DIE CHRISTLICHE KUNS'
FÜNFTER JAHRGANG i9o8/i.;o9
DIE CHRISTLICHE KUNST
MONATSCiiRIFT
FÜR ALLE GEBIETE DER CHRISTLICHEN Kl!NST
UND DER KUNSTWISSENSCHAFT SOWIE FÜR
DAS GESAMTE KUNSTLEBEN
FÜNFTER JAHRGANG 1908/ 1909
IX \i;i<BiNi)LK(; MIT di;r
DEUTSCHEN GESELLSCHAIT lÜR CIIRIS'n.ICIll- KL'XST
m:RAUSGEGr-:Hi:N vcw üini
GESELLSCHAFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
G. M. B. 11.
MÜNCHEN
INHALT
A. LITERARISCHER TEIL
1. (jiiilk-re Abhandlungen
II. Kimstausstellungsbcrichte
III. Kleinere Aufsätze
IV. Von Kunstausstellungen, Sammlungen usw.
V. Künstlerische Wettbewerbe
VI. Mitteilungen liber sonstiges KunstschnfTen
VII. Fersonalnotizen
VIII. Besprochene Blicher
IX. Verschiedenes
B. REPRODUKTIONEN
I. Kimstbeilagen
II. Abbildungen im Text
(Die Entwürfe zu Grabdenkmälern und Illustrationen zu
kuiisthistorischeii Aufsätzen sind am Schlüsse aufgeführt)
Nachbildung der enthaltenen Kunstwerke ist nicht gestattet
INHALT DES FÜNFTEN JAHRGANGES
A. LITERARISCHER TEIL
I. GRÖSSERE ABHANDLUNGEN
Blum-Ehrliard, A., Sulpiz BoisserOe und sein Werk
340 11.353
Endres, Dr. J. A., Hin Thomaszyklus in Regensburg 2(ii>
Fürst, Max., Historienmaler Ludwig Seitz IUI
Gleye, Dr. C. E., Julius von Klever 242
Gutensohn, E., Die Kunst im bürgerlichen Heim.. 298
Haas, Ed., Maximilian Liebenwein 225
— — Karl Schade 8(1
Halm, Dr. Vh. M., Wolf Huber und der Donaustil 65
Hautmann, Dr. Max, Das Bamberger Elfenbeinrelief
Cim. 57 I2:i
Heilmeyer, Alexander, Moderne religiöse l'lastik 1. 1
Plastik II Heinr. Waderc i.i
— Die kirchliche Kunst auf der Ausstellung München
1908 11»3
Kleinschmidt, P. Beda, (). 1-. M., Die Miniaturen
der Hxultet-RoUen 177
Kuhn, Dr. P. .\lbert, Die neuesten Werke von Frirz
Kunz 97
Lüthgen, Dr. G. E., Spätgotische Holzplastik des
Inn- und Salzach-Gebietes 129
Mallinger, Dr. Leo, Ein französisches Künstlerpaar
(Duhem) 1 1,7
Prumler, Raoul Eugen, Der Freskenschatz von
-Muggia 1 38
Scipinelli, Carl Conte, Ernst Stückelberg 140
Schmitt, Frz. Jak., Kaiser Otto des Großen Erzbischöf-
liche Metropolitankirche in Magdeburg 257
Schwarz, Dr. M., Das einstige Oratorium bei St. Maria
in \'allicella 186 u 202
Steffen, Hugo, Die Peterskirche in München HO
— Die ehemalige Augustinerkirche in iMünchen . . . 235
II. BERICHTE ÜBER AUSSTEL-
LUNGEN (.Vgl. auch IV.)
Berlin, Große üerliner Kunstausstellung I'JOS von
Dr. Hans SchmiJkunz Hell. ;i. u. i5
— Ausstellung Belgischer Kunst. Von Dr. Hans
Schmidkunz 119
— Wilhelm Steinhausen-.'Xusstellung von Dr. Hans
Schmidkunz 173
— Das Märkische Museum von Dr. Hans Schmidkunz 349
Berliner Kunstbriefe. Von Dr. Hans Schmidkunz
Beil. 3, 157. 220, Boil. 37, 282, 374
Breslau, Ausstellung kirchlicher Kunst Beil. 'is
Danziger Kunstbrief. Von B Makowski Bell. .|6
Düsseldorf. Sinkel-Ausstellung in der Kunsthalle.
Von Dr. K. Bone 61
Düsseldorfer Kunstbericht. Von Dr. K. Bone Beil. 2t
148, 252
Große Kunstausstellungen Düsseldorf 1909. Von
Dr. K. Bone 277. 314, 321 u. 358
Kölner Kunstbrief Von Dr. H. Heiners 175
— Kunstbericht. Von Dr. G. i:. Lüthgen 156 Beil. 29
München, Die kirchliche Kunst auf der Ausstellung
München 1908. Von Alex. Heilmeyer 193
— Ausstellung im Kgl. Glaspalast 1908- Von Franz
Wolter 18, 44 u. 103
— Die Winteraussiellung der Secession. (Hans von
.Marees.) Von Franz Woher Beil. i'S
— Die Früh Jahrsausstellung der Secession. Von
Franz Wolter 240
Die X. Internationale Kunstausstellung in Mün-
chen 1909. Von Franz Wolter 328 u. 306
— Aus dem Kunstverein. Von Franz Wolter.
Heil. 10, 151,34, 45U.S3
— Ausstellung von Werken der Pilotyschulc von
Franz Wolter 272
Regensburg, Sonderausstellung liir chiistliclie Kunst 352
Stuttgarter Kunstbericht. Von lernst Stöckhardt 214
Venedig, VIII. Internationale Kunstausstellung. Von
Dr. O. Doering o«;)
Wcstf Kunstverein Minden Heil. M
III. KLEINERE AUFSÄTZE
Dombart, Th., Die Zukunft der .\ugustinerkirclic in
München Beil. 33
Doering, Dr. ü., Kleinporträtkunst 370
Hasak, Die llohkönigsburg 234
Herbert, M., .Michel Angelo (Gedicht) . (14
— Lionardo (Gedicht) 64
— Der .Miniaturmaler (Gedicht) . 96
— Orpheus begrüßt das Licht (Gedicht) 128
Lasser, Moritz, Baron von, Die neuen Geschäftsräume
der Kgl. Bayer. Porzellan-Manufaktur Nymphen-
burg Beil. S7
Lochner von Hüttenbach, Dr. Oskar Frhr., Weihe-
gabe kath. Edelleute für die Dormiiionskirche in
Jerusalem 9(1
Mader, Dr. Felix, Die Malierin des Domes zu lücli-
stätt 12
— Das Grabdenkmal für Bischof Franz Leopold von
Leonrod 1 7
Mankowski, H., Das ehemalige Cisterzienserkloster
in Oliva H:,
Staudhamer, Das künstlerische Titelblatt 57
Die Klosterkirche zum Guten Hirten in .Münster
i. W Heil. II
Grabdenkmal 88
Kirche und Pfarrhaus in Reinach-Menziken 93
Ein neuer Taufstein 95
Gabriel von Seidl . , 134
Lichtbildervorträge Hell. 39
Neue Grabmäler von Josef Kopp Beil. 61
Wettbewerb für einen Zierbrunnen. Von A. H. Beil. 1
Ergebnis des Wettbewerbs für eine Pfarrkirche in
Ürdingen 310
IV. VON KUNSTAUSSTELLUNGEN,
SAMMLUNGEN, KUNSTVEREINEN
Aachen, Sucrmondt-.Museum ... Hcii.i'j u. 'ja
Baden-Baden, Kunsthalle.. Bnl. 40
Barmen, Kunstvercin Beil. 11 u. 41
Berlin, Gesellschaft für deutsche Kunst im Au.s-
lande Heil. 27
— Freie Vereinigung der Graphiker B«iL 2«
— P. Cassirer: Leistikow-.Ausstellung Beil. 27
— Kunstsalon Schulte Beil. 11, sou. 1«
— Kgl. .Xkademie: Schadow-.\usstellung . . . He^i. JO
— Verein (ür deutsches Kunstgewerbe.. Bc^i. 6
Breslau, Ausstellung kirchlicher Kunst. Heil. 4»
D.inzig, Kunstausstellung Heil 41
Düsseldorf, Ausstellung lür christliche Kunst H..I 0 u. 27
— .\kademie: Kurse für kirchliche Kunst .... Heil so
Elberfeld, .Vusstellung der Neuklassizistcn . "«l »
Karlsruhe, Hans Thoma Museum "ei a
Köln, Kunstverein ' 11
— Kunstsalon Lcnobcl. ' n
— KunsLsalon Schulte . ■ '•■ ■ x
— Walraf-RichartzMuscum Heil. 11
Leipzig, Sammlung von Dr. v. Weissen bach. . . B«ii. ij
Londoner N.i;iM,..!Mki.e Beil. »7
München, f. der bildend. Künste . H<ii. 43
— Albrech; Heil, l»
— Generali. ......;,,.„.;; u. Nalionalmuseum. ><- '
— Gesellschall tur christliche Kunst
\'l
A. LITERARISCHER TEIL
München, Galerie Heineniann iscii. 19 "• -3
— X. Internationale Kimst.iusstcllunsj; im Ky;!. Cjlas-
palast ■ Beii! 2;!, 17 11. Sä
— Secession »eil c 12, 2" u. 10
— Ausstellung bayerischen Porzellans Heil. 17
— Königliches Münzkabinett Heil. 10
— Verein iür christliche Kunst Hnl 27 n. So
Rom, Vatikanische Pinakothek ... . • Beil. 40
Toledo, l')l Greco-Museum Beil. 50
Wien, Moderne Galerie . Beil. a
— Jahresausstellung im Künstlerhaus Beil. 4S
V. WETTBEWERBE
Brunnen am Joscphsplatz in München Beil. 11
Denkmal Beil. 0
Eichendorfi'-Denkmal in Breslau Beil. .v.
Kath, Kirche und Pfarrhaus in Memmingeu . . Beil. 49
Kath. Kirche mit Pfarrhaus in Uerdingen Beil. S. 25. 50
192,288,310
Kirche in Kulsheini bei Uffenheim Beil. 11
Luitpoldbrunnen, Dillingen Beil. is
Möbelgruppc Beil. 48
Neue Plarrkirche in Starnberg Beil. ,%
Ostertag-Dcnkmal Beil. r,
Plarrkirclie in Rosswitz Beil. 50
Plakatkonkurrenz Beil. 42
Polizeigebaude in München Beil. 22 u. 50
Zeitschi ilt Unischlaa: Beil. ü
VL MITTEILUNGEN ÜBER SONSTI-
GES KUNSTSCHAFFEN
Albreclit, Jos Bei
Angermair, .... . tsci
Becker-Gundalil Bei
Beckett, Paul Bei
Behn, Fritz Bn
Beuche Carl de . Beil, 48
Cleve, Frz Be:
Faßnacht, Jos Bei
Feuerstein, Martin Bei
Frohnsbeck, Bc
Fuchs, Karl Bei
Fugel, Gebh. Beil. 5, m
Giassl, Hans Bei
Harrach, Rud Bei
Hofstötter, Frz ... BciI
Kögl, Hans Bei
Kolmsperger, Waldemar Beil. 5 1
Kraus, Valentin Beil. 23
Kuolt .Bei
Kurz, Erwin Bei
Mayer, Alois Be
Müller- Warth Bei
Palacios rc,
Rümann, von Uei
Samberger, Leo Be
Schleibner, K Bc
Schreiner, Bei
Schreyögg, Bei
Schwegerle, Hans Be
Seitz, R. von Bc:
Grabmalentwürfe Beil. 18, 28 u.
Pfarrkirche St. Bartholomä in Friesenried Beil.
Pleystem u^.ii
Deniflebüste .... Pt.il
Luitpoldbrunnen B^il
Pfarrkirche Grol<aitnigen Beil.
St. Josephskirche in München Heil.
Kolossalmonument Beil.
Marienlüster Beil.
Bismarckbüste in der Walhalla Beil.
Schottenkirche in Würzburg Beil.
Kronleuchter Beil.
Stadtpfarrkirche St. Moritz in Augsburg . . - . Beil.
Stadtpfarrkirche in Ravensburg Beil.
Heiliges Grab in Maria-Ramersdorf . . . . Beil.
Kirche in Haslach . Beil.
St. Annakirche in München Beil.
Maximilianskirche in München Heil.
Louise-Hensel-Denkuial in Paderborn Beil.
VII. PERSONALNOTIZEN
Fischer, Theodor, .\rchitckt . .
Heil.
Fortlage, Dr
. . Beil.
Frey, Job. Ev
Beil.
Frey, Prof. Dr. Karl
. , . Beil.
Haas, J. H. de
Beil.
Hagelstange, Dr. Alfr
. Beil.
Hauser, Alois
Beil.
Heß, Anton
Beil.
Huher-Feldkirch
Beil.
Kraus, Val
Beil.
Beil
Leistikow, Walter
Beil.
Magnussen, Harro
Beil.
Muther, Dr. Rieh
Beil.
. . Beil.
t)verbeck, Fritz
. . Beil.
Poppelreuter
. , . Beil
Reber, Dr. Frz. Ritter von
. . . , , . Beil.
Roeber, Fritz
Beil.
Schreyögg, Gg
. Beil.
Schulz, Otto
... Beil.
Seidl, Dr. Gabriel von
Beil.
Seitz, Ludwis;
.... Bell.
Thiersch, Ludwig ....
Beil
Tschudi, Dr. Hugo von
Beil.
Vlll. BESPROCHENE BÜCHER
Baumeister, Engelbert, Rokoko-Kirchen Oberbayeins.
Von Dr. Schröder Beil.
Beißel, S. J., Geschichte der Verehrung Marias. Beil.
Bernhalt, Ars Sacra Beil.
Bogner, H., Die Grundrißdispositionen der zwei-
schifFigen Zentralbauten. V.Dr.Th. Schermann Beil.
Braun, S. J , Die Kirchenbauten der deutschen Je-
suiten Von Dr. A. Schröder BcM.
— Die Belgischen Jesuitenkirchen. Von Dr. A.
Schröder Heil,
Deutsche Malerei des XIX. Jahrhundeits . . . Beil. s u.
Eastlake, Charles Lock, Beiträge zur Geschichte der
Oelmalerei. Deutsch von Hesse Beil.
Federer u. Kunz, Der heilige Franz von Assisi Beil.
Freie Lehrervereinigung für KunstpHege. Uhde Beil.
Galerien Europas, Die Beil.
Giehlov/ Karl, Kaiser Maximilian I. Gebetbuch Beil.
Grautoff, Die Gemaidesammlungen Münchens Bcii,
Gussow, Maltechnische Winke und Erfahrungen Beil.
Halm, Dr. Ph. M., Stephan Rottaler. Von Dr. F.
Mader Beil.
Hämmerle, Dr., Die ehemahge Kloster- und Wall-
fahrtskirche zu Bergen. Von Dr. F. Mader. . Beil,
Haßlinger, Otto u Em. Bender, Betrieb des Zeichen-
unterrichts etc. Von G. Barth Beil.
Hesse, siehe Eastlake.
Jacobi, Dr. Franz, Studien zur Geschichte der baye-
rischen Miniatur des XIV. Jahrhunderts. .. . Beil.
©^ A. LITERARISCHER TEIL — B. REPRODUKTIONEN »^ö
MI
Kaiserdom zu Frankfurt a. M., Der Beil.
Kalender Bayerischer u. Schwäbischer Kunst . . Beil.
Karlinger, Studien zur Entwicklungsgeschichte des
spätgotischen Kirchcnbaucs im Münchener Ge-
biet. Von Huber Beil.
Kataloge des Bayer. Nationalmuseums, Die. . . . Beil.
Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben. Van Dyck Beil.
— Fritz von Uhde. Von Dr. Rosenhagen.... Btil.
Lange, K., Das Wesen der Kunst. Von Dr. Th.
Schermann n^W.
— Schön und praktisch. Von Dr. Schermann. Beil.
Leisching, Figurale Holzplastik. Von Ph.iM. Halm Beil.
Lindner, Dr. .\rth., Handzeichnungen alter Meister Beil.
Meister der Farbe Beil. 19 u.
Meisterwerke religiöser Kunst. Von Dr. Richard
Hoft'mann ]
Oidtmann, Dr. H., Die Glasmalerei im alten Fran-
kenlande Beil.
Rooses, Max, Die Meister der Malerei und ihre
Werke Beil.
S.iuerlandt, Max, Griechische Bildwerke Beil.
Schmidkunz, Dr. Hans, Die Ausbildung des Künst-
lers Beil.
Schmidt, Karl Eugen, Künstlerworte Beil.
Schnürer, Dr. Franz, Jahrbuch der Zeit- und Kultur-
geschichte Beil.
