Krug«  gefunden.  Auf 
diesem  Wege  weiterschreitend,  wird  er  uns 
noch  manch  schön  gemaltes  Gedicht  schenken. 
Von  den  zahlreichen  Bildnissen  sind  wenige 
charaktervolle  Leistungen  zu  verzeichnen, 
manches  wirkt  direkt  gleichgültig.  Hervorra- 
gend ist  das  umfangreiche  Gemälde  von  Hub. 
von  Herkomer  »Die  Jury  der  K.Akade- 
mie der  Künste  in  London  1907.«  Der  leidige, 
branstige  Ton,  den  auch  die  Landsberger  Bil- 
der besitzen,  kehrt  auch  hier  wieder,  sonst  ist 
das  gewaltige  Bild  mit  jener  alten  Faustter- 
tigkeit  gemalt,  wie  wir  sie  von  dem  zum  Eng- 
länder gewordenen  Deutschen  kennen.  Alois 
Erdtelt  ist  neben  seinem  trefllichen  Selbst- 
bildnis mit  einem  tüchtigen  Kinderporträt  ver- 
treten ;  Alexan  d  er  Fuks  mit  dem  schönen 
vom  Kunstverein  her  bekannten  Porträt  seiner 
Gattin,  ebenso  Frank-Kirchb  ach's  Bildnis 
seines  Bruders,  ferner  H.  Best,  Leonhard 
Blum.  Recht  kräftig  im  Ton  ist  das  Reiter- 
bildnis von  Richard  B.  Adam,  vornehm 
und  zart  in  der  malerischen  Behandlungsweise 
das  Porträt  des  Freiherrn  von  Münchhausen 
von  R.  Schulte  im  Hofe.  Von  diesem 
Werke  aus  finden  wir  den  Anschluß  an  die 
Luitpoldgruppe.  Eine  merkliche  Trennung 
von  dieser  und  der  Genossenschaft  ist  durch- 
aus nicht  bemerkbar.  Im  Gegenteil,  die  ältere 
Korporation  gewinnt  von  Jahr  zu  Jahr  mehr 
an  Frische,  wogegen  die  Luitpoldgruppe  an 
Blutleere  zu  erkranken  droht.  Nichtsdestowe- 
nigerrinden wir  hier  die  alten,  bewährten  Kräfte 
und  meist  sogar  an  derselben  Stelle  wie  alle 
}ahre,  gerade  so,  als  ob  diese  gepachtet  wäre. 
Es  läßt  sich  daher  über  die  meisten  Künstler 
nichts  Neues  sagen;  zumal  bleibt  Fritz  B  ae  r 
seiner  Art  treu.  Das  Bild  vom  Pilsensee  so- 
wohl als  die  »Morgenstimmung  in  den  Bergen« 
schließen  sich  seinen  früheren  Bildern  an ;  das 
Vorherrschen  der  technischen  Mache,  das  Ar- 
beitenlassen des  Materials  war  von  jeher  Baers 
Stärke,  damit  soll  der  großen  Anlage  und  An- 


schauung nicht  zu  nahe  getreten  werden.  Eben- 
falls mit  stark  technischen  Mitteln  arbeitet  Hans 
Heider,  sein  herbstlicher  Tannenwald  ist  wohl 
unter  den  übrigen  Bildern  das  beste.  Weit  ein- 
facher und  schlichter  erscheint  die  großge- 
dachte Landschaft  von  ErnstGerhard  »Sturm 
im  öden  Land'<.  Eine  ernste,  fast  dämonisch 
wirkende  Stimmung  liegt  über  der  trostlos 
weiten  Ebene.  Karl  Küstner  hat  in  die  ver- 
schiedenen neuartigen  Motive  eine  Bereiche- 
rung hineingetragen,  die  erfreulich  zeigt,  wie 
selbst  ein  schon  längst  zur  Reife  gediehener 
Künstler  weiterschreiten  kann.  Koloristisch  in- 
teressant und  wirkungsvoll  sind  die  tief  beseel- 
ten Landschaften  von  Wenzel  Wirkner; 
sie  stechen  um  so  bestimmter  aus  der  Menge 
heraus,  die  nur  aufgenommen  worden  zu  sein 
scheint,  um  für  die  besseren  Bilder  eine  halb- 
wegs günstige  Bei-  oder  Unterordnung  zu 
scharten. 

Recht  gute  Naturstudien,  positive  Malereien, 
die  Ivoutine  und  Technik  voraussetzen,  sind 
die  drei  Arbeiten  von  H  e  i  n  r  i  c  h  B  r  ü  n  e.  Es 
wird  wohl  niemand  geben,  der  die  beiden  weib- 
lichen Akte,  vom  modern  technischen  Stand- 
punkte aus  betrachtet,  nicht  vortrefflich  fin- 
den wird.  Diese  Studien  sind  mit  den  einfach- 
sten Mitteln  kräftig  und  sicher  herunterge- 
schrieben. Von  einer  Studie  oder  Skizze  kann 
man  schlechterdingsnichtmehrverlangen.  Aber 
schließlich  soll  das  alles  nur  Mittel  zum  Zweck 
sein,  denn  die  Notwendigkeit,  mit  den  zeit- 
genössischen Errungenschaften  eine  geistige, 
gedankenvolle  antinaturalistische  Kunst  zu 
schaffen,  die  Technik,  Form  und  Linie  in  den 
Dienst  der  Idee  stellt,  dürfte  wohl  nicht  un- 
berechtigt sein.  Brüne  hat  das  Talent  dazu  und 
wir  können  bei  seiner  Jugend  horten,  noch 
einmal  schöne  Resultate  seiner  Kunst  in  edle- 
rem Gevyfande  zu  sehen.  Ähnliches  gilt  von 
Georg  Mayer-Franken,  der  aber  im  Ko- 
lorit noch  nicht  das  Lockere,  Leichte  erreicht 
hat.  R  udolf  Sc  hie  stl  erfreute  hier,  wie 
ebenso  sein  Bruder  Matthäus  in  den  ande- 
ren Räumen  der  Genossenschaft  mit  einem 
köstlichen  Bildchen  von  echt  deutscher  Bieder- 
keit; R.  Willmann  mit  einem  in  altmeister- 
lichem Charakter  gehaltenen  Fasan  und  Perl- 
huhn«. Edel  und  vornehm  in  der  Form  ist 
der  allerdings  nicht  modern  gemalte,  dafür 
um  so  ansprechender  in  der  beabsichtigten 
Idee  gehaltene  Frauenakt  »Vanitas«  von  Alb. 
Lang.  WalterThors  eigenartige  Mosaik- 
technik kommt  wieder  am  schönsten  in  eini- 
gen Bildnissen  zur  Geltung,  unter  denen  das 
Doppelbildnis  des  Malers  und  seiner  Frau  am 
glänzendsten  und  ausgeglichensten,  auf  einer 
erstaunlichen  Höhe  des  Könnens  angelangt  ist. 


O^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  *^a      339 


Recht  buntfarbig  und  heiter  geht  es  in  der 
Scholle  zu.  Daß  ein  Weitcrschreiten  auf 
diesen  zur  rein  dekorativen  Wirkung  zielen- 
den Effekten  nicht  möglich  ist,  wurde  schon 
früher  betont,  trotzdem  muß  man  mit  l'reu- 
den  anerkennen,  daß  die  starken  Talente  sich 
mäfiigen,  sowohl  in  Extravaganzen  als  in  Lor- 
maten  der  Bilder.  Das  stärkste  Talent  ist  un- 
streitig Fritz  Erler,  erstellt  eine  Kollektion 
Bildnisse  aus,  von  unerhörter  Farbenfreude. 
Vor  tapetenartig  gemusterten  Wänden  malt  er 
die  Menschen  mehr  als  farbige  Erscheinungen, 
denn  als  Individuen.    Um  dies  recht  zu  ver- 


ÜES  HL.  S  r.WISI.AL'S 


stehen,  muß  man  sagen,  er  malt  sie  im  Gegen- 
satz zu  Lenbach  als  Stilleben,  sie  sind  Licht- 
und  Farbenträger,  wie  etwa  ein  Blumenbukett 
es  sein  kann.  Auch  das  ist  ein  Ziel  der  Ma- 
lerei, wenngleich  nur  ein  dekoratives,  ein  zum 
Plakat  hinneigendes.  Am  besten  kommt  dies 
Prinzip  in  dem  Bildnisse  einer  Dame  in  Rot 
und  dem  eines  Herrn  in  Schwarz  und  Rot  zur 
Geltung.  V'on  den  weiblichen  Akten,  die  ja 
stets  gern  als  Motiv  in  der  Schollegruppe  ge- 
wählt werden,  überragt  der  in  Freilicht  ge- 
malte von  L.  Putz  nicht  allein  alle  andern, 
sondern   auch  die   sonstigen  Arbeiten    dieses 


41* 


340 


E5^  SULPIZ  BOISSERfiE  »^iS 


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mmk' 

4t^ 

^1 

Secession  zeigt  uns  eine  Überfülle  von 
solchen  Künstlern,  deren  Prinzip  im 
Schaffen  nicht  auf  höhere  Kunstziele 
gestellt  ist,  sondern  die  in  vagen  Stim- 
mungen und  Gefühlen  sich  ergehen, 
aber  diese  nicht  festbannen  oder  gar 
verkörpern  können,  weil  der  Wille  zur 
Mrlüllung  entweder  nicht  stark  genug 
oder  die  Kraft  zur  Tat  nicht  ausreicht. 
\'orläufig  sehen  wir,  daß  das  Skizzen- 
hafte, Unfertige  und  Rohe,  im  Sinne 
des  Nichtgekonnten  die  Kunsttorm, 
wie  sie  vielleicht  gedacht  war,  ersetzt. 
(Forts,  folgt) 

SULPIZ  BOISSEREE  UND 
SEIN  WERK 


A'^ 


M  \\ü^■K;\cs^■  ciiHisi  rs  ' 

A:,ssMl„„g  /ur  .iirhtlkhe  Kunü,    rhi^scU.'i/   i.:u,;. 
Co/-ylig>il  /'.V  Konyvcs   Kalmiin  A. C,   Binhipeit 

Strebsamen  Künstlers.  Als  weitere  bedeutende 
Arbeit  muß  das  große  Bild  Mutter  lirde«  von 
Rob.  Weise  anerkannt  werden.  Wir  sehen 
eine  Frau  mit  Kindern  in  weiter  Landschaft, 
Getreidefelder  dehnen  sich  aus  und  Sonnen- 
glut und  Farbenglanz  belebt  die  schlichte,  aber 
groß  und  miichtig  empfundene  Gruppe.  Weise 
gehört  sicherlich  zu  den  Besten  der  Scholle. 
Walter  Püttners  >.>Musikanten  :,  um  einen 
grüngedeckten  Tisch  versammelt,  zeigen  einen 
koloristischen  Reiz,  aber  auch  hier  steht  dem 
rein  künstlerischen  Prinzip  die  dekorative  Art 
entgegen,  die  wenig  Wert  auf  die  Qualität  der 
Malerei  selbst  und  noch  weniger  Wert  auf  die 
feineren  Abstufungen  der  Töne  legt.  In  weit 
höherem  Maße  verfällt  in  diesen  Fehler  Franz 
Voigt  mit  seinen  drei  Bildern  und  auch  Ad. 
Münzer  ist  nicht  davon  freizusprechen,  ob- 
gleich die  Dame  im  Grünen  im  grünen  Ge- 
wandeauf eine  harmonische  Gesamtstimmung 
hindeutet.  Ein  von  diesen  mehr  abseits  stehen- 
der Künstler,  der  innerlicheres  Versenken  in 
die  Natur  bei  all  seinem  Schaffen  bekundet, 
ist  Erich  Erler  und  sind  sein  Sommer", 
und  »Stiller  Tag«  von  eigenartigem  Reiz,  der 
noch  Besseres  erhoffen  läßt.  Der  allgemeine 
Eindruck  dieser  Säle  sowie  der  folgenden  der 


Von  A.  BLUM-ERH.'XRD 

n  einem  schönen  Frühlingstage  des 
Jahres  1 804  spazierten  über  den  Neu- 
markt in  Köln  zwei  junge  Leute  von 
18  und  21  Jahren,  vertieft  in  einen 
philosophisch-ästhetischen  Diskurs  mit 
ihrem  Lehrer  und  Freund  Friedrich 
Schlegel.  Auf  ihre  Bitten  war  er  nach 
Köln  gekommen,  um  hier  die  Vor- 
uDii:)  lesungen  fortzusetzen,  dieerihnen,  den 
beiden  jüngsten  Söhnen  des  Kölner 
Handelsherrn  Boisseree,  während  der 
Herbst-  und  Wintermonate  zu  Paris  in  der 
Rue  Glich}'  in  dem  ehemaligen  Hotel  des 
Baron  Holbach  gehalten  hatte.  Sie  hingen 
mit  großer  Verehrung  an  ihm.  Neben  den 
Schriften  Goethes  und  Tiecks  hatten  sie  auch 
die  seinen  gelesen,  waren  durch  sie  veranlal?t 
worden,  den  Kaufmannsstand  zu  verlassen  und 
mit  glühendem  Sinn  nach  jenem  goldenen 
Schein  zu  blicken,  den  die  Kunst,  und  nur 
die  Kunst,  ins  menschliche  Leben  und  über 
den  Alltag  zu  werfen  vermag.  Ein  Besuch,  den 
der  ältere  der  beiden,  der  junge  Sulpiz,  um 
dieselbe  Zeit  in  Düsseldorf  abstattete,  ver- 
stärkte das  Interesse,  das  jene  Lektüre  erweckt 
hatte.  Denn  er  kam  dort  in  die  eben  wieder- 
eröffnete berühmte  Gemäldegalerie,  die  vor 
den  Schrecken  des  Krieges  über  den  Rhein  ge- 
flüchtet worden  war,  und  sein  empfängliches 
Gemüt  trug  die  tiefsten  und  bleibenden  Ein- 
drücke mit  fort.  Seinen  jüngeren  Bruder  Mel- 
chior und  seinen,  die  Rechte  studierenden 
Freund  Bertram  verstand  er  durch  seine  be- 
geisterten Berichte  derartig  zu  entflammen, 
daß  sie  sich  ihm  bei  seinem  Ausflug  nach  Paris 
anschlössen. 

Hunderte  von  Künstlern  und  Kunstfreunden 
pilgerten  damals  an  die  Seine.  Das  Gerücht  von 


341 


MARTIX  I-l-.UnRSTEIN 


111,,  onniA 


Aussirltung  Jitr  ihrisliune  Kun.l,   DuiStUoi/  iqag 


342 


©^  SULPIZ  BOISSRREE  »-^«a 


dem  köstlichenRaube,  den  Napoleon  Bonaparte 
auf  seinen  ]£robei"ungszügen  durch  Italien  und 
durcli  die  Niederlande  als  erster  Konsul  an  sich 
gerissen  und  in  Paris  aufgestellt  hatte,  jenes  Ge- 
rücht verfehlte  seine  anziehende  Macht  auch 
bei  Sulpiz  Boisseree  nicht.  Voll  von  den  wun- 
derbaren Eindrücken,  die  er  dort  empfangen 
und  für  die  ihm  durch  Schlegels  weise  Führung 
erst  das  richtige  Verständnis  aufgeblüht  war, 
ging  er  an  jenem  Frühlingstage  Anno  1804  über 
den  Neumarkt  zu  Köln.  ZweiMänner kreuzten 
seinen  Weg.  Sie  trugen  auf  einer  Tragbahre 
allerlei  alten  Hausrat,  der  seinem  Eigentümer 
im  Wege  stand  und  nach  einem  Holzschuppen 
in  der  Nähe  zu  anderem  Gerumpel  gebracht 
werden  sollte.  Aber  unter  dem  wertlosen  Kram 
entdeckte  Sulpiz  eine  bemalte  Tafel,  die  trotz 
Staub  und  Spinngewebe  eines  Meisters  Hand 
erkennen  ließ.  Sulpiz  beschloß,  das  Bild  dem 
Untergang  zu  entreißen.  Er  erwarb  es  um 
eine  geringe  Summe,  von  der  Zustimmung 
seines  väterlichen  Freundes  angespornt,  und 
brachte  es  heimlich,  um  dem  Gespött  der  ver- 
ständnislosen und  laclilustii7en  Nachbarschaft 


zu  entgehen,  durch  die  Hintertür  ins  elter- 
liche Haus.  Auf  der  Treppe  begegnete  dem 
jungen  Kunstmäcen  seine  alte  Großmutter, 
eine  fromme,  von  ihm  hochverehrte  Frau, 
die  schon  seit  dem  frühen  Tode  seiner  Mutter 
die  Erziehung  der  Boissereeschen  Kinder  mit 
verständiger  Hand  leitete. 

Schweigend  betrachtete  sie  lange  das  alte 
Gemälde  und  voll  Rührung  beglückwünschte 
sie  den  Enkel  zu  seinem  Kauf.  Tiefer  als  sie 
ahnte,  hat  ihn  ihr  Segen  in  jener  Stunde  be- 
rührt, ist  ihm  ein  Ansporn  geworden,  von 
den  Schätzen,  die  eine  wilde,  ungebärdige, 
verständnislose  Zeit  verschleuderte,  zu  retten 
und  aufzubewahren,  was  in  seiner  Macht  stand. 
Und  so  ist  dieses  Bild,  von  der  Hand  eines 
niederrheinischen  Meisters  um  das  Jahr  1500 
gemalt,  »eine  Kreuztragung  mit  den  weinen- 
den Frauen  und  der  heiligen  Veronika'<  — 
der  Grundstock  jener  reichen  Sammlung  ge- 
worden, die  heute  unter  dem  Namen  der 
:  Boisseree-Sammlungs  die  niederrheinischen 
und  niederländischen  Schulen  umfassend,  in 
der  Pinakothek  zu  München   sich  befindet. 


WILHELM  STKINHAUSEN 


Ausstellung  für  christliche  Kuust,   Dnsseldcr/  iQog 


JESUS  UND  NIKODEMUS 


SJB^  SUPLIZ  BOISSERH1-:  »^Ö 


343 


WILHELM  SIEINHAUSEN 


MOSES  UND  DER  FEUKIGE  DOUN'BLSCH 


Ausstellung  _fiir  christliche  Kunst,  Düssehiiirf  iqog 


Niemand  hatte  sich  bisher  um  diese  ähesten 
Meister  gel<ümmert.  Fürsten  hatten  seit  jaiir- 
hunderten  Gemälde  gesammelt  und  Galerien 
angelegt;  aber  immer  waren  es  die  Kunst- 
werke eines  Rubens,  eines  Van  Dyck,  Rem- 
brandts,  Teniers  und  Zeitgenossen,  die  sie  zu 
erwerben  trachteten.  Der  Sinn  für  die  \'or- 
iäufer  dieser  Großen  fehlte.  Unscheinbar,  nur 
der  Andacht  verständlich,  bargen  sie  sich  in 
Kirclien  und  Klöstern  und  selbst  von  diesen 
stillen  angeerbten  Plätzen  wurden  sie  gerissen, 
als  die  Revolution  in  die  Speichen  des  Welten- 
rades eingriff  und  die  Verweltlichung  geist- 
licher Länder  und  Güter  statthatte.  Wertlo.ses 
wie  Wertvolles  wurde  entfernt.  Kann  man 
die  kunstungebildeten  Kommissäre  verantwort- 
lich machen  für  das,  was  verloren  ging,  wenn 
selbst  die  Galeriebeamten  von  Unkenntnis  der 
Meister  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  und  ihrer 
Werke  strotzten  und  keine  .\hnung  von  den 
Hauptschulcn  damaliger  Zeit  hatten,  sondern 
alles  mit  dem  Namen     altfränkisch',  belegten"' 

^'erschiedL•Ile   l)in"e   mögen    zusammenge- 


wirkt haben,  um  den  Sinn  des  jungen  Sulpiz 
auf  die  Kunst  des  Mittelalters  zu  richten.  \'iel- 
leicht  war  es  vor  allem  die  örtliche  Umgebung, 
das  .hillige  Kölns  an  den  Utern  des  Rheins, 
von  Sage  und  Legende  umwoben ,  das  mit 
seinem  gewaltigen  Dom  und  seinem  Reich- 
tum romanischer  Kirchen  gewaltigen  Hindruck 
auf  den  empfänglichen  Knaben  machte.  Das 
alte  väterliche  Haus,  mit  dem  \'orrecht  alter 
ehrwürdiger  Häuser,  hat  aus  Winkeln  und 
Lcken  auf  ihn  eingeredet.  Ls  bekam  einen 
feierlichen  Ximbus,  wenn  der  Herr  Pate,  der 
Propst  von  Langwaden,  dort  einkehrte.  Und 
ein  Strahl  davon  floß  um  Sulpiz'  fLiupt,  wenn 
er  seine  Großtante,  die  Priorin  des  dortigen 
Nonnenklosters,  besuchen  durfte.  In  ihrem 
weißen  festlichen  Ordenskleide  ist  ihm  die 
sanfte  Frau  unvergeßlich  geblieben. 

Haben  die  herrlichen  Kirchen  und  Klöster 
seiner  X'aterstadt  den  Keim  zu  seiner  späteren 
Tätigkeit  gepflanzt,  gehegt  und  großgezogen 
ist  er  worden  durch  die  Menschen  seiner  Um- 
gebung:  durch   den   treuen   rechtlichen  \'ater, 


344 


©^  SULPIZ  BOISSHRFE  J^ä 


FRANZ  \AN  LEEMI'UITEN  HRSTK  HI    KÜMMIXION 

AuiStfllung  für  ihriitliclic  Kunst.   Duss,-lJ,n/  IQOO 

der  sehr  jung  von  Mastricht  herübervvanderte 
und  ehrenvolle  Ämter  in  Köln  erwarb;  durch 
die  treffliche  fromme  Großmutter;  durch  die 
verklärte  Erscheinung  seiner  frühverstorbenen 
Mutter;  durch  den  würdigen  Propst  und  die 
schöne  Priorin  von  Langwaden;  durch  den 
ältesten  Bruder  Nikolaus,  der  sich  dem  geist- 
lichen Stande  widmete  und  an  dessen  Hand 


Sulpiz    durch    festlich    geschmückte  Kapellen 
und  Kirchen   wanderte. 

Gewiß  war  es  dies  Aufwachsen  unter  wahr- 
halt frommen  Menschen,  das  Sulpiz'  religi- 
ösen Sinn  stählte.  Was  einen  so  echt  deut- 
schen Mann  aus  ihm  machte,  das  waren  die 
Schrecken  und  die  Trübsal  seiner  Jugendjahre. 
Im  Jahre  1785  geboren,  erlebte  er  all  die 
Durchmärsche  und  Einquartierungen  öster- 
reichischer und  französischer  Heere.  Er  er- 
schreckte sich  an  dem  Anblick  und  dem  Be- 
nehmen der  sanskulotte-artigen  Soldateska 
des  Franzosenreichs,  die,  mit  nackten  Füßen 
in  hölzernen  Schuhen,  Teppiche  und  Tapeten 
an  Stelle  der  Mäntel  trugen  und  die  erbeu- 
teten Lebensmittel  an  ihren  Bajonetten  auf 
spießten;  die  jeden  Kölner  mit  »Bürger«  und 
du?:  anredeten  und  ihm,  ohne  »mit  Ver- 
laub<  zu  sagen,  die  stählerne  Uhr  aus  der 
Tasche  seiner  weißseidenen  Weste  zogen  — 
auf  Nimmerwiedersehen.  Kein  Wunder,  daß 
dadurch  die  wütendsten  Freiheitsschwärmer 
sich  zu  dem  Biedersinn  des  Kölner  Jungen 
bekehrten,  der  seine  Abneigung  gegen  den 
Franzmann  selbst  in  dem  lockenden  schönen 
Paris  nicht  verlor.  Wie  bitter  mußte  er,  bei 
seiner  Rückkehr  aus  Hamburg,  beim  ^'er- 
kissen  eines  geistig  hochstehenden  Kreises, 
die  dumpfe  Stille  seiner  Vaterstadt  empfin- 
den! Wie  trauerte  er  über  den  Druck,  der 
auf  seinem  lieben  prächtigen  Köln  lastete ! 
Wie  haßte  er  die  Eindringlinge,  die  aus  der 
alten  freien  Reichsstadt  eine  französische 
Provinzialgrenzstadt  gemacht  hatten  !  Selbst 
die  zärtliche  Liebe  seiner  Geschwister  ver- 
mochte nicht,  ihn  zu  trösten  oder  gar  zu 
ersetzen,  was  er  mit  Hamburg  verloren. 

Da  gewann  er  einen  gleichgesinnten  Freund. 
Der  um  sieben  Jahre  ältere  Bertram,  deri 
Rechtswissenschaft  studierte,  gab  ihm  alles,) 
wonach  sein  junger  Geist  dürstete.  Er  er- 
öftnete  ihm  Ausblicke  und  zeigte  ihm  Wege, 
dahin  zu  gelangen.  Er  bewog  ihn,  zu  stu- 
dieren, besiegte  Sulpiz'  Bedenken,  daß  es 
zu  spät  dazu  sei  —  und  half  ihm  aus  den 
Fesseln  eines  Berufes,  der  ihm  nie  zugesagt 
hatte.  Sulpiz  sagte  dem  Kautmannstand  Va- 
let.  Sein  Beispiel  und  seine  Überredung  ver- 
anlaßten  den  um  drei  Jahre  jüngeren  Mel- 
chior, den  Benjamin  der  Boisserees,  den 
gleichen  Schritt  zu  tun.  Es  entstand  ein 
Dreibund,  der  ein  Menschenalter  währte.  Vom 
gleichen  Eifer  beseelt,  strebten  alle  drei  nach 
dem  gleichen  Ziele.  Immer  blieben  sie  bei- 
sammen. Nie  trennten  sie  sich,  außer  wenn 
es  der  Vergrößerung  oder  der  Zukunft  ihrer 
Sammlung  galt.  Aber  nun  ward  Sulpiz  der 
Führende.     Wie    ging    er   den    Spuren    alter 


345 


Ausittllutig  lies  SaUn  t  der  Societi 
nationale  des  Beaux  Arts,  Paris 


'S"»"»  MAURICE  DENIS 
MARIA  HEIMSL'CHUNG 


Di«  cUrislllrhe  KunM      V. 


346 


Z^S^i  SULPIZ  BOISSERliE  m(ä 


Bilder  nacli!  Wie  horciite  er  hin,  wenn  be- 
tagte Leute  von  diesem  und  jenem  Gemälde 
berichteten,  davon  sie  selbst  als  Kinder  hatten 
wie  von  etwas  sehr  Wertvollem  reden  hören ! 
Wie  forschte  er  nach  dem  Verbleib  und  wie 
beglückt  schrieb  er  dem  Bruder  und  dem 
Freunde,  wenn  seine  Bemühungen  von  hr- 
folg  gekrönt  waren  !  Wahrlich,  ein  seltener 
Mensch,  der  zu  einer  Zeit,  da  sich  selbst  die 
besten  deutschen  Manner  ihres  Deutschtums 
nicht  zu  rühmen  wagten,  ohne  Aussicht  aut 
Lohn  oder  Ruhm  oder  Anerkennung,  ganz 
in  der  Stille  sich  mühte,  die  alte  deutsche 
Kunst  der  \'ergessenheit  zu  entreißen ! 

Manches  Sparstück,  manche  treubehütete 
Kostbarkeit  wurde  geopfert,  wenn  es  sich  um 
den  Erwei  b  einer  neuentdeckten  Tafel  handelte. 
Und  wo  fand  sie  sich  oft?  In  welchem  Zu- 
stande! Hier  als  Tischplatte,  als  Fensterladen 
—  hatte  sie  anderswo  bei  einem  Tauben- 
schlag \'erwendung  gefunden !  Manchem 
Händler,  der  altes  Eisen  oder  Glocken  kaufte, 
ward  irgend  ein  allzuschweres  überflüssiges 
altes  Gemälde  dazugegeben,  das  dann  ebenso 
überflüssig  und  unbeachtet  in  einem  Schuppen 
umherstand.  Was  alles  mochte  in  den  Kreuz- 
gängen der  leeren  Klöster  geblieben  sein, 
von  jahrhundertelangem  Staub  und  stetig  er- 
neutem Spinngewebe  überzogen?  Und  wie 
mancher  gedankenlose  Hüter  dort  hatte  solch 
eine  Holztafel,  wenn  der  harte  Winter  kam, 
zerkleinert  und  in   den   Ofen  gefeuert? 

Wie  jammervoll  wollte  es  Sulpiz  erscheinen, 
daß  hier  unersetzliche  Werte  vernichtet  waren. 
Es  ließ  ihm  nicht  Ruhe.  Nicht  bloß  sammeln 
wollte  er  —  nein,  auch  gründlich  unterrichtet 
sein,  was  vorhanden  und  allenfalls  zu  retten 
war.  Er  begann,  Kunstgeschichte  zu  stu- 
dieren. Aber  mit  der  erweiterten  Erkenntnis 
erweiterte  sich  das  Ziel.  Hatte  er  zuerst  bloß 
den  Plan  getragen,  altvaterländische  Kunst- 
werke aufzustöbern  und  dem  Untergang  zu 
entreißen,  so  reifte  nun  der  Wille,  die  Reihe 
von  Tafelgemälden  der  altkölnischen  Schule 
nach  Möglichkeit  zu  vervollständigen.  Und 
in  dieser  Bestrebung  erfuhr  er  zu  seiner 
Freude,  daß  zweifellos  alles,  was  wirklichen 
Wert  besaß,   doch   noch   bestand. 

Der  Ruf  dieser  alten  Altar-  und  HeiHgen- 
bilder  hatte  sich  selbst  dann  noch  erhalten, 
wenn  der  Geschmack  einer  anderen  Zeit  sie 
von  ihrem  ursprünglichen  Platze  verdrängt 
hatte.  Man  wußte,  man  sprach  noch  von 
ihnen.  In  Nebenkapellen,  Kapitelsälen,  in 
Sakristeien  und  Schatzkammern  harrten  sie 
der  Auferstehung.  Als  so  viele  geistliche 
Gemeinden  aufgehoben  wurden  im  Jahre  1803, 
erinnerte  man  sich  auch  der  alten  Bilder  oder 


fand  sie  vor.  Sie  freien  in  die  Hände  der 
\'orsteher  :  beibehaltener '  Kirchen,  sofern 
nicht  die  Ausgetriebenen  Anspruch  erhoben. 
Nach  und  nach  entledigten  sich  diese  Per- 
sonen der  Kunstschätze  durch  Verkauf.  Auf 
diesem  Wege,  der  weitläufig  und  mühselig 
war,  geriet  manches  Bild  in  den  Besitz  der 
unermüdlichen  Boisserees.  Wie  der  Erwerb, 
so  erforderte  auch  die  Wiederherstellung  der 
alten,  oft  mit  Krusten  von  Schmutz  bedeck- 
ten oder  übermalten  Tafeln  viel  Zeit  und 
Mühe.  Die  Freunde  ließen  es  daran  nicht 
fehlen,  und  nach  und  nach  gestatteten  sie 
Auserwählten  den  Zutritt  zu  ihrem  Heilig- 
tum <,  den  Zimmern,  in  denen  sie  die  lieben 
Schätze  verwahrten. 

In  seinem  zehnten  Jahre  hatte  Sulpiz  wäh- 
rend der  Einquartierung  der  Österreicher  bei 
einem  Ingenieur-Offizier  voll  kinderhaften 
Staunens  die  ersten  Zeichnungen  und  Ent- 
würfe und  Pläne  gesehen.  Fünfzehn  Jahre 
später  finden  wir  ihn,  selbst  messend,  selbst 
entwerfend,  selbst  zeichnend.  Eine  hohe 
stille  Liebe  hatte  ihn  zeitlebens  an  den  Dom 
von  Köln  gebunden.  Sie  war  nicht  er- 
loschen, während  er  den  Heiligen  auf  Gold- 
grund nachspürte  und  durch  Wort  und  Schrift 
sich  über  die  Werke  der  alten  Meister  be- 
lehrte. Eine  zarte  Pflanze,  war  sie  zum  kräf- 
tig schattenden  Baum  gediehen.  So  stark 
war  diese  Liebe,  daß  sie  den  vernachlässigten 
zerrütteten  Zustand  des  nie  zur  Vollendung 
gediehenen  Baues  nicht  länger  dulden  wollte. 
Mit  Feuereifer  machte  Sulpiz  sich  ans  Werk, 
den  Dom  auszumessen,  Entwürfe  zu  zeichnen 
und  sie  von  verschiedenen  Künstlern  aus- 
führen zu  lassen.  In  diesen  Zeichnungen 
führte  er  vor,  wie  diese  schönste  Kathedrale 
Deutschlands,  aus  der  die  Franzosen  seit  dem 
Jahre  1796  ein  Frucht-  und  Fouragemagazin 
geschaffen,  einstens  war  und  wie  sie  nach 
ihrer  Vollendung  erscheinen  sollte.  Soweit 
war  es  bereits  gekommen,  daß  dem  herr- 
lichsten Bauwerk  deutscher  Gotik  der  Ein- 
sturz drohte.  Sulpiz  selbst  vergleicht  den 
Dom  mit  einem  :  vom  Sturm  verheerten,  halb 
entblätterten  Walde«  und  feiert  nach  längerer 
Abwesenheit  ein  trauriges  Wiedersehen,  von 
dem  sein  Herz  erbebt,  mit  dem  Dom,  —  wie 
;mit  einem  alten  Freunde,  der  an  einem 
tödlichen  Übel  krankt!: 

Sulpiz'  Eifer  erreicht,  daß  der  damalige 
Kronprinz  von  Preußen,  der  spätere  König 
Wilhelm  1\'.,  sich  für  die  Sache  erwärmt. 
Die  Bauschäden  werden  besichtigt.  Weitere 
Kreise  fangen  an,  sich  zu  interessieren.  Mäh- 
lich begeistert  sich  das  deutsche  \'olk  für  den 
Plan  einer  Wiederherstellung;  des  Domes.  Eine 


M7 


vorffu  von    II :  -.:  Riimaiiii 
r/iihrt  li'H   Ahys  iMayrr  o 


PHTTI-NKOKnKDLNKMAI. 
IN  MUNCIIHN  is<s»s«««is 


348 


©^  SULPIZ  BOISSEREE  J^öS 


bedeutende  Summe  wird  vom  König  dafür 
geneiimigt.  Langsam,  ganz  langsam  geln  es 
an  die  Ausfülirung.  Zu  langsam  für  Boisserees 
Ungeduld,  die  nicht  rastet.  Dichter  und  Ge- 
lehrte, Künstler  und  Fürsten,  selbst  den  Kaiser 
Franz  I.  v.  Österreich  für  den  Bau  zu  inter- 
essieren. Im  Jahre  1823  sieht  er  endlich  den 
Beginn  der  mühevollen  Arbeiten.  Mit  seiner 
Schrift  »Geschichte  und  Beschreibung  des  Doms 
zu  Köln-.,  fördert  er  sie  nach  Kräften;  denn 
das  große  Werk  will  unendlich  viel  Verständ- 
nis, Fleiß  und   Begeisterung. 


FRANZ  CLliVE 


KREU/JGUNGSGKUl'PE 
■•£l.  H.  2,   Biil.  S.  II. 


Sulpiz  Boisseree,  der  'erste  Protektor  des 
Doms  :,  wie  ihn  der  König  scherzweise  und 
anerkennend  nannte,  hat  die  Vollendung  nicht 
mehr  erlebt.  Aber  vielleicht  war  es  seines 
reichen  und  gesegneten  Lebens  schönster  Tag, 
als  er,  geladen  vom  König  von  Preußen,  am 
4.  September  1842  der  Grundsteinlegung  zum 
Ausbau  der  Türme  beiwohnte.  Ein  köstlicher 
erhebender  Augenblick !  Wie  eine  warme  Welle 
strömte  die  Begeisterung  von  einem  zum  an- 
dern. Was  an  jenem  Tag  geschah,  ein  be- 
glückendes Geschenk  war  es,  das  der  König 
dem  Volk,  das  das  Volk  dem  König 
machte.  Alle  kamen  sich  nah,  von 
gleichem  Gefühl  durchdrungen. 
Sulpiz,  tiefbewegt,  gedachte  jenes 
Tages  im  Jahre  181 3,  da  er  seinem 
Gönner,  dem  damaligen  Kronprin- 
zen, die  Domzeichnungen  vorge- 
legt. Auch  der  König  mochte  daran 
sich  erinnern,  als  er  dem  Vielge- 
treuen eigenhändig  den  roten  Adler- 
orden dritter  Klasse  überreichte. 

Was  hatte  Sulpiz  Boisseree  erlebt, 
bis  jener  testliche  Tag  ihn  zurück 
nach  Köln  führte?  Der  wichtigste 
Abschluß  in  seinem  bewegten  Le- 
ben lag  längst  hinter  ihm.  Wir 
haben  ihn  gesehen,  wie  er  anstatt 
dreier  kurzer  Wochen  sechs  Monate 
im  Hause  Schlegels  in  Paris  ver- 
brachte, im  iolgenden  Frühjahr  auf 
dem  Neumarkt  zu  Köln  den  ersten 
Gemäldeankauf  betätigte  und  vier 
fahre  später  in  den  Wintermonaten 
von  der  Wiederherstellung  und  dem 
Ausbau  des  Domes  träumte.  Träum- 
te, und  für  ihn  schuf.  .  .  .  Im  Jahre 
iSio  siedelten  die  drei  Freunde  mit 
ilirer  inzwischen  stattlich  herange- 
wachsenen Gemäldesammlung  nach 
Heidelberg  über.  So  wohl,  so  glück- 
lich hat  sich  Boisseree  nirgends 
sonst  gefühlt.  Fand  er  doch  hier 
Freundschaft  und  geistige  Anre- 
gung und  Belehrung  wie  nirgend 
anderswo!  Von  hieraus  auch  spann- 
ten sich  die  feinen  Fäden  nach  Wei- 
mar, die  mit  einem  kurzen  Aus- 
tausch von  Brieten  anhoben  und 
zu  einer  herzlichen  großen  Freund- 
schaft sich  verdichteten.  Goethe 
lud  den  jungen  Boisseree  zu  sich. 
Man  hatte  ihm  von  den  Domzeich- 
nungen gesprochen.  Sulpiz  bat,  sie 
vorlegen  zu  dürfen.  Im  Mai  181 1 
sah  er  sich  bei  derii  damals  Einund- 
sechzigjährigen.     Er   stellt    seinen 


ö^  DAS  MARKISCHE  MUSEUM  ZU  BERLIX  »■^ö 


349 


.a-;\VOLßKMALERi;i  IX  DER  KIRCHE  /U  GACHESl'Ai 
yor  der  Resttutrifntn^,      Tfxt  S.JJ/ 


Mann  dem  großen  Dichter  gegenüber,  der 
ihn  anfangs  etwas  von  oben  her  behandelt, 
aber  bald  von  lebhaftem  Interesse  für  den 
jungen  Sammler  und  Gelehrten  erfaßt  wird. 
Vor  allem  ist  es  :  der  von  jeder  grimassen- 
haften Zutat  freie  Enthusiasmus  Boisserees*) 
für  seinen  speziellen  Gegenstand,  sein  reiner 
frommer  Sinn  und  wahre  Weltkenntnis«,  was 
Goethe  an  ihm  zu  schätzen  weiß.  Über  Dinge, 
denen  nachzuforschen  er  selbst  nicht  Zeit  hat, 
möchte  er  sich  von  Boisserce  belehren  lassen 
und  so  entsteht  ein  Briefwechsel,  der  in  ein- 
undzwanzig Jahren  keine  Unterbrechung 
erfährt.  Schluß  folgt.) 


DAS  MARKISCHE  MUSEUM  ZU  BERLIN 

Von  Dr.  H.AXS  SCH.MIDKUNZ  (Berlin-Halensee) 

7\vei  Sammlungen  sind  in  der  jüngsten  Zeit  aus  engeren 
älteren  Verhältnissen  heraus  in  bequemerer  Weise 
vor  die  Öffentlichkeit  getreten.  In  Dresden  wurde  der 
Neubau  des  auf  1876  zurücligehenden  Königlichen  Kunst- 
gewerbemuseums am  8.  Dezember  1907  eröffnet.  Die 
namentlich  als  kunstgewerbliche  Vorbilder  gedachten 
sehr  reichen  Schätze  haben  dort  vorläufig  so  weite  und 
so  helle  Räume  erhalten,  daß  schon  dies  den  Neid  von 
weniger  günstig  gestellten  Sammlungsleitern,  doch  auch 

•)  Brief  Goethes  an  den  Grafen  Reinliard. 


neue  Zweifel  an  einer  .\ufstellungsweise  erwecken  kann, 
die  weniger  den  Objekten  als  der  '.Aufmachung'  dient. 
Das  Museum  zeichnet  sicli  im  übrigen  besonders  durch 
seine  Beiträge  zur  Te.xtil-  und  zur  Met.illkunst  aus  und  ent- 
hält in  einem  eigenen  Kapellenraume  wichtige  Gegen- 
stände christlicher  Kunst,  zumal  sächsischer  Herkunft 
aus  dem   17.  Jalirhundert. 

Nach  5.)  jähriger  Kümmerlichkeit  der  Behausungen 
ist  das  Berliner  .Märkische  .Museum  am  10.  Juni  1908  in 
einem  eigenen  großen  Gebäude  dem  allgemeinen  Be- 
such eröffnet  worden.  Die  Architektur  von  Ludwig 
Hoffmann  bemüht  sich,  das  besonders  in  München 
bekannte  Prinzip  der  kunsthistorisch  gegliederten  Be- 
standteile zu  verwerten,  und  huldigt  dem  jetzt  so  be- 
liebten Grundsatze  der  lebensvollen  Ausstattung  in  einer 
Weise,  die  uns  trotz  vieler  V'orzüge  dennoch  einen  Ge- 
gengrund zu  bedeuten  scheint.  Gerade  die  charakteristi- 
schesten von  den  so  arrangierten  Räumen  sind  .illzu 
dunkel  geworden,  als  daß  die  Gegenstände  genügend 
zur  Geltung  kommen  könnten;  wozu  auch  noch  stim- 
mungsvoll trübe  Fenster  beitragen.  N'ur  wenige,  hoch- 
gelegene Räume,  zumal  für  neuzeitliche  Details,  sind 
so  hell  und  bequem,  wie  wir  es  schließlich  von  jeglichem 
Museumsraume  wünschen. 

Die  Vorderansicht,  gegen  die  Spree  zu,  ist  in  einer 
sehr  primitiven  märkischen  Frühgotik  gehalten.  Reichere, 
spätere  Formen  dieser  An,  neben  Renaissanceformen, 
bilden  die  Rückansicht  des  Gebäudes  gegen  den  Köllni- 
sehen  Volkspark  zu  und  lassen  auf  einen  hübschen  hüge- 
ligen Garten  blicken. 

Das  Innere  birgt  Objekte  von  jeglicher  Richtung,  die 
zur  Kenntnis  der  Provinz  Brandenburg  einschließlich  der 
Stadt  Berlin  beitragen  kann,  großenteils  zusammenge- 
bracht von  dem  Berliner  Stadtrat  lernst  Friedel,  der 
dafür  den  Spitznamen  ».-Vnnexander  der  Große<  erhalten 


350 


??m  DAS   MARKISCHE  MUSEUM  ZU  BERLIN  ma 


MALEREIEN  DER  KIRCHE  ZU  GACHENBACH 
ij  P,esl,ytenu,„.     Nach  d,r  Res/aiiri.-rung.      Vgl. 


hat.  Xur  ein  kleiner  Teil  der  S.ininiluna  wird  dem  Publi- 
kum t;ezeigt;  Jas  übrige  bleibt  für  Studienzwecke  m.itja- 
ziniert. 

Die  Unterbringung  der  Scliatze  in  den  verschieden- 
artigen Räumen,  mit  äußerst  interessanter  Verteilung 
beispielsweise  von  Reliefs  in  den  Wänden,  geht  ersicht- 
lich auf  jahrelange  Mühen  zurück  und  düri'te  beinahe 
ein  Unikum  in  der  Museumstechnik  bedeuten.  Natürlicli 
übergehen  wir  hier  alle  die  mehr  äußerhchen  Angaben 
über  das  Museum.  Uns  interessiert  hier  hauptsächlich 
nur  das  Christlich-Künstlerische.  Das  Museum  ist  natür- 
lich mehr  Kultur-  als  Kunstmuseum;  trotzdem  wird  die 
künstlerische  Ausbeute  nicht  gering.  Auf  unserem  Gebiete 
tällt  ein  reichliches  Streben  nach  einem  guten  Realismus  der 
Darstellungen  auf,  das  aber  doch  ungefähr  in  de  m  Maße 
hinter  der  Vollkommenheit  zurückbleibt,  wie  wir  es  eben 
mit  einem  künstleriscli  nicht  günstigen  Landesboden  zu 
tun  haben. 

Die  Vorhalle  enthält  eine  vielleicht  nahezu  als  einzig 
zu  betrachtende  hl.  Anna  selbdritt,  umrahmt  von  einem 
Hirschgeweih;  wohl  aus  dem   i6.  oder  17.  Jahrhundert. 

Eine  große  Malle  birgt  fast  lediglich  Idrchliche  Kunst. 
Aus  dem  13.  und  i4,  Jahrhundert  stammen  Figuren  der 
Madonna  (buntbemalter  Stein)  usw.;  dazu  Aitarflügel 
von  etwa  1500,  ein  Sakramenthäus'chen  von  13 16,  u. 
dgl.  m. 

Wie  die  Metallkunst  der  Grabkreuze,  der  Gitter  (zum 
Teil  in  den  Durchgängen  angebracht)  usw.  wohl  das 
künstlerisch  Bedeutendste  der  Sammlung  überhaupt  aus- 
machen dürtte,  so  werden  wir  bereits  hier  vor  Proben 
dieser  Kunst  gestellt.  Auf  einem  solchen  Kreuze  stehen 
die  Worte:  »Heute  mir.  Morgen  Dir«;  und:  >In  mein 
Lebensjahren  Dacht  ich  an  die  Totenbahren«.  —  Aus 
der  Empirezeit  stammt  ein  Grabrehef  in  Stein. 

Die  ausgedehnte  prähistorische  Sammlung  schließt 
in  Raum  9  mit  der  Wendenzeit,  6.  bis  12.  Jahrhundert. 
Wir  erinnern  uns,  daß  seit  927  König  Heinrich  I.  die 
Mark  deutscli  und  christlich  gemacht  hat,  daß  sie  aber 
seh  9S5  uns  wieder  veiloren  ging,  bis  erst  1 1 54  .Mbrecht 


der  Bär  das  Verlorene  zurückgewann.  So  ■ 
fehlen  denn  auch  in  den  abschließenden 
Gruppen  dieser  Sammlung,  z.  B.  in  den 
>' Hacksilberfunden« ,  Erinnerungen  an 
Christhches.  Lediglich  ein  paar  Kreuze  aus 
Filigran,  der  zweiten  Hälfte  des  ii.Jahr- 
liunderts  angehörig,mögen  hier  eine  solche 
Spur  bedeuten. 

Wir  beginnen,  die  Kulturgeschichtliche 
Abteilung  zu  durchwandern,  und  werden 
in  Raum  19  durch  eine  Gruppe  von  Werken 
überrascht,  wie  sie  uns  in  den  Museen  nicht 
eben   geläufig   sind.    Wir   meinen   Ofen- 
platten, von  1542  an  bis  ins  18.  Jahrhun- 
dert hinein,  in  Berlin  und  der  Mark  an- 
scheinend   besonders    gerne    verwendet. 
Diese    Ofenplatten,    »reich    und    trefflich 
ornamentiert«,  enthalten    neben   den   be- 
kannten pathetischen  Formen  der  Wappen, 
der  mythologischen  Figuren  u.  dgl.  m.  auch 
^t^i^         zahlreiche   biblische   Darstellungen.     Am 
^hJi'^         interessantesten  war  uns  eine  des  Abend- 
~^*  mahles,   .anscheinend  auf  eine  frühe  Zeit 

zurückgehend,  in  starker  Zusammendrän- 
gung der  Figuren  und  mit  einer  deuthchen 
Beimischung  des  Motives  von  der  Hoch- 
zeit zu  Kana.  Außerdem  Szenen  des  ver- 
lorenen Sohnes,  der  Krippe,  der  Heiligen 
Drei  Könige,  der  Taufe,  der  ^\'undertaten 
(nach  Matthäus  9  aus  1 587)  u.  dgl.  m.  Zu- 
,  5.  jj,  gleich  können  wir  der  Formengeschichte 

von  der  Renaissance  an  lolgen. 

Durch  graphische  und  andere  Schätze 
hindurcli,  an  zahlreichen  Portrats  vorüber,  sowie  unter 
kirchlichen  Kronleuchtern,  betreten  wir  das  oberste  Stock- 
werk und  finden  dort  u.  a.  ein  Spreewaldzimmer  (35),  bei 
dem  uns  als  Gegensatz  gegen  die  süddeutschen  Bauern- 
stuben mit  ihrem  .Herrgottswinkel«  usw.  das  fast  völlige 
Felilen  cliristhcher  Svmhole  oder  Kunstwerke  und  das 
völlige  Fehlen  einer  eingewurzelten  Kunst  solcher  Art 
auffallen. 

In  dem  Räume  für  die  Keramik  (54)  bemerken  wir 
unter  mehreren  Ofenkacheln  aucli  eine,  welche  eine 
Christusfigur  darstellt,  anscheinend  den  Auferstandenen, 
mit  üppigem  blondem  Haar,  in  den  Händen  Kreuz  und 
Kelch.  Als  eine  .Seltenheit  wird  uns  hier  ein  tönernes 
.\t]uamanile  in  Form  eines  Löwen  gezeigt,  während 
zahlreiche  Aquamanilien  u.  dgl.  aus  Metall  keiner  beson- 
deren Erwähnung  bedürfen. 

Durch  ein  berlinisches  Biedermeierzimmer  von  1830 
hindurch,  mit  treftlich  gebauten  Stühlen,  dessen  Ver- 
ständnis u.  a.  auch  durch  einen  Blick  auf  den  Empire- 
schrank von  1801  in  Raum  47  ergänzt  sei,  gelangen 
wir  in  die  Räume  37 — 39,  welche  der  eigentlichen  kirch- 
lichen Abteilung  gewidmet  sind.  An  Medaillen  für  kirch- 
liche Ereignisse  vorbei  kommen  wir  in  den  kirchlichen 
Hauptraum  (38).  Sein  Hauptstück  ist  ein  Hochaltar  aus 
Fehrbellin,  um  das  Jahr  1500.  Passionsszenen  usw.  in 
bemalter  Holzschnitzerei  füllen  das  Mittelfeld  und  die 
Flügel  im  Innern,  während  deren  Außenseiten  mit  ähn- 
lichen Szenen  bemalt  sind.  Dazu  eine  geschnitzte  Grab- 
legung in  der  Predella.  Mehrere  andere  .Altäre,  Heiligen- 
figuren, Kirchenleuchter  und  liturgische  Geräte  bereichern 
das  übrige  des  Raumes.  Darunter  soll  sich  auch  der 
Kelch  befinden,  aus  welchem  Kurfürst  Joachim  II.  1539 
zum  ersten  Male  das  Abendmahl  nahm  und  damit  den 
Protestantismus  in  der  Mark  einführte. 

Durch  einen  Raum  (39)  mit  viel  kirchlicliem  Klein- 
werk, unter  welchem  Weihrauchgefaße  romanischer  und 
gotischer  Form  hervorragen,  gelangen  wir  in  die  Räume 
der  Metallkunst;  hier  erfreuen  uns  wiederum  wertvolle 
Grabkreuze  und  außerdem  messingene  Taufbecken.  — 


»^  WANDMALEREIEN  IX  DER  KIRCHE  ZL'  GACHEXBACH  »«SO 


551 


MALEREI  AK  DER  LINKEN  WAND  DES  PRESBYTERIUMS  I\  DI;R  KlRCHIi  /U  ÜAClll:NHACH 
Xttch  der  Rfstaurifrung.     Text  unten 


Der  dem  Innungswesen  gewidmete  Saal  (46)  zeigt  dieses 
Wesen  noch  bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  kuhurell  und 
einigermaßen  l<ünstlerisch  lebendig. 

Soweit  die  Ausbeute  für  uns.  Dazu  noch  die  Er- 
kenntnis, wie  überaus  viel  sich  auf  dem  Gebiete  der 
lokalen  Museen  tun  läßt,  wenn  man  nur  wirklich  so 
energisch  vorgeht,  wie  es  dort  geschehen  ist.  Wozu 
allerdings  auch  ein  Gefühl  für  nationale  und  speziell 
heimische  Tradition  gehört,  das  vielleicht  dort  nicht  am 
geringsten  ist,  wo  sich  der  Kulturboden  muß  als  >sandig< 
verrufen  lassen. 

WAND.MALEREIEX  IX  DER  KIRCHE  ZU 
GACHEXBACH 

In  den  Jahren   1905  bis  1907  wurden  in  der  l'ilialkirche 

zu   Gachenbach,   unweit  Schrobenhausen   in  Hayern, 

künstlerisch  wertvolle  Wandgemälde  gefunden,  bloßge- 


legt und  restauriert.  Die  Wiederherstellung,  mit  der 
auch  Neuarbeilen  im  Charakter  des  Vorhandenen  ver- 
bunden waren,  lag  in  den  Händen  des  Professors  Jakob 
Bradl  in  München.  Herrn  Pfarrer  Karl  Wunderer  ver- 
danken wir  darüber  folgende  Mitteilungen  und  die  von 
uns  S.  5.(9  — 5)1  reproduzierten  .-Xbbildungcn.  Die  N'ord- 
wand  des  Presbvteriums  bedeckt  ein  ini  frühgotischen 
Charakter  gehaltenes  Jüngstes  Gericht.  Über  die  Ausma- 
lung der  Gewülbczwickcl  dieses  rechteckigen  Raumes  um 
I4SO  geben  die  Abbildungen  S.  5.19  und  jjO  Aufschluß. 
Jedes  der  vier  Felder  enthält  ein  j^vangclisicnsymbol  unJ 
daneben  zwei  Engel  mit  Leidenswerkzeugen  und  Anspie- 
lungen auf  das  Leiden  Jesu.  Die  Mitte  nimmt  das  Antlitz 
Christi  ein.  Abbildung  S.  549  gibt  eine  gute  Vorstellung 
vom  Zustand  der  Deckcnbilder  vor  der  Restaurierung. 

Außerdem  wurden  am  romanischen  Chorbogen  alte 
Malereien  aufgedeckt,  welche  sich  auf  das  Altarssakrament 
bezogen  und  soweit  es  sich  erkennen  licß.ikonographischcs 
Interesse  boten,  jedoch  nicht  gerettet  werden  konnten. 


352      SONDERAUSSTELLUNG  FÜR  CHRISTLICHE  KUNST  —  DER  PIONIER 


SONDERAUSSTELLUNG    FÜR    CHRIST- 
LICHE KUNST  IN  REGENSBURG 

l'"Tber  Programm  und  Ausstellungsbestimmungen  ver- 
öffentlichen  wir  folgendes :  Die  Ausstellung  fmdet 
gleichzeitig  mit  der  oberpfalzischen  Kreis-Ausstellung  für 
Industrie,  Gewerbe  und  Landwirtschaft  von  Anfang  Mai 
bis  Ende  September  1910  siatt.  Als  Ausstellungsraum 
dient  die  Kunsthalle.  Zweck  der  Ausstellung  ist  es, 
durch  Vorführung  hervorragender  und  mustergültiger 
neuzeitlicher  Schöpfungen  ein  Bild  von  dem  dermaligen 
Stand  der  christlichen  Kunst  zu  geben,  zu  zeigen,  daß 
auch  diese  Kunst  nicht  stillstehen  und  in  toten  Formen 
erstarren  darf,  sondern  wie  alle  andere  Kunst  sich  lebens- 
voll weiter  entwickeln  muß,  und  dadurch  alle  Schaffen- 
den zu  weiterem  Vorwärtsstreben  anzuregen.  Die  Aus- 
stellung soll  umfassen  die  Gebiete  der  Architektur,  der 
Malerei,  der  Plastik,  der  graphischen  Künste  und  der 
angewandten  Kunst.  Die  Anmeldungen  werden  bis  zum 
I.  Oktober  1909  erbeten.  Über  die  Zulassung  der  nicht 
persönlich  eingeladenen  Künstler,  für  welche  eine  Na- 
tionalität nicht  vorgeschrieben  ist,  wie  über  die  Auswahl 
der  auszustellenden  Gegenstände  entscheidet  der  geschäfts- 
leitende Ausschuß  im  Einvernehmen  mit  den  Delegierten 
des  Kunstausscliusses. 

Alle  auszustellenden  Gegenstände  müssen  spätestens 
bis  zum  I.  April  1910  eingeliefert  und  bis  zum  24.  April, 
abends  6  Uhr,  aufgestellt  sein.  Für  die  ordnungsmäßige 
Aufstellung  der  auszustellenden  Gegenstände  hat  jeder 
Aussteller  selbst  zu  sorgen  und  ist  verpflichtet,  sich  der 
diesbezüglichen  Anordnung  der  Geschättsleitung  zu  unter- 
werfen. Die  zur  Ausstellung  besonders  Eingeladenen 
genießen  für  die  nach  brieflicher  Übereinkunft  zuge- 
lassenen Werke  Frachifreiheit  für  Hin-  und  Rücktransport, 
sowie  Zollfreiheit.  Alle  anderen  Einsendungen  müssen 
frachtfrei  erfolgen. 

Die  Kosten  der  Feuerversicherung,  Bewachung  und 
Reinigung  der  Ausstellungsräume  tragt  das  Unternehmen 
der  Kreisausstellung.  Die  Versicherung  der  Kunstwerke 
gegen  Feuersgefahr  erfolgt  durch  das  Ausstellungsunter- 
nehmen mit  einer  angemessenen  Pauschalsumme.  Für 
die  Kosten  des  Rücktransportes  tritt  das  Ausstellungs- 
unternehmen nur  dann  ein,  wenn  das  Kunstwerk  an 
den  Ort  der  Absendung  zurückgeht.  Die  Transport- 
versicherung hat  der  Aussteller  zu  tragen.  Post-  und 
Eilgutsendungen  werden  nur  frankiert  angenommen; 
Nachnahmen  und  Spesen  werden  nicht  vergütet. 

Werke  der  Architektur,  Malerei  und  Plastik 
zahlen  keine  Platzmiete. 

Die  Bewachung  der  Ausstellungsgegenstände  geschieht 
kostenfrei  durch  das  Ausstellungspersonal.  Das  Aus- 
stellungsunternehmen  haftet  jedoch  für  keinerlei  Ver- 
luste, Bescliädigungen  und  Transportschäden.  Dem  Aus- 
steller muß  es  überlassen  bleiben,  sich  hiergegen  selbst 
zu  versichern.  Vor  Schluß  der  Ausstellung  kann  kein 
aulgenommenes  Kunstwerk  zurückgezogen  werden,  es 
sei  denn  mit  Genehmigung  des  ausstellenden  Künstlers 
und  der  Geschäftsstelle,  welche  jedoch  nur  in  ganz  be- 
sonderen Fällen  erteilt  werden  kann. 

Beim  Verkauf  von  Kunstwerken,  einschließlich  der 
Ankäufe  für  die  Ausstellungslotterie,  ist  eine  Abgabe 
von  15%  der  Verkaufssumme  an  das  Ausstellungsunter- 
nehmen zu  leisten.  Verkäufe  können  nur  durch  Ver- 
mittlung des  Geschäftsführers  der  Kunstausstellung  ab- 
geschlossen werden.  Die  Abgabe  von  15%  ist  auch 
lür  alle  durch  den  Geschäftsführer  vermittelten  Aufträge 
und  Nachbestellungen  zu  entrichten.  Es  ist  unstatthaft, 
den  angesetzten  ^'erkaufspreis  zu  erhöhen.  Wird  ein 
als  verkäuflich  bezeichnetes  Kunstwerk  während  der 
Ausstellung  als  verkäutlich  erklärt,  so  hat  der  Aussteller 
die  Verkaufsabgabe  an  das  .\usstellungsunternehmen  zu 


entrichten.  Eine  Prämiierung  der  Kunstwerke  lindet  nicht 
statt. 

Die  Ausstellungsgegenstände  sind  spätestens  vier 
Wochen  nach  Schluß  der  Ausstellung  wieder  zu  verpacken, 
daß  der  Rücktransport  erfolgen  kann ;  andernfalls  werden  sie 
auf  Kosten  und  Gefahr  der  Eigentümer  einem  Spediteur 
zur  Aufbewahrung  übergeben  und  hat  der  Aussteller 
selbst  für  den  Rücktransport  zu  sorgen.  Falls  der  .Xus- 
steller  seine  Verpflichtungen  gegen  das  .\usstellungs. 
unternehmen  nicht  erfüllt  hat,  ist  letzteres  berechtigt, 
die  Ausstellungsgegenstände  bis  zur  Erfüllung  dieser 
Verpflichtungen  zurückzubehahen  und  auf  Kosten  und 
Gefahr  des  Ausstellers  in  Verwahrung  zu  geben.  Durch 
die  -Anmeldung  zur  .\usstellung  erklärt  sich  der  .Aus- 
steller mit  den  Bestimmungen  und  deren  Rechtsfolgen 
einverstanden  und  verpfliclitet  sich,  den  etwa  zu  erlas- 
senden .-Aenderungen  der  Betriebsordnung  und  allenfalls 
notwendig  werdenden  Programmänderungen  Folge  zu 
leisten. 

Im  übrigen  wollen  sich  die  Künstler,  welche  sich  an- 
zumelden gedenken,  an  den  geschäftsleitenden  Ausschuß 
der  Oberpfalzischen  Kreisausstellung  im  Jahre  1910  in 
Regensburg  wenden. 


FK.\N'Z  VON  POCCI 


GETUSCHTE  /EICHS'UM 


DER  PIONIER 

MONATSBLÄTTER   FÜR   CHRISTLICHE   KUNST 

Format  und  Ausstattung  vorliegender  Zeitschrift. 

Jahresabonnement  inkl.  Frankozustellung  M.  3. — . 

Inhalt  des   1 1.  Heftes: 

.\us  der  ehemaligen  Nikolaikirche  in  München-Schwa- 
hing.  Von  Architekt  Theodor  Dombart.  —  Unsere 
Kunst  und  das  Leben.  —  Zu  den  .Abbildungen  dieses 
Heftes.  Von  S.  Staudhamer.  —  Kanontafeln.  Von 
Anton  Wenig.  —  Ein  gutes  Wort  für  Verfehmte.  — 
Anregungen   und  Mitteilungen.  —  S  .Abbildungen. 


Für  die  Redakli 


S.  Siaudhamer  (Pron 
Druck   von  F.  Brück. 


enadepliU  3)  ;    Verlag  dei 
lann  A..G.   —  Sämtliche 


iesellschaft  für  christliclie  Kunsi 
München. 


Bl;UKONEK  KUNSTSCHULE 


Sr.  BENEDIKT  (MONTE  CASSIMO.l 


Anssteltnng  /iir  christliche  Kunst,   Düssetdorf  igog 


SULPIZ  BOISSERKE  UND  SEIN  WERK 

Von  A.  BI.UMl^RHARD 

(ScliluG) 


ps  bleibt  keineswegs  bei  dem  sciiriftliclieii 
'-^  Austausch.  Der  Wunsch,  sich  wiederzu- 
sehen, ist  beiderseits  so  stari<,  daßsicii  Goethe  zu 
einem  Besuch  in  Heidelbarg  entsciiließt.  Die 
Zeit  vom  24.  September  bis  zum  9.  Oktober  1 814 
verbringt  der  gefeierte  Dichter  bei  Boisseree. 
Er  geht  anders  als  er  gekommen.  Der  »alte 
Heide',  wie  ihn  Boisseree  nennt,  bekehrt  sich 
zu  der  Schönheit  und  Einfalt  und  Gläubigkeit 
altdeutscher  Kunst  und  altdeutschen  Wesens. 
Stundenlang  weilt  er  in  Boisserees  Bilder- 
sälen. Stundenlang  versenkt  er  Aug  und  Cje- 
miit  in  diese  schlichten  lieblichen  Anschau- 
ungen. Er  fühlt  sich  bereichert.  Er  erkennt 
es  als  ein  großes  X'erdienst  Boisserees,  »jene 
ersten  herrlichen  Anfänge,  jenen  schweren 
Reichtum  der  \'orfahren  zur  Ansciiauung  zu 
bringen,  aus  dem  die  späteren,  so  viel  be- 
wunderten Meister  nur  zu  schöpfen  brauchten, 
um  verschwenden   zu  können,«') 

Und  in  dem  Auf  und  Ab  jener  kriegerischen 
Tage,  die  Deutschlands  Befreiung  von  Kapo- 

')  Brief  Goethes  vom   i.(.  II.  1814. 


leons  furchtbarer  Geißel  zur  Folge  hatten, 
zittert  Goethe  für  die  »unsciiätzbaren  Besitz- 
tümer:<   seines  jungen   Freundest) 

Schon  181 5  erfolgte  ein  zweites  Wieder- 
sehen und  Zusannnensein  der  beiden  in  Wies- 
baden, Mainz  und  Frankfurt,  wobei  auch 
Goethe's  Geburtstag  in  köstlicher  Weise  ge- 
feiert wurde.  Sieben  Wochen  erfreuten  sich 
die  Freunde  ihrer  Gegenwart  in  lebhaftem 
Gedankenaustausch  und  als  Abschluß  gab  es 
gemeinsame  Reise  über  Darmstadt  und  Besuch 
in  Heidelberg.  Gerne  erfüllte  Goethe  den 
Wunsch  des  bescheidenen  Freundes,  mit 
seinem  gewichtigen  Wort  für  dessen  Be- 
strebungen einzutreten. 

Gewiß  ist  das  vermehrte  Interesse,  das  von 
da  ab  der  Sammlung  entgegengebracht  wurde, 
auf  Goethes  Fürwort  zurückzuleiten.  Aber  noch 
fand  sich  kein  Käufer  dafür.  I'ünfzehn  Jahre 
lang  hatten  die  Brüder  Boisseree  und  Freund 
Bertram  darauf  verwendet,  durch  Reisen  an  den 
Niederrhein,  nach  Holland,  Brabant  und  Flan- 

')  Brief  Goethes  vom  2.  \'I    1815. 


Die  christliche  Kunst. 


;54 


52^  SULPIZ  BOISSERRE  »■^ßS 


dern  weitere  bedeutendeErwerbungen  gemacht. 
Kraftund  Vermögen  stak  in  derSammlung,  von 
der  sicii  die  Sammler  nclit  trennen  wollten  und 
die  doch  gebieterisch  einen  Herrn  verlangte,  der 
sie  entsprechend  unterbringen  konnte  und  auch 
die  Freunde  luit  in  den  Kauf  nahm.  Nach 
allen  Seiten  waren  schon  Verhandlungen  ge- 
pflogen undVerbindungen  angeknüpft  worden. 
Preußen  wollte  sich  die  Schätze  nicht  entgehen 
lassen,  hatte  aber  kein  Geld.  Köln  bekam  die 
erhoflte  Universität  nicht  und  mußte  somit 
zurücktreten.  Auch  mit  Frankfurt  kam  es  zu 
keinem   Ende. 

Da  bot  der  König  von  Württemberg,  zwar 
kein  Geld  —  denn  das  verweigerten  die  Land- 
stände —  aber  ein  geräumiges  Gebäude  zur 
Beherbergung  für  Sammler  und  Sammlung. 
Im  Jahre  1818  ward  der  Umzug  vollzogen.  End- 
lich ein  würdiges  Heim !  Endlich  ein  sorgloser 
Unterschlupf!  Zwar  Stuttgart  war  nicht  Heidel- 
berg —  man  sah  sich  getrennt  von  treuen  viel- 
bedeutenden Freunden.  Aber  eine  Freude  war 
der  Anteil  der  Bevölkerung.  Man  ging  wall- 
fahren zu  den  Heiligen-  und  Marienbildern  der 
alten  Kölner  Meister.  Dicht  gedrängt  standen 
die  Leute,  groß  und  klein,  alt  und  jung,  reich 
und  arm.  In  andächtiger  Stille  standen  sie. 
Ehrensache  war  es  für  jeden,  dort  gewesen 
zu  sein. 

Weiter  und  weiter  pflanzte  sich  der  l^uf  der 
Sammlung.  Fürsten  und  Könige  scheuten  nicht 
den  Umweg  über  Stuttgart,    Eine  heilige  Neu- 


gier war  es,  die  jeden  zwang.  Ja,  man  kann 
dreist  behaupten  :  es  hat  keinen  Menschen  von 
Bedeutung  gegeben,  der  an  Boisseree  achtlos 
vorübergegangen  wäre.  Mit  den  größten  Gei- 
stern seinerzeit  ist  erpersönlich  und  briellich  in 
Verkehr  gestanden.  Mit  den  beiden  Schlegel, 
mit  Tieck,  Arndt  und  Görres,  mit  Schinkel 
und  Dannecker  verband  ihn  herzliche  Freund- 
schaft. Canova,Thorwaldsen  und  Rauch,  Alexan- 
der von  Humboldt,  Gneisenau  und  Stein  haben 
ihn  ihre  Wertschätzung  fühlen  lassen.  Er  steht 
mit  Cornelius  und  Overbeck  in  Verbindung, 
er  hat  Gelegenheit,  dem  großen  Goethe  junge 
Künstler,  wie  Kaulbach,  und  Dichter,  wie 
Schenkendort  zu  empfehlen.  Von  deiu  letzteren 
hndet  sich  aus  dem  Jahre  1814  ein  hübsches 
Gedicht,  das  er  den  altdeutschen  Gemälden 
der  Boisserees  widmet  und  in  dem  sich  Andacht 
und  \'aterlandsliebe  auls  innigste  verschmelzen. 

Das  Jahr  1824  führt  Boisseree  zum  zweiten- 
mal nach  Paris,  nach  der  Stadt,  von  der  Görres, 
der  redliche  Franzosenhasser,  einmal  an  Sulpiz 
schrieb:  >/Wer  nach  Paris  geht,  verspielt  dort 
seine  Zeit;  er  tauscht  sie  gegen  allerlei  bunte 
l^indrücke  und  Schmuckstücke  aus.  Wer  aber 
bis  ans  Ende  dort  verharrt,  wird  sachte  um 
sein   Leben  betrogen  . 

Auch  ohne  diese  Mahnung  wäre  Sulpiz 
seinem  Vaterlande  nicht  untreu  geworden.  Aber 
er  fand  an  der  Seine,  was  ihm  Deutschland 
sciuddig  blieb:  das  feinste  Verständnis  für  die 
Wiedergabe  der  Domzeichnunt/en  und  für  die 


BEURON'ER   KUNSTSCHÜLF. 


Ausstcllitni  /„•■  dtriitlUhe  Kumt,   Dinsrldctr/  igog 


Hr.  SCHOLASTIKA  (MONTE  CASSINO) 


R^  SUI.PIZ  BOISSHRHI-  ^^3 


355 


BHUROXKR  KLN'SrSCHUI.E 


Ausstellung  /ur  ihristlklic  Kunst, 


CHKISILS  ^Al'SIS  IN  TLCACIIj 
PusselihrJ  igoq 


lithographisclie  Vervieltaltigung  der  Gemälde 
die  gescliicktesteii  Künstler.  Aufs  herzlichste 
hat  der  berühmte  Humboldt  ihn  unterstützt. 
Der  Schluß  dieses  Jahres  sah  Sulpiz  wiederum 
aul  Reisen,  und  zwar  nahm  erteil  an  der  ersten 
Dampfschiffahrt,  die  ein  holländisches  Schiff 
zur  Probe  bis  nahezu  Mainz  zurücklegte.  Kr 
benützte  den  »Seeländer.,  der  trotz  des  Un- 
geheuern Wasserstandes  die  Probe  auls  beste 
bestand,  um  endlich  und  auf  die  bequemste 
Weise  nach  Brabant  und  Flandern  zukommen. 
In  Rotterdam  erwarb  er  die  »Anbetung  der 
drei  Könige«,  ein  hübsches  Bildchen  von  Mabuse. 
\'on  da  ging  erüberDelft,  Haag,  Scheveningen 
nach  Leyden,  Haarlem,  Amsterdam  und  Ut- 
recht. In  einem  Brief  an  die  Seinen  von  Brüssel 
aus  stellte  er  seine  Rrfahrungen  zusammen. 
Sie  sind  zum  Teil  belremdend.  Im  Lande 
selbst  stand  man  völlig  im  Bann  der  Franzosen, 
hatte  keine  Kenntnis  von  der  alten  nieder- 
ländischen  Schule,    die    man    ungesehen   ver- 


dammte. Das  in  Deutschland  entfachte  Inter- 
esse erregte  an  maßgebender  Stelle  sogar  miß- 
liebiges Staunen,  umsomehr,  weil  die  jüngere 
Generation  mit  ihrer  Vorliebe  für  die  deutsche 
Richtung  in  Kunst,  Poesie  und  Musik  stetig 
gegen  die  franzosenfreundlichen  Alten  an- 
kämpfte und  diesen  tüchtig  zu  schaffen  machte. 
Die  Sammlungen,  soweit  sie  überhaupt  die 
Werke  heimischer  Maler  aufwiesen,  besal.^en 
last  nur  solche  aus  dem  17.  Jahrhundert.  Bin 
Qiiinten  .Massyserfreute  in  Antwerpen  das  Herz 
des  Reisenden;  ein  paar  Bildnisse  llolbeins 
erregten  sein  Entzücken.  In  einem  jüngsten 
Gericht  des  B.  v.  Orley  erkannte  er  die  Hand 
des  Meisters,  von  dem  auch  er  ein  Werk  be- 
saß. Das  johanncs-Spital  in  Brügge,  Gent  und 
Brüssel  wiesen  erlesene  Stücke  auf.  Was  ihm 
besondere  Freude  schuf,  war  die  Bekanntschaft 
mit  Männern,  die  gleich  ihm  das  Suchen  und 
Erhalten  alter  Bilder  zu  ihrem  Lebenszweck 
erkoren.   Ihnen  zeigte  er  sein  lithographisches 


!56 


<??m  SULPIZ  BOISSERfiE  i"^« 


BliUROKER   KUNSTSCHULE,    HL.  JOSEPH.    DKTAII    AUS  IHR 

ANBETUNG  DER  HL.  DREI  KÖNIGE  IN  EMMAUS-PKAG 

Ausstellung  f'<r  christliche  Kunst,    Düsseldorf  iqoq 

und  sein  Donnverk.  Und  sie  gestanden,  d.iH 
ererstiJTnen  die  Bel-;anntschaft  mit  ihren  eigenen 
alten  Meistern  vermittle.  Denn  das  Beste  sei 
nach  England  gebracht,  sodaß  sie  nur  ärm- 
liche Nachlese  halten  könnten. 

Das  Jahr  1826  brachte  den  entscheidenden 
Wendepunkt  in  Boisserees  Leben.  Dillis,  der 
Galerie  inspektor  König  Ludwigs  L,  kam  nach 
Stuttgart.  Ihm,  dem  gewiegten  Kenner,  war 
es  sofort  klar,  daß  Bayern  sich  diese  «unschätz- 
baren Juwelen?,  nicht  entgehen  lassen  dürfe, 
umsomehr  als  gerade  diese  Sammlung  eine 
empfindliche  Lücke  der  Münchner  Galerie  aus- 
zufüllen bestimmt  war.  Man  einigte  sich  und 
schon  im  Juni  1827  kamen  die  Bilder  nach 
München.  Es  ist  charakteristisch,  daß  der  kunst- 
liebende Fürst,  der  die  angesetzte  Summe  ohne 
Zaudern  bewilligte,  nicht  wünschte,  daß  ihre 
Höhe  bekannt  würde.  »Wofür  immer  ich  das 
Geld  ausgäbe,"  sagte  er,  »man  würde  es 
verstehen.  Daß  ich  es  für  Kunst  anlege,  würde 
niemand  begreifen.« 

König  Ludwig  I.  zahlte  für  die  Sammlung, 
die  mehr  als  200  Bilder  umfaßte,  240000  fl. 
Aber  er  wußte  auch  den  zu  würdigen,  der 
gesammelt,  so  ohne  Eigennutz,  bloß  aus  Be- 
geisterung dies  Lebenswerk  zusammengestellt. 
Sulpiz  wurde  zum  Ehrenmitglied  der  Akademie 


der  bildenden  Künste  in  München  und  zum 
Oberbaurat  ernannt.  Beides  reihte  sich  würdig 
an  die  Ehrung,  die  ihm  die  Pariser  Akademie 
zuteil  hatte  werden  lassen,  und  an  das  Doktor- 
diplom, das  ihm   Heidelberg  verliehen. 

Aber  das  Beste,  was  der  sichere  Posten  in 
München  für  Sulpiz  brachte,  war  seine  Ver- 
einigung mit  der  seit  langem  geliebten  Tochter 
Mathilde  des  Stuttgarter  Bankdirektors  Rapp. 

Zunehmende  Kränklichkeit  zwang  Boisseree 
zu  einem  fast  dreijährigen  Aufenthalt  in  Süd- 
frankreich und  Italien,  den  seine  treue  Gefähr- 
tin teilte.  Gesünder  und  angeregt  von  den 
Kunstschätzen  des  Südens  kehrte  er  im  Som- 
mer 1859  nach  München  zurück. 

Endlich,  im  Jahre  1845,  verwirkHchte  sich 
ihm  auch  unter  günstigen  Bedingungen  die 
Rückkehr  ins  rheinische  Land.  Er  ward  nach 
Bonn  berufen,  um  seine  Erfahrung  und  Für- 
sorge dem  fortschreitenden  Ausbau  des  Kölner 
Domes  zu  widmen. 

Freilich  nur  für  neun  Jahre.  Am  2.  Mai  1854 
folgte  er  dem  Bruder  und  dem  Freunde,  die 
bis  zuletzt  sein  Leben,  seine  Bestrebungen  ge- 
teilt und  an  seinen  Erfolgen  neidlos  sich  gefreut 
hatten,  ins  Grab.') 

')  duellen :  Boisserees  Aufzeichnungen  und  Brief- 
weclisel. 


BEUROXER    KUNSTSCHULE,    MADONNA,    DETAIL   AUS    DER 

ANBETUNG  DER  HL.  DREI  KÖNIGE  IN  EMMAUS-PRAG 

Ausstellung  /ür  christliche  Kunst,  Düsseldorf  igog 


)57 


AussUilung  für    christliche   Kunst, 
Düsstldorf  tgog  ooooooooo 


«  BELKONHK  KUNSTSCHLLE 
«  «  «  MARIA  HEIMSLCHL'NG 
(KARTON,  FÜR  E.MMALS  PRAG) 


ns 


»^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909  »^ö 


BEURON'ER  KUNSTSCHULE 


FLUCHT  NACH   ÄGYPTEN  (KARTON,   FÜR  EMMAUS-PRAG) 
Aussirlliitig  /iir  christlidie  Kunst,   DussrlJ^'r/  igog 


DIE  GROSSEN  KUNSTAUSSTEL- 
LUNGEN IN  DÜSSELDORE  1909 

Von  Professor  Dr.  KARL  BONE,  Düsseldorf 

(Fortsetzung) 

Aut  dringendes  Ersuclien  der  Ausstellungs- 
•'^  leitung  richtete  auch  Beuron  in  einem 
kleinen  Kabinett  eine  sehr  instrul<tive  Aus- 
stellung einiger  Schöpfungen  der  Beuroner 
Meister  ein.  So  sieht  man  Kartons  zum  Marien- 
leben des  P.  Desiderius  (Abb  S.  3  5  6  ff.)  und  zahl- 
reiche kleinere  Entwürfe,  von  denen  nianclie 


unausgeführt  blieben.  Feierlicher  Ernst,  dem 
es  nicht  an  Milde  fehlt,  tiete  Religiosität  zeichnet 
die  Arbeiten  aus,  welche  ausnahmslos  auf  eine 
klare  Reliefwirkung  komponiert  sind.  Man  be- 
grüßt es  sehr,  daß  auch  solche  Arbeiten  von 
P.  Desiderius  Lenz  und  P.  Gabriel  Wüger  der 
Ausstellung  einverleibt  sind,  die  aus  der  Zeit 
vor  ihrem  Eintritt  in  den  Orden  stammen. 
Als  Werke  Düsseldorfer  Künstler  in  der 
christlichen  Kunstausstellung  wurden  schon  im 
ersten  Berichte  die  :  Hl.  Familie?,  von  L.  Feld- 
mann erwähnt,  desgleichen  die  Zusammen- 
stellung V.  Gebhardt scher  Werke.  Hinzu- 
zufüsen   als  Werke  von  Künstlern,  die  beson- 


©5^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN   DÜSSELDORl-  1909  »^a  359 


BKL'KOSI-.K    kCNslsCIU  I.E 


M;I:I/AH\AMMK  iKAKIÜM,   F(  R  EMMALS-PRAG) 
Ausitellung  für  christliche  Kunst,   Dttsseldor/  igog 


ders  die  cliristliche  Kunst  pflegen,  ist  einiges 
von  Br.  Ehrich  (Abb.  S.  365)  und  H.  Nütt- 
gens  Einige Weii<e von  Düsseidoit'er Künstlern 
sind  mehr  nur  gelegentliciie  Betätigungen 
auf  dem  Gebiete  der  christlichen  Kunst.  So  ver- 
sucht E.  Fohle  die  kräftigen  verschmelzenden 
Earbenwirkungen,  die  ihm  eigen  sind,  mehr- 
fach an  christlichen  StolTen  (»Christus  fallt  unter 
dem  Kreuze«,  »Der  Zinsgroschen«),  Fr.  \'ezin 
die  Sauberkeit  der  Zeichnung  imd  De/cnz  der 
Farbcngebung  an  einer  Pict.'i  ,  R.  Böniger 
die  Energie  der  dramatischen  I3e\vegung  an 
einer  •  Auferweckung  des  Lazarus«,  A.  Ber- 
trand die  wirksame  X'erwertung  des  priester- 
lichen Kleides  in  seinem  Kostiimbilde  >  Diener 


des  Herrn  <  usw.  Weiter  ab  von  der  christ- 
lichen Kunst  —  abgesehen  von  sonstigen  \'or- 
Zügen  — stehen  »Der  zwüll  jährige  Jesus .  von 
Claus  Meyer,  das  »Kircheninterieun  von 
A.  Maennchen  und  die  an  Gebhardt  an- 
schließenden Arbeiten  von  Peter  Janssen 
(Abb.  s.  Beilage  zu  Heft  10);  ihr  näher  da- 
gegen steht  N'.H.N  Titcomb  mit  seiner  1  Kar- 
woche« und  dem  Gemälde  Christus  aul  dem 
Meere  ;der  neblige  Schleier,  den  der  Künstler 
über  seine  Szenen  zittern  zu  lassen  versteht, 
ist  manchmal  recht  am  Platze,  als  Manier  kann 
er  ermüdend  werden.  Neben  diesem  Bilde 
hängt  ein  Aquarell  von  Mathilde  Block 
Niendor ff  (Berlin),    dessen   Farbenkraft    ein 


360 


©S«  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGl-N  IN   DÜSSELDORF  1909  J^a 


BEURO^JER  SCHULE  ENGEL  (MONTE  CASSIXO) 

Aiisstt-lluug  für  christlUhe  Kmist,   Düsseldor/  tgoq 

Olgeniiilde,   und  dessen   Zartheit  der  Farben- 
verschmelzung ein  Pastellbild  vortäuscht. 