Schubring, Dr. P., Rembrandt Beil. s
Siebert, Dr. Karl, Gg. Cornicelius Beil. 12
Stichle, O , Das deutsche Rathaus im Mittelalter Beil. 7
Stückelberg, E. A., Die Katakombenheiligen der
Schweiz Beil. 40
Walsdorf, E., Kirchlich figurale Bildhauerarbeiten Beil. 36
Weber, Dr. G. A., Die römischen Katakomben Beil. 20
— Dürerstudien Beil. 52
Witting, Felix, Von Kunst und Christentum . . Bcü. 43
Wurm, Moral und bildende Kunst. Von W. Weg-
hofer Beil. ÖS
IX. VERSCHIEDENES
Eine religiöse Kleinplastik Beil. 29
.\us der deutschen Südsee Beil. 18
Trauerandenken an Se.Exz. Erzbischof Dr. V.Stein Beil. 42
Bilder für die landliche Wohnung . Beil. 24
Neue Andachtsbildchen Beil. 26 u. 42
Ein neues Kommunion-Andenken Beil. 30
Wandmalereien in der Kirche zu Gachenbach. . . . ;i.öl
Berichtigung Beil. 2S
Zu unseren Bildern Beil. 6
'241 u. 25() u. Beil. .>i
B. REPRODUKTIONEN
1. KUNSTBHILAGEX:
Albrecht, Jos., St. Benno IX
Barabino, Hilfe der Christen XVI
Hredt, Ferd., S. K. H. Prinz Rupprecht v. Bayern XVII
Duhem, Henri, Der Sämann Xll
- - Marie, St. Franziskus predigt den Vögeln XI
Emonds-Alt, M., Christus Xlll
. Feuerstein, Martin, Die Fischpredigt des hl.
Antonius X\
Gebhardt, Ed. von. Der arme Lazarus XIX
. Hildebrandt, Ad. von, Porträtbüste des Pro-
fessors Floßmann VIII
Janssen, Peter, Mein Joch ist sanft XVIII
Kunz, St. Fridolin VI
— Die drei Marien VII
Perugino, Pietro, Maria im Gebet . XI\'
Raffael, Madonna del Granduca 1
Schmitt, Balth., Madonna XXII
Seit:, Ludiv., Gang nach Golgatha X
Wadere, Heinr., Ostermorgen 111
— S. K. H. Prinzregent Luitpold von Bayern IV
Willroider, Ludw., Weiden II
■ Winkler, Gg., Familienglück \'
Wohlgemuth, Michael, Auferstehung XXI
Ansichten u. Grundriß der Hohkönigsburg. . XV
Seite
Ackerber.', K., Grabplatte für I. K, H.
I'rinzessin Mathilde von Bayern S. S.S u. 89
Alhenshofcr, Gg., Engel zu einer Mon-
str.inj, siehe Harrach.
Angermair, Jakob, Altarmodell .... 30r.
siebe auch Val. Kraus.
Augsburger Arbeit, Friedrich II. von der
Pfalz 17
Bacr, Frilj, Der Pilsensee 371
Baierl, Theod., Bemalung einer Chon*'and
und Apsis 294
— Christi Himmelfahrt 29.i
— Kreuzabnahme 300
Bauer-Ulm, Karl, .Altarentwurf .... 207
Baumhauer, FeJi.x, Christus 290
Becker-Gundahl, Christus am Kreuz . . 330
Berndl, Rieh., Opferstock 222
— Opferstock 223
Bcuroner Kunstschule, St. Benedikt . . 353
— Hl. Scholastika 354
— Christus 355
— Hl. Joseph 356
— Madonna 366
— Maria Heimsuchung 357
— Flucht nach Aegypten 3.58
— Kreuzabnahme 3.i9
— Engel 300
neuroner Kunstschule. Bronzetürc . . . 362
Bolgiano, Ludwig, Wintersonne .... 372
— Vorfrühling 373
Burnand, Eugene, Johannes und Petrus
am Ostermorgen 286
— Einladung zum Gastmahl 286
Busch, Georg, Gr.abdenkmal für Bischof
von Leonrod 19
II. ABBILDUNGEN IM TEXT:
Seite
Busch, Georg, Grabdenkmal des Bischofs
Paul Leopold Haffner 367
Buscher, Thomas, Pietii 334
Castex, Louis, Betrachtender Mönch . . 336
— St. Joseph 337
— Kommunion des hl. Stanislaus .... 339
Cleve, Franz, Kreuzigungsgruppe . . 348
Denis, Maurice, Maria Heimsuchung . . 345
Deutsche Gesellschaft für christliche
Kunst, zwei SHlc in der Düsseldorfer
Ausstellung 289 u. 322
Donatello, Das Eselwunder des heiligen
Antonius 1
— St. Antonius 2
Döringer, siehe Klecsattel.
Duhem, Henri, Verkündigung an d. Hirten 167
— Mondaufgang 173
— Heimkehr der Herde 175
Duhem, Marie, Der Blumenkranz ... 168
— Constantin Mcunier 169
— Blumen 170
— Spaziergang der Klostcrschwestern . . 171
— Porträt 172
— La Tour des Dames ..... 174
Bhrich, Bruno, Geburt Mariens .... 365
E}'ck, van, Maria mit dem Kinde . Beil. ia
FaBnacht, Jos., Der Liebling S2
Feuerstein, Martin, Hl. Odilia 841
Frohnsbeck, siehe üthoOrl. Kurz.
Fugel, Gcbh., Das letzte Abendmahl . . 301
— Sehet das Lamm Gottes ..... 302
— Berufung Petii 303
Gässl, F. u. SpicO, K.-»sula . .217
Ghibcrii, Lorenzo, Bronzetürc . . . 3
Glese, Max, Die alte Mooshütte .... 282
Grasser, Erasmus, Zwei Propheten . . 13
Groeber, Herrn , In der Sommerfrische 31
Guntermann, Jos-, Bemalung einer Chor-
wand und Apsis 293
Harrach, Rud., Canontafeln l;i3
— Tabernakel 201
— Sanctusleuchter, siehe Miller.
— Altarkreuz 203
— Leuchter zum Hochaltar 204
— Rauchfaß und SchiiTchen, s. Rorneis.
— Kelch ■ . 205
— Klinsel 205
— Monstranz 210
— Jlodell zu einer Monstranz 212
— Vortragkreuz 218
Harrach u. Albcrtshofer, Monstranz . . 211
Harrach u. Kopp, Vortragkreuz .... 219
Havcrkamp, Wilh , Altarpredclla ... 273
— Der barmherzige Samaritan 274
— Abendniahlrelief 275
— Pieta a»!
Heilmaicr, Max, Alt.arrelief 207
Hemmesdorfer, Hans, Kassandra . . 28
Herrmann-Algäu, Aug., Stilleben . . . 2.S8
Herrmann, Karl, Hungriges Volk .281
Hess, Anton, Madonna 32ö
Höh, Lohnes u. Miller, Hochaltar ... 200
Hubcr-Fcldkirch. Joseph, Grabdenkmal . 316
— Grabdenkmal 317
Immenkamp, Wilh., Dr. W. Ra.ibe . . 369
Ivcn, Alexander, Madonna mit Apfel . 299
Jung, Emil, Taufstein 83
Kaiser, Richard, Aufziehendes Gewitter 278
Kirsch, Hcinr. und Reinhold, Schmiede-
Altarleuchter Bell, »i
VIII
SJ^ B. REPRODUKTIONEN mxs
Klecsaltel, Fehle und Doringer, Roma-
nischer Chor und Taufstein 327
Klem, Alfred, Haudegen 157
— St. Georg l-'JS
— Entwurf zu einer Taufniedaille ... 169
— lieten 159
— Dekorative Figur lt>ll
Klevcr, Julius von, Meeresstille .... 242
— Christus auf dem Meere 243
— Der Weg zu Großmamas Garten . . 214
— Waldesdunkel in Rußland . . . 245
— Selbstbildnis 240
Kopp, Joseph, Grabdenkmäler 248, 248,
249, 249, 250, 251, 251, 262, 253, 254,
255, 255, 256, 250
— Vortragkreuz, siehe Harrach
Krnhforst, Herrn., Dreikönigen-Eild . . 1)33
Kraus, Valentin, Unsere Erlösung ... 304
— Altarschrein 305
Kunz, Fritz, Krönung Mariensu. hl. Cäcilia 20
— Maria Krönung 21
— Engelgruppen 22 u. 23
— Studienkopf 24
— Hl. Cacilia mit Engeln 25
— Geburt Christ! 20
— Jesus am Oelberg 27
— "Christus 97
— Maria Verkündigung 98
— Innenansicht der Liebfrauenkirche in
Ma
100
— Johann Baptist 101
— Engel 102
— Engel 103
— Anbetimg des Lammes ... 104 u. lO.i
— Die vier Evangelisten .... 106 u. )Ü7
— Die zwölf Apostel 10s, 109, 110,
111, 112, 113
— Unsere Liebe Frau von Zürich , . .114
— Der gute Hin II.t
— Nikolaus von der Flüe 116
— St. Joseph 117
— Hl. Fridolin 118
— Hl. Franz von Sales 118
— Hl. Fehx 119
— HI. Elisabeth 119
— Hl. Regula 120
— Hl. Clara 120
— Studie 121
— Studie 121
— Geistliches Gespräch 323
Kurz, OthoOrlando, Schmiedeisern. Portal 191
— Armleuchter Beil. ■■:>
— Zwei Beleuchtungskörper 192
Lang, Herm , Martin Creif 370
Leemputten, Franz van. Erste heilige
Ko
. 344
Lehmann, Wilh. Ludw., Gewitteischwule 2S5
Lench, Altar und Kanzel 93, 95
Liebenwein, Ma.\imilian, Anbetung der
hl. drei Könige 225
— Hilfe in Todesnot 226
— Ackerbau 226
i St. Jörg, eine fromme Mär . , . 227
Ex libri
— St. Martinus 229
— Neujahrskarte 230
— Das Rosenwunder der hl. Elisabeth . 231
— Ernte 232
— St. Isidor ... 232
— Vignetten 233, 233
Limburg, Joseph, Graf von Ballestrem . 150
— Statuette des Leutnants Karl von Rolher 151
— Porträtbiiste l.lse Gräfin von Arco . . 152
— Madonna l.'iS
— Bildhauer Professor Gerh.ard . . 154
— Graf Ballestrem di Castellengo . . . 1.55
Locher, Bonifaz, Bemaliing von Apsis
und Chorwand 3111
Lohnes, siehe Höfl.
Maris, Simon W., Glückliche Mutter . 287
Mayer, Alois, Pettenkofer-Denkmal ... 347
Mayer, Franz Jos., Hausaltärchen ... 247
Michelangelo, Pieiä . 6
— Christus 7
— Mos=s ;i
Miller, Fritz von, Weihegabe der kath.
Edelleute Bayerns 91
Miller, Hans, Entwurf zu einem Taufstein 310
siehe auch Hofl u. Lohnes.
Moest, Jos., Johannes Pairicida .... 320
Seite
Müller, Alois, Sanctusleuchter 302
Munkacsy, M., Christus .340
Netzer, Hubert, Madonna .314
Nißl, Rudolf, Lesende junge Frau . . . 368
Fächer, Aug., St. Antonius 328
Fächer, Michael, Schule des, GeburlChristi 16
— Beweinung Christi 16
Pageis, Joaeh. Herm , Judith 277
Fehle, siehe Klee'nltel.
Plehn-Lubochin, Rose, Der hl. Franziskus
segnet die Tiere .331
Pocci, Franz von. Getuschte Zeichnung 3.52
Fopp, Oskar, Heilige Nacht 364
Prinz, Karl, Bauernhaus in Sp.arbach . . 279
Rank, Gebr., Eingangsbauten der Aus-
stellung München rijoS . . S. ISS u, 1.89
Haupteingang 190
Richter, Otto, St. Georg 2.57
— Der zwölfjährige Jesus im Tempel . . 272
— Auferstehung 276
Riemensehneider, Tillman, Hl. Jakobus U
— Hl. Katharina 14
— Schule des, Madonna 10
Robbia,Lucca della,Musizierende Mädchen 5
Romeis, Rauchfaß und Schiffchen ... 204
Rümann, W. von, Pettenkofer-Denkmal,
siehe Alois Mayer
Samberger, Leo, Studie z. einem Propheten 3 1 1
— Erzbischof von Abert 313
Schade, Karl, Sturm 86
— Zwielicht 86
— Blick in die Au 87
Scheel, Joseph, Hl. Benedikt 332
Schiestl, Heinr , Kteuzwegstation . . . 319
Schiesll, Matthäus, Kreuzigung .... 321
Schilling, Franz, Hl. Christoph .... 292
— Christus 296
— Entwurf für ein Treppenhaus .... 297
Schleibner, K., Flucht nach Aegypten . 335
Schmalzl, Fr. Max, Skizze zur Ausmalung
der bayer. Kapelle in Rom 176
Schmid-Breitenbach, Frz., Anachoret . 156
Schmitt, Balth., Ma^nificat 307
— 111. Kreuzwegslaiion 308
— IV. Kreuzwegstation 3Ü9
Schneider, Jos., Grabdenkmal ... .363
Schräg, Jul., Vlämisches Interieur ... 376
Schreyögg, Lehrender Christus 325
Seibold, Max, Madonna 315
Seidl, Gabr. von, Kgl. Nationalmuseum in
München 138
Seitz, Ludwig, Maria Verkündigung . . 161
— Isaias. Ezechiel, Abisac, Sulamitis . . 163
— Thomas von Aquin und die Kirche . 166
Siegwart, Faul, Kirche und Pfarrhaus in
Menziken 92, 92, 93, 94, 94, 95, 96
Spannagl, Wilh., Kirche in der Ausstel-
lung München 1908 194, 195, 196,
197, 198, 199
Spieß, Jh., Kasiila, siehe Gässl.
Steinhausen, Wilh., Jesus und Nikodemus 342
— Moses und der feurige Dornbusch . . 343
Steinicken u. Lehr, Altarkreuz u. Leuchter 206
— Kelch, siehe Beruh. Wenig.
— Mcßkännchen, siehe Beruh. Wenig.
Mo
!09
— Altarleuchter 213
— Leuchter f. die Qsterkerze, s. B. Wenig.
— Vortragkreuz, siehe Beruh. Wenig,
— Altarkreuz 221
— Vortraglaterne, siehe Beruh. Wenig.
Stückelberg, Ernst, Pest in Basel . . 142
— Entsagung 143
— Studienkopf 144
— Prozession 145
— Wegkreuz aus der Innschweiz . . .146
Syrlin, Jörg, Holzbüste 12
Holzbiiste des Abts von Weingarten 12
Thoma, Leonh., Ostermorgen 268
— Papst Gregor der Große 269
— Die hl. Cacilie 271
Told, Heinr., Porträt des J. Sautner . .284
Uhde, Fritz von. Im Atelier 29
— Abendmusik 30
Urban. Herrn., Gewitterslimmung b.RioIa .374
— Spatsommer 375
Wadere, Heinr., Madonna, Simeonu.Anna 33
— Rosa Mystica 34 u. 35
— 'Lympanon . , 37
— .St. Georg .S.S
— Grabdenkmal f. Erzbischof Antonius 39
Seite
Wadere, Heinrich, St. Georg 40
— Der göttliche Kinderfreund 41
— Anbetung der Weisen 42
— Verehrung der Reliquien des hl. Benno 43
— Madonna 44
— Hl. Andreas 45
— Hl. Jakobus d. Ae 45
— Löwe mit dem Bayer. Wappen ... 46
— S. K. H. Prinzregent Luitpold .... 47
— Verdienstmedaille des bayer. Induslti-
elleu-Verbandes 48
— Epitaph 49
— Trauernde Muse 50
— Erinnerung (Grabdenkmal) 51
— Denkmal für König Ludwig 11 .... 52
— Hoffnung u. Liebe 53
— Sandsteinrelief 54
— Profane Musik 54
— Abschied 55
— Giulia 66
— Tristitia 57
— Des Künstlers Tochter
— Pürträtbüste der Großherzogin
^Mecklenburg-Schwerin
Tä
— Rahmen in Lindenholz 63
Wadere und J. Harrach, Cruzifix ... 36
Wagmüller, lustus, Maria Verkündigung 324
Wenig, Bern'h., Kelch 208
— Meßkännchen 208
— Leuchter für die Osterlerze 213
— Kasula 214
— Bruderschaftsfahne 216
— Vortragkreuz 220
— Vortraglaterne 224
Winkler, Georg, Der hl. Isidor .... 318
Winter, Theodor, Christus im Grabe . . 29S
Winternitz, Kichard, Inteiieur 283
Wolter, Franz, Der hl. Paulus S29
Zech, Dora, Granatäpfel 32
Entwürfe zu Grabdenkmälern:
(Nachbildung oder Ausfuhrung ohne Genehmi-
gung der Künstler nicht erlaubt.)
Cleve, Franz, Bell.ia.
Eberle, Heinr., Heil,
Eberle, Ludw-, .... Beil. 15, 41,
Göhring, W., Grabsleinskizzen . Beil,
Guntermann, Frz.,
Kuolt, Karl beil. is u.
Laurenty, Ernst Beil.
Schnapp, Beil.
Sertl (nicht Negretti)
Unterpieringer, Chr., Beil.
Zech, Oskar
Zehentbauer, Otto, Beil.
Illustrationen zu kunsthistorischen
Aufsätzen etc.
Endres, Dr.J. A., Thomas-Zvclus in der
Donrinikanerkirche zu Regensburg 267, 270
Halm, Dr. Fh. M., Wolf Huber und der
Donaustil 65, 68, 69, 71, 72, 73, 73,
74, 75, 76, 77, 78, 79, 81
Hautmann, Dr. Max, Das Bamberger Elfen-
beinrelief Cim. 57 125
Holzschnitzerei Heil, so u. 31
Kleinschmitt, Miniaturen der Exultet-
rollen 177, 178, 179, 180, 181, 182, 182, 183
Lüthgen, Dr., Spätgotische Holzplastik
des Inn- u. Salzach-tJebietes 129, 130,
131, 132, 133, 134, 135, 136, 136, 136, 137
Mader, Dr. Felix, Die Hallerin des Domes
zu Eichstätt 17
Mankowski H., D.as ehemalige Cister-
cienser-Kloster Oliva .... 147 u. 149
Prumler, Raoul Eugen, Der Freskenschatz
von Muggia 139, 140, 141
Schmitt, Frz. Jakob, Der Dom zu Magde-
burg 258, 2.59, 201, 262, 263
Schwarz, Dr. M., Oratorium bei St.a. Maria
in Vallicella 186, 186 u. 187
Steffen, Hugo, Die Peterskirche in Mün-
chen 126, 127 u. 128
— Die ehemalige Augustinerkirche in
München 235, 2.36, 237, 238, 239, 240, 241
Wandmalereien in der Kirche zu Gachen-
hach 319, 3.50 u. 351
DO>JATELLO
l)As hsl l,\\ INIllK DKS HL. ANTONIUS
Padua. Tejct S. 7
MODERNE RELIGIÖSE PLASTIK
Von ALEXANDER HEILMEYER
I. Arten der Plastik
r^ie Kirche hat sich von jeher als treue
'-^ Mutter der Künste erwiesen. Sie hat sie
großgezogen und genährt und ihnen den
weitgehendsten Spielraum für ihre Entwick-
lung eingeräumt. Es liegt im Geiste ihrer
Organisation, daß auch der im Dienste der
Kirche arbeitende Künstler gewisse traditio-
nelle, durch den Kultus bedingte Formen an-
nehmen mußte. Die Kirche hat aber auch
hierin wieder eine glückliche Fähigkeit der
Einfühlung und Anpassung gezeigt, da sie die
in ihrem Dienste stehende Kunst niemals
hinderte, die im künstlerischen Leben zutage
tretenden Imponderabilien aufzunehmen und
zu verarbeiten. Sie konnte das tun, ohne die
Einiieitlichkeit der christlichen Kunst zu ge-
fährden. Diese Einheit, die schon durcii den
Stoff gegeben ist, beeinträchtigt nicht die
Mannigfaltigkeit der künstlerischen Gestaltung.
Ungemein reich und groß, fast unerschöpf-
lich ist das Stoffgebiet der christlichen Kunst.
Der christliche Künstler schöpft den Inhalt
seiner Kunstvorstellungen aus der so anschau-
lich gedachten Bilderwelt der Bibel, der christ-
lichen Evangelien, Legenden und Heiligen-
geschichte. Er schafft Werke, die für alle
Gläubigen eine allgemeingültige, im gewissen
Sinne objektive Bedeutung haben. Es handelt
sich demnach bei der christlichen Kunst um
den Ausdruck des Erlebnisses eines bestimmten
Stoffes innerhalb einer typischen Form, eine
Parallele zum religiösen Leben überhaupt.
Die älteste christliche Kunst hat einen rein
symbolischen Charakter; sie ist Mitteilung
geistigen Lebens für die in der kirchlichen
Gemeinschaft verbundenen Gläubigen. Die Dar-
stellung abstrakter Ideen birgt für den christ-
lichen Künstler allerdings eine gewisse Ge-
fahr, indem er sich leicht Stoffen zuwendet,
die der sinnlichen Anschauung nicht zugäng-
lich oder auch für seine Kraft zu schwierig
sind, denn in der Kunst handelt es sich nicht
allein um das innere •) Erlebnis ;, sondern auch
um ein »Können«. Der bedeutendste Gegen-
stand wirkt als ästhetische Erscheinung un-
bedeutend, sofern ihm nicht der Künstler
Form und Gestalt verleiht. Der christliche
Künstler entgeht dieser Gefahr am ehesten,
wenn er sich den Findrücken der Xatur rück-
haltlos hingibt, denn auch die Natur bietet
ihm eine unversiegbare Quelle geistiger An-
regung. Freilich darf er die Natur nicht mit
den Augen des »Naturalisten 'x betrachten, der
den Leib photographiert und die Seele ver-
gißt. Zwei Wege stehen dem christlichen
Künstler offen, auf denen er zum Ziel einer
religiösen Kunst, wie sie die Kirche bedarf,
gelangen kann. Der gangbarste Weg ist der
©^ ARTEN DER PLASTIK m&
DONATEl.LO ST. ANTONIUS
Bromeßour auf dem Hochaltar der Antoithiskhxh,- zn
Päd na. Text 5. 4
der Tradition. Die Tradition hat im Laute
der Jahrhunderte die Formensprache der
christlichen Kunst vollkommen ausgebildet,
der Künstler braucht sie bloß aufzugreifen und
sie richtig anzuwenden.
Der zweite, schwierigere Weg ist der, sich in
das Problem der christlichen Kunst als eines
Ausdruckes der in der Gegenwart lebendigen
und in der christlichen Idee vorgebildeten
Anschauungen zu vertiefen. Werfen wir
einen Blick auf die moderne religiöse Malerei,
so will es uns scheinen, als sei diese in ein
neues Stadium der Entwicklung eingetreten.
Die alte Form der traditionellen religiösen
Malerei scheint zersprengt und eine neue im
Werden begrifien. Und zwar vollzog sich
diese Entwicklung im innigen Anschlüsse an
den modernen Naturalismus.
Der modernen christlichen Plastik will es
nicht so leicht gelingen, uns die hl. Gestalten
in einer unserer Zeit und unserem religiösen
Empfinden nahestehenden Form zu vermitteln.
Die Gründe dafür liegen, wie wir später dar-
tun werden, zum Teil in der eigentümlichen
Natur der Plastik, in ihren Ausdrucksmitteln
und deren stofflicher Gebundenheit an die
Materie, was an sich den Ausdruck von Ge-
fühlen und Stimmungen erschwert.
Es ist nicht gerade ein Zufall, daß den
Modernen die Zeit heute so nahesteht und
in vielem auch vorbildlich wirkt, da der Trou-
badour der Gottesminne, Franz von Assisi,
seinen Sonnengesang anstimmte und Fra
Angelico die religiöse Kunst als mystisches
Erlebnis der Sinne erfaßte. Auch der Realis-
mus eines Donatello und die typenbildende
schöpferische Kraft Michelangelos wie die
innige, in so originellen Formen sich aus-
wirkende mittelalterliche Kunst wird von uns
heute starker und tiefer erfaßt als zur Zeit
der Romantik. Wir bemächtigen uns ihrer
künstlerischen Werte nicht allein auf dem
Wege der Nachahmung, sondern auch durch
intuitive und intellektuelle Erkenntnis. Dazu
können uns die Werke der alten Meister
immer wieder nützen, zu zeigen, wie sie es
gemacht haben. Wir wollen daher an der
Hand dieser Vorbilder das Wesen der Plastik
näher ins Auge fassen. Es gibt sich am
besten zu erkennen aus ihrem Verhältnis zu
den beiden Schwesterkünsten Malerei und
Architektur.
Stellen wir Malerei und Plastik einander
gegenüber, wie stofllich arm erscheint dann
die Plastik gegen die Bilderwelt christlicher
Malerei. Die Malerei übertrifft die Plastik an
stofflichem Reichtum, sie bemächtigt sich alles
Sichtbaren im Räume, sie vermag das ruhende
wie das bewegte , das animalische wie das
seelische Leben widerzuspiegeln. Welche
Schönheiten und welchen Abglanz inneren
Lebens kann der Maler allein durch das Auge
darstellen?
Die Plastik mit ihren schwer zu gestalten-
den Stoffen: Stein, Bronze, Holz etc. muß
sich beschränken. Diese Beschränkung der
Plastik ergibt sich aus der Bedeutung der
Form und ihrer Erscheinung im Räume, die
nach Darstellung wichtiger und gewichtiger
Dinge verlangt. Von allen Erscheinungen
der Körperwelt ist der Mensch das geeignetste
Objekt der Plastik; daher die griechische
Li M:L:./i > <,llll;l.K-l
/.',;<.«., Oitfor!,tt Jli BuflUUriuii
ÜKUN/liTLKH
C>^ ARTEN DER PLASTIK J^Ö
Kunst, welche die Plastik am vollkommen-
sten ausgebildet hat, die menschliche Figur
über alles stellte. Die religiöse Kunst findet
in ihr die Würde und Erhabenheit des Aus-
druckes, deren sie für ihre Kultstätten bedarf.
In der Form der Statue zeigt sich das Bild
des Menschen im Zustande vollkommener
Ruhe und Einheit, befreit von allen reflex-
mäßig sich spiegelnden Leidenschaften und
Handlungen. Aus diesem Grunde mußte sich
auch die das menschlich-geistige Wesen am
klarsten aussprechende Form der Skulptur
vor allem für die Darstellung göttlicher Per-
sonen eignen. Wie sind die Statuen von
Christus und den Aposteln in ihrer Ruhe und
Einzelheit so bedeutsam.
Der christliche Künstler mußte, wenn er
auch gleich durch die antike Statuarbildnerui
angeregt wurde, gleichwohl für seine Ideale
neue Ersciieinungstormen schaffen. Da die
christliche Kunst vor allem das Geistige in
der Natur des Menschen veranschaulichen
will, mußte sie allen Nachdruck auf Be-
wegung, Stellung, Geste, auf die Bildung des
Kopfes, Gesichtes und der Hände legen ; sie
mußte vor allem auf das bestimmteste indivi-
dualisieren und das für ihre Absicht Cha-
rakteristische der Erscheinung hervorheben und
betonen. Der Körper wird durch langherab-
wallende Gewänder verhüllt. Im Schwünge
der Linien und Falten des Gewandes klingt
der Riiythmus der Bewegung und Geste wie
ein Echo nach. Das Problem »Statue« wird
also auf eine ganz andere eigenartigere Weise
gelöst als in der Antike. Diese Lösung geht
bei Künstlern , die ihre Anregung von der
Antike empfingen, nicht ganz ohne Hemmung
und Scliwierigkeiten aller Art vor sich.
Man betrachte die Christusstatue von Michel-
angelo (Abb. S. 7). Es ist ungewöhnUch, Chri-
stus so darzustellen und es bedarf der Symbole
Kreuz, Rohr und Schwamm, um darauf hinzu-
weisen, daß es Christus ist. Michelangelo bildet
keinen etwa durch Askese und Leiden ent-
stellten Körper, sondern eine apollinische Ge-
stalt. Der muskulöse kräftige Körper wider-
strebt der christlichen spirituellen Auffassung,
der Ausdruck hat eher etwas Heroisches, es
ist der Christus der Auferstehung, der Über-
winder einer alten und Aufrichter einer neuen
Weltordnung. Der großartige Geist Michel-
angelos konnte sich Christus nicht anders
als einen sieghaften Helden vorstellen. Er
mußte auch Christus nach dem Ideal seiner
künstlerischen Anschauung antik bilden. Trotz
gewisser Grenzen, die der Plastik gezogen
sind, bietet gerade das Thema Christus "für
sie ein ergiebiges Motiv dar. Christus als
Lehrer, Erlöser, Tröster, Kinderfreund sind
dankbare Aufgaben. Der beste aber auch der
schwierigste Vorwurf für die Plastik ist die
Darstellung des Gekreuzigten. Sie führt den
Bildner bis hart an die Grenzen des Möglichen.
Aber gerade darin zeigt sich ja der Meister.
Freilich glaubt auch schon jeder Herrgotts-
schnitzer mit einiger Fertigkeit im Handwerk
diese höchste Aufgabe der christlichen Kunst
zu lösen,
r Wir haben schon angedeutet, welche Be-
deutung gerade in der christlichen Kunst die
Tradition hat. Auch Michelangelo bediente
sich der Attribute und Symbole , auch er
verlieh dem Kopf seiner Christusstatue tradi-
tionelle Züge. Was wir gewöhnlich * Heiligen-
figuren < nennen, sind nichts anderes als solche
traditionelle Typen, die einmal geprägt, jahr-
hundertelang in denselben Formen wieder-
kehren. Ein charakteristisches Beispiel für eine
solche Figur bietet die Bronzestatue des heiligen
Antonius von Padua (Abb. S. 2). Es ist durch-
aus keine Verherrlichung des menschlichen
Körpers im Sinne der dem Antiken nach-
strebenden Renaissancekünstler, sondern eine
sehr individuell und realistisch gestaltete Ge-
wandfigur, ein Mönch von innigem, kontem-
plativem Ausdruck. Das Gegenständliche ist
in der Beigabe des symbolischen Buches leise
berührt und in durchaus künstlerischer Weise
der Erscheinung untergeordnet. Diese Kunst
will vor allem durch den Menschen zum
Menschen sprechen.
Die Mosesstatue von Michelangelo zeigt die
höchste Entfaltung aller Kunstmittel, bei der
innigsten Beschränkung auf die äußerst kon-
zentrierte Einheit der Statue (Abb. S. 9). Die
Form der sitzenden Figur spricht ja noch deut-
licher als die der Statue das in sich ruhende
Wesen, ein beharrendes Sein aus. Es ergibt sich
schon aus der stofflichen Gebundenheit an
die Materie eine gewisse Zurückiialtung in der
Darstellung des von starken Affekten beweg-
ten Lebens. Und doch schuf Michelangelo
gerade im Moses ein Bild verhaltener, ge-
waltig gärender Leidenschaft. Man hat das
Gefühl, dieser Moses, der eben den Abfall
seines Volkes gewahrt, würde aufspringen,
und es würde sich das Donnerwetter seines
titanischen Zorns entladen. Dieser Ausdruck
gelang Michelangelo ohne jede Anwen-
dung besonderer Kunstmittel. Er entiiielt
sich auch jeglicher Übertreibung : weitaus-
ladender Gebärden und Gesten. Dagegen ent-
faltete er einen großen Reichtum an Be-
wegungsmotiven, Drehungen, Biegungen und
Wendungen in den Gelenken und Gliedern,
im rhythmischen Schwuntr der Linien und'
©^ ARTEN DER PLASTIK msZ
I.LCA I)i;i.l-A ROBniA
MUSIZIERENDE MADCHEN
Kurven der Draperie, kurz an allen für die An-
schauung^ wichtigen Punkten. Er erreicht da-
durch eine Lebendigkeit des Eindruckes, die
eine Fülle von Rmptindungen und Vorstel-
lungen auslöst.
Line andere Form der Skulptur, das pla-
stische Gruppenbild , gewährt dem Drange
nach geistiger Mitteilung durch \'ereinigung
zweier oder mehrerer Figuren zu einem Bilde
noch größeren Spielraum. Deshalb hat auch
die christliche Kunst bei Schilderungen aus
der Passionsgeschichte. biblischer Bilder und
Lehrenden von dieser Kunstform reichlich Ge-
brauch gemacht. Sie hat sich aber gerade in
Darstellungen, die vielfache Gelegenheit xur
Entfaltung dramatisch bewegten und erregten
Lebens bieten, immer maßvoll gezeigt. Be-
trachtet man von diesem Gesichtspunkte aus
die Piet;'i von Michelangelo (Abb. S. 6) und
vergleicht sie mit aus der Antike überkom-
menen Marmorgruppen, /.. B. die Niobe- oder
Laokoongruppe, dann wird es augenfällig, daß
iUihe und eine an sich gehaltene Energie im
Ausdruck des Affektes charakteristische Merk-
male der christlichen Kunst sind.
Michelangelo schul in der Piet.'i ein Grup-
©:®« ARTEN DER PLASTIK ?*«3
MICHELANGELO
nkiirlu- zu K,:
penbild von strenger Einheit und Geschlossen-
heit. Diesem schon durch die Natur des
Materials getbrdertenErscheinungs-Zusammen-
hang entspricht auch das gegenständliche Mo-
tiv, die Schmerzensmutter mit ihrem Sohne
auf dem Schoß. Um die sitzende Gestalt
der Madonna als den Mittelpunkt der Gruppe
hervorzuheben, benutzte Michelangelo das
Kontrastmittel unterschiedlicher Größenver-
hältnisse, die Madonna ist im Verhältnis zu
dem Körper des auf ihrem Schöße liegenden
Christus sehr groß und stattlich gebildet.
Die ganze Komposition ist auf einfache, aber
schlagende Kontrastwirkung von vertikalen
und horizontalen Linien aufgebaut.
Diese bilden gleichsam das Gerüst für das
in mannigfaltigster Weise durchgeführte Motiv,
wobei der Künstler vor allem auf Deutlich-
keit und Klarheit der bildlichen Erscheinung
ausging. Die Draperie verhilft zu möglichster
Einheitlichkeit der Erscheinung, sie bildet zu
der Bewegung der Figuren wirkungsvolle Be-
©^ ARTEN DER PLASTIK J-S^
gleitliiiien ; sie ist wie bei der Statue
des Moses durchaus organisch gedacht,
gegliedert und von seltener Vollkom-
menheit in der Durchbildung und Aus-
führung.