Nicht  uninteressant  ist  das  Porträt  Pius  X. 
von  Fr.  Harnisch,  wirksam  aus  dem  tief- 
roten, ins  Schwarze  sich  verlierenden  Hinter- 
grunde herausgearbeitet.  Gegenüber  diesem 
Bilde  hängt  >.  Heilige  Mutterliebe«  von).  Mogk 
(Dresden),  der  in  der  Aufschrift  genügsam  an- 
deutet, daß  er  nicht  beansprucht,  die  Gottes- 
mutter mit  dem  göttlichen  Kinde  dargestellt 
zu  haben,  wohl  aber  den  heihgen  Schein,  der 
zwischen  einer  echten  und  rechten  Mutter  und 
ihrem  Kinde  hin-  und  herstrahlt.  Beachtens- 
wert ist  auch  eine  kleine  Plastik  von  Iven 
(Köln,  Abb.  s.  Heft  X  S.  299).  Von  Arthur 
Kampfs   beiden   Illustrationen   zu    A.  Arndt 


V Bibel  in  der  Kunst«  ist  der  »Einzug  Christi« 
die  bessere;  »Moses  am  Felsen«  ist  nicht  nur 
theatralisch  aufgebaut,  sondern  Moses  selber 
erscheint  als  ein  recht  schlimmer  alter  Gesell, 
der  wohl  schon  mehr  als  einen,  ja  ganze  Dörfer 
getäuscht  hat.  An  dem  großen  Querbilde  »Der 
tote  Christus  :  von  R.Müller  interessiert  neben 
Wirkungen,  die  der  Künstler  besser  für  andere 
Bilder  aufgespart  hätte  (das  Rosen-Stilleben, 
das  Marterwerkzeug-Stilleben,  das  täuschende 
Fransentuch),  der  stark  orientalische  Typus  des 
Christuskopfes.  Schlimm  ist  G.  W  i  e  t  h  ü  c  h  t  e  r 
(Barmen)  mit  den  verunstalteten  Schemen 
menschlicher  Körperstücke  umgegangen,  denen 
er  beischrieb,  Heute  noch  wirst  du  mit  mir 
im  Paradiese  sein«. 

Gehen  wir  der  nächsten  Raumgruppe  zu, 
deren  Mittelsaal  denNamen » D  r  e  s  d  e  n.  K  ü  n  s  t- 
lergenossenschaft  Zunft«  trägt.  Der  Aus- 
druck Zunft  will  wohl  auf  eine  Annäherung 
an  das  Handwerk  hindeuten.  Vielfach  ver- 
mißt man  die  rechte  Wärme;  selbst  die  sil- 
bernen und  goldglänzenden  Geräte  in  den 
V'itrinen  haben  etwas  Frostiges.  Sehr  tief  emp- 
lunden  sind  aber  die  Plastiken  von  dem  zu 
früh  verstorbenen  Hudler;  bei  seinem -Kruzi- 
lixus  <  scheint  allerdings  die  Wirkung  der  Kör- 
perschwere allzusehrbetont.  Nichtrechtmonu- 
niental  muten  die  tänzelnden  Seligen  und  Ver- 
dammten aus  K.  Rößlers  Entwurf  zurAus- 
malung  der  Kirche  in  Zschopau  an;  die  Akte 
sind  übrigens  tüchtig  gezeichnet.  Erfreulicher, 
wenn  auch  vielleicht  etwas  zu  ärmlich,  wirkt 
das  Waldkirchlein«  von  K.  Rößler  und 
II.  T s  c h  a r  m  a  n  n  ,  wie  es  farbig  in  seiner 
Waldlichtung  dargestellt  ist ;  ebenso  gerne  sieht 
man  die  Skizze  zur  Kirche  für  Zinwald«  von 
M.  Lossow  und  M.  Kühne.  Die  Kolossal- 
statue Der  gute  Hirt«  von  G.  Wrba,  an  sich 
ein  rühmenswertes  Werk,  ist  doch  wohl  zu 
derb-massig  —  man  beachte  z.  B.  die  Unter- 
schenkel — ,  um  die  Vorstellung  des  guten 
Hirten  zu  erwecken ;  es  ist  nichts  Abstoßendes 
in  der  Erscheinung,  und  einen  getreuen  Eckard, 
auch  allenfalls  St.  Christophorus,  könnte  man 
darin  suchen;  aber  die  Güte,  und  zwar  die 
Güte  des  Hirten,  der  das  verlorene  Lämm- 
lein sucht,  führt  kaum  zu  dieser  Verkörpe- 
rung; das  Tragen  eines  Lammes  macht  nicht 
den  guten  Hirten  der  christlichen  Kunst  aus. 

Die  Sonderausstellung  Aachen  ist 
auf  einen  »Vorraum«  (Nr.  17)  und  einen  »Ka- 
pellenraum« verteilt.  Auch  hier  fehlt  es  nicht 
an  dem  Hervortreten  des  Kühl-Technischen, 
des  Berechnet-Zweckmäßigen,  wie  es  mit  dem 
ganzen  System  der  technischen  Hochschulen 
und  Kunstgewerbeschulen  nur  zu  naturgemäß 
verknüpft  ist.     Aber  die  Aachener    haben  es 


liAI/niASAK  SCHMU 


MADONNA 


©S^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DUSSELDORF  1909  »«sa  361 


BONiFAZ  LOCHER 


LNTWLRl    ILK  llLMAl.LNG   \ON'  APilb  UND  tHOUWAND 
Ausstellung  für  christliche  Kunst,  Diissetdor/  tqot) 


verstanden,  soviel  Sinniges  und  niensclilicii 
Ansprechendes  zu  verbinden,  daß  man  gerne 
in  den  beiden  kleinen  Räumen  verweilt  und 
sich  durch  einzelnes  minder  Erwünschte  nicht 
allzusehr  stören  laßt.  Zu  einigen  Bedenken 
veranlaßt  die  ganz  virtuos  gearbeitete  Por- 
trätbüste im  Grabmal  des  Pfarrers  Roland 
Ritzefeld  (Stolberg)  von  C.  Burg  er;  denn  in 
ihrer  minutiösen,  an  Dennersche  Bilder  erin- 
nernden Naturkopierung  dürfte  sie  doch 
viel  zu  weit  gehen,  und  das  um  so  mehr, 
weil  sie  in  Naturgröße  erscheint.  Die  alten 
kleinen  Porträts  in  Wachsbossierungund  natur- 
getreuer Cbermalung  haben  nichts  von  diesem 
»Unheimlichen  ; ;  ob  einzig  ihres  Formates 
willen  "-  oder  ist  auch  hier  Kunst  etwas  anderes 
als  Gewandtheit,  Kopieren  der  Natur  etwas 
anderes  als  künstlerische  Darstellung 
der  Natur?  Bedeutend  in  ihren  einfachen, 
großen  Linien  ist  die  Eichenholzbüste  von 
J.  Matar^  »Johannes«,  eine  bewundernswerte 


Leistung  in  Wiedergabe  inneren  Reichtums 
die  Porträtbüste  des  Bruders  Xieward,  Propstes 
in  Marianhill  (Südafrika)  von  .\I.  Streiclier; 
da  spricht  jeder  Zug,  jede  Wendung  Ge- 
schichten, und  man  tühlt  sich  einem  großen 
Kunstwerke  gegenüber.  Die  Ausstellung  zeigt 
noch  eine  Reihe  anderer  tüchtiger  Werke 
dieses  Künstlers.  Auch  die  Werke  von  J.  Meu- 
risse  verdienen  hervorgehoben  zu  werden. 
Eine  hohe  Vorstellung  von  Aaciiens  Gold- 
schmiedekunst geben  schon  im  >\'orraunn 
die  Arbeiten  des  Stiftsgoldschmiedes  Aug. 
Witte,  die  auf  einem  Tische  in  der  Mitte  des 
Raumes  zusammengestellt  sind.  Nur  einzelne 
Stücke  davon  sind  im  Kataloge  mit  >  Eigener 
Entwürfe  bezeichnet,  andere  mit  >  Entwurf: 
Kunstgewerheschule  Düsseldorf* ;  eines  mit 
»Entwurf:  Benediktinerabtei  Beuroiu ;  hinter 
anderen  Stücken  steckt  aber,  sollte  man  glauben, 
ein  wirklicher  Künstler  verborgen.  Achtet  man 
übrigens  bei  all  diesen  Arbeiten  zunächst  nur 


Dte  chrisUlche  Ku 


362 


©^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909  >^53 


auf  die  technische  Seite,  so  nimmt  man  mit 
Vergnügen  die  Sauberkeit  und  Sicherheit  der 
Ausführung,  das  Harmonische  und  darum 
nirgends  Aufdringliche  der  Farbenzusammen- 
stellungen wahr. 

Schlägt  man  die  Vorhänge  im  Mittelgrunde 
des  Vorraums  auseinander,  so  glaubt  man  in 
ein  magisch  beleuchtetes  nächtliches  Strauch- 
gewirre zu  sehen ;  es  ist  das  grüne  Geäder  in 
dem  schwarzen  Marmor,  womit  die  Kapellen- 
wände bekleidet  sind;  die  Wirkung  ist  eigent- 
lich zu  stark,  aber  man  läßt  sie  sich  gefallen. 
Der  Kapellenraum  selber  ist  ein  wahres  Muster 
einer  vornehmen  und  doch  in  ihrer  Zierlich- 
keit anheimelnden  Privatkapelle.  Um  die 
Entwürfe  hat  sich  besonders  Architekt  Emil 
F  elix  verdient  gemacht,  um  die  Ausführung 
und  Ausstattung  verschiedene:  den  Altarauf- 
satz und  das  Altarkreuz  führte  A.  Witte  aus; 
das  eigenartige,  dem  Marmor  der  Wände  und 


BEURüNKR  KUNSTSCHULE  BRONZETÜRE  IN  MONTE  CASSINO 

Ausstellung  /ür  christliche  Kunst,  Düsseldorf  i^oQ 


des  Altars  sich  anpassende  Antependium  rührt 
von  H.  K  r  a  h  f o  r  s  t  her,  ebenso  das  Glasfenster 
(Ausgef.  von  Derix).  Die  Metallarbeiten  von 
H.  Steenaertss  (für  die  Entwürfe  ist  die 
Düsseldorfer  Kunstgewerbeschule  verantwort- 
lich) haben  etwas  Nüchternes.  Der  »Christus- 
kopf« von  J.  Matare  mit  dem  windbewegten 
Haupthaar  erscheint  etwas  verwildert.  Zu  er- 
wähnen sind  noch  die  Arbeiten  von  C.  Burger 
(  Kruzihxus«,  »St.  Barbara«).  An  den  Vorraum 
Aachen  grenzt  ein  Kabinett,  in  dem  allerlei 
Entwürfe  aus  Hannover  aufgehängt  sind. 
Die  ganze  Zusammenstellung  macht  zuerst 
einen  bunten  und  unruhigen  Eindruck,  aber 
bedeutsam  und  ernst  und  sinnvolles  Studium 
verratend  ist  eigentlich  alles,  was  darin  ist. 
Man  erkennt  den  hebenden  und  anregenden 
Einfluß  Herm.  Schapers  im  Sinne  seines  Vor- 
gängers Schäfer.  In  die  Augen  fallen  zunächst 
die  harmonischen  Skizzen  von  O.  Wichten- 
dahl  für  verschiedene  Kirchen  und  Ka- 
pellen. Dann  die  tarbigen  Darbietungen 
von  Herm.  Schaper  selber,  den  man 
im  Raum  47  aus  großen  Kartons  (siehe 
weiter  unten)  bequemer  kennen  lernt. 
Die  kleinen,  zum  Teil  minutiösen  Ent- 
würfe, die  bei  Hannover  vereinigt  sind, 
müssen  mit  zum  Solidesten  gerechnet 
werden,  was  die  Ausstellung  bietet. 

Wir  gelangen  zum  Saale  der  jungen 
und  noch  kleinen  Düsseldorfer  »Ver- 
einigung für  christliche  Kunst«, 
welche  bis  jetzt  folgende  Mitglieder  um- 
faßt: A.  Diemke  (Maler),  J.Th.  Hack  en- 
broich  (Bildhauer),  Fr.  Schneider  (Ar- 
chitekt), |os.  Schneider  (Bildhauer),  A. 
T er n es' (Maler),  J.  Wahl  (Maler),  W. 
Wellerdick  (Architekt).  Unter  den  hier 
ausgestellten  Werken  tritt  am  meisten 
hervor  das  große  romanisierende  Fami- 
liengrab-Denkmal, das  ].  Schneider 
unter  Beihilfe  seines  Bruders  Franz 
Schneider  (Architekt)  hervorgebracht 
hat  (Abb.  S.  363).  Leider  konnte  in  der 
.\usstellung  nur  ein  getönter  Gipsabguß 
aufgestellt  werden;  so  kommen  manche 
Einzelvorzüge,  selbst  der  Ausdruck  des 
Christuskopfes,  nicht  hinlänglich  zur  Gel- 
tung. Der  Unterbau  besteht  aus  einem 
sehr  schönen  bräunlichgrauen  Marmor, 
das  übrige  (mit  Ausnahme  des  Christus- 
kopfes aus  weißem  Marmor)  ist  in  zart- 
gelblichem Marmor  ausgeführt;  so  ent- 
steht eine  keineswegs  aufdringliche  Far- 
bensteigerung nach  dem  Gekreuzigten 
hin.  Dieser  ist,  wie  im  frühen  Mittelalter, 
als  der  Triumphierende,  in  seinem  Siege 
die  Menschheit  mit  den  ausgebreiteten 


Aussutlung /iir  christliche 
Kunst,  DiisseUor/  igog 
Ttxl  S.j6l    o  o  o  o  o  o 


JOSKl'll  SCIINi;il)KK 
GRABDKNKM.M.  •  • 


364 


ö^  DIE  KUNSTAUSSTELLUNGEN  IN  DÜSSELDORF  1909  2*^0 


Armen  Umfassende  gedacht;  darum  fehlt  der 
Ausdruck  des  Schmerzes  und  des  Todes;  statt 
dessen  liegteinekönigliche,  milde,  fastlächehide 
Hoheit  über  dem  Gesicht  und  der  ganzen 
Gestalt.  Die  Figuren  zur  Seite  des  Kreuzes 
sind  in  strengstem  Stile  bei  anspreciiendem 
Adel  des  Ausdruckes  hingestellt.  Gemälde 
von  größerem  Umfange  brachten  A.  Ternes 
(»Madonna  mit  Engeln  ;  und  »St.  Joseph  und 
der  Jesuknabe?)  und  J.  Wahl:  »Rast  auf 
der  Flucht«  und  »Die  hl.  Elisabeth  in  der 
Kirche  zu  Eisenach  <  (Abb.  Jg.  4,  S.  35).  Ohne 
sich  übertriebenem  Naturalismus  hinzugeben, 
ohne  aber  auch  sich  von  der  Naturvvahr- 
heit  zu  entfernen,  suchen  beide  unabhängig 
von  einander  das  Neue  auf  dem  bewährten 
Alten  fußen  zu  lassen.  Die  Architekten  Fr. 
Schneider  und  W.  Wellerdick  haben 
eine  Reihe  von  Kirchenentwürfen  ausgestellt 
und  diese  nicht  nur  in  Grundrissen  usw., 
sondern  auch  durch  malerische  Darstellung 
als  fertige  Bauten  in  ihrer  landschaftlichen 
Umgebung  gezeigt.  Diese  Darstellung  ist  be- 
sonders bei  den  Dorfkirchen  von  großem 
Werte.  Denn  neben  der  beherrschenden  Stel- 
lung, die  im  Dorf  die  Kirche  unter  den 
übrigen  Gebäuden  einnimmt,  bildet  sie  zu- 
gleich ein  charakteristisches  Stück,  ja  oft 
eine  Art  Zentralstück  der  Gesamtlandschaft. 
Diesen  Doppelwert  kann  sie  ohne  künstle- 
rischen Wert  nicht  besitzen,  und  doch  stehen 


dem  Künstler  für  die  Dorfkirche  meist  nur 
geringe  Mittel  zu  Gebote.  Der  Künstler  hat 
daher  hier  eine  erschwerte  Aufgabe.-  er  soll 
etwas  Schönes,  etwas  Billiges,  etwas  Beherr- 
schendes scharten  ;  er  soll  etwas  schaffen,  was 
sich  dem  Ganzen  der  Landschaft  harmonisch 
einfügt.  Diese  vierteilige  Aufgabe  haben  die 
beiden  Architekten  mit  gesundem  Sinne  und 
künstlerischem  Ernste  ins  Auge  gefaßt.  Man 
gewahrt  überall  den  engen  Anschluß  an  die 
organische  Entwicklung  der  christlichen  Kunst, 
die  allein  festen  Boden  geben  kann.  Man 
erinnert  sich  beim  Anblick  dieser  landschaft- 
lichen Harmonie  sofort  der  zahlreichen  Minia- 
tur-S  ta  d  tkirchen,  die  oft  von  großen  Ar- 
chitekten unorganisch  und  störend  in  eine  Dorf- 
landschaft hineingeflickt  sind  und  ihrer  Um- 
gebung in  Form,  Farbe  und  Material  wider- 
sprechen, abgesehen  davon,  daß  ihre  Her- 
stellung in  der  Regel  die  vorhandenen  Mittel 
eher  übersteigt,  als  daß  etwas  für  die  Aus- 
stattung des  öden  Innern  übrig  bliebe.  Bei 
den  hier  vorgestellten  Kirchen  ist  das  nicht 
so.  Übrigens  haben  die  beiden  Künstler  über 
dem  Kleinen  und  Bescheidenen  den  Blick  für 
das  Große  nicht  verloren;  auch  die  größeren 
Entwürfe,  z.  B.  der  Entwurf  anläßlich  eines 
Wettbewerbs  für  eine  Kirche  in  Hamburg, 
der  Entwurf  einer  großen  Stadt-Barockkirche 
sind  reife  Früchte  ernsten  Studiums. 

(Fortsetzung  folgt) 


OSKAR  POPP 


HEILIGE  NACHT 


Ausstellung  für  christliche  Kunst,  Düsseldorf  igog 


365 


Ausstellung  für  christliche 
Kunst,     Düsseldorf  tgog 


«  BRUNO  EHRICH 
GEBLRT  MARIENS 


366      »^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  m>3 


DIE  X.  INTERNATIONALE  KUNST- 
AUSSTELLUNG IN  MÜNCHEN  1909 

Von  FRANZ  WOLTER 
(Fortsetzung) 

Recht  bedeutend  ist  die  Secession  diesmal  nicht 
vertreten.  Ihre  eigenthche  Starke  beruht 
noch  immer  in  den  Persönhchkeiten  der 
Gründer,  diese  aber  selbst  haben  entweder 
gar  nichts  oder  so  ausgestellt,  daß,  von  Al- 
bert von  Keller  abgesehen,  wir  ihre  Vertre- 
tung nur  als  Visitenkarte  betrachten  können. 
Wir  haben  früher  schon  Uhde,  Zügel, 
Habermann  besser  gesehen,  obschon  Uhdes 
»Zwei  Kinder«  wieder  beredtes  Zeugnis  seiner 
tüchtigen  Meisterschaft  ablegt.  Merkwürdig  ist, 
daß  sich  einige  Künstler  der  Secession,  die 
Persönliches  zu  sagen  hätten,  immer  mehr 
in  sklavischer  Nachahmung  Uhdes  ergehen. 
Es  läßt  sich  freilich  der  persönliche  Stil  eines 
Meisters  schwer  nachmachen,  nur  die  Äußer- 
lichkeit, die  Manier  wird  übrig  bleiben.  Recht 
tüchtige  Leistungen  sind  die  beiden  größeren 
Bilder  von  Angele  Jank,  von  denen  die 
Jagdgesellschaft  in  ihrer  Farbenfreudigkeit  und 
auch  in  der  eminent  tüchtigen  Durchbildung 
der  Einzelheiten  bis  auf  die  gut  studierten 
lagdhunde,  den  Vorzug  verdienen.  Über  A. 
V.  Keller  und  seine  Kunst  haben  wir  bei  Ge- 
legenheit seiner  Ausstellung  im  Sezessions- 
gebäude eingehender  gesprochen,  und  die  Ver- 
mutung, die  daran  geknüpft  wurde,  daß  wir 
noch  weitere  Fortschritte  dieses  feinfühlenden 
Meisters  erwarten  dürften,  ist  nicht  nur  in 
Erfüllung  gegangen,  sondern  noch  durch  die 
neueren  Arbeiten  überboten  worden.  Ganz 
abgesehen  von  der  dramatischen  Kreuzigungs- 
gruppe fesseln  doch  zumeist  die  Damenbild- 
nisse Kellers  und  unter  diesen  ist  das  Bildnis 
einer  eleganten  Schönen  mit  Schleier  ein  Juwel. 
Hier  ist  eine  Symphonie  in  zartem  Grün  mit 
helleren  rötlichen  Tonwerten  gegeben,  die 
wie  ein  Gedicht  anmutet.  Mit  wie  scheinbar 
geringstem  Aufwand  von  Mitteln  ist  hier  die 
größte  Wirkung  erzielt!  Dies  allein  kennzeich- 
net den  Meister. 

Mit  welchem  Aufgebot  technischer  Mache 
arbeitet  dagegen  M.  Slevogt.  Das  Bildnis 
einer  Schauspielerin  als  Kleopatra  ist  schwer- 
fällig und  plump,  trotz  der  kompositioneil  ge- 
zwungenen Beweglichkeit.  Dazu  hängt  der 
Künstler  im  Hintergrund  seines  Vorbildes 
rätselhafte  Dinge  auf,  die  nicht  begleitend  und 
untergeordnet  erscheinen,  sondern  vordring- 
lich. Es  fehlt  hier  vor  allem  die  L^bersicht  des 
Totaleindruckes  und  mit  dieser  zugleich  die 
Breite  des  Vortrags.     Letztere  Eigenschaften 


besitzt  wohl  Richard  Pietzsch,  welcher 
dieselben  mit  deutschem  Naturgefühl  stets  zu 
beseelen  bestrebt  ist.  Auch  seine  diesjährigen 
Bilder  beweisen  dies,  nur  geht  er,  wie  in 
seinem  besten  Bilde  Vorfrühling  in  Grün- 
wald •.,  nicht  logisch  vor.  Manches  ist  doch 
zu  sehr  aus  der  Tiefe  des  Gemütes  geschöpft, 
so  daß  das  grüne  Wasser  nicht  als  Wasser 
bei  diesem  tiefblauschwarzen  Himmel  über- 
zeugend gegeben  ist.  Als  treffliche  Studien- 
arbeit dürften  die  »Malschüler«  von  Herm. 
Groeber  zu  betrachten  sein. 

Leo  Samberger  hat  wieder  einige  seiner 
bekannten  trefflichen  Schilderungen  auf  dem 
Gebiete  der  Porträtkunst  beigesteuert.  Neben 
der  vornehmen  Erscheinung  Sr.  Exzellenz  des 
Reichrats  Ferdinand  von  Miller  sehen  wir  u.  a. 
das  charakteristische  Bildnis  Professor  Bradls, 
in  einer  humorvollen  Situation  gegeben,  die 
wir  bei  dem  Dargestellten  rühmlichst  kennen. 
R.  Schramm-Zittau,  der  Vertreter  des  Ge- 
flügelhofes, der  plätschernden  Enten  und 
schnatternden  Gänse,  bringt  von  der  letz- 
teren Sorte  ein  Monumentalgemälde,  das 
schon  durch  seine  Größe  auffällt.  Es  ist 
ja  in  der  Tat  sehr  schwierig ,  eine  ganze 
Gänseherde  in  ihrer  eilenden  Bewegung  zu 
malen  und  Schramm  als  tüchtiger  Maler,  der 
sein  »Metier«  versteht,  hat  viel  geleistet,  aber 
es  ist  zu  viel  Ausstellungskunst.  Einladender 
wirken  Dinge,  die  ein  stilles  Versenken  in  das 
Thema  ermöglichen,  wie  die  duftigen,  in  zar- 
tem Silberton  gemalten  Frauen  mit  weißen 
Blumen  von  Hans  Borchardt,  eine  träume- 
rische Landschaft  von  Toni  Stadler,  »Der 
Sommertag«  von  Georg  Flad,  die  äußerst 
zart  und  prickelnd  gemalten  Stilleben  und 
Blumen  von  Th.  Hummel  oder  gar  die 
blendenden  Interieurs  von  Gotthardt  Kuehl. 
Über  Herm.  Pleuers  Eisenbahnen  und  Ch. 
Toobys  großes  Kuhbild  ist  nichts  Neues  zu 
berichten,  diese  Maler  können  auf  ihrem  ein- 
mal gewählten  Stoffgebiete  nichts  hinzufügen. 
Ernst  Oppler  dagegen  schreitet  im  Bildnis- 
fache gut  vorwärts,  ebenso  A.  Weißgerber 
in  seinem  Selbstporträt;  die  Kreuzigungsskizze 
jedoch  muß  sogar  als  Skizze  abgelehnt  werden. 
Das  ist  zu  brutal  und  roh  in  der  Auffassung 
sowohl  als  in  der  Mache.  Vortrefflich  wirken 
Richard  Kaisers  »Vorfrühlingstag«  und 
der  »Möhrenbach  bei  Treuchtlingen« ;  Fr. 
Eckenfelders  »Schimmel«  in  der  Schwemme 
beweisen,  wie  nicht  alles  in  Abhängigkeit  von 
derZügel-Schule  gemalt  zu  werden  braucht, um 
dennoch  Wirkung  und  Kraft  zu  haben.  Gar  zu 
käsig  und  dabei  zerflossen  kommt  der  weib- 
hche  Akt  von  Max  Feldbauer  heraus.  Dieser 
Maler  hat  unzweifelhaft  Talent,  aber  es  fehlt 


36^ 


G1;üRG  BLi)Cll 


L,lvABDENKMAL  DES  BISCHt)!  S  I'ALI.  LEül'.  HAKIM  K   1\   MAINZ 

AutstrliuKg  für  chrittlicht  Kuntl,  DüttlUcr/  igoq.      TtAl  S.JJJ 


368     S!^  X.  INTERNATIONALE  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MÜNCHEN  »^ö 


an  Geschmack  und  dann  erscheint  doch  jedem 
echten  Künstler  die  Natur,  hier  der  mensch- 
liche Körper,  als  wundervoller  Organismus, 
ganz  Rhythmus  und  Harmonie,  dem  man  sich 
in  Andacht  nähert.  Diesen  Mangel  an  innerer 
Kultur  besitzt  auch  Lovis  Corinth,  der  recht 
deutlich  in  den  »Gefangenen«  nackten  Men- 
schen zum  Ausdruck  gelangt.  Kraft  und  Bruta- 
lität sind  zwei  grundverschiedene  Faktoren, 
letztere  steht  mit  einer  charaktervollen  Kunst 
im  Gegensatz.  Innerliches  und  äußerliches  Stil- 
gefühl geht  verloren,  kommen  dazu  noch  wie 
hier  naturwidrige  Unmöglichkeiten,  der  weib- 
liche Akt  schwebt  in  der  Luft  anstatt  zu  liegen, 
so  verlöscht  das  anfänglich  bewunderte  Kratt- 
meiertum  derMalerei  wie  ein  prasselndes  Feuer- 
werk. Zieht  man  ein  ähnliches  Thema  wie  den 
»Ringkampf«  von  Ern s t  Burm eister  zum 
Vergleich  heran,  so  erkennt  man  bald,  was 
hier  gesagt  sein  soll.  Burmeister  schildert  auch 


nackte  Menschen,  aber  sie  sind  in  einer  Hand- 
lung begriffen,  um  den  Körper  in  verschiede- 
ner Art  der  Bewegung  erscheinen  zu  lassen. 
Wenn  Burmeister  auch  Fehler  macht,  die  Ein- 
heit und  Geschlossenheit  vermissen  läßt,  so 
ist  doch  hier  ein  Maler  am  Werk,  der  Neu- 
schöpferisches leisten  will. 

Man  bedauert  nur,  daß  so  viel  Arbeit  auf 
ein  Nichts  verwendet  wurde.  Durch  den  all- 
zustarken Persönlichkeits -Kultus,  durch  die 
Verhimmelung  des  Individualismus  hat  in  un- 
serer Epoche  die  Kunst  nur  gelitten.  Immer 
stärker  zersplitterten  demgemäß  auch  sonst 
stark  gefügte  Korporationen  und  der  Zerfall 
hält  noch  an.  Wie  von  der  Genossen- 
schaft die  Secession,  so  trennten  sich  von 
der  Luitpoldgruppe  die  Bayern,  um  für  sich 
Siege  zu  feiern.  Aber  alle  jene  Gruppen 
können  sich  ihrer  Triumphe  nicht  so  recht 
erfreuen,  es  beginnt  allmählich  zu  dämmern. 


RUDOLF  NISSL 


X.  biter?tationale  KitnstaussleUu?tg  lilUttcIte. 


LESENDE  )UN"GE  FRAU 
igog 


©^  X.  IXTERNATIONALH  KUNSTAUSSTELLUNG  IN  MUNCIII-N  KSa      369 


WILHELM  IMMFAKXMC 


daß  die  übertriebene  Wertschätzung  der  Per- 
söniiciikeit  nur  zur  weiteren  Auflösung  hin- 
drängt. ÜberbHckt  man  von  einem  freien, 
unabhängigen  Standpunkte  die  ganze  Situa- 
tion, so  wird  CS  dem  Kunstfreund  niciit  recht 
khir,  weiche  Qualitäten,  welche  Kunstanschau- 
ungen eigentlich  nocii  die  Gruppen  der 
Künstler  trennen  :  hier  wie  dort  gibt  es  kaum 
ein  Gemälde,  das  nicht  gerade  so  gut  in  einen 
anders  benannten  deutschen  Saal  hineinpassen 
würde.  Und  gerade  bei  den  Bayern  fällt  dies 
auf,  ob  nun  der  Künstler  G.  Schuster-Wol- 
dan,  P.  Kieth  oder  Fritz  Kunz  lieKk. 
Letzterer  Maler  erinnert  in  seiner  Kreuzigungs- 
gruppe an  die  tief  religiöse  Stimmung  romani- 
scher Bilder  und  bekundet  als  Maler  eine 
stark  persönliche  Eigenart  mit  einem  lyri- 
schen Einschlag.  Bei  Georg  Schuster-Wol- 
dans  5, Mädchenbildnis X  verspürt  man  leise 
fremde  Einflüsse,  aber  sie  sind  kaum  merklich. 
Was  das  Bildnis  interessant  und  anziehend 
macht,  ist  vor  allem  das  Motiv  und  die  leiciite, 
duftige,  koloristische  Art,  der  Zusammenklang 
des  landschaftlichen,  fast  wie  ein  alter  Gobelin 
gehaltenen   Hintergrundes,  zu  dem  bräunlich 


warmen  Ton  des  Kleides.  Um  zu  erkennen, 
was  nun  echt  deutsch  im  Charakter  ist,  selie 
man  sich  Paul  Rieths  musizierende  Eamilie 
an.  Schwer  ist  hier  die  I-arbe,  ungesciiickt. 
nein  unbeholfen  die  Komposition,  aber  voll 
und  ganz  steht  der  Künstler  mit  seiner  Tecii- 
nik  und  seinem  malerisciien  Ausdruck  auf 
heimatlichem  Boden  und  unmittelbar  vor  der 
Natur  ist  Zug  um  Zug  entstanden.  Der  Maler 
großen  Stils  iit  wie  stets,  so  auch  in  diesem 
Jahre  Herm.  Urban,  am  liebsten  möchte  man 
die  »Gewitterstimmung  bei  Riola^  oder  den 
farbensatten  Spätsommer  <  statt  mit  Goldrah- 
men umsciilossen  auf  den  Wänden  eines  1-est- 
saales  sehen  (Abb.  S.  574  u.  375).  Die  dekorativ- 
künstlerische  Art  Urbans  weist  auf  die  Wand- 
malerei hin.  Eine  merkwürdig  phantastische 
Note  schlug  Karl  v.  Marr  in  seinem  »De- 
korationsmaler auf  orangcgelbcr  Luft  an. 
Welch  tiefsinniger  Gedanke  zum  Ausdruck 
gelangen  sollte,  ist  schwer  zu  linden,  jeden- 
falls als  malerisch  originelle  Leistung  eine 
höchst  beachtenswerte  iNLalerei.  Tüchtig  wie 
immer  ist  Hans  v.  Bartels  in  seinen  Aqua 
rellen,  deren   Motive    dem    Küstengebiet  ent 


IN«  chrittliche  Kunst.    V. 


S!^  KLEINPORTRÄTKUNST  J^iS 


HERMANN'    I.ANi. 

X.  Interna. 


MAK  1 1\  (,Ki:ir  ^i'i  Aivi  m 

hmale   KunitaHülellung  Miinchm  JOuQ 


nommen  sind,  desgleichen  Carl  Bios  mit 
Bildnis  und  Stilleben,  Claus  Bergen  mit 
einem  wuchtig  hingeschriebenen  englischen 
Fischerdorf,  dann  endlich  Rud.  Sieck  mit 
seinen  zarten  und  dabei  sinnig  wiedergege- 
benen Stimnmngslandschaften  von  der  baye- 
rischen Hochebene. 

Die  Abteilung  der  Architektur,  der 
Aquarelle,  Zeichnungen  und  graphi- 
schen Künste  enthält  eine  große  Fülle  kost- 
barer Arbeiten,  von  denen  wir  ebenfalls  nur 
weniges  als  ganz  hervorragend  erwähnen 
können.  Franz  Brantzkys  »Möhnetalsperre 
in  Westfalen«  wird  dem  Nichtarchitekten 
wenig  beachtenswert  erscheinen,  aber  gerade 
in  der  überaus  einfachen  und  umso  ein- 
drucksvolleren Lösung  steckt  eine  nicht  zu 
unterschätzende  Geistes-  und  Gedankenarbeit. 
Fesselnd  sind  die  architektonischen  Entwürfe 
russischer  Kathedralen  und  Paläste  von  Georg 
Kosiakow,  die  uns  einen  Hinblick  in  eine 
fremdartige  Kunst  gewähren.  Neubelebungen 
der  alten  Formen  zeigen  die  Modelle  und 
Aquarelle  von  Landhäusern  und  Wirtschaften 
von  Franz  Zell,  ebenso  die  Modelle  zur 
Wiederherstellung  des  Schlosses  in  Neuenstein 
in  Württemberg  von  Bodo  Ebhardt.  Nicht 
zu  vergessen  seien  hier  die  nach  großzügiger 
Monumentalmalerei  hinneigenden,  aber  stark 
von  antikem  Geiste  belebten  Schöpfungen, 
Vorlagen  für  Mosaik  von  Wilh.  Koppen. 
Unter  den  graphischen  Künsten  fallen  beson- 
ders auf  die    feinen,    liebenswürdigen    Zeich- 


nungen von  Ludwig  Bolgiano,  Gino 
Parin,  Attilio  Sacchetto,  Paul  Leuteritz, 
die  technisch  mehr  blendenden  als  über- 
zeugenden Radierungen  von  V.  Vigano,  die 
eminent  geschickten  Radierungen  von  Hans 
am  Ende,  Otto  Gampert,  Rudolf  Kö- 
selitz.  Das  vortreft liehe  Prinzregenten-Por- 
trät von  Walter  Firle,  das  den  hohen  Herrn 
von  der  menschlichen  Seite  so  vorzüglich 
charakterisiert,  hat  leider  einen  ungünstigen 
Platz  erhalten.  (Schluß  folgt) 

KLEINPORTRÄTKUNST 

Von  Dr.  O.  DOERING- Dachau 

P)en  großen  Berliner  und  Münchener  Ausstellungen 
von  Kunstwelken  des  ausgehenden  i8.  und  der 
eisten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  schließt  sich  in  diesem 
Sommer  eine  überaus  interessante  Veranstaltung  zu 
Mannheim  an.  Sie  beschränkt  sich  auf  das  Spezialgebiet 
der  Kleinporträtkunst,  zieht  von  deren  Leistungen  im 
wesentlichen  nur  süd-  und  südwestdeutsche  Beispiele 
heran,  und  erreicht  durch  diese  Einschränkung,  daß  das 
derart  gestellte  Thema  durch  überraschende  Fülle  des 
Gebotenen  nahezu  erschöpfend  behandelt  werden  kann. 
Natürlich  niclit  in  Bezug  auf  die  Zahl  der  einzelnen  Er- 
zeugnisse, wohl  aber  auf  Charakterisierung  der  für  die 
Kleinporträtkunst  in  Betracht  kommenden  Techniken, 
und  der  meisten  auf  diesem  Gebiete  tätigen  Künstler- 
kräfte. Ins  Werk  gesetzt  ist  die  interessante  Ausstellung 
von  Seiten  des  Mannheimer  Altertumsvereins,  der  damit 
zu  seinem  heuer  fünfzigjährigen  Bestehen  eine  besonders 
interessante  Feier  veranstaltet.  Man  muß  dem  rührigen 
Vereine  zu  diesem  Unternehmen  Glück  wünschen,  das 
seinen  bisher  erreichten  Erfolgen  einen  neuen  anreiht. 
Fast  elfhundert  solch  zierlicher  Porträtwerke  lernen  wir 
hier  kennen  und  freuen  uns  des  Einblickes  in  ein  Kunst- 


37' 


j/^ 


B®«  KLEIN  PORTRATKUNST  J-^S 


gebiet,  das  seiner  äußerlichen  Unscheinbarkeit  halber 
bisher  allzu  wenig  jene  Beachtung  gefunden  hat,  die 
es  doch  vollauf  verdient.  Wer  diese  kleinen  Bildnisse 
sorgfaltig  durchmustert,  wird  überrascht  sein  ob  der 
Summe  wahrhaft  künstlerischer  Leistung,  die  in  ihnen 
niedergelegt  ist.  Er  wird  auch  sie  als  eine  Erscheinung 
der  Kunstgeschichte  würdigen  und  ihre  Bedeutung  um 
so  höher  anschlagen,  als  einst  mittelst  dieser  kleinen 
Werke  tüchtige  Kunst  in  breite  Kreise  des  Volkes  ge- 
tragen worden  ist,  die  am  lebendigen  Wesen  der  großen 
Kunst  nicht  durchweg  persönlichen  Anteil  haben  konnten. 
Dazu  kommt,  um  den  günstigen  Eindruck  zu  steigern, 
das  nahe  Verhältnis,  in  dem  wir  selbst  noch  zu  mehreren 
jener  Generationen  stehen,  das  Verständnis  und  die 
Ireundliche  Vertrautheit,  die  wir  den  Großmüttern  und 
Großonkeln  unserer  Eltern  immer  noch  entgegen  zu 
hl  ingen  imstande  sind.  Die  Versammlung  ihrer  freund- 
lich intimen  Bilder  mutet  uns  wohltuend  an  und  dient 
dazu,  das  Interesse  für  die  Personen  zu  steigern,  die 
diese  Bildchen  geschafi'en,  für  die  Techniken,  deren  sie 
sich  dabei  bedient  haben.  Daß  unsere  heutigen  Photo- 
graphiealbums  dereinst  bei  unsern  Urenkeln  gleiche 
Interessen  erwecken  werden,  läßt  sich  billig  bezweifeln. 
Mögen  wohl  auch  jene  zu  ihrer  Zeit  der  Alten  freund- 
lich und  dankbar  sich  erinnern,  dennoch  können  ihnen 
unsere  photographischen  Porträts  nimmer  das  bieten, 
was  uns  jene  kleinen  Kunstwerke  unserer  Vergangenheit. 
Denn  die  Photographie,  selbst  von  der  liehevollsten  Hand 
hergerichtet,  bleibt  ja  doch  Maschinenwerk.  Die  Klein- 
porträts aber,  für  die  jene  in  Maimheim  T^'pen  sind, 
wurden  mit  künstlerischem  Blick  ersehen,  mit  eben- 
solcliem  Temperament  festgehalten.  Sie  sind  in  ihren 
besseren  Beispielen  Interpretationen  menschlicher  Charak- 
tere, und  somit  nähert  sich  ihr  Wert  dem  der  Bildnisse 
großen  Umfanges,  welch  letzterer  ja  doch  schließlich 
mehr  etwas  .A.ußerliches  ist. 

Die  Ausstellung  ist  in  einem  der  umfangreichen  Säle 
im  Obergeschosse  des  Großherzoglichen  Schlosses  zu 
Mannheim  untergebracht.  Vor  den  vielen  an  den  Wänden 
und  inmitten  des  Raumes  aufgestellten  Vitrinen,  die  mit 
der  gewaltigen  Menge  der  .Ausstellungsgegenstände  an- 


LUU'.   IG   RÜLGI.WO 


iitiotliile  Kitnstaussti'UuJi^  München  iQog 


gefüllt  sind,  drängt  sich  die  Schar  der  Besucher.  Man 
darf  dem  Mannheimer  Altertunisvereine  zum  Ruhme 
anrechnen,  daß  er  verstanden  hat,  das  Publikum  einer 
Industrie-  und  Handelsstadt  für  die  Feinheiten  einer 
solchen  auserlesenen  Darbietung  zu  interessieren,  und 
zwar,  wie  ich  mich  überzeugen  konnte,  keineswegs  nur 
die  obersten  Scliichten. 

Die  Bildnisse  stellen,  wie  es  für  Mannheim  besonders 
nahe  liegt,  zunächst  Persönlichkeiten  aus  dem  Kreise  des 
Kurfürsten  Karl  Theodor  vor,  auch  den  Fürsten  selbst, 
alle  in  recht  offizieller  Auffassung,  nicht  immer  mit 
sonderlicher  Hervorhebung  ihres  innerlichen  Lebens. 
So  sehen  wir  ein  in  Biskuit  ausgeführtes  Brustbild  des 
Koadjutors,  späteren  Fürstprimas  Karl  von  Dalberg  in 
antiker  Gewandung,  eine  Anzahl  von  Bildnissen  Friedrichs 
des  Großen,  General  Laudon,  Rousseau,  Voltaire,  Ferdi- 
nand von  Braunschweig,  den  Bischof  von  Spe\er,  Franz 
Christoph  von  Hütten.  Im  weiteren  Verlaufe  des  1 8.  Jahr- 
hunderts gilt  die  Darstellung  nicht  minder  den  Kreisen 
des  Hofes,  doch  auch  jenen  des  Bürgertums.  Wir  lernen 
Personen  kennen,  die  zur  Geschichte  unserer  großen 
Dichter  in  Beziehung  standen,  wie  Margarete  Schwan, 
Scliillers  Freundin,  die  1796  starb  und  hier  etwa  sechs 
Jahre  vor  ihrem  Tode  porträtiert  ist.  Wir  sehen  Lavater, 
Winckelmann,  Wieland,  Herder,  die  Baronin  von  Dal- 
berg, Papst  Pius  VI.  Allmählich  weicht  von  den  Per- 
sönHchkeiten  der  Ausdruck  schwärmerischer  Empfind- 
samkeit, es  kommen  die  herben  Männertypen,  wir  sehen 
die  in  griechischem  Gewände  schreitenden  Frauen  der 
Revolutionszeit.  Zahlreich  sind  die  Bilder  Napoleons, 
wir  finden  Hortense  Beauharnais,  Scharnhorst,  Blüclier, 
Ludwig  XVI.  und  Marie  Antoinette,  Oliverius,  den  letzten 
Kapuzinerpater  in  Baden.  Endlich  freuen  wir  uns  der 
solid  bürgerlichen  Figuren  vom  Anfange  des  19.  |ahi- 
hunderts  und  bis  in  dessen  Mitte  hinein.  Zwisclien 
ihnen  hindurch  verstreut  Bildnisse  der  leitenden  Persön- 
lichkeiten. So  erscheint  wiederholt  König  Max  Joseph  I. 
von  Bayern,  Louis  Philipp,  Robert  Blum,  die  Könige 
Friedrich  Wilhelm  111.  und  IV.,  Königin  Luise,  Franzi. 
von  Oesterreich,  Papst  Pius  VII.  und  Gregor  XVI.  Das 
sind  hier  wie  bei  allen  vorgenannten  Perioden  nur  einige 
wenige,  aufs  Geratewohl  heraus- 
gegrifi'ene  Beispiele.  Mehr  ins  ein- 
zelne zu  gehen,  verbietet  der  Raum. 
Gänzlich  unmöglich  und  auch  ent- 
behrlich sind  nähere  Angaben  über 
die  die  Hauptmasse  bildenden  Per- 
sonen des  Mittelstandes,  zumal 
wenn  sie,  wie  zumeist,  dauern- 
den Ruf  nicht  erworben  hahen. 
Die  Durclmiusterung  in  der  an- 
gedeuteten Reihenfolge,  die  übri- 
gens der  der  Ausstellungsnum- 
niern  keineswegs  entspricht,  ist 
von  hohem  Interesse  für  die  Beo- 
bachtung der  Wandlung  nicht 
allein  der  Trachten ,  für  deren 
Kenntnis  die  Ausstellung  von  gros- 
ser Bedeutung  ist,  sondern  vor 
allem  iur  die  Veränderung  der  all- 
gemein menschlichenErscheinung, 
des  Gesichtsschnittes,  des  Blickes 
und  Ausdruckes  unter  dem  Ein- 
flüsse verschiedenartiger  histori- 
scher Verhältnisse. 

Die  Reilienfolge  der  AussteL 
lung  ist  nach  Gruppen  der  Tech- 
nik erfolgt.  Ist  doch  das  Miniatur- 
bild des  18.  und  19.  Jalirhunderts 
keineswegs  ausschließlich  Erzeug- 
nis der  Malerei,  und  ist  doch  auch 
diese  in   ihren  Mitteln  und  Mate- 


WIiVTEKSONNE 


©^  KLEINPORTRATKUXST  m.. 


rialien  für  den  vorliegeiuien  Zweck 
höchst  mannigfaltig.  Obenan  stellt 
bei  ihr  die  Feinheit  der  Malerei 
mit  Wasserfarben  auf  Elfenbein, 
die  in  einer  reichen  Menge  kost- 
barer Erzeugnisse  vertreten  ist. 
Unter  ihnen  finden  sich  zwei  Werke 
—  Bildnisse  Ludwigs  XVIII.  und 
Kapoleons  —  von  lean  Bapiiste 
Isabey,  eins  von  dem  ausgezeich- 
neten Wiener  Miniaturmaler  Rob. 
Theer.  Ein  Bildnis  Karl  Theo- 
dors ist  1795  von  dem  Münchner 
Joseph  Kaltner  gemalt  und  stellt 
den  Kurfürsten  im  Hermelinmamel 
mit  Kurhut  und  Reichsapfel  dar, 
der  Hintergrund  ist  blau.  Die  übri- 
gen Malereien  dieser  Art  sind  von 
weniger  bekannten  Meistern,  bean- 
spruchen aber  gleichwohl  ihrer 
tüchtigen  künstlerischenQualitäten 
halber  Beachtung.  Danach  folgen 
-Miniaturhildnissc  auf  Porzellan,  das 
geeignet  schien,  das  Elfenbein  zu 
ersetzen,  ohne  daß  doch  die  Bil- 
der den  feinen  Reiz  jener  errei- 
chen konnten.  Gleichwohl  sind 
tüchtige  Arbeiten  dabei,  wie  das 
Bildnis  einer  Frau  Louise  Christ, 
gemalt  von  dem  Karlsruher].  Spel- 
ter, von  dem  wir  hier  vielen  Ar- 
beiten begegnen.  Es  folgen  Ma- 
lereien auf  Leinwand,  Pergament, 
Papier,  Metall,  in  Email  und  an- 
deren Techniken.  Den  Schluß 
dieser  Gruppen  bilden  endlicli 
einige  Stücke,  die  eine  Zwischen- 
stellung zwischen  Miniaturmalerei 
und  Photographie  einnehmen,  in- 
sofern das  Lichtbild  vom  Maler 
farbig  ausgeführt  wurde.  Die  be- 
treffenden Blätter  sind  von  dem 
1800  im  Koburgischen  geborenen, 
1859  in  Mannheim  gestorbenen 
Porträtmaler  Johann  Martin  .Mor- 
genroth.   Hierbei  sei  noch  einiger 

Miniaturmaler  gedacht,  deren  Tüchtigkeit  besonders  her- 
vorlrilt  So  nenne  ich  Heinrich  Karl  Brandt  (1724  — 1787), 
der  in  Wien  geboren  wurde,  es  zum  Mainzischen  und 
KurpLilzischen  Hofmaler  brachte,  1784  nach  München 
kam,  und  dort  elend  zugrunde  ging.  Zu  München 
hatten  weiter  Beziehungen  u.  a.  .Marie  Ellenrieder  aus 
Konstanz  (1791  — 1863),  die  besonders  religiöse  Gegen- 
stände malte;  der  um  1850  lebende  Erdmannsdörfer ; 
Franziska  Schöpfer  (1770  bis  nach  1826  .  Andere  be- 
deutende Miniaturm.iler  dieser  Ausstellung  sind  der 
Lotliringer  J.  B.  J.  Auguslin,  der  königlicher  Hofmaler 
in  Paris  war;  Jakob  Fürchtegott  Dielmann  aus  Sachsen- 
haiisen  (I809— 1885  ,  der  Milbegründer  der  Frankfurt- 
Cronberger  .Malschule.  Weiter  der  tüchtige  .Maler  von 
Kinderbildern  Seb.  Heimle,  der  gleich  dem  vorigen  in 
Frankfurt  ansässig  war.  Ebendaselbst  lebte  seit  1806 
auch  Jos.  Nie.  Peroux  (i 771  — 1849),  der  Lehrer  Fr. 
Dverbecks.  Im  höfischen  Dienst  zu  .Mannheim  stand 
in  der  Mitie  des  18.  Jahrhunderts  Fr.  Jos.  Kisling.  Noch 
erwähne  ich  Karl  Kuntz  (1770  — 1850),  der  in  Karlsruhe 
Hofmalerund  Galeriedirektor  war.  Zur  Karlsruher  Gruppe 
gehörte  auch  Heinr.  Fr.  Schalck  (1791  — 1855),  den  ein 
Sclilagtluß  töteie,  während  er  die  Großherzogin  von 
Baden  malte  Die  gewaltige  Schar  anderer  .Miniatur- 
maler muß  hier  unerwähnt  bleiben. 

Denn  noch  ist  von  anderen  Erzeugnissen  der  Klcin- 


-V.  Iittt-niationttit  Ktmstausstetlung  Miinc/un  iqoif 

porträtkunst  zu  reden.  Zunächst  von  den  plastischen. 
Auf  diesem  Gebiete  kommen  namentlich  die  Wachs- 
bossierungen  in  Betracht.  Sie  sind  größtenteils  poly- 
clironiiert  und  von  überaus  feiner  .-Xusführung.  Eine 
Kindergruppe  mit  Ausblick  in  die  Rheinlandschaft,  ein 
um  181 )  entstandenes  Stück,  gehört  zum  Reizendsien, 
was  man  sehen  kann.  Wahrscheinlich  stammt  es  von 
dem  Mannheimer  Ign.  Ilinel,  dessen  Tätigkeit  zwischen 
i8txi  und  1825  fällt.  .Vusgezeichnet  ist  das  ovale  Brust- 
bild eines  auf  der  Kanzel  predigenden  katholischen  Geist- 
lichen vom  Ende  des   18.  Jahrhunderts. 

Dann  kommt  die  Fülle  der  Bildnisse  in  Porzellan  und 
Fayence,  zu  allcrnicist  Reliefs,  vereinzelt  auch  rund  ge- 
arbeitet. Unter  erstcren  d.is  schon  genannte  Bild  v.  Dal- 
bergs.  Sehr  wertvoll  ist  u.  a.  auch  eine  rund  gearbeitete 
Biskuitbüste  von  Jerome  Napoleon,  ein  Produkt  der 
Fürstenberger  Manufaktur,  von  der  hier  überhaupt  zahl- 
reiche Werke  ausgestellt  sind.  Unter  den  Bildnissen 
in  .\labaster  ragt  durch  Kunstwert  das  Reliefporträt 
des  .Münchner  Malers  und  Galeriedirektors  Georg  Dillis 
hervor.  Das  Werk  stammt  von  dem  vorzüglichen  Pla- 
stikcr  Job.  Pet.  Melchior,  der  1741  in  Lintorf  geboren, 
von  1770  an  in  den  Porzcllanfabriken  von  Höchst  und 
Frankcnthal  tägig  war,  bis  er  die  endgültige  Stätte  seines 
Berufes  in  Nymphenburg  fand      Dort  starb  er  1825. 

Noch  ist  zu  gedenken  der  vielen  feinen  Reliefporträts 


374 


©^  BERLINER  KUNSTBRIEF  J^ö 


in  Marmor,  Stein,  verschiedenen  Metallen,  in  Elfenbein, 
Holz,  Kristall,  Muscheln,  Lava,  Ton,  Gips  und  anderen 
Materialien,  auf  die  unmöglich  im  einzelnen  eingegangen 
werden  kann.  Von  Künstlern  dieser  Richtung  seien  noch 
erwälint  der  Mannheimer  Fried.  Brechter  (1800 — 1890), 
der  Durlacher  Hofmedailleur  Joh.  Marc.  Buckle  (1742 
bis  181 1),  der  Wiener  Manufakturdirektor  und  Professor 
Ant.Grassi(i75  5  — 1807),  der  römische  Gemmenschneider 
Gis.  Girometti  (1780  — 185 1).  Gleichf^üls  in  Rom  wirkte 
der  Karlsruher  Joh.  Clir.  Lotsch  (1780 — 1873),  der  Thor- 
w.xldscn  bei  der  Herstellung  der  Aginetischen  Skulpturen 
half.  Italienischer  Herkunft  war  der  badische  Hof  bildhauer 
M.Jos.  Pozzi  (1770— 1842).  Auch  hei  den  Plastikern  kann 
ich  mich  nur  auf  diese  wenigen  Namen  beschränken. 
Denn  immer  noch  ist  von  der  Ausstellung  zu  sprechen. 
Von  ihrer  großen  Gruppe  der  Silhouetten  in  Papier  und 
Glas,  beide  reich  an  bedeutenden  und  interessanten 
Stücken.  Zu  gedenken  ist  der  Bildnisse  auf  Gebrauchs- 
gegenständen, die  als  Geschenke  der  Freundschalt  dienten. 
Hierunter  sind  besonders  viele  Dosen.  Sie  sind  aus 
Holz,  Schildpatt,  Elfenbein,  Porzellan,  Eisen,  Lack,  Perl- 
mutter und  andern!  Material.  Die  Bildnisse  sind  darauf 
geraalt,  geschnitten,  eingelassen,  aufgelegt.  Ähnlich  ist 
es  mit  jenen,  die  wir  auf  Gläsern,  Tassen,  Pfeifenkopfen, 
auf  Ringen,  Anhängern,  Armbändern,  Broschen,  Uhren, 
Petschaften,  Löfieln,  Lichtschirmen,  ja  auf  Kanapee- 
tlügeln  tinden.  Man  sieht,  daß  die  Mannheimer  Aus- 
stellung Abwechslung  in  Menge  bietet.  Sie  ist  bedeutsam 
wegen  des  von  ihr  gegebenen  außerordentlichen  Studien- 
materials, erfreulich  wegen  der  feinen  ästhetischen  Ge- 
nüsse, die  sie  vermittelt. 


BERLINER  KUNSTBRIEF 

VY7egen  der  damit  verbundenen  bleibenden  Anre- 
gungen weisen  wir  auf  die  im  letzten  Winter  ab- 
gehaltene Internationale  Volkskunst- Ausstel- 
lung hin,  veranstaltet  vom  Deutschen  Lj'ceum- 
Club.  Doch  hat  dieser  einen  >Führer«  herausgegeben, 
in  ersichtlicher  Eile  verfaßt  von  Marie  v.  Bunsen, 
der  zwar  durch  die  etwas  kunterbunte  Ausstellung  selbst 
ungenügend  leitete,  als  Leistung  für  sich  aber  noch  in 
alle  Zukunft  Wert  behält. 

Bisher  wußten  wohl  nur  wenig,  welch  reicher  Schatz 
von  Tradition  nicht  nur  in  der  spontanen  Volkskunst 
steckt,  sondern  auch  von  ihrer  jüngst  in  mehreren  Ländern 
planvoll  durchgeführten  Neubetebung  wieder  aufge- 
nommen worden  ist,  zumal  durch  die  Wiederbelebung 
der  gegen  Ende  des  Mittel.ilters  so  reich  blühenden 
Stickerei.  Aber  auch  angesichts  des  jetzt  Vorgeführten 
merken  die  meisten  vielleicht  gar  nicht,  wie  breit  und 
intim  die  christliche  und  speziell  die  kirchliche  L'ber- 
lieferung  in  Volkskunst  und  Hausleben  gewirkt  hat. 
Unsicherer  sind  deren  Zusammenhänge  mit  Vorchrist- 
lichem. 

Und  nun  die  neuvermittelten  Kenntnisse  einzelner 
Länder!  Schaumburg-Lippe  verblüfi't  geradezu,  nament- 
lich durch  Nachwirkungen  alter  Kirchentraditionen.  Das 
heimische  Motiv  zweier  Vögel  auf  einem  Lorbeerzweige 
mit  einem  Herzen  soll  auf  ein  frülichristliches  Katakomben- 
symbol, die  Ornamentik  von  Hemdspangen  einerseits 
auf  Heidnisches,  anderseits  auf  Kirchengeräte  deuten. 
»Die   Brautkronen«    gehen   unzweifelhaft    auf  die   alten 


HERMANN  URBAN 


GEWITTERSTI.MMUNG  BEI  RIOLA 


.\'.  Internationale  Kunstausstellung  lilünclien  tqop,     Text  S,  s^Q 


OB4  BERI.INRR  ku\'S'i-brii-:f  »«sa 


375 


Hi;HMANN'   LKHAN' 


ii  ai.so.\imi:r 


.V.  Internationale  Kunstttusstetlniig  Mriitelten  iqog.      Text  S  j6g 


Muttergottes-  und  Heiligenkronen  zurücl;.  Bei  einigen 
finden  sich  Bestandteile  aus  Reliquiarkronen  des  12.  Jahr- 
luinderts. 

TeNtilien  mit  biblischen  Szenen,  Symbolen  usw.  sind 
namentlich  in  Norddeutschland  so  häufig,  daß  sie  ein 
Verweilen  verdienen  würden.  Westfälische  Kreuze  und 
Motivplatten,  bayerische  Wachsopfer  u.  dgl.,  süddeutsche 
Wandtafel-Stickereien  usw.  kennzeichnen  ein  heimisches 
Religionsleben.  Reicli  an  einer  mehr  inhaltlicli  als  sinn- 
lich markanten  Religionskunst  sind  unsere  Küstenlande 
von  Sclileswig  bis  Friesland.  Die  schleswigsche  >Beider- 
wand«  aus  Wolle  und  Leinen,  für  Bettvorhänge  u.  dgl. 
mit  Sprüchen,  Bibelstellen  u.  dgl.  versehen,  ist  eine  jetzt 
besonders  beliebte  Entdeckung  (vgl.  die  Veröffentlichung 
von  E.  Sauermann,  Frankfurt  a.  M.,  bei  H.  Keller);  und 
die  Vierlande  mit  ihren  von  der  Zimmerdecke  herab- 
liangenden  Taufkronen  usw.  sind  seit  längerem  ein 
Liebling  der  -Museen. 

Die  »biblischen  Wandteppiche«  lassen  sich  durch 
Dänemark  hindurch  in  den  skandinavischen  und  britan- 
nischen Norden  hinein  verfolgen  —  auch  durch  sonstige 
Ausstellungen  dieser  Zeit.  Schwedens  reiche  Spitren- 
technik  erinnert  an  Birgittas  Kloster  von  1546:  die  neuen 
Bestrebungen  in  England  und  besonders  in  Irland  wer- 
den durch  dortige  Klöster  unterstützt;  Südamerika  scheint 
nocli  von  den  früheren  Jesuitenklöstern  zu  zehren. 

Neben  Osterreich,  dessen  neue  staatliche  Spitzen- 
industrie seit  einem  Jahrzehnt  vielbewundert  ist,  hat 
Ungarn,  besonders  das  obere,  das  alte  Werkstältenwerk 
der  Königin  Gisela  wieder  aufgenommen  und  seine 
mittelalterlichen   Kirchengewänder   usw.  neu   verwertet. 


Frankreich  benutzt  seine  volkstümlichen  Schätze,  zumal 
die  bretonischen,  anscheinend  nur  erst  in  vereinzelter 
Weise;  Italien  dagegen  hebt  sich  durch  .systematische 
Vereinstätigkeit,  und  in  Assisi  geben  (Chorhemden  und 
Altardecken  neue  feine  Arbeit.  Griechenland  scheint  sein 
Altertum  und  byzantinisches  Mittelalter  mit  Hilfe  einer 
königlichen  Scliule  besonders  zu  ornamentalen  Stilisie- 
rungen zu  verwerten,  die  erträglicher  sind  als  viele 
andere.  Bulgariens  und  Rumäniens  Förderung  des  Haus- 
tleißeswird  aufs  neue  bekannt;  bulgarische  Kreuze  u.  dgl. 
fallen  gut  auf.  Doch  vielleicht  d.is  llauptereignis 
der  iXusslellung  bedeutet  abermals  Rußland.  Seine  sehr 
alte,  speziell  kirchliche  Stickerei,  mit  Tendenz  zu  byzan- 
tinischer Pracht,  wird  staatlich  und  privat  neu  gefördert, 
und  das  Ergebnis  scheint  hier  überhaupt  zum  ersten 
Male  deutlich  erkennbar  zu  sein.  Eine  >Muttergoites- 
Spitze«  zeigt  Pfauen  in  Strahlenschein;  Bilder  von  Christi 
Grablegung  u.  dgl.  zeigen  sich  auf  Textilien;  LötVel  ent- 
halten in  ihrem  breiten  durchbrochenen  Stiel  Ileiligen- 
szenen;  und  am  beneidenswertesten  dürften  gegenüber 
abendlandischer  Kirchenstickerci  die  russischen  Popen- 
mäntel  sein.  — 

Haben  wir  zugunsten  einer  auch  für  christliche  Kultur 
überhaupt  so  lehrreichen  F-xposition  eine  Ausnahme  von 
unserer  sonstigen  Beschrankung  auf  »hohe«  Kunst  ge- 
macht, so  kehren  wir  zu  dieser  zurück  durch  ein  paar 
Blicke  auf  die  ständigen  Ausstellungen  des  Kupier- 
stich ka  b  in  ettes  und  bed.\uern,  nicht  langer  verweilen 
zu  können  bei  den  Buchmalereien  und  Minialuren,  die 
im  I  I.Jahrhundert  mit  deutschen  livangcliarien  beginnen 
und   ins    14.,  1  >.  Jahrliundett    hinein   einen    gewaltigen 


376 


^ms  ALTES  BAYERISCHES  l'C^RZl-I.LAN  »^a 


JULIUS  SCHRÄG 


VLAMISCHES  IXl'ERIEUR 


,V.  Init'vtiaiion.iU-   Kunslr.itistelluni;  Mnncltcn  IQcQ 


Aufbclnvung  nehmen.  Neu-Erwerbunoen  der  alten  Ab- 
teilung zeigen,  von  des  Meisters  E.  Entwurf  zu  einer 
gotischen  Monstranz  angefangen,  besonders  neutestament- 
liche  Szenen  auf  Holzschnitten  und  Kupferstichen  (her- 
vorragend eine  >Auferstehung<i  des  vordürerschen  J.  van 
Meclcenem,  eine  unvollendete  Gruppe  aus  einer  Hirten- 
anbetung des  virtuosen  H.  Goltzius,  ein  Christus  und 
eine  Madonna  des  J.  Morin  in  seiner  Portratradierungs- 
manier);  darunter  manche  von  den  typischen  Nach- 
ahmungsgraphikern des  16.  Jahrhunderts.  —  Die  neue 
Kabinettsahteilung  brachte  zuletzt  französische  Radie- 
rungen und  Grabstichelarbeiten  des  19.  Jahrhunderts, 
leider  wiederum  mit  geringer  Ausbeute  für  christliche 
Kunst.  Doch  konnte  man  sich  dafür  interessieren,  wie 
von  der  mehr  linearen  Tendenz  eines  J.  A.  D.  Ingres 
(Portrat  des  Erzbischofs  von  Rennes  1816)  zu  der  mehr 
llächigen  eines  E.  Manet  gegangen  wird,  die  dann  A. 
Besnard  wieder  etwas  ins  Lineare  zieht;  oder  wie  E. 
Burnand  das  Gedicht  Mistrals  »Mireio'i  illustriert;  oder 
für  die  Bretonierinnen  von  Ch.  Cottet.  Dagegen  wur- 
den jetzt  kirchlich-künstlerische  Interessen  befriedigt  durch 
Kupferstiche  von  Ferd.  Gaillard  (1834 — 1S87).  Seine 
Linienfeinheit  zeigt  sich  in  der  Reproduktion  seines  ei- 
genen Sebastiangemäldes,  seine  Porträtkunst  in  mehreren 
Bildnissen  von  Kirchenfürsten  u.  dgl.  Das  Porträt  des 
Liturgie-  und  Musikforschers  P.  Gueranger  ist  in  drei 
von  den  1 3  Zuständen  vorhanden,  durch  welche  hin- 
durch der  Künstler  eine  Vollendung  erreicht  hat,  der 
vielleicht  manche  Moderne  den  fleckigen  dritten  Zustand 

vorziellen    würden.  Dr.    H.ins  Schmidkunz 


ALTES  BAYERISCHES  PORZELLAN 

InNo.  10  wurde  bereits  mitgeteilt,  daß  das  Bayerische 
Kationalmuseum  von  Endejuli  bis  Mitte  September  d.  J. 
eine  Ausstellung  alten  bayerischen  Porzellans  veranstal- 
ten wird.  Die  Ausstellung  ist  nunmehr  eröffnet.  Der 
offizielle  Katalog  derselben  wurde  von  dem  Kg!.  Konser- 
vator Dr.  Fr.  FL  Hofmann  mustergültig  verfaßt.  Er  gibt 
ein  klares  übersichtliches  Bild  von  der  Ausstellung  und 
ermöglicht  eine  rasche  Orientierung.  Der  Text  ist  knapp, 
frei  von  unnötigem  Ballast,  dabei  vollständig  und  an- 
schaulich. 24  vorzügliche  gut  gewählte  ganzseitige  Ab- 
bildungen führen  die  markantesten  Typen  der  Fabrika- 
tion verschiedener  Manufakturen  vor,  wodurch  der  Kata- 
log eine  wertvolle,  künstlerische  Bereicherung  erfährt 
und  eine  eriiöhte  Bedeutung  erlangt.  Der  Aufbau  des 
Ganzen  ist  sehr  glücklicli.  Direktor  Dr.  Hans  Stegmann 
leitet  den  Katalog  mit  einem  kurzen  Vorwort  ein.  Daran 
schließt  sich  ein  Verzeichnis  der  .Kussteller.  Diesem  lolgt 
ein  geschichtlicher  Abriß  der  Manufakturen  nebst  Er- 
klärung des  Markenwesens  der  einzelnen  Fabriken  und 
ihrer  Künstler.  Hierauf  gibt  uns  ein  Verzeichnis  über 
die  bis  jetzt  erschienene  Literatur  Aufschluß.  Daran  reiht 
sich  die  Beschreibung  der  ausgestellten  21 51  Gegen- 
stände. Mit  den  Abbildungen  schließt  der  Katalog  ab. 
Herrn  Dr.  Fr.  H.  Hofmann"  gebührt  für  seine  Leistung 
volle  Anerkennung.  Der  Preis  des  Kataloges  ist  niedrig  ge- 
halten, er  beträgt  nur  M.  1.50.  Die  Ausstellungsbesucher 
werden  dies  den  Veranstaltern  besonders  danken. 


Für  die  Kedaklio 


;   S.  Slaudha 
Drack  von 


enadeplatz  3) ;    Verlag  de 


Gesellschaft  für  ehr 
in  München. 


itliche  Kunst,   G.  1 


BEILAGE 


WETTBEWERB  FÜR  EINEN  ZIERBRUNNEN 


WETTBEWERB  FÜR  EINEN  ZIER- 
BRUNNEN 

r^as  moderne  München  hat  von  dem  Erbe  Ludwigs  I. 
Besitz  genommen;  es  setzt  alles  daran,  das  herrliche 
Stadtbild  immer  reicher  und  mannigfaltiger  auszugestalten. 
Man  findet  bald  keinen  größeren  Platz  oder  keine  An- 
lage mehr  ohne  eine  Bildsäule  oder  einen  Brunnen. 
In  all  diesen  Denkmalen  tritt  die  Plastik  als  rautnschmük- 
kende  Kunst  auf.  Sie  hat  infolge  dieser  mannigfaltigen 
Anwendung  in  München  eine  vorzügliche  Förderung 
erfahren.  Den  Künstlern  bietet  .sich  durch  Anteilnahme 
an  Wettbewerben,  die  zur  Eilanj^ung  von  Entwürfen  für 
öffentliche  Denkmale,  Brunnen  u.  dgl.  dienen,  reichlich 
Gelegenheit  zur  Entfaltung  ihres  Könnens.  Denn  nichts 
ist  besser  geeignet,  die  Phantasie  zu  fruchtbarem  Schaffen 
anzuregen,  als  Ideen  für  ganz  bestimmte  Zwecke  und 
positive  Aufgaben.  Man  veranstaltet  Ideenkonkurrenzen, 
um  Vorschläge  und  Pläne  für  einen  ganz  bestimmten 
Zweck  zu  gewinnen.  Wenn  es  sich  dabei  um  die  Aus- 
schmückung eines  Platzes  durch  einen  Brunnen  handelt, 
so  soU  die  Ideenkonkurrenz  Pläne  und  Skizzen  für  die 
räumliche  Ausgestaltung  der  üblichen  Situation  zutage 
fördern;  sie  soll  ferner  die  künstlerische  Idee  des  gegen- 
ständlichen Motives  klarlegen,  ein  anschauliches  Bild  der 
räumlichen  Anordnung  desselben  und  der  Gröüenver- 
hältnisse  geben.  Die  Skizze  soll  noch  außerdem  das 
Material  und  den  Stoff  andeuten,  aus  dem  das  künst- 
lerische Gebilde  erstehen  soll.  Skizzen  zu  Wettbewerben 
sollen  vor  allem  die  örtliche  Situierung,  die  räumliche 
Ausgestaltung  und  die  gegenständliche  Bedeutung  des 
Motives  in  einem  klar  durchdachten,  anschaulich  gezeich- 
neten Bilde  vorführen.  Die  Münchener  Wettbewerbe 
zeichnen  sich  im  allgemeinen  durch  derartig  künstlerische 
Qualitäten  aus.  Aber  nicht  alle  Wettbewerbe  stehen 
auf  derselben  Stufe.  Der  letzte  Wettbewerb  zur  Er- 
langung von  Entwürfen  für  einen  Zierbrunnen  am  Josefs- 
filatz  wirkte  mehr  durch  die  Quantität  als  die  Qualität. 
Über  90  Modelle  waren  dazu  eingelaufen')  und  man 
durfte  eine  ziemliche  Anzahl  interessanter  Lösungen  er 
warten.  Statt  dessen  gewahrte  man  vielfach  Nachah- 
mungen bekannter,  bereits  ausgeführter  Denkmale  und 
daher  wenig  Originalität  in  der  Erfindung.  Zwar  fehlte 
es  nicht  an  Phantasieprojekten:  wie  z.  B.  eine  ins  Riesen 
hafte  gehende  und  vielleicht  das  zehnfache  des  Kosten- 
Voranschlags  überschreitende  Platzgestaltung  oder  der 
Elefantenbrunnen  und  dergleichen.  Mehrfach  wurde  die 
Idee,  die  Flucht  nach  Ägypten  plastisch  darzustellen  und 
monumental  zu  verwerten,  variiert.  Die  Aufgabe  eines 
Zierbrunnens  zur  Ausschmückung  des  Josephsplatzes  bot 
eben  für  einen  erfinderischen  Kopf  eine  Fülle  von  Mög- 
lichkeiten dar. 

Die  Lage  des  Platzes  ist  derErrichtung  eines  schmucken 
Brunnens  günstig;  der  Platz  wird  von  Häusern  um- 
schlossen, die  ziemlich  einheitliche  Größenverhältnisse 
und  einen  ziemlich  einheitlichen  architektonischen  Cha- 
rakter aufweisen.  An  einer  Seite  des  Platzes  tritt  die 
Kirche  stark  hervor;  sie  bildet  gleichsam  die  architek- 
tonische und  gegenständliche  Dominante;  sie  übt  natürlich 
auch  auf  die  Größenverlialtnisse,  den  formalen  Charakter 
und  das  gegenständliche  Motiv  des  Brunnens  ihren  Ein- 
lluü,  wenn  dieser,  was  sehr  nalieliegt,  der  Kirche  gegen- 
über aufgestellt  wird.  Der  Platz  erhält  aber  auch  eine 
ganz  besondere  Ansicht  durch  ausgedehnte  gärtnerische 
Anlagen,  die  gerade  l'ür  eine  offene  Brunnenanlage  weilen 
Spielraum  bieten.  Die  meisten  Projekte  fassen  auch 
diese  beiden  Gestaltungsmöglichkeiten  ins  Auge;  ihre 
Urheber  dachten  sich  die  Aufstellung  des  Brunnens  ent- 
weder der  Kirche  gegenüber  oder  in  die  Mitte  der  Anlage. 

Das  Preisgericht  hatte  fünf  Projekte  ausgewälilt  und 


als  gleichwertig  begutachtet.  Von  diesen  fünf  befassen 
sich  vier  eingehender  mit  der  Platzgestaltung.  Drexler 
und  Koppel  denken  sich  eine  offene  Brunnenanlage 
an  das  Ende  des  Platzes  gestellt;  Alberts  hofer  und 
Bestelmeyer  verlegen  den  Brunnen  in  die  Mitte  des 
Platzes,  wobei  eine  gärtnerische  und  künstlerische  Aus- 
gestaltung der  Anlagen  vorgesehen  ist.  Das  Projekt  von 
Prof  Erwin  Kurz  und  Otho  Orlando  Kurz  faßt 
den  Platz  gegenüber  der  Kirche  ins  Auge  und  gestaltet 
ihn  durch  einen  offenen,  sich  dem  Terrain  und  der  An- 
lage anschmiegenden  Brunnen,  der  mit  einer  Gruppe 
von  Adam  und  Eva  geschmückt  ist;  ebenso  Henimes- 
d orfer,  der  einen  Brunnen  mit  einer  Steingruppe,  die 
Flucht  nach  Ägypten  darstellend,  mit  einer  leicht  an- 
steigenden Terrasse  und  Sitzbänken  verbindet.  Netzers 
Projekt  könnte  an  irgend  einer  Stelle  des  Platzes  zur 
Ausführung  gebracht  werden. 

Außer  diesen  fünf  Entwürfen  hätte  das  Preisgericht 
vielleicht  noch  weitere  fünf  Skizzen  begutachten  und 
mit  einer  lobenden  Erwähnung  auszeichnen  können. 
Vielleicht  wäre  dieser  Weg  auch  einmal  einzuschlagen. 
Man  zeichnet  eine  oder  zwei  Arbeiten  mit  Geldprämien 
aus  und  verteilt  an  die  Urheber  weiterer  guter  Entwürfe 
Diplome,  die  von  den  Preisriclitern  unterzeichnet  werden. 
Sciiließlich  kann  doch  immer  nur  eine  Arbeit  zur  Aus- 
führung kommen.  Dabei  wäre  es  wünschenswert,  daß 
auch  immer  das  Preisgericht  seinen  künstlerischen  Ein- 
fluß geltend  macht.  Nicht  selten  ist  es  so:  das  Preis- 
gericht denkt  und  der  Besteller  lenkt,  und  tut  was  er 
mag.  A.  H. 


■)  Da!  Ergebni! 


irde  bereits  im  10.  Hefl  milgeieill.    D   R. 


OTTO  ZF.HENTBAfER  TOSSKI/ZE  ZL'  KIKI-M   KPITAPH 


KUNSTBRIEF  i-AUS  BARMEN 


W.  GÖHRING 
GRABSTEINSKIZZE 


deraltbergischen  Innenkunst  und  umfaßt  dabei  denZeitraum 
von  1700 — 1850.  Eigenarten  der  bergischen  Kunst  lassen 
sich  aus  den  dargebotenen  Werl<en  wohl  erkennen.  Neben 
der  Truhe  bildet  der  Schrank  das  wichtigste  Möbel  und 
zwar  der  Glasschrank,  der,  gerade  dem  bergischen  Lande 
eigen,  fast  in  keinem  Hause  fehlen  durfte.  Seine  Ent- 
wicklung vom  alten  >Shap<  zum  Rokoko-Schrank  läßt 
sich  an  den  ausgestellten  Stücken  verfolgen.  Im  Aufbau 
mischen  sich  holländische  Einflüsse  mit  heimischen  Ele- 
menten, während  das  Rahmenwerk  zuweilen  stark  an 
Bretzel-Backwerk  erinnert.  Das  prächtigste  Stück  der  Aus- 
stellung sowie  des  ganzen  Landes  wohl  stellt  der  große 
Prachtschrank  aus  dem  Besitze  des  Dr.  Deubel-Barmen 
dar.  Das  Empire  bietet  weniger  dem  bergischen  Lande 
Charakteristisches.  Das  Schwanenmotiv  scheint  eine 
solche  Eigenheit  darzustellen,  und  manche  Tische  zeigen 
eine  sehr  aparte  Form  der  Träger.  Der  Biedermeierstil, 
der  jetzt  erst  wieder  beginnt  beachtet  zu  werden  — • 
pflegen  doch  meistens  70 — 80  Jahre  zu  vergehen,  ehe  ein 
Stil  historisch  wird  —  ist  auf  der  Ausstellung  durch  eine 
reizende  Einrichtung  vertreten  in  Kirschbaumholz,  das 
jener  Stil  besonders  liebte.  Biedermeier  und  Empire  sind 
die  Epochen,  von  denen  der  moderne  Stil  ausgeht.  Es 
ist  gut,  daß  das  Publikum  durch  eine  solche  Ausstellung 
auf  diese  Quellen  hingewiesen  wird  und  daß  so  auch 
dem  unberechtigten  Vorurteile  gegen  jene  Zeit,  dem  man 
so  häufig  begegnet,  gesteuert  wird. 

Und  nun  noch  ein  Wort  über  die  Abteilung,  die  die 
modernen  Kunstwerke  aus  Barmer  Privatbesitz  vereint. 
Den  glänzendsten  und  größten  Beitrag  haben  die  Samm- 
lungen des  Hugo  Toelle  und  der  Frau  Carl  Toelle 
geliefert.   Lauter  erste  Namen,  lauter  Meisterwerke  bieten 


KUNSTBRIEF  AUS  BARMEN 

P)ie  gegenwärtige  Ausstellung  altbergischer  In- 
nenkunst und  moderner  Kunstwerke  aus 
Barmer  Privatbesitz,  aus  Anlaß  der  Jahrhundert- 
feier der  Stadt  veranstaltet,  ist  wohl  das  erste 
größere  Ereignis,  das  Barmens  Ruf  als  moderne 
Kunststadt  in  weitere  Kreise  dringen  läßt.  Sicher- 
lich glaubten  die  Einwohner  auch  vorher  schon, 
auf  einen  solchen  Ruf  Anspruch  machen  zu 
können.  Aber  was  bot  denn  Barmen  in  künst- 
lerischer Beziehung?  Ein  Kunstverein,  1866  ge- 
gründet, suchte  unter  seinen  Mitgliedern  die 
künstlerische  Kultur  zu  heben,  veranstaltete  perio- 
disch wechselnde  Ausstellungen,  in  denen  er  die 
Besucher  mit  modernen  Meistern  bekannt  machte. 
Aber  der  Barmer  Kunstverein  bot,  wie  mancher 
seiner  Genossen,  in  seinen  Ausstellungen  ein 
willkommenes  und  stark  beanspruchtes  Refugium. 
Von  größter  Wichtigkeit  für  den  Verein  ward 
die  Errichtung  der  RuhmeshaUe,  1895  —  1 900  nach 
Planen  von  Hartig  erbaut.  Der  Verein  erhielt  nun 
eine  dauernde  Heimstätte  für  seine  Ausstellungen 
und,  was  wichtiger  war,  für  die  Gemäldesamm- 
lung, die  im  Laufe  der  Jahre  erworben,  lange 
Zeit  jedoch  infolge  Raummangels  geschlossen 
war.  Die  Sammlung  weist  manch  gutes  Stück 
auf  und  nur  die  besten  Namen  seien  hier  genannt. 
Ferdinand  Brütt  ist  mit  zwei  Bildern  ver- 
treten, ihm  schließt  sich  an  Fritz  Erler  mit 
dem  »Mädchen  in  Weiß«,  Otto  von  Faber 
du  Faur  mit  einem  großen  Geschichtsbild,  C. 
Becker  und  G.  Wendung  mit  dem  gemein- 
samen Bilde  »Hamburger  Hafen « ,  ferner  Charles 
Hoguet,  Fr.  v.  Lenbach  (Bismarckporträt), 
H.WillemMesdag,  Claus  Meyer, Ludwig 
Munthe,  Ludwig  Neuhoff,  Adelsteen 
Normann,  Georg  Oeder,  Hans  Thoma 
(Wiese  mit  Pappeln)  und  Fritz  von  Uhde. 
Die  gegenwärtige  Ausstellung  nun  gilt  zunächst 


CHR.  UNTERPIERINGER 

GRABSTEINSKIZZE 


sie  dar.  Von  Courbet  ist  eine  Landschaft  und  eine 
durch  ihre  feinen  Übergänge  ausgezeichnete  Marine  zu 
sehen.  Ihm  schließt  sich  an  Böcklin  mit  einer  Land- 
schaft vom  Jahre  1853,  die  in  der  Komposition  noch 
unter  Schirmers  Einfluß,  in  der  Farbe  doch  schon  eine 
stark  persönliche  Sprache  redet.  Von  demselben  Meister 
zeigt  die  Ausstellung  den  durch  eine  unheimliche  Stim- 
mung ausgezeichneten  »Hüter  des  Geheimnisses«  und 
das  Bild  »Gottvater  zeigt  Adam  das  Paradies«.  Von  Leibl 
besitzen  die  Sammlungen  drei  Kabinettstücke.  Von  den  Se- 
cessionisten  ist  L  i  e  b  e r  m  a  n  n  durch  seine  »Korbflechterin « , 
den  »Waisenhausgarten  in  Amsterdam«  (Kreidezeichnung) 
und  das  Bild  »In  der  Düne«  vertreten.  Ihm  schließt  sich 
Corinth  mit  einem  seiner  besten  Werke  an:  »Rudolf 
Rittner  als  Florian  Gej'er.«  Von  Zügel  ist  ein  inter- 
essantes Frühwerk,  zwei  prächtige  Schaf  köpfe,  ausgestellt, 
bei  dem  man  noch  nichts  ahnt  von  des  Meisters  späterem 
Stil.  Neben  Stucks  außerordentlich  weichem  »Pastell- 
bildnis der  Frau  Professor  Braun«  und  dem  dekorativen 
farbigen  »Bacchantenzug«  sind  einige  Bildnisse  von  Len- 
bach zu  nennen.  Daß  H engeler,  von  dem  das  köst- 
liche »Idyll«  und  andere  lustige  Bildchen  ausgestellt  sind, 
auch  einen  so  ernsten,  schwermütigen  Abendfrieden  malen 
konnte,  wird  manchem  neu  sein.  Die  Düsseldorfer  sind 
durch  ihre  ersten  Meister  vertreten.  Interessant  ist  das 
Frühbild  des  M.  Ciarenbach,  sowie  Seh  reuers 
»Bauernhof«,  von  seltener  Farbigkeit  und  höchstem  male- 
rischem Werte.  Von  G.  v.  Bochmann,  E.  V.  Gebhardt, 
E.  und  A.  Kampf  sieht  man  Meisterwerke;  die  Worps- 
weder  Modersohn  und  Hans  am  Ende,  außerdem 
Zuloaga  und  Herkomer  sind  mit  ebenso  vorzüglichen 
wie  charakteristischen  Bildern  vertreten.    Dr.  Heribert  Reiners 


BERLINER  KUNSTBRIEF 


BERLINER  KUNSTBRIEF 

A  dolf  V.  Menzels  Assistent,  sozusagen,  war  Fritz 
Werner.  Geboren  1827,  dann  im  Besitze  fran- 
zösischer Eindrücke,  die  ihn  bereits  damals  gegenüber 
der  Romantik  auf  Seite  eines  Realismus  stellten,  wurde 
er  der  bekannte  graphische  Interpret  jenes  Meisters. 
Eine  Gesaratausstellung  in  der  Berliner  Akademie  der 
Künste  faßte  sein  Lebenswerk  zusammen,  und  gleich- 
zeitig (16.  April  1908)  starb  der  hochgeehrte,  aber  längst 
nicht  mehr  allgemein  interessierende  Grenadiermaler. 