Die Figuren des Michelangelo er-
halten durch die kluge Verwendung
wirksamer Kontrastmittel einen fast nia
lerisch anmutenden Ausdruck. Bewun-
derungswürdig ist die Behandlung des
Materials, das natürlich in diesen voll-
endeten Werken ganz hinter der for-
malen Erscheinung zurücktritt. Man
sieht nicht, wie es gemacht ist. Eine
gewisse künstlerische Höhe der Tech-
nik ist im Zeitalter der Renaissance
selbstverständlich. Die schon erwähnte
Statue des hl. Antonius zeigt eine ge-
radezu virtuose Behandlung der Bronze,
besonders im Gesamtcharakter.')
Neben den Werkformen der Statue
und des Gruppenbildes findet vor allem
das Relief in der christlichen Plastik
mannigfache und vielseitige Anwen-
dung, daher wir auch die Eigenart die-
ser Kunstlorm näher ins Auge fassen
müssen. Das plastische Flächenbild
steht auf der der Malerei zugeneigten
Seite der Skulptur. Im Relief scheint
die Plastik ihre Grenzen zu erweitern,
sie nimmt Gegenstände und Motive in
das Bereich ihrer Darstellung auf, wie
■/.. B. Vorgänge, welche sich in der freien
Landschaft abspielen oder hgurenreiche
Szenen in architektonisch gestalteten
Räumen, eigentlich lauter Stoffe der Ma-
lerei. Diese malerische Form des Re-
liefs ergibt sich von selbst bei der Be-
handlung von erzählenden und drama-
tischen Stoffen. Das Relief steht darin
manchen Werken der Malerei sehr nahe,
wie Abb. S. i, ein Meisterwerk Dona-
tellos, zeigt, wo malerische Raumver-
tielung angestrebt ist.
Von dieser maßvolleren Stufe der
Entwicklung des malerischen Reliefs ist
nur mehr ein Schritt zu dem ausge
sprechen malerischen Reliefstil von
Ghiberti.
Ghiberti sucht in seinen Portal-Re
liefs (Abb. S. 3) noch viel reichere und
mannigfaltigere Wirkungen hervorzu
bringen. Durch perspektivisch abge-
stufte Pläne erzielt er stärkere Tiefen-
wirkungen; er schafft für die ungemein
') Die Lilie ist spätere Heigabe und über dem
Buche befestigt.
.MICHELANGELO
Mariiiorslatur .
Cü^ ARTEN DER PLASTIK J^a
belebten und bewegten figurenreichen Bil-
der eine möglichst weiträumige Umgebung,
Architektur und Landschaft, um den Inhalt
seiner Geschichten in all ihren Einzelheiten
ausführlich erzählen zu können. Ghiberti be-
wältigt die schwierigsten Probleme der Reliet-
bildnt-rei und erreicht malerische Wirkungen,
wie sie kaum einem anderen wieder gelungen
sind. Die Reliefs wirken wie Bilder in einem
reich geschnitzten Rahmen. Das Ganze ist
bei aller Fülle, allem Reichtum der Details klar
und übersichtlich. Michelangelo sagte bekannt-
lich von diesen Türen: »Sie wären wert, die
Pforten des Paradieses zu schmücken.« Dona-
tello hat die Wesensgrenze des Reliefstils stren-
ger gewahrt, als es Ghiberti in dem eben
besprochenen Werke tat: bei ihm (vgl. S. i)
stellen die Figuren auf gleichem Boden und
haben gleiche Kopfhöhe, sie schieben sich
nicht, wie bei Ghiberti in verschiedene Ab-
stufungen hinter- und übereinander.
In den bekannten Reliefs der Sängertribüne
für den Dom in Florenz von Luca della Robbia
sind dagegen die strengeren Grundzüge des
antiken Reliefstils festgehalten. Das Relief im
Rahmen der Architektur hat tektonischenXha-
rakter. Die Figuren sind in einem bestimmten
Rhythmus angeordnet, nebeneinander und
hintereinander gereiht; malerische Zutaten
sind vermieden. Dabei ist aber der Ent-
faltung feinerer künstlerischer Ausdrucksmittel
in Gesten, Gebärden etc. kein Zwang ange-
legt. Im Gegenteil, der Künstler bewegt sich
vielmehr mit großer Freiheit; das Relief ent-
hält reizvolle individuelle und direkt der Natur
abgelauschte Züge (Abb. S. 5).
Das Relief gewährt der bildnerisclien Phan-
tasie einen viel größeren Spielraum, als die
auf die Einzelerscheinung beschränkte Statuen-
plastik. Die alten Meister wußten ganz be-
sonders schöne Wirkungen durch derartige
Verbindungen von Reliefbildern und Archi-
tektur zu erzielen. Das Relief fand auch in
der kirchlichen Kunst früherer Zeiten reich-
liche Verwendung. Es schmückte Wände,
Portale, Altäre, Kanzeln, Emporen. Alle mög-
lichen Materialien, Stein, Erz, Holz, Mosaik,
Ton, Kupfer, wurden dazu verarbeitet. Man
denke nur an die aus glasiertem Ton gefer-
tigten Relief bilder von Luca della Robbia;
ein Material, das auch in unseren Kirchen
wieder viel mehr Anwendung finden sollte.
Kreuzwegstationen, Votivbilder und Portal-
schmuck heßen sich in diesem Materialetreff"Hch
ausführen. Farbige Terrakotta würde sich
überdies auch dekorativ wirksam erweisen.
Wo immer die Plastik als raumschmückende
Kunst auftritt, und dies ist ja bei der kirch-
lichen Plastik in erster Linie der Fall, besteht
ein inniger Zusammenhang mit der Archi-
tektur. Der Bildhauer verarbeitet ja auch die-
selben Materialien wie der Architekt. Das
plastische Standbild unterliegt als Körper im
Räume denselben statischen Gesetzen. Die
Architektur schafft der Plastik geradezu den
Boden, auf dem sie stehen und sich entfalten
kann. Gerade die dekorative tektonische
Plastik ist mit der Architektur innig verbunden,
besonders beim Kirchenbau, wo sich das Be-
dürfnis nach bildnerischem Schmuck stark
fühlbar macht. In der italienischen Kunst
nimmt die kirchliche Plastik von Anfang an
diese Stellung ein. Die Werke von Donatello,
Ghiberti, Luca della Robbia und auch jene
Michelangelos sind zunächst aus diesem Be-
dürfnis hervorgegangen. Der tektonische
Gharakter der Statuarplastik ist unverkennbar.
Die, schönsten Werke der Relief bildnerei ent-
standen im unmittelbaren Anschluß an die
architektonische Umgebung und in inniger
Verbindung mit ihr.
Ihr hervorstechendster Charakter ist der Zug
zur Monumentalität , wie sie Michelangelo
in seinen Werken erreicht hat.
Die deutsche mittelalterliche Plastik steht
fast ausschließlich im Dienste der Architektur.
In der Gotik ist nicht weniger Streben nach
Monumentalität, aber das Detail, und dazu
gehört die Plastik, ordnet sich dem Ganzen
noch viel mehr unter als in der italienischen
Kunst. Gerade in der Gotik entfaltet sich die
Plastik mit proteischer Fülle und Mannigfaltig-
keit und mit einer Originalität, wie wir sie in
der gleichzeitigen Kunst im Süden sehr selten
gewahren. Freilich konnte auch diese Plastik
die Probleme der Statuar- und Relief bildnerei
nicht zu jener Höhe der Entv/icklung bringen,
wie es der itahenischen Kunst gelang. Diese
mittelalterliche , in ihren Erscheinungen so
ungemein mannigfaltige originelle Kunstweise
hat ornamentalen Charakter. Während Italien,
nicht zum wenigsten infolge seiner antiken Erb-
schaft und seiner Marmorbrüche, die Statuar-
plastik pflegte und auf eine hohe Stute künstle-
rischer Ausbildung brachte, bildete die deutsche
kirchliche Plastik des Mittelalters die Holz-
skulptur bis zu einem bisher nicht wieder er-
reichten Grade der Vollendung aus.
Die Eigentümlichkeiten der Holzskulptur
lernen wir am besten aus den Werken eines
Riemenschneider, Syrlin und Pacher kennen.
Die originellen Figuren des heiligen Jakobus
und einer Madonna mit dem Kinde von
Riemenschneider (Abb. S. 10 und 11) zeigen
uns, wie diese Meistj^ das Problem der Statue
zu lösen versuchten. Die Durchbildung des
MlCHtLANGKLO
Marworslatut in S. Pietro in l'ifuoli *u Roitt^ Ttxt S. 4
MOSES
Die chrlstikhe Kunst. V. r.
'S-^ ARTEN DER PLASTIK m:<S
SCHULER DES TILMAN RIEMEKSCHNEIDER
MADONNA
zstnfiii- im Xatioiialiiniseui:: :ii iluuchen. Text S. S
Körpers ist eine mangelhafte, wenngleich nicht
ohne Anmut in der Stellung und im Ausdruck
der Madonna und charakteristischer Geste bei
der Figur des heiligen Jakobus. Es sind aber
doch mehr traditionelle Motive, die immer
wiederkehren. Für die ganz in Falten ein-
gehüllten Figuren mußten bestimmte Bewe-
gungsmotive erfunden werden, um doch auch
den Körper durch die Falten einigermaßen
wirksam in die Erscheinung treten zu lassen;
daher bei männlichen Figuren der vorgestellte
Fuß, bei den weiblichen das sogenannte Spiel-
bein und die ausgebogenen Hütten. Dem
Faltenwurf wird die größte Aufmerksamkeit
gewidmet. Das Problem der Statue ist im
eigentlichen Sinne für diese mittelalterlichen
Bildschnitzer ausschließlich das Problem der
Draperiefigur.
Die Kunst des Holzschnitzers feierte in den
ganz in Draperien eingehüllten Figuren mit
ihren knitterigen Falten, harten eckigen Brü-
chen, die wie bei den Büsten von Syrlin
(Abb. S. 12) an den Ärmeln oft ganze Falten-
nester bilden, ihre höchsten Triumphe. Sie
verfiel aber später wohl auch in eine kleinliche
Ausführung des Details, in zu glatte technische
Manier. Ein Meisterstück solcher technischer
\'ollkommenheit ist die Porträtbüste Fried-
richs IL von der Pfalz im Bayerischen National-
museum (Abb. S. 17). Bei aller Neigung zur
Stilisierung der Form, die oft zur Manier führte,
iühlen wir in den Arbeiten bedeutender Künst-
ler doch immer das Streben hindurch, in die
Nähe der Natur zu gelangen. Der Kopt des
heiligen Likobus oder das Gesicht der Madonna
der Riemenschneider -Schule zeigen indivi-
duelle Züge. Der Mann mit der lebhaften
Geste, den Syrlin für seine dekorative Büste
am Ulmer Chorgestühl zum Vorbild genommen
hat, ist ein echter Ulmer Kopt.
Solche oft sehr stark hervortretende Züge,
verbunden mit besonderen Eigentümlichkeiten
der Werkstatt- und Schultradition, sind cha-
rakteristische Merkmale und man spricht von
schwäbischen , bayerischen und tränkischen
Meistern und Werken ; man unterscheidet
demnach in der ungeheuer reich und mannig-
faltig ausgebildeten Formensprache mittelalter-
licher Kunst verschiedene Dialekte. Li diesem
Sinne sind auch die dekorativen figuralen Skulp-
turen vom Chorgestühl der Münchener Frauen-
kirche interessant (Abb. S. 13). Sie werden
dem Erasmus Grasser, einem Meister der baveri-
schen Schule, zugeschrieben. Wir sehen darin
auch ein treffliches Beispiel, wie die Plastik
in der Kirche angewendet wurde. Das Chor-
gestühl wird häutig mit ornamentalem und
tiguralem Schnmck reich verziert. Die Haupt-
stelle aber, auf die sich aller Schmuck kon-
zentriert, ist der glänzende Mittelpunkt der
ganzen Kirche, der Altar. Alle Künste:
Architektur, Plastik und Malerei wetteifern,
die Opferstätte zu schmücken, sie erscheinen
hier in innigster Verbindung. Ein aus der
Schule Michael Pachers hervorgegangener
Altar im Baverischen Nationalmuseum diene
TOS« ARTEN DER PLASTIK J'SS^
als Beispiel, welche Aufgaben hierin gerade
der Plastik zukommen (Abb. S. 14 — 16).
Alle Arten und W'erkformen der Plastik:
Keliet' und \'ollfiguren treten in \'erbindung
mit Architektur und Ornamentik auf. In den
beiden schmalen Seitenhliigeln entwickelt sich
das Relief gewissermaßen aus dem Ornament.
\'ielfaches verschnörkeltes Rankenwerk bildet
einen Baldachin über der würdevollen Figur
der heiligen Katharina. Das Relief dieser
l'igur ist so flach gehalten wie das Ornament,
aber auch ebenso wirkungsvoll in der Zeich-
nung und Modellierung. Die Flügel des Altars
dürfen das Auge nicht voll in Anspruch nehmen,
sondern nur anregen und aut das reiche Bild-
werk des Mittelstückes hinüberleiten. Hier
konnnen nun alle Kunstmittel stärker, reicher
und voller zur Entfaltung. Das Relief ist in
allen Abstufungen verwendet, von dem die
Dinge und Gestalten zart andeutenden Flach-
relief bis zum Hochrelief in dem die Gestalten
zu voller Erscheinung herausgearbeitet sind.
Eine streng durchgeführte architektonische
Gliederung teilt das Bild in drei Teile, das
Ornament als Abschluß und Übergang zu den
starren architektonischen Formen bildet durch
das bewegte Spiel von schwungvollen Kurven
und Linien einen das Auge anregenden und
erfreuenden Kontrast gegenüber den gewich
tigen Massen der plastischen Gruppen und
Rundfiguren. Die Anordnung und \'erteilung
der Bilder am Altare ist sehr sinnreich. Am
Altar, wo täglich das Meßopfer gefeiert wird,
soll auch der Blick des Gläubigen mit Be-
wunderung und Liebe verweilen. Es sollen
sich ihm die Mysterien der Lebens- und Leidens-
geschichte Christi im andächtigen Schauen
offenbaren. In der Mitte des Altares bietet
sich dem Auge im Schimmer goldigen glän-
zenden Kerzenlichtes das liebliche Bild der
Geburt Christi, auf den beiden Seitenflügeln
die würdevollen Gestalten der Heiligen aul
Goldgrund und in derPredella, an einer weniger
in die Augen fallenden Stelle, das hochdrama-
tisch gestaltete Bild der Pietä, wiederum im
direkten Zusammenhang mit dem Ornament
als wirkungsvoller dekorativ belebender Flä-
chenschmuck des Altartisches gedacht. Diese
Wirkung wird noch erhöht durch Anwendung
bunter leuchtender Farben, womit die Holz-
skulpturen bemalt sind. Der eigentliche Zweck
und Sinn dieser Bemalung ergibt sich ohne
weiteres im Hinblick auf die Umgebung, eine
gotische Hallenkirche, wo solche Altäre auf-
gestellt wurden. Die dämmerigen, farbig be-
lebten Innenräume mittelalterlicher Kirchen
verlangten, ja forderten geradezu eine farben-
frohe, oft bunte Bemalung der Statuen. Diese
TII.MAN RIEMEN'SCHNEIDER HL. JAKOBUS
Lebensgroße Ilotzftgur. Im NtUionaimuseiim zu München
Text S. S
Farbigkeit plastischer Werke ist nur im Zu-
sammeniiang mit ihrer farbigen Umgebung
zu verstehen, losgelöst davon verliert sie jeden
Sinn. Nicht der Gegenstand, sondern die
Umgebung, die Situation, in der die Skulptur
auftrat, bestimmten die Farbe. Wir sind heute
von dieser Tradition sehr weit abgekommen.
Immer noch werden Statuen bemalt ohne jede
DIE >HALLERIN<: DES DOMES ZU EICHSTATT 8^ö
JÖRG SYRLIN
Kenntnis von dem Zusammenhange mit ihrer
Umgebung. DerBildhauerschicivtseine -Figur :
zum > Faßmaler«, der sie bunt bemalt und
dann wird sie in einer Kirche aufgestellt, die
weder der Bildhauer noch der Faßmaler ge-
sehen haben. Man darf sich daher auch nicht
wundern, wenn man in modernen Kirchen
so oft die Entdeckung macht, daß die ganze
Ausstattung unharmonisch wirkt.
In früheren Zeiten war diese Einheitlich-
keit der Erscheinung eine notwendige
Folge des harmonischen Zusammenwir-
kens aller Künste. Der Architekt schuf
den Raum, der Maler und der Bildhauer
schmückten ihn aus. Die Kirche bildete
gewissermaßen die Versammlungsstätte
aller Künste. Wir streben heute in der
modernen Raumkunst wieder Ähnliches
an. Architektur, Plastik, Malerei und
Kunstgewerbe vereinigen und verbinden
sich untereinander, um einem Räume
Schönheit, Stimmung und Weihe zu
geben. Die moderne christUche Kunst
darf nur zugreifen und sich die Erfah-
rungen der modernen Raumkunst, Pla-
stik und Malerei zunutze machen. Sie
erfüllt dann vollständig, was wir von
ihr erwarten; Vertiefung und Verfei-
nerung des künstlerischen Empfindens,
charakteristische Ausprägung ihres Gei-
stes in modernen Kunstformen und viel-
seitige Anwendung im Rahmen derldrch-
lichen Kunst.
DIE »HALLERIN« DES DOMES
ZU EICHSTäTT
Von DR. FELIX MADER
F^ie größte Glocke des Eichstätter Domes
L^ nennt man die »Hallerin« — ihrer mäch-
tigen Stimme wegen, die seit dem Jahre 1541
ertönt und festliche und trauervolle Ereig-
nisse seitdem ungezählte verkündet hat.
Die Geschichte ihres Gusses ist in den
Domkapitelprotokollen erhalten : die vielen
interessanten Details dieser Aufzeichnung
wurden meines Wissens noch nie veröffent-
licht, sind aber der \^eröffentlichung wert.
Am 25. Oktober 1538 beschließt das Dom-
kapitel , es solle dem Glockengießer zu
Nürnberg geschrieben werden, er möge nach
Eichstätt kommen , man wolle einer neuen
Glocke wegen mit ihm handeln. ■) Zu
Anfang des nächsten Jahres erschien der
Meister »Hanns Glockengießer«. Man ver-
einigt sich mit ihm über den Guß der neuen
Glocke und beschließt sogar im weiteren
Verlauf der Verhandlungen, von dem zu-
erst gewünschten Voranschlag über Gewicht,
Kosten u. s. w. abzusehen und dem Meister
zu »vertrauen-:. 2) Das war am 22. März 1539.
Meister Hanns Glockengießer gehört zu den
vielberühmten Handwerksmeistern Nürnbergs
aus damaliger Zeit. Bedeutende Aufträge nach
') Domkapitelprotokolle (K. Kreisarchiv Nürnberg)
Nr. 9, S. 219 b.
') DomkapitelprotokoUe (K. Kreisarchiv Nürnberg)
Nr. 10, S. 11.
JÖRG
SYRLIN fUI.M) ABT DES KLOSTERS WEINGARTEN
Holzbiistt- im Nationalmuseuiit zu Miinchett. Text S. lo
E2^ DIE UIAI.LERIN. DES DOMES ZU EICHSTATT
ERASMUS GRASSER (MCNCIIEN)
ZWEI PROPHETEN
l'oiit Clwrgt-stitht der Frauenkirche in München, Ihlz. Text S.
allen Richtungen hin hatten die Familie zu
Reichtum geführt: konnte doch Meister Hanns,
eben unser Meister, seine Behausung bei
St. Clara anno 1522 mit einem »Chörlein ?.
versehen, das mit dem Wappen der Keßler
— das war der eigentliche Familienname —
und jenem der Gretz geschmückt war; aus
letzterem Geschlecht stammte des Meisters
Hausfrau. ')
Im Herbst 1540 war der Guß der Eich-
stätter Domglocke vollendet. Da der Bischof
gerade nicht die nötigen vmennen« zum
Transport stellen konnte, so ersuchte das
Domkapitel den xvaiter zu Rebdorf < und die
Äbtissin zu St. Walpurgen, Pferde zu leihen;
außerdem wurde denen zu Unterstall geboten
(sie waren domkapitlische Untertanen), Miiit
Roß und Wagen am Suntag den 7. November
') Des Johann NeudörlTcr Nachrichten von Künstlern
und Wcrkleuten von D. G. \V. Lochner 1875, S. 51.
Vcrgl. ferner. J. G. Doppelmayr, Historische Nach-
richten von den Nürnberger Mathematicis und Künst-
lern. 1730, S. 289 u. Th. Hanipe, Nürnberger Rats-
verlässe über Kunst und Künstler. 1904. Nr. 114 u. 475.
allhie (zu) erscheinen und am Montag dar-
nach utF Nürnberg (zu) faiiren, die utensilia
zu der Glocken, zu holen«.^)
Da kain ein Hindernis dazwischen ! Um
die Glocke in den Turm zu bringen, mußte
man nämlich einen Pfeiler zwischen den
Schallöffnungen ausbrechen und da befürch-
teten die : Werkleute«, der neugemauerte
Pfeiler möchte nicht mehr trocknen und der
Turm etwa Schaden leiden. So beschloß
denn das Kapitel, die Abholung der Glocke
bis Frühjahr zu verschieben. 3)
'• Mitte Mai des Jahres 1541 wurde sie end-
lich abgeholt und auf den nördlichen Turm
verbracht. Am 21. Mai spricht man im Kapitel
davon, daß der Glockengießer nun bald fertig
sein werde: was man an i>\'erehrungen« geben
wolle; weil er so weit hergekommen »so!
man an dem auch nit spott einlegen«. Zuletzt
gab's noch eine neue, unerwartete Schwierig-
keit! Am Montag in der Kreuzwochen tnel-
det der Glockengießer, ider Schwengel t an der
') Kapitelprotokolle Nr. 10, S. 95 b.
3) ib. S. 97.
H
E?^ DTE .HALLERINk DES DOMES ZU EICHSTATT mo,
TILMAN RIEMENSCHNEIDER
J-l,igr/ vom Altar aui Tramin im
Text 5.
HL. KATHARINA
almuseum zu üliinchen
großen neuen Glocke sei zu klein ; das habe
er zu Nürnberg nicht so gut merken können
wie hier; es dünkt ihm geraten, einen gößeren
aut dem Hammer bei Tolienstain zu schmie-
den. Die Herren bewilligen es, weil er ^der
Sache verständig« sei; er solle selbst »naus
mit aut den Hammer ziehen .')
Am 2. Juni schon kann die Abrechnung
mit Meister Hansen geschehen ; bis dahin
war also die ganze Arbeit vollendet. —
Die Hallerin besitzt einen unteren Durch-
■) ib. S. 175.
messer von 1,80 ni; die Höhe betragt bis
zum Hals 1,30 m. Ihr dekorativer Schmuck
besteht aus einem breiten Fries, der rings
um die Haube läult und vier Schildern an den
Wänden.
Der Fries besteht aus einer doppelzeiligen
Inschrift, die nach oben ein Zinnenkranz,
nach unten ein Vierpaßband mit offenem
Dreipaßkamm begleitet. Die Inschrift ist in
der bei Glocken gebräuchlichen, Glocken-
klänge nachahmenden Form 2) gehalten:
vnsers ■ heren • glock ■ hais • ich " hans • glocken-
gieser ■ von " nvrmberg • gvs ■ mich ' als • man "
zalt • fvrbar ' m • ccccc ■ xxxx ■ iar " o " rex ■
glorie ■ veni ' toni ' pace ' sanctus ' io
hanes ' s ■ mathevs " s ■ marcvs ■ s ■ Ivcas •
allelvia ■ ego ' vox • dni ' voco " vos ' ad " cho-
rvm ■ venite ' veni ' saiicte ' spiritvs • reple "
tvorvm ■ corda ■ fidelivm ■ et • tvi ' amoris ' in •
eis • iac. (got. Min).
Merkwürdigerweise ist dieses Band noch
ganz in streng gotischen Formen gehalten;
ein Beweis, wie sehr selbst an den Vororten
der Renaissancebewegung sich die alten Tra-
ditionen erhielten. Im Gegensatz hiezu zeigen
die vier Schilder ausgesprochenen Renaissance-
charakter, was sich dadurch erklärt, daß der
Meister die Entwürfe hiezu eigens anfertigen
lassen mußte, während er zu dem Fries ein
älteres Modell benützte.
Die eine dieser Kartuschen enthält die
Darstellung der Kreuzigung, die zweite ein
\'esperbild, die dritte die Diözesan heiligen
Willibald und Walburga nebst dem Wappen
des Bischofs Moriz von Hütten. Der vierte
Schild zeigt die Wappen des Hochstiftes,
des Domkapitels und das Pappenheimer-
wappen ; die Stifter der Glocke sind also die
Bischöfe Christoph von Pappenheim (ti5 39)
und Moriz von Hütten, sowie das Domkapitel.
Hübsch und geschmackvoll sind die Schild-
gehäuse; die figürlichen Darstellungen da-
gegen gänzlich unbedeutend (Abb. S. 17).
Alles Wissenswerte über Gewicht und Kosten
der Glocke erfahren wir aus der Abrechnung
mit dem Meister, die in Gegenwart der Dom-
herren Johannes von Seckendorf und Sig-
mund von Pappenheim, des Obleyers und
Syndicus und des Vicars Johannes Greßle
erfolgt: 3)
»Item. Erstens wigt die Groß vnd new ge-
gossen Glockh 76 centner vnd 11 ?? vnd
gesteet der Zendtner 12 fl. vnnd 15 kr.
thut 932 fl. 2 ß 28 4«,
Item die Alt Glockh hatt gewogen 31 Zendtner
') Über Glockeninschiiften: Ottc, Kirchliche Kunst-
archäologie 1885, I , S. 442.
3j K. Pr. Nr. 10, S. 176 — 179.
15
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SCllL'Ll- D!-;S MICIIAHL PAc:HI:K i;ir. i; ui
Cntffc im Schrrin lies aus Tramin bli licztn stammendtn Allars im Kgl. .\'ationalniu
Ttxt S. n
(.lüL Ur CHRISTI
.M umhin. Hol,
i6
SJ^ DIE »HALLERIN« DES DOMES ZU EICHSTÄTT m&
SCHULE DES MICHAEL PACHER
PredellagruppL- d,-s Altars aus Ir.uiiiit iiil Xi.
29 U vnd hat glocklieni^iesser den Zendtner
anuLMiomcn vmb 8 fl. vnd i ortt
thut 25811. iß 6 4
Item also Rest dem Glockhengiesser hinaus-
zugeben 674 fl. iß 224
Item Glockliengiesser hatt an erstgemeker
Suma zu Nürnberg entpfangen 300 fl.
Rest also noch an der grossen glocken Zu
Zalen 374 fl. i ß 22 4
Item für das Gehenkh Zu der grossen
glockhen 50 fl.
Item mer für das gehenkh Zu vnsrer Frauen
glockhen 20 fl.
Item mer für den Schwengkel Zu vnsrer
Frauen glockiien 10 fl.
Item von den wappen vnd pllder Zu schney-
den vnd an die glockhen Zu giessen 5 fl.
Item für vnser ■ Gn • Hr ■ wappen 1 5 kr.
Item denn Zimerleytten von den Jocii zu
machen vnd zu boren 4^15 rj
Item für 2U öl •'" Leinöl, das Joch damit
getrenkht 21 ,1^
Item für den Riemen vnd Ringkhen 6 ß . . . .
Item dem Zimerman von Nürnberg iür Be-
soldung vnd vererung 10 fl.
Item des Glockhengiessers Hausfrauen für ein
vererung 20 fl.
Item seinen knechten für ein vererung ge-
ben 10 fl.
Sumarum alles so man dem Glockhengiesser
seiner Haufrauen, knechten vnd Zimerman
noch hinaus Zugeben schuldig thut
550 fl. 4ß 244
Item den Zeugknechten Jm Zeughaus Zu
Nürnberg für Jr mühe In auf vnd abladung
BEWEINUNG CHRISTI
ionalnniseuni ZK MiiiickeH. Holz. Text S. II
^der zug mit Ihrer Zugehör Zu trinkgelt
geschickht 4 fl.
Summa prescriptorum iacit
552 fl. oß 18 .J
Hat mayster Hanns Glockhengiesser an-
zaigt vnd vnder andern sich vernemen
lassen, er mochte levden das ein E. K. (lies
Ehrwürdig Kapitel) seinen gewin, so er an
der glockhen hatte, wissen, sy würden Jne
nit so gehalten haben. Aber er hatte sollich
werkh mer zu einem Rhum gegossen, dan
von gewines wegen, vnd er wüste, khundte
sich auch des mit der warhait beriemen, das
in gantzen deutschen landen nit zwu glockhen
so wol verwartt hiengen, als die alhie, vnd
die zu Amberg. Jm wer aber die von Am-
berg am Zeug vnd arbeit baß bezalt worden.
Dan daselbsten hette man Jme vmb den
Zendtner 13 fl. geben vnd 80 fl. zu henkhen,
so doch die glockhen nur 60 Zendtner ge-
wogen, wie es sich verglich gegen dem
hieigen da die glockh 76 Zendtner, hett ein
Jeder zu erwegen.
Zum andern zavget er an, das Holtz, so
ein E. K. Jme hinein zu dem Joch gen
Nürnberggeschickhthette, wer grien gewesen .
das er rauchwerkhen lassen, vnd in seiner
Stuben hinder dem oflen gehabt, dasselb
auch mit öll geschmirt, damit es desto ehe
dürr wurdt, aber er thrüge sorg, es wer nit
düre genug, dan es so thükh, das es in so
kurtzer Zeit hett mögen dür werden. Der-
halben besorget er, es mochte in einem Jar,
drey oder vieren, deichen vnd schlotter oder
luckher werden. Daraus solle ein E. K.
khain schreckhen nemen , dann demselben
E5^ DAS GRABDENKMAL FÜR BISCHOF VON LFOXROD ^^ö
wer gut zuthun, vnd er wolle nur die Zerung
nemen und einem E. K. zu eheren heraus-
khomcn vnd den mangel be}- einer maß
wein wendten . vnd batli in sunderhait man
solte kliain Stimpler darüber lassen, dann es
wer zu besorgen, es mochte einer mer daran
verderben dann gutt machen . vnd zaiget
daneben auch an, es dörtite nit mer, dan
das die obere Hauptspeydel praytte würden
gemacht, wo die zu schmal, vnd das geheng
würd angezogen, so hette es also dann khain
noth vnd wiewol er die glockhen nur ein
Jar zu wagen schuldig, so trüge er gar kliain
scheuch, die sein lebenlang zu wagen.
Zum dritten so hette er die schilt vnd was
dartzugehörig, dermassen gemacht und ge-
hörtet, so einer mit einer gar scharfen feychel
darüber stiende, er würde gar wenig herab
khunden feuchlen. Aber der Rost, so darauf!"
leg, würde die Schilt hingneffen (?l, dafür
khundte er nit . wo aber ein mangel daran
in künfftig würde vnd er in leben were
wolte er den wie oben Einem E. K. zu
ehren wenden vnd auch nur die Zerung
nemen , vnd Bath abermalen man solte kain
Stimpler drüber lassen.
Zum vierden als die Bezalung geschehen,
nam er am morgen vrlaub mit grosser Dannk-
sagung aller eheren, vnd wo er sollichs alles
vmb ein E. K. samptlich vnd sundlich khuiidt
verdienen, will er allzeit willig sein, dann
Ime die eher vnd der Rhum lieber als das
gelt sev: Schied also darvon. — «
Das Kapitel hatte eine gute Wahl getrofien;
während zur bleichen Zeit die Glocken des
AL'GSRrRGER AKRlir
llolzbiisle im .\ali<m
iKii.iiuicH 11. vo\- oi;r PI'ALZ
srum zu München. Text S. lo
nahen Unterstall, die Meister Laux Zottmann
in Augsburg goß, dreimal umgegossen werden
mußten,') ergab sich bei der Hallerin keine
Gefahr, daß ein »Stimpler.^ darüberkommen
sollte — ihre eherne Stimme tönt noch
heute ungebrochen fort.
DASGRABDEXKMAI.lLRP,IS(;il()F
FRANZ LEOPOLD VON LEONROD
Der Dom zu Eichstätt mit dem anstof^en-
dcn Mortuarium steht bei den Freunden
von Kunst und Geschichte in hohem An-
sehen als Sammelstatte wertvoller Grabdenk-
mäler aus allen Epochen. Von dem künstle-
rischen Können vergangener Zeiten, von der
Stufenfolge der künstlerischen Ausdrucksweise
in den Jahriiunderten sprechen die Stein- oder
Bronze-Bildnisse der Bischöfe Eichstätts und
ihrer Kanoniker, vom Wechsel der Geschicke,
vom Wandel der zeitlichen Erscheinungen.
Seit dem Tode des Fürstbischofs Johann
Anton in. von Zehmen (f 1790), dem Ignaz
Alexander Breitenauer ein feines Denkmal in
den klassizistischen Formen jener Zeit errich-
tete, 2) hatte die Kunst an keiner Eichstätter
Bischofsgrabstätte mehr ein Wort zu sagen.
VO.\ iJcK .IIALl.tKlN'. DKS IJOMES
ZU EICHSTATT. Text S. ii
') K. Pr. No. 10, S. I)5b; 18 . 192b u. 226.
") Abbildung in Hichsiätts Kunst, von F. X. Herb,
F.Mader, S. Mutzl, J. Schlecht, Fr. Thurnhofer,
.München (Verlag der Gesellschaft f. christliche Kunst),
1901, S. 21.
Wc chiisUkhe KunM. V.
i8
Sä^ GRABDENKMAL — AUSSTELLUNG ^ö
Erst dem let/.tverstorbenen Bischof Franz
Leopold von Leonrod, dem begeisterten und
verständnisvollen Kunstfreund, konnte sie —
nach mehr als hundert Jahren — wieder ein
Denkmal errichten, ein Denkmal, das der Be-
deutung des Heimgegangenen wie der Be-
deutung des Domes würdig ist. Im Mai dieses
Jahres kam es zur Aufstellung. Professor
Busch hat es geschaflen (Abb. S. 19).