Die  Graphik  verläßt  uns  auf  unseren  Kunstwande- 
rungen gerade  jetzt  am  wenigsten.  Caspers  Kunst- 
salon stellte  moderne  Meislerzeichnungen  aus.  Weib- 
liche Studienköpfe  des  Franzosen  N.  Diaz  und  unseres 
L.  Knaus  hoben  sich  besonders  hervor;  von  dem 
Radierer  W.  Unger  überraschte  die  Sepiamalerei  einer 
gotischen  Halle. 

Die  Kunstausstellung  Wert  heim  setzt  nach  wie  vor 
große  Truppen  junger  Landschafter  in  Bewegung.  Den 
bereits  durch  Bilder  aus  Kirchengeschichte  u.  dgl.  gut 
bekannten  Berliner  Adolf  Schlabitz  begrüßen  wir 
wieder  bei  einem  Gemälde  >An  der  Klosterpforte«. 
Unter  anderen  Landschaften  interessiert  ein  in  drei  Zeiten 
verschieden  erscheinender  >Malerwinkel<  (schon  der 
Japaner  Hokusai  und  der  Franzose  Monet  hatten  derlei 
Variationen  gemalt).  Der  Uthographische  Charakter 
moderner  Malerei  ist  bei  diesem  Künstler  ebenfalls  zu 
merken.  Wir  nehmen  von  ihm  gleich  auch  das  gut 
monumentale  Wandbild  auf  der  jetzigen  »Großen«  an- 
erkennend vorweg:  »Martin  Rückarts  Bittgottesdienst  in 
größter  Kriegsnot  am  24.  Februar  1659  zu  Eilenburg«. 
Um  noch  wenigstens  zwei  Namen  bei  Wertheira  zu 
nennen,  verweisen  wir  auf  einen  »Sonnigen  Altar«  des 
Dresdeners  Max  Kowarzik  und  auf  eine  »Abend- 
sonne« des  Düsseldorfers  Willi  Kukuk. 

Wiederum  den  Vorrang  des  Graphischen  in  der 
modernen  Kunst  zeigen  die,  im  übrigen  etwas  einför- 
migen Landschaften  von  Paul  Baum  bei  P.  Cassirer, 
dessen  Salon  weiterhin  in  ziemHch  gleichmäßiger  Weise 
bei  seinen  französischen  und  deutschen  Franzosen  bleibt. 
Doch  sei  hier  Philipp  Klein  j  ob  anmutiger  einheit- 
licher Farbenlichter  gerühmt. 


Einen  direkten  Erfolg  hatte  die  Schwarz-Weiß-Kunst 
besonders  durch  die  .Ausstellung  von  Originalen  der 
Berliner  Illustrierten  Zeitung  in  der  Galerie  Schulte. 
Es  liegt  in  ihnen  mehr  gute  Phantastik,  als  man  von 
moderner  JoumalreaHstik  erwarten  möchte ;  in  diesem 
Sinne  verdienen  z.  B.  der  Münchener  Robert  Engels 
und  der  Magdeburger  .\lois  Kolb  Erwähnung. 

In  derselben  Galerie  nötigten  uns  besonders  Medail- 
len und  Plaketten  von  Rudolf  Mayer  Achtung  ab. 
Sie  sind  ziemHch  malerisch  weich  gehalten.  Neben 
Porträts  (z.  B.  der  sehr  breitflächigen  Eisenplakette  »Meine 
Mutter«)  liebt  der  Künstler  Themen  wie  »Moles  cura- 
rum«.  Weniger  als  dieses  gefiel  uns  ein  Christus  mit 
Dornenkrone  und  das  sehr  virtuose,  aber  äußerliche 
Stück  >In  Precibus«. 

Margarete  v.  Kurowski,  Münchnerin,  starb  vor 
zwei  Jahren,  wohl  noch  unausgereift.  Mehrere  ihrer 
weichdunklen  Mutterbilder  sahen  wir  jetzt  bei  Schulte. 

Der  Brand  der  Berhner  Gamisonskirche  mußte  die 
Beteiligten  auch  in  Rücksicht  auf  die  von  frommer  Ge- 
schichte gesättigte  Stimmung  dieses  traditionsreichen 
Gotteshauses  schmerzen.  Georg  Schöbel  malte 
mehrere  der  wirklich  ergreifenden  Eindrücke  nach  dem 
Brande;  neben  diesen  Bildern  war  eines  von  F.  Skar- 
bina  ausgestellt,  das  die  Gruft  darstellte. 

Eine  GesamtaussteUung  von  H.  Zügel  zwingt  jeden 
malerisch  Interessierten  zu  längerem  Verweilen.  Der 
Künstler  bekundet  namentlich  durch  sein  Hineinarbeiten 
der  Tierbewegungen  in  die  Landschaft  eine  hohe  Kunst- 
gewandtheit. Auch  die  friesischen  Mädchen  u.  dergl. 
von  O.  H.  Engel  mit  ihrem  feuchtfrischen  Zuge  sieht 
man  immer  gerne.  Duftige  Landschaften  eines  anschei- 
nend noch  Jungen,  Max  Fritz,  schheßen  sich  an.  Unter 
Porträts  interessieren  die  flottspielenden  Kinder  u.  dergl. 
von  F.  Menshausen-Labriola,  anscheinend  von 
Engländern  (Romnev?)  beeinflußt. 

K.H.K.Steffeck(i8i8— 1890)  erschien  bei  Schulte 
jahrhundertlich.  Interessanter  als  seine  allgemein  ge- 
rühmten Tiere  schienen  uns  einige  Porträts  von  ihm 
zu  sein.  Sie  erzielen  eine  zum  Teil  mächtige  Wirkung 
durch  etwas,  das  gerade  heute  so  sehr  fehlt :  wir  möchten 
von  »Sachtreue«  sprechen. 

In  das  Gegenteil,   in   eine  Phantastik  mit  sehr  weit- 


OTTO  ZEHENTBAÜER 


SKIZZE  Zu  EIKEM  CRABDENKUAI, 


BERLINER  KUNSTBRIEF 


gehender  Vereinfachung,  führt  uns  die  Sonderausstel- 
lung für  Carl  Leipold  im  Künstlerhause.  Wir  hatten 
ihn  bereits  hervorgehoben,  als  noch  wenig  von  ihm  zu 
sehen  war.  Jetzt  bestätigt  sich  uns  der  Eindrucli,  daß 
wir  es  mit  einer  nicht  nur  darstellerischen,  sondern 
auch  schöpferischen  Kraft  zu  tun  haben,  deren  Stim- 
mungssüßigkeit (etwa  ein  ins  Malerisclie  übersetztes 
Harmoniumspiel)  allerdings  nicht  jedermanns  Sache  sein 
wird.  Aber  sein  »Es  werde  Licht<  und  namentlich 
seine  Meeresbilder  aus  der  tropischen  Welt  bleiben  in 
der  Erinnerung.  —  Das  Künstlerhaus  pflegt  weiterhin 
die  Geschicidichkeit  der  speziellen  Landes-Landschaft. 
Unter  den  neueren  von  diesen  Heimatkünstlern  mag 
der  Berliner  Heinrich  Krauel  genannt  sein. 

Aus  Florenz  kam  A.  v.  Suckow  mit  einer  eigenen 
Sonderausstellung.  Er  schafft  namentlich  eigenartige 
Szenerien  auf  dem  Meere.  So  seine  aVision«,  in  welcher 
den  wogenkämpfenden  Schiffern  weit  rückwärts  in  kleiner 
Figur  Christus  erscheint.  Auch  »Fhrtende  Minnesängerc 
erscheinen  auf  dem  Meere;  ein  »Seeraub«  setzt  diese 
Themenwahl  fort.  Eine  nächtHche  Prozession  in  Taor- 
mina  und  ein  S.  Sebastiano  (Aktstudie  in  altitalienischem 
Stil)  zeigen  des  Malers  Anlage  für  kirchliche  Themen 
und  für  Verwertung  der  Tradition.  Gerne  würden  wir 
diesem  seelisch  begabten  Landschafter  bald  wieder  be- 
gegnen, sei  es  auch  nur  mit^Stücken  wie  seinem  »Grab- 
mal im  OHvenhain«. 

Eine  kurze  Reverenz  sei  der  Ausstellung  von  Nürn- 
berger Stadtbildern  gewidmet,  welche  der  seit  dem  vierten 
Lebensjahre  taubstumme  Paul  Ritter  (1829 — 1907)  mit 
viel  Hingebung  gemalt  hat.  Der  Salon  K  e  1 1  e  r  &  R  ei  n  e  r 
macht  sich  mit  solchen  Kollektionen  sehr  verdient.  In 
Hans  Unger  (den  wir  auf  der  Berliner  Großen  1908 
mit  einigen  der  folgenden  Stücke  wiederfinden)  zeigt 
er  uns  einen  Meister  von  sibyllenhaft  großzügigen,  wenn- 
gleich auch  etwas  gekünstelten  Frauenköpfen.  In  einer 
der  farbig   sehr  einheitlichen  Landschaften   des   Malers 


HEINRICH  EBERLE 


Stehen  eindrucksvoll  »Mutter  und  Kind«.  —  Im  Vorüber- 
gehen interessieren  wir  uns  noch  für  die  Originalradie- 
rungen (zum  Teil  leise  farbig)  des  Kopenhageners  Ernst 
Krause,  bei  denen  namentlich  der  Wechsel  von  paral- 
lelen und  rechtwinkelig  gekreuzten  Strichen  auffällt. 

Den  Bann,  den  unsere  Salons  gewöhnlich  über  der 
religiösen  Kunst  halten,  brechen  noch  am  ehesten  Keller 
&  Reiner.  Der  in  Cincinnati  und  Berlin  lebende  Maler 
Arthur  Johnson  nähert  sich  solcher  Kunst  wenigstens 
durch  sein  großes  Triptychon  »Und  der  Herr  sprach«. 
In  einer  hübsch  geformten  Umrahmung  sehen  wir  auf 
düsterem  Grün  und  Blau  die  erschreckten  ersten  Men- 
schen ;  daneben  auf  schmalen  Seitenflügeln  etwas  kit- 
schige Nebenfiguren. 

Die  umfangreichste  Sammlung  von  einer  wenigstens 
dem  Thema  nach  religiösen  Kunst,  die  uns  seit  langem 
untergekommen,  brachte  jener  Salon  Mitte  April.  Merk- 
würdigerweise war  gerade  diese  Ausstellung  recht  sehr 
vernachlässigt:  nur  kurz  ließ  man  ihr  Zeit,  und  keine 
Spur  eines  Verzeichnisses  unterrichtete  uns  über  die 
gerade  hier  nicht  leicht  auseinanderzuhaltenden  Tech- 
niken der  Bilder.  Auch  das  Kunstgewerbemuseum,  das 
zur  Erinnerung  an  seinen  verstorbenen  Direktor  Lessing 
eine  Ausstellungsehrung  veranstaltete,  heß  seine  sonstige 
Geschicklichkeit  in  derartigen  Vorführungen  so  sehr  bei 
Seite,  daß  der  Beschauer  mit  wenig  freundlichen  Ge- 
danken alles  Weitere  den  Literaturstudien  überlassen 
konnte. 

Jene  religiösen  Bilder  wurden  im  Mai  1908  in  Amster- 
dam   versteigert.     Es    sind  Zeichnungen    und  Malereien 
teils   in  Pastell,    Blei,    Kohle,    Feder,   teils   in    Aquarell, 
Sepia,    Tusch.      Dieselben    hatten    einem    illustrierten 
Bibelwerk  als  Vorlagen  gedient.    Das  Interesse  der  Künst- 
ler   und   ihrer  Zusammenstellung   liegt   allerdings  nicht 
im  Glaubensinhalt,  sondern  in  der  biblischen  Geschichte ; 
das  unserige  namentlich  darin,   daß  wir  viele  sonst  an- 
dersartige   Franzosen    hier  wiederfinden.     Unser  Raum 
läßt  über  Aufzählungen  und  Hervorhebungen 
nicht    hinauskommen.     Wir    stellen    folgende 
Namen  voran,  die  uns  am  wenigsten  bekannt 
sind:    Frank   Dicksee;    Albert    Edelfelt 
(»Fußwaschung«  und  »Anbetung  der  Könige« 
wertvoll,  im  letzteren  bei  viel  Lichtwirkung  auch 
inniger    Ausdruck);      Domenico    Morelli 
(u.  a.  »Wahrlich  ich  sage  euch«,  d.  i.  ein  Lie- 
bespaar in  Gras  und  Blumen) ;  J  o  h  n  M.  S  w  a  n ; 
Jose  Villegas.     Bekannter  sind:   der  ameri- 
kanische und  dann  Londoner  Graphiker  E.  A. 
Abbey,  geb.  1852,  den  späteren  Neupräraffae- 
liten   anzuschließen ;    hier   trefflich    »Jesus  er- 
scheint der  knienden  Frau«.  Vom  altbekannten 
Alma   Tadema   ist   ein   >op.  364«   da.     Der 
sonst  durch  Odaliskenbilder  u.  dergl.  bewährte 
I.  1.  Benjamin-Constant  hat  eine  vorzüg- 
liche »Auferstehung  des  Lazarus«    und   einen 
beachtenswerten  »Jesus  im  Tempel«.  Von'dem 
vielleicht  zu  sehr  vergessenen  Tschechen  V.  d  e 
Brozik  gab  es   mehrere    kleine   alttestament- 
liche    Aquarelle.      Von    jenen    späteren    Neu- 
präraffaelitcn  begegneten  uns  E  Burne -Jones 
und   W.    Crane,   jener    mit   einer  packenden 
Kreuzabnahme,   dieser   mit   einer   Versuchung 
der  Eva.  Weiterhin  der  Niederländer  I  Israels, 
der  Deutsche  Arthur  Kampf  mit  gut  monu- 
mentalen Sepiamalereien,  daneben  M.  Lieber- 
mann, dann  der  Franzose  Puvis  de  Chavan- 
nes,  der  Russe  11  ja  Repin,  der  Italiener  G. 
Segantini,  der  Franzose  I.  Tissot,  unser  F. 
V.  U  h  d  e   mit   geringerer  Innigkeit,   als  sonst 
zum  Ersätze  des  Religiösen  bei  ihm  vorkommt, 
und    endlich    der    Niederländer    Julian    de 
SKIZZE  ZU  EINEM  GRABDENKMAL        Vriendt,   Bruder   des   bekannteren   Namens 


BERLINER  KUNSTBRIEF  —  VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


HEINRICH  EBERLE 


Wägers;  namentlich  eine  würdige  Li- 
nienführung erfreut  an  seiner  >Grab- 
legung  Christi«  u.  dergl. 

Am  schwersten  wird  uns  der  ab- 
kürzende Telegrammstil  bei  Melchior 
Lechter,  dem  der  Salon  Gurlitt 
1896  die  erste  und  jetzt  wiederum  eine 
Ausstellung  gewidmet  hat  (ejne  Sonder- 
ausgabe der  >Berliner  Architekturwelt« 
von  1904  unterrichtet  näher  über  den 
Künstler,  und  sein  Pallenbergsaal  von 
1899  im  Kölner  Kunstgewerbemuseum 
kann  allgemein  bekannt  und  geschätzt 
sein).  Geboren  1865  in  Münster,  ge- 
sättigt mit  der  dortigen  Tradition  kirch- 
licher Kunst  und  gut  gebildet  im  Hand- 
werke der  Glasmalerei,  tritt  er  uns  na- 
mentlich durch  eine  Vereinigung  ältester 
und  modernster  Mystik  entgegen,  auch 
in  mannigfaltigem  Buchschmuck.  Daß 
sich  in  seine  Werke  vieles  hineindrängt, 
was  ein  Zuviel  sein  mag,  können  wir 
nicht  leugnen;  gesunde  Augen  muß 
man  allerdings  haben,  wie  sie  wahr- 
scheinlich auch  der  Künstler  selbst  be- 
sitzt, dessen_reichhaltige  Linienführung 
ebenso  auf  ein  normales  oder  weitsich- 
tiges Auge  deutet,  wie  sezessionistischer 
Impressionismus  auf  ein  kurzsichtiges. 
Es  ist  Flächen-  und  noch  mehr  Linien- 
kunst von  üppig  rhythmischer  Art  und 
mit  ausgesprochen  lotrechter  Tendenz, 
was  uns  hier  entgegentritt  und,  von  den 
bloßen  Zeichnungen  abgesehen,  eine  wundervolle  Farben- 
leuchtkraft entfaltet,  mit  Bevorzugung  des  Gold,  Lichtbraun, 
Violettblau.  Am  besten  gefiel  dem  Referenten:  »Panis 
Angelorum.  Ein  Mysterium  (ursprünglich  für  eine 
Antependium-Stickerei  gedacht)  <.  Es  stammt  aus  dem 
Jahre  igo6  und  zeichnet  sich  ganz  besonders  durch  eine 
ruhige  Klarheit  aus. 

Besonders  kräftig  wirkte  ein  Glasgemälde-Triptychon 
für  das  Sanktuarium  einer  Dame.  Die  Großartigkeit  des 
Werkes  wird  wieder  etwas  gestört  durch  eine  auch  den 
Inschriften  eigene  Unruhe  und  schwierige  Verständlich- 
keit, wird  aber  jedenfalls  bedeutend  bewährt  durch  die 
für  dieses  sowie  für  ein  anderes  Werk  ausgestellten 
Studien,  die  teils  einen  ahmählichen  geraden  Fortschritt 
von  mehr  Indifferentem  zum  echt  \'isionären  und  dergl. 
?.uigen,  teils  auch  wieder  manches  Wertvolle  zugunsten 
andersartiger  Ausführung  fallen  lassen.  So  lernen  wir 
namentlich  die  Entstehung  des  (in  Kartonphotographie 
gezeigten)  Glasgemälde-Triptvchons  kennen,  das  sich  be- 
titelt: »Ars  Coelestina  —  In  Fönte  Sacro  —  Ars  Hu- 
mana«. Die  Figuren  (die  mit  Vorliebe  aus  Grals- 
schüsseln  oder  dgl.  trinken)  erinnern  etwas  an  die  gleich- 
förmigen Knocliengerüste  und  Kleiderbehänge  der  Neu- 
PrärafTaeliten,  die  auf  Melchior  Lechter  offenbar  ein- 
wirkten.    Ein  Zuviel  aucli  hier! 

Endlich  gab  es  noch  ein  >Mysterium  Christi  (Entwurf 
eines  Wandgemäldes  für  den  Chorraum  der  Neustädti- 
schen Kirche  in  Bielefeld)«  —  wieder  etwas  durch  Un- 
ruhe und  Reichlichkeit  der  Formen  den  Genuß  er- 
■sclnverend.  Als  Hausaltärchen  wird  uns  vorgestellt  ein 
kleines  Gemälde  in  hoch-schmalem  Aufbau,  goldge- 
.sthmückt,  mit  dem  Namen  »L'  .Vngelo  ed  i  Fiori«  (1906). 

Bcrlni-Halcnsec  Dr.  Hans  Scbmidkunz 


\'ERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Professor  Gebhard  Fugel  hat  Ende  Juli  die  letzte 
Station  seines  monumentalen  Kreuzweges  in  der  St. 
Josephs-Kirche  zu  München  nach  vierjähriger  Arbeit  voU- 


SKIZZE  zu  EINEM  GRABDENKMAL 


endet.  Zu  dieser  Schöpfung  ist  der  Meister  warm  zu 
beglückwünschen.  Aber  auch  jenen,  welche  die  Aus- 
führung des  Werkes  ermöglichten,  den  P.  P.  Kapuzinern 
von  St.  Joseph  gebührt  der  Dank  wie  der  Kirchenbesucher, 
so  der  christhchen  Kunstfreunde.  Selbstverständlich  wer- 
den wir  auf  die  Bilder  zu  geeigneter  Zeit  ausführlich 
zurückkommen. 

Waldemar  Kolmsperger  —  Hans  Kögl.  Für 
die  Pfarrkirche  in  Großaitingen  bei  Augsburg  malte  Pro- 
fessor Waldemar  Kolmsperger  i.  J.  1907  ein  Altar- 
bild, das  Maria  als  die  »Hilfe  der  Christen«  darstellt. 
Papst  Pius  V.,  der  in  die  lauretanische  Litanei  den  Titel 
>auxilium  Christianorum«  einfügte,  hebt  seine  Hände 
vertrauensvoll  zu  Maria  empor,  die  mit  dem  Jesuskind 
über  den  Wolken  thront.  Im  Hintergrund  sieht  man  die 
Peterskirche.  —  Für  die  Emporen  derselben  Kirche  fer- 
tigte Hans  Kögl  die  vier  großen  Propheten  nebst 
Johannes  Baptista  und  in  sechs  Bildern  eine  Darstellung 
des  Sechstagewerkes.  Auch  in  der  Kirche  zu  Matingen 
war  Kögl  1907  tätig. 

Valentin  Kraus.  Bei  dem  engeren  Wettbewerb 
um  das  Grabdenkmal  für  den  K.  Rat  Ludwig  Jung  wurde 
dem  Bildhauer  Valentin  Kraus  (München)  die  Ausführung 
übertragen.  Das  Denkmal  wird  von  den  bayerischen 
Feuerwehren  gestiftet  und  kommt  in  den  Münchener 
Waldfriedhof. 

Der  angesehene  Landschaftsmaler  Walter  Leisti- 
kow  starb  am  24. Juli  im  45.  Lebensjahre  nach  schwerem 
Leiden.  Er  war  am  25.  Oktober  1865  geboren;  seine 
Kunststudien  m.ichte  er  in  Berlin  bei  Gude.  Die  Berliner 
Sezession  verliert  an   ihm  ein  hervorragendes  .Mitglied. 

Professor  Dr.  Karl  Frey  an  der  Universität  Berlin, 
ein  Schüler  und  Mitarbeiter  Hermann  Grimms,  feiene 
am  19.  Juli  sein  25  jähriges  Dozentenjubiläum.  Er  ist 
der  Herausgeber  eines  groß  angelegten  Werkes;  >Michel- 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  -  ZU  UNSEREN  BILDERN 


agniolo  Buonarroti,  sein  Leben  und  seine  Werke«,  wo- 
von der  erste  Band  (über  des  Künstlers  Jugendjahre) 
vorliegt. 

Ausstellung  für  christliche  Kunst  in  Düssel- 
dorf i  909.  Die  ursprünglich  für  das  heurige  Jahr  ge- 
plante Ausstellung  findet  Vom  15.  Mai  bis  i.  Oktober 
nächsten  Jahres  im  Städtischen  Kunstpalast  statt.  Über 
die  Tendenz  derselben  berichteten  wir  bereits  wieder- 
liolt.  Vorsitzender  des  Kunstausschusses  ist  Professor 
Dr.  Hans  Board,  stellvertretender  Vorsitzender  ist  Al- 
fred Graf  von  Bruehl,  Maler.  Die  Ausstellung  wird 
international  sein. 

Düsseldorf.  Zum  Direktor  der  hiesigen  Akademie 
wurde  Professor  Fritz  Roeber  ernannt. 

Architekt  Theodor  Fischer  nahm  die  ihm  an- 
gebotene Professur  am  Polytechnikum  in  München  an 
und  ist  somit  für  München  wieder  zurückgewonnen. 

Der  Tiermaler  J.  H.  de  Haas  starb  in  Königs- 
winter, wo  er  Erholung  gesucht  hatte.  Er  war  am 
23.  März  1832  geboren  und  lebte  in  Brüssel. 

Einen  Wettbewerb  für  ein  Grabdenkmal 
schrieb  der  Magistrat  München  aus.  Das  Grabmal  ist 
für  die  verstorbene  Großhändlers-  und  Kommerzienrats- 
gattin  Frau  Apollonia  Wolf  bestimmt  und  soll  auf  der 
Grabstätte  Sekt.  60,  Reihe  IX,  Nr.  6  im  östlichen  Fried- 
hof zu  München  errichtet  werden.  Die  Entwürfe  bezw. 
Modelle  sind  in  der  Größe  1:5  zu  halten  und  bis 
15.  Oktober  lfd.  Js.  einzusenden.  Der  mit  dem  ersten 
Preis  bedachte  Entwurf  gelangt  zur  Ausführung.  Außer- 
dem sollen  zwei  Geldpreise  zu  1000  M.  bezw.  500  M. 
zuerkannt  und  gegebenenfalls  zwei  weitere  Entwürfe  um 
je  250  M.  angekauft  werden.  Die  nälieren  Bedingungen 
sind  vom  Magistrat  München  —  Zimmer  Nr.  297/II  — 
unentgeltlich  zu  beziehen. 

Erledigter  Wettbewerb.  Vom  Konkurrenzaus- 
schreiben  für  HersteDung  eines  Valentin  Ostertag-Denk- 
nials  wurde  im  7.  Heft  (Beil.  S.  71)  berichtet.  Das  Resultat 
ist  folgendes.  Es  liefen  38  Entwürfe  ein.  Das  Preisgericht 
schlug  den  mit  dem  Kennwort  »Ostertag-Terrasse«  be- 
zeichneten Entwurf  zur  Ausführung  vor;  er  stammt  von 
den  Bildhauern  Heinrich  Düll  und  Georg  Pezold. 
Drei  weitere  Entwürfe  wurden  mit  der  für  Preise  verfüg- 
baren Summe  von  2500  M.  prämiiert  und  zwar  so,  daß 
auf  Motto  >K<  des  Bildhauers  Bruno  Diamant  und  des 
Architekten  Diplomingenieur  Heinrich  Bergthold  ein 
Preis  von  1200  M  entfällt,  dann  auf  Motto  »Park«  des 
Bildhauers  Hans  Parzinger  und  des  Architekten  Eugen 
Drei  seh  ein  Preis  von  800  M.,  ferner  auf  Motto  »Bayern 
und  Pfalz«  des  Bildhauers  Jakob  Hofmann  ein  Preis 
von  500  M.  Die  genannten  Künstler  sind  sämtlich  in 
München.  Die  Modelle  der  Konkurrenz  waren  vom  3.  bis 
7.  Juh  ausgestellt. 

Preisausschreiben.  Ende  Juni  schrieb  das  Schle- 
sische  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  einen 
Wettbewerb  für  ein  Umschlagblatt  der  Zeitschrift  des 
Kunstgewerhevereins  für  Breslau  und  die  Provinz  Schle- 
sien aus.  Berechtigt  zur  Teilnahme  sind  Künstler,  die  in 
der  Provinz  Schlesien  tälig  oder  geboren  sind.  Die  Ein- 
sendungen haben  bis  5.  August  im  Bureau  des  Schlesi- 
schen  Museums  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer,  Bres- 
lau I,  Graupenstr.  14,  zu  erfolgen.  An  Preisen  sind  aus- 
gesetzt ein  I.  Preis  von  300  M.  und  drei  weitere  von 
]e  50  M. 

Karlsruhe.    Zurzeit  wird  an  einem  Anbau  zur  Kunst- 


halle gearbeitet,  dessen  erster  Stock  als  gesondertes  Hans 
Thoma-Museum  gedacht  ist. 

Der  Verein  für  Deutsches  Kunstgewerbe  e.V. 
zu  Berlin  erriclatet  eine  Vermittlungsstelle  zwisclien  Er- 
findenden und  .ausführenden  auf  den  verschiedensten  Ge- 
bieten des  Kunstgewerbes.  Adresse;  Berlin  W.9,  Belle- 
vuestr.  3  (Künstlerhaus). 

Diese  soll  dem  Erfindenden  Gelegenheit  geben,  seine 
Arbeit  anzubieten,  und  dem  Ausführenden,  sich  die  ihm 
zusagenden  Kräfte  auszusuchen.  Zu  diesem  Zwecke  soll 
in  der  Vermittlungsstelle  eine  Auswahl  von  Entwürfen 
der  auf  die  Vermittlung  reflektierenden  Erfinder  aufliegen, 
nachdem  sie  einen  Aufnahme-.\usschuß  passiert  haben. 
Die  Vermittlungsstelle  empfiehlt  dem  Erfinder;  nur  solche 
Aufträge  zu  übernehmen,  deren  Ausführung  er  mit  seinem 
Namen  decken  kann;  dem  Ausiülirenden ;  den  Namen 
des  Erfinders  überall,  wo  es  angängig,  mitzunennen,  sei 
es  bei  Schaustellung,  VerötTentlichung  oder  Verkauf  des 
Gegenstandes,  und  erhält  das  Recht,  Erfindende  wie  Aus- 
führende von  der  Benutzung  der  Vermittlungsstelle  aus- 
zuschließen, sofern  ihr  Verhalten  dem  Zweclie  derselben 
widerstreitet.  Auskünfte  über  Erfindende  oder  Ausfüh- 
rende erteilt  die  Vermittlungsstelle  nicht,  auch  überläßt 
sie  die  Honorarnormierung  der  freien  Vereinbarung  der 
Parteien. 

Internationale  Kunstausstellung  der  Münch- 
ner Secession.  Seine  K.  Hoheit  der  Prinzregent  Luit- 
pold  erwarb  das  Ölgemälde  »Mooslandschaft«  von  Wil- 
helm Ludwig  Lehmann  in  München.  —  Vom  bayerischen 
Staat  wurden  für  die  K.  Pinakothek  angekauft  das  Ölge- 
mälde »Saal  aus  Versailles«  von  Professor  .\lbert  von  Kel- 
ler in  München  und  das  Ölgemälde  »Kühe  im  Moor 
(.\bendstimmung)«  von  Professor  Heinrich  von  Zügel  in 
München. 

Das  Triptychon  von  A.  Böcklin  »Venus  genitrix« 
vom  Jahre  1895  wurde  kürzlich  für  80000  M.  von  der 
Modernen  Galerie  in  Wien  angekauft.  Geheimrat  Prof 
Dr.  Neisser  in  Breslau,  in  dessen  Besitz  sich  das  Bild  be- 
fand, kaufte  es  seinerzeit  von  der  Staffelei  weg  für  60  000  M. 


ZU  UNSEREN  BILDERN 

P)ie  farbige  Sonderbeilage  ist  eine  Reproduktion  der 
sogenannten  Madonna  del  Granduca  im  Pa- 
lazzo  Pitti  zu  Florenz,  die  Raffael  um  1505  in  Florenz 
malte.  Seine  Bezeichnung  soU  das  Bild  vom  Großherzog 
Ferdinand  III.  von  Toskana  haben,  der  es  besaß  und 
außerordentlich  liebte.  Es  ist  auf  Holz  gemalt  und  hat 
eine  Größe  von  0,86  m  X  0,56  m.  Betrachten  wir  das 
fromme,  seelenvolle  Bild  von  der  formalen  Seite,  so 
erkennen  wir  in  dieser  Komposition  die  einfachste  in 
der  langen  Reihe  der  meisterlichen  Madonnenschöpfungen 
Raflfaels  (1483 — 1520).  Wenn  wir  die  Komposition  in 
Gedanken  mit  einer  Linie  einfassen,  welche  die  .lußersten 
Punkte  und  Umrißlinien  der  Silhouette  begleitet,  so 
weist  dieselbe  eine  große  Ruhe  und  auf  den  beiden  Bild- 
seiten nur  unerhebliche  Verschiedenheiten  auf.  Als  Richt- 
hnie  herrscht  die  reine  Vertikale,  in  der  auch  das  Ge- 
sicht des  Kindes  steht ;  nur  der  liebliche  Kopf  der  Ma- 
donna weicht  davon  sanft  durch  eine  wirkungsvolle 
seitliche  Neigung  ab.  Die  Bewegung  von  Mutter  und 
Kind  und  der  hiedurch  bedingte  Rhythmus  der  Linien 
ist  zurückhaltend,  um  nicht  zu  sagen  schüchtern.  Typus 
und  Art  des  Pietro  Perugino  herrscht  in  diesem  Früh- 
werk noch  vor,  das  den  Übergang  in  Raffaels  florenti- 
nische  Periode  bildet  und  künstlerisch  als  Vorstufe  zur 
liebenswürdigen  und  in  der  Komposition  schon  reicheren 
Madonna  vom  Hause  Tempi  zu  betrachten  ist. 


zu  UNSEREN  BILDERN  —  BUCHERSCHAU 


Eine  reich  illustrierte  Fortsetzung  des  Artikels  über 
moderne  religiöse  Plastik  wird  in  einem  der  nächsten 
Hefte  folgen  und  einem  unserer  angesehensten  Bildhauer 
gewidmet  sein. 

Über  die  S.  19 — 27  nach  Kartons  reproduzierten  Ge- 
mälde, mit  denen  Fritz  Kunz  die  Universitätskapelle 
Ste.  Croix  zu  Freiburg  in  der  Schweiz  schmückte,  wird 
sich  in  Bälde  ein  eigener  Artikel  im  Zusammenhang  mit 
der  Veröft'entlichung  einer  anderen  großen  Schöpfung 
des  Künstlers  verbreiten. 

An  dem  schönen  Gemälde  von  Hermann  Groeber, 
das  S.  31  abgebildet  ist,  läßt  sich  das  künstlerische  Ziel 
jener  modernen  Maler  deutlich  erkennen,  die  man  als 
Impressionisten  bezeichnet.  Hier  darf  man  kein  Linien- 
spiel, keine  mit  dem  Empfinden  des  Plastikers  durch- 
raodellierten  Details  an  Gesicht,  Händen,  Gewandung 
usw.,  keinen  Rhythmus  der  Formen  und  keine  Körper- 
haftigkeit  derselben  suchen ;  was  der  Künstler  festhalten 
will  und  darstellt,  das  ist  ein  rein  malerischer  Eindruck, 
bewirkt  vom  freien  Sonnenlicht,  vom  zufälligen  Spiel 
der  Schatten,  von  den  mannigfachen  Brechungen  der 
Farben,  von  der  warmen  Luft,  bewirkt  an  einer  schein- 
bar zufällig  und  regellos,  in  Wirklichkeit  aber  wohlbe- 
rechnet im  Bild  zusammengefaßten  Gruppe  von  Menschen, 
die  sich  in  ein  idyllisches  Plätzchen  geflüchtet  haben. 
Bei  der  Unbestimmtheit  der  Details  wird  der  Phantasie 
viel  Spielraum  gelassen. 

In  der  Beilage  beginnen  wir  S.  i  —  5  die  Veröffent- 
lichung einer  Reihe  tüchtiger  Entwürfe  zu  Grabmälern. 
Diese  Skizzen  verdanken  ihr  Entstehen  einem  Kompo- 
nierabend der  jungen  Künstler  des  Albrechi  Dürer-Ver- 
eins zu  München.  Es  wäre  zu  wünschen,  daß  sie  aus- 
geführt werden  könnten.  Die  Gesellschaft  für  christliche 
Kunst  in  München  (Karlstr.  6)  wird  den  Interessenten 
gern  die  Adressen  der  Künstler  mitteilen.  Mißbräuch- 
;    liehe  Ausbeutung   ist   selbstverständhch  nicht   gestattet. 


BÜCHERSCHAU 

Stiehl,  O.:  Das  deutsche  Rathaus  im  Mittel- 
alter. Mit  187  Abbildungen.  Leipzig,  E.  A.  See- 
mann, 1905.     Preis  M.  10.50. 

Autor  und  Verleger  haben  sich  um  die  Veröffentlich- 
ung dieser  wertvollen  Studie  ein  anerkennenswertes  Ver- 
dienst erworben.  Sie  ist,  wie  man  deutlich  herausfühlt, 
nach  gründlicher  Sammlung  und  Sichtung  des  umfang- 
reichen Materials  mit  großer  Liebe  zur  Sache  geschrieben 
und  hält  den  deutschen  Kunsthistorikern  die  ernste  Mah- 
nung vor  .-\ugen,  welch'  weite  Strecken  deutscher 
Kultur  und  Kunst  seit  Lübke  bisher  geringschätzig  über- 
sehen worden  sind.  Es  ist  nachgerade  an  der  Zeit, 
von  der  seit  Vasaris  Vorgang  von  Burckhardt  und  Ge- 
nossen gepredigten  einseitigen  Verherrlichung  der 
italienischen  Renaissanse  abzulassen  und  sich  auf  die 
Tatsache  zu  besinnen,  eine  wie  herrliche  Kunst  doch 
eigentlich  unsere  von  den  Italienern  so  vielgeschmähte 
deutsche  >Barbarenkun.st<  des  Mittelalters  gewesen  ist. 
Über  dieses  eminent  wichtige  Thema  gedenkt  Referent 
demnächst  an  anderer  Stelle  eingehender,  und  zwar 
nach  entwicklungsgeschichtlichen  Gesichtspunkten  zu 
handeln,  was  Stiehl  in  seiner  Schrift  aber  eben  aus 
Mangel  an  grundlegenden  Vorarbeiten  noch  außer  acht 
lassen  mußte.  Immerhin  wird  kein  Kunstforscher,  der 
sich  die  deutsche  Baukunst  des  Mittelalters  als  Studien- 
feld erkoren  hat,  diese  wegweisende  Arbeit  umgehen 
können.  Der  denken  und  sehen  kann,  wird  reiche 
Anregung  aus  ihr  schöpfen.  Druck  und  Ausstattung 
macht  dem  bekannten  Verlage  alle  Ehre. 

Breslau  Dr.  B.  Patük 

Künstlerworte,  gesammelt  und  herausgegeben  von 


Karl  Eugen  Schmidt.     Leipzig,  E.  A.  Seemann,  ge- 
bunden M.  4. — . 

Der  in  Paris  lebende  Kunstschriftsteller  Karl  Eugen 
Schmidt  gibt  uns  da  eine  .\nthologie  von  Aussprüchen 
bildender  Künstler;  selbe  umfaßt  das  ganze  19.  Jahr- 
hundert und  geht  von  David,  Koch,  Schinkel  bis  zu 
W'histler,  Poynter,  Lenbach,  Rodin  und  Klinger.  Das 
Werk  ist  ein  Summarium  von  Geistesblitzen  bekannter 
und  unbekannter  Künstler.  Anregend  im  höchsten  Grade, 
da  sich  lauter  >Fachleute<;  äußern,  sowohl  über  die 
Kunst  selbst  wie  auch  über  ihre  mehr  oder  weniger 
glücklichen  Kollegen.  Über  den  Wert  der  Kritik,  über 
das  Wesen  der  Kunst,  über  das  Schöne,  über  Kunst, 
Staat,  Gesellschaft,  Realismus,  IdeaHsmus,  Impressionis- 
mus, Technik,  Genre,  Licht,  Originalität,  Ausstellungen 
und  Kunstschulen  sind  viele  hunderte  Aussprüche  zu- 
sammengetragen. Beherzigenswert  für  jeden  Künstler  aber 
ist  das  Kapitel  »Kunst  und  Natur«.  Ein  seltsames  Buch 
und  eine  merkwürdige  Sammlung,  umsomehrals  manches 
hart  dissoniert  und  die  Gegensätze  oft  scharf  anein- 
ander stoßen.  Das  Ganze  sieht  sich  an  wie  ein  kleiner 
Racheakt  an  den  Künstlern,  die  nicht  selten  auf  die 
voneinander  schroff  abweichenden  Urteile  der  Ästhetiker 
hinweisen.  Doch  wäre  es  für  die  .-Vsthetiker  nicht  so 
schwer,  wie  für  die  schaffenden  Künstler,  zu  einem  ver- 
hältnismäßig objektiven  Urteil  zu  gelangen.  Möge  das 
Buch  der  Kritik  eine  Mahnung  sein,  schroffe  Urteile  sich 
zehnmal  zu  überlegen,  ehe  man  sie  in  die  Welt  hin- 
ausruft. 

Wien  Karl  Hirtmatin 

Kaiser  Maximilians  1.  Gebetbuch.  Mit  Zeich- 
nungen von  Albrecht  Dürer  und  andern  Künstlern. 
Photographischer  Faksimiledruck  in  4 — 11  Farben,  her- 
gestellt in  der  Kunstanstalt  Albert  Berger  in  Wien.  Mit 
Unterstützung  des  K.  K.  Ministeriums  für  Kultus  und  Unter- 
richt in  Wien  und  des  Kgl.  Ministeriums  der  geistlichen, 
Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten  in  Berlin  her- 
ausgegeben von  Karl  Giehlow.  Wien,  Selbstverlag  des 
Herausgebers;  im  Buchhandel  durch  die  Verlagsanstalt 
F.  Bruckmann  A.-G.  in  München.   1907. 

Auf  diese  großartige  Publikation  sei  hiermit  wärmstens 
hingewiesen.  Angesichts  der  vorzüglichen  Faksimiledrucke 
derselben  wird  man  sich  der  Mängel  der  früheren  Aus- 
gaben des  künstlerisch  wertvollen  Gebetbuches,  die  auch 
unvollständig  waren,  recht  klar  bewußt.  Bekanntlich  wird 
der  mit  dem  Namen  >Gebetbuch  Kaiser  Maximilians  1.« 
bezeichnete  Pergamentdruck  zum  einen  Teil  in  der  Kgl. 
Staatsbibliothek  zu  München  und  zum  andern  Teil  in 
Besani;on  aufbewahn.  .\us  dem  Fragment  zu  Besan^on 
gingen  einzelne  Bogen  verloren;  doch  läßt  sich  wenigstens 
ihr  Text  aus  den  noch  erhaltenen  nicht  illustrierten  Exem- 
plaren ergänzen.  Früher  war  man  der  Meinung,  daß  das 
illustrierte  Exemplar  des  Gebetbuches  ausschließlich  für 
den  persönhchen  Gebrauch  des  Kaisers  Maximilian  be- 
stimmt war.  Dagegen  führt  Karl  Gielilow  den  Nach- 
weis, daß  Maximilian  I.  die  Absicht  hatte,  ein  besonderes 
Gebetbuch  für  den  St.  Georgsorden  zu  schaffen,  dessen 
Druck  der  Augsburger  Buchdrucker  Johannes  Schön- 
sperger  d.  Ä.  in  einer  Folioausgabe  auf  Pergament  und 
einer  -Ausgabe  in  Quart  auf  Papier  herstellen  sollte.  In 
folge  des  zu  frühen  Todes  des  Kaisers  wurde  der  Plan 
nicht  durchgeführt.  Die  erhaltenen  Randzeichnungen 
waren  —  zu  diesem  Schluß  führt  die  neugewonnene  Kennt- 
nis über  die  Vorgeschichte  des  Gebetbuches  —  Vorlagen 
für  den  Holzschneider  und  bestimmt,  als  Randleisten  den 
gedruckten  Text  zu  verzieren  gleich  den  Umrahmungen 
in  den  livres  d'heures.  —  Die  vorliegende  .\usgabe  um- 
faßt außer  einem  Geleitworte  52.1  Photolithographien  im 
Format  von  27,8  x  19  cm  Bildgröße,  die  in  einer  soliden 
Kassette  liegen.  Für  den  Handel  sind  3  50  in  der  Presse 
numerierte  Exemplare  bestimmt.  Das  Werk  kostet  500  M. 


BÜCHERSCHAU 


für  das  in  Bogenlagen  geheftete  Exemplar  in  Kassette  und 
600  M.  für  das  gebundene  Exemplar.  r. 

Deutsche  Malerei  des  19.  Jahrhunderts.  Ein- 
hundert farbige  Faksimilereproduktionen  nach  Gemälden 
deutscherKünstlerdes  verflossenenjahrhunderts.  20  Hefte, 
Preis  des  Heftes  (5  Blätter)  im  Abonnement  2  M.  E.  A. 
Seemann  in  Leipzig. 

■  '  [Die  Jahrhundertausstellung  deutscher  Kunst  in  Berlin 
hat  der  Kunstgeschichte  des  letzten  Jahrhunderts  neue 
Perspektiven  eröffnet  und  manche  Korrekturen  in  der 
Einschätzung  der  Künstler  jener  Zeit  mit  sich  gebracht. 
Allein  höher  schätzen  wir  einen  anderen  Gewinn  jenes 
Unternehmens,  das  ist  die  Tatsache,  daß  man  über  die 
Malerei  des  vorigen  Jahrhunderts  besonnener  und  gerechter 
zu  urteilen  beginnt  und  für  die  ihr  eigentümlichen,  aller- 
dings vielfach  bescheidenen  Schönheiten  wieder  ein  Auge 
hat.  Das  vorstehende  Sammelwerk  mit  seinen  schönen 
Reproduktionen  trägt  ohne  Zweifel  dazu  bei,  dieser  Wir- 
kung Nachdruck  und  Dauer  zu  verleihen.  Im  4.  Heft 
sind  vertreten:  Eduard  von  Gebhardt  (Die  Klosterschüler), 
Eugen  Dücker  (Am  Strand  von  Göhren),  Benjamin  Vau- 
tier  (Nähschule),  Georg  Öder  (Herbstwald),  Carl  Sohn 
(Donna  Diana).  Heft  5  enthält:  Steinle  (Der  Großpöni- 
tentiar),  Louis  Eysen  (Wiesengrund),  Hans  Thoma  (Reli- 
gionsunterricht), Otto  Scholderer  (Damenbildnis),  Schmit- 
son  (Ungarische  Pferde),  Menzel  (Bildnis),  Karl  Blechen 
(Park),  Max  Liebermann  (Die  Konservenmacherinnen), 
Walter  Leistikow  (Ziegeleien  am  Wasser),  Daniel  Chodo- 
wiecki  (Gesellschaft  im  Tiergarten  zu  Berlin). 

Baumeister  Engelbert,  Rokoko-Kirchen 
Oberbayerns  (Studien  zur  Deutschen  Kunstgeschichte, 
Heft  92).  Straßburg,  Heitz,  1907.  8°,  75  S.  Mit  31  Tafeln 
in  Lichtdruck.   10  M. 

Gut  gelungen  ist  der  Abschnitt  »Dekoration«,  der  mit 
scharfem  Blick  der  Entwicklung  der  Stuckdekoration 
im  18.  Jahrhundert  nachgeht,  ihre  Phasen  prägnant  charak- 
terisiert und  selbst  die  Besonderheiten  einzelner  hervor- 
ragender Meister  festzustellen  sucht.  Diesem  Abschnitt 
dient  auch  vorzugsweise  das  reiche  und  geschickt  aus- 
gewählte Abbildungsmaterial.  Sonst  findet  sich  neben 
wenigem  Neuen  manches  Schiefe  in  dem  Buch.  Es 
kann  nur  Verwirrung  stiften,  wenn  die  ganze  oberbaye- 
rische Kirchenbaukunst  des  1 8.  Jahrhunderts  als  Rokoko 
bezeichnet  wird;  ist  es  doch  noch  gar  nicht  lange  her, 
daß  man  dem  Rokoko  als  Baustil  die  Selbständigkeit 
absprach  und  die  Baukunst  des  18.  Jahrhunderts  dem 
Barock  vindizierte.  Die  feinen  Grenzlinien,  die  Schmar- 
sow  gezogen  hat,  bahnten  ein  richtigeres  Verständnis 
und  eine  klare  Scheidung  der  beiden  Architekturstile  an. 
Bei  Baumeister  erscheint  alles  wieder  verwischt  und  man 
kann  sich  des  Eindrucks  nicht  erwehren,  daß  der  Name 
Rokoko  für  die  hier  zusammengefaßten  Kirchenbauten 
willkürlich  gewählt  ist;  nirgends  wird  versucht,  den  Ar- 
chitekturstil des  Rokoko  gegenüber  dem  des  Barock  ab- 
zugrenzen; nur  einmal  ist —  höchst  unglücklich  —  die 
»Richtung  der  strengen  Formalität«,  wie  sie  von  fran- 
zösischen Akademikern  vertreten  wurde,  als  Charakte- 
ristikum des  bayerischen  Rokoko  hervorgehoben.  Da 
fallen  dann  freilich  Bauten  wie  die  Wieskirche  Domin. 
Zimmermanns  aus  dem  Rahmen  heraus,  während  sie 
doch  die  Tendenzen  des  bayerischen  Rokoko  am  freiesten 
und  genialsten  verwirklichen.  Baumeisters  Arbeit  fußt 
auf  dem  Inventarisierungswerk  und  verleugnet  ihre  Basis 
nicht.  Aber  so  schätzenswert  die  Inventare  sind,  so 
überheben  sie  doch  die  kunstgeschichthche  Forschung 
keineswegs  der  Aufgabe,  die  entwicklungsgeschichtlichen 
Richtlinien,  die  bei  dem  vorwiegend  beschreibenden  und 
die  Einzelobjekte  als  solche  behandelnden  Verfahren  der 
Inventarisierung  selbstverständlich  in  den  Hintergrund 
treten,  aus  der  zusammenfassenden  Betrichtung  der  Ob- 


jekte zu  gewinnen  und  klar  herauszustellen.  —  Der  Stil 
des  Verfassers  bessert  sich  merklich  in  der  zweiten  Hälfte 
der  Abhandlung.  Schröder. 

Max  Sauerlandt,  Griechische  Bildwerke. 
9  Bogen  größtes  Lexikonformat.  Mit  140  Abbildungen, 
davon  50  ganzseitigen.  2  Bogen  Text.  —  In  Leinen  ge- 
bunden M.  3,  kartoniert  M.  1,80.  Verlag  Karl  Robert 
Langewiesche  in  Düsseldorf. 

Wir  können  dem  ersten,  nicht  etwa  bloß  auf  die 
Kunst  bezügHchen,  sondern  allgemein  lautenden  Satz 
des  in  die  Bilder  einführenden  Textes  nicht  zustimmen, 
wo  der  Verfasser  sagt,  daß  wir  nie  aufhören  können, 
auf  das  griechische  Altertum  als  auf  das  goldene  Zeit- 
alter zurückzubhcken.  Doch  das  ist  richtig,  daß  wir  nie 
aufhören  können,  die  griechische  Plastik  zu  bewundern 
und  zu  studieren.  Vorliegende  Sammlung  von  Reproduk- 
tionen griechischer  Plastiken  ist  gut  gewählt,  gibt  eine 
Übersicht  über  die  Entwicklungsstadien  der  griechischen 
Kunst  und  hat  auch  den  Vorzug  der  Billigkeit.  Der 
Text  gibt  manchen  wertvollen  Wink  zum  tieferen  Er- 
fassen der  Gesetze  der  Bildhauerkunst.  Aigner 

Rembrandt.  Von  Dr.  Paul  Schubring,  Professor 
an  der  Technischen  Hochschule  Cliarlottenburg.  Mit 
einem  Titelbild  und  49  Textabbildungen.  8.  (>Aus 
Natur  und  Geisteswelt.«  Sammlung  wissenschaftlich- 
gemeinverständhcher  Darstellungen  aus  allen  Gebieten 
des  Wissens.  158.  Bändchen.)  Verlag  von  B.  G.  Teubner 
in  Leipzig  [VIII  u.  82  S.]  1907.  Geh.  M.  i. — ,  in  Lein- 
wand geb.  M.  1.25. 

Das  Büchlein  will,  wie  der  Verfasser  im  Vorwort 
sagt,  nur  zusammenfassen,  was  den  Fachgenossen  längst 
bekannt  ist,  was  zu  wissen  und  zu  besitzen  aber  viele 
Menschen  wünschen,  denen  in  Rembrandt  der  Licht- 
magus  der  nordischen  Kunst  erschienen  ist.  Diese  Auf- 
gabe hat  der  Verfasser  trefflich  gelöst.  Auch  wer  sich 
schon  eingehender  mit  Rembrandt  befaßte,  wird  diese 
knappe  und  frische  Abhandlung  mit  Nutzen  lesen.     R. 

Die  Ausbildung  des  Künstlers.  Von  Dr.  Hans 
Schmidkunz.  VlI.  Bändchen  der  »Führer  zur  Kunst«. 
Preis  M.  i  — ,  Paul  Neff  in  Eßlingen. 

Dr.  H.  Schmidkunz  befaßt  sich  nicht  mit  der  Behandlung 
jener  Punkte,  -welche  in  den  Bereich  der  Ausbildung 
z  u  m  Künstler  gehören,  wie  etwa  Paul  Schultze-Naum- 
burg  in  >Der  Studiengang  des  modernen  Malers«  oder 
Franz  Schmid-Breilenbach  in  »Stil-  und  Kompositions- 
lehre für  Maler«.  Seine  Abhandlung  will  vielmehr  sich 
im  allgemeinen  über  alles  verbreiten,  was  irgendwie 
zum  Bildungswesen  des  jungen  und  zur  Fortentwick- 
lung des  reifen  Künstlers  gehört.  Es  werden  jene  die 
künstlerische  Ausbildung  betreffenden  Fragen  im  Zu- 
sammenhang behandelt,  welche  sonst  von  der  Kunst- 
kritik vielfach  gelegentlich  angeschnitten  werden,  wie 
über  das  Verhältnis  von  Technik  und  Kunst,  Werk-  -i 
statt-  oder  Klassenschulbildung,  Charakter-  und  allge- 
meine Geistesbildung,  Akademien  und  Kunstgewerbe- 
schulen. Bei  dem  Umfange  von  47  Seiten  muß  sich 
der  Verfasser  selbstverständlich  zum  großen  Teil  auf 
Anregungen  und  Andeutungen  beschränken.  R. 

Maltechnische  Winke  und  Erfahrungen.  Von 
G.  Gussow.   München,  Ernst  Reinhardt.   Preis  M.  1.60. 

Ein  Buch  eines  Künstlers  für  Künstler.  In  klarer  Form 
legt  Gussow  seine  Ansichten  dar  über  die  Herstel- 
lung einer  guten  Grundierung  für  Oel-  und  Tempera- 
malerei, er  charakterisiert  dann  die  Farben  und  ihre  Binde- 
mittel, äußert  sich  über  Farbenauftrag,  Harze  und  Firnisse. 


Redaktionsschluß:   16.  .August. 


BEILAGE 


GROSSE  BERLINER  AUSSTELLUNG  1908 


GROSSE 

BERLINER    KUNSTAUSSTELLUNG    1908 

Von  Dr.  HANS  SCHMIDKUNZ  (Berlin-Halensee) 

[/■aum  eine  Ausstellung,  die  so  wenig  einheitliche  Züge 
feststellen  läßt,  wie  diese,  und  darum  so  anspruchs- 
voll dem  Verschiedenartigen  in  ihren  mindestens  2175 
Nummern  nachgehen  heißt!  An  »Schlagern«  fehlt  es 
dieser  nicht  eben  vielgerühmten  Darbietung  Iteineswegs; 
an  Überflüssigstem  am  wenigsten.  Landschaftliche 
Künstlergruppen  und  mehrere  Einerkollektionen  steigern 
den  Anspruch  an  unsere  Aufmerksamkeit  umsomehr,  als 
sie  nicht  immer  deutlich  genug  markiert  sind.  Im  übrigen 
zeigt  unsere  Ausstellung  (veranstaltet  von  der  Akademie 
der  Künste  und  vom  Verein  Berliner  Künstler)  eine  leid- 
hche,  zum  Teil  freundUche  Überwindung  des  Wüsten- 
baues, wie  man  die  hohen  Innenräume  des  Gebäudes 
nennen  mag;  man  kann  sich  sogar  in  einigen  Winkeln 
gemütlich  fühlen  und  sich  mancher  Beispiele  von  guter 
farbiger  > Hängewirkung«   freuen. 

Eine  Freude  an  einheitlichen  Farbenstimmungen 
kommt  deutlich  zur  Geltung;  weniger  deutlich  zeigt 
sich  das  heute  jedenfalls  vorhandene  Wiedererwachen 
des  Interesses  am  Geistigen,  statt  bloß  am  Optischen, 
sowie  des  Interesses  am  Schöpferischen,  statt  bloß  am 
Abbildnerischen.  So  lohnt  sich  insbesondere  das  Durch- 
wandern der  Räume  für  die  Malereien;  für  uns  soll  es 
zugleich  ein  Rundgang  durch  die  deutschen  Kunstpro- 
vinzen sein. 

Unter  den  Berliner  Einzelkollektionen  überrascht  vor 
allem  die  des  (jüngeren)  Ernst  Pfannschmidt,  nach- 
dem er  bisher  hauptsächlich  nur  aus  Spezialitäten,  wie 
z.  B.  Mosaik-Entwürfen,  kennen  zu  lernen  war.  Christ- 
liche, zumal  biblische  Stoffe  stehen  voran;  neben  den 
auch  durch  Würde  hervorragenden  Stücken  (»Grabes- 
ruhe«, »Speisung  der  jooo«)  zeigen  manche  (z.  B. 
»Christus  in  Gethsemane«,  »Christus  und  Xikodemus«) 
eine  zur  Unruhe  verführende  Virtuosität  der  Linien. 
Abbildungen  von  Interieurs  und  anderes  Weltliche 
schließt  sich  an. 

Rudolf  Dammeier  bringt  unter  verschiedenen 
»Ansichten«  (»Straße  am  Bach«  u.  dgl.)  auch  mehrere 
Kircheninterieurs  aus  Tirol  usw.  —  Beispiele  von  typi- 
scher Gebirgsmalerei  stellt  Georg  Hermann  Engel- 
hardt  aus.  —  Otto  H.  Engel  zeigt  sich  zwar  nicht 
in  geschlossenem  Zug,  erfreut  aber  an  mehreren  Stellen 
durch  seine  friesischen  .Mädchen  u.  dgl.;  eine  »Junge 
Mutter«  ragt  hervor. 

Seit  Rudolf  Hellgrewe  im  Jahre  1886  nach  Ostafrika 
gegangen  war  und  von  dort  mehrfache  Gemäldestudien 
mitgebracht  hatte,  ist  die  »Kolonialpolitik«  auch  in  die 
Kunst  eingezogen.  Jetzt  vertritt  sie  für  uns  Wilhelm 
Kühnen.  Er  stellt  neben  einem  »Gottesdienst  in  einer 
Missionskirche  Deutsch-Ostafrikas«  und  Expeditionsszenen 
zahlreiche  Tierbilder  aus;  der  Kritik  jedoch,  daß  sie  mehr 
Illustration  als  Künstlertum  seien,  können  wir  nicht  wi- 
dersprechen. Zeigen  doch  ein  .\Itbekannter  wie  Paul 
Meyerheini  und  Jüngere  wie  Hans  Schmidt  und 
Richard  Friese,  was  da  zu  machen  ist!  Der  letztere 
verbindet  damit  noch  eine  Kunst  der  Stimmung  seiner 
ostpreußischen  Heimat. 

Daß  der  .Mensch  mit  seinen  geistigen  .\ktionen  und 
Zuständen  sowie  seinem  eigenen  Leib  das  würdigste 
Objekt  künstlerischer  Betätigung  bildet,  läßt  uns  diese 
Ausstellung  nicht  vergessen.  Die  große  Komposition, 
zumal  die  für  architektonische  .Malerei,  ist  allerdings  noch 
nicht  zurückerobert.  Sebastian  Lucius  setzt  hier  seine 
dekorativ  angelegten  Schöpfungen,  die  wir  von  Dresden 
her  kennen,  hauptsächlich  durch  sein  Friesfragment 
»Lebenslauf«  fort.  Was  daneben  zwei  andere  Maler 
»hodlem«  und  »erlern«,  bleibt  besser  ungenannt.     Da- 


gegen stecken  in  Adolf  Schlabitz'  »Eilenburger  Bitt- 
gottesdienst von  1639«  trotz  luftloser  Flachheit  seiner 
Gestalten  eine  geschickte  Raumbehandlung  und  ein  wür- 
diger Gehalt;  wozu  noch  sinnige  Landschaften  kommen. 
Von  Staffeleibildern  begrüßen  wir  zwei  besonders 
wertvolle  Schaffensstücke  mit  vorwiegend  guter  Durch- 
führung. Rudolf  Eichstaedt,  längst  durch  Derartiges 
anerkannt,  malt  »Vor  dem  Ausmarsch« :  Freiheitskämpfer 
empfangen  mit  den  Ihrigen  den  kirchlichen  Segen.  Der 
inhaltlichen  Vornehmheit  ist  die  formale  aufs  glück- 
lichste angepaßt.  —  Ein  »Golgatha«,  bei  dem  Christus 
noch  ungekreuzigt  vor  den  Schachern  steht,  begleitet 
von  den  verzweifelten  Frauen  usw.,  hat  Hermann 
Clementz  ausgestellt,  ein  noch  zwischen  wahrhaftem 
und  theatralischem  Ausdruck  Ringender.  —  Künstlich 
»gestellt«  sind  ungezählte  Bilder;  wohl  nicht  am  unge- 
schicktesten das  mehr  auf  Heiterkeit  berechnete  »Ein' 
feste  Burg  ist  unser  Gott«  von  Herbert  Arnold,  der 
mit  seiner  geheimnisvollen  »Som.mernacht«  glücklicher 
ist,  als  mit  menschhchen  Geschichten. 

Dem  »Nikodemusj-Thema  hat  Ferdinand  Graf 
Harrach  die  ergreifende  neue  Wendung  abgewonnen, 
daß  er  den  in  der  Überzeugung  Gefestigten  sinnend 
aus  seinem  Hause  hervortreten  laßt;  und  dem  »Maria«- 
Thema  gewinnt  C.Erich  Brunkal  eine  Fassung  ab, 
die  das  Kindhafte  sympathisch  betont. 

Christhche  Kunst  ist  hier  sonst  nur  äußerlich  ver- 
treten; neben  Ernst  Hausmanns  »Die Jünger  von  San 
Francesco«  kommen  noch  Kircheninterieurs  u.  dgl.  von 
demselben,  von  Karl  Oenicke,  William  Pape, 
Paul  Paeschke,  Felix  Possart  und  hervorragend 
von  Martin  Wilberg.  Unter  dem  Titel  »Der  Herr 
ist  mein  Hirte«  malt  Paul  E.  Hildebrandt  ein  Wohn- 
interieur, das  zu  den  lichtvollsten  Kabinettstücken  ge- 
hört. Fürs  freie  Grün  leistet  Hermann  Seeger  mit 
»Rosenzeit«  und   iDer  Blumenkranz«   ähnliches. 

Im  Porträt  zeigt  sich  bei  den  Berlinern  Friedrich 
Harnisch  mit  »Papst  Pius  X.«.  Dann  nennen  wir 
Georg  Ludwig  Meyns  »Familie  des  Künstlers«,  das 
die  Geschichte  des  deutschen  Porträts,  wie  sie  zumal 
über  Gustav  Richter  leitet,  würdig  fortführt,  ergänzt 
durch  Porträtskizzen.  Neben  einem  der  Bewährtesten 
wie  Rudolf  Schulte  im  Hofe  und  neben  Porträtisten, 
die  mehr  nur  äußerlich  vorgehen,  begrüßen  wir  wie- 
derum Sabine  Reicke,  Rudolf  Thienhaus  und 
Fritz  Genutat,  letzteren  auch  mit  traulichen  Land- 
schafts-Gemälden und  -Graphiken. 

Manche  dem  Porträt  nahestehende  Kunst  kann  uns 
noch  locken,  zumal  die  Hans  Looschens  mit  seinem 
»."Mten  Mann«,  der  sich  am  Feuer  wärrat,  oder  die 
»Balladen«,  »Konzerte«  u.  dgl.,  sowie  die  anM.  v.Schwind 
erinnernde  Illustration  »Bergeinsanikeit«  von  Franz 
Müller-Münster.  Genre  u.  dgl.  ist  bei  den  Berlinern 
sonst  spärlich;  Julius  Ehrentraut,  Paul  Halke 
und  Otto  Seeck,  dann  mit  malerischen  Künsten 
M.  Coschell  und  Berthold  Genzmer,  mit  eigen- 
sprachiger Zeichnung  von  Schnittern  Elisabeth  Rich- 
ter und  mit  Hafenbildern  Leonhard  Sandrock  in- 
teressieren uns.  Auch  Stilleben  und  Interieur  sind  nur 
gering  vertreten. 

Gegenüber  unseren  Landschaftern  hält  es  am  schwer- 
sten, eine  Auswahl  zu  treffen.  Bei  Ernst  Kolbe  ergeben 
die  flotten  Rundungen  seiner  Flächenelemente  und  wohl 
auch  die  Vereinigung  von  Braun  und  Grün  Neuartiges; 
in  ähnlicher  Weise  scheint  A.  Norman n  mit  Recht 
gerüliml  zu  werden.  Jedenfalls  erfreut  ein  Streben  nach 
guter  Farbenharmonie  z.  B.  bei  Max  Schlichting, 
Max  Uth  und  Karl  Wendel. 

Rückkehr  zu  Bekannten  lohnt  bei  Carl  Lang- 
hammer, bei  Carl  .\lexan der  Brendel,  bei  Willy 
Hamacher,  bei  Hans  Hartig  mit  Dorfbildern  u.  dgl., 
sowie  bei  früher  genannten  Malern  der  Mark  oder  ahn- 


AUSSTELLUNG  BERLIN   -   KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 


licher  Gaue.  Ungern  läßt  man  neben  Hugo  Köckes 
gut  vertieftem  »Herbstmorgen  an  der  Ostsee«  oder 
Max  Hoenows  »Waldteich«  manches  wertvolle  Stücl< 
unerwähnt;  doch  von  dein  verstorbenen  Gustav 
Pflugradt  darf  auf  die  inhaltsvolle  »Landschaft  mit 
einem  alten  Jagdschloß«    aufmerksam  gemacht  werden. 

Friedrich  Kall  morgen,  der  gewandte  Darsteller 
von  Wind  und  Wetter,  erscheint  nicht  nur  in  einem 
eigenen  Räume,  sondern  auch  innerhalb  der  Vereinigung 
nordwestdeutscher  Künstler.  Heimatsfreunde  können  sich 
freuen  über  deren  Bestreben,  aus  der  gegebenen  Natur 
neue  Reichtümer  herauszuholen.  Voran  die  Worpswcder, 
mit  einer  Verschärfung  der  Grün-Künste  Heinrich 
Vogelers.  Alfred  Mohrbutter  und  Karl  Leipold 
sind  bekannt,  Paul  Müller-K  empff  wird  es  jetzt; 
Carl  Arp  hat  sein  nach  der  Alpen  weit  des  oberenga- 
dinischen  Samaden  gehendes  Interesse  vor  kurzem  breiter 
hei  Schulte  dargelegt.  —  Zwischen  Berlinern  bringt  der 
Hannoveraner  Hermann  Schaper  ein  Doppelbildnis. 

Die  Aufmerksamkeit,  welche  auf  den  letzten  Aus- 
stellungen die  Königsberger  Künstler  erweckt  haben, 
bleibt  wenigstens  noch  wach.  Vor  allem  bei  Otto 
Heichert,  und  zwar  weniger  durch  ein  neues  Heils- 
armeebild sowie  durch  ein  als  »Ostpreußischer  Früh- 
ling« bezeichnetes  M.idchenbild,  als  vielmehr  durch  sein 
Porträt  eines  dortigen  Pfarrers,  ein  Schlager  im  besten 
Sinne  des  Wortes.  Ludwig  Dettinann  erfreut  durch 
seine  »Rast«  und  durch  eine  Darstellung  von  Glocken- 
geläute: »Morgen  ist  Feiertag«.  Vom  Schwarz- Weiß 
nehmen  wir  Heinrich  Wolff  vorweg. 

Posen  ist  vertreten  durch  Theodor  Ziegler  mit 
eineiTi  Porträt  und  Danzig  durch  August  vonBrandis 
mit  Interieurs. 

Hamburg  hat  seine  vorjährige  Vertretung  nicht  wie- 
derholt, ausgenommen  Wasservögelbilder  von  Fritz 
Lissmann. 

Doch  ohne  Düsseldorf  keine  »Große«.  Robert 
Seuffert  kennen  wir  jetzt  aus  IV/ii.  Gleich  diesen 
Bildern  zeiclmet  sich  sein  »Christus  im  Grab«  durch 
das  Einhalten  einer  guten  Mitte  zwischen  lebhafter  Be- 
wegung und  hieratischer  Ruhe,  nicht  jedoch  durch  Raum- 
vertiefung aus.  Heinricli  Hermanns  und  Rudolf 
Hut h Steiner  malen  Kirchenbilder,  bei  denen  jener 
mehr  auf  Einheit,  dieser  mehr  auf  Einzeltreue  ausgeht. 
»Kevelaerpilger «  malt  Max  Stern.  Beachtenswerte 
Po'träts  staminen  von  Fritz  Reusing  und  Adolf 
Schönnenbeck.  Robert  Böning'ers  hübsche  Kinder- 
köpfe fangen  zu  langweilen  an.  Mit  dem  Bildnisse  des 
Malers  Ciarenbach,  wie  er  in  kalter  Schneelandschaft 
arbeitet,  hat  Wilhelm  Schmurr  eine  fein  durchge- 
führte, doch  auch  zur  Diskussion  herausfordernde  Kom- 
bination von  Porträt  und  Landschaft  gegeben.  Die 
letztere  allein  ist  reiclilich  vertreten,  nicht  zuletzt  durch 
Stadt-  und  Dorfansichten  von  Otto  Ackermann,  Carl 
Jutz  jun.,  Eugen  Kampf,  Erich  Nikutowski, 
Fritz  Westendorp.  Im  übrigen  wieder  die  guten 
Farbenharnionien  aus  der  Eifel  (z.  13.  »Die  blaue  Blume« 
von  Fritz  v.  Wille),  sowie  aus  anderen  Gegenden  von 
Wilhelm  Ham buchen,  Hubert  Ritzenhofen  usw. 
Besonders  Eigenartiges  leistet  wieder  H.  Liesegang, 
zumal  durch  seine  erfolgreichen  getönten  Radierungen. 
Frankfurt  am  Main  hat  seine  frühere  kunstgeschicht- 
liche Stellung  noch  nicht  zurückerobert.  Nur  Einen 
können  wir  von  dort  nennen  —  es  ist  Wilhelm  Stein- 
hausen. Sein  »Christus  und  die  Jünger  in  Emmaus 
steigert  zwar  des  Künstlers  geringe  Kunst  des  physio- 
gnomischen  Ausdruckes  nur  wenig,  und  sein  Streben 
nach  lockerer  Malerei  führt  auch  zu  dem  Eindrucke  des 
Unfertigen;  sonst  jedoch  kann  man  in  Berlin  froh  sein, 
von  ihm  überhaupt  ein  Gemälde  zu  sehen,  und  noch 
dazu  eines  von  so  ergreifender  Gesamthaltung.  Eduard 
Gebhardts    neues    Gemälde    »Der    verlorene    Sohn« 


(Abb.  Jg.  IV,  S.  211  —  213)  reicht  seelisch  daran  trotz 
aller  Durcharbeitung  nicht  heran,  läßt  uns  aber  an  das 
Glück  denken,  das  der  religiösen  Kunst  widerfahren 
würde,  wenn  Steinhausens  Vergeistigung  und  Gebhardts 
Naturtreue  in  einem  Künstler  vereinigt  wären.  —  Adolf 
Luntz'  »Weiden  am  Alt-Rhein«  zeigen  Anschluß  an 
Steinhausens  Malweise. 

über  Cassel,  das  uns  ein  »Heidemoor«  von  Carl 
Holzapfel  sendet,  setzen  wir  unsere  Wanderung  fort 
zu  den  F.lsässern.  Sie  waren  noch  nicht  so  nahe  kennen 
zu  lernen,  wie  diesmal.  Koloristisches  ist  ihr  Ruhm 
nicht,  Luministisches  viel  mehr,  Landesheimatstimmung 
am  meisten.  Natürlich  gehören  dazu  Straßburger 
Münsterblicke  u.  dgl.  von  Heinrich  Beecke  und 
Lucien  Blum  er.  Am  günstigsten  tritt  Heinrich 
Ebel  hervor;  seiner  Familienszene  »Bei  der  Lampe« 
und  anderen  Gemälden  reihen  sich  Zeichnungen  an,  die 
trotz  ihrer  etwas  starren  Physiognomien  einen  Rang  in 
der  Schilderung  des  häuslichen  Lebens  einnehmen. 


KUN.STVEREIN  MÜNCHEN 

In  gewissem  Sinne  gehört  auch  die  hervorragende 
Landschaftsmalerin  Tina- Blau- Lang  zur  Münchner 
Kunst,  da  sie  lange  Jahre  an  der  Seite  des  geschätzten 
und  hochverdienten  Schlachtenmalers  H.Lang  hier  weilte 
und  nun  öfters,  von  Wien  aus,  tüchtige  Proben  ihres 
Könnens  sendet.  Ihre  umfangreiche  Kollektion  von  Mo 
tiven  aus  Wien  und  Umgebung,  namentlich  den  Prater- 
auen,  dann  aus  Holland,  Italien  etc.  berührte  den  Kunst- 
freund anheimelnd  und  wahrhaft  erfrischend.  Ein  reines, 
glücklich  beschaulich  veranlagtes  Gefühl  für  die  intimen 
Reize  der  Natur  spricht  aus  all  den  überaus  liebevoll 
durchgeführten  Bildern,  die  auch,  was  heute  betont 
werden  muß,  wirkliche  Bilder  und  keine  Naturausschnitte 
sind.  Die  Künstlerin  vergreift  sich  auch  nie,  im  Gegen- 
satze zu  so  vielen  anderen  malenden  Genossen  und  Ge- 
nossinnen, im  Format  der  Bilder,  sie  weiß  ihren  Gegen- 
stand geschickt  und  geschmackvoll  der  Raumbedingung 
anzupassen.  Vor  allem  aber  strömt  uns  selbst  aus  dem 
unscheinbarsten  Motiv  eine  Poesie  entgegen  von  Innig- 
keit, wie  sie  nur  ein  deutsches  Gemüt  besitzen  kann, 
das  beseelt  und  mit  sich  zieht.  Am  prächtigsten  ist  das 
in  der  ernsten,  fast  schwermütigen  Landschaft  aus  der 
Donaugegend  wiedergegeben,  in  den  herrlichen,  feinst 
durchgeführten  Stimmungsbildern  bei  Amsterdam,  Vollen- 
dam,  Verre,  und  in  den  Motiven  alter  Baumriesen  oder 
einsamer  Birken  bei  verlassenen  Hütten,  aus  den  fern 
liegenden  Partien  des  Wiener  Prater,  in  ihrer  eigentüm- 
lichen Melancholie;   der  Künstlerin  Spezialität. 

Unter  der  reichen  Fülle  von  Landschaften,  die  ja  stets 
allwöchentlich  die  Ausstellung  zieren,  verdienen  noch 
eine  besondere  Beachtung  die  Münchener  Ansichten  bei 
Tag  und  Nacht  von  Karl  Bössenroth.  Dieser  Maler 
hat  sich  in  der  letzten  Zeit  seines  Schaffens  mehr  zu  der 
Art  Palmies  hingeneigt,  von  dem  auch  einige  Proben 
seiner  aufs  äußerste  getriebenen  pointillistischen  Art  zu 
sehen  waren.  Nur  arbeitet  Bössenroth  mit  schlichteren, 
weniger  auffallenden  Mitteln  und  erreicht  denselben  Zweck, 
denselben  EiTekt.  —  .\Is  ein  gewissenhafter  und  gediegener 
Zeichner  stellte  sich  im  Parterresaale  Philipp  Schu- 
maclier  vor  und  zeigte  in  einer  großen  Fülle  von 
Blättern,  Entwürfen,  Karten,  Titel  zu  Büchern  etc.  sein 
tüchtiges  Können ,  das  sich  an  die  Art  der  Nazarener 
oder  etwa  Führichs  anschließt,  bei  Wahrung  vollkom- 
mener Eigenart.  Man  erkennt  aus  all  den  reizvollen, 
liebevoll  ausgeführten  Zeichnungen  und  .Aquarellen  aus 
dem  Leben  Jesu  und  seiner  Apostel,  wie  der  Künstler 
bestrebt  ist,  allem  der  Würde  des  Gegenstandes  ent- 
sprechend Stil  und  charaktervolle  Form  zu  verleihen, 
und  wenn  dabei  manches  an  Altes  erinnert,  so  muß  man 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


stets  im  Auge  behalten,  daß  das  künstlerische  Eigentum, 
wie  es  Schumacher  zeigt,  in  der  künstlerischen  Form  be- 
ruht, die  er  den  religiösen  Ideen  y.u  geben  weiß.  Unter 
diesem  Gesichtspunkte  betrachtet,  hat  Ph.  Schumacher 
vielleicht  mehr  erreicht  als  so  manclier,  der  auf  moder- 
nem Gebiet  gedankenlos  ausgetretene  moderne  Wege 
wandelt  und,  weil  dieselben  momentan  modern,  biUigen 

Erfolg    erzielt.  I-Vanz  Woller 

VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Münster  (W'estf).  Am  19.  August  ist  die  neue 
Kirche  des  Klosters  >Zum  guten  Hirten«  in  der  Vor- 
stadt St.  Mauritz  vollendet  und  eingeweiht  worden.  Der 
Bau,  von  dem  Regierungsbaumeister  Moritz-Köln  ent- 
worfen, bietet  hinsichtlich  seiner  Gestaltung  und  des 
verwendeten  Materials  viel  Neues  und  Interessantes.  Es 
galt,  innerhalb  eines  bestehenden  giößeren  Häuserkom- 
plexes eine  Kirche  zu  errichten,  die  gemäß  ihrer  höhe- 
ren Bestimmung  die  übrigen  Gebäude  beherrschen,  außer- 
dem fünf  getrennte  Räume  mit  dem  Blick  auf  einen 
Altar  gewähren  mußte.  Beides  ist  ausgezeichnet  gelun- 
gen. Von  den  übrigen,  sehr  haßlichen  Gebäuden  durch 
einen  schmucken  profanen  Neubau  abgesondert,  liegen 
strahlenförmig  im  Halbkreise  fünf  gedrungene  Schiffe. 
Über  ihrem  Schnittpunkte  erhebt  sich  ein  mächtiger, 
quadratischer  Kuppelbau,  überragt  von  einem  hohen 
pyramidenförmigen  Schieferdache.  Vier  schlanke  Eck- 
türme schmiegen  sich  ganz  eng  an.  Eine  um  den  ganzen 
Mittelbau  herumlaufende  Galerie,  die  alle  Teile  fest  zu- 
sammenschnürt, die  unten  eingezogene  Linie  des  Daches, 
die  auf  drei  wuchtigen  Bögen  ruhende  Vorhalle,  die  den 
Blick  kräftig  hinaufleitet,  alles  erweckt  den  Eindruck  voll- 
ständiger Konzentration  und  sichert  dem  ganzen  Bau  — 
trotz  seiner  geringen  Höhe  von  40  Metern  —  das  not- 
wendige Übergewicht  über  die  herumliegenden  Häuser. 
Als  Material  ist  in  der  Hauptsache  stark  gebrannter  Ziegel- 
stein gebraucht  worden,  der  sehr  gut  von  Farbe  ist  und 
in  den  weiten  Fensterbögen  geradezu  monumental  wirkt. 
Die  Front  der  Vorhalle  ist  aus  Basalt,  ebenso  ihr  pla- 
stischer Schmuck  —  der  einzige  an  der  ganzen  Kirche  — , 
Christus  als  guten  Hirten  darstellend.  Entsprechend  dem 
Material  ist  die  ganze  Figur  einfach  und  ernst  gehalten, 
etwas  archaisch  steif  stehen  die  Schäflein,  symmetrisch 
geordnet,  daneben.  Für  die  Fenstereinfassungen,  für  die 
ganze  Galerie  und  sonstige  Verzierungen  ist  sogenann- 
ter Kunststein  verwendet  worden  Dieser  ist  in  der 
Farbe  des  Basalts  gehalten  und  erscheint  künstlerisch 
durchaus  einwandfrei.  Seine  Natur  zwang  zu  einer 
möglichst  schlichten,  unserem  modernen  Empfinden  sehr 
zusagenden,  leise  an  das  Romanische  anklingenden  Form- 
gebung. Die  Fenster  sind  aus  grünem  Opalescentglas. 
Dieses  läßt  das  Licht  sehr  gut  durch  und  erscheint  von 
draußen  nicht  so  tot  wie  ein  Glasgemälde.  In  jedem 
Fenster  ist  nur  ein  kleiner  Raum  für  ein  Medaillonbild 
ausgespart,  eine  Zurückhaltung,  die  gegenüber  der  ge- 
bräuchlichen Überladung  sehr  vornehm  wirkt.  Elektri- 
sches Licht,  von  einfachen  eisernen  Rahmen  herunter- 
strahlend, Zentralheizung  sowie  Linoleumbelag  fehlen 
nicht.  Abgesehen  von  einigen  kleineren  Mängeln  —  so 
fehlt  z.  B.  den  sehr  schönen,  stark  gerippten  Widerlagern 
ein  guter  Abschluß  —  ist  hier  ein  Werk  geschafl'en,  das 
durch  und  durch  modern,  dabei  volkstümlich  und  billig  ist. 

Ludwig  Glötzle  veranstaltete  im  Oktober  eine 
Sonderausstellung  im  Ausstellungsraum  der  Gesellschaft 
für  christliche  Kunst  zu  München  (Karlstr.  6).  Er  be- 
schränkte sich  hierbei  zumeist  auf  Entwürfe  zu  kirch- 
lichen Wandmalereien.  Die  Ausstellung  solcher  Ar- 
beiten pflegt  zwar  keine  so  große  Anziehungskraft 
auszuüben,  wie  durchgearbeitete  Stafieleibilder;  doch  ist 


sie  nicht  minder  iilteressant,  weil  das  Studium  der  aus- 
geführten Wandmalereien  an  Ort  und  Stelle  nur 
wenigen  gegönnt  ist.  Auch  haben  Studien  und  Ent- 
würfe regelmäßig  den  Vorzug  besonderer  Frische  und 
Unmittelbarkeit.  Der  Kollektion  sind  zwei  erst  heuer 
entstandene  Altarbilder  einverleibt;  »Die  hl.  Familie« 
und   tMargaretha  Alacoque«. 