Das Leonrod-Denkmal, das der Klerus der
Diözese im Verein mit mehreren Laien dem
allverehrten Bischof in dankbarer Gesinnung
errichtenließ, befindetsichim nördlichen Seiten-
schitf des Domes an der westlichen Stirnwand
desselben, direkt über der Grabstätte.
Da an dieser Wand ein in Stein gehauenes
Barockportal sich befindet, das in die Grult
des Fürstbischofs Franz Anton von Katzen-
ellenbogen hinabführt, mußte das Leonrodepi-
taph über diesem Portal, also in einer Höhe
von 4 — 5 m angebracht werden. Die Situ-
ierung ist aber keineswegs nachteilig — dauernd
gute Beleuchtung vorausgesetzt — der Be-
schauer wird im Gegenteil überrascht, wenn er
sieht, welch wirksame Belebung die schmale
Stirnwand des Nordschiftes durch das Denk-
mal gefunden hat. Zu Seiten des Leonrod-
epitaphs sind nämlich von früher her zwei
andere Bischofsdenkmäler in diese Wand ein-
gelassen: eines für Konrad von Pfeflen hausen,
der 1305 starb, und ein zweites für Johann
von Heideck, der 1429 das Zeitliche segnete.
Die Gruppe der drei Bischofsdenkmäler
über dem mit Figuren geschmückten Barock-
portal wirkt ausnehmend günstig.
Im Gegensatz zu den beiden flankierenden
Monumenten, die als oblonge Epitaphien mit
stehenden bezw. liegenden Porträtgestalten
gebildet sind, schuf Busch ein Triptychon mit
überhöhtem Mittelstück. Das Denkmal ist aus
feinem Otfenstettner Kalkstein gemeißelt und
mißt 2,5 m in der Höhe, 1,9 m in der Breite.
Das Motiv der Darstellung war von dem
hochseligen Bischof zu Lebzeiten noch ge-
geben worden : Das lebhafte Bewußtsein der
Verantwortlichkeit, welche für diejenigen, die
auf dem Leuchter stehen, eine vermehrte ist,
Heß ihn wünschen, daß auf seinem Grabdenk-
mal der Weltenrichter dargestellt werde.
Demgemäß sehen wir im Mittelstück des
Denkmals den göttlichen Richter thronen.
Zu seiner Rechten kniet der Bischof in fle-
henthchem Gebet, hnks hält ein kleiner Engel
das Familienwappen der Leonrod und das
Wappen des Eichstätter Bischofstuhles.
Aus der Gruppe spricht ein reiches, inneres
Leben. Der göttliche Richter, eine hoheits-
volle Gestalt, in der die Terribihta mit Gnade
sich vermählt, ist in ernstes Abwägen versun-
ken. Im Augenblick wird er sich erheben,
das für immer gültige Urteil zu sprechen.
In der knienden Bischofsfigur schuf Busch
ein Porträt von überraschender Lebenswahr-
heit. Das ist der verewigte Bischof mit den
scharfen Zügen, mit dem Charakterkopf, den
ein langes, tatenreiches Leben so ausdrucks-
voll modellierte! Und wie ergreitend ist es,
in diesen Zügen das demütige, innige Flehen
zu lesen : salva me fons pietatis. Der aller-
liebste kleine Wappenengel ist ganz der rei-
zenden Schöpfungen würdig, die Busch ge-
rade auf diesem Gebiete geschafl^en hat. In-
dem der Kleine vertrauensvoll und flehend zum
göttlichen Richter sich wendet, nimmt er an
dem Vorgang inneren Anteil und so schließt
sich die Gruppe seelisch zu einer lebendigen
Einheit zusammen.
Die formale Behandlung imponiert durch
den großen stilvollen Zug, der die dreige-
teilte Gruppe durchzieht, durch die feierliche
Rhythmik der Linien und des plastischen Pro-
fils, in der der Ernst des inneren Vorgangs
nachklingt. Durch die bestimmte, klare Sil-
houette ist die Gruppe geeignet, auch in die
Ferne zu wirken.
Die Umrahmung des Denkmals schließt sich
in freier Weise an die Formen der Gotik an,
allerdings nicht im Sinne der Schablonen-
gotik. Die diskreten ruhigen Formen dieses
Rahmens ziehen in keiner Weise den Blick
von der figürlichen Gruppe ab, sondern kon-
zentrieren vielmehr die Aufmerksamkeit auf
das innere Leben, das sie beseelt.
Das Leonrod-Denkmal, das uns Busch ge-
schaflen, ist demnach des Verewigten würdig
und ist würdig des Domes, den so viele äl-
tere, bedeutende Grabmäler auszeichnen —
nach hundert Jahren wieder eine Grabmals-
schöpfung der hohen Kunst! Felix Mader
DIE MÜNCHENER AUSSTELLUNG
IM GLASPALAST 1908
Von FRANZ WOLTER
ein halbes Jahrhundert floß im Strome der
'-^ Zeh dahin, seit unter Anregung des Histo-
rienmalers und Schriftstellers Herm. Becker
in Düsseldorf der Plan zur Gründung der »All-
gemeinen deutschen Kunstgenossenschaft« ge-
faßt wurde. Zu einer Zeit, als die Eini-
gung der Deutschen noch ferne lag, ward
die Vereinigung Deutscher Künstler nach den
Vorschlägen Beckers in die Tat umgesetzt
und auf der Allgemeinen deutschen Künst-
lerversammlung 1856 in Bingen, wohin aus
19
GEORG BUSCH
1 KAOMüM vRLCllTER FLÜGEL) VOM GRABDENKMAL ILK lilSCliÜl VON LEONROD
Text S. 17 und iS
©^ MUNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 m'2
IKirZ KUNZ
A"«//f/ J,w- Alcadn.
allen Gauen des deutschen Landes die Künst-
ler zusammengeströmt waren, jene Korpo-
ration gegründet, die schon zwei Jahre später,
nachdem der Versuch, in Frankfurt a. M. die
erste deutsch -nationale Kunstausstellung zu
veranstalten, gescheitert war, in München 1858
jene glänzende Vorführung deutscher Kunst
zustande brachte, von der heute noch in
Künstlerkreisen als von einem beispiellos gro-
ßen Ereignisse und Erfolg gesprochen wird.
Nunmehr nach fünfzig Jahren ist wiederum
München der Sammelpunkt deutschen Kunst-
schaffens und soll zeigen, was in qualitativer
MARI\ KRON'l'KG UN'D HL. CACILIA
Ci-ai.v zu frciouri, in der Schweiz. Text Beihige S. -
Hinsicht die Allgemeine deutsche Kunstge-
nossenschatt zu leisten vermag. Wenn wir
nun den Gästen in unserer Besprechung den
Vortritt gestatten und im Geiste das große
Bild überschauen, so müssen wir gestehen, daß
die bedeutenden Kunstzentren voran schrei-
tend sich gewaltig angestrengt haben, um
Vortreffliches und Gutes zu bringen, so daß,
von Einzelheiten abgesehen, die ganze Aus-
stellung nicht nur einen einheitlich vorneh-
men Eindruck macht, sondern auch zeigt,
daß die deutsche Kunst in den fünfzig Jahren
nicht stillgestanden, sondern weiter neue mo-
tx^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 S^ö
FRITZ KUNZ
Freske, an der Kuppet der Kapelle Sie. O
Freilfurs in der Schw.
MARIA KRÖNUNG
Vgl. AN,. S. 20
deine Gebiete erobert hat. Die großen Säle
der Berliner, Düsseldorfer, Wiener, Dresdener
allein würden den Beweis liefern, daß wir
es mit echt deutschnationaler Kunst zu tun
haben, die nach jeder Richtung hin den Ver-
gleich mit der ausländischen nicht zu scheuen
braucht. Wir sehen hier einmal nach vielen
Jahren jene starken Persönlichkeiten vereinigt,
die nach der Verkörperung ihrer eigenen Kunst-
anschauung ringen. Wir besitzen ja, ohne
daß es uns so recht zum Bewußtsein kommt,
eine Reihe von tüchtigen Kräften und wenn
diesen in der modernen Kunstbetätigung auch
der gemeinsame Boden fehlt, im Gegensatz
zu vergangenen Epochen, so verleihen sie
dennoch, jede in ihrer Weise, der allgemein
verständlich germanischen Eigenart beredten
Ausdruck. Es ist ja unmöghch, jedes Werk
aus der großen Fülle des Gebotenen nam-
haft zu machen, nur einzelnes sei herausge-
griffen, um Proben zu geben ; jedes andere
ist darum nicht weniger gut, dient es doch
im Gesamtbilde dazu, abzurunden, zu ergänzen,
zu vermitteln.
Berlin zeigt vor allem, daß es neben seinen
hypermodernen Auslassungen, die es zu Hause
in den Secessionsaussteilungen öffentlich zeigt,
nach der konservativen Seite hin ernst ge-
nommen werden darf. Anregungen, die von
Holland, Schottland, Frankreich ausgegangen,
haben die Berliner Künstler ebenso wie die
Münciiener in eigener Art verarbeitet und
22 S^ä MÜNCHENRR AUSSTFJ.LUNG IM GLASPALAST iqoS
EN'GELGRUPPE
wenn auch manches, wie die »Potsdamer
Brücke« von Paul Hoeniger, »Die Mittags-
pause« von L. Sandrociv an französisciie
und holländische Persönlichkeiten zu stark
erinnert, so freut man sich auch wieder,
wenn Max Schlichting in seinen »Luft-
schlössern« den jüngeren Münchener Ele-
menten etwas abgelernt hat. Sind hier und
dort Wechselbeziehungen deutlich erkennbar,
so darf anderseits die starke Eigenart, ja Bo-
denständigkeit Berliner Kunst nicht verkannt
werden. Anton von Werner, dieser Name
genügt, um an sie zu erinnern. Die großen,
seinerzeit epochemachenden Werke »Kapitu-
lationsverhandlung in Donchery, 2. September
1870« und »Generalsvortrag in Versailles, De-
zember 1870« sind noch in aller Erinnerung.
Von diesen Bildern sehen wir die grundlegen-
den Vorarbeiten in flotten Skizzen, die un-
mittelbar nach dem Erlebnis hingeschrieben
sind. Von Ludwig Knaus sehen wir ein
hübsches Genrebild, das sich würdig seinen
früheren Arbeiten anschließt, von den beiden
Lessing, Konrad und Heinrich, charak-
teristische Leistungen, die teils aus der Eifel,
teils aus Belgien stammen. Paul Meyerheim
sandte das Bildnis seines Vaters, eine breit und
flüssig gemalte »Strohfuhre im Winter« und
»Rubinstein in derBerlinerSingakademie«.Den
Kaiser in Husarenuniform, mehr repräsentativ
und dekorativ, mähe Alfred Schwarz.
Neben diesem Bilde befinden sich die fein-
sten Perlen der Berliner Abteilung, die beiden
Menzel. Es ist schwer zu entscheiden, ob
wir dem »Theätre Gymnase« oder dem »Bal-
konzimmer« den I. Preis zuerkennen sollen:
dem einen, der impressionistischen Wieder-
gabe eines Theaters, wo alles lebt, sich be-
wegt, von hellem Rampenlicht die Darsteller
auf der Bühne beleuchtet sind und das zu-
horchende Publikum im Dämmer zurücktritt,
während die tiefen Schatten über Galerien
und Brüstungen huschen, oder dem andern,
wo der Altmeister sein Zimmer in der Schön-
bergergasse malte. Eine Wand mit Spiegel,
ein paar Stühle, ein unsäglich einfaches, all-
tägliches Motiv. Aber was hat Menzel vor
63 Jahren aus diesem Thema gemacht? Ein
Kunstwerk ersten Ranges ! Wie der Wind
von der Balkontüre her den weißen Vorhang
leise bewegt, wie das Licht gedämpft ein-
fällt, über Wand und Möbel gleitet, wie im
Spiegelglas das alte Bild mit dem Messing-
rahmen zurücktritt, das ist einfach unbeschreib-
lich. An Frische, Unmittelbarkeit, an tech-
nischer Meisterschaft überbietet dieser kleine
Menzel alles. Hier kann man der Jugend
von heute, der »so schnell fertigen«, zeigen,
wie etwas künstlerisch durchgeführt wurde,
das zugleich alt, hochmodern und zukünftig
ist. Und worin besteht das ganze Geheim-
nis dieser Studie? In der mit scharfem Blick,
©^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 ?^a
25
KKGELGRUPPE
mit Liebe und \'erelirung geseiienen und ver-
ivörperten Natur, nacii den charakteristischen
Formen hin, wie sie nicht allein Menzel, son-
dern jeder große Meister früherer Zeiten nach
einer gesetzmäßigen Folgerichtigkeit aus der
Natur liolte.
Von Hans Herrmann, dem wir in iMün-
chen als gern gesehenem Gast oft begegnen,
sehen wir ein melancholisch ernstes Bild »Der
Hafen von Volendam:;, von Douzette ein
wuchtig in der Farbe behandeltes Bild »Prie-
sterseminari, von Willy Hamacher »Fischer-
frauen c, die bedeutend besser zur Wirkung
kommen, als »Der windige Morgen in Schwe-
den«, wo die Technik das Gemälde zu zer-
fahren und zerrissen macht. Ein hübsches Be-
leuchtungsproblem elektrischer Lampen auf der
Brücke vor dem neuen Dome zu Berlin sandte
AI Ir. Seh erres; Karl Sa Itzmann einen unter
\'olldampf dahinschießenden deutschen Damp-
fer auf hoher See; Hugo \'ogel neben einem
eleganten Damenbildnis einen jungen, Flöte
blasenden Faun. Interessant des Stotles wegen
sind die Ausgrabungen bei den Ruinen des
Tempels der Königin Hatasu, in einem umfang-
reichen Bilde Ernst Koerners. Die Tänzerin
Miß Allan malte Otto Marcus, lebensgroß,
beleuchtet vom Rampenlicht der Bühne in
einer der schwierigsten Monientbewegungen
und \'erkürzungen der Glieder des Körpers.
Rein sachlich sjenonimen ist das Bild künst-
lerisch trefflich durchgeführt, auf jede Einzel-
heit ist Bedacht genommen und selbst dort,
wo der aus der Phantasie schaffende Künstler
sicherlich Fehler gegen die Richtigkeit macht,
ist Marcus nicht zu tadeln, wenn er aufliegen-
des Gewand naturalistisch wiedergibt. Aber
obwohl man dieses von weitem gut wirkende
Gemälde nicht so leicht vergessen wird, bleibt
die Empfindung zurück, als ob die Grundlage
dieses Kunstwerkes mehr die Momentphotogra-
phie als die Natur selbst gebildet hätte. Oskar
Frenzeis »Ruhende Kühe;; in der nordfrie-
sischen Marsch gehören mit zu den eindrucks-
vollsten Bildern, ebenso der Garten von Vik-
tor Freudemann, der unheimliche, nächt-
liche Reiter von Herbert Arnold, der köst-
liche Jahrmarkt vor den großen schwarzen
Türmen, über denen helle Wolken dahin-
sch weben von Hans H artig. Weniger er-
quicklich ist die malerische Wiedergabe alt-
peruanischer Gräberfunde. Diese doch durch-
aus nicht angenehme Zusammenstellung von
Gebilden, wie Mumien, Präparaten, Schädel-
bruchstücken etc., mögen sie noch so gut ge-
malt sein, kann man als Kunstwerk im engeren
Sinne kaum betrachten. Solche gemalten Gegen-
stände mögen vielleicht eine Berechtigung ha-
ben zur Schaustellung oder Auf bewaiirung, um
als Lehrmittel für einen bestimmten Wissens-
zweig zu dienen.
Die Plastik in den Berliner Sälen zeigt ganz
24
S!^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 »^Ö
hervorragende Elemente. Die Kleinkunst
kommt auch hier, wie dies in der gesamten
Ausstellung bemerkbar, trefflich zur Geltung.
Wir sehnen uns mehr denn je im Kulturleben
wieder nach jenen kleinen, reizenden Bronzen,
Stein- und Holzfigürchen, die eine Zeitlang
wenig beachtet wurden, aber man denke nur
an die antiken Völker, welch bedeutende Rolle
diese Kunstgegenstände bei ihnen im Hause
spielten. Auch Werke größeren Stils treften
wir an, die uns von dem Aufschwung der
Berliner Plastik guten Aufschluß geben. So
brachte Sigismund Wernekinck eine rei-
zend und naiv empfundene weibliche Figur, W.
Wandschneider eine »Jugend«, die zwar
edel aufgefaßt ist, aber im Marmor etwas
Kaltes, Frostiges hat. Arth. Lewin-Funke
bietet eine Sandalenbinderin in Bronze, M.
Baumbach einen Bildhauer in demselben
Material. Apart in der Auffassung und fein
in der Abtönung der diskreten Farben wirkt
der sinnige weibliche Studienkopf von Fritz
Heinemann, xDas Lied vom Frühling« gab
HansGlümer in einem Flöte blasenden Pan,
dem ein Vogel zuhört, ganz eigenartig wieder.
Li der Terrakotta »Zwei Menschen« ging
Ernst Wenck in der realistisch plastischen
Durchführung etwas zu weit, der Mann steht
da, wie ein ausgezogener Bauernbursche vor
der Aushebungskommission; endlich erscheint
Pipers Milon, trotzdem die Historie ja von
der Kraftleistung berichtet, die im Tragen
eines starken Stieres bestand, in dieser Form
etwas unglaubwürdiK-
FRITZ KUiMZ
SrUDlENKOPF
Die rheinische Kunstmetropole Düssel-
dorf hat den Vorzug, die größere Anzahl von
Werken zu zeigen, die mit der religiösen Kunst
oder deren Ideen zusammenhängen. Ganz ab-
gesehen von Autzügen kirchlicher Feierlich-
keiten, wie die Prozession von Fred. Vezin,
das brillant gemalte Innere einer Kirche von
R. Huthsteiner oder das ostfriesische von
Chr. Bockelmann, finden wir vor allem
Ed. V. Gebhardt, der zwar kein Bild reli-
giösen Inhalts vorführt, aber zwei Kopfstudien
von prachtvoller Farbe und Modellierung. Das
»Bildnis eines Geistlichen« entstammt einer
früheren Epoche aus des Meisters Kunst-
schaffen, ist von einem goldigen Ton, der wohl
zum Teil der »stets verschönernden Zeit« an-
zurechnen ist; der andere Kopf gehört zu jenen
trefl liehen, markig hingesetzten Studien, von
denen an anderer Stelle in unserer Zeitschritt
schon ausführlich die Rede war (Abb. S. 205).
Zu dem engeren Schülerkreise Ed. v. Geb-
hardts gehört Louis Feldmann. Sein »Geth-
semane«, Christus schmerzgebeugt, in mond-
scheinbeleuchteter einsamer Gegend betend,
ist an sich betrachtet eine sehr bedeutende
Leistung und nur die zu starke Abhängigkeit,
die sogar so weit geht, den eigenartigen
Christustypus Gebhardts zu verwenden, eben-
falls Gezogenheit im Faltenwurf, lassen die
volle Genußfreudigkeit über das Werk nicht
aut kommen. Wir leben nun einmal nicht in
der Raffael- oder Rubenszeit, wo die Schüler
sich blindlings dem Meister mit Herz und
Hand ergaben, wir verlangen heute mehr denn
je, daß der Künstler, um mich im Extrem
auszudrücken, sieht und wiedergibt, was bisher
niemand vorher gesehen hat und tür das Ge-
sehene selbst die technischen Mittel, seine
Sprache finden soll. Inwieweit diese Forde-
rung eine Berechtigung hat, mag dahingestellt
sein. In dem schönen Aquarell des Weltenrich-
ters (Mosaikvorbild für den Dom in Schleswig)
von Bruno Ehrich (Abb. Jg. IV, S. 281) sind
ebenfalls alle Elemente Gebhardtscher Kunst
vereinigt, jedoch gemildert und mit reichem
innerem Leben erfüllt. W. H. Titcomb hat
in seinem »Ego sum, nolite timere« (Christus
erscheint auf dem Meere den Jüngern) gleich-
falls an ein Gebhardtsches Vorbild gedacht,
jedoch versucht, eigene Wege zu wandeln, die
ihn aber in die Wildnis führten. Trotz vielen
guten Eigenschaften und Einzelheiten ist die
Komposition zerrissen und diese Fischer sind
keine Jünger Christi, sondern Knechte.
Robert Seuffert geht in seinen beiden
großen Stationsbildern (Abb. Jg. IV, S. 275 und
277) mehr eigenartig vor; vielleicht darf man
etwas von flämischer Beeinflussung sprechen,
25
26 e^ MUNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPAT.AST 1908 J^ä
FRITZ KUNZ
GEBURT CHRISTI
Kartcm zun, Fresko h: dt> Kapelle Str. Cre
wenn man Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder
einem Volksstamm suchen will. Aui tiet blauem
Grunde baut der Künstler seine Vorwürfe auf
und er bemüht sich, neben allem traditionell
Überkommenen heißpulsierendes Leben un-
serer Zeit hineinzutragen.
In Peter Janssen hat Düsseldorf einen
tüchtigen Künstler verloren, einen von jenen,
die aus der Zeit der Historie stammen, einen,
der noch auf Komposition, Linienführung,
auf eine schwungvolle Malerei achtete. Unter
seinen drei Werken zeigt wohl am besten die
geniale Skizze »Zum Stern«, was Janssen für
die Kunst bedeutet hat. Hier in den anschei-
nend flüchtigsten Strichen, mit denen der
Meister den gewaltsam vordrängenden Men-
schenstrom hingeschrieben, steckt das Ge-
wollte, steckt schon das erreichte Ziel. Im
ersten Wurf ist die Vollendung enthalten,
denn man hat das ganz bestimmte Gefühl,
daß gerade in dieser geistreichen Arbeit der
Maler weniger gemacht als gekonnt hat und
daß trotzdem das Werk als vollendet erscheint.
Auf landschaftHchem Gebiete haben die Düs-
seldorfer stets Anregung von den Holländern
glücklich verwertet, und erinnert ja mancher
direkt an jene geschmackvollen niederländi-
schen Künstler, wie Wilh. Hambüchen,
Eugen Dücker, der stets dieselben brillan-
ten Marinen malte, dann G. Jacobsen und
E. Günter, welch letzterer besonders die sil-
bernen Töne des Wassers liebt. Vom verstor-
benen Munt he sehen wir eine seiner besten
Schneelandschaften, die auch heute ob ihrer
Technik Bewunderung vor so viel schneidi-
gem Realismus erweckt. Ganz eigenartig son-
derbar, aber vortrefflich die kalte Stimmung
wiedergebend, ist ein Gemälde von H. Her-
manns aus Ostfriesland, ein hervorragendes
Stück Malerei. Nicht zu vergessen sind die
altbewährten Meister der Düsseldorfer Schule,
die beiden Brüder Achenbach; sowohl von
Andreas wie von Oswald sind treffliche Pro-
ben ihres Könnens da. Es ist übrigens erstaun-
lich, über wie vielseitige Mittel gerade Oswald
verfügte. Wenn man das Bild vom Quirinal
genau betrachtet, so muß man die anscheinend
unbeabsichtigte Anordnung von Zufälligkeiten
ö^ MUNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 »^ö
27
bewundern, die jedoch mit vollem Bewußt-
sein, mit Absichtlichkeit, ja mit Berechnung
ihren richtigen Platz gefunden. Das ist keine
naive Kunst, aber doch auch Kunst! — Er-
wähnen wir noch den stets liebenswürdigen
Hugo Mühlig mit seiner »Niederrheinischen
Kartoffelernte«, A. Montans »Skatspieler im
dunklen, vom Doppellicht beleuchteten Keller,
den an Rubens erinnernden Blumenkranz ic von
Ludw. Keller und das seltsam in Farbe an-
mutende, aus Violett, Grün, Schwarz, Ziegelrot
herausgetormte Bild G. Gossen s Am Kamin .
Um nur einiges von der Düsseldorfer Plastik,
die sich stark an niederländischen Naturalismus
anlehnt, herauszugreifen, erwähnen wir \V.
Lehmbruck, welcher fast Franz Hals in sei-
ner >Altenv; in Bronze übersetzt, Heinrich
Baucke, der in seiner Gipsstatuette eines Gärt-
ners an Meunier herantritt, ohne dessen male-
risch monumentale Form zu erreichen. Recht
hübsch in der.Modellierung ist die kleine Bronze
eines westfälischen Leinenbauers von Aug.
Bauer und Der Seemann von Gregor v.
Bochmann d. J.
Dresden war wohl mehr mit seiner heimi-
schen Ausstellung beschäftigt und hat die besten
Sachen für sich behalten, immerhin treffen wir
auf einige gute Leistungen. Max Pietsch-
mann ist mit dem »Frühlingsidyll« künstleri-
scher, als in den beiden anderen Gemälden.
Der Flöte blasende Faun soll im antiken Sinne
durch den Stoff den Zauber des Frühlings stär-
ker hervortreten lassen. Es ist ein bemerkens-
wertes, aber nicht gerade zu lobendes Zeichen
unserer Epoche, daß wir den durch die Re-
naissancewiederbelebten, bockfüßigen Faunen,
Satyrn, Dryaden etc., Gebilden, die gerade
nicht das Edelste waren, was die alten Hellenen
schufen, immer wieder in unserer Zeit begeg-
nen. Böcklin hat eigentlich diese Wesen
neuerdings zu Ehren gebracht, aber auch bei
ihm sind, es nicht seine besten Gestalten.
Poeschmanns »Frühpost« ist von recht
sinniger Heiterkeit, ebenso »Der Sommer«
von Carl v. Ledebur, nur sucht er seine Ef-
fekte zu stark mit pointiliistischer Technik zu
erreichen. Unter den Bildnissen interessiert
am meisten das des Professors Prell von Joh.
Mogk, schon weil es in erster Linie durch
das ejut gewählte Arrangement und die Ver-
FRITZ KCNZ
Freske iu der Kn/'tlle Str. Cr
JESUS AM ÜLBBRG
I-'reii>urg hl der Schweiz
28
EJ^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 ä^a
teilung der Farbwerte als ein Bild für sich be-
trachtet werden kann. Einer der wenigen Ent-
würfe für Malerei, welcher moderne und zu-
gleich alte Errungenschaften in sich vereinigt,
ist die Arbeit von Paul Kießling Der Ge-
nius des Bildhauers erscheint im Kreise der
Musen und Grazien ;. Wir haben hier nicht
eine von jenen Handlungen vor uns, die büh-
nenmäßig auffrisiert sind, auch keine akade-
misch posierende Kostümgeschichte, die von
einem falschen Pathos begleitet ist, sondern
ein aus dem Innern des Künstlers heraus,
gleichsam visionär empfundenes Gebilde, das
ganz schlicht im Hauskleide der Natur erscheint.
Was unser Münchner Maler R. Pietzsch
in seinen melancholisch ernsten Isarhildern
anstrebt, Naturfeier im Sinne einer uraltger-
manischen Gemütseigenschaft im Gegensatz
zur Vedute oder zur Szenerie zum Ausdruck
zu bringen, das erreicht in einer schon ab-
geklärten, vollkommeneren Sprache August
Leonhardi, in seinem mächtigen Bilde »Früh-
lingsahnung \ Walter Illner will Ähnliches
auf landschaftlichem oder figürlichem Gebiete.
Sein kleiner ■ Frühlingsreigen beweist dies;
soviel Gutes in diesem Reigen selbst und
in lUners Künstlcrtum steckt, die harmonische
H.\NS HEMMESDORFER
Munchener Jahre
s Stella Uff .
KASSANDRA
Glas/'iiliisl /goS
Verbindung von Landschaft und Figuren ist
ihm nicht geglückt, und dennoch hat das Bild
eigenartige Reize. Zu jener Gruppe nach ern-
ster Naturanschauung ringender Künstler ge-
hören mit ihren Werken Ad. Thamm, Hed-
wig Rumpelt, Franz Kunz, Rieh. v.Hagn,
welcher zumal in einer -Straße von Husum <
den Beweis erbringt, daß Luft und Licht und
Schatten mit einfacheren, schlichteren Mitteln,
dabei wahrer zur Darstellung zu bringen sind,
als mit dem letzten Aufgebot einer gekün-
stelten Tüpfelmalerei, der wir nun so oft be-
gegnen.
Unter den wenigen plastischen Gebilden der
Dresdner Abteilung ragt das liebliche Idyll
einer Marmorgruppe Mutterglück« von Os-
kar Rühm hervor. Otto Pilz' reizende
Bronzen, sowie Die Bacchantin mit dem Büf-
fel« sind besonders erwähnenswerte Arbeiten.
Es wäre hochinteressant, wenn die Möglich-
keit gegeben wäre, die große Allgemeine deut-
sche Kunstausstellung von 1858 zum Vergleich
mit der diesjährigen heranzuziehen. Wir wür-
den staunen, wie stark sich das Bild der deut-
schen Kunst verändert hat. Was damals in
den Vordergrund trat, die hellenisch-klassizi-
stische Kunst, Genelli, der alte Kaulbach, dann
Cornelius, die Nazarener Overbeck, Führich,
Schnorr, Schadow, die Romantiker Schwind
und Neureuther und das Haupt des damals
neuen Realismus Carl von Piloty,um nur einige
Namen zu nennen, würde uns sagen, daß diese
Künstler immerhin trotz aller Verschiedenheit
ein einheitliches Element gebildet haben, daß
sie, und das ist das wesentliche, von künstle-
rischen Gedanken getragen waren, dazu eine
nach innen gewandte Tiefe und Beschaulich-
keit des deutschen Geistes ofienbarten im Ge-
gensatz zur damaligen ausländischen Kunst.
Die Ereignisse und Taten aus iler heiligen und
profanen Geschichte, die Legenden und Sagen,
die Mythen, ja die ganze Natur des Alltags-
lebens wurde unter dem Gesichtspunkt der
Idee aufgefaßt und verkörpert.
Wenn wir heute vor allem die Wiener
Säle betreten, so denkt man unwillkürlich an
jene Zeiten, in denen gerade auch die öster-
reichischen Lande mitgewirkt. Ein anderes
Bild entrollt sich, und des Chronisten Pflicht
ist, dies festzustellen. Das Bildnis tritt in den
Vordergrund und die Landschaft, das Genre-
bild, ohnehin schon seit Jahren auf den Aus-
sterbeetat gesetzt, verschwindet fast ganz, eben-
so jedwede Historie. Große repräsentative Bild-
nisse, mehr zu dekorativem Zweck für Säle
und Empfangszimmer, als für den intimen
Wohnraum geeignet. John Adams brachte
das Bildnis eines Fräulein Lilly B. .. und das-
o o .■liissUZ/fffif tUr o o
StCfssioH MüHchfH iqoS
Ttxi yhrg. n; s. 2j<f
I-KITZ VON UHDi:
IM ATKLIHR 's»«-»
30
C!^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG LM GLASPALAST 1908 ?^?3
jenige der »L. Marberg als Jolanthe im Teufel-;,
in einen blauen Mantel gehüllt; Ivanovitsch
im Aquarell- Gobelin -Charakter ebenfalls ein
fein in der Bewegung gegebenes Frauenbild-
nis; Pochwalski das Porträt eines ungari-
schen Grafen in altbekannter Qualität; Willy
Krauß ein Damenporträt als Problem in Blau-
Rot-Grün, dann der international gewordene
Ph. Laszlo u. a. m.
Die ältere traditionelle Wiener Landschafts-
malerei, wie sie unter Schindler blühte, hat ihre
Nachklänge noch in einzelnen Vertretern ; so
hat das »Herrenhaus« von Ad. Kaufmann
wohl mit am deutlichsten jene feinsinnige
Kunstüberlieferung aufbewahrt. Lichtprobleme
sind auch bei den Wienern beliebt, so brachte
Wilh. Krauß ein leuchtendes Bild aus >Chiog-
gia« , Gust. Heßl ein prächtiges Interieur
in leichter flüssiger Technik, Rud. Quittner
einen »Herbsttag:, Max Prosch eine »Winter-
landschaft«, die sowohl glücklich in der Wahl
des Motives ist, als auch in der sonnenbestrahl-
ten Schneedecke an innerer Wahrheit so vieles
übertrifft, was sonst an Schneelandschalten ge-
malt wird. Nicht unerwähnt mögen die Bil-
der von dem früher München angehörenden
Künstler AI fr. Zoff bleiben, ebenso die Ge-
mälde von Jungwirth, Hans Temple, Al-
fred von Pfluegl und Ad. Karpelles. Eine
der besten, sicherlich aber die großzügigste
plastische Arbeit, ist das lebensgroße Tiger-
paar von Friedrich Gornik; der Organis-
mus, der Knochenbau, die Muskulatur dieser
beiden sich aneinanderschmiegenden Katzen
ist in einer von allen Kleinigkeiten losgelösten,
einfachen Form gesehen, so daß die Gruppe
über das rein Naturalistische hinaus einen stil-
vollen Zug erhält.
Bei den Künstlern aus Karlsruhe treffen
wir in erster Linie eine Reihe von weiblichen
Akten, unter denen diejenigen von Herrn.
Moest die talentvollsten sind; ein Sinn ist in
denselben trotz der Bezeichnungen »Psyche«,
Versonnen« schwer zu finden. Die kleineren
Sachen sind hier merkwürdigerweise die be-
sten, wie »Am Kachelofen« und »Schwarzwäl-
der Bauernhof im Winter« von Wilh. Hase-
mann, der > Feierabend« und die »Abendge-
IRITZ VON LUIDE
Aiisstdlung- dir Secssioii Miimken iguS. Text Jln-g. 11', S. 2jg
ABENDMUSIK
SQä« MÜNCHEXER AUSSTELLUNG LM GLASPALAST 190S f^Q
HERMANN GROBER
IN DER SOMMEKIRISCHE
Aussielhittff der Secession München igoS
Seilschaft ( von Heinrich Pforr und die tüch-
tigen Bilder der bekannten Künstlerin Geiger-
Weishaupt.