Rom.  Einen  schmerzlichen  Verlust  eilitten  die  hie- 
sigen Kunstkreise  am  11.  September  durcli  das  plötz- 
liche Ableben  des  Professors  Ludwig  Seitz.  Der 
namentlich  durch  seine  Fresken  in  der  Kathedrale  zu 
Diakovar,  in  der  deutschen  Nationalkapelle  der  Wall- 
fahrtskirche in  Loreto  und  in  der  Antoniuskirche  zu 
Padua  berühmt  gewordene  Meister,  der  im  Vatikan 
hohes  Ansehen  genoß,  wurde  1843  in  Rom  geboren 
und  stand  in  einem  engeren  Schülerverhältnis  zu  Overbeck. 

Joseph  Maria  Olbrich,  einer  der  Führer  im  mo- 
dernen Kunstgewerbe  und  in  der  modernen  Architektur, 
ist  im  August  gestorben.  Er  war  1867  zu  Troppau 
geboren,  besuchte  die  Wiener  Akademie  und  wurde 
Mitbegründer  der  Wiener  Secession,  deren  Ausstellungs- 
gebäude sein  Werk  ist.  Später  nahm  er  einen  Ruf 
nach  Darmstadt  an,  wo  er  auch  verblieb.  Bei  seinen 
Schöpfungen  ließ  er  sich  nicht  so  fast  von  Grundsätzen 
logischer  Konstruktion,  als  von  der  auf  schmückende 
Wirkung  abzielenden  Phantasie  leiten. 

Wettbewerb  für  einen  Brunnen  am  Josephs- 
platz in  München.  Im  10.  Heft  des  vorigen  Jahrgangs 
wurde  das  Ergebnis  dieses  Wettbewerbs  mitgeteilt.  In 
einem  ausführlicheren  Bericht  des  vorigen  Heftes  wurde 
versehentlich  nicht  mehr  aufgeführt,  daß  unter  den 
preisgekrönten  Projekten  auch  der  Christophsbrunnen 
von  Ludwig  Engler  in  München  war,  was  wir  hier- 
mit nachholen. 

Ergebnis  eines  engeren  Wettbewerbes.  Mit 
der  Herstellung  eines  Altargemäldes  in  der  prot.  Kirche 
zu  Külsheim  bei  Uflfenheim  wurde  Hermann  Stock- 
mann (Dachau)  betraut. 

Barmen.  Die  Galerie  des  Kunstvereins  erhielt  an 
Geschenken  von  Aug.  Frlir.  von  der  Heydi,  Elberfeld, 
die  beiden  Bronzen  »Die  Badende«  und  »Salome«  von 
Max  Klinger,  von  Herrn  Hugo  Toelle,  Barmen,  das 
Gemälde  »Pfauen  im  Schnee«  von  Rudolf  Schramm- 
Zittau  und  vom  Verein  der  Kunstfreunde  in  Barmen 
ein  »Stilleben«  von  Charles  Sc  buch. 

Köln.  Zum  Direktor  am  Wallraf-Richartz-Museum 
wurde  Dr.  Alfred  Hagclstange  ernannt.  Der  neue 
Direktor  war  früher  Museumsbeamter  am  Germanischen 
Museum  zu  Nürnberg,  dann  wirkte  er  in  Magdeburg. 
In  seinem  neuen  Wirkungskreis  obliegt  ihm  die  Leitung 
der  Bildergalerie  und  des  Kupferstichkabinetts.  Zweiter 
Direktor  wurde  Dr.  Poppelreuter,  dem  die  Plastik 
und  die  römischen  Altertümer  zugeteilt  sind, 

Bildhauer  Franz  Cleve  (.München)  vollendete  aii- 
fangs  Oktober  eine  Kreuzigungsgruppe  in  lebensgroßen 
Figuren  für  die  Kirche  zu  Neuhaus  in  der  Oberpfalz. 
Dem  Heiland,  der  soeben  seinen  Geist  in  die  Hände 
des  Vaters  zurückgegeben,  kniet  Magdalena  zu  Füßen ; 
rechts  stehen  die  schmerzhafte  Mutter  und  Maria  Kleophä, 
links  Johannes.  Ein  besonderer  Vorzug  der  von  tiefer 
Frömmigkeit  durchdrungenen  Gruppe  ist  die  glückliche 
Lösung  des  künstlerischen  Zusammenschlusses  mehrerer 
Personen  zu  einheitlicher  und  doch  in  sich  abwechs- 
lungsreicher Wirkung.  Das  Material  ist  franzosischer 
Kalkstein. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  —  BÜCHERSCHAU  —  DER  PIONIER 


August  Müller-Warth  malte  für  einen  neuen, 
von  Architekt  Micliael  Kurz  (z.  Z.  in  Göggingen)  ent- 
worfenen Altar  der  Hauskapelle  der  Englischen  Fräulein 
in  Krumbach  ein  Altarbild.  Es  stellt  das  Christkind  bei 
der  Arbeit  an  der  Seite  des  hl.  Joseph  dar. 

München.  Das  von  Baurat  Hans  Grässel  erbaute 
Hl.  Geislspital  erhielt  durch  den  genannten  Künstlei 
eine  schöne  Kirche  mit  Heizung.  Das  Hochaltarbild 
stammt  von  Professor  R.  v.  Seitz,  die  Deckenbilder 
wurden  von  Professor  Waldemar  Kolmsperger 
gemalt. 

Berlin.  In  der  Galerie  Eduard  Schulte  fand 
im  September  eine  hervorragende  Carl  Spitzweg  f- 
Ausstellung  statt,  die  über  200  Werke  enthielt.  Auch 
Jie  Sammlung  von  Werken  August  Seidls  f,  eines 
unbekannt  gebliebenen  Schülers  voii  Rottmann,  bot 
manche  Überraschungen.  —  Im  November  veranstaltet 
Eduard  Schulte  zu  Ehren  des  60.  Geburtstages  Uhdes 
eine  große  Ausstellung  von  Werken  Fritz  v.  Uhdes; 
sie  übertriftt  die  Veranstaltung  vom  vorigen  Jahr  in 
München  noch  an  Umfang. 

Internat.  Kunstausstellung  der  Münchener 
»Secession«.  Vom  bayerischen  Staat  wurde  noch 
nachträglich  für  die  Kgl.  Glyptothek  angekauft:  die  Por- 
trätbüste Prol'essor  Bildhauer  Joseph  Floßmann  (Bronze) 
von  Professor  Adolf  von  Hildebrand  in  München. 

Verkauf  einer  Sammlung.  Professor  Dr.  von 
Weißenbach  in  Leipzig  (Brommestr.  2)  gedenkt,  wie 
uns  mitgeteilt  wurde,  seine  sehr  umfangreiche  Samm- 
lung wegen  vorgerückten  Alters  und  in  der  Absicht, 
.sie  vor  Verschleuderung  zu  sichern,  zu  verkaufen.  Sie 
umfaßt  Handzeichnungen,  Holzschnitte,  Stiche,  Ätzungen, 
Lithographien,  die  größte  Einzelblattsammlung  zur  Ge- 
schichte der  Buchdruckerkunst  und  Photographie  usw. 
Die  Blatter  sind  nach  Gegenständen  geordnet.  Die 
kirchliche  Kunst  ist  mit  16000  Blättern  vertreten.  Für 
ein  Diözesanmuseum  oder  die  Bibliothek  eines  Lyzeums 
oder  Klerikalseminars  dürfte  die  Sammlung  viel  Stoft' 
zu  Studium  und  Anregung  bieten. 

BÜCHERSCHAU 

Der  heilige  Franz  von  A'ssisi.  Von  Heinrich 
Federer.  Mit  6  farbigen  Tafeln  und  1 1  Federzeichnungen 
von  Fritz  Kunz.  52  Seiten  im  Format  28X25  cm.  In 
elegantem  Umsclilag  mit  Deckelzeichnung  M.  3. — ,  ge- 
bunden in  Leinwand  mit  Goldpressung  M.  6. — ,  in 
Prachtlederband  mit  Goldschnitt  M.  10. — . 

»Was  dem  heiligen  Franz  in  unserer  Zeit  bei  Hundert- 
tausenden eine  so  große  Volkstümlichkeit  gibt,  das  ist 
ganz  gewiß  nur  seine  Naturfreudigkeit,  seine  Kinder- 
sprache, sein  Sitzen  am  Waldbrünnlein,  seine  Reden 
mit  den  Blumen  und  Wipfeln.  Aber  auch  die  unsäg- 
liche Freiheit  des  Poverello,  ohne  gesichertes  Domizil, 
ohne  Erwerb,  ohne  Geld.säckel  zu  leben,  genau  wie  ein 
unbesorgter  nestloser  Vogel,  dünkt  uns  eingezwängte 
und  eingeengte  Menschen  des  20.  Jahrhunderts  köstlich. 
Tiefer  Denkende  bewundern  auch  ein  zwischen  Welt- 
tätigkeit und  Weltfremde,  zwischen  Familiengeselligkeit 
und  totenstiller  Einsamkeit  sich  so  harmonisch  bewe- 
gendes Leben.  Doch  ist  es  alles  das  nicht,  was  diesem 
Heiligen  so  tiefe  Bedeutung  verleiht.  Das  liegt  viel- 
mehr in  der  großen  Liebe,  die  Franzen ,  beständig  zu 
Gott  treibt.« 

Diese  Charakterisierung  ist  einer  kurzen,  aber  inhalt- 
reichen und  formvollendeten  Biographie  entnommen, 
welche  der  feinsinnige  Dichter  Heinrich  Federer  zu  einer 
Bilderserie  des  Schweizer  Künstlers  Fritz  Kunz  über  den 
heiligen  Franziskus  von  Assisi  schrieb.  Die  Gesellschaft 
lür  christliche  Kunst  schenkte   soeben  in   dem  obenbe- 


zeichneten Werk  mit  den  teils  farbigen,  teils  in  wirk- 
samer Zeichnung  entworfenen  Bildern  von  Kunz  und 
dem  Text  von  Federer  der  christlichen  Welt  eine 
köstliche  Gabe.  Die  Bilder  sind  vorzüglich  ausgeführt, 
die  Ausstattung  entspricht  dem  feinsten  Geschmack. 
Dabei  ist  aber  das  Buch  nicht  etwa  bloß  für  die  Fein- 
schmecker in  Kunst  und  Literatur,  sondern  ein  Buch 
für  alle,  ein  Buch,  das  den  mehr  weltlich  Gesinnten  mit 
sanfter  Gewalt  zur  Einkehr  in  sein  Innerstes  anlockt  und 
das  dem  frommen  Gemüt  eine  gesunde  Nahrung  und 
eine  Vertiefung  seines  inneren  Lebens  vermittelt.  In 
herrlichen  Blättern  gibt  uns  Kunz  zunächst  das  äußere 
Bild  des  heiligen  Franziskus  im  Anschluß  an  das  alte 
Fresko  zu  Sacro  Speco  (Abbildung  im  III.  Jahrgang, 
S.  113);  dann  läßt  er  uns  den  Heiligen  vor  der  Weih- 
nachtskrippe schauen,  schildert  ihn  im  stillen  Verkehr 
mit  der  Natur  auf  den  Höhen  der  Sabinerberge,  in  geist 
liebem  Gespräch  mit  seinen  Brüdern,  himmlischer  Musik 
lauschend,  in  der  Ekstase  der  Stigmatisation,  bei  der 
Rückkehr  von  der  Stigmatisation,  bei  seinem  Hinscheiden 
und  im  Tod.  Diese  Schöpfungen  voll  Einfachheit  und 
Würde,  voll  religiösem  Ernst  und  modernem  Empfinden 
sichern  dem  Künstler  wohl  auf  lange  den  ersten  Rang 
in  der  heutigen  Franziskusmalerei. 

Studien  zur  deutschen  Kunstgeschichte. 
Georg  Cornicelius,  sein  Leben  und  seine  Werke  von 
Karl  Siebert,  Dr.  med.  et phil., mit  30 Tafeln,  196  Seiten. 
10  M.     Straßburg,  J.  H.  Ed.  Heitz  1905. 

Zum  erstenmal  dürfte  der  Name  Cornicelius  den 
meisten  Kunstfreunden  bekannt  geworden  sein  durch 
dessen  seinerzeit  in  der  »Christlichen Künste  reproduzierte 
Werke:  »Christus«,  »Glaubensstark«,  namentlich  durch 
den  lieblichen  geigespielenden  »Engeh.  Nunmehr  liegt 
eine  bei  Heitz  in  Straßburg  erschienene  Monographie 
des  im  Jahre  1898  verstorbenen  Künstlers  vor,  die  einen 
Verwandten  desselben  zum  Verfasser  hat.  Mit  großer 
Liebe  und  gestützt  auf  eine  genaue  Kenntnis  des  vor- 
liegenden Materials  zeichnet  uns  Dr.  Siebert  den  Lebens- 
und Entwicklungsgang  von  Cornicelius  und  gibt  eine 
ausführliche,  m.  E.  zu  breite  Beschreibung  seiner  sämt- 
lichen Gemälde.  Seine  Stellung  in  der  Kunstgeschichte 
wird  dem  Meister  mit  Recht  bei  der  Gruppe  von  Piloty, 
Feuerbach,  Lindenschmit  u  a.  zugewiesen.  Dreißig 
Autotypietafeln  illustrieren  die  fleißige,  gut  orientierende 
Arbeit  und  geben  einen  Begriff  von  dem  Schaffen  eines 
Künstlers,  der  es  verdiente,  der  Vergessenheit  entrissen 
zu  werden.  D 


DER  PIONIER 

MONATSBLÄTTER    FÜR    CHRISTLICHE 

KUNST.  ZUGLEICH  BEIBLATT  DER  VOR- 
LIEGENDEN ZEITSCHRIFT 
»DIE  CHRISTLICHE  KUNST« 
I.JAHRGANG 
Inhalt  der  bisher  erschienenen  Nummern: 

Nr.  I.  Zur  Einführung.  —  Woher  der  Name  Vesper- 
bild ?  Von  Dr.  Andreas  Schmid.  —  Seit  wann  sind 
die  Fenster  verglast?  Von  Max  Hasak,  Grunewald  bei 
Berlin.  —  Zur  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung. 
Von  S.  Staudhamer.  —  Zum  Kapitel  »Volkskunst«. 
Von  Friedrich  Hacker.  —  Reproduktionstechniken. 

Nr.  2.  Der  Klerus  als  Förderer  der  christlichen  Kunst. 
Von  S.  Staudhamer.  —  Die  Zinkographie.  —  Seit  wann 
sind  die  Fenster  verglast?  Von  Max  Hasak  (Fortsetzung). 

Redaktionsschluß:  12.  Oktober 


ENTWURFE  ZU  GRABMÄLERN 


W.  GüHRING 
Text  zu  den  AbbiUiuugen  der  Beilage  S.  7  und  jS 


KARL  KN'Ol.T 


FRANZ  CLEVE 


Text  s.  Beilage  S.  7  u»d  18 


ENTWÜRFE  ZU  GRABMÄLERN 


FRANZ  CLEVE 


ERNST  LAURENTY 


AN'GELO  NEGRETTI 


GROSSE  BERLINER  KUNSTAUSSTELLUNG  1908 


GROSSE 
BERLINER    KUNSTAUSSTELLUNG   1908 

Von  Dr.  HANS  SCHMIDKUNZ  (Berlin-Halensee) 
(Schluß) 

^eben  Ebel  ist  Lothar  v.  Seebach  seit  längerem  gut 
bekannt;  unter  seinen  Zeichnungen  nennen  wir  eine 
•  Klosterfrau  mit  Kindernt.  —  Der  Plastiker  Theodor 
V.  Gosen  benutzt  mannigfache  Materialien  zu  seinen 
Porträtbüsten  und  füllt  mit  Medaillen  (in  Silber)  eine 
Lücke  der  1908  er  Ausstellung  aus.  —  Das  Eigenartigste 
bringt  der  Marketterist 
Carl  Spindler  mit  drei 
Intarsien. 

Eine  •Sonderausstel- 
lung von  keramischen  Ar- 
beiten Elsässer  Künstler, 
Somnieri9o8<  imHohen- 

zollern  -  Kunstgevverbe- 
haus  ist  hier  anzuschlie- 
ßen. Die  Gegend  von 
Hagenau ,  speziell  von 
Sufflenheim,  spielt  in  der 
Geschichte  der  Keramik 
längst  eine  beträchtliche 
Rolle,  an  die  auch  Straß 
burger  Fayencen  und  Por- 
zellane erinnern.  Nach 
allmählichem  Rückgang 
wurde  die  Landestradi- 
tion 1903  durch  eine  Fa- 
brik und  1907  durch  den 
Bildhauer  August  Her- 
berth,  keramischer  Leh 
rer   an    der    Straßburger 

Kunstgewerbeschule, 
wieder  aufgenommen. 
Die  verschiedenen  Ton- 
arten von  Sufflenheim  ei  - 
möglicliten  ihm  mannig- 
faltige Verwertung.  Von 
porösenBlumentöpfen  an, 
mit  ornamentalen  Blau- 
glasuren, geht  es  bis  zu 
hartem  Steinzeug,  und 
dessen  Verwendung  zu 
Grabmälern  scheint  die 
wichtigste  Neuheit  dieser 
Bestrebungen  zu  sein. 
Dazu  Refle.\-  und  Kristall- 
glasuren, sowie  der  bekannte  moderne  Naturalismus  in  der 
Glasurenzeichnung!  Unter  den  Steinzeugfigürchen  befin- 
det sich  auch  ein  Madonnenkopf  von  Charles  Bastian. 
Der  Karlsruher  Künstlerbund  beginnt  mit  einer  Kol- 
lektion Ludwig  Schmid-Reutte;  Zeichnungen,  vor- 
wiegend von  männlichen  Akten,  erinnern  durch  ihre 
Zusammensetzung  aus  einfachen  Vielecken  an  Entwürfe 
für  Glasmalerei.  Im  übrigen  haben  wir  an  Baden  auch 
ein  landschaftliches  Musterländle:  neben  Altbekannten 
wie  Gustav  Schönleber  und  seinen  Nachfolgern 
Gustav  Kamp  mann  und  Hans  v.  Volkmann  er- 
scheinen z.  B  Paul  V.  Ravenstein  und  H.  Sturzen- 
egge r.  Ebenso  sehen  wir  neben  HansThoma  dessen 
»Abels  Opfer«  verglichen  mit  M.  Schiestls  >Kain  und 
Abel«  leer  erscheint)  als  Phantasiebildner  Hans  A. 
Bühler  (»Dem  unbekannten  Gott).  Als  Porträtist 
kommt  Karl  Otto  Fritz  in  Betracht,  und  als  Karls- 
ruher außerhalb  des  Bundes  Heinrich  l'forr  mit 
einem  etwas  absichtsvollen  »Winterabend  in  der  Bauern- 
stube«. —  Bei  den  Stuttgartern  fiel  uns  eine  Ncckartal- 
Landschaft  von  Karl  Schickhardt  auf 


LUDWIG  EBERLE 


Die  Münchener  Künstler-Genossenschaft  hat  vier  Säle 
bekommen,  die  viel  Gutes  enthalten.  So  Arbeiten  von 
Piltz,  Bachmann,  Seiler,  Simm,  Erdtelt,  Hans 
V.  Petersen,  Willroider,  Bolgiano,  Plastiken  von 
Christ,  Hemm esdorfer.  Sehr eyögg,  Wadere(der 
prächtige  Siegesbote). 

Gleichzeitig  stellte  im  Salon  Schulte  die  Münchener 
Gruppe  der  Genossenschaft;  die  »Achtundvierziger«,  aus 
und  interessierte  durch  Interieurs  usw.  aus  älteren  Zeiten 
bekannter  Künstler.  Wie  dort,  so  würdigen  %vir  in  4er 
»Großen«  Alois  Erdtelt  als  Porträtisten ;  als  solcher 
macht  sich  noch  Franz  Pernat  bemerkbar.  In  der 
Landschaft  fällt  uns  Al- 
fred Bach  mann  durch 
Mond-  und  Sonnenwir- 
kungen auf;  Meister  wie 
Josef  W  e  n  g 1 e  i  n  und 
dann  der  ältere,  will 
sagen  jüngere  Ludwig 
Willroider  mit  einem 
in  gutem  Sinn  weichen 
»Abend«  von  1908  und 
dessen  jüngerer  Bruder 
Josef  Willroider  mit 
im    Charakter   ähnlichen 

Landschaftsmalereien 
und  -Zeichnungen  stehen 
neben  dem  anscheinend 
neueren  Paul  Thiem 
mit  seinem  »Abend  in 
Donauwörth«. 

Schmäler  ist  der  Künst- 
lerbund »Die  Bayern«. 
Er  bevorzugt  Komposi- 
tionsbilder. Die  Brüder 
Georg     und    Raffael 

Schuster- Woldan 
sind    hier  mit   dekorativ- 
idealisierenden    Porträts 

vertreten.  Zu  dieser 
Gruppe  gehören  Phi- 
lipp Otto  Schäfer, 
Hans  V.  Bartels  und 
Fritz  Kunz,  letzterer 
mit  dem  Bilde  »Der  Gang 
zum  Brunnen«.  Von  den 
Lichtstudien  und  Land- 
schaften gefallen  mit  be- 
sonderem Recht  »Däm- 
merung und  Lampen- 
Hcht«  von  Ernst  Lie- 
bermann, sowie  in  Zeichnung  und  Farbe  zarte  Land- 
schaften von  Rudolf  Sieck. 

Vereinzelt  auftretende  Münchener  sind  neben  Walter 
Firle  zunächst  Alfred  Schwarzschild  mit  einer 
an  Dresdener  Figurenphantasien  von  Unger  und  Zwint- 
scher  erinnernden  »Dekoration  für  ein  Musikzimmer«, 
sodann  Erich  Kubierschky  mit  einer  »Vorfrühlings- 
landschaft«. 

Und  nun  Dresden.  PaulKiesslings  ».Auferstanden« 
ist  um  einer  gutgemeinten  Lichtwirkung  willen  gemalt. 
»Die  Elbier«  sind  stark  vertreten;  sie  streben  nach  Vor- 
nehmheit. Lassen  wir  tüchtige  Bekannte  ungenannt,  so 
verdient  doch  vor  allem  August  Wilckens  ob  seiner 
»Brautjungfern«  Nennung.  Leipzig  bleibt  aus;  doch  sei 
aus  den  Illustratoren  Richard  Wcstphal  vorwegge- 
nommen, da  seine  bitter  satirische  Skizze  »Der  Heiland 
und  die  Menge«  schöpferisch  hervorragt. 

Einzelne  Ausländer  ändern  an  der  national  geschlosse- 
nen Art  unserer  .\usstellung  kaum  etwas.  Zwei  von 
den  sieben  Pariser  Deutschen,  die  sich  eingefunden,  ver- 
dienen ein  Verweilen:  vorerst  .Max  Silben  mit  seinem 


GROSSE  BERLINER  KUNSTAUSSTELLUNG  1908 


L 


ERNST  LAURENTY 


CH.  ÜNTERPIERINGER 


vielseitig  beachtenswerten  »Tischgebet«  und  dann  Wal- 
ter Zeising  mit  seinen  Radierungen,  von  denen  »Notre 
Dame«  besonders  auffällt.  Die  Niederlande  sind  durch 
ein  Segelbild  von  Hendrik  Willem  Mesdag  und 
durch  einen  »Winterabend«  von  Arnold  Marc  Gorter 
günstig  vertreten,  Belgien  durch  einen  »Stillen  Abend 
nach  einem  regnerischen  Tag «  von  Richard  Fehdmer. 

Zwei  christliche  Bilder  kommen  von  einem  Englander 
und  einem  Polen.  Joseph  Edward  South  alls  kleines 
Bild  von  1901/02  »Die  hl.  Dorothea  und  ihre  Schwestern 
verweigern  die  Anbetung  des  Götzenbildes«  läßt  sich 
wohl  zu  den  Ausläufern  des  Präraffaelitismus  rechnen; 
es  bemüht  sich,  Natur  und  Weihe  zu  vereinen,  läßt  aber 
doch  in  Farbe  und  Gesichtersprache  manches  Steife  übrig. 
Josef  v.  Mencina-Krzesz  malt  als  »Jesu  Kindes- 
traum« das  in  der  Krippe  schlafende  Christkind,  dem 
die  Eltern  lauschen. 

Wohl  das  beste  Werk,  das  vom  Auslande  kam,  und 
das  überhaupt  weit  und  breit  zu  finden  ist,  sind  »Die 
Kunstrichter«  des  Dänen  Michael  Ancher.  Wie  da 
vier  Männer  aus  der  Bildebene  heraus  das  nicht  sicht- 
bare Werk  so  persönlicli  verschieden  beurteilen,  läßt 
wünschen,  daß  diese  Leistung  gleich  den  hervorgehobe- 
nen von  Eichstaedt,  Reichert,  Meyn  und  Steinhausen 
im  Hauptsale  neben  Harrach  prange. 


Japan  unvermeidHch !  Die  ausgestellten  Plastiken  und 
Handmalereien  (mit  besonders  ausgereiften  Tierbildern) 
lassen  wieder  den  Gegensatz  deutscher  Darstellungstreue 
und  fremder  Oberflächendekoration  erkennen,  doch  auch 
das  Lehrreiche  der  abkürzenden  Sprache  primitiverer 
Kunstübung.  In  der  gleichzeitigen  Sammlung  älterer 
ostasiatischer  Kunstwerke,  als  Grundstock  der  künftigen 
ostasiatischen  Kunstsammlungen  der  Königlichen  Museen 
angekauft  und  im  Kunstgewerbemuseum  partiell  ausge- 
stellt, erinnern  an  letztere  Erscheinung  besonders  japani- 
sche Schauspielmasken,  an  erstere  einerseits  in  günstiger 
Weise  Metall-  und  Lackarbeiten,  anderseits  in  weniger 
günstiger  Weise  Keramik  (auch  koreanische),  deren  eifrige 
Verehrung  doch  ein  Unrecht  gegen  die  so  entwickelungs- 
reiche  Geschichte  der  deutschen  Töpferkunst   bedeutet. 

Wieder  eine  des  Referates  spottende  Fülle  birgt  der 
Ausstellungsteil  Schwarz-Weiß.  Einiges  ist  Reproduktion, 
das  meiste  Original.  Hans  Me3'er  bringt  (neben  Land- 
schaftsradierungen) Bleistiftszeichnungen  neuer  Entwürfe 
zu  seinen  schönen  »Totentanz «-Radierungen.  Christliches 
in  mehr  oder  minder  weitem  Wortsinn  findet  sich  in 
Radierungen  von  Heinrich  Eick mann  (eine  »Ruhe  auf 
der  Flucht«  und  eine  »Verkündigung«),  in  einer  Radie- 
rung von  Bruno  Goldschmidt  (ein  erinnerungswür- 
diger »Kinderglaube  vom  Himmelreich«),  in  einer  Litho- 


GROSSE  BERLINER  KUNSTAUSSTELLUNG  1908 


graphie  von  Fritz  Greve  (»Christi  Geburt<)  und  in 
Radierungen  von  Wilhelm  Thielmann,  einem  der 
wenigen  hier  erschienenen  Hessen  —  seine  eindrucks- 
vollen Trauerhilder  u.  dgl.  kennen  wir  aus  Dresden. 

Porträt  u.  dgl.  steht  günstig,  zumal  in  Erich  Wolfs- 
felds Radierungen.  In  der  Interieurradierung  zeichnet 
sich  Alex  Eckener  aus,  in  der  Landschaftsradierung 
durch  Fein-Zartes  Hanns  Bastanier  und  durch  Duf 
tiges  (wohl  an  Reproduktionen  nach  Corot  geschult) 
Fritz  Krostewitz;  zu  diesen  kommen  noch  als  Alt- 
meister (besonders  mit  Gebirgsbildern)  Gustav  Eilers, 
als  Jungmeister  Richard  Kaiser  (auch  mit  Gemälden) 
und  Wilhelm  Legier  sowie  Ernst  Jacob,  dessen 
»Stadtmauer«  aus  einer  Mappe  »Frankfurt  a.  O.  und  das 
Oderbruch«  stammt. 

Technische  Spezialinteressen  kommen  nicht  zu  kurz. 
Gerne  vergleicht  man  Wilhelm  Müller-Schoene- 
felds  Gemälde  »Am  Strande«  mit  der  abgekürzt-schär- 
feren Originalradierung  des  nämlichen  Themas.  Ungern 
vermißt  man  den  guten  alten,  Geduld  fordernden  Kupfer- 
stich; der  »Originalstich«  »iMutterglück«  von  Otto  Reim 
sollte  weniger  an  Stahlstich  erinnern.  Ein  anderes  Mutter- 
bild, Franz  Grefs  »Frau  und  Kind«,  führt  uns  zum 
Steindruck.  Er  ist  besonders  durch  Mondlicht-Stimmun- 
gen u.  dgl.  von  Berthold  Clauss  vertreten,  farbig 
durch  J.Jacques  Waltz'   »Mondaufgang«. 

Farbige  Radierungen,  z.  B.  von  Georg  Fritz,  sind 
häufig.  Neben  gewöhnlicher  Schabkunst,  z.B.  von  Otto 
Protzen,  bringt  farbige  Heinrich  Jakesch.  Darüber 
hinaus  scheint  ein  eigentümliches  Verfahren  des  bereits 
als  technisch  rührig  bekannten  Carl  Kappstein  zu 
führen,  das  er  Mezzotinto  nennt  und  für  Landschaften 
und  Tiere  verwendet.  Es  hat  mit  Schabkunst  nichts  zu 
tun,  setzt  vielmehr  das  Herkomersche  Umdruckverfahren 
fort.  Ahnlich  rührig  ist  Arthur  II  li  es;  neben  farbigen 
Radierungen  zeigt  er  ein  hübsch  getöntes  Hafenbild  in 
»Linoleumschnitt«,  einem  nicht  mehr  neuen  Verwandten 
des  Holzschnittes  —  so  weich,  wie  dieser  hart.  Die  Al- 
graphie,  d.  i.  Zeichnung  mit  Fettkreide  auf  gekörnter 
Aluminiumplatte,  scheint  nur  einmal  (bei  H.  Wolff) 
wiederzukehren.  Farbige  Holzschnitte  (Alt-Rostock)  bringt 
Erich  Stahl,  farbige  Aquatinta  Alexander  Liels- 
mann. 

Die  eigentliche  Zeichnung  kommt  in  einzelnen  Bei- 
spielen vor,  tritt  aber  in  unserer  »malerischen«  Zeit  zu- 
rück. Auch  innerhalb  der  Radierung  weicht  sie  anderen 
Interessen;  doch  interessieren  wir  uns  für  die  groß  ge- 
führten Striche  bei  August  Kaul  und  für  das  Dunkel 
dick  geführter  Striche  bei  dem  Schweden  Carl  Emile 
Zoir. 

Weniger  technisches  Interesse  regt  der  wiederum 
reichhch  vertretene  Verband  Deutscher  Illustratoren  an, 
es  sei  denn  die  Spritztechnik  der  Vignetten  von  Rudolf 
Kohtz.  Die  Illustration  ist  eben  zunächst  Inhaltskunst. 
Man  findet  hier  in  einer  Erinnerungskollektion  an  Paul 
Thumannf  auch  sieben  Kartons  »Vater  unser«  (viel- 
mehr Christus-Szenen).  Eine  ebensolche  Kollektion  für 
Alexander  Zick  f  bringt  u.  a.  neben  einem  ernst 
sprechenden  »Schlachtfeld«  u.  dgl.  »Die  letzten  Mensclien« 
(von  zwei  Engeln  geführt),  ein  wertvolles  »Mutterglück« 
und  eine  »Weihnachtsmesse«  (im  Freien ;  wohl  als  Ent- 
wurf für  ein  Wandstück).  Franz  Stassen  hat  außer 
anderem  eine  farbige  Radierung  von  Mutter  und  Kind 
in  Landschaft,  als  »Madonna«.  »Drei  Kirchenlieder  im 
Bild«,  sinnig  mehr  in  der  Absicht  als  im  Gelingen,  zeigt 
Gerhard  Hänisch;  Ansichten  von  Jerusalem  E.  M. 
Lilien. 

Gegenüber  dem  in  doppehemSinn  eisigen  Totentanzbild 
»Schnelläufer«  von  Friedrich  Wittig  führt  Alexan- 
der R  o  t  h  a  u  g  in  die  anspruchslose  Vergangenheit  eines 
»Liebesfrühlings«  u.  dgl.,  Hermann  Stockmann  in 
die  Heiterkeit  von  anno  dazumal  zurück.   Des  Dichters 


Grabbe  »Scherz«  usw.  illustriert  Paul  Scheurich. 
Für  die  Landschaft  nennt  man  auch  hier  gerne  wieder 
Fritz  Douzette  d.J.  Unter  den  mehrfachen  Schiffs- 
bildern von  Alfred  Liedtke  verdient  auch  hier  eines 
oder  das  andere  Beachtung.  Stadtbilder  haben  illustrativ 
besonders  Max  E.  Giese  und  Otto  Hundt  gebracht. 

Die  Tierkomik  ist  gut  vertreten  durch  »Die  Vogel- 
hochzeit« von  Carl  Mickelait.  Daran  fügen  wir  un- 
seren Eintritt  in  die  Plastik  deshalb  an,  weil  diese  merk- 
würdigerweise viel  und  gute  Tierbildnerei  enthält. 
August  Gauls  Vorbild  scheint  gewirkt  zu  haben,  wie 
man  z.  B.  aus  dem  »Klukenbrunnen«  von  Walter 
Hauschild  merkt.  Im  übrigen  dürfte  hier  Joseph 
Pallenberg  voranstehen;  Johann  Vierthaler  fällt 
ebenfalls  (auch  durch  Mädchenfiguren)  gut  auf.  Hans 
Behrens  überträgt  das  Mutterthema  in  ein  »Mutter- 
glück« der  Tiere. 

Darstellung  von  Menschen  und  zumal  von  gewich- 
tigerem menschlichem  Seelenleben  mißlingt  allerdings 
leichter.  Es  ist  traurig,  zu  sehen,  wie  selbst  beste  Kräfte 
durch  ein  konventionelles  Streben  nach  Pomp  sich  ver- 
hauen, während  sie  in  schlichteren  .Aufgaben  auf  ihre 
Höhe  zurückkehren.  So  besonders  der  Bildner  eines 
»Memento  mori«.  Grabmäler  lassen  das  sehr  fühlen; 
ein  paar  bessere  kommen  doch  nicht  dem  nach,  was 
die  heutige  Renaissance  der  Grabkunst  verlangt. 

Eigentlich  Christliches  ist  spärlich.  Doch  kann  Wil- 
helm Haverkamps  iPietä«  getrost  in  die  Kunstge- 
schichte eingereiht  werden;  die  von  Hubert  Men- 
nicken  kommt  ihr  mindestens  nahe;  und  die  äußer- 
lich moderne,  aber  lief  gefühlte  »Maria«  von  Wilhelm 
Boehme  verlangt  gleich  der  von  Brunkal  einen  Sonder- 
platz in  der  Ikonographie  des  Marienthemas.  Hermann 
I  oachim  Pageis,  dem  wir  in  Kunstsalons  häufig  und 
gerne  begegnen,  bringt  einen  Jesusknaben  und  variiert 
das  Mutterthema.  Eine  solche  Variation,  »Mutter  und 
Kind«  mit  Nimben,  ist  von  Adolf  Rehm  in  Holz  ge- 
arbeitet. 

Wir  nennen  noch  die  Kleinbronzen  »Vor  Rom«  und 
(mit  Bedauern  über  geringe  Durcharbeitung  dieses  sym- 
pathischen Stückes)  »Hl.  Elisabeth«  von  Gottlieb 
Elster  und  »Gebete  auf  dem  Felde«  von  Emile 
Maniguet,  der  die  moderne  Vereinfachung  der  Flächen 
verwertet;  dann  den  »Johannes«  von  Fritz  Behn  (Abb. 
Jg.  IV,  S.  6),  dessen  Portratkopf  günstiger  wirkt;  endlich 
die  »Madonna«  mit  Kind  von  Josef  Limburg  —  die 
gut  gedachte  Arbeit  leidet  an  etwas  Primitivem  in  den 
Gesichtern,  gleich  Bildnissen,  die  wir  im  Künstlerhause 
sahen ,  und  unter  denen  die  Medaille  mit  dem  Ehe- 
paare Ballestrem   hervorragt. 

Am  eriVeulichsten  sind  weltliche  Bildwerke  mit  be- 
sonderen Bewegungsmotiven.  Rein  hold  Boeltzig 
zeigt  in  seiner  »Fruchtsammlerin«  und  noch  mehr  in 
seiner  trefflich  durchgearbeiteten  »Reifen werferin«  eine 
echt  künstlerisch  besonnene  Mitte  zwischen  Extremen. 
In  der  Bewältigung  einer  weitgreifenden  Bewegungs- 
aufgabe hat  Denkwürdiges  Hermann  Hosaeus  ge- 
leistet durch  den  Reigen  der  drei  Frauengestalten,  welche 
die  Mittelgruppe  seines  Dresdener  .Mozandenknials  bil- 
den. Ein  kleines,  einheitlich  durchgeführtes  Brunnen- 
model!, »Märchen  vom  Hans«  usw ,  ist  von  Paula 
Fandrev  da.  Wie  die  zweimal  vorhandene  »Bogen- 
spannerin«  eines  bekannten  Künstlers  imstand  ist,  eine 
starke  Spannung  zu  bewirken,  ohne  daß  dies  in  Stellung 
und  Muskelspiel  zum  Vorscheine  kommt,  mag  er  mit 
der  .\natomie  ausmachen.  Um  so  ateliergerechter  ist 
dieser  in  mehreren  Ringern  und  Ringergruppen  gehul- 
digt; mehr  Interesse  gewinnen  wir  der  »Verwundeten 
Amazone«  Ernst  Segers  ab. 

Die  »Zwei  Menschen«  werden  immer  wieder  variiert 
und  jetzt  häufig  familiär  vermehrt.  Für  das  Liebesthema 
erwähnen    wir   neben  Oscar  Garvens'   »Liebe«  und 


BERLINER  KUNSTAUSSTELLUNG  1908  —  VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


Adele  Paasch'  »Sein  Weib«  das  Bronzerelief  »Junge 
Liebe«  von  Wilhelm  Lehmbruck,  das  zwei  Kinder 
darstellt.  Für  das  Mutterthema  fügen  wir  Frühergesagtem 
und  Späterem  an,  was  geleistet  ist  von  Paul  Aichele 
(Fragment  »Sintflut«), vonFerdinandFrick(» Fischerin 
am  Strand«),  von  Georg  Lehmann-Wienbrack 
(Relief  für  ein  Kinder-Erholungsheim),  von  Arthur 
LewinFuncke  und  nicht  zuletzt  von  Hermann 
Möller,  zumal  wenn  man  sich  wieder  mit  den  ver- 
einfachten Flächen  dieses  und  anderer  seiner  Werke  be- 
freundet. Karl  Janssens  Marmor  weckt  Erinnerung 
an  den  historischen  Namen  » Ohrenstil*.  Die  »Drei 
Menschen«,  d.  h.  Eltern  und  Kind,  sind  dargestellt  als 
»Neues  Leben«  von  George  Morin  und  als  »Heim- 
kehr« von  Müller- Heinz  (der  außerdem  »Mutter  und 
Kind«  vorführt). 

Das  Porträt  zeigt  recht  gemischte  Gesellschaft.  Zu- 
meist befriedigen  Wal ter  Lobach,  Martin  Schauß, 
Otto  Beyer,  Johannes  Boese,  Heinrich  Splieth, 
Fritz  Heinemann  und  besonders  Meister  Gerhard 
Janensch. 

Cipri  Adolf  Bermann  war  in  Dresden  (und  nach 
dem  Berichte  IV/ii,  S.  264,  in  der  Münchener  Seces- 
sion)  günstiger  vertreten  als  hier.  Adolf  Brütt  fügt 
seinen  langen  Erfahrungen  im  BegasSinne  nunmehr 
durch  seine  »Nacht«  etwas  Rodin  hinzu  und  scheint 
mit  dieser  Wandlung  von  härterem  zu  weicherem  Um- 
riß Erfolg  zu  haben.  Was  man  den  gegenwärtigen  Mün- 
chener Stil  nennen  kann,  das  partielle  Herausarbeiten 
der  Plastik  aus  dem  Stein,  erscheint  hier  außer  bei  jenem 
Brütt  noch  bei  einem  »Donar«  von  Hans  Bauer  und 
ein  wenig  bei  einer  »Fütterung«  von  Paul  Oesten, 
der  außerdem  eine  der  innigsten  Darstellungen  von 
»Mutter  und  lünd«   zeigt. 

Der  Rest  schließt  trotz  allem  noch  manches  Wert- 
volle ein,  zumal  in  Kleinbronze.  Fritz  Christ  und 
Bernhard  Sehe  wen  mögen  als  Jüngstverstorbene 
hervorgehoben  sein.  Neu  erscheinen  uns  neben  Be- 
kannten die  heiteren  Figürchen  von  Hermann  Baldin, 
zwei  Gestalten  deutscher  Sage  von  Albert  Hußmann, 
der  von  Bescheidenheit  und  zugleich  Selbstbewußtsein 
sprechende  »Junge  Sieger«  von  Josef  Lock  und  etwa 
die  »Genoveva«  von  Otto  Riesch,  Frauenseele  sucht 
Otto  Stichling  sprechen  zu  machen. 

Das  Interesse  an  Material  und  Materialbehandlung 
kommt  nicht  zu  kurz.  Das  Holz  wird  meistens  sehr 
glatt  vorgeführt:  aus  gewachstem  Ahornholz  ist  »Mutter 
und  Kind«  von  Max  Nieruck  (der  diesen  zweien 
wiederum  dreie  in  seiner  »Uhr«  aus  Bronze  mit  Emaille 
hinzufügt);  auch  sonst  gibt  es  glatten  Ahorn  u.  dgl., 
und  einmal  wird  sogar  (von  Hans  Bauer)  Edelholz  ge- 
nannt. Nicht  glatt,  sondern  mit  fleckenartigen  Vertiefun- 
gen arbeitet  Sandor  Jaray  (mehr  noch  und  mit  Recht 
in  einer  r-Phryne«  als  in  einer  Porträtbüste).  Marmor 
und  Holz  kombiniert  Gotthard  Sonnenfeld;  und 
zu  Porträts  oder  Ähnlichem  werden  auch  Alabaster, 
Kalkstein  und  Muschelkalk  verwendet. 

Die  Architektur-Abteilung  bringt  keinen  Wandel,  doch 
manches  Lehrreiche.  Der  Kirchenbau  kommt  manchmal 
über  Schulproben  hinaus.  Wilhelm  Brurein  kenn- 
zeichnet seine  eine  Kirche  mit  dem  Spruch:  »In  meine 
Heimat,  Mein  Bergisches  Land<',  und  seine  andere  mit 
»Omnia  instaurare  in  Christo«;  beide  gut  gruppiert  und 
gut  proportioniert.  Sonstige  Kirchen  lassen  die  Namen 
Theodor  Astfalck  und  Heinrich  Straumer  für 
Berliner  Bauten,  und  für  andere  Orte  die  des  Architek- 
tenpaares Peter  Jürgensen  und  Jürgens  Bach- 
mann hervortreten,  denen  gute  Farbenstimmungen  nach- 
zurühmen sind.  Eine  Geschichte  und  Restaurierung  des 
Breslauer  Domes  zeichnet  auf  instruktive,  jedoch  wohl 
ängstlich  historische  Weise  Ewald  Frhr.  v.  Rechen- 
berg,   die  Wiederherstellung   des  Wimpfener  Domini- 


kanerklosters als  Realschule  Adolf  Zeller.  Noch  ver- 
dienen Vorlagen  für  Glasmalerei  von  Becker-Tem- 
pelburg und  eine  solche  für  Wandmalerei  »Stählung 
des  Leibes«  von  Max  Seliger,  sowie  eine  neue  Kölner 
Dombrücke  von  Franz  Schwechten  Hervorhebung. 
Mehr  als  die  Gedächtnisausstellung  Hermann  Ende, 
u.  a.  mit  ihren  geschickten  Archaisierungen  für  öffent- 
liche Gebäude  in  Tokio,  führt  uns  in  das  Gewicht  der 
kunstgeschichtlichen  Tradition  der  Umstand  ein,  daß 
weltliche  Neubauten  von  Albert  Froelich  in  ihrer 
schmalhohen  Lineatur  an  Ähnliches  erinnern,  das  aus 
altem  Kirchenbau  Norddeutschland.s  wiedergegeben  ist. 

Das  Interieur wesen  zeigt  diesmal  vor  allem  »Woh- 
nung und  Galerie  eines  Kunstfreundes«,  von  dem  be- 
reits routinierten  Wilhelm  Kim  bei  hergestellt.  Der 
genannte  Innenarchitekt  ornamentiert  im  Wohnzimmer 
des  Herrn  und  in  dem  der  Dame  hauptsächlich  mit  In- 
tarsien ;  sie  zeigen  in  üppiger,  obschon  etwas  gleich- 
mäßiger Weise  pflanzlichen  Dekor  und  sind  auch  auf 
gekrümmten  Flächen  gearbeitet.  Die  Möbelformen  prä- 
sentieren dort  ein  durch  die  Folgestile  gemildertes  und 
nuanciertes  Barock,  hier  mehr  Biedermeierisches. 

Unter  den  übrigen  Räumen  stellen  wir  ein  Arbeits- 
zimmer des  Herrn,  von  Arno  Koernig,  voran,  zu- 
mal wegen  seiner  schlichten  Natürlichkeit  und  doch 
reichhaltigen  Künstlerschaft.  Daran  reihen  wir  ein  Vor- 
zimmer und  Arbeitszimmer  von  Else  Oppler-Leg- 
band,  weiterhin  einen  Gartensalon  von  Ernst  Fried- 
mann, ein  Gartenvestibul  von  Alfred  J.  Balcke, 
endlich  einen  Speisesaal  usw.  von  Max  Salz  mann. 
Dazu  kommen  noch  ein  Raumteil  mit  zwei  von  Frie- 
drich Wilhelm  Mayer  entworfenen,  nach  größerer 
Qualität  strebenden  Gemäldefenstern,  deren  eines  »Musik« 
heißt,  deren  anderes  und  wohlgelungeneres  eine  Nibe- 
lungenszene darstellt. 

VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Grabmalentwürfe.  Die  Abbildungen  S.15 — 16  der 
Beilage  bilden  die  Fortsetzung  der  aufS.  i — 5  der  Bei- 
lage (Heft  I)  begonnenen  Publikation  von  Grabmal- 
skizzen, welche  von  jungen  Studierenden  der  Akademie 
zu  München  anläßlich  eines  Komponierabends  des  Al- 
brecht-Dürer-Vereins entworfen  wurden.  Wir  verweisen 
auf  unsere  Notiz  in  der  Rubrik  »Zu  unsein  Bildern« 
(auf  S.  7  der  Beilage)  und  wünschen  den  jungen  Künst- 
lern guten  Erfolg  der  Publikation. 

Ergebnis  eines  Wettbewerbes  für  einenLuit- 
poldbrunnen  in  Dillingen.  Es  liefen  49  Entwürfe 
ein,  von  denen  vier  prämiiert  wurden.  Das  Preisgericht 
beschloß,  einen  ersten  Preis  nicht  zu  verteilen,  da  keiner 
der  Entwürfe  ohne  Änderung  zur  .Ausführung  empfohlen 
werden  könne.  Einen  zweiten  Preis  zu  200  M.  erhielt 
das  Projekt  von  Professor  Jakob  Bradl;  drei  gleiche 
Preise  zu  je  100  M.  erhielten  Entwürfe  von  Bildhauer 
Simon  Liebl  —  von  Bildhauer  Alberts hofer  und 
Architekt  Bestelmeyer  —  und  von  Bildhauer  Hans 
An germa.i er,  sämtliche  in  München.  Die  eingelaufenen 
Entwürfe  wurden  im  alten  Ratliaussaal  zu  München  aus- 
gestellt. 

Aus  der  Deutschen  Südsee.  Ein  Abonnent 
in  Palan  (Deutsche  Südsee),  ein  deutscher  Missionär, 
schrieb  uns  vor  einigen  Monaten,  daß  »Die  christliche 
Kunst«  dort  ein  gern  gesehener  Gast  ist,  »der  jedesmal 
mit  Sehnsucht  erwartet  wird«.  Dem  Brief  lag  eine 
erstaunlich  gut  und  temperamentvoll  aufgefaßte  Zeich- 
nung nach  dem  Hl.  Lukas  von  Schiestl  (dem  Titelblatt 
des  letzten  Jahrganges)  bei.  Verfertiger  war  der  »kleine 
Franz«,   ein  13  jähriger  Junge,   der   seit  drei  Jahren   die 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  —  BÜCHERSCHAU 


Schule  besucht  und  vom  hochwürdigen  Herrn  Missionär 
seit  ca.  einem  halben  Jahre  etwas  Zeichenunterricht  erhalt. 
Letzterer  erzahlt:  »Neulich  fand  er  (der  genannte  Knabe) 
bei  mir  >Die  christliche  Kunst«  —  flugs  zeichnete  et  das 
Titelblatt  in  sein  Zeichenheft.  Ich  tat  an  der  Zeichnung 
keinen  Strich.  Sie  werden  sich  wie  ich  über  die  Anlagen 
des  kleinen  Kanakajungen  wohl  wundern.  Wie  dieser 
Junge,  so  haben  auch  viele  andere  Kinder  der  Schule 
sehr  viel  Talent  zum  Zeichnen.  Der  Zeichenunterricht 
ist  jetzt  eine  Etholungsstunde  l'ür  mich,  den  Lehrer,  wie 
für  die  Kinder.« 

AI  brecht- Dürer-Verein.  Am  lo  November  fand 
die  Antrittskneipe  des  Albrecht-Dürer- Vereins,  der  eine 
größere  Anzahl  Studierender  an  der  Kgl.  .\kadeniie  der 
bildenden  Künste  zu  München  umfaßt,  in  Gegenwart 
von  Philistern  und  Freunden  des  Vereins  statt.  Die  Feier 
nahm  einen  prächtigen  Verlauf. 

Ribot-Ausstellung.  Anfangs  November  eröffnete 
die  Galerie  Heinemann  eine  umfangreiche  Ausstellung 
son  Gemälden  des  1891  verstorbenen  Pariser  Künstlers 
Theodule  Ribot.  Der  Künstler  stand,  namentlich  in 
seinen  früheren  Jahren,  unter  dem  Einfluß  Riberas.  Auch 
Rembrandt  und  Velasquez  wirkten  auf  ihn. 

Ansbach.  Am  11.  Oktober  erfolgte  die  Enthüllung 
des  Luitpoldbrunnens  von  Bildhauer  Fritz  Behn  in 
München. 

Die  Bismarckbüste,  welche  am  1 8.  Oktober  in  der 
Walhalla  bei  Regensburg  .Aufstellung  fand,  stammt  von 
Professor  Erwin  Kurz  in  München. 

Ravensburg.  Die  hiesige  Stadtpfarrkirche  erhält 
einen  hervorragenden  künstlerischen  Wandschmuck  durch 
Professor  Gebhard  Fugel  in  München.  Im  Chor  der 
Kirche  wird  nämhch  ein  Zyklus  von  sechs  Bildern :  Dar- 
stellungen nach  Texten  der  hl.  Schrift  aus  dem  Leben 
des  hl.  Andreas  und  ein  Votivbild  angebracht.  Der 
Künstler  hat  letzten  Herbst  bereits  zwei  dieser  Bilder 
vollendet.  Das  eine  derselben  stellt  Johannes  den  Täufer 
mit  Andreas  am  Jordan  dar,  in  dem  Moment,  da  Chri- 
stus naht;  das  andere  schildert,  wie  Andreas  dem  Hei- 
land den  Simon  zuführt.  Für  die  weiteren  Bilder  fer- 
tigt Fugel  gegenwärtig  die  Vorarbeiten. 

Bildhauer  Harro  .Magnussen  hat  sich  in  der 
Nacht  vom  5.  auf  4.  Oktober  im  Alter  von  .jy  Jahren 
das  Leben  genommen.  Er  war  besonders  als  Porträtist 
tätig.  Seine  Büste  AUmers  ist  auf  S.  276  des  vorigen 
Jahrgangs  abgebildet. 

Aachen.  Wiederum  ist  die  Skulpturensammlung 
des  Stadt.  Suermondt-.Museums  um  ein  wertvolles  Stück 
vermehrt  worden.  Es  handelt  sich  um  einen  aus  Nan- 
deln  (Fürstentum  Liechtenstein^  stammenden  Altar  von 
der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  der  eine  charak- 
teristische Schöpfung  kraftvollen  süddeutschen  Barocks 
ist.  Um  das  leider  stark  beschädigte  .-Mtarbild  mit  einer 
Krönung  Maria  gruppieren  sich  die  Figuren  der  heiligen 
Bischöfe  .Martin  und  Pirmin,  sowie  des  hl.  Stephanus 
und  des  hl.  Jakobus  d.  A.,  die  von  reichem  Schnitzwerk 
umrahmt  sind.  Darüber  erscheint  in  einem  Rundmedail- 
lon die  hl.  Dreifaltigkeit  in  Relief,  von  Engeln  flankiert. 
Das  Sakranienthäuschen  mit  dem  hl.  Franziskus  und  der 
hl.  Clara  von  Assisi  in  Nischen  ist  der  Predella  vor- 
gebaut. .Mit  .Ausnahme  des  Fleischtons  an  Gesichtern 
und  Händen  beschränkt  sich  die  Bemalung  auf  Schwarz 
und  Gold.  Das  Ganze  ist  bei  allem  Formenreichtum 
übersichtlich  gegliedert.  E.  v. 


BÜCHERSCHAU 

DieGemäldesammlungen  .\1  ünchens.  Ein  kunst- 
geschichtlicher Führer  durch  die  Kgl.  ältere  Pinakothek, 
das  Kgl.  Maximilianeum,  die  Sammlung  des  Freiherrn 
von  Lotzbeck,  die  Schackgalerie,  die  Kgl.  neuere  Pinako- 
thek. Von  Otto  Grautoff'.  Verlag  von  Khnkhardt  &  Bier- 
mann, Leipzig.  Preis  5  M.  in  biegsamem  Kahko,  4,50  M. 
in  Halbfranz  mit  Leder. 

Die  meisten  Kunstfreunde  haben  zu  umständlichen 
kunstgeschichtlichen  Studien  w-eder  Zeit  noch  Neigung, 
möchten  aber  doch  einen  allgemeinen  historischen  Über- 
blick über  ihre  Lieblinge  in  den  Galerien  gewinnen. 
Hierbei  tun  knappe  Führer,  welche  nur  die  besten  Werke 
hervorheben,  gute  Dienste,  besonders  wenn  sie  mehr 
die  Kunst  als  die  Geschichte  betonen.  GrautoHs  Führer 
enthält  in  lobenswerter  Kürze  treft'liche  Bemerkungen 
und  liest  sich  nicht  unangenehm.  .Auf  Einzelheiten  einzu- 
gehen, fehlt  hier  der  Raum.  Das  »christliche  Dogma« 
hat  niemals  die  Künstler  gehindert,  nach  Dingen  zu 
greifen,  die  diese  Welt  erfüllen,  Genremaler,  Landschafter 
oder  Stillebenmaler  zu  werden,  es  hat  nie  die  Lebens- 
freude verhindert;  auch  ist  uns  kein  Dogma  bekannt, 
das  den  Künstlern  verbietet,  die  Schönheit  des  Menschen- 
leibes zu  preisen.  Ferner  vernimmt  man  nicht  ohne  Über- 
raschung von  Grautoft'  die  Kunde  von  einer  katholischen 
Sinnlichkeit  des  18.  Jahrhunderts.  Kann  es  denn  selbst 
im  kleinsten  Büchlein  nicht  ohne  einige  .Anrempelungen 
des  christlichen  Glaubens  abgehen?  Bei  der  Beurteilung 
des  19.  Jahrhunderts  nimmt  der  Verfasser  die  neueren 
französischen  Landschafter  zum  Maßstab  für  die  deutsche 
Kunst  des  gesamten  Jahrhunderts,  weshalb  die  Deutschen 
und  besonders  die  Münchener  nicht  gut  wegkommen. 
Die  neueren  Künstler  werden  zumeist  nicht  als  ge- 
schlossene künstlerische  Persönlichkeiten,  sondern  ein- 
seitig nur  nach  ihren  Qualitäten  als  Maler  bewertet, 
wofür  der  Verfasser  ein  gutes  .Auge  besitzt. 

Meister  der  Farbe.  Europäische  Kunst  der  Gegen- 
wart. V.Jg.  1908.  Abonnementspreis  für  : 2  Monatshefte 
M.  24.  —  Heft  4  und  5. 

Über  die  drei  ersten  Lieferungen  wurde  im  achten  Heft 
berichtet.  Die  vierte  Lieferung  bringt  zunächst  den  Schluß 
eines  .Aufsatzes  über  Eduard  Meverlieim  und  die  Seinen. 
Dann  folgt  ein  von  tiefer  Herzenswarme  durchdrungener 
Brief  des  Peter  Cornelius  an  Joseph  von  Görres,  aus 
Rom.  Er  trägt  das  Datum  vom  5.  November  1814,  mutet 
uns  aber  an  den  hauptsächlichsten  Stellen  an,  wie  wenn 
er  heute  für  unsere  Verhältnisse  geschrieben  wäre.  Mit 
schönen  Blättern  sind  vertreten :  Kroyer,  Wilhelm  Nagel, 
Opsomer,  Delaunois,  Moreau-NOlaton  und  Zücken.  Im 
fünften  Heft  finden  wir  einen  Aufsatz  über  die  Kunst- 
vereine, die,  wie  der  Verfasser  eingangs  bemerkt,  im 
Laufe  der  bald  90  Jahre,  die  sie  in  Deutschland  bestehen, 
»bewundert  viel  und  viel  gescholten«,  vielleicht  aber  doch 
mehr  gescholten  worden  sind.  Ferner  wird  ein  Brief 
Overbecks  vom  19.  Juli  1810  abgedruckt,  der  die  ersten 
Eindrücke  schildert,  welche  der  junge  Künstler  im  Vati- 
kan gewonnen.  Treflliche  Reproduktionen  enthält  die 
Nummer  von  August  Roth,  Vincenzo  Migliaro,  Giuseppe 
Giardi,  Friedrich  Fehr,  John  Muirhead  und  Spitzweg. 

Hand  Zeichnungen  alter  .Meisterim  Besitze  des 
.Museums  Wallraf  Richartz  zu  Köln.  25  Lichtdrucktafeln 
mit  Text.  Herausgegeben  von  Dr.  .Arthur  Lindner. 
Köln,  Wilhelm  Abels. 

Schon  vor  einigen  Jahren  wies  ich  in  dieser  Zeitschrift 
bei  Gelegenheit  einer  Ausstellung  von  Handzeichnungen, 
die  der  Leiter  des  Kupferstichkabinetts  des  Museums 
Wallraf-Richartz  zu  Köln,  Dr.  A.  Lindner,  veranstaltet 
hatte,  auf  die  vielen,  unbekannten  Schätze  hin,  die  jene 
Galerie  birgt  und  machte  bereits  auf  das  Verdienst  des 


BUCHERSCHAU  —  DER  PIONIER 


genannten  Herrn  um  die  Ordnung  und  Ehrung  dieser 
Schatze  aufmerl<sam.  Dr.  Lindner  hat  nun  40  dieser 
Handzeichnungen  auf  25  Tafeln  publiziert  und  mit  kurzen, 
vielleicht  allzukurzen  Erläuterungen  begleitet.  Nach 
welchen  Gesichtspunkten  diese  Auswahl  gesehen,  hätte 
man  gerne  vom  Herausgeber  gehört.  Die  Reproduktionen 
sind  durchweg  ausgezeichnet,  und  mit  wenigen  Aus- 
nahmen konnte  die  Originalgröße  der  Vorlagen  beibe- 
halten werden,  ohne  dem  Werke  dadurch  ein  unhand- 
liches Format  geben  zu  müssen. 

Außer  den  Niederländern:  Rogier  van  der  Weyden  (i), 
Wallerant  Vaillant  (i),  J.  de  Koncheron  (i)  sind  besonders 
den  Deutschen  und  Italienern  die  Blätter  gewidmet.  Von 
Dürer  sehen  wir  eine  knieende,  weibliche  Heilige  als 
Studie  zu  einer  Verlobung  der  Hl.  Katharina.  Ihm 
schließen  sich  an  H.  L.  Schäufelein  mit  einem  hl.  Se- 
bastian und  hl.  Christophorus,  Erhard  Schön  mit  10 
Blättern,  ferner  Tobias  Stimmer,  H.  C.  Lang  und  Dan. 
Lindtmayer  mit  je  einer  Zeichnung.  Als  letzter  folgt 
Anton  de  Peters,  der  bedeutendste  Rokoko  Künstler,  den 
Köln  aufzuweisen  hat,  und  dem  man  erst  in  letzter  Zeit 
die  gebührende  Beachtung  schenkt.  Mehrere  hundert 
Handzeichnungen  bewahrt  das  Kölner  Kupferstich-Kabi- 
nett. 1 1  charakteristische  Blätter  seiner  Hand,  die  seine 
Vielseitigkeit  und  sein  großes  Talent  recht  gut  kennen 
lehren,  sind  in  die  Publikation  aufgenommen. 

Ebenso  interessantes  Material  bieten  die  Italiener,  zu- 
nächst Lionardo  da  Vinci  mit  einem  wichtigen  Studien- 
blatt zu  dem  Anbetungsbild  der  Ufficien,  das  1 1  männ- 
liche Akte  zeigt.  Die  beiden  Zeichnungen  des  Andrea 
del  Sarto  als  »unzweifelhafte-«  Studien  zum  Fanziskus 
der  Madonna  dell'  Arpie  zu  bezeichnen,  scheint  mir  sehr 
gewagt.  RafTael,  nach  einigen  dessen  Schule,  entstammt 
die  Federzeichnung  eines  fliegenden  Merkur  und  zweier 
Amoretten  aus  den  Fresken  der  Farnesina.  Außerdem 
finden  sich  noch  ein  Blatt  eines  umbrischen  Meisters 
des  XVI.  Jahrhunderts  und  zwei  treff'liche  Zeichnungen 
des  Francesco  Guardi.  H.  Reiners 

Die  römischen  Katakomben.  Von  Geistl.  Rat 
Dr.  G.A.Weber,  Professor  am  Kgl.  Lyceum  in  Regens- 
burg. Mit  225  Abb.  Dritte,  vermehrte  und  verbesserte 
Auflage  1906  Regensburg,  Pustet,  200  Seiten,  brosch.  2  M. 

Ein  Beweis  für  die  Brauchbarkeit  des  Weberschen 
Katakonibenbuches  liegt  schon  in  der  1903  erschienenen 
franz.  Übersetzung  desselben,  sowie  in  der  dritten  Auf 
läge,  welche  die  deutsche  Ausgabe  zu  verzeichnen  hat. 
Bekanntlich  sind  es  weniger  gelehrte  Detailuntersuch- 
ungen, welche  den  Schwerpunkt  des  Buches  ausmachen, 
als  vielmehr  die  ühersichtUche,  populär  gehaltene  Zusam- 
menstellung der  gesicherten  Forschungsergebnisse  auf 
diesem  Gebiete,  da  und  dort  mit  stark  apologetischem 
Einschlag.  Aus  einem  Vortrag  herausgewachsen,  wird  das 
Schriftchen  für  ähnliche  Zwecke,  sowie  zur  Orientierung 
für  Rompilger  »und  solche  die  es  werden  wollen«  vielen 
Nutzen  stiften.  In  den  225  Abbildungen  trifft  man  fast 
ausnahmlos  lauter  alte  Bekannte.  d 

DerBetrieb  des  Zeichenunterrichts,  die  Zei- 
chenraaterialien  und  Lehrmittel  sowie  die  Ein- 
richtung der  Zeichensäle.  Ein  Handbuch  für  Zei- 
chenlehrer, Schulbehörden  und  zum  Selbstunterricht. 
Mit  Unterstützung  des  Großh.  Bad.  Oberschulrats  her- 
ausgegeben von  Otto  Haßlinger,  Professor,  und  Emil 
Bender,  Zeichenlehrer  in  Karlsruhe.  Mit  206  Figuren 
und  21   Tafeln.     In  Leinwand  gebunden  M.  8. — . 

Lehrer,  die  keine  genügend  künstlerische  und  päda- 
gogische Ausbildung  im  Zeichnen  erhielten,  werden 
dieses  Buch  sehr  willkommen  heißen,  da  es  ihnen 
Fingerzeige  in  vielen  Fällen  gibt,  in  welchen  sie  sich 
nicht  zu  raten  noch  zu  helfen  wissen.  Aber  auch  Fach- 
lehrer werden  hierin  über  manchen  Punkt  klar  werden. 


für  den  sie  bis  jetzt  keine  befriedigende  Lösung  ge- 
funden. Sollte  jemand  während  seiner  Schulzeit  im 
Zeichenunterricht  keinen  Erfolg  gehabt  haben,  weil  der 
mit  diesem  Fache  beauftragte  Lehrer  es  nicht  verstan- 
den, seinen  Zögling  für  seinen  Unterricht  zu  interes- 
sieren, sa  kann  er  an  der  Hand  dieses  Buches  das  Ver- 
säumte nachholen.  Die  Verfasser,  namentlich  der  er- 
stere,  welchem  seit  10  Jahren  die  Inspektion  an  den 
badischen  Mittelschulen  anvertraut  ist,  hat  seine  viel- 
fachen Erfalirungen  in  dieser  Schrift  niedergelegt.  Ein 
großer  Teil  der  Illustrationen  sind  Faksimiles  von  Schü- 
lerzeichnungen der  verschiedenen  badischen  Mittelschu- 
len. Die  Ausstattung  ist  vornehm.  Auf  Anordnung 
der  Oberschulbehörde  fand  Mitte  Juli  bis  Mitte  August 
1907  in  Karlsruhe  eine  Ausstellung  von  Schülerarbeiten 
der  badischen  Mittelschulen  statt.  g.  Barth 

Meisterwerke  religiöser  Kunst.  Noch  recht- 
zeitig vor  Weihnachten  erscheint  ein  neues  Werk  der 
Gesellschaft  für  christliche  Kunst  »Meisterwerke  religiöser 
Kunst«,  sechs  farbige  Blätter  in  Aquarellgravüre  mit  Text 
von  Dr.  Joh.  Dararich.  In  eleganter  Mappe  (Format 
69X5i'/2cm).  Preis  M.  25. — .  Einzelpreis  eines  Blattes 
M.  6.—  .  Inhalt:  Nr.  i  Martin  Schongauer,  Heilige  Familie 
(Madonna  mit  der  Traube,  Wien,  k.  k.  Gemäldegalerie). 
Nr.  2  Martin  Schongauer,  Geburt  Christi  (Kaiser-Fried- 
rich Museum,  Berlin).  Nr.  3  Raftael  Santi,  Madonna 
del  Granduca  (Florenz,  Galerie  Pitti).  Nr.  4  Gerard 
David,  Die  Vermählung  der  hl.  Katharina  (München, 
Kgl.  Pinakothek).  Nr.  5  Pietro  Perugino,  Vision  des 
hl.  Bernhard  (München,  Kgl.  Pinakothek).  Nr.  6  Jan 
van  Eyck,  Maria  mit  Kind  (Städelsche  Galerie,  Frank- 
furt). Die  Herausgabe  solcher  Blätter  zu  mäßigem 
Preise  dürfte  von  allen  Kunstfreunden  auf  das  lebhafteste 
begrüßt  werden. 


DER  PIONIER 

MONATSBLÄTTER    FÜR    CHRISTLICHE 

KUNST.  ZUGLEICH  BEIBLATT  DER  VOR- 

LIEGENDEN  ZEITSCHRIFT 

»DIE  CHRISTLICHE  KUNST« 

Preis   für   den  Jahrgang   inkl.  Frankozustellung  M.  5. — 
Probenummern  gratis. 

I.  JAHRGANG 

Inhalt  der  bisher  erschienenen  Nummern: 
Nr.  I.  Zur  Einführung.  —  Woher  der  Name  Vesper- 
bild ?  Von  Dr.  Andreas  Schmid.  —  Seit  wann  sind 
die  Fenster  verglast?  Von  Max  Hasak,  Grunewald  bei 
Berlin.  —  Zur  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung. 
Von  S.  Staudhamer.  —  Zum  Kapitel  »Volkskunst«. 
Von  Friedrich  Hacker.  —  Reproduktionstechniken. 
Nr.  2.  Der  Klerus  als  Förderer  der  christlichen  Kunst. 
Von  S.  Staudhamer.  —  Die  Zinkographie.  —  Seit  wann 
sind  die  Fenster  verglast?  Von  Max  Hasak  (Fortsetzung). 
Nr.  3.  Die  Kunst  auf  dem  letzten  Katholikentag.  — 
Altarleuchter.  Von  A.  Wenig.  —  Seit  wann  sind  die 
Fenster  verglast?  Von  Max  Hasak  (Fortsetzung).  — 
Vereinsgabe  der  Deutschen  Gesellschaft  für  christliche 
Kunst  pro   1908. 

Redaktionsschluß:  15.  November. 


BEILAGE 


DÜSSELDORFER  KUNSTBRIEF 


DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT 

(P.  Janssen-Ausstellung  u.  a.) 
r\ie  Reihe  der  Sommerdarbietungen  1908  wurde  eröffnet 
durch  eine  reiche  Nachlaßausslellung  des  am  19.  Fe- 
bruar d.  J  verstorbenen  Aliademieprofessors  P.Janssen 
in  der  Kunsthalle;')  angemessenerweise  aber  war  sie  be- 
stimmt, zugleich  einen  Überblick  über  die  wichtigsten 
Schöpfungen  des  Meisters  zu  geben,  der  nur  selten  mit 
Einzelwerken  auf  Ausstellungen  erschien,  und  dessen 
Hauptwerke,  die  großen  Bilderzyklen,  nur  zum  geringsten 
Teile  von  sehr  vielen  Kunstfreunden  gesehen  oder  gar 
genauer  kennen  gelernt  werden;  ja  der  einzelnen  Vor- 
handensein kann  nicht  einmal  als  hinlänglich  und  allge- 
mein bekannt  vorausgesetzt  werden.  Diese  Hauptwerke 
konnten  nur  in  Reproduktionen,  einzelnen  Kartons  und 
zahlreichen  Vorarbeiten,  Zeichnungen  und  Farbenstudien, 
gezeigt  werden.  Es  sind  —  der  Katalog  gibt  dankens- 
wert eine  »zeitliche  Folge«  derselben  —  die  Wandge- 
mälde im  Rathaussaale  zu  Crefeld  (1871—73),  in 
neun  Bildern  Hermann  den  Cherusker  feiernd,  das  Wand- 
gemälde im  untern  Börsensaale  zu  Bremen  (1872) 
(.Kolonisierung"),  die  Wandgemälde  im  zweiten  Cor- 
nelius-Saale der  Berliner  National- Galerie,  elf 
Bilder  aus  der  Prometheus-Sage  (1874  76),  die  drei 
Wandgemälde  in  der  Feldherrnhalle  des  Berliner 
Zeughauses  (1884— go),  den  Schlachten  bei  Fehrbellin 
(1675),  bei  Torgau(i766)  und  bei  Hohenfriedberg  (1745) 
gewidmet,  dann  Fries-  und  Deckengemälde  für  die  Aula 
der  Kunstakademie  zu  Düsseldorf  (1886 — 96), 
erstere  das  Menschenleben  in  seinen  verschiedenen  Phasen 
als  Gegenstand  der  künstlerischen  Phantasie  darstellend, 
im  Deckengemälde  »Natur,  Schönheit  und  Phantasie«, 
Wandgemälde  in  der  Aula  der  Universität  zu 
M  a  r  b  u  r  g  (i  887  —  1 902),  ortsgeschichtliche  Darstellungen 
und  Darstellung  der  Sage  von  »Otto  der  Schütz«,  acht 
Bilder,  weiter  das  Wandgemälde  im  Sitzungssaale 
des  Rathauses  zuElberfeld  (1903')  »Brotverteilung 
beim  Brande  in  Elberfeld«,  endlich  der  große  Zyklus 
von  neunzehn  Wandgemälden  in  der  Kemenate  des 
Schlosses  Burg  a.  d.  Wupper(i904 — 1907),^)  lauter 


')  Peter  Janssen  wurde  am  12.  Dezember  1844  Su  Düsseldorf  ge- 
boren; sein  Vater,  F.  M.  Theodor  J..  war  Kupferstecher  und  stammte 
aus  Ost-Fricsland;  ein  jüngerer  Bruder  ist  der  Bildhauer  Karl  I.,  Pro- 
fessor an  der  Akademie  zu  Düsseldorf.  Peter  J.  besuchte  von  1860  ab 
die  Düsseldorfer  Akademie  in  engerem  Anschluß  an  E.  Bendemann. 
Von  vorübergehendem  Besuche  .Münchens,  Dresdens  und  Hollands  ab- 
gesehen, hat  er  sein  ganzes  Leben  lang  der  Vaterstadt  angehört  und 
insbesondere  der  Akademie  als  Schüler,  später  als  Professor  und  zuletzt 
bis  zu  seinem  Tode  als  Direktor. 

sj  Schloß  Burg  a.  d.  Wupper  bei  Solingen,  um  1118  vom  Grafen 
Adolf  vom  Berge  errichtet,  Stammburg  und  bis  ins  14.  Jahrh.  ständiger 
Sitz  der  Herren  von  Berg,  aber  auch  später  noch  bei  den  Herzogen  in  hohen 
Ehren,  vereinsamte  um  die  Milte  de»  16.  Jahrh.  und  erlitt  dann  mehr- 
f.iche  Zerstörungen  bis  noch  in  das  Jahr  1S49.  1887  begann  Kommer- 
zienrat  Julius  Schumacher  zu  Werraelskirchen  den  Wiederaufbau  eifrig 
zu  betreiben  und  unter  vielseitiger  Beteiligung  wurde  dieser  zu  Ende 
geführt.  Die  Ausstattung  der  Burg  machte  sie  zu  einer  Art  Bergischen 
Museums,  aber  auch  zu  einem  Stück  Düsseldorfer  Kunstgeschichte  durch 
die  Mitwirkung  Düsseldorfer  Künstler.  Die  Ausmalung  des  Ritter- 
saales wurde  Prof  Claus  Meyer  übertragen,  der  hier  (i8.;9  — 1905)  in 
zehn  hochbedeutenden  Wandgemälden  die  Geschichte  des  bergi- 
schen Landes  von  der  Erbauung  der  liurg  bis  zur  Zeit  der  Freiheits- 
kriege darstellte  Prof  Peter  Janssen  schmückte  die  Kemenate, 
das  eigentliche  Famibengemach  der  liurg,  mit  den  Szenen  aus  dem 
Rittericben.  Prof.  Willy  Spatz  besorgte  (1S99— 1901)  die  Aus- 
malung  der  Schio  ßka  pcl  le  und  nahm  zum  Gegenstande  l.  die 
Grundlegung  des  Christentums  in  des  Menschen  Seele  (Predigt  des 
hl.  Suitbertus).  2.  die  Entwicklung  des  christlichen  Gedankens  im 
Menschen  {drei  Bilder  a)  Sehnsucht  nach  dem  Christentum,  b)  die 
Hüterin  der  christlichen  Wahrheit,  c)  Brautzug,  }.  (Altarwand)  des 
Christen  Lohn.  An  der  Ausführung  der  Malereien  beteiligten  sich  noch 
einige  jüngere  Düsseldorfer  Künstler;  den  Schloßbruniien  schuf  der 
Düsseldorfer  Bildhauer  Coubi  liier  (t  J.  Oktober  d  I);  Walther 
Petersen  malte  ein  Porträt  des  Kommerzienrats  J.  Schumacher  für 
einen  Raum  nebjn  dem  Rittersaale  (das  heutige  Sitzungszimmer).  Neuer- 
dings ist  noch  ein  von  Prof.  A.  Schill  höchst  künstlerisch  kompo- 
nierter Stammbaum  »Aus  bergischem  Stamme  erblüht«  dnrch  den  Maler 
Osten  in  einem  Vorsaale  des  Rittersaales  als  Wandgemälde  ausge- 
führt worden. 


Szenen  aus  dem  Ritterleben,  ein  Tummelfeld  für  des 
Meisters  Geist,  Laune  und  Vielseitigkeit.  Zu  allen  diesen 
Werken  bot  die  Ausstellung  in  reichem  Maße  Kartons, 
Farbenskizzen,  Zeichnungen  und  Studien  in  Stift,  Kohle 
und  Farben,  daneben  zahlreiche  Photographien;  in  Repro- 
duktionen waren  sämtliche  genannten  Werke  vorgestellt 
Die  einzelnen  zu  würdigen  gehört  nicht  in  den  Rahmen 
dieses  Berichtes.  Wie  die  großen  Wandgemälde,  so  waren 
auch  die  Staffeleibilder  meist  nur  durch  Skizzen,  Vor- 
zeichnungen und  Studien  vertreten;  selbst  die  vier  Ge- 
mälde, die  der  Städtischen  Galerie  gehören,  hatte 
man  an  ihrem  Platze  in  den  oberen  Räumen  der  Kunst- 
halle zu  lassen  vorgezogen.  Das  gewaltigste  unter  ihnen 
ist  zur  Erinnerung  an  die  Feier  des  sechshundertjährigen 
Bestehens  Düsseldorfs  als  Stadt  (1888)  gemalt  worden 
und  stellt  den  Mönch  Walther  Dodde  und  die  Bergi- 
schen Bauern  vor  ihrem  entscheidenden  Eingreifen  in 
die  Schlacht  bei  Worringen,  iRomryke  Berge U  im 
Jahre  1288  dar.  Als  Porträtmaler  zeigt  den  Meister  das 
Porträt  des  Düsseldorfer  Altmeisters  Andreas  Achen- 
bach.  Ein  Gedenkbild  ist  auch  die  genreartig  gegebene 
Porträtgruppe  zur  Erinnerung  an  die  Ausstellung 
1904.  Von  seiner  späteren  Hinwendung  zur  v.  Gebhardt- 
schen  Art  zeugt  das  Bild  »Sie  alle  folgten  dem 
Stern»,  in  welches  die  greifbare  Nähe  des  Sternes  der 
hl.  Dreikönige  unklar,  ja  verwirrend  hineinspielt,  ohne 
selber  zu  angemessener  Darstellung  darin  zu  kommen. 
Von  den  nicht  gerade  zahlreichen  Tafelbildern  der  Aus- 
stellung selber  seien  genannt  »Die  Verspottung  der 
Helffensteinerin«,  »Gebet  der  Schweizer  vor  der  Schlacht 
bei  Sempach«,  »Jephtas  Tochter«,  »Morgenrot«,  »Kom- 
met her  zu  mir«.  Eine  Besonderheit  bilden  die  Gemälde 
nebst  zahlreichen  Studien  und  Skizzen  aus  den  Kreisen 
des  heiteren  Bacchus  (des  ernsten  Bacchus  gedenkt 
die  neuere  Kunst  viel  zu  wenig,  da  er  doch  unerschöpf- 
lich genannt  werden  kann)  und  des  Faunenlebens, 
Kreise  die  dem  Launigen  sowohl  als  dem  Nachleben 
Rubenscher  Nacktheit  und  Üppigkeit  eine  verständliche 
Unterlage  geben.  Wie  eng  das  Launige  mit  schnellem, 
zusammenfassendem  Blicke  für  naive  ungekünstelte  Wirk- 
lichkeiten verknüpft  ist,  zeigen  unter  anderem  ganz  be- 
sonders eine  Reihe  kleinerer,  teilweise  —  und  nicht  zu 
ihrem  Schaden  —  skizzenartiger  Aquarelle  und  Ölbild- 
chen aus  Spanien  und  Italien  usw.  »Blumenmarkt  in 
Barcelona«,  »Zigeunerin  aus  Sevilla«,  »Zechpreller«, 
»Sonntagsschule  in  der  Kirche  zu  Taormina«  (Kohle- 
zeichnung). Das  bereits  Erwähnte  genügt,  P.  Janssen 
auch  auf  dem  Gebiete  des  Porträts  und  zwar  des  Por- 
träts im  großen  Stil  zu  suchen;  genannt  ist  bereits  das 
Porträt  Andreas  Achenbachs;  ihm  stellen  sich  in  der 
Ausstellung  zur  Seite  das  Porträt  des  Berliner  Akademie- 
inspektors Holthausen  und  des  Düsseldorfer  Landschafts- 
malers Professor  Eugen  Dücker.  Viele  der  genannten 
Bilder  konnten  durch  Skizzen,  Studienköpfen  usw.  auch 
in  ihrem  Werden  studiert  werden ;  andere  seiner  be- 
kannteren Bilder  waren  nur  durch  Vorarbeiten  vertreten. 
P.  Janssen  ragt  als  Historienmaler  zu  weit  in  das  vorige 
Jahrhundert,  um  nicht  —  auch  abgesehen  von  den  Fällen, 
wo  ein  größerer  Zyklus  es  mit  sich  brachte  —  Werke 
der  christlichen  Kunst  sich  zur  Aufgabe  zu  stellen;  ja 
es  gehörte  eigentümlicherweise  sein  erstes  größeres  Werk 
»Verleugnung  Petri«  (1865,  im  Besitz  der  Universität 
Philadelphia)  —  in  der  Ausstellung  Karton  (Nr.  i)  und 
Farbenskizze  dazu  (Nr.  210)  —  und  sein  letztes,  unvoll- 
endetes und  nicht  über  eine  große  Ülstudie  hinausge- 
kommenes »Lasset  die  Kindlein  zu  mir  kommen«  in  den 
Kreis  der  christlichen  Kunst.  Wie  ihn  anfangs  Zeit  und 
Schule  in  dieses  Gebiet  führte,  so  dürfte  der  bei  noch 
so  großer  Verschiedenheit  enge  Zusammenschluß  mit 
Prolessor  E.  v.  Gebhardt,  eine  Freundschaft  voll  gegen- 
seitiger Hochschätzung  und  lebhaften  Gefühles  wach- 
sender  oder  vielmehr   schärfer  hervortretender  Geistes- 


DÜSSELDORFER  KUNSTBERICHT  —  VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


verwandtscliaft,  mehr  als  alles  andere  ihn  zu  biblischen 
Stoffen  zurückgedrängt  haben.  Verwandte  Züge  reichen 
bei  P.  Janssen  schon  ziemlich  weit  zurück;  in  dem  Bilde 
»Sie  alle  folgten  dem  Stern«  werden  sie  nocli  durch  man- 
ches stark  übertönt,  aber  das  große  Figurenbild  »Kommet 
her  zu  mir!<  — viele  Studien  dazu  in  der  Ausstellung  — 
zeigt  durchaus  mehr  Anschluß  als  Kongenialität;  es  ist 
Janssen  nicht  gelungen,  bei  den  sich  drängenden  Kreuz- 
trägern das  zum  Ausdruck  zu  bringen,  was  v.  Gebhardt 
aus  der  Tiefe  religiöser  Empfindung,  wie  sie  der  Spruch 
voraussetzt,  in  die  Sichtbarkeit  hervorgeholt  haben  würde : 
ein  solch  innerliches  Mühselig-  und  beladensein  ist  etwas 
ganz  wesentlich  anderes,  als  Unzufriedenheit  mit  dem 
zufällig  so  oder  so  Gewordenen  oder  Trieb  nach  Ver- 
änderung und  Abwechslung.  Seine  letzte  Studie  »Lasset 
die  Kindlein  zu  mir  kommen«  läßt  noch  nicht  beuiteilen, 
ob  sie  wirklich  zu  einem  Bilde  religiöser  Art  geworden 
sein  würde:  was  davon  vorliegt,  mutet  an,  aber  der 
Stört'  liegt  dem  Akademischen  wie  dem  Reahstischen 
gleich  ferne,  wenn  er  die  Worte  des  Heilandes  vor  Augen 
stellen  soll. 

Vierhunderteinundreißig  Werke  waren  in  den  unteren 
Sälen  der  Kunsthalle  vereinigt,  um,  wie  nie  zuvor,  die 
zeitliche  Aufeinanderfolge  in  örthchem  Nebeneinander 
zu  einem  Einbhck  in  die  Entwicklung  und  die  Arbeit 
des  Meisters  während  seiner  mehr  als  vierzigjährigen  Tätig- 
keit geeignet  werden  zu  lassen.  Drei  von  den  ausge- 
stellten Werken  zeigten  den  Mann  selber,  wie  drei  Meister 
der  Kunst  seine  äußere  Erscheinung  und  den  ihr  inne- 
wohnenden Geist  und  Charakter  festzuhalten  versucht 
haben;  vor  vielen  Jahren  H.  Crola,  neuerdings  Prof. 
Ludwig  Keller  und  in  Medaillon  aus  weißem  Mar- 
mor der  Bruder  des  Verstorbenen,  Prof.  Karl  Janssen. 
Ein  besonders  tiefer  Einblick  in  den  umfassenden  Geist 
und  brüderlich  vertraute  wahrhafte  Auffassung  seines 
("har.ikters  ist  naturgemäß  bei  dem  Bruder  vorauszu- 
setzen, und  was  dessen  Werk  ausspricht,  findet  in  den 
Werken  des  Dargestellten  seine  bestätigende  Antwort. 
Peter  Janssen  war  eine  regierende  Natur,  hingegeben  dem 
Dienste  der  Schönheit  in  der  Kunst;  »ich  herrsch'«  und 
»ich  dien'«  konnten  ihm  Devisen  sein,  die  miteinander 
nicht  in  Widerspruch  zu  treten  brauchten.  Drückten 
seine  Vorgänger,  wenngleich  milderer  Formen  sich  viel- 
fach bedienend,  der  Akademie,  soweit  sie  vermochten, 
den  Stempel  ihrer  mehr  oder  minder  persönlichen  Auf- 
fassung auf,  so  daß  wiederholt  eine  förmliche  Flucht  der 
Kunst  aus  der  Akademie  in  die  Privatatehers  eintrat,  wie 
aus  Fesseln  in  die  Freiheit,  so  ward  mit  ihm  das  Grund- 
gesetz, daß  die  Kunst  keine  Fesseln  erträgt  als  die  eignen, 
zur  praktischen  Verv,'irklichung  zugelassen,  und  das  zweite, 
aus  dem  ersten  sich  ergebende,  daß  der  Künstler  aus 
seiner  eigenen  Natur  heraus  werden  und  in  diesem 
Werden  durch  weise  Leitung  gefördert  werden  müßte, 
schien  ihm  nicht  disziplinwidrig  zu  sein  Trotz  vorauf- 
gegangener vieljähriger,  direktorloser  Zeit  zerschmolz 
erst  mit  seiner  Übernahme  der  Leitung  das  »Akade- 
mische« im  alten  und  üblen  Sinne  des  Wortes.  Nicht 
dieses,  sondern  andere  weit  höhere  Imponderabilien  be- 
gannen das  zarte  Gewebe  der  Eigenart  Düsseldorfer 
Kunst  gegenüber  anderen  Kunstrichtungen  zu  spinnen. 
Und  es  ward  weit  genug  gesponnen;  denn  innerhalb 
desselben  konnten  sich  sclion  in  der  Schülerschaft  Gegen- 
sätze und  Verschiedenheiten  entwickeln,  die  unvereinbar 
schienen  und  auch  tatsächlich  iVeinde  Geister  in  die 
Fremde  führten;  hierauf  näher  einzugehen,  verlohnt  sich 
nicht;  jede  größere  Ausstellung  in  Düsseldort  und  ander- 
wärts ist  sichtbarer  Beweis;  wer  da  mit  einigem  künst- 
lerischem BUck  in  die  Düsseldorfer  Säle  tritt,  tritt  dort 
ein  wie  in  die  Intimität  eines  Privathauses ;  er  empfindet 
die  einheitliche  Luft,  bis  die  Stärke  der  Einzelwirkungen 
sich  vordrängt.  Und  diese  weit-  und  zartgesponnene 
Einheitlichkeit  ward  durch  P.  Janssens  direkten  und  in- 


direkten Einfluß  schon  bei  den  Kunstschülern  entwickelt 
und  gelördert.  Gleichwohl  war  P.  Janssen  Akademiker 
durch  und  durch  und  nicht  zum  wenigsten  in  seinen 
eigenen  Werken.  Freilich  war  er  es  nicht  im  Sinne  des 
nörgelnden  Schahionendieners,  der,  bei  aller  Selbsthoch- 
schätzung nicht  etwa  seine  Person,  sondern,  die  ihm 
überlieferte  und  von  ihm  nuancierte  Schablone  für  In- 
begriff der  Kunst  ansehend,  diese  Schablone  weiter  auf- 
zwängt. Janssen  wurde  und  blieb  Akademiker  vielmehr 
und  vor  allem  durch  ein  starkes  Stilgefühl;  es  muß 
ihm  ursprünghch  innegewohnt  haben;  denn  er  konnte 
bis  in  sein  späteres  Alter  Einflüsse  vertragen,  ohne  un- 
selbständig zu  werden.  Wo  immer  er  nicht  Manier, 
sondern  Stil  fand,  näherte  er  sich  gerne,  selbst  auf  die 
Gefahr  hin,  weniger  originell  zu  erscheinen.  So  mag 
es  kommen,  daß  gewisse  bedeutende  Stilrichtungen, 
wie  Bendemann,  Alfred  Rethel  u.  a.  wie  eine  Etappen- 
geschichle  der  Düsseldorfer  Kunst  sich  in  ihm  wider- 
spiegeln. Mit  dieser  Stärke  des  Stilgefühls  hängt  es 
innig  zusammen,  daß  ihm  das  Momentane  in  der  Kunst, 
so  sehr  er  es  zu  schätzen  wußte,  eigentlich  fremd  blieb. 
Jeder  Strich  sozusagen  trägt  die  repräsentierende 
Dauer  einer  dargestellten  Idee  an  sich.  Selbst 
seine  faunischen  Gemälde,  vor  allem  das  bei  aller  Ein- 
fachheit der  Erfindung  großartige  Bild  »Am  Meeres- 
strande« von  der  Deutschnationalen  Ausstellung  1907, 
zeigen  das.  Auch  wo  seine  Darstellungen  noch  so  be- 
wegt erscheinen,  ist  dem  Augenblick  Dauer  verliehen; 
hier  ist  der  heut  so  viel  mißbrauchte  Ausdruck  »monu- 
mental« zutreffend.  Mit  dem  Stilgefühl  endlich  ist  enge 
verknüpft  die  Vornehmheit,  die  von  den  Heutigen 
als  unvereinbar  mit  naturwüchsiger  Originalität  in  die 
Rumpelkammer  akademischer  Maskeraden  geworfen  ist, 
aber  doch  auch  schon  wieder  schüchtern  hervorgesucht 
wird.  Und  Vornehmheit  kommt  den  Janssenschen  Wer- 
ken vorherrschend  in  hohem  Grade  zu  und  weiclit  selbst 
hei  ausgelassener  Laune  nicht.  Wenn  aber  Janssen  einer 
der  wenigen  Hervorragenden  ist,  die  starkes  Stil- 
gefühl, Dauer  des  Augenblicks,  repräsentie- 
rende Vornehmheit  durch  das  Stürmen  und  Drän- 
gen der  letzten  Jahrzehnte  hindurch  hochgehalten  haben, 
und  zwar  der  Gegenwart  nicht  fremd  gegenüber, 
sondern  mitten  in  ihr  stehend,  die  vielfach  krausen  Ge- 
wächse nicht  schulmeisternd  oder  ausrottend,  sondern 
gewähren  lassend  und,  soweit  es  anging,  leitend,  so 
dürfte  das  alles  hinreichender  Beweis  für  die  nachhal- 
tige Bedeutung  des  Mannes  sein,  aber  auch  hinreichende 
Erklärung  dafür,  daß  dem  heutigen  Beschauer  Unter- 
schätzung und  der  Vorwurf  mangelnder  Originalität  näher 
hegt,  als  das  Gefühl  für  die  Mahnung  daran,  daß  Kunst 
nur  dann  Kunst  sei,  wenn  sie  dem  Augenblick 
Dauer  verleiht  um  einer  Idee  willen.  So  gewiß 
der  Satz  zwar  vorübergehend  aus  den  Augen  verloren 
werden  kann,  aber  unerschütterlich  feststeht,  ebenso 
gewiß  mögen  Träger  desselben  zeitweise  und  um  dieser 
oder  jener  Einzelheit  willen  unterschätzt  werden,  aber 
ihr  Verdienst  bleibt  dadurch  unberührt ;  und  ein  solcher 
standfester  Träger  des  Banners  hoher  Kunst  ist  Peter 
Janssen  gewesen.  Bonc 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Wettbewerb.  Die  K.  Bayerischen  Staatsministerien 
des  Innern  und  der  Finanzen  schreiben  unterm  3.  De- 
zember einen  Wettbewerb  zur  Erlangung  von 
Entwürfen  für  den  Neubau  eines  Polizeige- 
bäudes in  Münclren  aus,  an  dem  sich  die  deut- 
schen Architekten  beteiligen  können.  Die  Unter- 
lagen sind  gegen  Einsendung  von  10  M.  vom  Geheimen 
Expedilionsamte  des  K.  Staatsministeriums  des  Innern 
(Theatinerstraße  21    in  München)  zu  beziehen.     Dieser 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  —  BÜCHERSCHAU 


Betrag  wird  bei  Ablieferung  eines  Entwurfes  zurüclc- 
erstattet.  Die  Entwürfe  sind  bis  zum  15.  Mai  1909, 
abends  6  Ulir  an  die  vorbezeichnete  Adresse  postfrei 
einzusenden.  Als  Preise  stehen  zur  Verfügung:  ein 
erster  Preis  im  Betrage  von  12000  M. ;  ein  zweiter 
Preis  im  Betrage  von  9000  M. ;  zwei  dritte  Preise  im 
Betrage  von  je  6000  M.;  zwei  vierte  Preise  im  Betrage 
von  je  5000  M.  Weitere  Entwürfe  können  zum  Preise 
bis  zu  je  5000  M.  erworben  werden.  Das  Preisgericht 
besteht  aus  den  Herren ;  Coluzzi,  Ministerialrat  im  K. 
Staatsministerium  der  Finanzen  in  München;  Dr.  Englert, 
Ministerialrat  im  K.  Staatsministerium  des  Innern  in 
München ;  Frhr.  von  der  Heydte,  K.  Regierungs-  und 
Polizeidirektor  in  München  ;  von  Hildebrand,  K.  Professor 
und  Bildhauer  in  München;  Dr.  ing.  Hoffmann,  Geh. 
Baurat  und  Stadtbaurat  in  Berlin ;  Hofmann,  Geheimer 
Oberbaurat,  Professor  in  Darmstadt;  Littmann,  K.  Pro- 
fessor, •  .Architekt  in  München;  Ohmann,  K.  K.  Ober- 
baurat, Professor  in  Wien;  Reuter,  Oberbaurat  im  K. 
Staatsministerium  des  Innern  in  .München ;  Schachner, 
Stadt.  Bauamtmann  in  München ;  Alb.  Schmidt,  K.  Pro- 
fessor, Architekt  in  München ;  Frhr.  von  Schmidt,  K.  Pro- 
fessor an  der  Technischen  Hochschule  in  München ; 
Schmitz,  K.  Professor,  Architekt  in  Nürnberg;  Dr.  ing. 
G.  von  Seidl;  K.  Professor,  .Architekt  in  München;  Dr. 
Wallot,  Geheimer  Baurat,  Geheimer  Hofrat  und  Pro- 
fessor in  Dresden. 

Frankfurt  a.  M.  Das  Preußische  Kultusministerium 
hat  den  Maler  Paul  Beckert  (Frankfurt  a.  M.)  beauftragt, 
für  den  Staat  ein  Porträt  der  Kaiserin  .Auguste  Viktoria 
zu  malen,  nachdem  der-  Kaiser  die  hierzu  vorgelegten 
Skizzen  genehmigt  hat. 

-Aachen.  Die  niederrheinischen  Bildwerke  des  städti- 
schen Suermondt-Museums  haben  durch  die  Erwerbung 
eines  Kalkarer  Schnitzaltars  aus  der  Zeit  um  1 500  einen 
glänzenden  Mittelpunkt  erhalten.  Der  dreiteilige,  in  der 
Mitte  überhöhte  Schrein  enthält  figurenreiche,  dramatisch 
bewegte  Szenen  aus  dem  Leben  des  heiligen  Petrus,  die, 
ohne  scharfe  Trennung,  in  zwei  Reihen  übereinander 
angeordnet  sind.  Im  Mittelfeld  sieht  man  Petrus  in 
Cathedra,  von  Kirchenfürsten  umgeben,  darüber  die  Hei- 
lung eines  Besessenen,  links  davon  Petrus  als  Prediger 
und  die  Auferweckung  der  Tabitha,  rechts  die  Kreuzi- 
gung Petri,  sowie  seine  Verfolgung  und  Begegnung  mit 
Jesus.  Die  Figuren  sind  mit  großem  Naturalismus  dar- 
gestellt und  erinnern  sehr  an  die  bekannten  Werke  in 
der  Nikolaikirche  zu  Kaikar;  wie  diese  sind  sie  aucli  nicht 
bemalt.  Reich  geschnitzte  Baldachine  schließen  oben 
die  Gruppen  ab,  während  ein  schön  durchbrochener 
Rankenfries  seitlich  und  oben  herumläuft.  Große  halbe 
Kleeblattbogen  vermitteln  den  Übergang  zwischen  Seiten- 
und  Mittelteil.  Für  das  Museum  hat  der  .Altar,  abgesehen 
von  seinem  hohen  künstlerischen  Wert,  als  Erzeugnis  der 
niederrheinischen  Kunst  des  .Mittelalters  noch  besondere 
Bedeutung. 

Bildhauer  Valentin  Kraus  (München)  wurde  vom 
bayerischen  Staat  mit  zwei  kirchlichen  Aufgaben  für  die 
Sc'hottenkirche  in  Würzburg  betraut.  Wie  wir  frülier  be- 
richteten, war  seine  Marmorfigur  »Unsere  Erlösungt 
hinter  einem  Seitenaltar  jener  Kirche  aufgestellt  worden. 
Dieses  edle  Werk  wurde  am  27.  Oktober  in  die  neue 
St.  Adalberokirche  überführt,  wofür  in  der  Schottenkirche 
an  ihre  Stelle  die  Madonna  mit  dem  Christkind  kommen 
.soll,  während  der  andere  Seitenaltar  von  Kraus  eine 
Statue  des  .Apostels  Jakobus  major,  des  Patrons  der 
Kirche,  erhalten  wird.  Beide  Plastiken  werden  in  Jura- 
kalkstein ausgeführt. 

Bildhau  er  Joseph  Faß  nacht  (München)  vollendete 


Ende  November  eine  Statuette  der  hl.  Barbara,  der  Pa- 
tronin der  Artillerie.  Die  Figur  ist  in  Birnbaumholz 
ausgeführt  und  bildet  ein  Geschenk  der  Offiziere  des 
3.  Feldartillerie-Regiments  zum  50jährigen  Militär-Dienst- 
jubiläum S.  K.  H.  des  Prinzen  Leopold  von  Bayern. 

München.  Die  Galerie  Heinemann  eröffnete  anfangs 
Dezember  eine  Ausstellung  von  Gemälden  der  Barbizon- 
Schule;  sie  umfaßt  72  Gemälde  von  Corot,  Daubigny, 
Diaz,  Isabey,  Rousseau,  Troyon  u.  a. 

München.  Nächsten  Sommer  findet  vom  i.  Juni 
bis  51.  Oktober  im  Kgl.  Glaspalast  zu  München  die 
X.  Internationale  Kunstausstellung  statt. 

Für  die  kath.  Pfarrkirche  iSt.  Bartholomä«  in 
Friesenried  (Allgäu)  hat  Professor  Kaspar  Schleibner 
zwei  Deckengemälde  vollendet.  —  Im  Langschiff  der 
Kirche  ist  die  »Krönung  Mariens<  mit  der  hl.  Dreifaltig- 
keit und  den  Schutzheiligen  der  Landbevölkerung.  Der 
hl.  Bartholomäus  als  Patron  der  Kirche  kniet  zu  den 
Füßen  der  hl.  Dreifaltigkeit,  um  den  Segen  für  die 
seinem  Schutze  anvertraute  Gemeinde  zu  erbitten.  — 
Das  Bild  im  Chor  stellt  den  »Er  denpil  ge  r<  dar, 
vom  Kinde  bis  zum  Greisenaher.  Am  Fuße  des  Bildes 
lauert  der  »Versucher«,  den  vorüberziehenden  Wanderern 
den  Reichtum  und  die  Freuden  der  Welt  anpreisend. 
In  der  Mitte  des  Bildes  schreitet  ein  Ehepaar,  gemein- 
sam das  Kreuz  des  Lebens  tragend,  während  oben  in 
der  Glorie  ein  Pilger  bereits  sein  Ziel  erreicht  hat  und 
aus  der  Hand  des  Herrn  die  Krone  der  ewigen  Beloh- 
nung empfängt. 

Professor  Becker-Gundahl  vollendete  am  27. No- 
vember ein  großes  Freskogemälde  an  der  Vorderwand 
des  linken  Armes  des  Q.uerschirtes  der  neuen  St.  Anna- 
Kirche  zu  München.  Es  ist  das  Seitenstück  zu  dem  im  vori- 
gen Jahr  von  ihm  fertiggestellten  Fresko  der  Kommunion 
der  Apostel  und  stellt  das  Wunder  der  Verwandlung 
von  Wasser  in  Wein  auf  der  Hochzeit  zu  Kana  neu- 
artig dar.  Das  Gemälde  bildet  einen  Schmuck  des  Gottes- 
hauses. Darüber  sieht  man  »Die  flinimelspforte«.  In 
den  vier  Feldern  des  Gewölbes  schweben  vier  Engel, 
von  einem  Sternenkranz  einheitlich  verbunden. 

Dr.  Gabriel  von  Seidl  beging  unter  hohen  und 
wohlverdienten  Ehrungen  am  9.  Dezember  seinen  60.  Ge- 
burtstag. Der  Künstler  übte  seit  mehr  als  einem  Vier- 
ttljahrhundert  einen  entscheidenden  Einffuß  auf  die 
Richtung  der  Münchener  Archhektur.  Von  seinen  Haupt- 
werken nennen  wir  nur  das  neue  Nationalmuseum,  das 
Künstlerhaus,  das  Lenbachhaus,  die  St.  Annakirche  (.Abb. 
in  der  III.  Jahresmappe,  1895,  der  D.  Ges.  f.  christliche 
Kunst),  sämthchc  in  München,  dann  Schloß  Neubeuern, 
Schloß  Steinach,  die  V'illa  von  Hcyl  in  Darmstadt.  — 
Außerdem  scheut  der  liebenswürdige  Meister  keine 
Mühe,  wenn  es  gilt,  dem  edlen  und  Schönen  zu  dienen. 


BÜCHERSCHAU 

Klassiker  der  Kunst.  Band  XII.  Fritz  von 
Uhde.  Des  Meisters  Gemälde  in  285  Abbildungen. 
Herausgegeben  von  Hans  Rosenhagen.  Deutsche  Ver- 
lagsanstalt, Stuttgart.     Preis  gebunden  M.  10. — . 

Der  vorstehende  prächtige  und  gediegene  Band  er- 
schien zum  60.  Geburtstag  (22.  Mai  1908)  des  Meisters. 
Lange  Zeit  waren  die  Schöpfungen  Uhdes  ein  Ziel  des 
Widerstreits  der  Meinungen ;  besonders  jene  Genrebilder, 
welche  Religiöses  und  Profanes  verknüpfen,  und  die 
eigentlichen  religiösen  Darstellungen  erregten  bei  man- 


BUCHERSCHAU 


STARK    VERKLEINERTE  WIEDERGABE    DER    GROSSEN    AQUARELL- 
GRAVÜRE    NACH  JAN   VAN    EYCK    .MARIA  MIT   DEM  KINDE.    AUS 
DER  I.  LIEFERUNG  .MEISTERWERKE  RELIGIÖSER  KUNST. 


cliem  keine  rechte  Befriedigung,  bei  anderen  Ablehnung. 
Größe  historischer  Auffassung  darf  man  bei  Uhde  nicht 
suchen,  hierfür  ist  er  nicht  veranlagt.  Doch  seinen  Bil- 
dern fehlt  es  nicht  an  Gemüt  und  menschlicher  Teil- 
nahme an  dem,  was  er  zum  Objel<t  seiner  Malerei  macht. 
Unbestritten  aliier  bleibt  Uhdes  Meisterschaft  als  Maler 
im  engeren  Sinne  und  wir  stimmen  Rosenhagen  bei, 
wenn  er  ihn  als  eine  der  eigenartigsten  Erscheinungen 
der  Gegenwart  bezeichnet  und  wenn  er  sagt,  daß  seine 
stattliche  Zahl  der  Leistungen  Uhdes  in  ihrer  Art,  als 
Werke  der  Malerei  wie  als  Persönlichkeitsäußerungen, 
Höhepunkte  im  künstlerischen  Schaffen  der 
Zeit  vorstellen«.  Deshalb  muß  sich  jeder  mit  diesem 
Künstler  beschäftigen,  der  in  die  neue  Kunst  eindringen 
will.  Diese  Zeitschrift  hat  denn  auch  wiederholt  Auf- 
sätze über  ihn  veröffentlicht.  R.s. 

Deutsche  Malerei  des  19.  Jahrhunderts.  Ein- 
hundert farbige  Faksimile-Reproduktionen  nach  Gemälden 
deutscher  Künstler  des  verflossenen  Jahrhunderts.  20  Hefte 
zu  je  5  Blättern.  Preis  des  Heftes  im  Abonnement  2  M. 
Verlag  E.  A.  Seemann  in  Leipzig.     Heft  7 — 14. 

Bis  in  die  jüngste  Zeit  herrschte  in  unserer  Gene- 
neration  eine  beschämende  Unkenntnis  der  Kunst  der 
ersten  drei  Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts.  Die  Lob- 
redner der  Vergangenheit  pflegten  nur  mit  ein  paar 
Meisternamen  aufzuwarten ;  aber  gerade  diese  Namen 
galten  der  »modernen«  Kritik  als  Inbegriff  der  Zurücli- 
gebliebenheit  oder  Verirrung.  Ein  tieferes  Eindringen 
in  die  mannigfaltigen  Lebensäußerungen  der  deutschen 
Malerei  ersparten   sich  die  einen  wie  die  anderen  und 


namentlich  den  Bewunderern  der  französischen 
Landschaftsmalerei  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts stand  es  fest,  daß  die  deutsche  Malerei 
ganz  rückständig  war.  Ein  genaueres  Studium  läßt 
jene  Epoche  in  besserem  Licht  erscheinen.  Auch 
dämmert  jetzt  die  Erkenntnis  auf,  daß  jede  Kunst- 
epoche aus  ihr  selbst  heraus  beurteilt  werden  muß. 
Die  Vorzüge  der  Gegenwart  bleiben  bestehen,  um 
ihretwillen  brauchen  wir  gegen  die  Vergangenheit 
nicht  ungerecht  zu  sein. 

Die  vorstehend  angezeigte  Publikation  erleichtert 
es  dem  Kunstfreund,  über  Entwicklung  und  Wert 
der  Malerei  des  19.  Jahrhunderts  sich  nicht  zu  orien- 
tieren. Bis  jetzt  schien  sie  darauf  auszugehen,  von 
den  älteren  Meistern  des  19.  Jahrhunderts  nament- 
lich jene  Künstler  zu  berücksichtigen,  die  bislang 
wenig  bekannt,  wo  nicht  vergessen  waren,  und 
unter  ihnen  wieder  besonders  die  Landschafter. 
Die  religiösen  Meister  und  die  Vertreter  der  Histo- 
rienmalerei sind  noch  zu  Wort  gekommen.  —  Heft 
7  — 14  bieten  schöne  farbige  Blätter  nach  Olde, 
Hagen,  Brendel, Buchholz,Thed3', 01dach,Wasmann, 
Runge,  Seibels,  Friedrich,  Kaulbach,  Zügel,  Uhde, 
Spitzweg,  Defregger,  Rayski,  Richter,  Dreher  usw. 

Die  Galerien  Europas.  Gemälde  alter 
Meister  in  farbiger  Wiedergabe.  Neue 
Folge.  Zwanzig  Lieferungen  mit  je  fünf  farbig 
reproduzierten  Bildern.  Abonnementspreis  des  Hef- 
tes 2  M. ;  einzelne  Hefte  3  M.  E.  A.  Seemann  in 
Leipzig. 

Seit  unserer  Besprechung  der  ersten  vier  Liefe- 
rungen schritt  das  begrüßenswerte  Unternehmen 
rasch  vorwärts  und  es  liegen  uns  nunmehr  die 
Lieferungen  5 — 14  vor.  Die  Hefte  5  — 10  enthalten 
Reproduktionen  aus  der  Eremitage  und  der  Aka- 
demie zu  St.  Petersburg;  die  Bilder  des  11.  bis 
14.  Heftes  sind  der  Alten  Pinakothek  zu  München 
entnommen;  später  folgen  die  Mailänder  Kunst- 
schätze. Jedem  Bild  ist  ein  kurzer  einführender 
Text  beigegeben.  Die  Auswahl  der  Kunstwerke  ist 
eine  glückliche.  Mehrfach  sind  die  in  St.  Petersburg 
befindUchen  Werke  französischer  Künstler  berücksichtigt: 
so  Bilder  von  Couture,  Diaz,  Dupre,  Jacque,  Troyon, 
Corot,  Meissonier. 

Der  Pionier.  Monatsblätter  für  christliche  Kunst. 
Jahresabonnement  inklus.  Frankozustellung  M.  3. — . 

Inhalt  des  4.  Heftes  (i.  Jan.  1909):  Seit  wann 
sind  die  Fenster  verglast?  (Schluß.)  Von  Max  Hasak. 
Grunewald  bei  Berlin.  —  Die  Bilder  in  unseren  Schulen. 
Von  E.  Gutensohn.  —  Reinigung  metallener  Kirchen- 
geräte. —  Entwürfe  auf  Vorrat? 

Zehn  Abbildungen  (moderne  Altarleuchter). 


Für  die  ländliche  Wohnung! 

Farbige  Originallithographien  von  Georg  Winkler. 
Blattgröße  ca.  65X45  cm,  Preis  eines  Blattes  M.  1.50. 
Bis  jetzt  erschienen : 

Der  heihge  Leonhard, 
Der  heilige  Isidor, 
Der  heilige  Nikolaus  und 
Der  heihge  Florian. 
Diese  Bilder  muten  in  ihrer  kernhaften  und  zugleich 
gemütvollen  deutschen  Art  sofort  traulich  an  und  sind 
so  recht  geeignet,  das  ländliche  Heim  in  volkstümlicher 
Weise  künstlerisch  zu  schmücken.  Die  Verbreitung  dieser 
biUigen  echten  »Volkskunst«  sollte   sich  besonders   der 
hochwürdige  Klerus  angelegen  sein  lassen. 

Redaktionsschluß:  12.  Dezember. 


BEILAGE 


WETTBEWF.RB 


WETTBEWERB 

für    eine    neue  katholische  Pfarrkirche  mit  Pfarrhaus  in 
Uerdingen  am  Niederrhein 

Tn  Uerdingen  am  Kiederrhein,  Erzdiözese  Köln,  soll 
eine  zweite  Pfarrkirche  und  in  Verbindung  damit  ein 
Pfarrhaus  erbaut  werden  Zur  Erlangung  künstlerischer 
Entwürfe  hierfür  schreibt  die  »Deutsche  Gesellschaft 
für  christliche  Kunst <  in  München  im  Namen  des  Kir- 
chenbauvereins  in  der  katholischen  Gemeinde  zu  Uer- 
dingen um  Niederrhein  unter  den  Architekten  deutscher 
Zunge  einen  Skizzenwettbewerb  aus  und  zwar  unter 
folgenden  Bedingungen: 

I.  Kirche.  Lage  des  Bauplatzes.  Über  die  Bau- 
stelle der  zu  errichtenden  neuen  Kirche  gibt  der  Lage- 
plan-Ausschnitt aus  dem  von  Professor  Geheimen  Rat 
Hennerici  zu  Aachen  aufgestelhen  Bebauungsplan  Auf- 
schluß. Das  Grundstück  ist  groß  2  ha  K5  a  30  m=, 
hochwasserfrei  und  bisher  Ackerland.  Das  ganze  Stadt- 
viertel ist  eben,  das  Grundstück  liegt  etwas  höher  wie 
die  Umgebung.     Bebaut  ist  in  der  Gegend  noch  wenig. 

Achsenrichtung.  Die  Längsachse  sollte  möglichst 
von  Osten  nach   Westen  gehen. 

Raumbedarf  und  Raumverteilung.  Die  neue  Kirche 
soll  Raum  für  etwa  1500  Besucher  bieten.  Es  sind 
drei  -Altäre  vorzusehen.  Im  übrigen  wird  die  Raum- 
verteilung freiem  Ermessen  überlassen,  so  jedoch,  daß 
der  Hauptaltar  möglichst  von  allen  Plätzen  zu  sehen  ist. 
Eine  Heizungsanlage  ist  vorzusehen,  desgleichen  Raum 
für  allerlei  Sachen,  die  in  der  Kirche  für  Dekoration  etc. 
gebraucht  werden 

Stil  und  Material.  Der  Stil  bleibt  dem  Ermessen 
des  Architekten  überlassen ;  streng  gotischer  ist  nicht 
erwünscht.  Als  Baumaterial  für  den  Rohbau  sollen 
Backsteine  verwendet  werden.  Ein  Blendsieinbau  in  Back- 
steinen ist  nicht  beabsichtigt.  Werksteine  sind  in  der  Gegend 
nicht  vorhanden  und  werden  deshalb  nur  in  größter 
Beschränkung  verwendet  werden  können.  Es  wird  im 
wesentlichen  Putzbau  werden  müssen.  Die  Baukosten 
dürfen  ca.  200000  M.  betragen.  Die  Umgebung  der 
Kirche  ist  so  zu  gestalten,  daß  kirchliche  Umzüge  und 
Prozessionen  rund  um  die  Kirche  auf  eigenem  Boden 
abgehalten  werden  können. 

II.  Pfarrhaus.  Bemerkungen  für  den  Neubau  des 
Pfarrhauses.  Es  bleibt  dem  Archhekten  vorbehalten, 
die  Lage  des  Pfarrhauses  zu  bestimmen  und  dasselbe 
organisch  mit  der  Kirche  zu  verbinden  oder  auch  nicht. 
Die  Grundfläche  soll  150  bis  180  m^  betragen.  Das 
Wohnhaus  ist  ganz  zu  unterkellern  und  mit  Zentral- 
heizung zu  versehen.  Außer  dem  Parterre  wird  eine 
Etage  gefordert.  Die  Wohnung  ist  nur  für  den  Pfarrer, 
nicht  auch  für  die  Hilfsgeistlichen  bestimmt.  Für  den 
Neubau  sollen  M.  150. —  für  den  überbauten  Quadrat- 
meter vorgesehen  werden.  Zentralkeizung  ist  hierin 
nicht  einbegriffen. 

III.  Allgemeine  Bedingungen.  Vorzulegende 
Skizzen  und  Kostennachweise.  Es  sind  im  Maßstabe 
1:200  vorzulegen:  a)  von  der  Kirche:  ein  Grundriß, 
ein  Längenschnitt,  ein  Querschnitt,  ferner  drei  Ansichten, 
deren  eine  das  Pfarrhaus  mit  enthahcn  soll  (Vorder-, 
Seiten-  und  Choransicht),  und  eine  Perspektive  mit  der 
zuvorderst  liegenden  Gebäudekante  in  der  Bildebene 
im  Maßstab  i  :  100.  b)  Vom  Pfarrhause  zwei  Grund- 
risse und  eine  weitere  Ansicht.  Außerdem  ist  beizu- 
legen ein  Kostennachweis  nach  Kubikmeter  des  Bau- 
körpers, vom  Kirchenfußboden  bis  Hauptgesims-Ober- 
kante gerechnet. 

Einlieferungsfrist.  Die  Projektskizzen  sind  längstens 
bis  19.  April  1909,  abends  6  Uhr,  an  die  Geschäfts- 
stelle der  «Deutschen  Gesellschaft  für  christliche  KunsK, 
München,  Karlstraße  6,  einzusenden;  für  auswärtige 
Einsender   gilt   das  Datum   des  Aufgabestempels.     Den 


mit  einem  Kennwort  versehenen  Entwürfen  ist  im  ver- 
schlossenen Umschlage,  der  außen  das  gleiche  Kenn- 
wort tragen  muß,  Name  und  Wohnung  des  Verfassers 
beizufügen. 

Preise.  Für  Preise  ist  eine  Gesamtsumme  von  M.  1 500 
ausgesetzt,  und  zwar  sind  drei  Preise  zu  folgenden  Be- 
trägen in  Aussicht  genommen:  I.Preis  M.  700,  II.  Preis 
M.  500,  111.  Preis  M.  300.  Es  bleibt  dem  Preisgerichte 
auf  einstimmigen  Beschluß  unbenommen,  die  Preise 
gegebenenfalls  aucli  anders  zu  verteilen. 

Preisgericht.  Das  Preisgericht  wird  gebildet  von  der 
ijury«  der  »Deutschen  Gesellschaft  für  christliche  Kunst«, 
welche  aus  den  Architekten  Peter  Danzer,  Assistent  an 
der  technischen  Hochschule  in  München,  und  Heinrich 
Freiherrn  von  Schmidt,  Professor  an  der  technisclien 
Hochschule  in  München,  den  Bildhauern  Balthasar  Schmitt, 
Professor  an  der  Akademie  der  bildenden  Künste  in 
München,  und  Heinrich  Wadere,  Professor  an  der  Kunst- 
gewerbeschule in  München,  den  .Malern  Feli.\  Baumhauer 
und  Joseph  Huber-Feldkirch  in  .München,  dann  den  Kunst- 
freunden Dr.  Ludwig  Baur,  Universitätsprofessor  in  Tü- 
bingen und  Dr.  August  Knecht,  Lyzealprofessor  in  Bam- 
berg, besteht ;  ferner  gehören  ihr  an  die  .Architekten 
Kaspar  Pickel  in  Düsseldorf  und  Stephan  Mattar  in  Köln, 
sowie  drei  Vertreter  für  Uerdingen,  und  zwar  die  .Mit- 
glieder des  katholischen  Kirchenvorstandes  Oberpfarrer 
Hülstet,  Kaufmann  Heinrich  Theissen  und  Fabrikbesitzer 
Franz  Schwengers.  Im  Falle  der  Verhinderung  eines 
der  genannten  Juroren  behält  sich  die  Jury  das  Recht 
der  Kooptierung  eines  Ersatzmannes  vor.  —  Ersatzmann 
für  die  Vertretung  aus  L'erdingen  ist  das  Kirchenvor- 
standsmitglied Kaufmann  Carl  van  Beers.  Der  Kirchen- 
vorstand, bezw.  Kirchenbauvereins- Vorstand,  wird  bezüg- 
lich der  Ausführung  eines  von  der  Jury  ausgewählten 
Entwurfes  mit  dem  Preisgerichte  in  Verbindung  bleiben, 
behält  sich  jedoch  die  Entscheidung  bezüglich  der  Aus- 
führung vor. 

Ausstellung  der  Entwürfe.  Sämtliche  Entwürfe  wer- 
den nach  dem  Schiedsspruch  etwa  14  Tage  lang  in 
einem  noch  zu  bestimmenden  Lokale  in  München  öffent- 
lich ausgestellt. 

Die  Projekte  bleiben  Eigentum  der  Verfasser. 

Die  Rücksendung  der  nicht  preisgekrönten  Entwürfe. 
Etwaige  Reklamationen  müssen  bis  i.  Juli  1909  ange- 
meldet sein  Von  denjenigen  niclit  preisgekrönteil  Ent- 
würfen, welche  14  Tage  nach  Schluß  der  .Ausstellung 
nicht  allgeholt  sind,  werden  die  Briefumschl.ige  geöffnet, 
um  die  Rücksendung  zu  ermöglichen,  welche  nach  diesem 
Termine  kostenfrei  erfolgt. 


DIE  WINTER  AUSSTELLUNG 
SECESSIOX  MÜNCHEN 
HANS  VON  MAREES 


DER 


W 


eun  die  Kunst  vom  Wollen  anstatt  vom  Können  ab- 
zuleiten wäre,  so  würde  nun  gewiß  Hans  von 
Marees  als  den  größten  deutschen  .Maler  bezeichnen 
müssen,  wie  dies  von  vielen  Verehrern  seiner  Kunst 
schon  jetzt  getan  wird.  Überblickt  man  das  gesamte 
Schaffen  dieses  eigenartigen  Künstlers,  das  in  so  reich- 
haltiger Fülle  in  sämtlichen  Sälen  der  Secession  aus- 
gebreitet ist,  so  erkennt  man  von  den  Anfangsstudien 
an  bis  zum  Schlüsse  seiner  Lebensarbeit  ein  fortwäh- 
rendes Tasten,  Suchen  und  Ringen  nach  Ausdrucks- 
möglichkeiten der  Kunst  und  diese  selbst,  sein  Ziel,  ist 
dann  stets  das  jeweilig  Höchste,  was  bisher  die  mensch- 
liche Kultur  hervorgebracht  hat.  Bei  diesem  Suchen 
und  Ringen  liel  dem  für  alles  Hohe  Begeisterten  manches 
zu,  namentlich  in  den  Jahren  des  Lernens  und  des  Ver- 
kehrs mit  den  talentvollen  Jungen    der  sechziger  Jahre 


WINTERAUSSTELLUNG  DER  SECESSION  —  VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


IB\1\1  KN  I  W  I   Hl 


und  entstanden  insbesondere  Bildnisse,  die  mit  zu  dem 
Besten  gehören,  das  jene  Zeit  überhaupt  hervorgebracht 
hat.  Ganz  abgesehen  von  der  psychologischen  Erfassung 
des  menschlichen  Wesens,  wußte  der  Maler  einen 
Schmelz  und  eine  Zauberkraft  der  Farbe  hervorzubringen, 
die  einzig  sind.  Stets  aber  erkennt  man  den  Drang, 
ein  großes  Vorbild  zu  ergreifen.  Denkt  man  bei  dem 
zarten,  weich  modellierten  Porträt  der  Frau  R.  Lier  an 
Holbein,  so  bei  dem  Bildnis  eines  Fräuleins  von  1863 
an  Leibl,  bei  seinem  Selbstbildnis  von  1862  an  Rem- 
brandt,  bei  anderen  wieder  an  die  verschiedensten  Ita- 
liener und  die  strahlende  Hoheit  venezianischer  Größen. 
Tizian,  vor  allem  der  geheimnisvolle  und  rätselhafte 
Giorgione  zogen  den  Künstler  ganz  in  den  Bann,  aber 
diesem  deutschen,  ernst  melancholischen  Temperament 
gelingt  es  zuerst  nicht,  die  fremde  Sprache  ins  Ger- 
manische zu  übersetzen.  Der  Geist  dieser  Künstler 
wird  erfaßt,  aber  die  Formengebung,  die  Verkörperung 
der  eigenen  Idee  im  fremden  Kleide  gelingt  nur  zag- 
haft und  stammelnd.  Es  ist  hochinteressant,  zu  ver- 
folgen, wie  Maries  sich  abmüht  in  Skizzen  und  Ent- 
würfen, und  fast  glaubt  man,  daß  er  in  der  römischen 
Landschaft  die  Art  und  Weise  Giorgiones  erkannt  hat 
und  in  der  >Abendlichen  Waldszene«  zu  dem  Resultate 
eigener  großer  Naturanschauung  auf  dem  Umwege  über 


Itahen  gelangte.  Am  reinsten  und  schönsten  drückt 
sich  in  diesem  und  noch  einigen  ähnlichen  kleineren 
Gemälden  seine  Kunst  aus  und  man  bedauert  nur,  daß 
der  eifrig  forschende  Künstler  späterhin  andere  Wege 
aufsuchte  und  dieses  einmal  aufgegrifiene  Problem 
preisgab.  Mit  den  wenigsten  Mitteln  der  Regie,  wenn 
man  dies  Wort  des  näheren  Verständnisses  wegen  ein- 
mal brauchen  will,  baute  er  sein  Thema  auf,  stets  von 
großer  dekorativer  Flächenwirkung  ausgehend. 

Hierher  gehören  auch  die  mit  technischer  Meister- 
schaft gegebenen  Studien  zu  den  Fresken  der  zoolo- 
gischen Station  in  Neapel.  Manet,  der  vielgerühmte 
und  vielgepriesene  Franzose,  hat  kaum  Besseres  gemacht, 
aber  wieviel  näher  liegt  uns  diese  weniger  »chic«  betonte 
Mache.  Es  ist  der  Höhepunkt  Mareesscher  Kunst;  denn 
bald  beginnt  der  Zurückgang  d.  h.  die  Umwandlung. 
Eine  andere  Kunstart,  die  der  Antike,  übernimmt  nun 
die  Führerrolle  in  der  Anschauungsweise  Marees'.'  Die 
Hoheit  jener  althellenischen,  unvergängliclicn  Gestalten 
nimmt  sein  ganzes  Denken  und  Fühlen  ein  und  nun 
sehen  wir  ein  vergebliches,  aufreibendes  Ringen  um 
die  Form  und  die  malerische  Erscheinung.  Was  Ma- 
rees  wollte,  das  konnte  er  ebensowenig  erreichen,  wie 
.lUe  jene  vor  ihm,  welche  die  Antike  für  ihre  Welt 
umbildeten.  Jeder  scheiterte  noch,  der  sich  dem  Helle- 
nismus unterwarf,  denn  wer  könnte  ihn  beherrschen  r 
Wer  hätte  es  vermocht,  eine  ganze  Welt  uns  wesens- 
fremder Anschauungen,  Ideen,  Gedanken,  die  zwischen 
uns  und  ihr  liegen,  hinwegzuräumen  ?  Auch  Maries 
scheiterte.  Trotzdem  lassen  uns  die  Schleißheimer 
Bilder  »Die  Hesperiden«,  »Das  goldene  Zeitalter«  und 
endlich  das  religiöse  Dreiflügelbild  »St.  Georg,  St.  Martin 
und  St.  Hubertus«  nicht  gleichgültig,  weil  sie  uns  von 
den  schweren  Kämpfen  erzählen  und  uns  vorgeschwebte 
hohe  Schönheit  in  nebelhaftem  Schleier  verhüllen,  aber 
schließhch  ziehen  wir  dennoch  unbefriedigt  von  dannen, 
weil  die  Kunst  erlösende,  befreiende  Worte  sagen  und 
nicht  abgequälte  todesmüde  Seufzer  vorlispeln  soll. 
Hans  von  Marees  starb  in  Rom  1887,  noch  nicht 
;o  Jahre  alt.  Als  er  starb,  war  seine  Welt  ausgelebt, 
über  diese  letzten  Schritte  hinaus  wäre  er  nicht  mehr 
i,'ekoramen.  Ob  er  im  Grunde  seiner  Veranlagung  ein 
Maler  war,  wie  etwa  Rubens,  Velasquez,  wer  ver- 
möchte dies  zu  sagen  ?  —  ich  glaube  nicht.  Ein  viel- 
seitiges Talent,  ein  Forscher,  ein  großer  Kenner  alter 
Kunst,  ein  heißer  Freund  der  Natur,  der,  in  richtige 
Bahnen  geleitet,  sicher  Großes  und  Wertvolles  für  die 
.Menschheit  geschaffen  hätte,  war  er  gewiß. 

Franz  Wolter 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Eine  neue  Serie  kleiner  Heiligenbilder  wird 
soeben  von  der  Gesellschaft  für  christliche  Kunst  aus- 
gegeben. Die  Bildchen  sind  mit  größter  Sorgfalt  in 
schönem  Farbendruck  auf  starkem  Papier  hergestellt  und 
feine  Reproduktionen  von  Werken  zum  Teil  alter,  größten- 
teils aber  neuer  Meister.  Sie  werden  nicht  bloß  dem 
Volke  zur  Erbauung,  Freude  und  Geschmacksbildung 
gereichen,  was  ihr  eigentlicher  Zweck  ist,  sondern  auch 
einen  verwöhnten  Geschmack  befriedigen.  Von  den 
lebenden  Künstlern  sind  u.  a.  vertreten:  Jos.  Albrecht, 
Emonds-Alt,  Feuerstein,  Franz  Fuchs,  Gebh.  Fugel,  Fritz 
Kunz,  Nüttgens,  Heinrich  Told,  Georg  Winkler. 

Die  »Freie  Vereinigung  der  Graphiker  zu 
Berlin«  zeigte  sich  November  1908  im  Künstlerhause. 
Sehen  wir  von  vielen  Namen,  sowie  von  den  typi- 
schen Landschaftsradieruugen  usw.  ab,  so  verdient 
doch  vor  allem  wieder  Professor  Hans  Meyer 
Ehrung.     Sie   ergibt   sich   nicht   aur   aus   seinen    Zeich- 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


KARL  KCnl.I 


;ahmai  i.srw  i  i:i 


des  ersteren  Instituts  wurde  Dr.  Georg  Hager  ernannt 
und  nunmehr  erfolgte  auch  die  Besetzung  der  Direktor- 
stelle des  Nationjlmuseums;  zum  DirektorwurdeDr.H  ans 
Steg  mann  ernannt,  bisher  zweiter  Direktor  des  Ger- 
manischen Museums  in  Nürnberg. 

Pleystein  (Opf.).  Die  neue  Pfarrkirche  erhielt  letzte 
Weihnachten  einen  gotischen  FlQgelaltar  von  Bildhauer 
Schreiner  in  Regensburg.  Der  Schrein  enthält  Relief- 
darstellungcn.  Für  die  Flügel  malte  J.  Alt  heim  er  in 
Regensburg  zwei  Bilder  mit  Darstellungen  des  Kirchen- 
patrons. 

München.  Die  Winterausstellung  der  Secession,  die 
von  Weihnachten  bis  lo.  Februar  dauert,  bietet  in  einer 
bisher  nie  gesehenen  Vollständigkeit  einen  Überblick  über 
das  gesamte  Lebenswerk  Hans  von  Marces.  Sie  enthält 
gegen  200  Nummern. 

Berlin.  Durch  die  Kunsthandlung  Paul  Cassirer 
wird  in  diesem  Winter  die  Nachlaßausstellung  W.  Lei- 
stikows  in  Frankfurt  a.  M.,  Dresden,  Hamburg  und 
München  gezeigt  werden. 

Berlin.   Die  Gesellschaft  für  deutsche  Kunst  im  Aus- 


nungen  (darunter  eine  lichtreiche 
.'\nbetung  der  Hirten  von  1905), 
sondern  auch  aus  Radierungen  sei- 
nes Schülers  Ludwig  Schaefer. 
An  des  Meisters  Zeichnung  von  der 
Gestalt,  die  über  einen  Dichter  den 
Todesschleier  breitet  (1907),  erin- 
nern mit  gesteigerter  Kompositions- 
kraft die  lebhaft  bewegten  Gestal- 
ten aus  dem  Paradies,  aus  der  Wil- 
den Jagd  usw.  in  den  gegensatz- 
reichen großen  Blättern  Schaefers, 
die  wohl  nur  noch  mehr  Klarheit 
und  Einfachheit  wün.schen  lassen. 
Das  eine  widmet  er  >dem,  der  nim- 
mermüde mir  den  Pfad  gewiesen, 
der  aus  des  Alltags  Dämmerschein 
ins  Sonnenland  der  ewigen  Schön- 
heit führt«.  M.  v.Eyken  radiert u.  a. 
einen  Joh.  Seb.  Bach  in  Architektur- 
rahmen, dessen  Unterteil  eine  Kreuz- 
tragung  enthält ;  H.Eickmannu.a. 
einen  Frauenkopf  mit  madonnenhaf- 
tem Schraerzausdruck;  O. F. Probst 
wirksame  Stadtbilder  (u.  a.  die  alte 

Augustinerkirche  zu  München). 
Mehrlarbige  Radierungen  wetteifern 
kolloristisch  mit  anderen  Techni- 
ken; ein  interressanter  Versuch  gilt 
einer  Landschaft  mit  schlichter  Kreu 
zigungsgruppe,  von  .Max  H  e  i  1  - 
mann.  Das  Porträt  ist  mehrfach 
vertreten  —  besonders  günstig  von 
G.  Jahn  und  von  R.  Schulte  im 
Hofe.  Unter  dessen  technischen 
Bemühungen  sei  hervorgehoben  ein 
Porträt  von  Bodelschwinghs,  be- 
zeichnet als  »Tief-  und  Flachdruck 
vom  Stein  von  einer  Platte«. 

Eerlin-Halenscc  Dr.   Hans  Schroidkuiu 

München.  Das  Generalkonser- 
vatorium der  Kunstdenkmale  und 
.Mtertümer  Bayerns  und  die  Leitung 
des  Kgl.  Nationalmuscums,  die  bis- 
her vereinigt  waren,  wurden  vori- 
ges Jahr  getrennt.     Zum   Direktor 


lande  (eingetr.  Verein)  hielt  am  12.  Dezember  ihre  erste 
ordentliche  Mitgliederversammlung  dahier  ab,  auf  welcher 
die  Satzungen  genehmigt  wurden.  Die  Gesellschaft  hat 
ihren  Sitz  in  Berlin.  Die  Mitglieder  haben  einen  Jahres- 
beitrag nach  Selbsteinschätzung  zu  entrichten;  der  Min- 
destbeitrag beträgt  1 2  M.  jährlich. 

Düsseldorf,  Ausstellung  für  christliche 
Kunst  1909.  .'Vnmeldetermin  ist  der  10.  März,  Einliefe- 
rungstermin  der  10.  April,  Eröffnungstag  der  15.  Mai, 
Schluß  der  30.  September. 

Der  .Münchener  Verein  für  christliche  Kunst 
hielt  am  16.  Dezember  eine  größere  Versammlung  ab,  in 
welcher  Professor  Dr.  Karl  Voll  einen  sehr  instruktiven 
Vortrag  über  die  Malerei  Altbayerns  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert hielt. 

Bildhauer  Seb.  Ostcrrieder  in  München  erhielt 
vorigen  Sommer  anläßlich  der  Überreichung  einer  Büste 
des  P.  Denirte  Privataudienz  beim  hl.  Vater  und  eine  große 
goldene  Medaille  mit  dem  Bild  des  Papstes. 

Aquarelle  von  Turner.  Vor  einiger  Zeit  wurde 
eine  größere  Anzahl    bisher   nicht   bekannter  Aquarelle 


ENTWÜRFE  ZU  GRABDENKMÄLpRN  —  ßÜCHERSCHAU 


von  Turner  in  den  Depotniumen  der  Londoner  National- 
galerie gelundcn.  Diese  Bilder  und  Skizzen  sind  jetzt  im 
Turnerzinimer  der  Galerie  untergebracht.  Turner  (1775 
bis  1851)  vermachte  seinen  gesamten  Nachlaß,  über  100 
Ölgemälde  und  Tausende  von  Aquarellen,  Zeichnungen 
usw.,  der  Nationalgalerie  in  London. 

Bildhauer  Georg  Sc  hrevögg  (München)  wurde  zum 
Professor  an  der  Kunstgewcrheschule  in  Karlsruhe  be- 
rufen. 

Berichtigung.  Zum  Schlußsalz  der  Besprechung 
über  die  Große  Berliner  Kunstausstellung  1908  ist  zu  be- 
merken (Heft  lil,  S.  18  der  Beil.),  daß  das  Glasgemälde 
der  Nibelungen  nicht  von  F.  W.  Mayer,  sondern  von 
Joseph  GoUer,  Glasmaler  und  Lehrer  der  Kgl.  Kunst- 
gewerbeschule in  Dresden,  entworfen  wurde. 


ENTWÜRFE  ZU  GRABDENKMÄLERN 

A  uf  Seite  26  und  27  der  Beilage  setzen  wir  die  Publi- 
kation der  aus  einem  Komponierabend  des  Albrecht 
Dürer- Vereins  in  Münclicn  hervorgegangenen  Grabmal- 
Entwürfe  fort.  Bei  dieser  Gelegenheit  machen  wir  auf 
zwei  Versehen  aufmerksam,  die  sich  im  dritten  Heft 
einschlichen.  Seite  1 5  der  Beilage  muß  nämlich  die 
Unterschrift  des  unteren  linken  Entwurfes  lauten:  Kuolt, 
nicht  Knolt;  ferner  ist  zu  bemerken,  daß  der  Entwurf 
Seite  14  unten  nicht  von  Negretti,  sondern  von  Sertl 
stammt. 

BÜCHERSCHAU 

In  stattlichem  Gewände,  wie  immer,  tritt  uns  auch 
in  diesem  Jahre  der  >Kalender  Bayrischer  und 
Schwäbischer  Kunst«  entgegen  (Herausgeber  Kgl. 
Lycealprofessor  Dr.  I.  Schlecht  in  Freysing,  Verlag  der 
Gesellschaft  für  christliche  Kunst  G,  m.  b.  H.  in  München). 
Das  Titelblatt  schmückt  die  Wiedergabe  eines  Altdorl'er- 
schen  Clairobscur  Holzschnittes  von  15 12,  die  Geburt 
Christi  darstellend.  Das  Schlußblatt  zeigt  eine  thronende 
.Madonna  in  lavierter  Federzeichnung,  die  aus  dem 
Peuschelschen  Sammelbande  der  Münchener  Staats- 
bibliothek herrührt  und  angeblich  demselben  Meister 
angehören  soll.  Die  interessante  Erläuterung  zu  beiden 
Blättern  stammt  vom  Herausgeber.  In  die  übrigen 
Beiträge  teilen  sich  die  Herren  Dr.  H.  Buchheit,  Dr. 
Ph.  M.  Palm,  Dr.  R.  Hoffmann  und  Dr.  F.  Mader,  alle 
vom  K.  B.  Nationalmuseum  in  München,  die  Professoren 
Dr.  l.  A.  Endres  in  Regensburg  und  Dr.  A.  Schröder  in 
DiUingen,  sowie  der  Herr  Domkapitular  F.  X.  Herb  in 
Eichstätt.  Abgesehen  von  der  großen  Tafelmalerei  sind 
alle  wichtigen  Zweige  älterer  bildender  Kunst  in  erle- 
senen Beispielen  vertreten.  Dabei  ist  soweit  als  mög- 
lich für  Vielseitigkeit  gesorgt.  So  finden  wir  von 
.Architekturwerken  den  herrlichen  Domkreuzgang  von 
Regensburg,  der  baugeschichtlich  so  interessant,  histo- 
risch durch  die  Fülle  seiner  Grabdenkmäler  so  überaus 
wichtig  ist.  Kaum  einen  grösseren  Gegensatz  kann  es 
geben  als  den  zwischen  diesem  Bauwerk  und  dem 
Schlosse  Hirschberg  bei  Beilngries.  Zwar  stammt  dies 
Gebäude  schon  aus  mittelalterlichen  Zeiten,  aber  seinen 
Hauptreiz  verdankt  es  den  köstlichen  Rokokobauten  des 
fürstbischöflichen  Architekten  Pedetti,  des  Stukkateurs 
Berg  und  des  Malers  Franz.  Gleichfalls  ein  Rokokobau 
und  doch  von  ganz  anderem  Charakter,  ein  Meisterwerk 
des  Enrico  Zuccali  ist  die  Kirche  des  Klosters  Ettal. 
Sehr  dankenswert  ist  die  Veröffentlichung  der  berühm- 
ten italienischen  Madonnenstatuette,  die  den  größten 
Schatz  des  Klosters  bildet.  Sie  leitet  uns  zur  Plastik, 
die  in  dem  Kalender  gleichfalls  aufs  vorzüglichste   ver- 


treten ist.  Eine  hl.  Katharina  und  ein  hl  König,  beide 
in  Schwaben  im  14.  Jahrhundert  entstanden,  und  die 
berühmten  Augsburger  Straßenbrunnen  geben  den  denk- 
bar stärksten  Kontrast,  während  eine  hl.  Anna  Selbdritt 
von  1 5 1 3  die  Plastik  von  Ingolstadt  vertritt,  und  eine 
ungefähr  gleichaltrige  Marienstatue  von  ebendort  zu 
interessanten  Beobachtungen  über  die  vorbildliche  Be- 
deutung Dürerscher  Kupferstiche  für  die  gleichzeitige 
Skulptur  Anlaß  gibt.  Die  angewandte  Kunst  unserer 
maßgeblichen  älteren  Epochen  ist  diesmal  durch  die 
Schmuckgegenstände  aus  der  Lauinger  Fürstengruft  ver- 
treten, jene  wunderbaren  Stücke  deutscher  Hochrenais- 
sance, die  aus  den  Särgen  wichtiger  Mitglieder  der 
pfalzgräflichen  Familie  auf  Befehl  des  Kurfürsten  Karl 
Theodor  entnommen  sind  und  heute  zu  den  größten 
Kostbarkeiten  des  Müncliener  Nationalmuseums  gehören. 
Wunderbar  reizvoll  ist  die  Verschiedenheit  in  der  Stili- 
sierung dieser  Stücke,  die  teils  einfach  teils  prunkvoll, 
durchweg  von  höchster  Vornehmheit  und  edelster 
Schönheit  sind.  Das  bildliche  Material  ist  sehr  reich- 
haltig und  vorzüglich  in  der  Ausführung.  Der  Kalender 
wird  eine  Zierde  jedes  Hauses  sein  (Preis  i  M.).  Seine 
praktische  Verwertbarkeit  wäre  wohl  durch  Beigabe 
einigen  leeren  Raumes  für  Notizen  in  nützlicher  Weise 

künftig   noch    zu    steigern.  Dr.  O.  Doering-ü.-ichau 

Philipp  Maria  Halm.  Stephan  Rottaler,  Ein 
Bildhauer  der  Frührenaissance  in  Altbavern. 
Verlag  von  Georg  Callwev,  München  1908.    Preis  8  M. 

Die  Geschiclite  der  .dtbayerisclien  Plastik  erfährt  mit 
der  vorliegenden  Monographie  eine  wertvolle  Bereiche- 
rung. Auf  den  Namen  des  Stephan  Rottaler  vereinigt 
Halm  ein  interressantes  Opus.  Wie  es  bei  ähnlichen 
kunstgeschichtlichen  Forschungen  leider  mehrfach  vor- 
kommt, ist  es  auch  Halm  nicht  geglückt,  urkundliche 
Zuweisungen  für  eines  der  Werke  zu  finden.  Man  muß 
demnach  mit  der  Wahrscheinlichkeit  zufrieden  sein,  daß 
die  mit  S.  R.  signierten  Werke  und  die  auf  stilkritischem 
Wege  dazu  gefundenen  nicht  signierten  Opera  dem  Ste- 
phan Rottaler  angehören.  Diese  Wahrscheinlichkeit  wird 
vielleicht  in  alle  Zukunl't  nie  zur  Gewißheit,  die  mit 
Urkunden  zu  belegen  wäre,  erhoben  werden,  wenn  nicht 
ein  besonderer  Glücksstern  leuchtet.  Deswegen  bleibt 
aber  das  Interesse  an  dem  durch  Stilkritik  eruieiten  Opus 
ungeschmälert  bestehen.  Das  besprochene  Lebenswerk, 
in  dem  uns  eine  stattliche  Zahl  bisher  nicht  bekannter 
Kunstwerke  entgegentriit,  geholt  der  Frühzeit  des  16.  Jahr- 
hunderts an,  also  der  Übergangsphase  von  der  Gotik 
zur  Renaissance.  Die  Sprache  des  altbayrischen  Meisters 
ist  anders  nuanciert  als  die  des  fränkischen  oder  schwä- 
bischen Künstlers.  Halms  Monographie  führt  in  die  .Art 
und  Ausdrucksweise  der  altba^■erischen  Renaissance  in 
dankenswertester  Weise  ein.  Von  besonderem  Interesse 
sind  die  Nachweise  über  die  Benützung  graphischer 
Werke,  die  unser  Meister  wie  andere  seiner  Zunftge- 
nossen in  umfänglicher  Weise  sich  gestattete.  Der  Ver- 
fasser konnte  ein  paar  ganz  seltene  Exemplare  konsta- 
tieren, wertvolle  Fingerzeige  für  verwandte  Forschungen. 

F.    M.iJtr 

DER  PIONIER 

MONATSBLÄTTER   FÜR    CHRISTLICHE   KUNST. 
Jahresabonnement  inkl.  Frankozustellung  M.  3. — . 

Inhalt  des  5.  Heftes  (i.  Februar  1909):  Über  Glocken- 
zier. Von  A.  Wenig.  —  Durchforschung  der  Landkirchen 
auf  ihre  künstlerischen  und  kunstgeschichtlichen  Werte. 
Von  P.  Bretschneider.  —  Was  gehört  zu  einem  kirch- 
lichen Kunstwerk?    5  Abbildungen. 

Redaktionsschluß:   15.  Januar. 


BEILAGE 


KOLNER  KUNSTBERICHT  —  VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


29 


KÖLNER  KUNSTBERICHT 

Mcben  bedeuleiideii  Werken  bekannter  Maler  hat  ein 
junger,  in  Köln  bisher  fremder  Kiinstler  zum  ersten 
Male  eine  Kollektion  von  21  Arbeiten  bei  Scluilte  aus- 
gestellt. Ernst  Isselmann  stammt  vom  Niederrhein, 
aus  Rees.  Seine  Farben,  seine  Kompositionsweise  ist 
durch  die  gedampften  Töne,  durch  das  im  Nebel  ver- 
schwimmende Licht  der  niederrheinischen  Landschaft 
bestimmt.  Isselmann  liebt  diese  fahlen  verblassenden 
Töne  Große,  gleichwertige  Flächen  setzt  er  neben- 
einander. L'nd  ein  weiter  Himmel,  der  bisweilen  drei- 
viertel des  Bildes  einnimmt,  wölbt  sich  über  die  ein- 
tönige Ebene,  die  durch  keinen  Hügel,  keine  Boden- 
welle unterbrochen  ist.  Diese  Art  der  Komposition  ver- 
laugt einen  sicheren  Blick  für  die  Charaliteristik  der 
Linie.  Denn  die  Belebung  der  Landschaft  ist  abhängig 
von  der  Hindrucksfähigkeit  der  Konturen  der  Felder, 
Bäume,  Tiere  und  Menschen,  die  in  die  Ebene  hinein- 
gestellt sind.  Es  ist  daher  verständlicli,  daß  Isselmann 
gleichzeitig  im  Porträt  Bedeutendes  gescliaffen  hat.  Die 
Grundlagen  seines  ästhetischen  Gelühles  sprechen  sich 
in  der  Kompositionsweise  der  Bildnisse  nach  derselben 
Seite  hin  überzeugend  aus.  Denn  die  Wirkung  seiner 
Bildnisse  legt  er  in  die  sensitive  Linienführung.  Daher 
komponiert  er  möglichst  in  einem  reliefartigen  Stil.  Auf 
eine  gleichmäßige  Fläche  des  Hintergrundes  setzt  er 
das  Porträt;  dadurch  erhält  die  Silhouette  einen  starken 
Anteil  an  der  Wirkung.  Durch  irgend  einen  Gegenstand 
des  Vordergrundes,  durch  eine  Tischplatte,  einen  Stuhl 
oder  ähnliches  preßt  er  die  Gestalt  eng  an  den  Hinter- 
grund, so  daß  eigentlich  ein  Mittelgrund  —  wenigstens 
in  der  räumlichen  Ausdehnung  —  fehlt.  Dadurch  ist 
das  Porträt  wie  ein  Relief  allein  auf  die  Eindrucksfähig- 
keit der  Linien  gestellt. 

Doch  hier  wie  in  der  Landschaft  wird  die  letzte 
künstlerische  Abrundung  durcli  die  Farbe  gegeben.  Daß 
Isselmann  Maler  ist,  d.  h.  daß  er  einen  überaus  feinen 
F'arbengeschmack  besitzt,  zeigen  seine  Stilleben,  vor 
allem  das  eine,  in  denen  er  aus  dem  Gelb  einiger  Aepfel, 
einem  blauen  Tuche  und  einem  dickbauchigen  grauen 
Kruge  einen  überraschend  starken  Farbenakkord  her- 
vorbringt. 

Neben  Isselmann  ist  eine  Kollektion  von  45  Arbeiten, 
meist  Studien  von  spezifisch  malerischen  Qualitäten  von 
Gotthard  Kuehl,  Dresden,  ausgestellt.  Kuehls  Eigen- 
art, überall  Farben,  nicht  aber  scharfe  Linien  und  Kon- 
turen zu  geben,  heterogene  Farbenwerte  nebeneinander 
zu  stellen  und  doch  eine  Einlieit  des  Tones  zu  erzielen, 
seine  Vorliebe  für  leuchtendes  Gelb  und  Blau  spiegelt 
sich  in  den  Stücken  ausgezeichnet  wieder.  Für  seine 
Art,  auf  eine  stark  dominierende  Lokalfarbe  die  Kom- 
position aufzubauen, ist  seine  »alte  Diele  mit  einer  blauen 
Tür«,  sowie  sein  »Interieur  in  Weiß«  (wohl  das  reifste 
Werk)  charakteristisch.  Ueberraschend  ist  die  Intensität 
der  leuchtenden  Farben  in  dem  Ausschnitt  eines  Gartens 
mit  einer  den  Hintergrund  abschließenden  sonnenbe- 
schienenen Architektur. 

Im  Kunstsalon  Lenobel  sind  eine  Anzahl  Werke  von 
Ludwig  von  Hofmann  ausgestellt.  Wie  er  nach 
Form  ui'id  l'arbe  das  wirkliche 'Abbild  der  Dinge  ver- 
einfacht, und  dadurch  die  \\'irkung  in  der  Riclitung,  in 
der  er  den  Stimmungsgclialt  auslösen  will,  steigert,  wie 
er,  vielleicht  unter  Böcklins  Einfluß,  durch  menschliche 
Gestalten  das  innere  Wesen  von  Xaturformen  und  Land- 
schaften zu  erschließen  sucht,  spricht  sich  in  dieser 
Folge  seiner  Werke  klar  aus. 

Das  Kunstgewerbe -Museum  zeigt  eine  Ausstellung 
graphischer  Arbeiten  von  E.  Orlik,  Berlin,  die  wegen 
der  sorgfältigen  Auswahl  der  Werke  einen  klaren  Ueber- 
blick  über  die  Schafi'ensart  des  Künstlers  gibt.  Von 
den  Radierungen  fesseln  vor  allem  das  Porträt  von  Mahler, 


ein  Herrenporträt  und  ein  weiblicher  Kopf  nach  Rogier 
V.  d.  Weyden.  Bei  den  farbigen  Flolzschnitten  und  den 
Lithographien  liegt  trotz  der  Prägnanz  der  Strichfüh- 
rung und  der  Charakteristik  der  Umrißlinien  die  Haupt- 
wirkung in  dem  malerischen  Gesamtton.  Nur  bei  einigen 
Blättern,  die  der  Art  Vallotons  n.ahe  stehen,  geht  der 
Künstler  darauf  aus,  allein  durcli  den  großzügigen,  aus- 
drucksvollen Umriß  den  Stimmungsgelult  zu  erzeugen. 

Dr.  E.  Eugen  Lüihgcn 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Eine  religiöse  Kleinplastik.  Ein  sinniges  klei- 
nes Kunstwerk  veranschaulichen,  z.  T.  w-enigstens,  die 
Abb.  S.  30  und  31  der  Beilage.  Es  ist  eine  Holzschnit- 
zerei von  7,5  cm  Höhe  und  5,8  cm  Breite,  also  kleiner 
als  unsere  Reproduktionen,  und  aus  einem  Stück  gear- 
beitet. Man  sieht  zunächst  die  Vertreibung  aus  dem 
Paradies,  gegenüber  aber  Christus  am  Olberg  und  die 
schlafenden  Jünger,  sowie  Judas  mit  Soldaten.  Dazwi- 
schen sind  genreartige  Tierdarstellungen.  Da  der  jetzige 
Besitzer  nicht  möchte,  daß  das  niedliclie  Werk  in  un- 
rechte Hände  komme  oder  zugrunde  gehe,  so  beabsich- 
tigt er,  es  zu  verkaufen ;  seine  Adresse  teilen  wir  Inter- 
essenten gerne  mit. 


.\R.\ILEUCIITER  AUS  L)LK.\N'A.ME TAI.L 

UnlUHrf.    Üllw  Orlando  Kurz   —    Aut/üArung .    Jos.  hrdinsitck, 

Ih/kuHStschtossfr 


>o 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  —  ZEITSCHRIFTENSCHAU 


.'l.l!i;[;(,i,RUPPE  (HOLZ) 
Text  Beil,  S.  zg 

Ein  neues  Kommunionandenlien  ist  liürzlicli 
von  der  Gesellscliaft  für  christliciie  Kunst  in  sehr  scliöner 
farbiger  Reproduktion  nach  dem  Originale  von  Emonds- 
Alt  herausgegeben  worden.  Es  ist  mit  den  schon  früher 
erschienenen  Kommunionandenken  in  einem  interessanten 
Heftchen  abgebildet,  das  gratis  vom  Verlag  (Karlstr.  6 
in  München)  bezogen  werden  kann. 

Kurse  für  kirchliche  Kunst.  An  der  Kgl.  Kunst- 
akademie in  Düsseldorf  wird  von  April  d.  J.  ab  eine 
besondere  Einrichtung  für  die  Ausbildung  von  Malern 
und  Bildhauern  getroffen,  die  sich  der  kirchliclien  Kunst 
widmen  wollen.  Auch  soll  durch  das  neue  Institut 
Kirchen-  und  Dekorationsmalern  sowie  Bildhauern  und 
Kunstgewerblern,  die  bereits  in  der  Praxis  stehen,  eine 
Weiterbildung  auf  dem  Gebiete  der  kirchlichen  Kunst 
ermöglicht  werden.  Die  Akademie  richtet  deshalb  mehr- 
wöchige Kurse  ein,  die  künftig  von  den  Lehrern  der 
kirchlichen  Abteilung  abgehalten  werden. 

El  her  fei  d.  Der  Direktor  des  städtischen  Museums, 
Dr.  Fries,  hatte  eine  Ausstellung  der  sogenannten  Neu- 
Klassizisten  veranstaltet,  einer  Künstlergruppe,  die 
unabhängig  voneinander,  als  Reaktion  gegen  den  Im- 
pressionismus, besonders  die  Linie  und  Form,  die  Zeich- 
nung wieder  zu  Achtung  und  Bedeutung  in  der  moder- 
nen Kunst  bringen  will.  An  Stelle  der  expressiven  Kunst, 
als  welche  man  den  Impressionismus  wohl  bezeichnen 
darf,  setzen  sie  die  dekorativen  Werte.  Von  den  Malern 
waren  auf  der  Ausstellung  vertreten  K.  Hofer  (beson- 
ders zu  nennen  das  durch  Linienführung  und  dezente 
Farbengebung  bedeutende  Bild  »Umarmung«),  der  monu- 
mentale A.  H.  Bühlmann,  der  meisterhaft  als  Akt- 
maler, der  wuchtige  und  dekorative  W.Corde,  ferner 
O.  Friesz,  ebenfalls  ein  Meister  der  Linie  und  endlich 
als  unbedeutendste  Frau  O.  Moder  söhn  In  der  Plastik 
hatte  außer  Maillol  (vorzügliche  Bronzestatuette  eines 
zusammengekauerten  Weibes)  nur  Höttger  das  Wort, 


ein  unpersönlicher  Geselle,  der  zuerst  bei  Rodin,  in 
seiner  jüngsten  Phase  bei  den  altorientahschen  Werken 
die  Anregung  für  seine  Kunst  sucht. 

München.  Im  hiesigen  Verein  für  christliche  Kunst 
hielt  Stadtpfarrkooperator  Michael  Hartig  einen  mit 
Lichtbildern  erläuterten  Vortrag  über  »Die  Kunstdenk- 
male zweier  Jahrtausende  an  der  ostadriatischen  Küste«. 

Professor  Leo  Samberger  vollendete  kürzlich 
ein  vorzügliches  Porträt  des  Erzbischofs  Dr.  von  Albert 
in  Bamberg. 

Berlin.  In  der  Galerie  Eduard  Schulte  eröffnete 
die  Berliner  Künstlcrgruppe  »Jagd  und  Sport«,  wie 
alljährlich  zum  Geburtstage  des  Kaisers,  ihre  Sonderaus- 
stellung, welche  diesmal  besonders  reich  beschickt  ist. 
—  Professor  Walter  Firle-München  veranstaltet  eine 
Kollektivausstellung  von  40  Ölbildern.  — Professor  Hans 
Bohr  dt- Berlin  brachte  20  Gouachebilder  von  einer  Reise 
und  zwölf  Brandungsbilder  von  Sylt.  —  Der  bekannte 
Pariser  Porträtist  Antonio  de  La  Gandara  sendete 
zwölf  elegante  Damenbildnisse.  Weitere  Kollektionen  und 
Werke  stellten  aus:  Alfr.  Bachmann,  Rieh.  Bern- 
hardt, Helene  Buch  mann,  Carl  Bublitz,  Bene- 
dicta  Caesar,  Margarete  Fritze,  Helen  Iversen, 
Karl  Kappstein,  Alfred  Mailick,  Oskar  Mi- 
chaelis, Karl  Pracht,  E.  Riche-Bu tler,  Mar- 
garete Simrock-Michael.Hed  deStoff  regen  usw. 

Berlin.  Am  26.  Januar  wurde  in  der  Akademie  eine 
Schadow-Ausstellung  eröffnet.  Der  Katalog  führt  2  5  o  Num- 
mern auf. 

Kolossalmonument.  Ein  über  18  Meter  hohes 
Denkmal  zur  Erinnerung  an  die  Vereinigung  der  Staaten 
Venezuela,  Ecuador  und  Kolumbien  geht  im  Atelier  des 
Bildhauers  Palacios  (Gern)  seiner  Vollendung  entgegen. 
Am  Fuße  einer  riesigen,  noch  in  Kupfer  zu  treibenden 
Palme  vereinigen  sich  die  drei  Staaten  unter  dem  Bilde 
weiblicher,  Wappenschilder  tragender  Idealfiguren,  die 
den  spanischen  Typus  zeigen.  Vier  mächtige  Vögel  (Kon- 
doren) sind  an  den  vier  Ecken  des  unteren  Aufbaues 
postiert,  deren  zwischenliegende  Felder  Szenen  aus  den 
Freiheitskämpfen  dieser  Staaten  schildern.  Als  Bekrö- 
nung  der  äußersten  Spitze  der  Palme  sehen  wir  einen 
überlebensgroßen  Genius  mit  der  Fahne  der  Freiheit  und 
der  leuchtenden,  Zukunft  verheißenden  Fackel  in  den 
hoch  erhobenen  Händen.  Die  mehr  als  doppelte  Lebens- 
größe der  Figuren  läßt  in  der  Werkstatt  des  Künstlers 
nicht  voll  und  ganz  die  beabsichtigte  Wirkung  erkennen, 
da  der  verfügbare  Raum  die  ganze  Aufstellung  unmög- 
licli  macht.  Der  figürliche  Teil,  ebenso  die  Vögel,  wird 
in  der  von  Millerschen  Gießerei  (München)  in  Bronze 
hergestellt,  während  das  umfangreiche  Steinmaterial  zum 
größten  Teil  von  Deutschland  aus  nach  Venezuela  gelie- 
feit  wird,  all  wo  das  große  Monument  Aufstellung  finden 
soll,  wenn  möglich  am  Gedenktag  der  Gründung  der 
Republik  (24.  Juni). 

Eine  von  Bildhauer  Georg  Schreyögg  im  Auf- 
trage der  Stadtgemeinde  München  für  den  Waldfried- 
hof geschaffene  Kreuzigungsgruppe  (Jesus,  Maria  und 
Johannes)  wurde  auf  Allerheiligen  aufgestellt. 


ZEITSCHRIFTENSCHAU 

Schön  und  praktisch.  Eine  Einführung  in  die 
Ästhetik  der  angewandten  Künste.  Von  Prof.  Dr.  Kon- 
rad Lange.    (Führer  zur  Kunst.    Herausgeg.  Dr.  Herrn. 


ZEITSCHRIFTENSCHAU 


Popp-München.  16/17.  Bändchen.  Paul  Neff  Verlag,  Eß- 
lingen  1908). 

In  seinem  größeren  Werke  »Das  Wesen  der 
Kunst«  (2.  Aull.  1907)  hat  K.  Lange  sein  ästhetisches 
System  niedergelegt.  Er  steht  zwischen  den  Formalisten 
und  den  Gehaltsästhetikern,  insofern  ihm  nicht  die  Form 
als  solche  das  Kunstschöne  repräsentiert,  sondern  nur 
als  Mittel  des  Ausdrucks  erscheint.  Das  Kunstschöne 
liegt  im  Verhältnis  der  Form  zum  Inhalt.  In  vorliegen- 
der Schrift  baut  Lange  dieses  System  für  die  dekorative, 
überhaupt  die  angewandte  K  uns t  weiter  aus.  Nicht 
in  der  beim  sog.  modernen  Stil  häulig  auftretenden 
Zweckmäßigkeit  und  materialgerechten  Konstruktion  be- 
ruht die  Schönheit.  Das  hieße  die  Kunst  zum  Hand- 
werk degradieren.  Darum  tritt  Verfasser  zunächst  der 
Zweck-  und  Materialtheorie  Sempers  entgegen.  Er  ver- 
langt die  organische  Belebung,  welche  zur  »Nutzform« 
erst  die  »Kunstform«  fügt  und  damit  das  Kunstgewerbe 
schafft.  Also  auch  der  Phantasie  und  dem  Divinations- 
vermögen  fällt  ihre  .\ufgabe  zu.  Es  ist  ein  Kompromiß 
notwendig:  zum  technisch  Notwendigen  muß  eine  Ana- 
logie der  Natur  in  Form  der  Stilisierung  treten.  So  ist 
ihm  die  ästhetische  Illusion  das  Prinzip  des 
Schönen.  Daß  nun  aber  diese  Belebung  nicht  Selbst- 
zweck, sondern  nur  ein  Hinzutretendes  ist,  wenn  ein 
Kunstzweck  entstehen  soll,  so  müssen  auch  Formen  da 
sein,  die  uns  wiederum  von  den  organischen  abziehen. 
Das  sind  die  illusionsstörenden  Elemente.  Die  Propor- 
tion, die  er  nicht  als  ästhetische  Norm,  sondern  als 
organischen  Faktor  erldärt,  tritt  ebenfalls  in  den  Dienst 
der  Illusion,  insofern  gewisse  Proportionen  nur  in  ihrer 
Beziehung  zur  Natur  ästhetisch  wirken.  Die  besonderen 
Formen  der  Regelmäßigkeit,  die  R  e  i  h  u  n  g  und  die 
Symmetrie  finden  innerhalb  seines  Systems  eine  vor- 
zügliche, trotz  der  scheinbaren  Abstraktheit  wohlver- 
ständliche Erklärung. 

Aus  dieser  summ.arischen  Herausstellung  des  Systems 
darf  ja  nicht  etwa  auf  eine  Unver  wendbarkeit  des  Buches  für 
Praktiker  gefolgert  werden.  Das  wäre  unrecht.  Hundert 
wohlgewählte  Beispiele  aus  den  verschiedenen  Arten 
kunsttechnischer  Betätigung  erläutern  die  Leitsätze  in 
liinreichendem  Maße.  Das  Berechtigte  und  Wahre  der 
Illusionsästhetik  Langes  besteht  darin,  daß  er  den  Duahs- 
mus  der  abstrakten  Linie  und  der  organischen  Belebung 
als  gleichberechtigt  anerkennt  und  ihre  Verbindung  nach- 
drückhchst  verlangt.  Dazu  kommt  die  Anpassung  an 
das  Terrain  und  die  Umgebung,  wofür  ihm  das  Mittel- 
alter die  klassische  Zeit  ist.  So  bedeutet  das  Buch  eine 
streng  logische  Einführung  in  das  weite  Reich  der 
-Ästhetik  im  besonderen  der  angewandten  Künste,  und 
vermittelt  in  hervorragendem  Maße  dem  Praktiker  wie 
dem  Kunstliebhaber  das  Verständnis  dieser  grundlegen- 
den  Fragen.  Max  Schcrmann 

Jahrbuch  der  Zeit-  und  Kulturgeschichte. 
1907.  Erster  Jahrgang.  Herausgegeben  von  Dr.  Franz 
Schnürer.  Lex.-8°  (VIII  u.  480)  Freiburg  1908,  Herder- 
sche  Verlagshandlung.  Geb.  in  Orig.- Leinwandband 
7.50  M. 

Der  Herausgeber  gewann  für  dieses  begrüßenswerte 
Unternehmen  hervorragende  Kräfte,  welche  das  kirch- 
liche, politische  und  wirtschaftliche  Leben  behandeln 
und  über  die  wissenschafthchen,  literarischen  und  künst- 
lerischen Leistungen  des  Jahres  1907  Umschau  halten. 
Wir  müssen  uns  hier  auf  den  Abschnitt  über  die  bil- 
dende Kunst  beschränken,  den  Professor  Dr.  Fr.  Leit- 
schuh ruhig  und  objektiv  bearbeitete.  Es  war  nicht 
leicht,  die  großen  Ausstellungen  in  Berlin,  München, 
Wien,  Mannheim,  Köln,  Düsseldorf,  Paris,  \'enedig  mit 
wenigen  Sätzen  zutreffend  zu  charakterisieren.  Die  her- 
vorragendsten Denkmäler,  die  bedeutendsten  kunstwis- 
senschaftlichen   Publikationen   werden   gewürdigt,    alle 


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öl. BERGGRUPPE  (HOLZ) 
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tüchtigen  Bestrebungen  anerkannt.  Der  gelehrte  Ver- 
fasser-konstatiert  eine  erfreuliche  Regsamkeit  auf  den 
Gebieten  der  Kunstübung  wie  der  Kunstforschung,  der 
Kunsterziehung  wie  der  Kunstpflege. 

Jacobi,  Dr.  Franz,  Studien  zur  Geschichte 
der  bayerischen  Miniatur  des  14. Jahrhunderts. 
Mit  14  Abbildungen  auf  7  Lichtdrucktafeln.  Straßburg. 
J.  H.  Ed.  Heitz.    64  S. 

Der  Kunsthistoriker  Dr.  B.  Riehl,  bekannt  durch  seine 
Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  bayerischen  Kunst 
geschichte,  erwirbt  sich  um  die  Erforschung  dieses  Ge- 
bietes auch  dadurch  Verdienste,  daß  er  Herren  aus 
seinem  Zuhörerkreis  anleitet,  speziell  auf  diesem  Gebiete 
zu  arbeiten.  Obige  Arbeit  Jacobis,  eines  jungen  Prie- 
sters der  Münchner  Erzdiözese,  ist  auch  aus  Riehls 
Schule  hervorgegangen.  Sie  ist  ein  interessanter  und 
lehrreicher  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Entwicklung  der 
bayerischen  Miniaturmalerei.  Der  Zweck,  den  der  Ver- 
fasser im  Anschluß  an  Riehls  Schule  verfolgt,  ist  nicht 
Aufzählung  und  Beschreibung  der  vorhandenen  Schätze 
aus  alter  Zeit;  vielmehr  will  er  an  der  Hand  des  in 
der  Münchner  Staatsbibliothek'  vorhandenen  Materials, 
aus  dem  er  eine  geschickte  Auswahl  zu  treffen  wußte 
den  Entwicklungsgang  der  .Miniaturmalerei 
sowohl  des  farbigen  Buchschmuckes  als  der  einfachen 
Federzeichnung  im  14.  Jahrhundert  aufzeigen.  Er  ver 
folgt  und  erreicht  auch  diesen  Zweck,  indem  er  zu 
nächst  aus  den  geistlichen  Handschriftenillustrationen 
besonders  der  Biblia  pauperum,  die  Darstellung  Daniels 
in  der  Löwengrubc,  dann  aus  den  weltlichen  Minia 
turen  wie  besonders  der  Weltchronik  die  des  Turmbaus 
von  Babel  auswählt  und  in  demselben  Zusammenhang 
und  Fortschritt  die  zeitlich  einander  folgenden  Minia- 
turen darlegt.  Ist  so  das  Induktionsmaterial  zwar  nicht 
besonders  reich,  so  genügt  es  doch,  um  ein  klares  und 
sicheres  Bild  des  Entwicklungsganges,  der  sich  als  ein 
selbständiger  und  durchweg  kontinuierlicher  darstellt, 
zu  geben.    Höchstens  könnte  es  fraglich  gelassen  sein, 


BUCHERSCHAU 


ob  die  Glanzleistung,  die  in  der  Mettener  Armenbibel 
von  1414  vorliegt,  entwicklungsgeschichtlich  hinlänglich 
erklärt  ist.  Wir  wünschen  dem  VerHisser  zu  seinem  gut 
gelungenen  Erstlingsversuch  Glück  ! 

Freising.  Huber 

H.  Bogner,  Die  Grundrißdispositionen  der  zwei- 
schiffigen  Zentralbauten  von  der  ältesten  Zeit  bis  zur 
Mitte  des  IX.  Jahrhunderts,  Studien  zur  Deutschen  Kunst- 
geschichte Heft  72.  Straßburg.  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz 
&  Mündel)  1906.    36  Seiten.    Mit  7  Tafeln.    Preis  3  M. 

Diese  Arbeit  kommt  einem  aktuellen  Interesse  entgegen. 
Zwar  tritt  der  Bau,  um  den  sich  in  den  letzten  Jahren  eine 
literarische  Fehde  entsponnen  hat,  die  Aachener  Pfalz- 
kapelle, äußerlich  ziemlich  in  den  Hintergrund;  dennoch 
wurde  ihm  bei  der  Behandlung  der  Frage  eine  hervorra- 
gende Beachtung  zuteil.  Die  bekannte  These  von  den  orien- 
talischen (klcinasiatisch-syrischen)  Vorbildern  des  Aachener 
Zentralbaues,  welche  ihren  bedeutendsten  Vertreter  in 
los.  Strzygowski  (Graz)  hat,verlangte  eine  Prüfung,  welche 
ßogner  in  sachlicher  und  wohlgelungener  Weise  in 
Beziehung  auf  ein  Kriterium,  die  Grundrißdispositionen, 
durchführte.  Er  stellt  hier  sämtliche  bekannte,  in  Zeich- 
nungen vorhandene  oder  noch  existierende  Tempel  und 
Gebäude  der  ersten  neun  christlichen  Jahrhunderte  zu- 
sammen, welche  im  Zentralstil  erbaut  einen  inneren 
Portikus  haben. 

Die  äußeren  Säulenreihen  wurden  in  das  Innere  ver- 
legt, so  daß  ein  MhtelschifT  und  ein  Umgang  entstand. 
Dabei  muß  betont  werden,  daß  es  auch  antike  Zentral- 
bauten mit  innerer  Säulenstellung  gibt.  Bogner  scheidet 
seine  Beispiele  von  zweischifUgen  Zentralanlagen  in  drei 
Klassen,  solche  mit  kreisförmiger,  mit  vieleckiger  und 
mit  gemischtliniger  Hauptanlage.  Jeweils  werden  die 
Bauten  des  Orients  mit  lokaler  Scheidung  der  wich- 
tigsten Stätten,  Kleinasiens,  Zentral-  und  VVestsvriens, 
Armeniens,  Konstanlinopels,  besprochen  und  aufgezählt. 
Was  nun  die  Grundrißdispositionen  der  Aachener  Pfalz- 
kapelle anlangt,  so  findet  er  verwandte  Züge  ebensowohl 
in  italienischen  Kirchen  wie  in  den  schon  verglichenen 
orientalischen  von  Etschmiadsin,  in  dem  großen  Oktogon 
von  Antiocheia,  und  in  S.  Vitale  in  Ravenna.  Jedenfalls 
gibt  er  auf  die  Frage  nach  dem  orientalischen  Ursprung 
des  AachenerOktogons  kein  entschiedenes  Ja  zur  Antwort; 
ebensowenig  auf  die  Frage  nach  dem  Prioritätsverhältnis 
der  Kapelle  auf  dem  Valkhofe  zu  Nymwegen  gegenüber 
dem   lange  Zeit   als  Kopie    betrachteten  Aachener  Bau. 

Tlicodor  Schermann 

Die  Glasmalerei  im  alten  Frankenlande.  Von 
Dr.  Heinrich  Oidtmann,  Leiter  der  Glasmalerei- Werkstätte 
zu  Linnich.    Leipzig,  AI.  Dunker,  1907. 

Nach  kaum  zweijähriger  Pause  tritt  der  unermüdliche 
Forscher  wieder  mit  einer  für  Kunstgelehrte,  Künstler 
itnd  Kunsthebhaber  gleich  interessanten  Arbeit  an  die 
Öffentlichkeit,  mit  einer  Beschreibung  der  Glasmalerei 
im  alten  Frankenlande.  Was  wir  von  seiner  Bearbeitung 
der  »Geschichte  der  Schweizer  Glasmalerei«  gesagt  haben 
(vgl.  2.Jahrg.,  I.  Heft  VII  dieser  Zeitschr.),  gilt  in  ei'höhtem 
Maße  von  dem  neuesten  Werke  des  Verfassers.  Derselbe 
bespticht  sein  Thema  in  geschichtlicher  und  technischer 
Beziehung  mit  Objektivität,  Gründlichkeit  und  Klarheit. 
Er  ist  ebenso  vertraut  mit  der  seinen  Gegenstand  aucli 
nur  entfernt  berührenden  Literatur,  wie  mit  den  Denk- 
mälern seiner  Kunst  selbst,  von  denen  auf  Nürnberg  der 
Löwenanteil  entfällt.  V/as  Oidtmann  über  die  Zeichner 
und  Glasmaler,  über  die  Arbeitsteilung  in  den  alten  Werk- 
stätten, über  das  Verhältnis  der  alten  Glasmaler  zum 
Zunl'twesen  sagt,  gewährt  einen  vollständigen  Einblick 
in  die  Technik  und  den  Betrieb  der  Glasmalerei  im 
Mittelalter.  Möge  das  lehrreiche  Buch,  welches  über 
einen  von  sehen  der  Kunstgeschichte  bis  in  die  neueste 


Zeit  herein  so   stiefmütterlich   behandelten  Kunstzweig 
Licht  verbreitet,   einen  recht   großen  Leserkreis   finden. 


Die  Meister  der  Malerei  und  ihre  Werke. 
Fünf  Jahrhunderte  Malkunst  in  Deutschland,  Italien, 
Spanien,  Frankreich,  England  und  den  Niederlanden. 
1400— 1800.  Von  Max  Rooses.  Mit  etwa  450  Abbil- 
dungen und  13  Farbendrucktafeln.  Vollständig  in  zwölf 
Liel'erungen  zu  je  i  M.  Verlag  von  Wilhelm  Weicher, 
Leipzig. 

Das  Werk  bietet  um  den  mäßigen  Preis  viel.  Der 
Text  führt  den  Anfänger  angenehm  und  zwanglos  be- 
lehrend in  die  reiche  Fülle  des  Kunstlebens  von  1400 
bis  1800  ein.  Das  Bildmaterial  ist  gut  gewählt  und  auch 
schön  ausgeführt.  Wir  hätten  es  begrüßt,  wenn  das 
Werk  bis  in  die  Gegenwart  fortgeführt  worden   wäre. 


DER  PIONIER 

MONATSBLÄTTER   FÜR   CHRISTLICHE   KUNST. 
Jahresabonnement  inkl.  Frankozustellung  M.  3. — . 

Inhalt  des  5.  Heftes  (i.  März  1909);  Künstlerischer  Buch- 
schmuck im  Mittelalter.  Von  Dr.  Seb.  Huber  (Freising). 
Mit  4  -Abbildungen.  —  Bewertung  der  Kunstwerke. 
Von  S.  Staudhamer.  —  Anregungen  und  Mitteilungen. 

Redaktionsschluß:   15.  Februar. 


Verlagsbuchhandlung  Qeorg  D.W.Callwey,  München 


Jesus  unddasBrautpaarvonEana 

Ein  Hochzeitsblatt  nach   dem  Gemälde  von 

Edaard  von  Gebhardt 

herausgegeben  vom  Christlichen  Kunstblatt. 

Das  Blatt  ei'scheint  in  drei  verschiedenen  Ausgaben: 


1 .  Eine  Volksausgabe  in  Vierfarbendruck,  Bildgröße 
43  :  32  cm,  Blatrgröße  55  :  43  cm.    Preis  M.  3. — 

2.  Dieselbe  Volksausgabe  in  Vierfarbendruck,  auf 
Karton  aufgezogen,  Preis  M,  4. — . 

^.  Eine  farbige  Gravüre,  Bildgi'öße  58:46,   Blatt- 
größc  95  :  73  cm,  Preis  M.  30.— 


BEILAGE 


AUGUSTINERKIRCHE  IN  MÜNCHEN 


DIE  ZUKUNFT  DER  AUGUSTINER- 
KIRCHE IN  MÜNCHEN. 
P\as  ehemalige  Augustiner  Gotteshaus,   eine  Stätte  des 

Friedens,  ist  seit  Jahren  ein  Streitobjekt,  um  das  ein 
liartnäckiger  Kampf  geführt  wird.  Hie  der  Ruf:  »Hinweg 
mit  ihm'«  hie  die  Antwort:  >\\ahret  eure  heiligsten 
(iüter'«  Es  hat  lange  genug  gedauert,  bis  der  Streit  sicli 
seinem  Ende  zuneigte  dadurch,  daß  eine  Konkurrenz  aus- 
geschrieben wurde.  Das  wäre  beinah  eine  Salomonische 
Entscheidung  gewesen ;  leider  nur  beinali,  denn  das  Er- 
gebnis der  Konkurrenz  ist  noch  nicht  ausschlaggebend, 
wie  der  Satz  des  Konkurrenzausschreibens  beweist,  die 
Staatsregierung  sei  nicht  verpflichtet,  eines  der  prämiierten 
Projekte  zur  Ausführung  zu  bringen.  So  war  es  aber 
auch  jetzt,  zwei  Monate  vor  Schluß  der  Konkurrenz,  noch 
einmal  möglich,  ohne  Beeinträchtigung  der  Konkurrenz 
-ils  solcher,  demonstrativ  eine  Lanze  für  die  Erhaltung 
des  Kirchengebäudes  zu  brechen.  Geheimer  Hofrat,  Prof 
Dr.  Friedrich  von  Thiersch  war  es,  der  dies  unternahm. 
Am  Abend  des  2.  .März  hielt  er  im  .Münchner  Kunst- 
gewerbeverein vor  einem  ebenso  zahlreichen  wie  erlesenen 
Publikum  einen  durch  Bildermatenal  und  Projektionen 
reich  illustrierten  Vortrag  über  die  Verwendung  der  ehe- 
maligen Augustinerkirche,  .-\usgehend  von  den  histori- 
schen Schicksalen  der  Kirche  und  des  dabei  befindlichen 
Klosters,  von  der  Gründung  im  Jahr  1291  über  die  bau- 
lichen Eingriffe  und  Veränderungen  der  Jahre  1 327,  14)M, 
1620  bis  zur  Zeit  der  Säkularisation,  wo  sie  1805  ihrer 
geistlichen  Würde  entkleidet  und  seitdem  als  Mauthalle 
verwendet  wurde,  plädierte  der  Vortragende  in  warmen 
Worten  für  die  Erhaltung  dieses  altehrwürdigen  Bauwerks, 
das  nicht  nur  äußerlich  von  unübertretTlicher  Wirkung 
sei  in  dem  Stadtbild  an  der  Neuhauserstraße,  sondern 
dessen  Innenraum  auch  von  solcher  Hoheit  sei,  daß  man 
ihn  entschieden  als  solchen  ebenfalls  erhalten  solle.  Die 
.Möglichkeit  einer  Erhaltung  biete  der  Gedanke,  die  Kirche 
zu  einem  Museum  für  christliche  Kunst  zu  verwenden. 
Wie  dieser  Gedanke  praktisch  Gestalt  gewinne,  erläuteite 
v.  Thiersch  an  der  Hand  eines  eigenen  Projektes,  das 
zeigte,  wie  sich  die  Kirche  etwa  als  M  u  s  e  u  m  von 
Nachbildungen  mustergültiger  Werke  kirch- 
licher Kunst  ausnehmen  und  dazu  eignen  würde. 
Wohl  mancher,  der  den  Gedanken  an  sich  für  eine  ideale 
Phantasterei  gehalten  hatte,  dem  ebensoviele  technische 
wie  künstlerische  Bedenken  entgegentreten  müßten,  war 
sicher  überrascht,  wie  scheinbar  spielend  sich  solch 
theoretische  Hindernisse  gleichsam  von  selbst  behoben 
.Mit  einer  Selbstverständlichkeit  waren  da  Kunstwerke  der 
verschiedensten  Zeiten  und  Meister  nebeneinander  grup- 
piert zu  einem  derartig  weihevollen  und  künstlerisch 
einheitlichen  Gesamtbild,  daß  jedenfalls  auch  solclie,  die 
dem  Gedanken  schon  sympathisch  gegenüberstanden, 
überrascht  waren.  Und  manchen  gingen  wohl  endlicli 
die  .■Xugen  auf  über  die  Schönheit  des  kathedralartigen 
Innenraums  der  Kirche." 

Um  den  Gedanken  nocli  plausibler  zu  machen,  wies 
V.  Thiersch  in  Wort  und  Bild  auf  verschiedene  Beispiele 
in  andern  Städten  hin,  wo  profanierte  Kirchen  zu 
Museumszwecken  äußerst  glücklich  verwendet  worden 
seien,  so  durch  Gedon  die  ehemalige  Paulskirche  in  Worms 
zu  einem  historischen  Museuin,  die  ehemalige  Barfüßer- 
kirche in  Basel  zu  einem  Museum  für  mittelalterliche 
Kunst,  ebenso  wie  bei  dem  Hotel  de  Cluny  in  Paris 
und  beim  Germanischen  Museum  in  Nürnberg. 

SchließUch  ging  v.  Thiersch  noch  auf  die  Münchner 
.Museumsfrage  im  allgemeinen  ein,  um  zu  zeigen,  daß 
weder  durch  bestellende]  noch  durch  zu  erhoffende 
Museen  in  München  das'  vom  Redner  gedachte  Projekt 
in  der  ehemaligen  Augustinerkirche    überflüssig  werde, 

>)  Wir  «röffentlichen  hierüber  im  nächsten  Hefte  eioeo  lehon  liogcr 
vürliependen  Anikel  mil  mehreren  Abbildungen.  D.  R. 


sondern  daß  es  für  die  andern  Museen  eine  Entlastung 
sei.  Zudem  ließe  sich  von  einem  Museum,  wie  es  das 
gedachte  würde,  erwarten,  daß  dadurch  die  kirchliche 
Kunst,  die  mit  der  Profankunst  nicht  ganz  Scliritt  ge- 
halten habe,  neu  und  ersprießlicli  befruchtet  werde,  d.iß 
auch  auf  diesem  Gebiet  der  Kunst  Münclien  obenan 
stehen  könne.  Auch  werde  siclier  solch  eine  Sammlung, 
die  wegen  ihres  immerhin  beschränkten  Raumes  nur 
das  Beste  aufnehmen  könne,  erzieherisdi  wirken  und 
Verständnis  wecken,  besonders  auch  bei  der  Geistlicli- 
keit,  daß  sie  mit  Liebe  und  Pietät  die  ihr  unterstellten 
Kunstwerke  bewahre  und  wohlgemeinte  aber  bedauer- 
liche Renovierungen  nicht  zulasse.  Wenn  geschäfts- 
mäßig rechnende  Leute  nicht  begreifen  wollten,  wie 
man  einen  so  wertvollen  Grund,  wie  der  ist,  auf  dem 
die  Kirche  steht,  nicht  gewinnreicher  ausnützen  wolle, 
so  sei   dem   entgegenzuhalten,    daß    der    ethische    und 


OSK.AR  ZRCII  GKXKI'KSKMAl. 

AuttlrlluHg  Mumhtn  iQoS 


AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 


künstlerische  Wert,  der  aus  der  gedachten  äußeren  und 
inneren  Erhahung  und  Verwertung  der  Kirche  resultiere, 
viel  größer  sei  durch  seine  weittragenden  Wirkungen 
und  Konsequenzen.  Darum  sei  es  auch  der  Staats- 
regierung, die  doch  sonst  für  die  Erhaltung  historisch 
und  künstlerisch  bedeutungsvoller  Bauten  eintrete,  ent- 
schieden ans  Herz  gelegt,  die  Erhaltung  der  Kirche  zu 
erstreben,  schon  um  niclit  mit  den  eigenen  Grundsätzen 
in  Konilikt  zu  kommen.  Und  auch  die  Zuhörerschaft 
möge  an  ihrem  Teil  dazu  beitragen,  daß  das  Verständnis 
tür  den  Wert  der  Erhaltung  der  Kirche  in  immer  breitere 
Schichten  dringe.  —  Das  Publikum,  unter  dem  sich 
Vertreter  von  Hof,  Staat,  Kammern,  Kirche  und  Stadt 
befanden  sowie  zahlreiche  Künstler,  spendete  ostentativen 

Beifall.  Th.  Dombart 

AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 

pinzelwerke  kommen  durch  die  große  Anzahl  von  Kol- 
lektiv-Ausstellungen,  die  in  unabsehbarer  Reihenfolge 
sich  im  Kunstverein  ablösen,  kaum  mehr  recht  zur  Gel- 
tung. Es  muß  schon  eine  starke  Eigenart  in  dem  Künstler 
stecken,  der  sich  heute  in  den  großen  Malerkämpfen  her- 
vorzudrängen vermag.  Von  solch  eindringlicher  Natur 
ist  Walter  Geffken,  dessen  in  einfach  großzügiger 
Schlichtheit  aufgefaßtes  Bauernehepaar  von  jener  weichen 
und  vollsaftigen  Malerei  ist,  wie  wir  sie  nur  in  den  Werken 
der  älteren  Münchner  Schule  wiederfinden.  Noch  nicht 
abgeklärt  und  teilweise  noch  tastend  in  den  allzu  leicht- 
fertigen Problemen  zeigte  sich  ein  nicht  unsympathisches 
Talent,  Otto  Voll  mann,  dem  man  nur  ein  ernsteres, 
mehr  auf  das  Intime  gerichtete  Studium  wünschen  möchte. 
Es  geht  ja  überhaupt  in  unserer  allzuraschlebigen  Zeit 
ein  nervöses  Drängen,  so  schnell  wie  möglich  mit  allem 
fertig  zu  werden.  In  der  Kunst  kommt  auch  diese  Ner- 
vosität allzustark  zum  Ausdruck,  aber  gerade  jenes  mit 
Wuchthinschmettern,  mit  brutalen  Pinselhieben  hinsetzen 
der  Farben  zeigt  nicht  die  Meisterschaft,  die  echt  und  ge- 
sund ist.  Noch  jeder  große  Künstler  mußte  erst  lernen, 
langsam  und  bedächtig  die  Formen  zu  erfassen  und  wieder- 
zugeben, meist  erst  am  Sclilusse  des  Lebens  gelangte  er 
zu  der  Freiheit,  die  heute  die  .iVnfänger  schon  im  Schul- 
ateher  erobern  möchten.  Hieher  gehören  Arbeiten  von 
Lucy  Pelling-Hall,  die  nebenbei  noch  die  Art  van 
Gogh's  nachzuahmen  bestrebt  ist.  Recht  fein  und  liebe- 
voll durchgeführt  waren  die  Bilder  von  Lüdke;  der 
Maler  sielit  last  mikroskopisch  genau  und  bei  der  Manier, 
jedes  Pflänzchen  und  jedes  Blättchen  des  Baumes  wieder- 
geben zu  wollen,  liegt  die  Gefahr  nahe,  das  große  Ganze, 
das  Organische  zu  vernachlässigen.  Trotzdem  ist  letztere 
nicht  so  groß  als  die  erstere  Art,  die  alles  summarisch 
zusammenstreichen   möchte. 

Über  den  trefflichen  Heinrich  Rasch,  den  stets 
neue  Versuche  aufnehmenden,  geschickten  F.  Guillery, 
ferner  über  Runge  und  Rieper,  Meyer-Basel  und 
Robert  Curry  war  schon  des  öfteren  an  dieser  Stelle 
die  Rede.  Curry  hat  als  Landschafter  in  den  frischen 
und  heiteren  Winterbildern  bedeutende  Fortschritte  ge- 
macht und  auch  allmählich  die  Schultradition  P.  P.  Mül- 
lers abzulegen  sich  bemüht ;  hochinteressant  waren  die 
Pläne  Aug.  v.  T  hier  seh  s  zu  einer  neuen  Friedhofs- 
anlage, zu  der  Maler  Max  Bieber  die  Idee  gegeben. 
Der  Gedanke,  die  Begräbnisstätte  unter  die  Erde  zu  ver- 
legen und  gleichsam  wie  in  den  Katakomben  die  Toten- 
feier über  den  Gräbern  der  Verstorbenen  zu  halten,  ist 
sehr  schön.  Eine  große  Anzahl  von  Stufen  soll  hinab- 
führen ins  Totenreich  zu  den  Grabkammern,  mächtige 
Eingangspforten  trennen  den  unterirdischen  Teil  vom 
oberen,  der  als  prunkvolle  Tempelstadt  gedacht  ist.  Die 
Kolossalstatuen  der  Evangelisten  und  des  Moses  sollen 
hier  ihre  Aufstellung  finden,  Säulenhallen  umschließen 
die  stille  Stadt  und  ein  breiter,  mit  Cypressen  bewachsener 


Weg  führt  zur  Einsegnungshalle.  Vorstellungen  antiker 
Begräbnisstätten,  verbunden  mit  christlichen  Gedanken 
haben  hier  einen  Entwurf  entstehen  lassen,  der,  wenn 
zur  Ausführung  irgendwie  die  Möglichkeit  haben  könnte, 
gerade  dem  campo  santo  jene  feierliche  Stimmung  ver- 
leihen würde,  die  er  durch  seine  Bestimmung  gewiß  ver- 
dient und  nach  dem  man  sich  schon  längst  sehnt,  da 
die  Fülle  des  angehäuften  Steinmaterials,  genannt  Denk- 
mäler, auf  unseren  Friedhöfen  längst  überdrüssig  uns  ge- 
worden ist.  Da  hier  gerade  vom  Denkmal  die  Rede  ist, 
so  möge  auf  eine  überlebensgroße,  in  Stein  gemeißelte 
Kreuzigungsgruppe  hingewiesen  werden.welche  der  talent- 
volle junge  Bildhauer  Franz  Cleve  für  die  Kirche  Neu- 
haus-Windisch-Eschenbach  in  der  Oberpfalz  geschaff'en 
hat.  In  wirkungsvoller  würdiger  Art  hat  der  Künstler 
es  verstanden,  dem  so  alten  und  doch  stets  neuen  Thema 
eigenartiges  Leben  zu  verleihen.  Wir  sehen  Christus  am 
Kreuzesstamm,  schmerzgebeugt  sich  hinneigend  zur  gram- 
erfüllten Mutter  Gottes,  die,  gestützt  durch  eine  ältere 
Frau,  den  Blick  zum  Sohne  erhebt  während  auf  der 
rechten  Seite  Johannes  seinen  Herrn  und  Meister  hände- 
ringend betrachtet  und  aufgelöst  in  Leid  und  Kummer, 
Magdalena  den  Kreuzesstamm  umfaßt.  Die  ganze  künst- 
lerisch fein  gelöste  Gruppe  zeichnet  sich  nicht  allein  durch 
edlen  Fluß  der  Linien  aus,  sondern  zeigt  namentlich  in 
dem  Corpus  Christi  ein  gutes  Verständnis  für  die  tra- 
ditionelle, .iltchristhche  Auffassung,  wie  auch  für  eine  ge- 
schulte, den  modernen  Verhältnissen  entsprechende  Durch- 
führung der  Körperpartien  im  organischen  Aufbau.  Der 
innere  seelische  Gehalt,  die  Wärme  der  Empfindung  aber 
ist  es,  die  hier  in  erster  Linie  zum  Beschauer  spricht  und 
die  auch  am  Ort  der  Bestimmung  einen  tiefen  Eindruck 
nicht  verfehlt. 

i\ls  ein  Ereignis  von  nicht  ungewöhnlicher  Bedeutung 
konnte  und  mußte  die  Karl  Schuch- Ausstellung  an- 
gesehen werden.  Vielen  war  ja  der  Maler  bekannt,  dessen 
Bildern  man  hier  und  dort  begegnete,  aber  zur  vollen  und 
aufrichtigen  Wertschätzung  ist  Schuch  in  seinem  Leben 
nicht  gekommen.  Erst  nach  seinem  Tode  ist  es  wieder 
der  Kunsthandel,  der  den  Künstler  nach  jeder  Richtung 
hin  für  sich  in  Anspruch  nimmt.  Bedauerlich !  Und  dies 
um  so  mehr,  als  solche  Erscheinungen  nicht  vereinzelt 
stehen.  Was  Schuch  anstrebte  und  namentlich  in  seinen 
Stilleben  auch  erreichte,  war  große  und  edle  Kunst.  Man 
brauchte  in  der  Zeit  seiner  Ausstellung  nur,  aus  seinem  Saale 
herauskommend,  das  Andere  betrachten  und  es  gefiel  einem 
kaum  noch  etwas.  W.is  so  starke  Bewunderung  lier- 
vorrief,  war  die  prächtige  Qualität  der  Malerei  an  sich, 
die  an  Leibl  im  besten  Sinne  erinnerte,  die  feintonige 
Schönheit  der  saftigen  Malerei  ohne  saucige  Lasuren.  Ja 
an  Leuchtkraft  der  Farben  übertraf  er  selbst  Leibl.  Jedes 
der  vielen  Stilleben  war  überaus  geschmackvoll  in  Ar- 
rangement, in  der  Disposition  und  vor  allem  in  der  Far- 
benharmonie. Wenn  Schuch  Apfel  mähe,  so  waren  es 
Äpfel,  die  nicht  wie  man  sonst  öfters  zu  malen  pflegt, 
•  gemacht«  aussehen,  etwa  wie  aus  Seife.  Wirkliche 
-Apfel,  genießbare;  dann  wirkliches  Zinn,  Metall,  Stoff 
und  Tücher,  die  nichts  anderes  vorstellen  wollen.  Dies 
sichere  Erfassen  der  Natur  unter  einer  vornehmen  Ge- 
schmacksrichtung, ghch  hier  einem  Erlebnis :  Der  Künstler 
war  mit  seinen  Gegenständen,  mit  denen  er  Kunst  schuf, 
innigst  vertraut  und  es  khngt  wahrhaftig  und  aufrichtig, 
wenn  von  ihm  gesagt  wurde,  daß  jedes  Bild,  das  er 
schuf,  für  ihn  einen  seelischen  Prozeß  bedeutete.  Als 
ganz  prächtige  Stücke  müssen  hier  das  große  Stilleben 
mit  dem  Totenkopf,  die  Äpfel  auf  weißem  Tuch,  der 
Gladiolenstrauß,  vor  allem  das  Bündel  breiten  Lauches, 
erwähnt  werden.  Denkt  man  daran,  daß  für  ein  ge- 
maltes Spargelbündel  von  Manet,  das  wir  im  vorigen 
Jahre  bei  Heinemann  sahen,  40000  Mark  der  Preis  war, 
so  müßte  man  die  Summe  für  dieses  Stilleben  minde- 
stens dreifach  höher  bewerten. 


AUS  DEM  KUNSTVERRIN  MÜNCHEN 


Mit  einer  recht  wackeren  Kollektion  farbenheiterer 
Landschaften  erschien  Franz  Hoch,  hieran  schloß  sich 
Alex.  Fuks,  der  talentvolle  Bildnismaler  der  Münchner 
Gesellschaft,  mit  ungemein  lebendig  aufgefaßten  Porträts, 
die  nicht  allein  eine  vornehme  Konzeption  aufweisen, 
sondern  auch  vom  rein  technischen  Standpunkte  aus 
einwandfrei  sind.  Von  sprechender  Ähnlichkeit  waren 
die  Bildnisse  des  Prinz-Regenten  und  des  Prinzen  Lud- 
wig. Am  schönsten  offenbarte  sicli  jedoch  seine  Kunst 
in  der  Wiedergabe  einiger  Frauenbildnisse,  unter  denen 
das  feinsinnig  empfundene  Porträt  der  Gattin  des  Künst- 
lers am  wertvollsten  erschien.  —  Corneille  Max  neigt 
immer  mehr  zu  einer  Stilistik,  die  wohltuend  wirkt,  und 
ihn  auf  bessere  Ziele  führt,  wie  ehedem.  Leop.  Schön- 
chen vertrat  das  Marinegebiet  wieder  mit  altgewohnter 
I'üchtigkeit.  Besonders  hervorzulieben  sind  noch  die  In- 
terieurstudien von  Fritz  Mühlbrecht  und  die  famosen, 
an  die  Zügelschule  erinnernden  Tier-  und  Landschafts- 
niotive  von  Willy  Tiedjen. 

Bildnisse,  die  über  das  Durchschnittsmaß  des  Alltäg- 
lichen hinausgingen,  waren  gesandt  von  Karl  Bios, 
Leonh.  Blum  und  Karl  Hörn.  Das  Streben,  die 
Natur  im  persönlichen  Sinne  zu  stihsieren ,  veranlaßt 
mehr  und  mehr  auch  die  jüngere  Künstlerschaft,  Ge- 
wicht auf  Zeichnung  und  Form  zu  legen.  Als  charak- 
teristisches Beispiel  galten  die  leicht  improvisierten,  aber 
mit  vielem  Raffmement  erdachten  Landsdiaften,  teils 
svmbolischen  Inhalts,  von  Johannes  Martini.  Dieser 
Künstler  geht  von  der  dekorativ  schmückenden  Flächen- 
wirkung  aus  und  versucht,  durch  gleichwertige  Vertei- 
lung der  Farbflecke  einfachen  und  harmonischen  Klang 
zu  erzielen-  Eine  solclic  mehr  linear-rhvthmiscli  ver- 
anlagte Kunst,  die  ja  in  der  alten  stets  vorhanden  ist, 
kaim  zukunftverheißend  sein,  wenn  sie  sich  dazu  noch 
den  modernen  Raumprinzipien  anzuschmiegen  versteht. 
—  Weniger  geistreich  waren  die  in  die  sonst  stofflich 
gezeichneten  Landschaften  hineingesetzten  pikanten  Da- 
men, welche  durch  ihre  unschickliclien  Bewegungen  den 
köstlichen  Duft  und  den  Reiz  der  Landschaft  direkt  verder- 
ben.—  Als  ein  noch^\'erdender,  mit  großem  TalentV'eran- 
lagter,  stellte  sich  F  r  i  t  z  F  a  b  e  r  mit  einer  größeren  Serie  von 
Stilleben  und  Landschaften  vor.  Die  breite,  flüssige  Ma- 
lerei, der  ein  gesundes  Naturstudium  zugrunde  lag,  dürfte 
nur  festeren  Gehalt  durch  die  Zeichnung  erhalten.  Fast 
dasselbe  möchte  man  von  der  Kollektion  ManiaKacers 
sagen,  hier  ließ  schließlich  die  Zeichnung  so  stark  aus, 
daß  selbst  der  brillanteste  Pinselstrich  über  die  Unzu- 
länglichkeit der  .Vnfangsgründe  der  Kunst  nicht  mehr 
hinwegtäuschte.  Über  J  ulius  Hxter,  den  Vielgewandten 
und  -gewanderten,  den  Mitbegründer  der  alten  Sezession 
und  den  Bahnbrecher  neuer,  schon  längst  wieder  alt  ge- 
wordener Ideen,  haben  wir  bei  Gelegenheit  der  großen 
Ausstellungen  berichtet,  so  daß  Neues  zu  sagen  fast  nichts 
mehr  übrig  bleibt.  Es  sind  auch  meist  altbekannte  Ar- 
beiten, deren  wir  uns  längst  erfreuten,  doch  von  Zeit  zu 
Zeit  »sieht  man  auch  die  Alten  wieder  gerne«.  Durch- 
probiert, studiert,  gezeichnet,  modelliert  und  gemalt  hat 
Exter  wohl  alles.  Vom  religiö.-jen  Thema  zum  Bühnen- 
stück, >Märchenzauber<  bis  zur  nüchternen  Ackerscholle; 
Derbes  und  Zartes,  Grobes  und  Feines,  Menschen  und 
Tiere,  Militär  und  Zivilpersonen,  Interieurs,  Blumen  und 
Fruchtstücke,  Porträts,  Allegorien,  kurz,  was  es  überhaupt 
an  Möglichkeiten  in  derMalerei  gibt  und  doch,  mit  all  diesem 
liat  er  noch  immer  nicht  einen  eigenen  Stil,  noch  immer 
nicht  seine  Person  gefunden.  Alles  geschickt  und  tem- 
peramentvoll, kräftig,  tüchtig  gemalt,  ja,  wie  bei  dem 
weiblichen  Akt  im  Freien,  sogar  virtuos,  aber  Gefühl, 
Sinnigkeit,  etwas,  was  zu  Herz  imd  Gemüt  führen  könnte, 
das  darf  man  nicht  suchen.  Es  ist  merkwürdig  und  zu- 
gleich bezeichnend  lür  einen  großen  Teil  der  jetzt  malen- 
den Generation,  daß  allzuvieles  Können  die  Gefahr  in 
sich  birgt,  In  \'irtuosität  auszuarten.    Wenn   diese  aber 


in  den  Werken  der 
Künstler  als  Haupt- 
sache zum  Ausdruck 
gelangt,  wird  stets  der 
Mangel  an  Empfin- 
dung und  Intimität 
vorlierrschen.  Genau 
nach  derselben  Rich- 
timg hin  bewegt  sich 
der  früher  hier  ansäs- 
sige Friedr.  Fehr. 
Auch  er  schwankt  von 
einem  Extrem  zum 
anderen  und  bei  aller 
Tüchtigkeit  des  Kön- 
nens ist  auch  nirgends 
klar,  was  der  Künst- 
ler erstreben  will.  Auf 

die  Kunstabsichten 
kommt  es  an  und  die 

müssen  erkeimbar 
sein.      Über    die    ge- 
wöhnlichen    Leistun- 
gen  von    Kopistenar- 
beit ragten   die  neun 

Kopien  von  Eda 
Metger  hinaus,  Ru- 
bens   und    Velasi]uez 
gab   die   Malerin   am 
besten  wieder. 

Hugo  von  Ha- 
bermann zeigte  seit 
längerer  Zeit  wieder 
einige  seiner  überaus 
kapriziösen  Damen,  in 
ebensolchen,  von  er- 
lesenem echt  Haber- 
mannschem  Ge- 
schmack zeigenden 
Toiletten.  Der  Extrakt 

des  Könnens  und 
Wollens  ist  wie  stets, 
so  hier,  mit  den  eben 
noch  ausreichenden 
Mitteln  gegeben.  Eine 
Kunst  für  Künstler, 
lür  Kenner.  Bekannt  von  den  »Fliegenden<  her  sind  die 
liebenswürdigen  Zeichnungen  von  Hermann  Stock- 
mann. Alle  diese  reizenden  Blätter  atmen  jenen  golde- 
nen echten  Humor,  der  nie  verletzend,  mit  dem  Münch- 
ner Leben  verwachsen  ist.  Auch  als  Maler  zeigte  sich 
Stockmann  in  den  prächtigen  Herbststudien,  deren  Motive 
Dachaus  Umgebung  entnommen,  von  der  besten  Seite. 
A.  Oberlander,  den  wir  gleichfalls  von  den  »Flie- 
genden Blättern«  her  als  altbewährten  Meister  keiinen, 
erfreute  den  Kunstliebhaber  mit  zwei  kleineren  ülge- 
gemälden,  die  von  dem  ewig  frischen  Humor  des  Künst- 
lers ein  prächtiges  Zeugnis  ablegten.  Von  der  gegen- 
überliegenden Wand  sah  Sambergers  vollsaftig  und 
mit  größter  Sicherheit  gemaltes  Bildnis  Erzbischofs  Abert 
von  Bamberg  herab.  \\ie  überall,  so  fand  auch  hier 
der  Künstler  den  knappsten  Ausdruck  für  seine  Darstel- 
lung. —  Interessant  war  eine  weitere  Folge  von  Zeich- 
nungen, Studien  und  Malereien  von  Moritz  Bauern- 
feind. Die  satirische  Begabung  tritt  nunmehr  stärker 
hervor.  —  Cäsar  Ku  n  wald,  ein  noch  jüngerer  Künst- 
ler, debütierte  mit  einem  ganzen  Saal  voll  Arbeiten.  Es 
ist  stets  gefährlich,  wenn  man  kein  großes,  starkes  Talent 
hat,  viel  auf  einmal  zu  bringen,  weil  der  Maler  allzuleicht 
unfreiwilligen  Aufschluß  über  das  gibt,  was  er  nicht 
kann.  So  auch  Kunwald.  Unverkennbar  ist  ein  ehr- 
liches Wollen  und  Streben  ausgedrückt,  aber  auch  das 


.S(:iiMii;i)i.isi;i;\KK    .^ltarlkucm- 

riiH,   KNTVVORI-EN  VON   IIHIN'RICH 

KIRSCH,    .\USGEF0HRT  VON  REIN- 

llOLU  KIRSCH 


ALOIS  HAUSER  —  VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


Rezept,  das  der  Anfänger  aufgenommen.  Französischer 
Einschlag  ist  ebenfalls  stark  mit  eigenem  vermischt,  man 
Ijann  sogar  den  Meister  nennen,  auf  den  sich  Kunwald 
stützt.  Dies  alles  hindert  nicht,  ihm  eine  Zuljunft  zu  pro 
phezeien,  die  Besseres  erhoffen  läßt.  Das  Porträt  be 
herrscht  der  Maler  am  besten,  wenigstens  sind  die  Bild 
nisse  einiger  nicht  gerade  geistreich  aufgefaßter  Schrift 
steller.  Dichter,  von  guter  (Qualität  der  Mache.  Das  Stre 
ben,  auch  die  Hände  zur  Charakterisierung  der  Person 
als  wichtige  Beigabe  individuell  zu  beherrschen,  ist  sehr 
löblich,  jedoch  darf  solche  >Beseelung«  nicht  so  weit 
gehen,  daß  sie  schließlich  aus  der  Gesamtheit  heraus- 
fallen und  vom  Kopfe  ablenken.  Ein  großer  Abstand 
lag  zwischen  Kunwalds  jugendlichen,  kühnen  Leistun- 
gen und  den  Bildnissen  Hans  Schadows,  für  die 
>Unzulänglichkeit«  wohl  der  mildeste  Ausdruck  ist. 

Eine  Serie  kräftig  im  Strich  gehaltener  Landschaften, 
trauter  Winkel,  alter,  freundhcher  Städtchen  brachte  Frau 
Baur-Ising,  nur  ist  die  Darstellungsweise  eine  schon 
zu  abgebrauchte  und  vergriffene;  die  eigene  Sprache  ist 
in  der  Malerei  und  Zeichnung  von  wahrhaftig  nicht  un- 
wesentlicher  Bedeutung.  Franz  Wolter 


ALOIS  HAUSER 

Tn  der  Nacht  vom  6.  auf  7.  März  ist  der  Konservator 
der  bayerischen  Zentralgemäldegalerie  Professor  Alois 
Hauser  gestorben.  Hauser  war  ein  hochberühmter  Bilder- 
restaurator, in  den  Kunstkreisen  des  In-  und  Auslandes 
hochgeschätzt  und  vielgesucht,  aber  auch  wegen  seiner 
persönlichen  Eigenschaften  allgemein  verehrt.  Geboren 
am  17.  Februar  183 1  zu  Burladingen  in  HohenzoUern- 
Hechingen,  kam  er  1847  zu  dem  Bilderrestaurator  Deschler 
in  Augsburg,  wo  er  die  Gelegenheiten  zu  weiterer  Aus- 
bildung benützte  und  bis  1854  bheb.  Hierauf  wurde  er 
Konservator  der  Gemäldegalerie  in  Schloß  Löwenberg 
in  Schlesien.  Später  siedelte  er  nach  Bamberg  über. 
Dort  wurde  er  1869  Konservator  der  neu  errichteten 
Stadtischen  Gemäldegalerie,  von  wo  er  1875  an  die 
Kgl.  Alte  Pinakotliek  in  München  als  Restaurator  kam. 
Den  Titel  eines  Kgl.  Professors  erhielt  der  persönlich 
höchst  bescheidene  Künstler  1889.  Auf  vieles  Drängen 
von  Freunden  ließ  sich  Hauser  auch  herbei,  aus  dem 
reichen  Schatze  seiner  Kenntnisse  einiges  in  dem  Büch- 
lein >Anleitung  zur  Technik  der  Oelmalerei<  niederzu- 
legen. Sein  Sohn  Alois  Hauser  bekleidet  die  Stelle 
eines   Kgl,  Konservators  in  Berlin. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

München.  Verflossenen  Februar  wurden  in  der  von 
Professor  Heinrich  Freiherrn  von  Schmidt  erbauten  Kirche 
St.  Maxirnilian  die  drei  ersten  Stationsbilder  aufgestellt. 
Sie  sind  von  Franz  Hofstötter  gemalt  und  stellen  dar: 
Jesus  auf  dem  Olberg,  Dornenkrönung,  Jesus  nimmt  das 
Kreuz  auf  sich. 

G  e  b  h  a  r  d  t  -  A  u  s  s  t  e  11  u  n  g.  Die  Galerie  Eduard  Schulte 
in  Berlin  veranstaltet  im  November  d.  J.  zur  Feier  des 
70.  Geburtstages  des  Künstlers  und  im  Einverständnis 
mit  ihm  eine  große  Eduard  von  Gebhardt-Ausstellung, 
welche  nach  Möglichkeit  das  ganze  Lebenswerk  des  be- 
rühmten Düsseldorfer  Meisters  umfassen  soll. 

Ein  neuer  Altar.  Herr  Graf  Geldern-Thurnstein  stiftete 
für  eine  Kirche  Niederbayerns  einen  Altar,  dessen  archi- 
tektonischer Aufbau  nach  Angaben  des  Architekten  Jak. 
.^ngermair  verfertigt  wird.     Das  Mittelstück,  ein  Reliei", 


ist   ein  Werk   des  Bildhauers  Valentin  Kraus.    Es   zeigt 
niederbayerische  Landleute imGebet  vor  demGekreuzigten. 

Der  Architekt  Otto  Schultz  in  Nürnberg  wurde 
zum  Professor  der  Kunstgewerbeschule  in  Nürnberg  in 
etatsmäßiger  Eigenscliaft  ernannt. 

Bildhauer  Johann  Ev.  Frey  ist  am  S.  März  zu  Mün- 
chen im  Alter  von  68  Jahren  gestorben.  Er  war  auf 
dem  Gebiete  der  kirchlichen  Kunst  tätig. 

Köln.  Aus  dem  Kunstlebeu  der  letzten  Monate  sind 
nur  zwei  Ausstellungen  bei  Schulte  zu  nennen.  Die  eine 
von  Werken  Spitzwegs,  die  andere  eine  Kollektivaus- 
stellung des  Dresdener  Malers  Gotthard  Kuehl.  Aus  der 
letzteren  erwarb  das  Wallral-Richartz-Museum  das  Bild 
der  »lachenden  Köchin«,  in  gelber  Bluse  über  einen 
grün  gestrichenen  Koffer  sich  lehnend,  farbig  ein  Meister- 
stückchen. Manchen  glücklichen  Zuwachs  hat  das  Museum 
unter  dem  neuen  Regime  zu  verzeichnen.  Auf  der  letzten 
Weihnachtsausstellung  Kölner  Künstler  wurde  der  »Be- 
guinenhof  in  Brügge  <  von  Fr.  Westendorp  angekauft, 
eine  charakteristische  Schöpfung  des  im  Rheinland  ge- 
schätzten Künstlers.  Aus  Lenobels  Kunstsalon  erwarb 
man  ein  vorzügliches  Werk  von  L.  von  Hofmann,  außer- 
ordentlicli  dekorativ  in  Farbe  und  Zeichnung.  Ferner 
kamen  zu  den  alten  Beständen  ein  stimmungsvolles  Bild 
des  jungen  Düsseldorfer  M.  Bretz,  ein  Sonnenbild  erster 
Güte  von  M.  Stern,  das  in  Komposition  und  Tongebung 
gleich  hochstehende  >Bergfest<  von  Schinnerer  und 
endhch  noch  zwei  interessante  Werke  von  E.  te  Peerdt. 
Angesichts  der  schönen  Neuerwerbungen  freut  man  sicli 
mit  Recht,  daß  die  Museumskommission  in  den  letzten 
Jahren  so  energisch  den  Säckel  zugehalten,  um  ihn  jetzt 
um  so  eifriger  zu  öffnen.  Im  Kreuzgang  des  Oberge- 
schosses, der  in  die  Ausstellungsräume  einbezogen,  ist 
die  moderne  Abteilung  mit  gutem  Geschick  untergebracht. 

Bildhauer  Georg  Schreyögg  wurde  Professor  der 
Kunstgewerbeschule  in  Karlsruhe. 


BUCHERSCHAU 

Kirclilich  figurale  Bildhauerarbeiten.  Meister- 
werke christlicher  Kunst  des  Mittelalters  in  Frankreich. 
Gesammelt  und  herausgegeben  von  E.  Walsdorf.  1907. 
Bruno  Heßling,   Berlin,    Paris,  Newyork.    Preis   48  M. 

Die  Sammlung  des  Musce  de  Cluny  in  Paris  ist  in 
dem  köstlichen  spätgotischen  Hotel  de  Cluny,  dem  Pariser 
Wohnsitz  der  Abte  von  Cluny  untergebracht  und  enthält 
eine  außerordentliche  Fülle  alter  künstlerischer  und  kunst- 
gewerblicher Arbeiten,  namentlich  solcher  der  mittel- 
alterlichen Plastik.  Bekanntlich  bergen  aucli  die  Samm- 
lungen des  Louvre  viele  Meisterwerke  der  Bildnerkunst 
des  Mittelalters.  Aus  diesen  Schätzen  nun  traf  E.  Wals- 
dorf eine  Auswahl  von  Darstellungen  Gott  Vaters,  des 
Heilandes,  Mariens,  der  Engel  und  einiger  Heiliger,  um 
sie  in  60  schönen  Lichtdrucktafeln  den  Kunstfreunden 
zu  Studium  und  Genuß  zu  bieten.  Es  sind  Werke  aus 
dem  12.  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  zum  Teil 
Arbeiten  von  entzückender  Schönheit.  Darunter  befinden 
sich  auf  fünf  Tafeln  die  berühmten  Apostel  der  S'=  Chapelle. 
Der  Text  beschränkt  sich  auf  kurze  sachliche  Mitteilungen. 
—  Der  Verlag  von  Bruno  Heßhng  gab  auch  andere 
größere  Publikationen  über  alte  kirchliche  Kunst  heraus, 
SO:  Romanische  Baukunst  und  Ornamentik  in  Deutsch- 
land (von  Th.  Kutschmann);  Alt  Paris  (von  Egon 
Heßling). 


Redaktionsschluß:   is.  März 


BEILAGE 


ANTON  HESS  -  PORZELLANMANUFAKTUR  —  BERLINER  KUNSTBRIEF 


ANTON  HESS  t- 

Tn  der  Nacht  vom  ii.  auf  12.  April  starb  Bild- 
^  liauerAnton  Heß,  kgl.  Professor  an  derTech- 
nischen  Hochschule  zu  München,  nach  kurzer 
Krankheit.  Anton  Heß,  derSohn  des  berühmten 
Historienmalers  Heinrich  von  Heß,  stand  im 
71.  Lebensjahre.  Am  20.  August  vor.  Jrs.  be- 
ging er  unter  warmer  Teilnahme  in  Kunst- 
kreisen seinen  70.  Geburtstag.  Zu  diesem  An- 
laß veröffentlichten  wir  im  vor.  Jg.  S.  109  der 
Beilage  einen  Aufsatz  über  den  trefflichen  Künst- 
ler. Heß  gehörte  der  Deutschen  Gesellschaft 
für  christliche  Kunst  seit  ihrer  Gründung  an. 
R.I  P. 


DIE  NEUEN  GESCHÄFTSRÄUME  DER 
K.  BAYERISCHEN  PORZELLAN-MANU- 
FAKTUR NYMPHENBURG 

Wor  Jahren  hatte  ich  in  »Kunst  und  Handwerk«,  im 
> Profanbau«  und  verschiedenen  anderen  Organen 
meine  Anschauungen  niedergelegt  darüber,  wie  ich  mir 
moderne  Läden  und  Geschäfte  durchgeführt  dächte, 
was  in  dieser  Sparte  der  Innenarchiteiitur  zu  erstreben 
und  was  zu  verwerfen  sei.  Diese  meine  Arbeiten  er- 
regten Aufsehen  und  sie  wurden  nachgedruclit  —  übri- 
gens nahm  auch  Lux  in  der  »Hohen  Warte«  zu  dem 
Thema  Stellung  —  und  es  scheinen  meine  Anregungen 
auf  fruchtbaren  Boden  gefallen  zu  sein.  Beispielsweise 
haben  wir  nun  auch  in  München  so  manchen  Laden, 
der  sich  sehen  lassen  kann,  manches  Geschäft,  das  ele- 
gant und  reich  nur  durch  sein  Material  und  die  abwä- 
gende Ausgestaltung  des  Architekten  wirkt,  und  dessen 
Grundriß  nicht  verwirrt,  und  das  sich  lieber  blank  und 
rank  gibt,  als  mit  Malerateliers  entlehntem  Detail  zu 
prunken.  Denn  ein  Geschäft  soll  sich  einfach  darbieten, 
in  jedem  Falle,  soll  hübsch,  aber  nie  protzig  wirken, 
soll  bequem  im  Verkehr  sein  und  durchaus  nur  Ob- 
jekt und  niemals  Individualität.  Auf  gut  Glück 
greife  ich  im  Anschlüsse  an  diese  Zeilen  einige  neuere 
Münchner  Läden  auf:  Modes-Salon  L.  Borst;  Modes- 
Salon  Hinzelmann;  Hof blumenfabrik  J.  von  Heckel;  Hof- 
molkerei Dallmayr;  Mode  Warenhaus  M.  Schneider;  von 
Banken  und  größeren  Betrieben  ganz  zu  schweigen. 

Die  Tat,  von  der  wir  aber  heute  berichten,  datiert 
jedoch  aus  ganz  letzter  Zeit:  Ich  meine  die  von  Pro- 
fessor Emanuel  von  Seidl  glänzend  gegebenen  neuen 
Geschäftsräume  der  Nymphenburger  Porzelkin-.Manutak- 
tur.  Jetzt  hat  der  Meister  seine  ganze  Höhe  erklommen. 
Denn  in  diesen  Interieurs  gibt  es  weder  Schlacken  noch 
Schoten :  Seidl  hat  Vollendetes  geschaffen.  Er  hat  aber 
nicht  etwa  nur  geschmückt,  angeordnet,  ausgeteilt,  ab- 
gerundet und  zusammengeschlossen,  nein,  er  hat  auch 
intensiv  gedacht.  .  .  So  stehen  wir  in  mehr  als  in  einer 
Hinsicht  vor  neuen  Lösungen.  Aber  geradezu  genial 
ist's,  wie  er  das  Motiv  »Auslage«  behandelt;  eine  alte 
N'otwendigkeit  hat  er  da  zu  einer  ganz  neuen  graziösen, 
flüssigen  Plauderei  umgewandelt.  Die  Auslagen  sind 
nämlich  abwechslungsweise  nach  innen  und  außen  ver- 
legt ;  von  feinem  architektonischem  Rhythmus  getragen, 
zeigt  sich  Schau  auf  Schau  —  ein  goldin  Kettlein  von 
Schönheit  scheint  gleichs.im  um  die  Porzellanniederlage 
geschlungen.  Herinnen  die  prächtigsten  Auslagen  und 
zierlichsten  Arrangements,  draußen  die  verlockendsten 
Artikel  und  schönsten  Waren.  .  .  Die  ganze  Disposition 
gefällt  sich  eben  in  einer  starken  Eigenart  —  und  daß 


es  Architekt  Emanuel  von  Seidl  ernstlich  zu  tun  war, 
eine  ungewöhnlich  schöne  Raumwirkung  aus  der  An- 
lage des  Ganzen  zu  gewinnen  und  zu  lösen,  glaubt  man 
ihm  aufs  Wort.  Der  Grundriß  ist  von  der  nobelsten 
Einfachheit,  das  Licht  aber  als  Schmuckfaktor  ersten  Ranges 
in  Berechnung  gezogen  worden.  Die  fort-  bezw.  um- 
laufenden Strophen  der  großen  Auslagen  —  lies  Licht- 
öffnungen —  bitten  den  Tag  von  der  Gasse  herein  — 
und  so  ist's  herinnen  stets  genau  so  hell  oder  gedämpft  als 
draußen.  Der  Künstler  hat  auch  in  den  Farben  einen  glück- 
hchen  Zusammenklang  geschaffen  in  Weiß  und  Grau. 
Das  Weiß  dominiert  im  Räume.  Denn  Decken,  Wände, 
Pfeiler  sind  weiß,  die  Hölzer  der  Möbel,  der  Glasschränke, 
der  Vitrinen  aber  dunkel,  braunrot,  mahagonitönig,  und 
fliesenverkleidete  Pfeiler  grün  und  blaugrün  gehalten, 
die  Heizanlagen  in  Grün  und  Fraisrot  durchgeführt. 
Dem  Haupteingang  gegenüber  ist  das  Lokal  im  Halb- 
kreise durchgebildet.  Gewissermaßen  ein  Nymphenbur- 
ger Motiv  im  kleinen.  .  .  Zwei  Tische  mit  'Vasen  — 
reclits  und  hnks  vom  Beschauer  —  fanden  davor  Auf- 
stellung; im  Hintergrunde  zeigt  sich  ein  Brunnen.  Ober 
dem  rondellartigen  Abschluß  schauen  aus  weißen  Nischen 
kluge,  bunte  Papageien  auf  uns  nieder  —  eine  durchaus 
stilechte  Idee!  Sonst  sind  noch  die  Kasse  und  die  Vi- 
trinen besonders  erwähnenswert. 

Die  ganze  Manufaktur  erscheint  als  eine  intime,  sehr 
vornehme  Ausstellung  oder  Sammlung  eines  Sammlers 
und  Liebhabers  von  edlem  Porzellan  und  gar  kostbarer 
Keramik. 

Zum  Schlüsse  ist  eine  Andeutung  darüber,  welche 
Richtungen  die  alte  und  so  bekannte  Nymphenburger 
Porzellanmanufaktur  jetzt  pflegt  und  pflegen  wird,  sicher 
am  Platze.  Die  Manufaktur  liebt  das  moderne  und  antike 
Genre  ziemlich  gleichmäßig  —  der  Kenner  muß  den 
Darbietungen  jeder  Sparte  lobende  Worte  zollen. 

Moritz  Otto  Baron  von  Lasstr-Münchcn 


BERLINER  KUNSTBRIEF 

Winter  1908/ 1909 
Von  Dr.  HANS  SCHMIDKUNZ,  Berhn-Halensee 

Je  mehr  sich  dem  Berichterstatter  der  Stoff  aus  den 
typischen  Kunstsalons,  zumal  in  Gemälden,  anhäuft, 
desto  banger  drängt  sich  ihm  die  Frage  auf,  wie  viel 
davon  überhaupt  ein  Recht  hat,  von  der  Atelierwand 
in  die  Öff'entlichkeit  hinaus  und  zum  Range  von  voll- 
wertigen Kunstwerken  zu  kommen.  Was  vordem  als 
Skizze  oder  Studie  zur  unteren  Ecke  eines  Gemäldes 
gelten  konnte,  wird  uns  jetzt  in  Masse  als  reifste  Kunst 
aufgedrängt. 

Irrtümlich  möchte  mancher  an  ängstlich  glatte  Malerei 
Gewöhnte  zu  solcher  Skizzenkunst  auch  die  Porträts  von 
Leo  Samberger  rechnen.  An  Lenbachs  Kraft  des 
Andeutens  und  zugleich  an  modernste  Primitivheit  er- 
innert seine  Verwendung  großer  Striche  und  breiter 
Schattenmassen ;  und  äußerlich  genommen  scheint  manch- 
mal die  Grenze  zwischen  Skizze  und  fertigem  Werk 
verwischt.  Das  eine  aber  kann  man  bald  vor  jedem 
Bilde  wissen,  daß  man  vor  einer  »Kunst  des  Wesent- 
lichen« steht.  Die  langen  rundlichen  Linien,  von  denen 
wenige  so  viel  sagen,  kommen  besonders  in  medaillon- 
ähnlichen Kohlezeichnungen,  und  die  Herausarbeitung 
der  entscheidenden  hellen  aus  den  dunklen  Partien  be- 
sonders in  den  Gemälden  zur  Geltung;  in  beiden  aber 
die  Kunst,  das  Optische  in  den  Dienst  des  Geistigen  zu 
stellen.  Dort  wie  hier  zeigt  namentlich  ein  hl.  Paulus 
die  Wirkungen  innerer  Kämpfe  auf  die  Gesichtszüge. 
Sambergers  Bildnisse  zahlreicher  Maler,  zumal  aus  Mün- 
chen, sind  sozusagen  kunstgeschichtliche  .\kten;  Priester- 
porträts (Erzbischof  von  Ahert,  P.  Gietmann)  reihen  sich 
an;  seine  Frauenporträts  zeigen  Schlichtheit  und  Indivi- 


BERLINER  KUNSTBRIEF 


dualität  nicht  in  dem  reinen  Maße,  wie  die  männlichen. 
So  lernten  wir  den  Meister  in  der  März-Ausstellung 
des  Salons  Schulte  kennen,  sehr  zu  Ungunsten  des 
berühmten  Aristokratenmalers  Philipp  A.  Läszlö  (aus 
Budapest,  in  London)  und  noch  mehr  von  Ferd. 
Dorsch,  die  beide  daneben  Portrats  zeigten.  Der  letztere 
kommt  in  Betracht  für  .^rchitekturbilder  und  tülirt  uns 
mit  seinen  Interieurstimmungen  zur  Derbheitsmode.  Sie 
wirkt  günstiger  in  den  kräftigen  Lichtern,  die  Hans 
V.Bartels  auf  seinen  Landmädchen  glänzen  läßt,  und 
in  den  prunkenden  Stilleben  von  L.  Adam  Kunz. 
Weniger  forciert  als  der  >  Rauch  und  Dunst  <  oder  dgl.  von 
Rudolf  Hellwag  erscheinen  die  sinnigen  Landschafts- 
stimmungen des  früher  in  Worpswede  und  jetzt  bei 
Bremen  schaffenden  Fritz  O  verbeck,  der  z.B.  dyrch 
Hineinstimmung  von  Blau  in  Grün  erfreut.  Ob  des 
guten  Arrangements  von  Gouachebildern  sei  Hans 
Bohr  dt  genannt.  Dagegen  kehren  wir  zu  einer  intimen 
Porträtkunst  zurück  vor  den  Büsten  von  Ferd.  See- 
böck,  unter  denen  neben  der  Doppelstatue  des  badi- 
schen Großherzogspaares  die  von  Pius  X.  und  von  Ge- 
lehrten wie  Schell  hervorgehoben  seien. 

Unter  den  bei  Schulte  vorher  veranstalteten  Aus- 
stellungen war  die  Kollektion  Fritz  v.  Uhde  gegen- 
über der  Münchener  um  einige  Gemälde  vermehrt.  Das 
Vorwort  des  Kataloges  sagte,  der  Künstler  habe  im  Rahmen 
der  jüngsten  Evolution  >fast  als  einziger  die  Idee  hoch- 
gehalten, daß  die  Kunst  sich  nicht  nur  an  die  Augen, 
sondern  auch  an  die  Seelen  zu  wenden  habe«  usw.; 
wobei  wir  überdies  erfaliren,  daß  die  »geistige  Persön- 
lichkeit des  Begründers  der  christlichen  Religion  und 
Weltanschauung«  »im  Streite  der  Meinungen  ganz  in 
den  Hintergrund  gedrängt«  sei.  Doch  auch  wer  nicht 
in  diesem  Sinne  die  jetzige  Pflege  der  christlichen  Kunst 
von  Uhde  abhängig  sieht,  konnte  sich  an  mancher 
innigen  Weltlichkeit  seiner  Gemälde  erfreuen,  am  meisten 
etwa  an  den  schlichten  Darstellungen  aus  der  Tobias- 
legende. 

Vielleicht  um  eine  Spur  weniger  weltlich  sind  einige 
Gemälde  religiösen  Inhaltes  aus  einer  Kollektion  Walter 
Firle:  so  Maria  mit  Engeln,  ein  über  das  Interesse  an 
Licht  und  an  Farben  sowie  an  Süßigkeit  ein  wenig 
hinausreichendes  Bild;  so  auch  eine  Kreuzabnahme  mit 
einem  tiefergehenden,  menschlichen  Schmerzausdruck, 
deren  Virtuosität  in  den  Verkürzungen  u.  dgl.  nicht  eben  po- 
siert ist.  Einen  Eindruck  aus  der  vorjahrigen  »Großen« 
hat  R.  Seuffert  günstig  fortgesetzt  durch  zwei  Kreuz- 
wegstationen :  die  Begegnung  Christi|  mit  den  Frauen 
und  mit  seiner  Mutter.  Mit  einem  modernisierten  Alt- 
deutsch malt  der  zu  Hamburg  geborene  Münchener 
Walter  Geffcken  u.  a.  eine  Madonna  im  Rosenhag 
und  einen  hl.  Lukas. 

Jüngstverstorbene,  denen  bei  Schulte  die  Ehre  einer 
Nachlaßausstellung  zuteil  wurde,  waren  G  H.Kotschen- 
reiter,  der  wohl  nur  wegen  einiger  Interieurbilder  zu 
nennen  ist,  und  der  bekannte  Bildhauer  H.  Magnussen. 
Mitten  in  gegenwärtiges  Leben,  zumal  Englands,  führte 
H.  Herkomer;  neben  Porträts  kam  die  »Jury  der  Royal 
Academy«,  deren  virtuose  Darstellung  aber  wenigstens  in 
der  Erinnerung  an  die  Kunstrichter  des  Dänen  Ancher 
einen  etwas  künstlichen  Eindruck  machte.  Sonstige 
Porträtisten  sind  kaum  aufzuzählen,  zumal  ihre  Aufnahme 
gerade  in  diesen  Salon  sehr  vom  Modellinteresse  abhängt; 
uns  mag  dieses  nahelegen,  das  Porträt  der  Äbtissin  des 
Trinitarierordens  von  Hedda  Stauffregen  zu  nennen. 
Landschaften  mit  viel  Vereinfachungsflächen  und  Grün- 
Spielerei  u.  dgl.,  dann  Interieurs  mit  virtuosen  Durch- 
blicken sind  hier  so  zahlreich  wie  anderswo.  Unter  den 
Kleinplastiken  erwähnen  wir  die  Marmorgruppe  von 
Alfred  Reichel   »Gebet  dem  Kaiser.  .  .«. 

In  dem  besonders  der  lokalen  Kunst  dienenden 
Künstlerhaus    überraschte   vor   allem    Fritz    Kunz. 


In  die  stark  flächig- dekorative  Art  seiner  meisten  Bilder 
muß  man  sich  erst  hineingewöhnen;  dann  aber  fühlt 
man,  welche  außerordentliche  seelische  Kraft  z.  B.  in 
seinem  als  »Der  Morgen«  bezeichneten  Jünglingsakte 
steckt,  der  mit  geschlossenen  Augen  die  Arme  dem 
Licht  entgegenbreitet,  und  freut  sich  auch  solcher  Dar- 
stellungen wie  »St. Johannes«,  -Die  Krämerin«,  »Brunnenc, 
Die  übrigen  »Wanderer«,  mit  denen  er  zusammen  aus 
München  kam,  verdienen  wenigstens  eine  Gesamt-Er- 
wähnung. 

Gleichzeitig  gab  es  von  Fritz  Ruppert  eine  Pietd  zu 
sehen.  Sie  zeigt  in  einer  Felsengrotte,  die  den  düsteren 
Himmel  durchblicken  läßt,  mit  grünlich  blauer  Gesamt- 
stimmung den  ausgestreckten  Leichnam  im  Profil,  den 
Brustkorb  stark  vorgewölbt,  und  an  seiner  Seite  Maria  mit 
tief  schmerzhaftem,  an  die  Hände  gelehntem  Gesicht. 
Vorher  sahen  wir  von  G.  Ad  Closs  kleine  Gemälde, 
die  in  gut  gestimmter  Landschaft  die  Heiligen  Hubertus, 
Martin  und  (vor  einem  Heere)  Michael  zeigen.  Daneben 
wieder  mancherlei  Porträts  und  Landschaften,  deren 
Urhebernamen  in  unseren  engen  Zeilen  nicht  mehr  den 
verdienten  Platz  finden.  Anderseits  verdiente  eine  noch- 
malige Nennung  der  bekannte  Dresdener  Richard 
Müller  ob  seiner  Graphica,  deren  Virtuosität  mit  Vorliebe 
ruinösen  Objekten  zugute  kommt. 

Auch  zwei  Jüngstverstorbene  wurden  in  Kollektionen 
vorgeführt.  Alexander  Zick  fand  eine  Fortsetzung  des 
ihm  auf  der  »Großen«  1908  bereiteten  Gedenkens.  Neben 
seinen  ausgeführten  Gemälden,  die  mehr  Hell  und  Dunkel 
zeigen,  als  Farbe,  interessieren  seine  lebhaft  gehaltenen 
Skizzen,  die  zum  Teil  dekorativer  Vorhangskunst  u.  dgl. 
gelten.  Gloria-Engel  an  der  Krippe  verdienen  Voran- 
stellung. Dazu  kamen  mancherlei  Engel,  Mütter,  Kinder, 
ein  Tod  beim  Nachtwächter,  liebliche  Märchenstimmungen 
—  insgesamt  mit  einiger  Süßlichkeit.  Alexander 
Seh midt-M icheisen  scheint  bereits  viel  Beliebtheit 
erreicht  zu  haben,  wie  die  Herkunft  vieler  ausgestellter 
Bilder  aus  den  verschiedensten  Galerien  zeigte.  In  fleckiger 
Malweise  suchen  sie  Schloßlandschaften  u.  dgl.  darzu- 
stellen. Seine  letzte  Arbeit  war  ein  sonniges  Bild  aus 
Ueberlingen. 

Bereits  1891  gestorben,  verdiente  doch  der  Franzose 
A.  Theodule  Ribot  eine  Art  Nachlaßkollektion.  Von 
seinen  religiösen  Gemälden  bekamen  wir  hier  nur  eine 
kleine  Kreuzabnahme,  die  kaum  über  eine  Beleuchtungs- 
skizze hinausgeht ;  dagegen  zahlreiche  Porträts,  äußerlich 
an  Riberas  Schule  erinnernd.  Gleichzeitig  (Februar) 
stellte  sich  ein  neuer  »Club  Berliner  Landschafter« 
vor.  SieHebenmeist(H.  Klohss'  Aquarelle  ausgenommen) 
eine  derbpinselige  Behandlung  von  Hafengrau  u.  dgl. 
Neben  den  Bekannteren  H.  Hart  ig,  A,  Liedtke  und 
L-  Sandrock  nennen  wir  Ernst  Kolbes  Darstel- 
lungen von  Interieurs  und  von  der  Kirche  auf  Sylt,  die 
sozusagen  den  Lichtinhalt  der  Objekte  forcieren,  und 
freudiger  Karl  Wendel,  dessen  »Fliegende  Netze  im 
Abendwind«  eine  hübsche  Verarbeitung  von  Braun  und 
Lila  sind. 

Zuletzt  kamen  nochmal  zwei  Nachlaß-Ausstellungen: 
Gust.  Pflugradts  zarte,  farbenweiche  Landschaften 
und  Georg  Barlösius'  illustrativ-graphische  Stücke, 
die  mit  ihren  Stadt-  und  Kircheninterieurs  sowie  mit 
ihren  tableauähnlichen  Kompositionen  so  gut  in  alt- 
deutsche Stimmung  hineinführen.  Daneben  der  bekannte 
Reiz  von  Landschaften  Ludw.  Dills  und  endlich  die  so 
recht  das  eine  im  Mannigfaltigen  darstellenden  Land- 
schaften des  Dachauers  Ad.  Hölzel.  Der  Künstler 
brachte  auch  eine  »Anbetung«,  die  mit  hieratischer,  doch 
etwas  derb  dekorativer  Neigung  Maria  samt  dem  Kind 
und  zwei  Engeln  vorführt,  und  stellte  auch  »farbige 
Entwürfe  für dekorativeZwecke«  aus,  die  eine  Beweinung, 
eine  Bekehrung  und  mehrere  Anbetungen  in  einer  noch 
undeutlichen  Skizzenhaftigkeit  zeigen.  (Schluß  folgt) 


LICHTBILDERVORTRÄGE  —  KATALOGE  DES  BAYERISCHEN  NATIONALMUSEUMS 


LICHTBILD  VORTRÄGE  ÜBER 
CHRISTLICHE  KUNST 

An  guten  Leistungen  christlicherKunstauchinneuererZeit 

fehlt  es  nicht;  de.sto  mehr  an  ihrer  Kenntnis  in  weiteren 
Kreisen.  Längst  ist  das  Lichtbild  und  der  dieses  erläu- 
ternde Vortrag  in  den  Dienst  der  Kunstbelehrung  gestellt 
worden,  meist  ledoch  nur  zugunsten  der  Prol'ankunst. 
Doch  haben  sich  auch  einige  Kenner  und  Freunde  der 
christhchen  Kunst  der  Propaganda  für  sie  gewidmet. 
Seit  einiger  Zeit  hat  sich  ihnen  unser  Berliner  Slitarbeiter 
Dr.  Hans  Sclimidkunz  zugesellt. 

Dem  Vortragenden  kommt  es  hauptsächlich  darauf 
an,  e  i  n  e  r  s  e  i  t  s  den  Gegensatz  einer  im  eigentlichen  Sinne 
religiösen  gegen  sonstige  Kunst,  sowie  gegen  eine  nur 
scheinbar  religiöse  Kunst,  anderseits  den  Gegensatz 
einer  wahrhaft  künstlerischen  religiösen  Kunst  gegen  die 
vielbeklagte  teils  süßliche,  teils  rohe  Richtung  zu  betonen. 
Dabei  soll  gewöhnlich  eine  Beschränkung  auf  die  Zeit 
seit  Beginn  des  19.  Jahrhunderts,  also  seit  dem 
den  Indifferentismus  des  18.  Jahrhunderts  überwinden- 
den .\ufschwunge  des  religiösen  Lebens,  stattfinden, 
mit  Umfassung  sämtlicher  bildenden  Künste  und  mit 
besonderem  Nachdruck  auf  die  noch  wenig  bekannten 
neuesten  Bestrebungen. 

Der  \'ortragende  bevorzugt  Zyklen  von  mehreren  Vor- 
trägen, entsprechend  dem  großen  Umfange  selbst  nur 
der  neueren  religiösen  Kunst,  und  ist  auf  Wunsch  auch 
zu  einer  Erweiterung  des  Gebietes  auf  frühere,  nament- 
lich deutsche  Kunst,  bereit.  Örtliche  und  landschaft- 
liche Besonderheiten  mit  jeweiliger  .■\npassung  an  den 
Hörerkreis  sollen  berücksichtigt  werden. 

Die  Vorträge  befleißen  sich,  wo  nicht  reine  Fach- 
interessen in  Betracht  kommen,  einer  gemeinverständ- 
lichen Fassung;  sie  bemühen  sich,  in  Gehalt  und  Sprache 
der  Kunstwerke  bildend  einzuführen.  —  Für  die  hohen 
Festzeiten  werden  eigene  Bilderreihen  zusammenge- 
stellt, so  für  I.Weihnachten  (samt  Neujahr  und  Epiphanie), 
2.  Ostern,  3.  Pfingsten  samt  anschließenden  Festen). 
Gegebenenfalls  kommen  auch  sonstige,  namentlich  >ikono- 
graphische«,  Spezialthemen  zur  Behandlung;  beispiels- 
weise  »Die  Gottesmutter  in  der  neueren  Kunst«. 

Ein  Verzeichnis  der  vorzuführenden  neueren  Künstler 
und  Auskunft  über  alles  Nähere  gibt  Dr.  Hans  Schmid- 
kunz  (Postadresse :  Berlin-Halensee). 

Ist  die  ältere  reUgiöse  Kunst  als  Hauptbestandteil  der 
älteren  Kunst  überhaupt  verhältnismäßig  gut  bekannt 
und  auch  leicht  zugänglich,  so  handelt  es  sich  dagegen 
hier  um  einen  neuen  und  für  die  christliche  Kunst  der 
Gegenwart  nicht  unwichtigen  Versuch,  dessen  Schwierig- 
keit und  Kosten  zugleich  den  Wunsch  rechtfertigen, 
diesen  Bemühungen  sowohl  im  Interesse  der  Sache  selbst 
wie  auch  der  verschiedenen  Vortragsvereine  u.  dgl.  ent- 
sprechend entgegenzukommen. 


DIE  KATALOGE  DES  BAYERISCHEN 
NATIONALMUSEUMS 

Won  dem  Gedanken  ausgehend,  daß  das  Bayerische 
Nationalmuseum  keine  tote  Ausstellung  sein  soll,  die 
von  Tausenden  oberflächhch  betrachtet  wird,  sondern 
eine  lebensvolle  VVerkstatte  des  Studiums,  der  Bildung 
und  geistigen  Anregung,  hat  schon  der  bekannte  Kultur- 
historiker Wilhelm  Heinrich  von  Riehl  es  als  eine  der 
wichtigsten  Aulgaben  dieses  vaterländischen  Instituts  er- 
kannt, die  reichen  Sammlungsschätze  durch  Kataloge 
den  Forschem,  Künstlern,  Kunst-  und  Geschichtsfreun- 
den zu  erschließen. 

Im  Laufe  von  rund  20  Jahren  sind  zehn  Bände  des 
Kataloges   erschienen.     Band  I   (1887),   bearbeitet   von 


Josef  Alois  Mayer,  bildet  den  Katalog  der  Büchersamm- 
lung; Band  II  (1887),  ebenfalls  von  J.  A.  Mayer  verfaßt, 
behandelt  die  » .-Abbildungen  und  Handzeichnungen  zur 
Kultur-  und  Kunstgeschichte  Baverns«;  Band  III  (1896), 
von  demselben  Verfasser  >Die  Abbildungen  und  Hand- 
zeichnungen zur  Allgemeinen  Kultur-  und  Kunstge- 
schichte; Band  IV,  die  vorgeschichtlichen,  römischen 
und  merovingischen  Altertümer,  wurde  bearbeitet  von 
Dr.  Georg  Hager  und  J.  A.  Maver.  Er  zeichnete  sich 
durch  die  für  seine  Zeit  besonders  reiche  bildliche  Aus- 
stattung durch  27  Tafeln  mit  mehr  als  550  Abbildungen 
aus.  Mit  Band  V  (1890)  und  Band  VI  (1896)  setzte  die 
Bearbeitung  der  reichen  Bestände  der  Sammlung  an 
mittelalterUchen  Kunstwerken  ein.  Band  V,  welcher  die 
»Romanischen  Altertümer«  umfaßt,  wurde  herausgegeben 
von  Dr.  Hugo  Graf  Seine  illustrative  .\usstattung  mit 
112  .\bbildungen  auf  i;  Tafeln  gibt  ein  gutes  Bild  von 
dem  Werte  und  dem  Reichtum  des  .Museums  an  früh- 
mittelalterlichen Architekturteilen,  figürlichen  Bildwerken 
und  Kleingeräten,  namentlich  Metallarbeiten. 

Die  Saramlungsschätze  an  gotischen  Altertümern,  die 
zu  dem  stolzesten  Besitz  des  Museums  zählen,  sind  so 
außerordentlich  zahlreich,  daß  eine  Teilung  des  Materials 
sich  als  notwendig  ergab. 

Band  VI  umfaßt  nur  die  »Gotischen  Altertümer  der 
Baukunst  und  Bildnerei«.  Er  wurde  bearbeitet  von  Dr.  Hugo 
Graf,  Dr.  Georg  Hager  und  J.  A.  Mayer.  Auf  29  Licht- 
drucktafeln sind  rund  350  Abbildungen,  also  etwa  ein 
\'iertel  der  Bildwerke  in  größtenteifs  genügend  großen 
Reproduktionen  gegeben.  Die  Veröffentlichung  der  übri- 
gen gotischen  .■Mtertümer,  .Möbel,  Geräte  und  Klein- 
kunst ist  einem  eigenen  Kataloge  zugedacht. 

Durch  die  Schaffung  des  Neubaues,  die  Xeuaufstel- 
lung  der  Sammlungen  und  die  damit  zusammenhängen- 
den Verwaltungsgeschäfte  trat  ein  mehrjähriger  Stillstand 
in  den  Katalogsärbeiten  ein. 

Erst  1907  wurde  unter  dem  stellvertretenden  Direktor 
Dr.  Georg  Hager  die  Pubhkation  der  Kataloge  wieder 
energisch  betrieben.  Im  Frühjahr  1908  konnten  zwei 
Bände  erscheinen:  Band  \'1I,  die  Altertümer  des  bürger- 
lichen und  Strafrechts  behandelnd,  noch  unter  der  früheren 
Direktion  vorbereitet,  verfaßt  von  Dr.  W.  .M.  Schniid,  mit 
86  Textabbildungen  ausgestattet;  Band  VIII,  den  Ge- 
mäldekatalog bildend,  bearbeitet  von  Professor  D.  K. 
Voll,  Dr.  Buchheit  und  Dr.  H.  Braune,  mit  85  Abbil- 
dungen mit  75  Tafeln.  Im  Juli  1908  wurde  als  Band  IX 
der  »Katalog  der  Glasgemälde«  ausgegeben,  verfaßt  von 
Dr.  Johannes  Schinnerer,  ausgestattet  mit  40  Kunstdruck- 
tafeln. Im  Oktober  1908  endlich  folgte  Band  X,  wel- 
cher das  europäische  Porzellan  enthält.  Bearbeitet  von 
Dr.  Friedrich  H.  Hofmann,  gibt  dieser  neue  Prachtband 
ein  anschauliches  Bild  von  dem  reichen  Bestand  der  Por- 
zellanfachsammlung des  Museums;  72  .Abbildungstafeln, 
100  Textabbildungen  und  fünf  Markentafeln  illustrieren 
den  Text.  Unter  der  Presse  ist  Band  XI,  ein  Reper- 
torium  der  Wittelsbacensis,  d.  h.  eine  Übersicht  über 
alle  im  Museum  befindlichen  Denkmäler  und  Erinne- 
rungen des  wittelsbachisclien  Herrscherhauses,  geordnet 
nach  den  Linien  des  Fürstenhauses  und  innerhalb  dieser 
nach  den  regierenden  Fürsten.  In  Vorbereitung  ist  ferner 
ein  Katalog   der  Miniaturen   des  16. — 18.  Jahrhunderts. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Bildhauer  Karl  Fuchs  in  .München  vollendete  vor 
den  Kartagen  ein  »heiliges  Grab«  :  Christus  im  Grab, 
darüber  zur  .\ussetzung  des  Allerheiligsten  in  der  auf 
dem  versiegelten  Buch  ruhenden  Monstranz  ein  Strahlen- 
kranz mit  Fngelköpfchen,  ferner  zu  beiden  Seiten  je  ein 
kniender  Engel  in  betender  Haltung.  Die  Figuren  sind 
vollrund  in  Holz.    Das  Werk  fand  beim  Besteller,  Stadt- 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  —  BUCHERSCHAU  —  PIONIER 


pfarrer  Dr.  Leitner  an  Maria-Ramersdorf  (München)  und 
bei  der  Gemeinde  vollen  Beifall. 

Vatikanische  Pinakothek.  Die  Gemälde  des 
Vatikans  wurden  im  März  in  einer  neueingerichteten 
Pinakothek  übersichtlich  und  wirksam  untergebracht. 
Die  überaus  kostbare  Sammlung  füllt  sieben  Säle  im 
Cortile  del  Belvedere ;  sie  ist  leicht  erreichbar. 

Baden-Baden.  Die  Eröffnung  der  neuen  Kunsthalle 
erfolgte  am  5.  April  mit  der  Eröffnung  einer  deutschen 
Kunstausstellung. 

Die  Bildhauerschule  Hans  Sc hwegerle  in 
München  beginnt  am  i.Mai  und  endigt  am  i.  August. 
Es  soll  in  diesem  Semester  auch  das  Studium  von  Tieren, 
wie  Pferde  usw.  ermöglicht  werden. 

Medaillenkunst.  Das  Kgl.  Münzkabinett  in  Mün- 
chen erwarb  jüngst  sieben  Originalarbeiten  (Schaumün- 
zen, Medaillen)  von  Hans  Schwegerle. 

Frühjahrausstellung  der  Münchener  Sezes- 
sion im  Kgl.  Kunstausstellungsgebäude  am 
Königsplatze.  —  Aus  der  Kollektion  Rudolf  Wilke  f 
(München)  wurden  für  die  Königliche  National-Galerie 
in  Berlin  folgende  Handzeichnungen  erworben:  »Das 
Verhör«,  >Spiesser<,  >Sittlichkeitsvergehen«,  >Zum  Preise 
des  Höchsten«,  »Ein  Pensionat«,  »Naturschwärmer«, 
»Ein  Entschluß«.  —  Für  die  Sezessionsgalerie  wurde 
angekauft  die  Handzeichnung:  »Betonarbeiter«  von  Hans 
von  Hayek  in  Dachau.  —  Verkäufe  an  Private ;  Angerer, 
Max,  Schwaz  (Tirol),  »Tiroler  Bauernhaus«,  Ölgemälde; 
Grom-Rottmayer,  Hermann,  Wien,  »Aktstudie«,  Ölge- 
mälde; Habermann,  Hugo  Freiherr  von,  München,  »Weib- 
liche Zeichnung  auf  schwarzem  Grund«  ;  Meyer-Basel, 
Carl  Theodor,  Münclien,  »Dämmerung«,  Radierung  und 
»Ein  Rahmen  mit  zwei  Radierungen« ;  l^iegel,  Theodor  J., 
München,  »Die  große  Traube  vom  Lande  Kanaan«, 
Tempera;  Schwedeier,  Constance,  Paris,  »Nationalfest 
in  der  Bretagne«,  Ölgemälde;  Wieland,  Hans  Beat,  Mün- 
chen, »Bach  im  Schnee«,  Ölgemälde;  Wolff,  Eugen, 
München,  »Interieur  D«,  Ölgemälde  und  aus  der  Kollek- 
tion H.  Braun  t  (Karlsruhe)  weitere  vier  Handzeichnungen: 
»Alte  Gasse  in  Hamburg«,  »Zwei  alte  Häuser«,  »Bi- 
bliothek«,  »Hinterhäuser«. 


BUCHERSCHAU 

Meister  der  Farbe.  Europäische  Kunst  der  Gegen- 
wart in  farbigen  Reproduktionen.  Abonnementspreis 
für  12  Monatshefte  24  M.  Einzelheft  3  M.  Verlag  E.  A. 
Seemann,  Leipzig.  Nr.  54  -  60  (Heft  VI — XII  des  Jahr- 
gangs  1908). 

In  den  Galerien  kann  man  die  Kunst  der  Gegenwart 
nicht  annähernd  vollständig  studieren;  will  man  sie  richtig 
verfolgen,  so  bedarf  es  vieler  Ausstellungs-  und  Atelier- 
besuche. Hierzu  haben  die  wenigsten  Kunstfreunde  Zeit 
und  Gelegenheit,  alle  übrigen  müssen  sich  vielfach  mit 
dem  Studium  von  Reproduktionen  begnügen.  Für  die 
Profankunst  der  Gegenwart  tut  obige  Publikation  mit 
ihren  schönen  Blättern  gute  Dienste.  Wir  finden  je  zwei 
Bilder  von  Schwind  und  Uhde,  Landschaften  von  Rüdis- 
ühli,  Paul  Thiem,  Koväcs,  Kasparides,  Benno  Becker, 
Bröl<er,  Calame,  Brände),  Menzel,  Thoma  u.  a.,  ein  Strand- 
bild von  Lavery,  ein  Genre  von  Mac  Even.  Heft  X  ist 
dem  Neoimpressionismus  gewidmet,  den  der  Verfasser 
des  einführenden  Textes  jals  ein  quasi  erstes  Wort,  als  den 
Anfang  einer  fruchtbaren  Entwicklungsreihe  c  betrachtet. 

Klassiker    der    Kunst     in    Gesamtausgaben. 


13.  Band:  Van  Dyck.  Des  Meisters  Gemälde  in  557  Ab- 
bildungen. Herausgegeben  von  Emil  Schaeffer.  Gebunden 
M.  15. —  (Stuttgart,  Deutsche  Verlags-Anstalt). 

Das  Lebenswerk  Van  Dycks  lockt,  ja  nötigt  zu  Ver- 
gleichen mit  seinem  gewaltigen  Lehrer  und  dem  größten 
Meister  Venedigs,  auch  mit  der  Bildniskunst  des  Velasquez. 
Der  Vergleich  zeigt  so  recht  augenscheinlich,  daß,  wie 
Emil  Schäffer  bemerkt,  »die  geistige  Potenz  eines  Künstlers 
bei  der  Gestaltung  eines  Vorwurfs  doch  schwerer  ins  Ge- 
wicht fällt,  als  die  Ästhetiker  des  Tages  zugeben«.  Als 
»Maler«  im  engeren  Sinn  stets  bewunderungswürdig, 
bleibt  van  Dyck  hinter  Rubens  und  Tizian  um  so  weiter 
zurück,  je  höher  die  Anforderungen  gehen,  die  ein  Thema 
an  das  innerste  Empfinden  und  an  erhabenen  Seelenflug 
stellt.  In  den  meisten  seiner  religiösen  Darstellungen 
bleibt  die  innere  Empfindung  hinter  äußeren  Gebärden 
und  einer  sinnlich  wohlgefälligen  Malerei  zurück  und 
auch  seine  glänzend  gemalten,  stets  eleganten  Porträts 
dringen  nicht  über  die  äußere  Erscheinung  der  Darge- 
stellten in  die  Tiefen  des  Charakters  vor.  Den  Höhe- 
punkt seiner  Bildniskunst  bilden  die  in  Italien  gemalten 
Porträts.  Zu  den  Großen  wird  übrigens  Van  Dyck  immer 
zählen  und  sein  Einfluß  war  in  der  englischen  und 
französischen  Malerei  des  17.  und  18.  Jahrhunderts 
groß.  Man  wird  immer  wieder  gern  in  der  oben  an- 
gezeigten Publikation  blättern.  Aigner 

Fritz  von  Uhde.  Eine  Kunstgabe  für  das  deutsche 
Volk.  Mit  einem  Geleitwort  von  Alexander  Troll. 
Herausgegeben  von  der  Freien  Lehrervereinigung  für 
Kunstpflege.  Preis  geheftet  i  M.  —  Verlag  von  Jos. 
Scholz  in  Mainz. 

Das  Heftchen  enthält  16  Vollbilder  nach  Werken 
Fritz  von  Uhdes  und  zwei  Skizzen.  Es  bezweckt,  den 
Künstler  anläßlich  seines  60.  Geburtstages  zu  ehren  und 
seine  Bilder  im  Volk  bekannt  zu  machen.  Die  Repro- 
duktionen lassen  größtenteils  zu  wünschen  übrig.  So 
lobenswert  das  Streben  ist,  die  Kunst  ins  Volk  zu  bringen, 
so  darf  doch  der  Wunsch,  recht  billige  Publikationen 
herzustellen,  nicht  von  der  noch  wichtigeren  Absicht  ab- 
lenken, lieber  weniger,  aber  nur  ganz  Gutes  zu  bieten.    S. 

Die  Katakombenheiligen  der  Schweiz.  Ein 
Beitrag  zur  Kultur-  und  Kirchengeschichte  der  letzten 
drei  Jahrhunderte.  Von  E.  A.  Stückelberg,  Professor  an 
der  Universität  Basel.  Jos.  Kösel,  Kempten  und  Mün- 
chen.    Preis  brosch.  2.50  M. 

Der  gelehrte  Verfasser  hat  sich  schon  mehrfach  um 
die  Hagiographie  verdient  gemacht.  In  vorliegender 
Arbeit  (Oktav  IV  und  20  S.),  die  ein  Titelkupfer  und 
sieben  Tafeln  .\bbildungen  zieren,  bietet  er  eine  Zu- 
sammenstellung der  vielen  Katakombenheihgen,  deren 
Leiber  und  Reliquien  seit  dem  17.  Jahrhundert  in  der 
Schweiz  verehrt  wurden.  Kulturhistoriker  und  Hagio- 
graphen  finden  hier  manch  wertvollen  Fingerzeig. 


DER  PIONIER 

MONATSBLATTER   FÜR   CHRISTLICHE   KUNST. 

Jahresabonnement  inkl.  Frankozustellung  M.  3. — . 
Inhalt  des  8.  Heftes: 

Meine  Bemuliungen  um  moderne  Grabdenkmäler. 
Von  Anton  Wenig.  —  Wie  man  Kunstsammlungen  be- 
sucht. Von  Dr.  Hans  Schmidkunz.  —  Zur  kirchlichen 
Denkmalkunde.  —  Künstlerisches  Sehen.  —  Anregungen 
und  Mitteilungen:  Statisrik  der  Neuerwerbungen  für  Kir- 
chen;   Restaurieren;    Wanderausstellungen     —  6  Abb. 

Redaktionsschluß:   15.  April. 


BEILAGE 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Der  Verfasser  des  Artikels  über  den  Zyklus  von  Wand- 
gemälden aus  dem  Leben  des  hl.  Thomas  von  Aquin 
in  der  Dominikanerkirche  zu  Regensburg,  kgl.  Lyzeal- 
professor  Dr.  J.  A.  Endres,  daselbst,  wäre  für  den  Hin- 
weis auf  bestehende  Thomaszyklen  dankbar. 

Mit  den  in  dieser  Beilage  reproduzierten  Arbeiten 
schließen  wir  die  im  ersten  Heft  (Text  s.  S.  7  der  Beil.) 
begonnene  Serie  von  Grabmalentwürfen  junger  Künst- 
ler ab.  Wir  werden  eine  andere  Serie  zu  gelegener 
Zeit  veröffentlichen. 

Köln.  Der  Kunstverein  gab  im  März  neben  anderem 
Unbedeutenden  mehrere  Bilder  von  J.  Bretz  (Düsseldorf), 
großzügig  vereinfacht,  und  zwei  sehr  feine  Winterstim- 
mungen von  M.  Ciarenbach,  von  denen  das  Wallraf- 
Richartz-Museum  eine  erwarb.  Ferner  kaufte  es  dort 
aus  einer  Kollektion  Trübner  das  Selbstbildnis  des  Künst- 
lers als  Einjähriger,  und  aus  einer  Sonderausstellung  von 
K.  Weiss  (Berlin)  ein  farbenprächtiges  Stilleben  und  ein 
zweites,  dekorativ  nicht  minder  hervorragendes  Werk,  das 
Bild  der  Tochter  des  Malers.  —  Schulte  hatte  zunächst  eine 
Sammlung  von  MaxThedv,  tvpischeMünchnerBilder,  und 
um  deren  wenig  erfreulichen  Eindruck  wieder  wett  zu 
machen,  fügte  er  noch  eine  Anzahl  Werke  R.  Siecks  hinzu. 
Nicht  höher  anzusetzen  war  die  Ausstellung,  die  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Monats  auf  eine  Kollektion  geschmack- 
voller Kostümbilder  des  Parisers  A.  de  la  Gandara  folgte, 
manche  ganz  lustige  Bilder  A.  Hengelers,  leider  zum  großen 
Teile  etwas  sehr  fabrikmäßig  hergestellt,  dann  mehrere 
Landschaften  R.Kaisers   und   endhch   einige  Bilder  von 

Tbeod.    Winter.  Dr.  H.  Reioers 


Barmen.  Der  Kunstverein  versendet  soeben 
Jahresbericht,  der  uns  beweist,  welchen  erfreu- 
hchen  Aufschwung  auch  im  letzten  Jahre  der 
Verein  unter  dem  neuen  Regime  genom- 
men hat.  Von  den  Ausstellungen  war  die 
interessanteste  jene,  die  uns  die  altbergische 
Innenkunst  kennen  lehrte  und  bekannt  machte 
mit  den  modernen  Kunstwerken  aus  Barmer 
Privatbesitz.  Über  die  Ausstellung  wurde 
bereits  ausführlich  berichtet  (Jg.  1909,  Nr.  i). 
In  Sonderausstellungen  waren  außerdem  im 
Laufe  des  Jahres  vertreten  Charles  Palmie- 
München,  Eugen  Kampf- Düsseldorf,  Oskar 
Zwintscher-Dresden,  S.  Moulyn-Laren,  Eduard 
Jakobs-Laren,  Walter  Ophey-Düsseldorf,  Ernst 
te  Peerdt-Düsseldorf,  Martin  Brandenberg  und 
Hans  Baluscheck-Berlin,  H.  von  Zügel,  ferner 
die  Düsseldorfer  Künstlerverbindung  Xiedcr- 
rhein  und  die  Freie  Vereinigung  Darmstädter 
Künstler.  Als  neue  Werke  wurden  für  die 
Galerie  erworben:  Oskar  Zwintschers  »Me- 
lodie«, ein  Stilleben  von  Charles  .Schuch, 
>Stille  Mondnacht«  von  J.  G.  DrcydürfT,  »Pfau- 
en im  Schnee«  von  R.  Schramm-Zittau  und 
die  beiden  Bronzen  Max  KUngers  »Salome« 
und  »DieBadende«.  Die  Besucherzahl  der  Aus- 
stellungen ist  von  6085  des  Vorjahres  auf 
20867  gestiegen,  gewiß  ein  glänzender  Er- 
folg. Die  Mitgliederzahl  des  Vereins  betrug 
Ende  1908  1 149. 

Dan  zig.  In  den  Räumen  des  ehemali- 
gen Franziskanerklosters  (heute  Stadt-.Museuni) 
ist  die  39.  Kunstausstellung  veranstaltet, 
welche  dort  bis  zum  16.  Mai  verbleibt.  Der 
Katalog  weist  drei  Gruppen  auf:  Ölgemälde, 
Lithographien,  Plastiken.   Träger  der  Ausstel- 


lung ist  der  Kunstverein  zu  Danzig.  der  außer  zeitweiligen 
Samnielausstellungen  jedes  zweite  Jahr  eine  größere  Aus- 
stellung von  Werken  erster  Meister  veranstaltet.  In  diesem 
Jahre  haben  nicht  weniger  als  500  Künstler  ihre  Bild- 
werke zur  Ausstellung  gesandt,  so  daß  die  Leitung  der- 
selben keine  geringe  Mühe  hatte,  alles  am  geeigneten 
Platze  unterzubringen.  Der  Impressionismus  tritt  selbst- 
bewußt auf  und  sticht  ganz  auffällig  von  den  Erzeug- 
nissen älterer  Meister  ab.  Aufzahlreichen  Flächen  machen 
sich  lebhafte .  ja  grelle  Farbentöne  bemerkbar ,  und 
naturgemäß  überwiegen  Landschafts-  und  Stimmungs- 
bilder. Einige  Künstler  haben  aber  auch  Motive  gewählt, 
mit  denen  dem  Kunstsinn  wenig  gedient  ist.  Es  sei  nur 
an  Corinths  Gemälde:  »Geschlachtete  Schweine«  erin- 
nert. Man  sieht  zwar  an  einem  Querholze  einen  geöfi- 
neten  Tierleib  hängen;  aber  er  scheint  von  einem  Kalbe 
oder  jungen  Rinde  herzurühren.  Mögen  auch  die  Farben- 
töne der  Muskeln  und  namentlich  des  dunkeln  Blutes 
gut  getroffen  sein ;  zu  einer  Studie  eignet  sich  der  Vor- 
wurf wie  jeder  andere,  aber  als  Bild  wird  er  einen  gebil- 
deten Menschen  abstoßen,  und  darüber  hilft  auch  die 
vollendetste  Technik  nicht  hinweg.  Es  fehlt  nicht  an 
bedeutenden  Werken  auf  der  Ausstellung,  aber  auch  nicht 
an  schüchternen  Versuchen,  deren  weniger  glückliche 
\\'iedergabe  auch  dem  ungeübten  und  weniger  scharfen 
Blicke  auffällt.  Religiöse  Darstellungen  fehlen  fast  ganz. 
Wer  vieles  bringt,  wird  jedem  etwas  bringen,  und  so 
findet  auch  die  Danziger  Kunstausstellung  Verehrer  und 
Liebhaber,  wie  die  an  vielen  Gemälden  vorhandenen 
Zettel  mit  der  Aufschrift:  »Verkauft«  beweisen.  In  der 
zweiten  Abteilung  (Lithographien,  Radierungen,  Holz- 
schnitte, Hand-  und  farbige  Zeichnungen)  sind  insgesamt 
216  Werke  ausgestellt,  w-ährend  die  Plastiken  107  Gegen- 
stände umfassen.  Alle  bedeutenderen  Kunststätten  haben 
ihre  Erzeugnisse  hergesandt:  Dresden,  Berlin,  München, 
Düsseldorf,  Charlottenburg,  Breslau.    Selbstredend  fehlt 


LUDWIG  EBERLE 


GRABUALSKIZZE 


Das  Figürlickt  als  Maltrti  ^idacht 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 


LUDWIG  EBERLE 


F.imilirttcral, 


GRABMALENTWURF 
Koloidt'  s;c dacht 


LUDWIG  EBERLE 


GRABMALENTWURF 


Danzig  nicht,  und  auch  Ost-  und  Westpreußen  haben 
ihr  Bestes  zur  Ausstellung  geschickt,  die  sich  eines  be- 
friedigenden Besuches  erfreut.  Der  Kunstverein  Danzig 
kann  mit  der  diesmaligen  Ausstellung  zufrieden  sein  und 
wird  hoffentlich  die  großen  Unkosten,  welche  nun  ein- 
mal damit  verbunden  sind,  aus  dem  Eintrittsgelde  decken 
können.  H.  Minkowski 

München.  Professor  Martin  Feuerstein  voll- 
endete im  März  für  den  Antoniusaltar  der  neuen  Kirche 
zu  Haslach,  einem  Vorort  von  Freiburg  i.  Br.,  ein  Altar- 
gemälde. Es  schildert  den  hl.  Antonius  voti  Padua,  wie 
er  Brot  an  die  Armen  verteilt.  Der  Altar  wird  aus  Bei- 
trägen von  Wohltätern  errichtet,  die  selbst  der  Klasse 
der  mit  irdischen  Gütern  nicht  Gesegneten  angehören. 
—  Zu  gleicher  Zeit  lühnc  der  Künstler  das  erste  Gemälde 
eines  Zyklus  von  sechs  Bildern  für  Villingen  in  Baden,  die 
Vermählung  der  hl.  Jungfrau,  der  Vollendung  entgegen. 

Plakatkonkurrenz.  In  dem  Wettbewerb  für  ein 
Plakat  zur  Großen  Deutschen  Kunstausstellung  in  Wien 
1909  erhielt  M.üer  Friedricli  Wirnhier  den  I.Preis, 
Heinrich  Rettig  den  IL,  KonstantinKorzendörfer 
den  III.,  sämtliche  in  München. 

Kgl.  Akademie  der  bildenden  Künste  in  Mün- 
chen. In  München  wuide  1781  eine  kurlürstlii;lic  Schule 
für  Malerei,  Bildhauerei  und  Zeichnen  gegründet.  Sie 
wurde  am  13.  Mai  1808  zur  >K.  Akademie  der  bildenden 
Künste«  erhoben,  doch  mußten  größere  Räume  geschafien 
werden  und  deshalb  wurde  die  Lehrtätigkeit  der'Al;ademie 
erst  im  folgenden  Jahre  aufgenommen.  Jüngst  —  am 
13.  Mai  —  beging  die  Akademie  die  Feier  ihres  hundert- 


jährigen Bestehens.  Dem  Festakt  im  Kgl.  Odeon  wohnte 
S.  K.  H.  der  Prinzregent  mit  den  Mitghedern  des  Kgl. 
Hauses  bei.  Anläßlich  dieser  Feier  wurde  der  Akademie 
als  Lehr-  und  Bildungsanstalt  die  Eigenschaft  einer  Hoch- 
schule verliehen;  auch  erfolgte  eine  Reihe  von  Ordens- 
auszeichnungen. 

Neue  Kronleuchter.  Für  die  Kirche  in  Kneut- 
tingen  i.  Eis.  (bei  Metz)  fertigte  die  Kunstschlosserei  von 
Jos.  Frohnsbeck  (Franz  Frohnsbeck)  zwei  schmiedeiserne 
Kronleuchter  für  Gasbeleuchtung.  Sie  sind  im  Barock- 
stil sehr  reich  ornamentiert  und  haben  einen  Durchmesser 
von   5,50  m. 

Historienmaler  Ludwig  Thiersch  starb  in  der 
Nacht  auf  den  11.  Mai  zu  München  im  85.  Lebensjahre. 
Thiersch  studierte  an  der  Münchner  Akademie  zuerst 
Bildhauerei  unter  Schwanthaler,  ging  aber  später  zur 
Malerei  über  und  war  Schüler  von  H.  Heß,  Schnorr 
von  Carolsfeld  und  Schorn. 

Eine  neue  Serie  von  Andachtsbildchen  nach 
Gemälden  hauptsächlich  neuerer  Meister  ver- 
öffentlicht soeben  die  Gesellschalt  für  christhche  Kunst. 
Zusammen  mit  den  erst  unlängst  erschienenen  25  Dar- 
stellungen sind  nunmehr  50  Nummern  in  künstlerischem 
Vierfarbendruck  zur  Ausgabe  gelangt.  Preis  pro  Serie 
(25  Stück)  Mk.  I. — ,  pro  Hundert  Mk.  2.50.  In  Bezug 
auf  technische  Wiedergabe  stellen  die  Bilder  der  letzten 
Serie  mustergültige  Leistungen  dar.  -Ebenso  dürfte  die 
Wahl  allseits  gebilligt  werden. 

T r a u e r - A n d e n k e n  an  den  verstorbenen  Erz- 


BUCHERSCHAU 


45 


bischof  Dr.  Frz.  Jos.  von  Stein  hat  die  Gesellschaft 
für  christliche  Kunst  herausgegeben,  mit  denen  sie  zweifel- 
los die  hohe  Würde  des  Münchner  Oberhirten  geehrt 
hat.  Diese  Bilder  sind  eine  völlige  Neuerung  auf  dem 
Gebiete  der  Trauer-Andenken,  da  bei  deren  Herstellung 
die  neuesten  Fortschritte  der  Autotyp-Reproduktionstech- 
nik Verwertung  fanden.  Preis  pro  Stück  lo  Pfennig, 
pro  Hundert  i\lk.  5. — . 

Köln.  Das  Beste  der  letzten  Wochen  bietet  augen- 
blicklich Lenobel,  nämlich  eine  vorzügliche  Kollektion 
von  Karl-Hofer-Paris.  Sie  zeigt  uns  den  jüngsten  Stil 
dieses  außerordentlich  interessanten  und  eigenwilligen 
Künstlers,  den  Stil,  den  er  in  Frankreich  im  letzten  Jahre 
unter  dem  Einfluß  des  Cezanne  und  Rodin  ausbildete. 
Seinem  Streben  nach  Dekorativem  kam  es  sehr  zu  statten, 
daß  er  den  Wert  der  Farbe  kennen  lernte.  Aber  da- 
neben vernachlässigte  er  nicht  die  Linie  und  hat  sich 
immer  großzügiger  entwickelt,  ist  dabei  aber  nicht  von 
Gewalttätigkeiten  frei  geblieben.  Namentlich  die  Richtig- 
keit der  Zeichnung  scheint  ihm  wenig  wichtig  zu  sein. 
Außer  dieser  Kollektion  bietet  der  Salon  mehrere  inter- 
essante und  feintonige  Frühbilder  von  W.  Leistikow, 
eine  Anzahl  Landschaften  von  R.  Dumler  (Frankfurt)  und 
vorzügliche  graphische  Sammlungen  von  R.  Fischer, 
W.  Zeising  und  G.  Erler,  sämtlich  aus  Dresden.  —  Der 
Kunstverein  hat  in  Dr.  A.  Fortlage  einen  neuen  Leiter 
erhalten,  der  an  Stelle  des  verstorbenen  J.  Winkel  ge- 
treten ist. 

Marienlüster.  Auf  Veranlassung  des  kunstsinni- 
gen Pfarrers  Schilling  erliick  die  Pl'arrkirche  zu  Bösen- 
rc'utin  am  Bodensee  einen  in  Messing  getriebenen  Lüster, 
dessen  Mittelpunkt  die  Stehfigur  der  Madonna  einnimmt. 
Das  Prachtstück  ist  entworlen  und  ausgeführt  von 
Rudolf  Harr.ich  (Firma  Harraclr  Sc  Sohn)  in  Mün- 
chen; das  Modell  zur  Madonna  schuf  Bildhauer  Kuo lt. 


BUCHERSCHAU 

Von  Kunst  und  Christentum.  Plastik  und  Selbst- 
gefühl. Von  antikem  und  christlichem  Raumgefühl. 
Raumbildung  und  Perspektive.  Historisch-ästhetische 
Abhandlungen  von  Felix  Witt ing.  Straßburgi.E.  1903 
(J.  H.  Ed.  Heitz  &  Mündel.)  8°.   100  S.    M.  2.50. 

Jede  Arbeit,  die  die  christliche  Kunst  tiefer  als  bloß 
ikonographisch  definiert,  muß  uns  heute  willkommen 
sein.  Das  Ikonographische,  in  dem  ja  schon  Beträcln- 
hches  geleistet  ist,  konnte  uns  nur  das  Material  her.iii- 
schaffen  und  es  dann  im  g.anzen  sichten;  das  Wesen, 
die  »Psyche«  der  christlichen  Kunst  liegt  feiner  im  Innern 
versteckt;  die  christliche  Kunst  ist  das  Kind  einer  ganz 
neuen  Zeit  und  was  diese  zu  sagen  hat,  sagt  sie  nur 
am  wenigsten  durch  ihre  neuen  Themata,  am  meisten 
durch  ihre  neuen  Proportionen,  in  denen  sich  aucli 
hier  wie  in  jeder  ganzen  Kirnst  das  Auf  und  Ab  des  Zeit- 
geistes  mit    mathematischer   Genauigkeit   widerspiegelt. 

Von  dieser  sehr  richtigen  Überlegung  ist  auch  der 
Verlasser  ausgegangen;  daß  er  die  christliche  Kunst 
nicht  oberflächhch  aufgefaßt  hat,  beweisen  schon  die 
Titel  der  drei  Abhandlungen.  Hs  ist  durcliaus  passend, 
von  dem  an  .sich  »Unplastischen"  der  christlichen  Kunst 
meinetwegen  im  Gegensatze  zu  der  »geformten«  (n.VaoiKOJj 
Kunst  des  griechischen  4.  Jahrhunderts  (Polyklet  — 
Parthenon)  zu  reden.  Aber  der  Verfasser  ist  darin  ein- 
seitig, daß  er  das  Ewige,  aus  sich  Verfließende  gegen- 
über dem  antiken  »Quadraten«,  in  sich  Geschlossenen 
nur  im  Relief  sehen  will,  aus  dem  sich  die  (Jcstalt  nie- 
mals herauslöst,  weniger  im  »StotV«,  im  allgemeinen. 
So  kommt  er  gleich  in  seiner  mit  der  modernen  Kunst 
sich  abgebenden  Einleitung  zu  dem  so  schiefen  Begriffe 


der  »StofTnegierung«  bei  Rodin.  Überhaupt  ist  Ver- 
fasser in  viel  zu  starkem  Grade  ein  Schüler  von  dem 
das  Relief  bevorzugenden  »Problem  der  Form«  Adolf 
Hildebrands,  mit  dem  er  die  ganze  christliche  Plastik 
und  die  Architektur  erklären  will.  Daher  ist  auch  der 
Kontrast  zwischen  »Antike«  und  »christhcher  Kunst« 
aufs  schrecklichste  schematisiert;  zur  »Antike«  gehört 
ihm  auch  Ägypten,  das  doch  in  seiner  »L-ngeformtheit« 
schon  ganz  ähnlichen  Stilprinzipien,  wie  die  christhchc 
Kunst,  nachging  und  das  wir  als  den  »Romantiker«  des 
Ahertums  kennen;  anderseits  ist  ihm  die  itahenische 
Renaissance  wieder  ganz  »romantisch«  in  ihrer  Stil- 
sprache, da  sie  zufällig  in  ein  christliches  Säkulum  fällt; 
so  wird  die  prinzipielle  Antithese  von  »Antike«  und 
»christlicher  Kunst«  viel  zu  schnurgerade  durch  die 
Jahrhunderte  lieruntergehetzt;  immer  gleichmäßig  kon- 
statiert der  Verfasser  nur  diesen  einen  Gegensatz,  ohne 
der  Entwicklung  auch  nur  irgendwo  weder  in  der 
klassischen  noch  in  der  romantischen  Kunst  gerecht  zu 
werden. 

Auf  diese  Weise  bringt  es  Verfasser  zu  der  doch  recht 
unhistorischen  Absurdität,  jede  Bande  zwischen  christ- 
licher und  antiker  Kunst  stracks  zu  leugnen;  er  will 
damit  in  der  Kunstgeschichte  eine  Revolution,  keine 
Evolution. 

Zu  diesem  sonderbaren  Resultate  kommt  er  auch 
noch  durch  seine  verfehlte  Detailniethode.  Obwohl  er 
psychologisch-stilistisch  untersuchen  will,  bedient  er  sich 
des  Rüstzeuges  der  theologischen  Ikonographie.    Witting 


GU.\B.\1.\I.SKI/ZE 


BUCHERSCHAU  —  DER  PIONIER 


FRANZ  GUNTERMANN  GRABDENKMAL 


niinnit  ein  Dogma,  einen  Ritus  und  leitet  Javon  den 
neuen  Raum  oder  die  neue  Plastilc  ab ;  diese  Art  wäre 
selir  angebracht,  die  theologisch- dogmatischen  Bezieh- 
ungen eines  Mosaikbildes  zum  Baptisterium ,  das  prak- 
tische Verhältnis  von  Zeremoniell  und  Architektur  usf. 
zu  erörtern;  doch  bei  einer  stilpsychologischen  Unter- 
suchung ist  solche  detailisierende  Methode  durchaus 
verl'ehlt.  Diesen  kleinen  Einzelschlüssen  fehlt  die 
zwingende  Notwendigkeit ;  sie  lassen  sich  leichthch  so 
und  so  wenden. 

Man  darf  doch  nicht  vergessen,  daß  künstlerische 
und  religiöse  Bildung  im  Christentume  nicht  nach-, 
sondern  nebeneinander  hergingen  1  Ein  Dogma, 
d.  h.  eine  konsolidierte  Glaubenserkenntnis  oder  ein 
Ritus,  d.  h.  eine  konsolidierte  Lebenserkenntnis  haben 
noch  niemals  eine  neue  Kunstanschauung  gezeitigt. 
Diese  ist  genau  so  wie  jene  ein  Kind  der  neuen  Zeit- 
Stimmung.  Abendmahl  und  Taufe,  mit  deren  ver- 
meintHchem  stilistischenEinflusseWitting')  so  entscheidend 
operiert,  stammen  aus  dem  Neuen  Testamente,  eben- 
dorther  die  allgemeineren  Oberbegriffe  Ewigkeit  und 
UnendHchkeit,  die  in  der  Kunst  jetzt  das  entscheidende 
Wort  haben.  Abstrakte  Definitionen  dogmatischer  Natur 
können  direkt  als  überhaupt  einer  ganz  anderen  Begriffs- 
kategorie angehörig  niemals  etwas  mit  der  Kunst  als 
formales  Gestalten  gemein  haben. 

Es  bleibt  also  doch  noch  eine  >Psychologie  der  christ- 
lichen Kunst«  zu  schreiben;  sie  müßte  denn  vor  allem 
auch  in  universalerem  Maßstabe  gehalten  sein,  als  es 
der  Wittingsche  Essay  wollte:  als  Vorarbeit  wäre  vor 
allem  die  ganze  Antike   (einbegriffen  der  orientalischen 


Kunst)  auf  ihre  psychologischen  Wellen  zu  prüfen :  es 
würde  sich  dann  u.  a.  z.  B.  herausstellen,  daß  wir  ganz 
der  christliclien  Kunst  ähnliche  Tendenzen  in  Ä.gypten, 
im  Hellenismus  (Lysipp — Pergamon)  u.  s.  f.  vor  uns  haben, 
wälirend  anderseits  kurz  vor  dem  definitiven  Siege  der 
neuen  Weltanschauung  noch  einmal  unter  Augustus  der 
Idassische  Formalismus  seine  Renaissance  feiert.  Dann 
müßten  womöglich  mit  genauen  Messungen  die  Propor- 
tionen der  Plastik  und  Architektur,  auf  dem  Reißbrette 
die  Fluchthnien  der  Perspektive,  welch  letzteres  aller- 
dings Witting  erfreulicherweise  auch  schon,  getan  hat,  in 
den  verschiedenen  Jahrhunderten  festgestellt  werden  u.s.f 
Wenn  auch  Witting  noch  nicht  wissenschaftlich  uns 
um  dies  oben  angedeutete  große  Stück  vorgebracht  hat, 
so  kann  man  ihm  doch  nur  dankbar  sein  für  das  doch 
auch  recht  oft  Tüchtige  (was  besonders  in  dem  letzten 
Abschnitte  über  die  Perspektive  usw.  hervortritt)  seiner 
Anregung;  und  sein  Essay,  als  was  sich  ja  das  Büchlein 
schon  in  der  Form  erweist,  will  ja  auch  nicht  mehr 
sein,  und  damit  hat  es  seinen  Zweck  eri'üUt.         hce. 

Der  Kaiser-Dom  zu  Frankfurt  am  Main.  Mit 
76  Illustrationen.  Frankfurt  a.  M.,  Druck  und  Verlag 
von  Peter  K  reuer.     Preis  M.  i. — 

Bei  der  historischen  Bedeutung,  welche  dem  Frank- 
furter Dome  eigen  ist,  wird  jeder  Kunst-  und  Geschichts- 
freund, der  die  anziehende  Mainstadt  besucht,  gerne  des 
vorliegenden  Büchleins  sich  bedienen,  das  nach  eigener 
Angabe  niclits  weiteres  beansprucht,  als  ein  brauchbarer 
Führer  durch  das  ehrwürdige  Gotteshaus  zu  sein.  Dieser 
Aufgabe  entsprechend,  werden  all  die  alten  und  neuen 
Kunstwerke  des  Domes,  der  nach  dem  Brande  d.  J.  1867 
eine  gründliche  Restaurierung  erhielt,  verzeichnet  und 
kurz  geschildert.  Die  ursprünghchen  Denkmäler  sind 
leider  nicht  sehr  zahlreich;  viele  der  gotischen  Altäre 
wurden  auswärts  erworben  und  stehen  demnach  mit 
Frankfurts  früherer  Kunst  in  keinem  Verbände.  Dafür 
zeigt  der  neue,  reiche  Wandbilderschmuck  (nach  den 
Entwürfen  von  Ed.  v.  Steinle)  um  so  enger  mit  Frank- 
furts Geschichte  und  Kunstleben  rühmlich  sich  verknüpft. 
Wer  eingehender  mit  der  Baugeschichte  sich  vertraut 
machen  will,  greife  nach  den  Publikationen  von  K.  Wolf 
und  A.  M.  Benevolus,  die  auch  dem  vorliegenden  Dom- 
Führer  zur  verlässigen  Grundlage  gedient  haben,     m.  f. 

Eastlake,  Charles  Lock.  Beiträge  zur  Ge- 
schichte der  Ölmalerei.  Ins  Deutsche  übertragen 
von  Dr.  Julius  Hesse.  Wien  und  Leipzig,  A.  Hartleben. 
21  Bogen,  Groß- Okt.  In  Farbendruck-Umschlag  geh. 
7.30  M.,  eleg.  geb.  9  M. 

Der  Zweck  des  Buches  ist,  die  Tatsachen  und  Quellen 
so  weit  wie  möglich  bekannt  zu  machen,  so  daß  man 
sich  eine  richtige  Vorstellung  von  Ursprung  und  Zweck 
der  beschriebenen  Verfahren  bilden  und  den  Einfluß 
selbst  einer  primitiven  Technik  beurteilen  kann.  Die 
Übersetzung  ist  leider  an  einigen  nicht  unwichtigen 
Stellen  nicht  getreu  genug.  k.  h. 


*)  Witting  entwickelt  hicrüb« 
recht  sonderbare  .^nsciiauungen, 
chelhaft  sind.     Die  Redaktion. 


insbesondere  über  da 
e  für  das  Chr 


.Abendmal 
nicht  sehn 


DER  PIONIER 

MONATSBLÄTTER   FÜR    CHRISTLICHE    KUNST 

Jahresabonnement  inkl.  Frankozustellung  M.  5. — . 

Inhalt  des  9.  Heftes: 

Über  Glockenstühle  und  Türme.  Von  Hugo  Steffen. 
—  Von  den  .Ausstellungen  dieses  Jahres.  —  Anregungen 
und  Mitteilungen.  —  6  Abbildungen. 

Redaktionsschluß;  15.  Mai. 


BEILAGE 


AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 


AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 

Mehr  als  je  wecfiseln  die  großen  Serienausstellungen 
einander  ab,  su  daß  nur  für  ganz  vereinzelt  vor- 
trerl'liche  WerUe  die  Aufmerksamkeit  geweckt  wird. 
Karl  Bios  füllte  einen  ganzen  Saal  mit  seinen  Bildern 
aus  allen  Zeiten  seines  Schafiens.  Wir  kennen  ja 
schon  die  meisten  seiner  Schöpfungen  von  den  großen 
Ausstellungen  her;  immerhin  ist  es  erfreulich,  an  der 
Hand  des  einzelnen  den  Werdegang  des  nunmehr 
völlig  gereiften  Künstlers  kennen  zu  lernen.  Eine  ab- 
geklärte Ruhe  und  gewisse  kühle  Vornehmheit  liegt  als 
zarter  Hauch  über  allen  diesen  Interieurs,  Studienköpfen 
und  Porträts,  die  bravourmäßigc  Behandlung  der  Tech- 
nik, das  wilde  Draufgängertum  ist  hier  nirgends  zu 
linden ;  da  schützt  den  Künstler  seine  heilige  Scheu 
vor  der  Zeichnung  und  dieses  gewissenhafte  testhalten 
der  Form,  das  Bestreben,  in  zielbewußten  Linien  den 
Dingen  Verkörperung  zu  geben  und  dies  alles  sogar 
der  -Malerei  mehr  oder  weniger  unterzuordnen,  gibt 
den  Bildern  und  Studien  Bios  etwas  Klassisches,  das 
an  die  alten  Meister  erinnert.  Köstlich  sind  das 
liübsche  Schwarzwaldmädchen,  der  Wanderer,  die 
Geigenspielerin,  vor  allem  einige  Bildnisse,  unter  denen 
sein  Selbstporträt  mit  am  feinsten  gelungen  iii. 

Von  Otto  Strützels  feinsinniger  Auffassung  der 
oberbayerischen  Landschaft  ist  an  dieser  Stelle  schon 
mehrfach  dieRede  gewesen,  das  Isartal,  dann  Dachau  und 
.Schleißheim  ist  seine  Domäne,  und  hier  wieder  vertieft 
er  siv.h  gern  in  den  Zauber  vormärzlicher  Tage,  wenn 
das  Grün  eben  zu  sprossen  und  zu  keimen  beginnt. 
Eine  solche  großzügige  Landschaft  war  wieder  unter 
den  zahlreichen  sonstigen  Motiven  mit  das  Beste  und 
Ergreifendste. 

Auch  eine  Erinnerung  an  die  Diez-Schule  bedeutete 
die  umfangreiche  Ausstellung  des  bisherigen  Lebens- 
werkes W.  Räubers.  Er  ist  heute  als  Sechziger  zum 
erstenmal  in  dieser  Weise  aufgetreten  und  das  mit 
einem  vollen  Erfolg.  Welch  ungeheurer  Reichtum 
von  Können  steckt  doch  in  diesen  Porträts,  die  Räuber 
schon  als  Akademiker  gemalt,  an  Reifheit  und  Abge- 
schlossenheit sind  sie  alten  Meistern  gleichzustellen. 
Wir  haben  schlechterdings  heute  wenige  Künstler,  die 
ein  Bildnis  von  solcher  l-einheit  der  Zeichnung,  der 
Farbe  und  des  Tones  zu  malen  verstehen,  wie  etwa 
das  Bildnis  der  Mutter  des  Künstlers,  oder  dasjenige 
seines  Bruders,  das  des  Studenten  in  gesticktem  Cerevis, 
dann  das  Porträt  des  Kommerzienrates  Schichau,  die 
vornehmen,  eleganten  Frauenbildnisse,  u.  a.  die  Gattin 
Heinrich  Knotes.  Auf  historischem  Gebiete,  dem  heule 
längst  verpönten,  bewundert  man  mit  Fug  und  Recht 
>Die  Einnahme  von  Magdeburg  durch  den  großen 
Kurfürsten«  ein  der  Berhner  Xationalgalerie  gehörendes 
Bild,  das  trotz  seiner  unendlich  vielen  Einzelheiten  im 
Gesamtton  als  ein  einheitliches  Ganzes  erscheint.  Wer 
würde  heute  sich  noch  die  Zeit  nehmen,  ein  solches 
Werk  zu  beginnen?  Unsere  rasch  fertigen  Maler 
nehmen  sich  überhaupt  keine  Zeit  mehr,  ein  Bild  aus- 
reifen zu  lassen.  Diesem  Historienbilde  schließen  sich 
noch  mehrere  an,  wie  »Der  Tod  (iustav  .\dolfs«,  dann 
die  reisenden  »Kaufleute  aus  alter  Zeit«  etc.  .-Ulbekannt 
ist  ja  ein  Hauptwerk  des  Künstlers,  »der  hl.  Hubertus«, 
das  ihn  auch  von  einer  freien,  unabhängigen  Seite 
zeigt  und  die  (Qualitäten  der  Diez-Schule  ohne  Schaden 
vermissen  läßt. 

Max  Gaisser  brachte  eine  reiche  Ausbeute  von 
reizenden  Motiven  und  Studien  aus  Brügge  und  Um- 
gebung, die  so  recht  erkennen  lassen,  welche  Fülle 
von  Schönheiten  in  den  idyllischen  Städtchen  Alt- 
flanderns verborgen  sind.  Mit  überraschender  Sicher- 
heit hat  Gaisser  d.is  Gute  und  Schönste  hervorgeholt 
und    in    liebevoller    Beobachtung,    durchdrungen    von 


poesievollem  Geiste,  kleine  Perlen  delikater  Malerei 
geschaffen. 

Damit  auch  der  Patriotismus  in  der  Kunst  zum  Aus- 
druck gelange,  stellte  man  die  zehn  Schlachtenbilder 
aus,  die  vom  Prinzregenten  dem  Armeemuseum  ge- 
stiftet wurden.  Es  sind  dargestellt  die  Heldentaten  der 
Max-]oseph-Ritter  im  letzten  Kriege,  ferner  diejenigen 
des  Prinzen  Leopold  und  des  Generals  von  Nagel. 
Mit  gewissem  illustrativen  Geschick,  das  liier  nicht  zu 
umgehen  ist,  wurden  die  Ereignisse  geschildert,  viel- 
mehr erzählt  und  keiner  der  Verfertiger  konnte  den 
Dingen  einen  größeren  monumentalen  Gehalt,  der 
auch  im  kleinen  Maßstab  möghch  ist,  verleihen.  Gerade 
solche  Themata  könnten  durch  hohe  Auffassung  nicht 
allein  gerettet,  sondern  für  unser  heutiges  Kunstgefühl 
genießbar  gemacht  werden.  Als  .Maler  der  Bilder  sind 
zu  nennen:  Ludwig  Putz,  Karl  Becker  und 
Anton  Ho  f f m  a  n  n. 

In  den  anderen  Sälen  erfreuten  in  gleicher  Woche 
ein  großes  Bild  aus  dem  Moos  von  Josef  Wenglein, 
Landschaften  von  Hans  Klatt,  Tiedjen  und 
Fei  ix  Eisengrä  ber. 

Im  Zusammenhang  mit  der  Propaganda  für  die 
Gründung  eines  zoologischen  Gartens  in  München  wurde 
auch  eine  Ausstellung  veranstaltet  mit  dem  Motiv: 
„Das  Tier  in  der  bildenden  Kunst".  Es  sollte  in 
erster  Linie  die  große  Bedeutung  der  Errichtung  eines 
Tiergartens  für  die  Kunst  der  Tierbildnerei  festgelegt 
werden.  Und  in  der  Tat,  es  gibt  heute  eine  umfang- 
reiche Zahl  Künstler,  die  sich  ausschließlich  dem 
Studium  des  Tieres  widmen  und  auch  Freunde  für 
ihre  Arbeiten  finden,  man  denke  nur  allein  an 
H.  v.  Zügel  und  seinen  großen  Kreis  der  Nachahmer. 
Die  Ausstellung  war  recht  mannigfaltig  und  frisch,  es 
war  unendlich  viel  zusammengetragen,  ja  sogar  zu 
viel,  so  daß  eine  klare  Übersicht  über  die  einzelnen 
Kunstziele  auf  diesem  Gebiete  nicht  recht  ersichtlich 
war.  Neben  der  reinen  Öl-  und  Aquarellmalerei 
kam  auch  die  Zeichnung,  der  Holzschnitt,  der  Stein- 
druck, vor  allem  auch  die  Plastik  zu  Wort,  bis  zur 
Porzellan-  und  Fayencegruppe.  Unter  den  Malereien 
ragte  selbstverständlich  H.  v.  Zügel  hervor,  mit 
Löwen,  Tiger  und  Geflügel,  die  gewissermaßen  als 
Programmbilder  zu  betrachten  waren.  Über  die  Kunst 
dieses  Meisters  noch  heute  sich  zu  äußern,  ist  über- 
flü.ssig,  wir  kennen  ihn  alle  und  wissen  auch,  daß 
seine  jetzige  Manier  nicht  gerade  im  günstigen  Sinne 
seine    frühere    Art    des   Sehens    und  Malens    übenritlt. 

Charles  Tooby,  ein  sehr  gewandter  und  ge- 
schikter  Vertreter  des  Tierfaches,  haben  wir  an  einer 
anderen  Stelle  dieser  Zeitschrift  schon  eingehender  er- 
wähnt. Wilhelm  Kuhnert  und  Richard  Friese 
waren  als  Berliner  Gäste  mit  Löwen-  und  Llefanten- 
bildern  vertreten.  Von  Bruno  Liljefors,  den  wir 
ebenfalls  schon  bei  Gelegenheit  seiner  Kollektivaus- 
stellung würdigten,  sahen  wir  aus  der  Galerie 
Th.  Knorr:  »Jagende  Hunde  im  Schnee«  und  einevor- 
trefiliche  »Auerhenne«.  Diesem  ausländischen  Künstler 
folgten  dann  der  ganze  Stab  der  Zügel-Schüler,  lerner 
Schranim-Zi  ttau,  Tiedjen,  Thomann,  Otto 
Strützel,  Kersch  ensteiner,  P.  Neuenborn, 
A.  Bachmann,  H.  Urban,  F.  Oßwald,  l.B.Neu- 
haus,  H.v.  Ha veck,  D.  Holz,  H.Gräßel,  V.Mal I ei  , 
H.Linde,  M.  Feldbauer,  C.  Thal!  n:  aier,  B.Will- 
niann,  P.  Leuteritz  usw.,  die  alle  mit  hervorragen- 
den Leistungen  da  waren. 

Neben  einer  trelTlichen  Kollektion  idyllisch  liebens- 
würdiger Landschaften  von  Rudolf  Sie ck,  die  in 
ihren  zarten  Tönen  etwas  Traumverlorenes  haben, 
trat  als  Gegensatz  der  norddeutsche  Landschalter 
Karl  Heßmert  auf.  Eine  kraftvolle,  mehr  heibe  als 
derbe  Art   bekundet    alles,    was    unter  seinen    Händen 


46 


DANZIGER  KUNSTBRIEF 


entsteht,  namentlich  sind  die  Winterbilder  von  einer 
Frische  und  Unmittelbarkeit,  wie  wir  sie  nur  bei 
eini<ren  hervorragenden  Schweden  wiederfinden.  Nur 
die  "Fülle  des  Gleichmäßigen  ließ  nicht  die  volle 
Freude  in  diesen  prächtigen  Stücken  aufkommen. 

Zwei  Nachlässe  ließen  erkennen,  daß  die  Welt  in 
der  Schät7ung  der  Werte  manchmal  ungerecht  ist.  So- 
wohl bei  M.  Schaltegger  als  auch  bei  A.  Marcks 
fmden  sich  Arbeiten,  die  auf  ein  hohes  künstlerisches 
Niveau  hinweisen.  So  manches  Bildnis  des  ersteren, 
wie  so  manche  wundervoll  gezeichnete  Landschaft  des 
letzteren  dürfte  einer  Galerie  zur  Zierde  gereichen  und 
doch  waren  beide  Künstler  trotz  ihrer  Fähigkeiten 
wenig  bekannt  und  begehrt,  weil  beide  auch  im  Leben 
bescheiden  vornehme  und  ruhige  Naturen  waren,  die 
sich  im  Wettkampfe  nicht  vordrängen  wollten  noch 
konnten.  .         ,      ,.  , 

Auch  der  Nachlaß  V.  Carstens  zeigte  deuthch,  wie 
viel  echtes  und  schönes  Künstlertum  hier  verborgen 
ruht.  Carstens  war  ja  wohl  von  den  Ausstellungen  her 
nur  als  Stillebenmaler  gekannt,  ein  Gebiet,  das  ihn 
nicht  vollständig  charakterisiert.  Weit  höheres  Können 
und  edleren  Geschmack  offenbarte  er  in  den  feingetönten 
Innenräumen  alter  Schlösser,  Klöster  oder  Edelsitze, 
die  einen  an  wahre  Kostbarkeiten  gemahnenden  Schmelz 
besitzen  und  nicht  für  heute,  sondern  für  alle  Zeiten 
sichere  Werte  genannt  werden  können. 

Edmund  Steppes,  dessen  stilistische  Technik  uns 
schon  länger  vertraut  ist,  erscheint  seit  langem  wieder 
einmal  mit  einer  größeren  Anzahl  von  Gemälden,  die 
seine  im  Gegensatz  zur  modernen  Kunst  gerichtete  Art 
wieder  deutlich  zeigt  und  sagt,  daß  eine  Vertiefung  des 
seelischen  Gedankens  oder  die  Versymbolisierung  der 
Realität  uns  mehr  bedeutet  als  eine  Naturahschrift,  wenn 
sie  auch  noch  so  geschickt  ist.  Freilich  liegt  die  Gefahr 
nahe  und  Steppes  entgeht  ihr  nicht  immer,  daß  ein 
Mangel  des  Wahrscheinlichkeitseindruckes  sich  hier  und 
da  bemerkbar  macht,  zumal  dort,  wo  der  Maler  inmitten 
der  Natur  mit  Hilfe  nackter  weiblicher  Schönheit  Sym- 
bolisches auszudrücken  versucht.  Man  hat  hier  das  Ge- 
fühl, daß  der  organische  Zusammenhang  fehlt.  Die 
Landschaften  für  sich  allein  sind  dagegen  einheitlicher 
und  von  höherem  Schwung,  von  der  Art  des  Hans 
Thoma,  O.  Lang  und  Lugo,  mit  welcher  die  seine 
verwandtschaftliche  Züge  aufweist. 

Von  weiteren  drei  größeren  Kollektiv-Ausstellungen 
der  Maler  Karl  Reiser,  Arnold  Bauer  und  M.  E. 
Giese  interessierte  letztere  am  meisten.  Karl  Reiser 
ist  zwar  ein  starkes  Talent,  das  manch  gute,  ja  vor- 
treffliche Ansätze  zeigt,  aber  sich  allmählich  in  bilhge 
Wiederholungen  verliert,  die  schließlich  auf  ein  einmal 
geglückles  Rezept  hinauskommen.  A.  Bauer  arbeitet 
zu'^sehr  auf  rein  dekorativ  künstlerische  Wirkung  hin 
und  ist  nicht  imstande,  viel  Innerliches  zu  geben. 
Giese  als  der  stärkere  Könner  jedoch  vereinigt  beides. 
Seine  prächtigen,  großzügigen  Aquarelle,  die  mit  einer 
unglaublichen  Sicherheit  gemalt  sind,  verraten  ein  inneres, 
heißes,  temperamentvolles  Leben.  Alles  wird  unter  seiner 
Hand  lebendig,  da  prickelt  und  sprudelt  die  Farbe  nicht 
allein,  sondern  sie  versetzt  hier  in  tiefernste,  dort  in 
heitere  Stimmung,  die  fesselt  und  mit  sich  zieht.  Von 
gewaltiger  Kraft  sind  einige  Motive  von  der  bayerischen 
Hochebene  und  aus  dem  so  malerisch  entzücken- 
den WoUin.  Auch  die  großen  Ölgemälde,  Schneeland- 
schaften, sind  von  ungewöhnUcher  Schönheit,  nament- 
lich gehört  das  Hafenbild  mit  der  dunklen  Luft  nicht 
nur  zu  dem  Besten,  was  Giese  gemalt,  sondern  über- 
haupt zu  dem  Besten  der  modernen  Malerei,  wenn 
man  den  monumentalen  Ausdruck  in  der  Landschaft 
in  Betracht  zieht.  F"nz  Woher 


A 


DANZIGER  KUNSTBRIEF 

n  der  diesjährigen  Sammelausstellung  im  Stadtmuseum 
■  waren  wiederum  Vertreter  aller  Gegenden  und  Rich- 
tungen Deutschlands  beteiligt,  vor  allem  naturgemäß 
die  Berliner  Secession  in  ihren  Häuptern,  aber  auch 
München,  Dresden  u  a.  Da  deren  Werke  meist  schon 
auf  anderen  großen  Ausstellungen  gewesen  sind  und 
in  der  >Christl.  Kunst«  von  dorther  Besprechung  gefun 
den  haben,  erübrigt  sich  eine  solche  an  dieser  Stelle 
Nur  auf  Werke  hiesiger  Herkunft,  die  einen  großen  1  eil 
der  Ausstellung  einnahmen,  sei  kurz  eingegangen. 

A.  von  Brandis  ist  mit  mehreren  Werken,  beson- 
ders Interieurs,  vertreten.  Die  meisten  sind  in  Charakter 
und  Ton  der  von  früher  her  bekannten  gehalten.  Als 
Meister  dieser  Gattung  zeigt  er  sich  von  neuem  in  einem 
.Rokokogartenhaus«,  das  auf  einen  originellen  und  sehr 
wohltuenden  Farbenakzent,  ein  leuchtendes  Grau,  ab- 
gestimmt ist.  Durch  Brandis  sind  die  Interieurs  letzt 
in  Danzig  stark  in  Übung  gekommen.  Seine  Schule 
versuchte  .sich  in  denselben  mit  verschiedenem  brtolg. 
Darunter  verdient  GeorgMuttrav  genannt  zu  werden, 
ein  verheißungsvolles  Talent.  Wenn  seine  anderen 
Arbeiten  noch  den  Stempel  des  Suchens,  des  Unfertigen 
an  sich  tragen,  so  ist  das  .Innere  der  Marienkirche« 
eine  sehr  beachtenswerte  Leistung.  Sie  beweist,  daß 
der  junge  Künstler  den  Erscheinungen  mit  eigenem 
Blick  gegenübersteht.  Dasselbe  gilt  in  landschaftlicher 
Hinsicht  in  etwa  auch  von  Th.  Urtnowski.  Wie 
ein  echter  Künstler  über  den  Stoff  sich  zu  erheben 
ist  so  manchen  von  den  hiesigen  Landschaftern  und 
Landschafterinnen  nicht  gegeben.  Einen  großen  Zug 
dagegen  sieht  man  bei  dem  Berliner  R.  Hellgrewe, 
einem  Westpreußen  von  Geburt,  der  sich  seine  Motive 
aus  der  in  dieser  Beziehung  noch  gar  nicht  ausgenutzten 
Tucheier  Heide  holt.  Seine  Landschaften  sind  malerisch 
tüchtig,  dabei  Bilder,  die  man  ihres  vorzüglichen 
Stimniungsgehahes  wegen  liebgewinnt  Gute  Veran- 
la<Tung  zum  Porträt  spricht  aus  einem  Damenbildnis 
von  Wob  es  er,  dasjenige  des  Geheimrats  Doehn  von 
Laasner  erreicht  kaum  einen  wohl  zu  verlangenden 
Durchschnitt.  W.  Stryowski,  der  Repräsentant  der 
alten  Danziger  Künstlerschaft,  bleibt  in  seinem  •Alt- 
weibersommer« und  »Peter  dem  Großen  in  Danzig'i 
seinen  alten  Idealen  treu,  hat  sich  jedoch  den  Errungen- 
schaften der  neuen  Weise  in  der  Form  nicht  ganz  und 
gar  verschlossen. 

Religiöse  Malerei  ist  auf  der  Ausstellung  fast 
aar  nicht  vorhanden.  Unter  mehr  als  500  Gernal- 
den  sind  drei,  die  überhaupt  einen  religiösen  Vor- 
wurf haben.  Davon  kann  man  noch  eins  getrost  aus- 
nehmen, denn  H.  Lie  t  z  m  ann,  der  Maler  des  »hedigen 
Sebastian«  hat  schwerlich  ein  Heiligenbild,  vielmehr 
einen  männlichen  Akt  malen  wollen.  >Simeon  im 
Tempel«  von  Ernst  Pfannschmidt  zeigt  m  Kom- 
position, Gewandung  und  Beleuchtung  direkte  An  eh- 
nung  an  ein  gleichnamiges  Werk  Rembrandts,  ohne 
jedoch  den  Ehrgeiz  zu  haben,  ihm  an  Feinheit  des  Kolo- 
rits usw.  auch  nur  entfernt  nahe  zu  kommen.  Her- 
mann Pohles  betender  Einsiedler- Aszet  fällt  auf  durch 
sein  intensives  gelb-rotes  Kolorit,  ist  aber  eine  tief  emp- 
fundene Arbeit.  Zu  dieser  kleinen  Gruppe  der  reli- 
giösen Kunst  —  wohl  der  kleinsten  von  allen  auf  den 
bisherigen  39  Danziger  Sammelausstellungen  —  gehört 
noch  ein  Christuskopf  von  Boeltzig  aus  der  plastischen 
Abteilung.  „         r     ,    • 

Ziemlich  gleichzeitig  mit  dieser  Ausstellung  fand  eine 
solche  von  alten  kunstgewerblichen  Gegen- 
ständen aus  Danziger  Privatbesitz  statt.  Sie 
wurde  veranstaltet  vom  Verein  zur  Erhaltung  der  Bau- 
und  Kunstdenkmäler  in  Gemeinschaft  mit  der  Danziger 
Goldschmiedeinnung,  die  zu  dieser  Zeit  (Mai  1909)  ihr 


VERiMlSCHTE  NACHRICHTEN 


47 


fünfhundertjähriges  Jubiläum  beging.  Die  Danziger 
Privat-Aktien-Bank  stellte  hierzu  eine  Etage  ihres  Hauses 
zur  Verfügung.  Als  späteste  Zeitgrenze  wurde  das 
Jahr  1850  festgesetzt.  Wenn  die  Veranstaltung,  zu  der 
übrigens  kunstgewerblicher  Besitz  von  hiesigen  Kirchen 
zugezogen  wurde,  auch  auf  Vollständigkeit  keinen  An- 
spruch machen  konnte  —  die  Vorbereitungen  waren 
etwas  überhastet  —  und  auch  nichts  Neues  bot,  so  war 
es  doch  für  weitere  Kunstkreise  von  Interesse,  zu  sehen, 
was  die  hiesigen  Privathäuser  aus  früherem  Reichtum 
an  kunstgewerblichen  Gegenständen  in  die  Gegenwart 
hinübergerettet  haben.  Auch  wird,  den  Intentionen 
der  Aussteller  entsprechend,  der  Sinn  für  Wertschätzung, 
Schonung  und  Erhaltung  derselben  neue  Anregung  er- 
halten haben. 

Es  drängt  sich  hierbei  eine  sehr  naheliegende  Frage 
auf.  Sollte  es  einem  von  unseren  Kunstvereinen  nicht 
möglich  sein,  auch  alte  Malerei  aus  dem  Privatbesitz 
auf  einer  Ausstellung  zu  vereinigen?  Freilich  wären 
dabei  ungleich  größere  Schwierigkeiten  zu  überwinden. 
Aber  ein  solches  Unternehmen  würde  auch  noch 
größerem  Interesse  begegnen  und  wahrscheinlich  zur 
Erweiterung  unserer  recht  mangelhaften  Kenntnis  der 
alten. Danziger  Maler  führen.')  B.  .Makowski 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Ausstellung  ba\'erischen  Porzellans  des 
18.  Jahrhunderts.  Das  Bayerische  Xationalrauseum 
beabsichtigt  —  in  Verbindung  mit  dem  Bayer.  Verein 
der  Kunstfreunde  (Museumsverein)  —  in  der  Zeit  von 
Ende  Juli  bis  Mitte  September  ds.  Jrs.  eine  Ausstellung 
bayerischen  Porzellans  des  18.  Jahrhunderts  zu  veran- 
stalten. In  Betracht  kommen  also  in  erster  Linie  die 
Manufakturen  Xymphenburg,  Frankenthal,  Zweibrücken, 
sowie  Ansbach.  Wenn  auch  im  wesentlichen  nur  Er- 
zeugnisse des  18.  Jahrhunderts  zur  Ausstellung  gelangen 
sollen,  so  kann  bei  Nymphenburg  die  Grenze  weiter 
—  etwa  bis  1850  —  gesteckt  werden.  Dabei  soll  die 
figürliche  Plastik  besonders  bevorzugt  werden.  Der  Kgl. 
Hof  in  München,  verschiedene  namhafte  Museen  außer- 
halb Baverns  und  zahlreiche  Privatsammler  haben  bereits 
ihre  Unterstützung  zugesagt.  Sammler,  die  noch  keine 
Einladung  erhielten  und  auszustellen  bereit  wären,  werden 
von  der  Direktion  des  Bayer.  Nationalmuseums  um  direkte 
Anmeldung  ersucht.  Das  Museum  trägt  sämtliche  Fracht- 
und  Versicherungskosten.  Für  die  Sicherheit  der  Objekte 
in  den  dem  Museum  angegliederten  Ausstellungsräumen 
gegen  Beschädigung,  dann  gegen  Diebs-  und  Feuersge- 
fahr ist  in  weitestgehendem  Umfange  Fürsorge  getroffen. 
Die  für  die  Ausstellung  bestimmten  Stücke  sollen  bis 
spätestens  Mitte  Juli  lfd.  Jrs.  an  das  Bayerische  National- 
museum abgeschickt  werden. 

X.  Internationale  Kunstausstellung  im  Kgl, 
GlaspalastezuMünchen.  Das  internationale  Preis- 
gericht hat  seine  Tätigkeit  beendet.  Dasselbe  setzte  sich 
zusammen  wie  folgt :  Vorsitzender  •  Prof.  Albert  \  on 
Keller,  Maler;  Schriftführer:  Franz  Wolter,  Maler.  Ver- 
treter fremder  Nationen:  Belgien  :  Graf  Jacques  de  Lalaing, 
Maler  und  Bildhauer;  Bulgarien:  Prof.  von  Petersen, 
Maler;  Dänemark:  CM.  Soya Jensen,  Maler;  Italien: 
Prof.  Comm.  Gerolamo  Cairati,  Maler;  Niederlande: 
A.  M.  Gorter,  Maler;  Rußland  :  Emil  von  Wiesel,  Maler; 
Schweden :  Emil  Österman,  Maler ;  Schweiz :  Prof.  Wil- 
helm L.  Lehmann,  Maler;  Charles  Giron,  Maler;  Spanien: 
Joseph  Michael  Holzapfl,  Maler  und  Radierer;  Türkei: 
Richard  Groß,  Maler,  Ungarn:  Fritz  Strobentz,  Maler; 
Münchener   Künstler-Genossenschaft:    Hofbaurat  Eugen 


■)  Vgl.  H.  ,,  Beil. 


Drollinger,  Architekt;  Prof.  .\do!f  Echtler,  Maler;  Oswald 
Gottfried,  Maler;  Prof.  Eugen  Honig,  Architekt;  Hermann 
Knopf,  Maler  ;  Georg  Lindner,  Architekt;  Alois  Mayer, 
Bildhauer;  Wilhelm  Menzler,  Maler;  Georg  Mühlberg, 
Maler  und  Graphiker;  Heinrich  Rettig,  Maler;  Ludwig 
Sand,  Bildhauer ;  Konrad  Strobel,  Xylograph ;  Hans 
Stubenrauch,  Maler  und  Graphiker.  Münchener  Secession: 
Prof.  Cipri  Adolf  Bermann,  Bildhauer;  Hans  Borchardt, 
Maler;  .■\kademieprofessor  Angelo  Jank,  Maler;  Richard 
Winternitz,  Maler.  Luitpoldgruppe :  Prof.  Fritz  Baer, 
Maler;  Karl  Küstner,  Maler.  Künstlerbund  >Bavern«: 
Prof.  Karl  Bios,  Maler.  Berlin :  Prof.  Hans  Hermann, 
Maler.  Es  wurden  29  goldene  Medaillen  I.  Klasse  und 
1 55  goldene  Medaillen  IL  Klasse  zuerkannt.  Außer  Wett- 
bewerb standen  Frankreich  und  Osterreich.  Goldene 
Medaillen  1.  Klasse  erhielten :  Münchener  Künstler-Ge- 
nossenschaft mit  Deutschland:  Malerei:  Max  Gaisser, 
Otto  Strützel,  Alois  Erdtelt,  Franz  Grässel,  Eugen  Bracht. 
Secession:  Malerei:  Rudolf  Schramm-Zittau,  Max  Slevogt, 
Hermann  Gröber.  Bildhauerei :  Hermann  Hahn,  Hugo 
Lederer.  Luitpoldgruppe:  Malerei:  WaherThor.  Künstler- 
bund vBavern« :  Malerei:  Georg  Schuster-Woldan.  Künst- 
lervereinigung iScholle«  :  Malerei:  Fritz  Erler.  Rußland: 
-Malerei :  .Michael  Nesterow,  Stephan  Kolesnikow.  Italien : 
Malerei:  Umberto  Coromaldi,  Leonardo  Bazzaro.  Bild- 
hauerei: Gaetano  Cellini.  Belgien:  Malerei:  Alexander 
Struijs.  Bildhauerei:  Viktor  Rousseau.  Schweiz:  Malerei : 
Albert  Welti.  Dänemark:  Malerei:  Vilhelm  Hammershoi, 
Viggo  Johansen.  Schweden:  Malerei:  CarlLarsson.  Anders 
Zorn.  Holland  :  Malerei :  Marius  Bauer.  Ungarn:  .Malerei: 
Izsäk  Perlmutter.  Spanien :  Malerei  :  Manuel  Benedito- 
Vives,  Enrique  Martinez-Cubells  v  Ruiz.  Goldene  Me- 
daillen IL  Klasse  erhielten  Münchener  Künstler-Genossen- 
schaft mit  Deutschland:  Malerei:  Frank  Kirchbach,  Ale- 
xander Fuks,  Georg  Schildknecht,  Oskar  Freiwirth-Lützow, 
.\ugust  Kühles,  Georg  M.  Meinzolt,  Fritz  Baverlein,  Leo- 
pold Schmutzler,  Juhus  Schräg,  Franz  Multerer,  Max 
Hartwig,  Rudolf  Schulte  im  Hofe,  Hermann  Fenner- 
Behmer.  Wilhelm  Claudius,  Ferdinand  Dorsch,  Andreas 
Dirks,  Karl  Kayser-Eichberg,  Arthur  Schüler,  Hans  Loo- 
schen,  Paul  W.  Ehrhardt,  Rudolf  Weber.  Bildhauerei : 
Kduard  Bevrer,  Wilhelm  Haverkamp,  Walter  Mettler, 
Franz  Prittel,  Christian  Plattner.  Vervielfältigende  Künste  : 
Joseph  Neumann,  Dr.  Otto  Gampert,  Paul  Leuteritz, 
Franz  August  Börner,  Johann  Karl  Becker  Gundahl, 
Ludwig  Bolgiano.  Architektur:  Franz  Brantzkv.  Secession: 
Malerei:  Paul  Crodel,  Theodor  Hummel,  Hermann  Eich- 
feld, Karl  Piepho,  Charles  Tooby,  Ernst  Oppler,  .-Mhert 
Weißgerber,  Hermann  Pleuer,  Joseph  Oppenheimer, 
Joseph  Damberger,  Ernst  Burmester,  Friedrich  Ecken- 
felder, Fritz  Burger,  Max  Feldbauer;  Bildhauerei:  Erwin 
Kurz,  Alexander  Oppler,  Ulfert  Janssen,  Theodor  von 
Gosen,  Bernhard  Bleeker,  Eduard  Zimmermann,  Heinrich 
Jobst.  Luitpoldgruppe:  Malerei:  Joseph  Andreas  Sailer, 
Rudolf  Bernard  Willmann,  Wenzel  Wirkner,  Heinrich 
Brüne,  Wilhelm  Löwitli,  Ernst  Gerhard.  Künstlerbund 
»Bayern«:  Malerei:  Fritz  Rabending,  Fritz  Kunz,  Klaus 
Bergen,  Rudolf  Sieck.  Künstlervereinigung  »Scholle« : 
Malerei:  Gustav  Bechler,  Erich  Erler.  Rußland:  .Malerei: 
Abram  Archipow,  Witold  Bialgnitzky-Birulia,  Sergei 
Winogradow,  Gabriel  Goreloff,  Stanislaus  Jukowsky, 
Constantin  Krijitzki,  Wladimir  Makowski,  Nicolaus  Petrow, 
Nicolaus  Feschin,  Nicolaus  Chimona,  Ale.xander  Mu- 
raschko,  Georg  Bobrcw^'sky,  Gerassim  Golowkoff.  Italien: 
Malerei :  Giuseppe  Giusti,  Giuseppe  Casciaro,  Giuseppe 
Carozzi,  Pietro  Chiesa,  Cesare  Maggi,  Salvatore  .Mar- 
chesi,  Ulisse  Caputo,  Giorgi  Belloni.  Vervielfältigende 
Künste:  Vico  Vigano.  Bildhauerei:  Arturo  Dazzi,  Elen- 
teris  Riccardi,  Ginsseppe  Romagnoli,  Bassano  Danielli. 
Belgien :  Malerei :  Alfred  Napoleon  Delaunois,  Franz  van 
Holder,  Henry  Cassiers,  Richard  Baseleer;  Bildhauerei: 
Josue  Dupon.     Schweiz :  Malerei :  Edmond  Vallet,  Gu- 


AUSSTELLUNG  KIRCHLICHER  KUNST  —  DER  PIONIER 


stave  Jeanneret,  Adolf  Thomann,  Ernst  Würtenberger, 
Alfred  Rehfous,  Giovanni  Giacometti,  Paul  Perrelet.  Bild- 
hauerei; Charles  Amgst,  August  Heer.  Dänemark: 
Malerei:  Hermann  Albert  Vedel,  Fritz  Syberg,  Michael 
Therkildsen.  Bildhauerei:  Rasmus  Harboe.  Schweden: 
Malerei:  Gustaf  Adolf  Fjaestad,  Wilhelm  Behm,  Emerik 
Stenberg,  Karl  Johansson,  Bildhauerei:  Gottfrid  Larsson. 
Holland:  Malerei:  Derk  Wiggers,  Johannes  Akkeringa, 
Martin  Monickendam,  Hendrik  Havernian,  Theodor  van 
Hoytema,  Jan  Hoynck  van  Papendrecht.  Bildhauerei  : 
Charles  van  Wyk.  Bulgai'ien:  Malerei:  Jaroslav  Vesin. 
Ungarn  :  Malerei :  Tivadar  Zemplenyi,  Lajos  Mark,  Ander 
Boruth,  Aladar  Edvi-IUes.  Bildhauerei :  Ödön  Szamo- 
volszky.  Türkei  :  Malerei:  Üsman  Hamdi  Bey,  Chewket 
Bey.  Spanien:  Malerei:  Jose  Maria  Lopez-Mezquita, 
Jose  Maria  RodriquezAcosta,  Antonio  Ortiz-Echagiie, 
Salvador  S.  Barbudo,  Valentin  Zubiaurre. 

München.  Am  33.  Mai  wurde  das  Denkmal  für 
Max  von  Pettenkofer  in  den  Anlagen  des  Maximilians- 
platzes, gegenüber  dem  Denkmal  Liebigs,  feierlich  ent- 
hüllt. Der  Entwurf  stammt  von  Rümann,  nach  dessen 
Tod  es  Alois  Mayer  vollendete. 

München.  Geheimrat  Dr.  Franz  Ritter  von 
Reber  dahier  tritt  mit  Wirkung  vom  i.  Juli  in  den  Ruhe- 
stand. Bei  diesem  Anlaß  wurde  ihm  in  Würdigung 
seiner  vorzüglichen  Dienstleistung  der  Verdienstorden  vom 
hl.  Michael  2.  Klasse  mit  Stern  verliehen.  Geheimrat  von 
Reber  ist  ein  ausgezeichneter  Fachmann,  der  sich  um  die 
Kunstwissenschaft  und  in  seiner  mehr  als  dreißigjährigen 
Wirksamkeit  als  Vorstand  der  staatlichen  Gemäldesamm- 
lungen auch  um  diese  hohe  Verdienste  erwarb.  —  Zum 
Direktor  der  staatlichen  Galerien  wurde  der  frühere 
Direktor  der  Nationalgalerie  in  Berlin,  Geheimer  Re- 
gierungsrat Dr.  Hugo  von  Tschudi  ernannt. 

Der  Landschaftsmaler  Fritz  Overbeck  ist  am 
8.  Juni  in  Brocken  unweit  Worpswede  gestorben.  Er  war 
am  15.  Sept.  1869  in  Bremen  geboren. 

Professor  Gebhard  Fugel  malte  für  die  Stadtpfarr- 
kirche St.  Moriz  in  Augsburg  ein  Brustbild  des  hl.  Jo- 
hannes Nepomuk. 

In  der  Hofglasmalerei  C.  de  Bouche  zu  München 
wurde  kürzlich  eine  romanische  Fenstergruppe  vollendet, 
welche  der  Deutsche  Kaiser  für  die  neuerbaute  Kirche  zu 
Haiesund  in  Norwegen  stiftet.  C.  de  Bouche  erhielt  vor 
einigen  Monaten  auch  den  Auftrag,  das  Kolossal-West- 
fenster  des  Domes  zu  Metz  zu  rekonstruieren,  das  um 
1375   von  Hermann  von  Münster  gefertigt  wurde. 

Berlin.  Der  Wettbewerb  für  Möbelgruppen,  den  der 
Verein  für  Deutsches  Kunstgewerbe  in  Berlin  erlassen 
hatte,  hat  sechs  Preise  zu  insgesamt  1200  M  und  29  An- 
käufe im  Betrage  von  1740  M.,  im  ganzen  also  eine  Ver- 
teilung von  2940  M.  an''die  Bewerber  ergeben.  Einge- 
gangen waren  im  ganzen  361  Entwürfe. 

Paderborn.  Hier  soll  der  Dichterin  Luise  Hensel 
ein  einfaches,  würdiges  Denkmal  errichtet  werden. 

Wien.  Anläßlich  der  3 5 .  Jahreäausstellung  im  Künst- 
lerhaus erhielt  Franz  Wille  (Düsseldorf)  die  große 
goldene  Staatsmedaille,  Joseph  Faßnacht  (München) 
für  seine  Marmorgruppe  >  Mutterglück  <  die  kleine  gol- 
dene Staatsmedaille. 

Maler  Joseph  Huber-Feldkirch  wurde  nach 
Düsseldorf  berufen,  um  einen  wichtigen  Posten  zu 
übernehmen. 


AUSSTELLUNG 
IN 


KIRCHLICHER    KUNST 
BRESLAU 


F)ie  Direktion  des  Schlesischen  Museums  für  Kunst- 
gewerbe und  Altertümer  (Prof.  Dr.  K.  Masner)  ver- 
sendet zugleich  mit  .'\nmeldeformularen  folgendes: 

Das  Schlesische  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Alter- 
tümer veranstaltet  aus  Anlaß  der  in  Breslau  am  29.  August 
bis  2.  September  tagenden  56.  Generalversammlung  der 
Katholiken  Deutschlands  und  im  Einverständnis  mit  der 
Leitung  dieser  Tagung  vom  22.  August  bis  12.  September 
eine  Ausstellung  kirchlicher  Kunst.  Sie  gliedert  sich  in 
zwei  Abteilungen:  A.  Beispiele  alter  kirchlicher  Kunst 
aus  Schlesien,    B.  Beispiele   heutiger   kirchlicher  Kunst. 

Für  die  Abteilung  A  ist  von  Goldschmiedearbeiten 
die  Ausstellung  des  sonst  nur  kleineren  Gruppen  von 
Besuchern  zug.inglichen  Breslauer  Domschatzes  in  Aus- 
sicht genommen,  da  das  Museum  im  Jahre  190J  in  einer 
großen  Goldschmiedekunstausstellung  last  den  gesamten 
alten  kirchhchen  Besitz  unserer  Provinz  an  diesen  Ar- 
beiten vorgeführt  hat.  Doch  sollen  einige  wenige  der 
wichtigsten  dieser  Arbeiten  auch  diesmal  wieder  heran- 
gezogen werden.  Außer  dem  großen  Saal  des  Museums, 
der  eine  ständige  Ausstellung  kirchlicher  Kunst  an-  sich 
bedeutet,  werden  wertvolle  kirchliche  Gemälde,  Para- 
mente,  Schnitzereien,  Miniaturen,  Bucheinbände  usw.  die 
Ausstellung  des  Domsch;itzes  ergänzen.  Vielleicht  ge- 
lingt es  auch  in  einer  besonderen  kleinen  Abteilung 
durch  eine  Zusammenstellung  von  »Beispielen  und  Gegen- 
spielen« auf  die  Fehler  hinzuweisen,  die  leider  noch 
immer  bei  der  Restaurierung  alter  kirchlicher  Kunst- 
werke gemacht  werden. 

Angebote  von  wirklich  wertvollen  künstlerischen 
Leistungen  für  diese  Abteilung  sind  uns  bis  spätestens 
den  8.  August  sehr  willkommen.  Hin-  und  Rücktrans- 
portkosten trägt  das  Museum,  ebenso  die  Versicherung 
während  der  Ausstellung. 

.Abteilung  B  will  sich  nicht  auf  die  kirchlichen  Kunst- 
schöpfungen der  Neuzeit  in  Schlesien  beschränken,  son- 
dern auch  auswärtige  Künstler  und  Kunstanstalten  heran- 
ziehen, deren  Arbeiten  auf  die  Produktion  unserer  Provinz 
auf  diesem  Gebiete  anregend  und  befruchtend  wirken 
können.  Denn  entscheidend  für  die  ,\ufnahme  in  diese 
.\bteilung  sind  nur  die  künstlerischen  Q.ualitäten  der 
Arbeiten.  Die  Weite  des  Gebietes  im  einzelnen  hier  zu 
charakterisieren,  erübrigt  sich. 

Mit  Rücksicht  auf  den  sehr  beschränkten  Raum,  der 
dem  Museum  für  die  Ausstellung  zur  Verfügung  steht, 
werden  in  diese  Abteilung  nur  .\rbeiten  von  .Ausstellern 
aufgenommen,  die  von  der  Direktion  des  Museums  dazu 
aufgefordert  worden  sind. 

Diese  Aussteller  zahlen  keine  Platzmiete,  tragen  aber, 
wenn  nicht  anders  vereinbart  wird,  die  Transport-  und 
Versicherungskosten  und  zahlen  von  Verkäufen  während 
der  Ausstellung   io°/o  an  das  Museum. 


DER  PIONIER 

MONATSBLÄTTER    FÜR    CHRISTLICHE    KUNST 

Jahresabonnement  inkl.  Frankozustellung  M.  3. — . 

Format  und  Ausstattung  vorliegender  Zeitschrift,  zu  der 

er  eine  willkommene  Erweiterung  bildet. 

Inhalt  des  10.  Heftes: 

Kirchenheizung,    ein  Erfordernis    unserer  Zeit.     Von 

Architekt  Hugo  Steffen.  —  Maueranstridie.  —  Wichtige 

.•\ufg;iben.  —  4  Abbildungen. 

Redaktionsschluß:   15.  Juni. 


BEILAGE 


WETTBEWERB  FÜR  MEMMINGEN 


49 


WETTBEWERB 

für  eine  neue  katholische  Kirche  mit  Turm   und  Pfarr- 
haus in  Memmingen 

2ur  Erlangung  von  Entwürfen  für  den  Neubau  einer 
katholischen  Kirche  mit  Turm  und  eines  kathohschen 
Pfarrhauses  in  Memmingen  (Bayern)  erölTnet  die  Deutsche 
Gesellschaft  für  christliche  Kunst  in  München  im  Namen 
des  katholischen  Kirchenbauvereins  Memraingen  unter 
den  ihr  angehörigen  Architekten  einen  Skizzenwettbe- 
werb, und  zwar  unter  folgenden  Bedingungen : 

I.  Lage  des  Bauplatzes  für  Kirche  und  Pfarr- 
haus: Die  für  den  Zweck  erworbenen  Grundstücke 
liegen  im  Westen  der  Stadt  und  sind  im  Lageplan  kolo- 
riert. i,Zu  beziehen  von  der  Geschäftstelle  der  Deutschen 
Gesellschaft  für  christliche  Kunst  in  München,  Karlstr.  6.) 
Die  Kirche  soll  in  die  Straßenlängsachse  des  verlänger- 
ten Schweizerberges  situien  werden  und  einen  östlichen 
Haupteingang  erhalten ;  wie  sich  die  Straßenführung  um 
die  Kirche  dann  vollzieht  und  wie  hiernach  Bau-  und 
Vorgartenlinien  zweckentsprechend  abzuändern  wären, 
wird  dem  Architekten  überlassen.  Die  Situierung  des 
Pfarrhauses  wird  derart  gewünscht,  daß  die  ständigen 
Wohnräume  an  den  sonnigen  Seiten,  der  Haupteingang 
gegenüber  der  Sakristeitüre,  also  in  unmittelbarster  Nähe 
der  Kirche  zu  hegen  käme. 

2.  Bodenbeschaffenheit.  Auf  ungefähr  V2bis3/4m 
Humus  folgt  eine  zwischen  2  bis  4  m  schwankende  Lehm- 
schichte und  hierauf  fester  tragfähiger  Lehmkies.  Bei  dem 
in  der  Nähe  befindlichen  Rentamtsneubau  wurde  bereits 
aut  2  ra  Tiefe  tragfähiger  Boden  vorgefunden.  Das 
Grundwasser  liegt  mehr  wie  10  m  tief,  das  ganze  Ter- 
rain außerhalb  der  Hochwassergefahr. 

3.  Bau  programm  für  die  Kirche.  Die  Kirche  soll 
räumhch  bequem  so  beschaffen  sein,  daß  in  derselben 
ein  Hauptaltar  und  vier  Nebenaltäre,  4  bis  6  Beichtstühle, 
1000  Sitzplätze  für  Erwachsene  und  500  Stehplätze  unter- 
gebracht werden  können.  Die  Gänge  sollen  eine  Innen- 
prozession zulassen.  Ob  eine  oder  zwei  Emporen  errich- 
tet werden,  bleibt  dem  Arckitekten  überlassen.  Oratorien 
werden  freigestellt.  Ferner  wird  gewünscht  eine  Tauf 
kapelle,  eine  GruftkapcUe  für  das  hl.  Grab,  ein  Para- 
mentenraum,  eine  größere  und  eine  kleinere  Sakristei 
und  an  letzterer  ein  Abort.  Auf  Kinderstühle  ist  nicht 
Rücksicht  zu  nehmen,  dagegen  auf  Chorgestühl.  Elek- 
trische Beleuchtung  kommt  zunächst  nicht  in  Betracht; 
für  eine  Zentralheizung  sind  geeignete  Kellerräume  vor- 
zusehen einschließhch  einer  Kaminführung. 

4.  Bauprogramm  für  das  Pfarrhaus.  Offene 
Bauweise;  im  übrigen  gilt  die  Bauordnung  für  das 
Königreich  Bayern.  Das  Gebäude  ist  ganz  zu  unterkel- 
lern; im  Keller  sind  Wasch-  und  Schatfräume,  von  außen 
zugäriglich  und  von  den  übrigen  Kellerräumen  voll- 
ständig getrennt  unterzubringen;  ferner  sind  Vorrats-, 
Holz-  und  Kohlenkeller  vorzusehen.  Im  Hochparterre 
sind  ein  heizbares  Arbeitszimmer  und  eine  Registratur 
(je  20  — 24  qm),  ein  heizbares  Speisezimmer  (ca.  3  5  qm), 
zwei  heizbare  Dienstbotenräume  (ca.  15 — 20  qm),  ein 
heizbares  Haushaltungszimmer  (ca.  25  qm),  dann  Küche, 
Speisekammer  und  Abort  mit  Toilette  vorzusehen.  Über 
dem  Hochparterre  in  einem  oder  zwei  Stockwerken  (der 
Dacliraum  darf  zur  Hälfte  ausgebaut  werden)  ist  unter- 
zubringen :  Die  Wohnung  des  Pfarrers,  bestehend  aus 
Studierzimmer,  Schlafzimmer,  Empfangszimmer,  ca.  20 
bis  30  qm  groß,  heizbar  und  an  sonniger  Seite.  Er- 
wünscht wäre,  dem  Studierzimmer  einen  Blick  auf  die 
Kirche  zu  gestatten.  Die  Wohnung  des  Bischofs  im 
Anschluß  an  das  Empfangszimmer  der  Pfarrwohnung 
mit  einem  Schlal'zimmer ,  Zimmer  des  Sekretärs  und 
Dienerzimmer  (ca.  20—30  qm)  und  sämtlich  heizbar; 
ferner  ein  Badezimmer  und  ein  Abort.  Drei  Kaplan- 
wohnungen mit  je  einem  heizbaren  Wohnzimmer  und 


einem  nicht  heizbaren  Schlafzimmer,  15  —  20  qm  groß, 
und  endlich  zwei  heizbare  Gastzimmer,  ca.  je  20  qm 
groß.  Kaplanwohnung  und  Gastzimmer  können  nach 
Belieben  angeordnet  werden.  Für  die  Bischofswohnung 
kann  eine  nicht  sonnige  Seite  gewählt  werden,  da  sie 
nur  selten  benützt  wird.  Hofraum  und  Garten  sowie  Ein- 
friedung ist  vorzusehen. 

5.  Stil,  Bauart.  Kirche  und  Pfarrhaus  sind  dem 
Charakter  der  Stadt  anzupassen.  Als  Hauptbaumaterialien 
kommen  nur  Beton  und  Backsteine  in  Betracht.  Sand- 
oder Kalksteine  existieren  in  der  Gegend  nicht  und 
entsprechen  auch  der  heimischen  Bauweise  nicht. 

6.  Baukosten.  Die  Gesamtbaukosten  für  Kirche  mit 
Turm  und  Pfarrhaus  dürfen  ohne  innere  Einrichtung 
2)0000  M.  nicht  überschreiten.  Die  Kostenveranschla- 
gung ist  nach  Kubikmeter  des  umbauten  Raumes  auf- 
zustellen, gemessen  von  Kellerfußboden  bezw.  Terrain- 
oberkante bis  Hauptgesimsoberkante,  und  soll  bei  ein- 
fachster Ausstattung  der  Einheitspreis  für  die  Kirche 
M.  16.—,  für  das  Pfarrhaus  M.  14, —  betragen.  Die 
Platzfrage  der  Ivirche  ist  so  zu  lösen,  daß  einer  künf- 
tigen Erweiterung  Rechnung  getragen  werden  kann. 

7.  Anzahl  und  Maßstab  der  vorzulegenden 
Zeichnungen.  Für  die  Kirche  sind  Grundrisse  unter 
und  über  der  Empore  bezw.  über  denselben,  ein  Quer- 
und  ein  Längenschnitt,  sowie  zwei  Hauptansichten  im 
Maßstab  i  :  200;  für  das  Pfarrhaus  die  sämtlichen  Grund- 
risse, ein  duer-  und  ein  Längenschnitt,  sowie  zwei 
Hauptansichten  im  Maßstab  i  :  200,  ferner  ein  Gesamt- 
lageplan Maßstab  i  ;  1000  und  eine  beliebige  Gesamt- 
perspektive vorgeschrieben.  Auch  ist  ein  Kostennach- 
weis nach  Nr.  6  des  vorliegenden  Ausschreibens  bei- 
zufügen. 

8.  Kennzeichen  der  Arbeiten.  Den  mh  einem 
Kennwort  versehenen  Entwürfen  ist  im  verschlossenen 
Umschlage,  der  außen  das  gleiche  Kennwort  tragen 
muß,  Name  und  Wolmung   des  Verfassers   beizufügen. 

9.  Termin.  Die  Projektskizzen  sind  an  die  Geschäfts- 
stelle der  1  Deutschen  Gesellschaft  für  christliche  Kunst«, 
München,  Karlstraße  6,  einzusenden.  Als  Einlieferungs- 
termin  wird  der  i.  Oktober  1909,  abends  6  Uhr,  be- 
stimmt; für  auswärtige  Einsender  gilt  das  Datum  des 
Aufgabestempels.  (Es  wird  gebeten,  die  Entwürfe  nicht 
unter  Glas  zu  senden.) 

tiiPas  Preisgericht  fungiert  in  München. 

10.  Preise.  Als  Preise  werden  festgesetzt:  I.Preis 
M.  1200,—,  IL  Preis  M.  900.—,  III.  Preis  M.  700.—. 
Dem  Preisgericht  bleibt  es  auf  einstimmigen  Beschluß 
unbenommen,  den  Betrag  von  2800  M.  auf  Preise 
gegebenenfalls  auch  anders  zu  verteilen.  Ferner  soll  es 
dem  Preisgerichte  vorbehalten  bleiben,  eine  weitere  gute 
Arbeit  mit  500  M.  zu  erwerben.  Die  preisgekrönten 
bezw.  angekauften  Entwürfe  gehen  in  den  Besitz  des 
Kirchenbauvereins  über;  das  Urheberrecht  bleibt  den 
Verfassern  gewahrt. 

11.  Preisgericht.  Das  Preisgericht  wird  gebildet 
von  der  »Jury«  der  Deutschen  Gesellschaft  für  christ- 
liche Kunst,  welche  aus  dem  Architekten  Peter  Danzer, 
Assistent  an  der  Technischen  Hochschule  in  München^ 
den  Bildhauern  Balthasar  Schmitt,  Professor  an  der  Aka- 
demie der  bildenden  Künste  in  München,  und  Heinrich 
Wadere,  Professor  an  der  Kunstgewerbeschule  in  Mün- 
chen, den  Malern  Felix  Baumhauer  und  Joseph  Huber- 
Feldkirch  in  .München,  dann  den  Kunstfreunden  Dr.  Ludwig 
Baur,  Universitätsprofessor  in  Tübingen  und  Dr.  August 
Knecht,  Lyzealprofessor  in  Bamberg,  besteht;  ferner 
gehören  dem  Preisgericht  an  die  Architekten  Dr.  Gabriel 
von  Seidl,  kgl.  Professor  in  .München,  Stadtbaurat  Hans 
Grässel  in  München  und  Architekt  Karl  Bauer-Ulm  in 
München;  dann  Herr  kgl  Stadtpfarrer  Max  Rippler  in 
iMemmingen  als  Vorstand  des  kath.  Kirchenbauvereins 
daselbst,  und  Herr  kgl.  Bauführer  und  Landtagsabgeord- 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  -  BUCHERSCHAU 


neter  Heinrich  Hofstädter  in  Memmingen.  Im  Falle  der 
Verhinderung  eines  der  genannten  Juroren  behäh  sich 
die  Jury  das  Hecht  der  Kooptierung  eines  Ersat?mannes 
vor.  —  Ersatzmann  für  die  Vertretung  von  Memmingen 
ist  Herr  Kaufmann  Joseph  Eisele.  Der  Kirchenbau- 
vereinsvorstand  wird  bezüglich  der  Ausführung  eines 
von  der  Jun'  ausgewählten  Entwurfes  mit  dem  Preis- 
gericht in  Verbindung  bleiben,  behält  sich  jedoch  die 
Entscheidung  bezüghch  der  Ausführung  vor. 

12.  Ausstellung  der  Entwürfe.  Nach  der  Ent- 
scheidung des  Preisgerichtes  werden  sämtliche  Entwürfe 
etwa  14  Tage  lang  in  einem  noch  zu  bestimmenden 
Lokale  in  München  öffentlich  ausgestellt.  Auch  ist  eine 
Ausstellung  sämtlicher  Projekte  in  Memmingen,  die  sich 
an  jene  zu  München  anschließen  soll,  ins  Auge  gefaßt. 

Die  Rücksendung  der  nicht  preisgekrönten 
und  nicht  honorierten  Entwürfe.  Etwaige  Rekla- 
mationen müssen  bis  ij.  November  1909  angemeldet 
sein.  Von  denjenigen  Entwürfen,  welche  14  Tagenach 
Schluß  der  Ausstellung  nicht  abgeholt  sind,  werden  die 
Briefumschläge  geöffnet,  um  die  Rücksendung  zu  er- 
möglichen, welche  nach  diesem  Termine  kostenfrei  erfolgt. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Erzabt  Bonifatius  Krug  von  Montecassino  starb  am 
4.  Juli  in  Montecassino  im  Alter  von  7 1  Jahren.  Er  war 
ein  energischer  Kunstförderer. 

Oesterreichische  Gesellschaft  für  christ- 
liche Kunst.  Bei  dem  Preisausschreiben  für  den  Bau 
einer  Pfarrkirche  in  Rossitz  erhielt  Prof  Architekt  Vin- 
cenz  Bayer  den  ersten  Preis,  den  zweiten  Baurat  Kier- 
stein.  Bei  der  Konkurrenz  für  ein  Wegkreuz,  ebenfalls 
von  der  Gesellschaft  ausgeschrieben,  erhielt  Bildhauer 
Franz  Kluge  den  ersten  Preis  von  1000  Kronen. 

K.  n, 

München.  Joseph  Albrecht  vollendete  Ende  Juni 
drei  große  Gemälde  für  eine  Kirche  in  Nordamerika ; 
sie  schildern  die  Erscheinung  im  brennenden  Dornbusch, 
die  Parabel  vom  barmherzigen  Samaritan  und  die  Pre- 
digt des  heiligen  Franz  Xaver. 

Regensburg.  Im  September  wird  die  St.  Blasius- 
kirche  drei  große  Chorfenster  erhalten,  entworfen  und 
ausgeführt  von  Carl  de  Bouche  in  München. 

Ür dingen  am  Niederrhein.  Der  Kirchenbauverein 
beschloß,  das  Projekt  des  Architekten  R  u  m  m  e  1  in  Frank- 
furt a.  M.  ausführen  zu  lassen. 

Über  El  Greco.  In  Toledo  ist  ein  Museum  er- 
öffnet worden,  das  ausschließlich  Werke  des  neuer- 
dings in  die  erste  Reihe  aller  spanischen  Maler  gerückten 
Greco  umfassen  soll.  Die  Sammlung  ist  in  einem  Hause 
untergebracht  worden,  das  direkt  neben  dem  liegt,  wo 
der  Meister  gelebt  hat.  Man  geht  mit  der  Absicht  um, 
auch  die  in  dem  städtischen  Museum  von  Toledo  auf 
bewahrten  Werke  von  der  Hand  des  Theotokopoulos  in 
das  neue  Greco-Museum  zu  überführen.  Wir  veröffent- 
lichten im  III.  Jahrgang  eine  längere  Abhandlung  über 
diesen  Meister  und  zahlreiche  Gemälde  desselben. 

Breslau.  Am  28.  Juni  starb  der  Kunstschriftsteller 
Dr.  Richard  Muther,  Professor  der  Kunstgeschichte, 
im  50.  Lebensjahre. 

München.  Ergebnis  des  Wettbewerbs  zur  Er- 
langung von  Entwürfen  für  ein  Polizeigebäude  auf  dem 
.\real  des  Augustinerstockes.  Es  gingen  80  Projekte  ein; 


von  diesen  sehen  54  die  Erhahung  des  Baues  der  Augu- 
stinerkirche vor  und  nur  26  projektierten  an  Stelle  der 
Kirche  einen  Neubau  (vergl.  Heft  7,  Beilage,  und  Heft  8). 
Von  den  6  Preisen  fielen  5  auf  solche  Projekte,  welche 
die  Erhaltung  der  Kirche  wollen.  Den  i.  Preis  (12000M.) 
erhielt  der  Entwurf  > Bischofstab«  von  den  Architekten 
Delisle  und  Ingwersen  (München);  den  2.  Preis 
(9000  M.)  erhielt  »Stadtbild  I«  von  Hessemer  und 
Schmidt  (München);  ein  5.  Preis  (6000  M.)  fiel  auf 
»Großer  Hof«  von  Architekt  Scholer  und  Professor 
Bon  atz  (Stuttgart);  ein  weiterer  3.  Preis  fiel  auf  »Weite 
Gasse«  von  Theodor  Fischer  (München);  der  4.  Preis 
(5000  M.)  wurde  dem  Projekt  »St.  Augustinus«  von 
Professor  R.  Bern  dl  (München)  zuerkannt.  Auch  das 
Projekt  »Verschlungene  Kreise«  von  Franz  Kuhn 
(Heidelberg)  erzielte  einen  4.  Preis.  Zum  Ankaufe  (je 
2000  M.)  wurden  empfohlen  Entwürfe  von  Oberin- 
genieur B 1  ö  ß  n  e  r  (München),  Bauamtsassessor  Buchen 
(München),  Professor  Emanuel  v  on  Seidl  (München) 
und  Professor  Pützer  (Darmstadt). 


BUCHERSCHAU 

Braun  Joseph  S.  J.,  Die  Kirchenbauten  der 
deutschen  Jesuiten.  Ein  Beitrag  zur  Kultur-  und 
Kunstgeschichte  des  17.  und  18.  Jahrhunderts.  Erster 
Teil.  Die  Kirchen  der  ungeteilten  rheinischen 
und  der  niederrheinischen  Ordensprovinz.  Mit 
13  Tafeln  und  22  Abbildungen  im  Text.  Freiburg  i.  B., 
Herder,   1908.    8°,  XII  und  276  S. 

Wenn  ein  Ordensmann  über  die  kirchliche  Bautätig- 
keit seines  Ordens  schreibt,  wird  man  dem  ^^'erk  er- 
höhtes Interesse  entgegenbringen.  In  die  Traditionen 
des  Ordens  eingeführt  und  mit  den  Ordensgepflogen- 
heiten vertraut,  hat  er  den  Vorteil  eines  tieferen  Hin- 
blickes in  die  Absichten  im  ganzen  und  die  Zweckbe- 
stimmungen im  einzelnen.  Die  Jesuitenkirchen  in  ihrer 
Gesamtheit  sind  zudem  noch  nie  Gegenstand  eingehen- 
der Untersuchung  gewesen,  um  so  mehr  der  Tummel- 
platz tendenziöser  Charakteristik  ;  sie  gehören  ferner  einer 
Zeit  an,  deren  architektonische  Leistungen  und  Entwick- 
lungslinien mehr  als  je  Gegenstand  eifriger  Forschung 
sind.  Die  Arcliive  der  Gesellschaft,  Auswärtigen  schwer  zu- 
gänglich, standen  dem  Ordensmitglied  weit  offen.  Gründe 
genug,  dem  Werke  alle  Beachtung  zu  schenken.  Das 
Buch  umfaßt  dem  geographischen  Umfang  nach  die  bis 
1626  ungeteilte  rheinisclie  und  von  da  ab  die  nieder- 
rheinische Ordensprovinz.  Jene  erstreckte  sich  etwa  vom 
5. —  IG.  Längen-  und  vom  48. —  55.  Breitengrad.  Der  Ver- 
fasser bietet  im  ersten  Hauptteil  eine  eingehende 
Topographie  der  Jesuitenkirchen  und  geht  dabei 
sehr  solid  zu  Werke ;  er  schafft  zunächst  für  jeden  Bau 
und  seine  Einrichtung  die  historische  Grundlage 
und  hat  hiefür  keine  Mühe  in  Aufspürung  eines  weit- 
zerstreuten archivalischen  Materials  gespart,  selbst  nicht 
in  jenen  vereinzelten  Fällen,  wo  sorgsame  Monographien 
bereits  vorlagen.  Sodann  gibt  er  eine  ausführliche  und 
e.xakte  Beschreibung  der  einzelnen  Kirchen,  ihres 
Dekors  und  ihres  Mobiliars ;  diese  Beschreibungen  beruhen 
durchwegs  auf  sorgfältiger,  von  scharfer  Beobachtungs- 
gabe getragener  Eigenschau  und  werden  unterstützt  durch 
81  Abbildungen,  meist  nach  Photographien,  die  vom 
Verfasser  speziell  für  seine  Arbeit  aufgenommen  wurden  ; 
sie  bringen  großenteils  Neues  und  sind  instruktiv  aus- 
gewählt. Den  Bescliluß  jeder  Einzelabhandlung  bildet 
eine  ästhetische  Be  urteilung  der  betreffenden  Kirche. 
So  setzt  sich  dieser  Hauptteil  aus  wohlgeordneten  Mono- 
graphien über  die  einschlägigen  Jesuitenkirchen  zusam- 
men. Daran  reiht  sich  als  zweiter  Hauptteil  eine 
Würdigung  dieser  Kirchenbauten.  Zunächst  nach  ihien 
stilistischen  und  architektonischen  Eigentümlichkeiten,  wo- 


BUCHERSCHAU 


bei  zum  erstenmal  ein  bedeutsamer  Anlauf  genommen 
wird,  das  merkwürdige  Knorpelornament  in  seinem 
geschichtlichen  Entstehen  und  Auftreten  zu  verfolgen. 
Als  architektonische  Eigentümlichkeiten  der  Jesuitenkir- 
chen bezeichnet  der  Verfasser  die  Weiträumigkeit  des 
Mittelschiffs  (ist  diese  wirklich  nur  den  Jesuitenkirchen 
jenes  Gebietes  eigen  ?  i,  die  seitlichen  Emporen  mit  Treppen- 
türmen als  Zugängen  und  die  Oratorien.  Speziell  die 
Langseitsem poren  haben  die  Jesuiten  zuerst  in  Köln 
eingeführt,  angeregt  durch  lokale,  mittelalterliche  Vor- 
bilder. Sodann  geht  die  \\'ürdigung  über  zu  entwick- 
lungsgeschichtlichen Fragen  und  sucht  das  Ver- 
hältnis der  Jesuitenkirchen  zu  einander  und  zu  der  zeit- 
genössischen Kirchenbaukunst  ihrer  räumlichen  Umge- 
bung klarzustellen.  Die  wichtigen  Ergebnisse  dieses  Ab- 
schnittes sind  einerseits  ein  Stammbaum  der  wich- 
tigeren >gotischen<  Jesuitenkirchen  (Münster;  Tochter: 
Molsheim ;  Töchter  :  Köln,  Aachen ;  Töchter  von  Köln  : 
Koesfeld,  Paderborn ;  Tochter  von  Koesfeld :  Siegen), 
anderseits  das  endgültige  Begräbnis  der  Fabel  vom  Je- 
s  u  i  t  e  n  s  t  i  1  für  das  behandelte  Gebiet,  nachdem  schon 
Gurlitt,  dem  in  Deutschland  allgemeine  Zustimmung 
hierin  zuteil  wurde,  deren  Unhaltbarkeit  erkannt  hatte: 
>Je  nach  dem  Lande  der  Erbauung  wandeln  die  Ge- 
staltungen. <  Die  Jesuiten  verhielten  sich  indifferent  gegen- 
über der  Snlfrage ;  sie  sclilossen  sich  der  heimischen 
Bauweise  an,  machten  deren  Wandlungen  mit  und  rich- 
teten ihr  Augenmerk  auf  die  praktische  Frage,  wie  sich 
mit  den  vorhandenen  Stilformen  das  Ideal  einer  Volks- 
kirche verwirklichen  lasse.  Sehr  lehrreich  ist  in  dieser 
Hinsicht,  was  die  Einleitung  über  die  Betätigung  der 
Bauoberaufsicht  durch  die  Zentralstelle,  durch  das  Gene- 
ralat  in  Rom,  beibringt,  wozu  die  Ausführungen  Brauns 
in  dem  Werke  seines  Ordensgenossen  B.  Duhr,  Ge- 
schichte der  Jesuiten  in  den  Ländern  der  deutschen 
Zunge  I,  603—607  ergänzungsweise  heranzuziehen  sind. 
Darnach  haben  die  Konstitutionen  der  Gesellschaft  zur 
Frage  der  Kunstbetätigung  überhaupt  nicht  Stellung  ge- 
nommen, nicht  einmal,  wie  einst  der  Relbrmorden  der 
Zisterzienser,  in  negativen  Formulierungen.  Dagegen 
wurde  durch  die  Generalkongregation  von  1565  bestimmt, 
daß  die  Pläne  der  neu  zu  errichtenden  Bauten  dem  Gene- 
ral zur  Genehmigung  vorzulegen  seien.  Dieser  Verfü- 
gung kam  man  auch  gewissenhaft  nach,  jedoch  be- 
schränkte sich  die  in  Rom  vorgenommene  Prüfung,  nach 
Ausweis  sowohl  der  Antwortschreiben  aus  dem  Gene- 
ralat  wie  auch  der  erhahenen  Pläne,  auf  Fragen  der 
Zweckmäßigkeit  und  Solidität ;  in  stilistischer  und  ästheti- 
scher Hinsicht  wurde  den  Bauherren  (dem  Kollegsrektor 
und  seinen  Konsultoren)  und  den  Baumeistern  völlig  freie 
Hand  gelassen.  Der  Versuch  des  Generals  Mercurian 
(um  1575),  für  den  ganzen  Orden  bestimmte,  in  Rom 
angefertigte  Idealpläne  als  verbindliche  Vorlagen  bei  Neu- 
bauten vorzuschreiben,  scheiterte  an  der  Mannigfaltigkeit 
der  Verhältnisse  in  den  vielen  Ländern,  über  die  sich 
die  Gesellschaft  ausbreitete.  Auch  hatte  speziell  die  rhei- 
nische Provinz  weder  eine  genügende  Zahl  von  Archi- 
tekten unter  ihren  eigenen  Leuten,  noch  zogen  die  Je- 
suiten nach  Art  der  Zisterzienser  einen  Stamm  von  bau- 
geübten Laienbrüdern  heran,  so  daß  also  auch  von  den 
Meistern  und  ihren  Gehilfen  keine  festumschriebenen 
Traditionen  auch  nur  technischer  Art  überall  hätten  zur 
Geltung  gebracht  werden  können.  —  Der  Verfasser  hat 
in  der  Topographie  der  Jesuitenkirchen  die  >gotischenc 
und  die  •  nichtgotischen«  Kirchen  zu  je  einem  Abschnitt 
vereinigt.  Es  mag  ihm  dabei  die  Absicht  vorgeschwebt 
haben,  gegenüber  dem  tendenziösen  Erbirrtum,  als  hätten 
die  Jesuiten  geflissentlich  und  im  Dienste  der  Bestrebun- 
gen der  katholischen  Restauration  den  Barock  begün- 
stigt, nachdrücklichst  die  Wahrheit  ans  Licht  zu  rücken, 
daß  sie  sich  vielmehr  der  heimischen,  bodenständigen 
Bauweise   bedient   haben.     In   der  Tat  wirkt   die   statt- 


liche Reihe  der  > gotischen«  Kirchen  wuchtig.  Allein 
nach  meinem  Empfinden  ist  diese  Scheidung  ri.icht  glück- 
lich; sie  verwischt  und  verdunkelt  die  feinen  Übergänge, 
die  fast  unmerklich  von  der  Gotik  zur  Renaissance  hin- 
überleiten. Svstematisierung  ist  gerade  bei  Schöpfungen 
von  Übergangszeiten  eine  mißliche  Sache.  Tatsächlich 
trägt  eben  doch  bereits  die  Kirche  in  Koblenz  (löogff.) 
und  tragen  seit  dem  Aachener  Bau  (161 8  ff.)  alle 
Kirchen,  auch  die  >gotischen«,  nur  etwa  Paderborn 
und  Bonn  ausgenommen,  überwiegend  Renaissancecha- 
rakter zur  Schau,  schon  in  der  gewiß  nicht  durch  einen 
Zufall  veranlaßten  Betonung  der  Breitendimension  (Koes- 
feld, Höhe  zur  Breite  =  10:  9!),  ferner  in  der  Verein- 
heitlichung des  Innenraumes  durch  Herabdrückung  der 
Seitenschiffe  zur  Bedeutungslosigkeit,  sowie  vor  allem 
hinsichtlich  des  Konstruktionssystems,  in  dem  Abschwen- 
ken vom  Strebebau  zum  Mauerbau.  Aber  auch  die  for- 
malen Einzelheiten  sind  nicht  immer  nur  nebensäch- 
licher Art;  die  konsequente  Ersetzung  des  Spitzbogens 
durch  den  Rundbogen,  der  Verzicht  auf  den  Schlußstein 
und  den  Strebepfeiler,  die  Einstellung  der  Arkadenstützen 
in  der  Achsenrichtung  der  Kirche,  die  Ersetzung  der 
Dienstbündel  durch  toskanische  Halbsäulen,  all  das  sind 
so  bedeutsame  Abweichungen  vom  gotischen  Konstruk- 
tionssystem, daß  es  schließhch  gar  nicht  mehr  als  ein 
Widerspruch  erscheint,  wenn  man  solchen  Kirchen  ba- 
rocke Fassaden  vorgesetzt  und  neben  sie  den  Renaissance- 
turm mit  seinem  Prinzip  des  Stockwerksbaues  gestellt 
hat;  es  ist  eben  da  auch  im  Innern  der  Kirche  von  Gotik 
fast  nichts  mehr  zu  finden  als  etwa  das  Rippengewölbe 
und  dieses  nur  in  der  Bedeutung  eines  rein  formalen 
Elementes,  an  dessen  Stelle  vom  konstruktiven  Stand- 
punkt aus  ebensogut,  wie  es  da  und  don  wirklich  der 
Fall  ist,  das  Gratkreuzgewölbe  oder  das  Tonnengewölbe 
der  Renaissance  treten  könnte.  Freilich,  Barockkirchen 
im  Sinne  des  römischen  Barock  wären  sie  auch  dann 
nicht.  Eine  solche  entstand  nur  in  Aschaffenburg  (löigf.), 
jedoch  in  ziemlich  kleinen  Dimensionen ,  während  die 
von  dem  kurkölnischen  Baumeister  Franz  Heinr.  Roth 
erbaute  Kollegskirche  in  Büren  (1745  ff.)  den  süddeutschen 
Barock  glänzend  vertritt  und  die  Düsseldorfer  Kirche 
(1622 — 29)  in  der  Bauanlage  wie  in  der  Stuckdekoration 
bekanntlich  die  Hofkirche  in  Neuburg  a.  D.  kopiert 
(s.  oben  II,  2 14  f.).  Mit  Ausnahme  der  AschafTenburger 
Kirche  gehören  alle  vor  dem  iS.  Jahrhunden  entstan- 
denen Jesuitenkirchen  des  Gebietes  einem  Mischstil  an, 
der  sich  nicht  in  einer  kontinuierlich  ansteigenden  Linie, 
sondern  mit  Hebungen  und  Senkungen  dem  Barockstil 
nähert.  Man  könnte  ihn  rheinischen  Barock  nennen 
und  als  seine  Eigentümlichkeiten  neben  der  Vorliehe  für 
Teilung  des  Hauptraumes  in  Schiffe  und  für  Rippen- 
gewölbe die  Anordnung  von  Langseitsemporen  bezeich- 
nen. An  der  Dreiteilung  des  Hauptraumes  scheint  man 
grundsätzlich  festgehalten  zu  haben,  wohl  um  sich  von 
der  heimischen  Bauweise  —  man  wollte  ja  Volkskirchen 
bauen ,  doch  wolil  auch  in  dem  Sinne ,  daß  sich  das 
Volk  darin  heimisch  fühle  —  nicht  zu  weit  entfernen; 
denn  es  ist  doch  sehr  auffallend ,  daß  keiner  der  drei 
aus  Bayern  stammenden  Risse  für  Köln  das  einschiffige 
Barocksystem  wiedergibt,  das  doch  damals  in  der  ober- 
deutschen Provinz  schon  mehrfach  erprobt  war.  Gerade 
die  Teilung  in  Schiffe  aber  ist  es,  die,  obwohl  auch 
dem  Barockstil  nicht  fremd,  die  traditionelle,  mittelalter- 
liche Bauweise  selbst  da  noch  nachklingen  läßt,  wo  die 
Seitenschiffe  im  Sinne  des  Barock  bereits  den  Charakter 
von  unselbständigen  N'ebenräumen  .ingenommen  haben. 
—  Dem  emsigen  Fleiße  des  Verfassers  verdankt  die  Kunst- 
geschichte die  Feststellung  mehrerer  bisher  unbekannter 
Baumeister;  gerade  die  hervorragendsten  Bauten  des  Or- 
dens sind  nunmehr  mit  bestimmten  Namen  verknüpft. 
Sehr  dankenswert  ist  auch  das  Eingehen  auf  die  zum 
Teil   bedeutenden   und  stilistisch  interessanten   Einrieb- 


ßUCHHRSCHAU 


tungsgegenstände,  die  im  17.  Jahrhundert  regelmäßig  in 
den  Kollegswerl<stätten  hergestellt  wurden,  oft  unter  der 
Leitung  von  kunsterfahrenen  Laienbrüdern.  Man  möchte 
wünschen,  einzelne  Altäre  und  Kanzeln  in  gesonderten 
Abbildungen  größeren  Formates  vor  sich  zu  haben;  so 
wie  sie  hier  geboten  werden,  sind  sie  zum  Studium  fast 
unbrauchbar.  Dringend  zu  empfehlen  ist  im  Interesse 
der  Bequemlichlieit,  Zeitersparnis  und  der  übersichtlichen 
Vergleichung  die  Vereinigung  der  Tafeln  am  Schluß 
statt  ihrer  Einstreuung  in  den  Text.  Mit  aufrichtigem 
Dank  das  Gebotene  hinnehmend,  dürfen  die  Kreise  der 
Kunstforscher  und  Kunstfreunde  mit  Spannung  der  Fort- 
setzung des  gediegenen  Werkes  entgegensehen. 

Prof.  A.  Schröder 

Braun  Joseph  S.  J.,  Die  belgischen  Jesuiten  - 
kirchen. Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Kampfes  zwi- 
schen Gotik  und  Renaissance.  Mit  75  Abbildungen.  Frei- 
burg i.  B.,  Herder,  1907-     8°,  XII  und  208  S. 

Die  Arbeitsmethode  und  die  Darstellungsgrundsätze 
sind  die  gleichen  wie  in  der  oben  besprochenen  Schrift 
über  die  deutschen  Jesuitenkirclien.  In  zwei  Abschnitten 
werden  zuerst  die  gotischen  Kirchen,  dann  die  Barock- 
kirchen vorgeführt.  Im  Gegensatz  zur  rheinischen  Ordens- 
provinz fanden  sich  in  den  belgischen  Provinzen  einige 
hervorragende  Architekten  innerhalb  des  Ordens.  Gleich- 
wohl kam  es  auch  hier  nicht  zur  Ausbildung  eines  eige- 
nen Jesuitenstiles.  Vielmehr  geht  die  Entwicklung  von 
der  sehr  mächtigen  gotischen  Bautradition  des  Landes 
aus,  hält  an  dieser,  von  der  dem  Gesü  nachgebildeten 
Kirche  in  Douai  abgesehen,  in  der  Teilung  des  Lang- 
hauses in  Schiffe  durchaus  und  lange  Zeit  auch  in  der 
Konstruktion  fest ,  gibt  allmählich  den  Gewölben  und 
im  Zusammenhang  damit  der  Konstruktion  des  Aufbaues, 
vor  allem  aber  dem  Detail  in  zunehmendem  Maße  Re- 
naissance- und  Barockcharakter,  so  daß  sich  ein  belgi- 
scher Barock  herausbildet,  und  zeigt  sich  im  übrigen  bei 
aller  Mannigfaltigkeit  der  Gestaltungen  darin  konsequent, 
daß  die  Gesamtanlage  durch  die  Tendenz,  Volkskirchen 
zu  schaffen,  bestimmt  wird,  weshalb  durchweg  Säulen 
und  diese  in  möglichst  weiter  Stellung  zur  Trennung 
der  Schifle  Verwendung  finden,  während  allerdings  auf 
Langseitsemporen  fast  überall  verzichtet  wird.  Mit  aller 
Bestimmtheit  und  gestützt  auf  wichtige  Q.uellen belege 
tritt  Braun  der  Tradition  entgegen,  daß  der  Entwurf  zur 
Profeßhauskirche  in  Antwerpen  auf  Rubens  zurückgehe. 
Beziehungen  des  belgischen  Barocks  zur  genuesischen 
Kirchenbaukunst  des  16.  Jahrhunderts  werden  in  Abrede 
gestellt.  Es  ist  interessant,  die  ungemein  rasche  Ent- 
wicklung von  den  ersten  Bauten  des  Bruders  Hoeimaker, 
die  in  ihrer  Zurückhaltung  und  konstruktiven  Knappheit 
an  die  Früharchitektur  der  Bettelorden  erinnern,  bis  zu 
den  nur  etwa  30  Jahre  jüngeren  glänzenden  Bauten  des 
Bruders  Huyssens  zu  verfolgen,  der  wegen  seiner  Nei- 
gung zu  Pracht  und  Luxus  vom  Ordensgeneral  des  Amtes 
eines  Architekten  enthoben  wurde  und  doch  wieder  un- 
entbehrlich war.  Von  ihm  stammt  auch  die  Benedik- 
tinerabteikirche St.  Peter  in  Gent.  Es  sind  sehr  beach- 
tenswerte Leistungen,  die  hier  zum  erstenmal  in  ihrer 
Gesamtheit  —  mit  Einschluß  auch  der  zerstörten  und 
der  nur  geplanten  Bauten  —  vorgeführt  und  auf  ihren 
Zusammenhang  mit  der  heimischen  Kunst  geprüft  werden. 

Prof.  A.  Schröder 

Dürer-Studien.  Bemerkungen  zu  Dürers  Leben, 
Schaffen  und  Glauben  von  G.  A.  Weber,  Regensburg, 
Pustet,  59  Seiten. 

Im  dritten  Jahrgange  der  Monatsschrift  »Hochland« 
(S.  296  ff.)  hat  der  Kunsthistoriker  Alfred  Hagelstange 
an  dem  Ijekannten  Buche  von  Weber  über  Alb.  Dürer 
eine  Kritik  geübt,  der  man  zwar  im  einzelnen  nicht 
jede  Berechtigung  wird  absprechen  können,  an  der  je- 


doch eine  gewisse  ätzende  Schärfe  des  Tones  zu  be- 
dauern war.  In  der  vorliegenden  kleinen  Schrift  nimmt 
Weber  den  ihm  hingeworfenen  Fehdehandschuh  auf. 
In  der  Tat  gelingt  es  ihm  da  und  dort,  seines  Kritikers 
Hiebe  zu  parieren  oder  wenigstens  zu  entkräften.  In 
anderen  Punkten  dürfte  vor  dem  Urteil  der  Öffentlich- 
keit Hagelstange  recht  behalten.  So,  um  ein  Beispiel 
herauszugreifen  in  der  Kontroverse  über  das  »leider 
nackte«  Jesuskind  auf  Dürers  »Rosenkranzbild«.  Hiei 
ist,  falls  man  schon  einmal  diese  Sache  vorwiegend  vom 
seelsorglichen  Standpunkt  betrachten  will,  auch  die  Ent- 
stehungszeit, sowie  der  Bestimmungsort  des  Werkes  in 
Betracht  zu  ziehen.  Bei  solcher  Erwägung  —  jene  Zeit 
war  in  solchen  Dingen  überhaupt  nicht  so  empfindhch 
wie  wir,  zumal  in  Itahen  —  wird  auch  Weber  davon 
abkommen,  nach  dieser  Seite  einen  Tadel  gegen  das 
Dürersche  Jesuskind  auszusprechen. 

Audi  würde  das  Webersche  Buch  sicher  an  Abrun- 
dung  gewinnen,  wenn  den  Erörterungen  über  den  Lissa- 
boner St.  Hieronymus  in  einer  Neuauflage  ein  verhältnis- 
mäßig weniger  breiter  Platz  eingeräumt,  und  nach  Hagel- 
stanges Vorschlag  der  kirchengeschichtliche  zweite  Teil 
von  dem  rein  kunstgeschichtlichen  ersten  überhaupt  los- 
gelöst würde.  Ich  muß  mir  versagen,  auf  die  weiteren 
Punkte  des  näheren  einzugehen.  Streitschriften  lesen 
sich  unerquicklich  und  bleiben  meist  auch  etwas  Un- 
fruchtbares. Möge  der  vorliegende  Fall  hierin  eine  Aus- 
nahme machen,  die  Kritik  sich  auf  den  Standpunkt  stellen, 
daß  durch  Vermeidung  aller  verletzenden  Schärfe  der 
Wissenschaft  am  besten  gedient  wird,  anderseits  Prof. 
Weber  die  Ausstellungen  und  Vorschläge  Hagelstanges 
ohne  Voreingenommenheit  prüfen  und  »das  Gute  be- 
halten« resp.  die  für  nächste  Auflage  seines  verdienstvollen 
Dürer-Buches  nutzbar  machen.  Damrich 

Die  ehemalige  Kloster-  und  Wallfahrtskirche 
zu  Bergen  bei  Neuburg  a.  D.,  ihre  Geschichte 
und  Beschreibung.  Leben  und  Werke  des 
Meisters  ihrer  Fresken,  des  Augsburger  Kunst-  und 
Historienmalers  Joh.  Wolfgang  Baumgartner  1712 — 
1761.  Von  Dr.  Alois  Hämmerle,  K.  Gymnasialprofessor. 
Mit  22  Abbild,  im  Text  in  1 3  Tafeln.  Sammelblatt  des 
Historischen  Vereins  Eichstätt,  XXI.  Jahrgang  1906,  Eich- 
stätt.    Ph.  Brömersche  Buchdruckerei  (Peter  Seitz). 

Die  vorliegende  wertvolle  Monographie  besteht  aus  drei 
Abschnitten.  Der  erste  enthalt  die  Geschichte  und  Bau- 
beschreibung der  interessanten  romanischen  Klosterkirche 
zu  Bergen  mit  ihrer  schönen  Krypta,  ihrem  alleinstehen- 
den bergfriedartigen  Turm.  Der  Verfasser  konnte  den 
Nachweis  erbringen,  daß  die  Bergener  Kirche  eine  Hallen- 
kirche war,  ein  für  die  kunstgeschichthche  Forschung 
seltenes  Resultat. 

Der  zweite  Abschnitt  schildert  eingehend  die  Bauge- 
schichte der  heutigen  Rokokokirche,  die  mit  Benützung 
des  romanischen  Mauerwerks  von  1756—59  entstand. 
Auf  Grund  reichlich  fließender  archivaHscher  Quellen 
entfaltet  sich  vor  den  Augen  des  Lesers  ein  anziehendes 
Bild  mit  vielen  kunstgeschichthchen  Details. 

Der  dritte  Abschnitt  ist  dem  Augsburger  Maler  Joh. 
Wolfgang  Baumgartner  gewidmet,  der  die  Fresken  der 
Bergener  Rokokokirche  geschaffen  hat.  Baumgartner, 
einer  der  tüchtigsten  Rokokomaler,  war  bisher  sehr  wenig 
bekannt.  Der  Verfasser  bietet  eine  erschöpfende  Dar- 
stellung seines  Lebens  und  Wirkens,  die  durch  zahl- 
reiche Abbildungen  der  Fresken  in  Bergen  und  Baiten- 
hausen  illustriert  wird.  Diese  vortrefflichen  Abbildungen 
bieten  denn  auch  unseren  Künstlern  wertvolles  Material 
nach  derkompositionellen  wie  ikonographischen  Seite  hin. 

F.  Mider 


Redaktionsschluß:  12. Juli. 


BEILAGE 


AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 


AUS  DEM  KUNSTVEREIN  MÜNCHEN 

Neben  der  höchst  bemerkenswenen  Xachlaßausstellung 
des  verstorbenen  Landschaftsmalers  H.  Kamiah,  welche 
von  einer  nicht  alltäglichen  Kunst  beredtes  Zeugnis  ab- 
legte, fesselte  vor  allem  die  reiche  Darbietung  von  land- 
schaftlichen Motiven,  mit  denen  Fritz  Rabending  auf- 
wartete. Die  stillen,  einsamen,  verschwiegenen  Hoch- 
täler mit  hinziehenden,  rauschenden  Gewässern,  schnee- 
bedeckten Gebirgsketten,  Gletscherhöhen,  kurz  die  von 
jeder  Kultur  ausgeschlossenen,  wie  in  einem  L'rzustande 
noch  ruhenden  Schluchten  und  Abgründe  der  Alpenwelt 
sind  seine  Lieblingsmotive.  Hier  trägt  er  eine  ganze 
Welt  von  persönlichem  Erlebnis  hinein  und  vermittelt 
Natureindrücke  ganz  seltsamer  Art,  die  auch  in  einer 
Technik  gegeben  sind,  die  auf  eine  stark  sensible  Natur 
hinweist. 

An  die  Zügel-Schule  erinnerten  die  Arbeiten  des  treff- 
lichen Wilh.  Tiedjen,  wie  denn  Alice  Trübner 
vollständig  sich  die  Manier  ihres  Gatten  zu  eigen  ge- 
macht hat.  Wir  können  über  diese  extravagante  Art, 
Stilleben  in  einseitigstem  Geschmack  zu  stellen  und  sim- 
pel abzumalen,  nicht  viel  Worte  verlieren,  sie  richtet 
sich  meist  selbst  und  es  will  bedünken,  daß  wir  eine 
Malerei  erkennen,  die  gezwungen  und  absichtlich  ge- 
macht, nach  einem  längst  erprobten  Rezept  erreicht  wird. 
Viel  wärmer,  innerlicher,  wenn  man,  was  für  die  bil- 
dende Kunst  so  wichtig  ist,  sagen  will,  »naivere  waren 
den  vorerwähnten  Arbeiten  gegenüber  die  Studien  von 
Anna  von  Regne  und  Uta  von  Weech.  In  einer 
überaus  großen,  vielleicht  einer  zu  großen  Kollektivaus- 
stellung offenbarte  der  Holländer  Henri  He)- ligers 
sein  nicht  unbedeutendes  Können.  Seine  Landschaften 
wollen  weniger  Studien,  wie  dies  heute  so  üblich,  als 
vielmehr  Bilder  sein,  Bilder,  die  eine  geschmackvolle 
Künstlerseele  in  der  Natur  selbst  komponierte.  Seine 
meist  überaus  einfachen,  schlichten  Motive,  ein  Schäfer 
mit  der  Herde,  eine  Brücke  über  einen  Bach,  eine  Gänse- 
hirtin auf  dem  Felde,  dort  heimkehrende  Feldarbeiter, 
hier  die  Mutter  mit  ihrem  Liebling  am  Arm,  all  das 
schildert  der  Künstler  intim  und  hebevoll.  Eine  etwas 
starke,  meist  warme  Farbenskala  durchzieht  diese  Bilder, 
die  eben  durch  die  schon  angedeutete  Fülle  monoton 
wirkt,  dem  einzelnen  Werk  für  sich  dagegen  vortrefflich 
zu  statten  kommt.  Unter  den  vielen  Malerinnen,  die 
in  der  letzten  Zeit  die  Kunstvereinsausstellung  beschick- 
ten, ragen  besonders  hervor  K.  Hoch-Wilsing  und 
Franziska  Bleicher.  Das  Damenporträt  der  letzteren 
ist  eine  Leistung  von  nicht  zu  unterschätzender  An. 

Nachdem  schon  in  München  von  einheimischen  Kräf- 
ten so  unendUch  viel  produziert  wird,  ist  es  kaum  noch 
möglich,  andere,  auswärtige  Künstlerverbände  mit  ihren 
Darbietungen  zu  würdigen,  kommt  dann  noch  hinzu, 
wie  bei  dem  »Mährischen  Künstlerbund«,  daß  nicht  et- 
was Besonderes  geboten  wird,  oder  solches,  was  hier 
in  München  gerade  so  gut  oder  besser  gemacht  wird, 
so  sind  diese  Veranstaltungen  zwecklos.  Wir  gehen 
dann  Heber  zu  unseren  einheimischen  Künstlern  über 
und  betrachten  dann  mit  größerem  Vergnügen  die  Ar- 
beiten unseres  Ludwig  \Villroid  er  oder  eines  Bö  s- 
senroth,  eines  Fr  o  ben  i  u  s,  welcher  wieder  in  seinen 
prächtig  dekorativen  farbigen  Landschaftsbildern  alle 
Register  seines  starken  Könnens  zieht  und  seine  Werke 
mit  einer  echten  Poesie,  der  ein  leiser  Anklang  Roman- 
tik anhaftet,  verklärt.  Stammen  solche  Schöpfungen  aus 
einer  tiefmnerlichen  Gemütsstimmung,  so  erkannte  man 
bei  den  Arbeiten  von  Erna  Bossi  und  Wolfgang 
Merkel  den  starken  Einfluß  französischer  Kunst,  ge- 
mischt mit  einer  Dosis  Hodlerschen  Manierismus.  Einer- 
seits bedingunsloser  Naturalismus  und  anderseits  skla- 
vische Nachahmung  fremder  Kunst  des  Auslandes  hat 
der  einheimischen  viel  geschadet.     Allzu  viele  Künstler 


sind,  wie  wir  dies  noch  täglich  erfahren  können,  von 
der  französischen  Kunst  verdorben  worden.  Diese  hat 
ihnen  den  äußerlichen  Schick,  den  Wurf,  den  Schmiß 
gelehrt  und  durch  solche  reine  » Phrasen '<  vom  mensch- 
lichen Fühlen  abgezogen  und  vor  allem  den  gött- 
lichen Lebensodem  der  Poesie  ausgeblasen.  Hierzu 
tragen  vor  allem  Dinge  bei,  wie  sie  Edwin  Scharff 
gebracht  hat,  die  vielfach  von  jungen  begeisterungsfähigen 
Literaten  gelobt  werden,  aber  mit  dem  Wesen  der 
Kunst  nichts  zu  tun  haben.  Solche  Stiergefecht-  und 
Tingeltangel-Szenen,  wenn  sie  von  einem  falsch  ver- 
standenen Impressionismus  aus  gemacht  werden,  ver- 
wirren nur  den  Sinn  der  ohnehin  bereits  zur  Genüge 
übersättigten  Kunstfreunde. 

Über  die  große  Kunstauffassung  Rieh.  Pietzsch' 
haben  wir  schon  des  öfteren  berichtet.  Seine  neuer- 
lichen Arbeiten  beweisen  das  stetige  Voranschreiten. 
Kösthch  ist  das  Bild  des  idyllisch  gelegenen  Klosters 
Schäftlarn,  köstlich  auch  der  farbige  Herbstabend  mit 
der  weitgedehnten  Wiese  im  Vordergrund.  Das  Gefühl 
der  ernsten,  stillen  Schönheit  der  Natur  hat  Pietzsch 
hier  trefflich  zum  Ausdruck  gebracht.  Über  die  großen 
Reiterbildnisse  von  Ludwig  Herterich,  bestimmt  für 
den  alten  Rathaussaal  in  Neumarkt,  gingen  die  Meinungen 
der  Künstler  und  Kunst\-erständigen  stark  auseinander. 
Sicher  ist,  daß  eine  große  moderne  Farbenfreudigkeit 
die  beiden  Bilder  belebt,  die  weniger  monumental  oder 
gar  historisch  aufgefaßt,  sondern  als  dekorative  Malereien 
zu  betrachten  sind.  Das  eine  stellt  den  Kurfürsten 
Friedrich  von  der  Pfalz  dar,  das  andere  seine  Gattin. 
Ausgerüstet  zur  Jagd,  sprengen  sie  durch  die  weite 
Landschaft. 

Einer  von  den  vielen,  die  vergebens  nach  Anerkennung 
als  Künstler  rangen,  einer  der,  durch  Verwirrung  der  Ge- 
danken hervorgerufen,  sein  Leben  endete,  war  Otto 
Seraph  Peters.  Was  dieser  Maler  als  Landschafter 
schuf,  war  zwar  nicht  überwältigend  und  erschütternd, 
aber  von  emem  solch  sicheren  Können  getragen  und 
beseelt  von  innerer  Lebenswärme,  daß  wir  wenig  ähn- 
liches finden.  So  manche  Künstler,  die  durch  ihre 
Vordringhchkeit  und  durch  äußerlich  blendende  Ge- 
schicklichkeit sich  Plätze  an  erster  Stelle  errungen  haben, 
können  mit  ihren  Leistungen  nicht  an  jene  heran,  die 
der  Kunstverein  als  einziger  Vertreter  in  pietätvoller 
Weise  ausstellt.  Es  ist  ein  Jammer,  immer  und  immer 
wieder  die  Erfahrung  machen  zu  müssen,  wie  viel  Talent 
mit  Füßen  getreten,  wie  viel  direkt  durch  Ungunst  der 
Lebensverhältnisse  und  sonstiger  Umstände  vernichtet 
wird.  Was  Peters  hätte  leisten  können,  wenn  man  ihn 
in  richtige  Bahnen  geleitet,  beweist  u.  a.  das  Golgatha- 
bild und  die  sturmdurchwühlte  großzügige  Landschaft, 
die  bis  zu  einer  monumentalen  Wucht  gesteigert  sind. 
Das  solcherlei  unbeachtet  blieb,  läßt  sich  auch  dadurch 
erklären,  daß  Werke,  die  vielleicht  momentan,  da  sie 
dem  modernen  Geschmack  huldigen  oder  aktuell  er- 
scheinen, als  bedeutende  angesehen,  andere  dagegen  über- 
sehen werden,  weil  sie  entweder  nicht  aufdringlich  genug 
sind  oder  zu  kostbar,  seltsam  und  fein,  dem  Geschmack 
der  Allgemeinheit  nicht  entsprechen,  oder  endhch  in 
ihren  Ideen  der  Zeitströmung  weit  vorausgeeilt  und  des- 
halb nicht  verstanden  werden.  Erst  eine  spätere  Zeit, 
die  nicht  mehr  im  Streite  der  Meinungen  steht,  wird 
diesen  letzteren  Kunstwerken  gegenüber  gerecht  werden, 
wenn  man  sie  mit  ungetrübtem  Blick  zu  betrachten  ge- 
lernt hat. 

Wenden  wir  diesen  Blick  dem  längst  dahingeschie- 
denen Eugen  Napol.  Neureuther  zu.  Wenn  wir 
erkennen  wollen,  wie  mächtig  die  Zeit  ihren  Einfluß 
auf  den  Künstler  ausübt,  sei  er  noch  so  eigenartig  ver- 
anlagt, so  gewinnen  wir  hievon  ein  klares  Bild  in  der 
dem  Andenken  Neureuthers  gewidmeten  umfangreichen 
Ausstellung.     Er,   der  1806    geboren   wurde   und  1882 


NEUE  GRABMÄLER  —  ZU  UNSEREN  BILDERN 


starb,   war  ein  Zeitgenosse   Schwinds   und   wie   dieser 
ein  Romantiker  von  echtem  Blute. 

Der  Geist  jener  Zeit,  den  eine  ganz  stattliclie  Anzahl 
Künstler  in  ihren  Werlsen  zum  Ausdruck  brachte,  hat 
wohl  selten  eine  solch  prägnante  Verkörperung  erfahren 
als  in  diesem  von  schlichtem  Sinne  erfüllten,  von  hei- 
terem Gemüte  beseelten  Zeichner.  Denn  mehr  Zeichner 
als  Maler  war  Neureuther  und  er  konnte  so  auch  sein 
Talent  in  den  Märchenillustrationen  recht  entfalten.  Mit 
staunenswerter  Sicherheit  baut  er  seine  Kompositionen 
zum  Dornröschen  oder  Aschenbrödel  etc.,  umgeben  vom 
zierhchsten  Rankenwerk,  auf  und  belebt  sie  mit  einer 
Gedankenfülle,  die  sich  selbst  in  den  untergeordnetsten 
Dingen  ausspricht.  Die  Erfindungsgabe  ist  bei  ihm 
scheinbar  unerschöpflich,  stets  weiß  er  neue  Geschichten 
zu  erzählen,  stets  neues  Rankenwerk  zu  ersinnen  und 
das  konnte  er  nur,  weil  er  die  Natur  als  Basis  seines 
Schaffens  wählte.  In  ihr  fand  er,  wie  Dürer,  alles. 
Wir  müssen  da  zum  Vergleich  die  Studien  heranziehen, 
die  uns  eine  ganze  Welt  von  Schönheit  offenbaren  und 
uns  auch  zeigen,  daß  wir  heute  noch  weit  davon  ent- 
fernt sind,  im  modernen  Geiste  solche  Übersetzungen 
aus  der  Natur  zu  schaffen,  wie  dies  Neureuther  in  der 
Zeit  des  »Biedermaier«  so  einzigartig  verstand.  Es  würde 
zu  weit  führen  und  schließlich  auch  wenig  frucht- 
bringend sein,  die  ganze  Fülle  der  Erinnerungsblätter, 
Festkarten,  Diplome,  Randzeichnungen  zu  Volkshedern, 
Balladen  und  Epen  aufzuzählen.  Nur  so  viel  sei  gesagt, 
daß  wir  einen  überaus  reichen  Schatz  eines  fruchtbaren 
Künstlerlebens  zusammengetragen  finden,  der  uns  nicht 
nur  von  dem  Geiste  der  Bodenständigkeit  eines  echt 
nationalen  Deutschtums  beredtes  Zeugnis  ablegt,  sondern 
auch  Werte  vermittelt,  die   von    unvergänglicher  Dauer 

sind.  Franz  Wolter 

NEUE  GRABMALER  VON  JOSEF  KOPP 
IN  MÜNCHEN 

VV/ie  sehr  die  Grabmalkunst  im  argen  liegt,  zeigt  schon 
ein  flüchtiger  Blick  in  die  Musterbücher  und  Muster- 
lager der  Steinmetzen  und  der  >Grabsteinbildhauer«. 
Der  materialistische  Geist,  die  Konvention  und  der  nüch- 
terne Schematismus,  welche  die  Produktion  beherrschten, 
erschienen  unüberwindlich,  und  doch  drängte  die  Zeit, 
die  Renaissance  der  modernen  Plastik  und  der  moder- 
nen .Sachkunst  auf  eine  Regeneration  der  Grabmalkunst 
hin.  Es  ist  ein  Verdienst  der  Deutschen  Gesellschaft  für 
christliche  Kunst,  diese  Aufgabe  in  ihrem  ganzen  Umfange 
in  Angriff  genommen  zu  haben.  Sie  wurde  nicht  müde, 
auf  eine  Vertiefung  der  künstlerischen  Probleme  hinzu- 
arbeiten und  fruchtbare  Anregungen  zur  Hebung  und 
Läuterung  des  Geschmackes  auszustreuen.  Praktisch 
suchte  sie  diese  Ziele  zu  erreichen  durch  Veranstaltungen 
von  Wettbewerben  unter  den  Künstlern  und  durch  Vor- 
führung ihrer  Arbeiten  in  Ausstellungen.  Vor  kurzem 
führte  sie  uns  neue  Arbeiten  des  schon  von  den  Wett- 
bewerben her  bekannten  Bildhauers  Josef  Kopp  in  Mün- 
chen vor.  Wir  sahen  Entwürfe,  Zeichnungen  und  plasti- 
sche Modelle  von  projektierten  und  ausgeführten  Grab- 
mälern.  Ein  besonderes  Merkmal  seiner  Kunst  ist,  daß 
er  an  alte  volkstümliche  Formen  anknüpft.  Seine  Ent- 
würfe zu  ausgeführten  Holzkreuzen  für  den  Münchener 
Waldfriedhof  sprechen  in  ihren  einfachen  schlichten 
Formen  zum  Gemüt  des  Volkes.  Ebenso  treuherzig 
und  bieder  muten  seine  an  Bildstöckeln,  Marterln  und 
Wegkreuze  erinnernden,  mit  religiösen  Bildern  geschmück- 
ten Grabsteine  an.  Es  ist  ihm  gelungen,  schon  kon- 
ventionell gewordene  Formen  künstlerisch  neu  zu  be- 
leben und  dadurch  ihre  Erscheinung  zu  veredeln  und 
zu  verfeinern.  Ganz  einfachen  Holz-,  Stein-  und  Eisen- 
kreuzen verleiht  er  neue  Reize  und  Schönheiten.     Wir 


sehen  aber  auch,  wie  ihn  neue  Bedürfnisse  und  persön- 
liche Wünsche  des  Bestellers  anregen.  Neues  zu  gestalten. 
Ort,  Lage  und  Größe  des  Platzes  wirken  bestimmend 
auf  die  Form  des  Grabes  ein.  Ein  Einzelgrab  fordert 
natürlich  eine  ganz  andere  Gestalt  als  ein  Familiengrab, 
ein  Mauergrab  oder  eine  Gruft  verlangen  wieder  eine 
eigene  Gestaltungsweise.  Vielerlei  Momente  müssen 
dabei  berücksichtigt  werden.  Einige  ausgeführte  Arbeiten 
von  Kopp  wie  z.  B.  die  Grabstätte  in  Kufstein,  boten 
künstlerisch  interessante  Lösungen  solcher  Aufgaben  dar. 
Hier  sei  auch  auf  die  Steingruppe  der  »Pieta«,  welche 
den  Marktplatz  von  Deutschkrone  (W.-Pr.)  ziert  und  auf 
den  Entwurf  einer  steinernen  Kreuzigungsgruppe  für 
einen  kleinen  Friedhof  hingewiesen.  (Vgl.  die  Abb.  S. 
248—256  dieser  Zeitschrift  und  S.  58—65  [Nr.  8]  des 
»Pionier«.) 

Zahlreiche  Entwürfe  von  Grabmälern,  welche  mit 
Relief-Bildwerken  geschmückt  waren,  ließen  eine  beson- 
dere Vorliebe  des  Künstlers  für  diese  plastische  Aus- 
drucksform erkennen.  Diese  Vorliebe  und  häufige  Ver- 
wendung des  Reliefs  gründet  sich  auf  eine  bestimmte 
Erfahrung.  Bei  seiner  künstlerischen  Tätigkeit  auf  Fried- 
höfen machte  er  die  Wahrnehmung,  daß  freistehende 
Bildwerke  in  dem  vielstimmigen  Konzert  von  Farben 
und  Formen  auf  Friedhöfen  nicht  recht  zur  Geltung  ge- 
langen und  nicht  selten  ihre  Wirkung  einbüßen,  wäh- 
rend hingegen  Flächenbilder  in  inniger  Verbindung  mit 
der  Architektur  des  Grabmales  ihre  Wirkung  immer  be- 
haupten. Die  Bildersprache  des  Reliefs  bietet  dem  Bild- 
hauer auch  den  Vorteil  einer  unerschöpflichen  Mannig- 
faltigkeit an  Ausdrucksformen  und  Darstellungsmöglich- 
keiten dar.  Es  läßt  überdies  eine  mannigfaltige  Ver- 
wendung aller  Materialien :  Stein,  Metall,  Holz  und 
Terrakotta  zu.  Auch  hiefür  bot  die  Ausstellung  zahl- 
reiche Beispiele. 

Josef  Kopp  beherrscht  mit  seinem  Können  alle  diese 
Stoffe,  er  formt  und  bildet  sie  ihrem  Charakter  gemäß 
und  aus  seiner  handwerklichen  Tüchtigkeit,  seinem  künst- 
lerischen Empfinden  und  der  Liebe,  die  er  an  alle  diese 
Aufgaben  wendet,  erwachsen  ihm  neue  Formen  und 
neue  Schönheiten. 

Die  Ausstellung  brachte  wieder  den  Beweis,  wie  nur 
durch  die  Mitarbeit  künstlerisch  geschulter  Kräfte  das 
so  arg  vernachlässigte  Feld  der  Grabmalskunst  bebaut 
und  fruchtbar  gemacht  werden  könne, 


ZU  UNSEREN  BILDERN 

Die  zwei  wichtigsten  Ausstellungen  dieses 
Jahres  sind  die  Ausstellung  für  christliche  Kunst  in  Düs- 
seldorf und  die  X.  Internationale  Kunstausstellung  im 
Glaspalast  zu  München.  Von  der  ersteren  brachten  wir 
in  den  Heften  10 — 12  nicht  weniger  als  71  Abbildungen 
und  die  ersten  Hefte  des  nächsten  Jahrganges  werden 
noch  eine  lange  Reihe  von  Reproduktionen  nach  Kunst- 
werken aus  derselben  enthalten.  Außerdem  sind  viele 
in  Düsseldorf  ausgestellte  Werke  von  uns  bereits  früher 
publiziert  worden.  Unsere  Leser  werden  also  gewiß 
hinlänglich  über  die  christliche  Kunstausstellung  in  Düssel- 
dorf orientiert,  insbesondere  erhalten  sie  einen  Einbhck 
nicht  allein  in  die  z.  Z.  weit  auseinandergehenden  Strö- 
mungen in  der  christlichen  Kunst  Deutschlands,  sondern 
auch  in  die  christliche  Kunst  des  Auslandes.  Die  Ver- 
öffenthchung  von  Werken  der  X.  Internationalen  Kunst- 
ausstellung in  München  beginnt  im  vorHegenden  Heft 
und  wird  in  den  folgenden  fortgesetzt. 

Unsere  farbige  Sonderbeilage  ist  eine  Repro- 
duktion eines  Werkes  von  H.  Holbein  dem  Älteren.  Das 
Original  ist  1,42  m  hoch  und  0,85  m  breit  und  gehört 
zu  den  Flügelbildern  des  ehemahgen  Hochaltars  in  der 
Klosterkirche     zu ,  Kaisheim    (Bayern),     der     1 502     im 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN  —  BUCHERSCHAU 


Auftrage  des  dortigen  Abtes  Georg  Kastner  aufgestellt 
wurde.  Diese  Bilder,  welche  der  Alten  Pinakothek  in 
München  einverleibt  sind,  stellen  das  Leiden  Christi  (an 
den  Außenseiten  der  zwei  Flügel)  und  das  Leben  Maria 
(an  den  innern,  nur  an  Feiertagen  sichtbaren  Seiten)  dar. 
Wie  es  im  mittelalterlichen  Kunstbetrieb  üblich  war, 
arbeiteten  an  den  Bildern  der  Außenseite  otTenbar 
Schülerhände  z.  T.  in  weitgehendem  Maße  mit.  Unsere 
Darstellung  ist  besonders  interessant  durch  den  Versuch, 
die  Lichtwirkung  des  Sonnenaufganges  zur  Geltung  zu 
bringen. 


VERMISCHTE  NACHRICHTEN 

Ergebnis  des  Wettbewerbes  für  eine  neue 
Pfarrkirche  in  Starnberg.  Den  I.  Preis  erhielten  die 
Architekten  Grandy  und  Lang  in  Pasing,  den  II. 
Architekt  Kirchmaver  in  Augsburg,  den  111.  Architekt 
Niedermever  in  München  und  den  1\'.  Professor 
Richard  Berndl  in  München.  Das  letztere  Projekt 
soll  vorbehaltlich  einiger  Änderungen  ausgeführt  werden. 

Wettbewerb  für  ein  Eichend  orff-Denkm  al 
in  Breslau.  Die  Modelle  sind  bis  15.  November  an  das 
Schlesische  Museum  der  bildenden  Künste  in  Breslau 
(Museumsplatz)  einzusenden.  Preise:  1500  M.,  1000  M. 
und  500  M.  Die  näheren  Bestimmungen  sind  vom  Denk- 
malskomitee zu  beziehen.  Im  Preisgericht,  das  aus  26 
Herren  besteht,  ist  ein  Künstler  (Maler). 

X.Internationale  Kunstausstellung  imKgl. 
Glaspalast  zu  München  1909.  Die  französische 
Abteilung  erfuhr  eine  wertvolle  Bereicherung  und  Er- 
gänzung durch  eine  Anzahl  neuester  Werke  französischer 
Künstler,  die  nach  Schluß  des  Salons  hierher  gesandt 
wurden  und  nunmehr  aufgestellt  sind.  Es  befinden  sich 
darunter  Gemälde  von  Luzien  Simon,  Rapha^l 
Collin,  Lucien  Jonas,  Marcel  Baschet,  Emile 
Aug.  Carolus-Duran,  Gaston  La  Touche,  Eu- 
gene Morand  u.a.m. 


BUCHERSCHAU 

Geschichte  der  Verehrung  Marias  in 
Deutschland  während  des  Mittelalters.  Ein 
Beitrag  zur  Religionswissenschaft  und  Kunstgeschichte. 
Von  Stephan  Beißel  S.  J.  Mit  292  Abbildungen. 
8°  (XII  und  678)  Freiburg  1909,  Herdersche  Verlags- 
handlung.    M.  15. — ,  geb.  in  Leinwand  M.  17.50. 

Mit  dem  vorliegenden  Werk  haben  wir  aus  den 
Händen  des  um  die  Geschichte  der  christlichen  Kunst 
hochverdienten  Verfassers  eine  neue  wertvolle  Gabe 
erhalten,  die  unzweifelhaft  eine  große  Lücke  in  der 
kunstgeschichtlichen  Literatur  auszufüllen  geeignet  ist. 
Man  kann  nicht  eigentlich  sagen,  daß  die  Lücke  fühl- 
bar war.  Man  hat  den  Mangel  eines  derartigen  Werkes 
kaum  empfunden,  weil  die  moderne  Kunstgeschichte 
und  Kunstforschung  fast  durchaus  ihre  eigenen  Wege 
wandelte,  die  mehr  der  Behandlung  des  .Äußerlich- 
Formalen  am  Kunstwerke  zustrebten,  die  wichtigen 
Faktoren  der  mannigfaltigen  Quellenforschung  für  die 
Entstehung  und  den  inneren  Gehalt  der  Werke  aber 
unbeachtet  beiseite  ließen.  Wenige  waren  es—  ich  nenne 
nur  einen,  F.  X.  Kraus,  und  damit  zugleich  den  besten — , 
die  erkannten,  daß,  wenn  wir  die  Bedeutung  der  christ- 
lichen Kunst  ganz  erlassen  woUen,  wir  auch  ihren 
Grundlagen  und  deren  wechselnden  Verhältnissen  nach- 
gehen müssen.  Diese  Grundlagen  aber  wurzeln  in  der 
Religionswissenschaft.  Stephan  Beißel  hat  mit  der  Ge- 
schichte   der  Marienverehrung  im  Mittelalter   eines   der 


wichtigsten  Kapitel  der  christlichen  Kunst  behandelt 
und  —  um  es  gleich  vorweg  zu  nehmen  —  das  Thema 
bis  zum  Grunde  erschöpft.  Es  hält  schwer,  über  die 
Fülle  des  Dargebotenen  zu  referieren.  Zunächst  gibt 
der  Verfasser  einen  aus  der  Literatur  und  Geschichte 
gewonnenen  tiefen  Einblick  in  die  Anfänge  der  Marien- 
verehrung und  die  Wechselbeziehungen  der  Kunst  und 
Literatur.  Ausführlich  behandelt  er  dann  die  Marien- 
kirchen der  karolingischen  und  romanischen  Epoche 
und  die  Marienbilder  dieser  Zeit.  Naturgemäß  nimmt 
die  Darstellung  der  Marienverehrung  bei  dem  Zister- 
zienser- und  Prämonstratenserorden  einen  bedeutenden 
Raum  in  dem  Buche  ein,  nicht  weniger  der  Franzis- 
kaner- und  Dominikanerorden.  Die  innige  Hingabe  an 
»Unsere  Liebe  Frau«  wird  uns  hier  in  den  entzückend- 
sten Liedern  geschildert  oder  es  treten  uns  in  poetischen 
Predigten  eines  Thomas  von  Aquin,  Meister  Eckharts 
oder  Johannes  Taulers  jene  kindlichfrommen  Bilder  vor 
Augen,  die  in  der  bildenden  Kunst  der  Zeit,  zumal  in 
der  Malerei,  sich  so  anmutig  widerspiegeln.  Man 
würde  gerade  angesichts  dieser  Kapitel  dem  Werke 
unrecht  tun,  wollte  man  es  nur  als  eine  religionswissen- 
schaftliche und  kunstgeschichtliche  Studie  behandeln. 
Es  ist  vielmehr  auch  als  eine  literargeschichtliche  und 
poetische  Schöpfung  anzuerkennen,  die  in  ihrer  ganzen 
Anlage  und  in  der  feinen  Diktion  den  anziehenden 
Stoff  zu  voUem  Genüsse  bietet.  AußerordentHch  inter- 
essantes Material  ist  für  den  Kunsthistoriker  in  den  Ka- 
piteln über  »Mittelalterliche  Rehquien  und  Reliquiare 
der  Gottesmutter«,  dann  über  »Gotische  Marienbilder«, 
über  »Maria  in  der  Armenbibel«  u.  a.  aufgespeichert. 
Besonders  wertvoll  sind  an  diesen  Kapiteln  auch  die 
reichen  .Abbildungen  ikonographisch  merkwürdiger  und 
wenig  bekannter  Kunstwerke.  .Auch  der  Folklorist  wird 
manches  Neue  aus  dem  Buche  gewinnen.  Wir  emp- 
fehlen  das  Werk   den  weitesten  Kreisen   aufs  wärmste. 


Figurale  Holzplastik,  ausgewählt  und  heraus- 
gegeben von  Julius  Leise  hing,  Direktor  des  Erz- 
herzog-Raimer-Museums  für  Kunst  und  Gewerbe  in 
Brunn.  Erster  Band.  Wiener  Privatbesitz:  Dr.  Albert 
Figdor,  Eugen  von  Miller  zu  Aichholz,  Hans  Schwarz, 
Graf  Hans  Wihzck.  Kirchliche  und  profane  Schnitz- 
werke.  Wien  1908,  Kunstverlag  Anton  SchroU  &  Comp. 

Vor  uns  liegt  ein  stattlicher  Band  von  siebzig  zum 
größten  Teil  sehr  guten  Lichtdrucktafeln  mit  rund 
anderthalbhundert  holzplastischen  Werken.  Es  darf 
im  voraus  gesagt  werden,  daß  das  Werk  allseits  die 
willkommenste  Aufnahme  finden  wird,  denn  wer  sich 
je  mit  figuraler  Holzplastik  wissenschaftlich  befaßte, 
mußte  den  Mangel  geeigneten  Abbildungsmaterials  d.  h. 
klare,  große,  zu  stilistischen  Vergleichen  dienliche  Re- 
produktionen schmerzlich  empfinden.  Lassen  doch  mit 
solchen  selbst  alle  unsere  großen  Museen  zurzeit  noch 
in  Stich  I  Wie  stiefmütterlich  behandelt  erscheint  die 
Plasrik  in  diesem  Sinne  überhaupt  gegenüber  der 
Malerei.  Leisching  hat  entschieden  mit  dem  ersten 
Bande  einen  guten  Griff  getan,  indem  er  uns  die  oft 
schwer  zugänglichen  Schätze  Wiener  Privatbesitzes 
zum  ersten  Male  erschloß.  Nur  wenig  davon  —  irre 
ich  mich  nicht,  lediglich  ein  paar  Stücke  der  Sammlung 
.Albert  Figdor  —  waren  durch  Ausstellungen  bekannt 
geworden,  ein  paar  anderen  Objekten  begegnete  man 
da  und  dort  in  den  verdienstvollen  Untersuchungen 
Hans  Sempers  über  Tiroler  Bildhauer.  Von  der  Fülle 
der  Wiener  Privatsammlungen  gewann  man  aber  bislang 
kein  richfiges  Bild.  In  ihrer  Gesamtheit  füllen  sie  ge- 
rade hinsichtlich  der  Holzbildnerei  eine  beträclitliche 
Lücke  in  den  ölTentlichen  Museen  der  Kaiserstadt  aus, 
denn  dort  wird  man  —  kleinplastische  Objekte  und  einige 
wenige  größere  Bildwerke  ausgenommen  —  vergebens 


BUCHERSCHAU 


nach  ähnlichem  Reichtum  mittelaherlicher  und  Renais- 
sance-Werken ausschauen,  wie  sie  Nürnberg,  München 
oder  selbst  Berlin  aufweisen.  Was  diese  Wiener  Samm- 
lungen aber  ganz  besonders  wertvoll  macht,  ist  die 
absolute  Qualität  der  Bestände,  nicht  nur  in  künstle- 
rischer, sondern  auch  in  kunstgeschichtlicher  und  ikono- 
graphischer  Hinsicht.  Es  häk  schwer,  nach  Maßgabe 
von  Leischings  Publikation  dieser  oder  jener  Sammlung 
den  Vorrang  einzuräumen,  denn  schließlich  haben  alle 
die  persönlichen  Neigungen  der  verschiedenen  Besitzer, 
die  hier  zur  Geltung  kommen,  ihre  Berechtigung. 

Naturgemäß  überwiegt  in  den  Wiener  Sammlungen 
die  österreichische  und  süddeutsche  Holzplastik,  docli 
begegnen  wir  auch  einigen  leinen  niederrheinischen  und 
burgundischen  Arbeiten.  Bedauerlich  ist,  daß,  wie  das 
leider  nur  zu  oft  der  Fall  bei  Holzfiguren  ist,  sich  eine 
sichere  Provenienz  bei  vielen  Stücken  nicht  mehr  nach- 
weisen läßt.  Leischings  kurze  Textangaben  treffen  im 
allgemeinen  wohl  stets  das  Richtige  und  bieten  somit 
auf  den  Irrwegen  des  weitverzweigten  und  noch  viel- 
fach im  Dunkel  liegenden  Gebietes  deutscher  Holz- 
plastik manch  guten  Wegweiser. 

Den  Zwecken  unserer  Zeitschrift  entsprechend  sei 
die  vorliegende  Publikation  besonders  auch  den  schaffen- 
den Künstlern  empfohlen  Nicht  in  dem  Sinne,  daß 
den  Bildhauern  hier  neues  Material  zum  Nachahmen 
und  Nachbilden  geboten  würde.  Das  versteht  sich  ja 
schließlich  ganz  von  selbst.  Wichtiger  aber  erscheint 
uns  der  allgemein  erzieherische  Wert  der  Publikation 
für  den  Schaffenden,  wie  er  sich  aus  der  eindringlichen 
Betrachtung  der  Typen,  der  Stilwandlungen  und  der 
mannigfachen  Stimmungsfaktoren  gewinnen  läßt.  An- 
gesichts der  trefflichen  Gabe  darf  man  mit  großen  Er- 
wartungen den  folgenden  Bänden  entgegensehen,  zu 
denen  als  Anhang  ein  resümierender  Textband  aus  der 
Hand  Julius  Leischings  in  Aussicht  gestellt  ist. 

Philipp  Maria  Halm 

Dr.  Alois  Wurm:  Moral  und  bildende  Kunst. 
Münchener  Volksschriftenverlag. 

Schreiber  folgender  Zeilen  ist  weder  Künstler  noch 
Kunstverständiger,  aber  er  interessiert  sich  als  Freund 
lur  die  Kunst.  Dank  dieser  Freundschalt  hat  er  schon 
oft  das  im  obigen  Buchtitel  ausgesprochene  Problem 
peinlich  empfunden.  Er  ist  auch  überzeugt,  daß  sehr 
viele  andere  in  derselben  Lage  sind.  Diesen  möchte  er 
nun  das  obige  Büchlein  aus  persönlicher  Erfahrung  an- 
gelegentlichstempfehlen.  —  Der  bekannte  Ernst  um  nicht 
zu  sagen  die  Stienge  des  Verfassers  als  Kunstschrift- 
steller und  Kritiker  und  seine  Persönlichkeit  bieten  ja 
von  vorneherein  die  Sicherheit,  daß  man  durch  ihn  gut 
gelührt  wird.  Trotzdem  nimmt  man  aber  mit  einer  lei- 
sen Beklemmung  ein  Buch  in  die  Hand,  das  sich  mit 
dem  Verhältnis  der  Moral  zur  Kunst  beschäftigt.  Greift 
guten  Mutes  zu !  Wer  die  ersten  Seiten  zweimal  gele- 
sen hat  —  es  wird  bei  jedem  Gelehrten  so  sein  müssen  — 
und  die  »grundlegenden  Fragen«  und  ihre  Beantwortung 
verfolgt  hat,  bei  dem  bricht  alsbald  die  Beklemmung 
und  er  empfindet  aus  der  Darlegung  des  Zweckes  der 
Kunst  eine  Erhebung  und  Befreiung,  wie  sie  ein  Kunst- 
werk selbst  bewirken  soll.  Man  ist  dem  Verfasser  dank 
bar  für  seine  Aufklärung  und  bedauert  ihn  nur,  daß  er 
von  »in  sich  bedenklichen  Werken  der  Kunst<  und 
»dem  praktischen  Verhalten«  letzteren  gegenüber  reden 
muß.  Aber  die  Beruhigung  und  Befriedigung  dauert  fort 
bis  zum  Schlüsse.  Man  legt  es  weg  mit  dem  Wunsche : 
wenn  doch  auch  die  Künstler  das  Werk  lesen  und  daraus 
wieder  lernen  würden,  was  die  Kunst  der  Mensch- 
heit sein  könnte  und  sein  sollte!  Sie  würden  nicht 
so  viele  schöne  Kraft  vertändeln,  sondern  sie  anwenden, 
um  das  Beste  und  des  Künstlers  Würdigste  zu  schaffen. 
Die   Menschheit  hat   ein   Recht   darauf.   Möchten   aber 


auch  alle  Freunde  der  Kunst,  die  etwa  über  das  Ver- 
hältnis derselben  zur  Moral  im  unklaren  sind,  das  Büch- 
lein mit  Liebe  lesen.  Es  ist  trotz  des  geringen  Umfanges 
von  1 08  Seiten  und  trotz  des  billigen  Preises  von  50  Pfg. 
ein  gewichtiges  Buch. 

Westen  Wcgliofer 

>  Ars  Sacra  • ,  Blätter  heiliger  Kunst  mit  begleitenden 
Worten  von  Josef  Bernhart.  Gleichnisse  des  Herrn. 
2.  Serie.    Jos.  Kösel,  KemptenMünchen.     3  M. 

Als  wir  vor  einem  Jahre  den  ersten  Teil  der  »Ars 
Sacra«  besprachen,  da  drückten  wir  die  Hoffnung  aus, 
das  Werk  möchte  nicht  in  den  Händen  Weniger  liegen 
bleiben.  Inzwischen  hat  es  seinen  Weg  und  sein  Gluck 
gemacht  und  hat  uns  aufs  neue  in  dem  Glauben  bestärkt, 
daß  auch  christliche  Kunst  noch  weithin  offene  Türen 
findet  und  daß  Worte  des  Glaubens  aus  warmer  Seele 
und  mit  Überzeugungskraft  gesprochen  die  alte  Gewalt 
über  die  Menschenherzen  nicht  verloren  haben.  Der 
Erfolg  der  »Ars  Sacra«  ist  ein  frohes,  vorwärts  winkendes 
Zeichen  für  alle,  welche  in  heiliger  Kunst  schaffen  und 
wirken.  Das  neue  Werk  wird  keinen  enttäuschen,  der 
zum  ersten  ein  Verhältnis  gewonnen  und  das  zweite  mit 
großer  Erwartung  begrüßt  hat.  Es  bietet  wieder  religiöse 
Gedanken  und  Anregungen  in  reichster  Fülle,  in  edelster 
Form.  Bei  der  Auswahl  der  Bilder  ward  noch  mehr 
als  beim  ersten  Teil  auf  den  religiösen  Gehalt  gesehen. 
Es  sind  manche  seltene  Blätter  darunter.  Die  Gleichnises 
werden  ja  von  Künstlern  nicht  allzu  oft  behandelt.  Die 
Blätter,  die  uns  hier  geboten  sind,  lassen  uns  die  ganze 
reiche  und  herrliche  Poesie  der  Gleichnisreden  aufs  neue 
erleben,  die  »begleitenden  Worte«  aber  helfen  uns  dazu, 
»die  Geheimnisse  Gottes  zu  verstehen«.  p.  Dörfler 

Studien  zur  Entwicklungsgeschichte  des 
spätgotischen  Kirchenbaues  im  Münchner 
Gebiet.  Inauguraldissertation  zur  Erlangung  der  Doktor- 
würde einer  hohen  philosophischen  Fakultät  (Sektion  I) 
der  K.  B.  Ludwig -Maximilians -Universität  zu  München 
vorgelegt  am  15.  Mai  1908  von  Hans  Karlinger.  Mün- 
chen 1908.  Anton  Huber,  Hoflithographie  und  Buch- 
druckerei.   90  S.    8°. 

In  neun  Kapiteln  geht  der  gewissenhaft  arbeitende 
Verfasser  der  Lösung  seiner  Aufgabe  nach.  Nach  ein- 
leitenden Bemerkungen  über  die  kulturgeschichtliche 
Situation  Altbaverns  im  1 5.  Jahrhundert  schildert  er  die 
Bautätigkeit  im  Münchner  Gebiet,  in  den  Gegenden 
nördlich  und  südlich  von  München  bis  zur  Erbauung 
der  Frauenkirche,  dann  diese  selbst,  des  weiteren  die 
Entfaltung  der  Landshuter  Schule  an  der  nördlichen 
Grenze  des  Münchner  Gebietes,  die  Bautätigkeit  der 
Klöster  und  das  Entstehen  von  Landkirchen  seit  der 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts,  endlich  die  Gotik  des 
16.  Jahrhunderts  und  Übergangsformen  und  Ausklänge. 
Es  ist  auf  verhältnismäßig  wenig  Raum  eine  bewunderns- 
werte Stoffülle  zusammengedrängt  und  die  genaueste 
Analyse  der  Bauformen,  deren  Vergleichung  und  die 
darauf  gestützte  Erklärung  der  Zusammenhänge  bietet 
viele  beachtenswerte  Aufschlüsse  in  baugeschichtlicher 
Hinsicht. 

Freisin"  Huber 


DER  PIONIER 

Inhalt  des  12.  Heftes: 

Über  Bilderbesprechung  in  der  Schule.  Von  E.  Guten- 
sohn. —  Submissionseinladung.  —  Tünchungvon  Barock- 
kirchen.— Anregungenund  Mitteilungen. — 3  Abbildungen. 

Redaktionsschluß:   15.  Augnst 


1814 


BINDING  SECT.    SEP2    1970 


L-.^  ^^®  Christliche  Kunst 

C4S 
Jg.  5 


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