Stuttgart zersplittert seine Kräfte, denn wir
treffen hier nicht alle Künstler dieses inter-
essanten Kunstkreises vereint, sondern zerteilt
in andere Säle der Genossenschaft. Den stärk-
sten Eindruck machen die Werke Leo Bauers.
Der \'ersuch, einen verlorenen Sohn in Tri-
ptychonformat zu malen, ist ja nicht mehr neu.
Auch das Thema selbst hat Slevogt bekannt-
lich wieder in moderner Zeit aufgegriffen und
an diese Art schließt sich Bauer an, ohne die
derbe Wucht Slevogts zu erreichen Trotzdem
tritt in der Gesamterscheinung eine Geschlos-
senheit des Ausdrucks hervor, die in unseren
Tagen immer einen X'orzug bedeutet, weil er
meist Charakteren eigen ist. Klarheit der
Komposition und eine gereifte plastische Ruhe
zeichnen stets die sinnigen Landschaften Rieh.
Tliierbachs aus, so diesmal das einsame Wald-
tal. Viel Humor zeigt Fritz Reiß in seinen
»Paradiesäpfeln schälenden Waldniännlein und
Julius Körnbecks »Dorfpartien« haben bei
aller Detailarbeit eine energische Kraft des Vor-
trags und eine tiefergehende Stimmung.
We i m a r - C a s s e 1 - N ü r n b e r g haben zu-
sammen ausgestellt, ebenso Breslau-Königs-
berg und Brauns chweig-Leipz ig. Diese
stillen Räume bergen stille Bilder, die Künstler,
die hier zum Beschauer sprechen, sind ruhige,
in steter Arbeit vorwärts strebende Naturen.
Wir sehen keine Kampfeslust, keinen jugend-
lich überschäumenden Mutwillen, keine Schla-
ger. Wenn naturgemäß einzelne Werke her-
ausfallen, so enthalten diese Säle doch keine
Arbeiten, welche in den Streit der Meinungen
geraten könnten. Manches ist gut und trcff
lieh, einiges sogar derart, daß es nur ein l'ein-
schmeckerganz zu würdigen vermag, so das emi-
nent gut gemalte Stilleben von Carl Fleiscii-
mann , ein anderes von Ernst Toepfer ganz
©^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 190S ?^ö
DORA ZECH
l.RAN'ATAPFEL
Müm-he>ier y.ilir.
apart und originell in der Zusammenstellung,
»Das träumende Haus« von Carl Albrecht,
eine Symphonie in Grün, dann das schwarzrot-
blau gestimmte Bild »Seelengebet der Heilsar-
mee; von OttoHeichert, »Die Barkenzieher <
von Hugo Walzer. Gar zu schwer im Ton
ist das sonst mit vielem Können gemalte Tri-
ptvchon »Leute vom Meer« von L u d w i g D e 1 1 -
mann. Eine protestantische »Abendmahlsfeier«
von Rud. Thienhaus (Berlin) wirkt in ihrer
graugrünen Farbenskala gar so nüchtern. Haer-
tels »Frühlingsreigen« ist von groß, ideal ge-
wollter arkadischer Heiterkeit, aber diese Stim-
mung wird kaum durch die tanzenden Jung-
frauen erreicht. Erinnern wir hier noch an
das helle hübsche Interieur von Herm. Grat,
den edel aufgefaßten Märtyrer von Max Mar-
tini, den leuchtenden »Frühlingsmorgen« von
Ferd. Koch und das wuchtige Bild »Auf der
Elbe bei Hamburg« von Carl Holzapfel.
Von den übrigen Lokalvereinen nimmt Kiel
insofern eine etwas gesonderte Stellung ein,
als in diesem Kreis rein ideale, fast transzen-
dentale Malereien mit absolut naturalistisch be-
obachteten Motiven sich mischen. Wir sehen
von Ludw. Fahrenkrog die Lichterschei-
nung »Baldurs, wie er die Fluren segnet«
oder das Bild »Dem unbekannten Goite«,
neben einem in derb herber Weise gemalten
»Erholungsstündchen«, bei welchem die Haus-
mutter den Nachbarn Kaffee einschenkt, von
Ludwig Noster, oder die bekannte blaue,
friesische Bauernstube mit den saftigen Äpfeln
auf dem reinlichen Tische im Vordergrunde, von
Clara v. Sivers. — Klein-Chevalier schil-
dert auf einer Landungsbrücke in Norderney
eine Gesellschaft von Herren
und Damen in Bedrängnis
durch den anbrausenden
Sturm und Carl Leipold,
dem wir schon mehrfach als
einem der empfindsamsten
nordischen Landschafter be-
gegnet sind, mehrere Bilder,
von welchen die einsame
Windmühle am grausilberi-
gen Wasser von grandioser
Stimmungsgewalt ist.
Hamburg sandte einige
seiner bekannten Künstler ins
Treffen; Oesterley mit ei-
nem Fjordbild, wie er in altge-
wohnter virtuoser Art malt,
Müller-Kempf mit zweien
seiner herben, von echt nordi-
scher, deutscher Weise durch-
wehten Landschaften. Julius
Rehder mit entzückenden,
dem Kinderleben abgelauschten Szenen und
Carl Becker, einer der wenigen, die aus
dem Vollen zu schöpfen vermögen. Sein
Bild »Auf der Unterelbe«, Boote mit den
schweren braunroten Segeln, ist melancho-
lisch ernste Stimmungsmalerei. Zarter und
süßer gegen solche Werke erscheinen einige
Bildhauerarbeiten, so die Bronzen Trilbvs
und »Im Bade« von Walter Zehle. Graziös
und zierlich in der Bewegung ist »Der Narziß .
von Ed. Weher, ebenfalls die »Diana« von
Joh. Röttger und »Ingeborg« von Herm.
Hausm an n.
Über Wilh. Steinhausen, welcher der
Frankfurter Gruppe angehört und in ihr
die bevorzugteste Stelle einnimmt, gehen die
Meinungen der Künstler stark auseinander.
Und in der Tat, man muß eine Menge Er-
rungenschaften, die wir in der neuzeitlichen
Kunst zu verzeichnen haben, nicht bei ihm
suchen, sondern vielleicht in ihm einen Maler
sehen, der absichtlich ganz schlicht und ein-
fach, flach, körperlos, unorganisch seine Men-
schen schafft, um dem Emptindungsleben mehr
Anteil zu gewähren. So ist das etwas mystisch
klingende Thema Du reichst uns deine durch-
grabeneHandx (Abb. Jg. IV, S. 286) mehr gut ge-
wollt, als gut erreicht. Dazu kommt, daß das
vollständige Zurückdrängen jeglicher sprechen-
der Farbe dies Gemälde dürftig erscheinen läßt.
Weit besser ist das in den letzten Strahlen
der feurig untergehenden Sonne erglänzende
Paradies und das Bild des Künstlers selbst, wie
er sinnend vor dem Fenster sitzt (Abb. Jg. I\',
S. 287). Auch hier seht der Man^jel an Farben-
reiz bis zur Abtötung.
(Schluß folgt)
rar Jie Rcdakti
S. SnudhaiT
Druck von
cn.idepl.itz 3) ; Verla
icselUcli.ift für
München.
christliche Kunst, G.
äL^)l.
Heinrich Wadere
Ostertnorgen (1905)
Grabdenkmal für Frau von Wulffen im
alten nördlichen Friedhof zu München
Die christliche Kunst, V. Jahr?., H. 2.
lllilNRlCH WADEKt
MODERNE PLASTIK IN DER KIRCHE
Von ALEXANDER HIHLMEYER
II. HEINRICH WADERR
Canova nannte die Plastik eine ars poctica.
Die Form schien ihm Stoff', Mittel zum
Zweck, poetische Gefühle und Stimmungen
auszudrücken. Er bekannte sich zu einer rein
idealistischen Kunstweise, als deren Prüfstein
ihm die Antike galt. Er hielt viel auf das Stu-
dium der auf Grund der Antike zur Schön-
heit geläuterten Natur, und zwar aus Ehrfurcht
vor dem Adel der Schönheit. Canova hatte in
Italien große \'orgänger. Correggio war sein
Ideal. Diese Kunst fand aber zu jeder Zeit
ihre Anhänger. Um die Wende des i8. zum
ly. Jahrhundert waren es außer Canova u. a.
auch Grenze und Prudhon, die sich nach dieser
Richtung hin betätigten. Auch heute hat die
Kunst der schönen Linie, die eigentlich die
\ erkörperung des natürlichen rhythmischen
Gefühls, des sozusagen angeborenen Schön-
lieitsgefühls ist, zahlreiche \'ertreter. Ganz
von selbst wenden sich diese zur Antike und
zur Renaissance, weil in diesen künstlerischen
l:pochen dieses Gefühl in der Kunst am voll-
endetsten in die Erscheinung getreten ist. Die
ferne Schönheit der Antike und der Renaissance
schwebt wie ein holder Traum hernieder. Sie
wird das Ideal ihrer Sehnsucht. Ihr Leben
und Dasein bestätigt geradezu den Satz, daß
das Ideal beim Künstler die Stelle der Wahr-
heit vertritt, daß er ein Ideal haben muß, an
das er unbedingt glaubt, um dessentwillen er
sich müht, es für sich und andere zur An-
schauung zu bringen. Es hat immer Künstler
gegeben, die ein solches Ideal im Herzen ge-
tragen haben, mochte die Kunst ihrer Zeit auch
andere Wege gehen. Waderes bisheriges künst-
lerisches Schaffen bestätigt diese Annahme.
Ihm war von Anfang an klar, daß sich im
Schönen die Seele der Dinge widerspiegle;
die Kunst soll der Schönheit geweiht sein.
Die Richtung seines künstlerischen Werde-
ganges wurde dadurch frühe bestimmt. Dem-
gemäß entwickelten sich auch bald alle zur
Kunst nötigen Eigenschaften.
Heinrich Wadere wurde am 2. Juli 1865
in Colmar i. E. geboren. Seine Vorahnen
waren in den alten Kulturländern Burgund
und Elsaß ansässig.
Der Großvater und der \'ater schmückten
Schlösser und Kirchen mit herrlichen Stukko-
arbeiten. Der für künstlerische Dinge Irüh
empfängliche Knabe wurde auf häufigen Wan-
derungen mit seinem \'ater in diese Welt ein-
gelührt. Tiefe und dauernde l:indrücke hinter-
liel.Nen in Wadere die Schöplungen zweier
34
EX^ HHINRICH WADERH mxä
großer deiitsclier Meister, welche seine Vater-
stadt besitzt, Martin Schongauers und Mattliias
Grunewalds weltberühmte Gemälde. Der ehr-
liche Realismus dieser Künstler und ihre reli-
giöse Weihe erfüllte sein empfängliches Gemüt
mit wahrer Inbrunst. Mit vorzüglichen Kopien
der Werke Schongauers hat er denn auch
sein jetziges Heim geschmückt und für die
Kopie der Madonna im Rosenhag hat er einen
köstlichen Rahmen entworfen (Abb. S. 63).
Eine schöne Antikensammlung bot nach einer
anderen Richtung Anregungen.
Da sich das Talent Waderes und sein Drang
zur Kunst frühzeitig oflenbarte, so erhielt seine
Erziehung bald eine entsprechende Richtung.
Man schickte ihn zu einem Holzschnitzer in
die Lehre. Dort durfte er sich an kunstgewerb-
lichen Arbeiten erproben und sich im Schnitzen,
Modellieren und in Steiiiarbeitcn üben. .Außer-
dem besuchte er die städtische l'ortbildungs
schule. Seine Tätigkeit führte ihn nach ver-
schiedenen Orten im Westen Frankreichs, wo
er manche wertvolle Eindrücke empfing. Man
wurde auf seine hohe Begabung aufmerksam
und dies hatte eine glückliche Wendung in
seinem Leben zur Folge, die ihn seinen eigent-
lichen Idealen näher brachte. Es wurde ihm
nämlich auf Anregung von Gönnern ein
Staatsstipendium von Elsass-Lothringen ver-
liehen, welches ihm die Übersiedlung an die
Kunstakademie zu München ermöglichte.
Wadere kam 1884 auf die Akademie und
trat dort in die Bildhauerschule bei Eberle ein,
wo er 7 Jahre verblieb. Mit dem Unterricht
nach dem Gipsabguß hatte man damals ge-
brochen ; dafür herrschte der rücksichtsloseste
Naturalismus, die Abhängigkeit vom Natur-
niodell. Diese Richtung mußte gerade das ein
HEINRICH WADERE
ROSA .MYSTICA (1S95)
Si^S HIüXKIt:!! WADHRH ?€ßS
HEINRICH WADERE
^Uirniorstatite
der Kirche Jung St. Peter .
ROSA M\ST1CA tiSjj;
Strajihirg. Text S. 43
engen, was sicli bei Wadere so frühe anzeigte,
seine selbsttätige Phantasie. Das an sich not-
wendige Modellstudium konnte auch seinem
lebendigen Schonheitsgefühl wenig Nahrung
geben. Sein Ideal war der schöne
Mensch. Diesen Menschen konnte er nicht
in den Aktsälen der Akademie, wohl aber
in der Sammlung antiker Statuen, Büsten und
Gruppen der Schule entdecken. Man darf da-
her wohl annehmen, daß der allzeit Lernbe-
gierige dort vieles aufgriff. Er war ein tleilJiger
Schüler, der jedesmal mit einer Arbeit auf den
Ausstellungen vertreten war und mit jedem
lahre eine neue Auszeichnung errang.
Will man sonst noch Einflüssen nachspüren,
die seinem Talent zugute kamen und es zur
Reife brachten, so wird man sie auf romani-
schem Kunstboden suchen müssen.
Italien und Frankreich haben ihm sicher
vieles vermittelt, was zu seiner Entwicklung
beigetragen hat. Wadere interessierte sich für
die alte, wie für die moderne Kunst. In
I-rankreich bewunderte er die alten Bau-
werke, studierte die Skulpturen an den
Domen von Arles, Chartres, Bourges, Le
Mans und Paris. Die luoderne französische
Kunst machte einen gewaltigen Eindruck auf
ilni. Sein Sinn für Kluthmus der Linie und
36
S!^ HEINRICH WADERE ^Tö
für schöne Form fand hier reichliche Nahrung, nenschein denken muß. Doch zeigt dieModeh
In .seinen dekorativen Werken ist auch etwas lierung ein bemericenswertes Verständnis für
von französischem Esprit zu verspüren. Er das organische Gefüge des Körpers und den
suchte und fand frühe das seinenvideal Zu- Rhythmus der Eormen. Ganz im naturah-
sagende in der Darstellung schöner
und edler Weiblichkeit. Gerade in
seinen Grabmalen hat dieses Empfin-
den starken Ausdruck gefunden.
Sein lebhaftes schwärmerisches Na-
turgefühl kommt in der Darstellung
weiblicher Schönheit und weiblicher
Psj'chc am besten zum Ausdruck.
Mit einem leisen mystischen Ein-
schlag erscheint es in seinen religiös
empfunde-
nen Wer-
ken, in dem
nur ihm ei
genen ho-
heitsvollen
und doch
anmutigen
Madonnen-
typus. Auf die Gestaltung üiesc
Typus dürfte auch Waderes Vorliebe
für die Werke der Frührenaissance,
die Schöpfungen eines Luca delia
Robbia, Donatello, Desiderio da
Settignano, Einfluß gewonnen
ben. Dieser Vorfrühling der
naissance mit seinem knospenden
blühenden Leben, seiner jugend-
lichen Anmut steht ihm unendlich
nahe. Waderes harmonische An-
schauungs- und A'orstellungsweise
zeigt oft verwandte Elemente. Auch
seine Kunst hat etwas ungemein Lie-
benswürdiges, Einschmeichelndes.
Keine auffallende Geste, kein exzen-
trischer Ausdruck stört je die Har-
monie des Eindruckes. Sein ange-
borenes Taktgefühl spricht aus seiner
starken Empfindung für Maß, Ruhe
und Würde des Ausdrucks.
Um seine Kunst in ihrer ganzen
Eigenart kennen zu lernen, muß
man sie nach der profanen wie nach
der religiösen Seite betrachten. Seine
erste selbständige Arbeit stellt einen
nackten, im Grase liegenden Knaben
dar. Ein Falter hat sich auf seinen
Fuß gesetzt und der Knabe greift
vorsichtig darnach. Der jugendliche Körper,
im Ausdruck einer momentanen Bewegung
wiedergegeben, ist eigentlich ein plastisch ge-
faßter Momenteindruck, eine Impression, die
man sich im Zusammenhang mit der umgeben-
den Landschaft, Gras, Blumen, Wasserund Son-
HEINRICH WADERE
UND ]. HARRACH
Ff/, y.lhrcsma/-/,.- /SgS
stischen Sinne legt Wadere den
Nachdruck auf die Geste und den
Vorgang. Das plastische Motiv tritt
infolgedessen nicht mit solcher Klar-
eit in die Erscheinung wie z. B. bei
dem »Dornauszieher« oder dem
i'Mädchen beim Würfelspiel«. Bei
seinem nächsten Werke, »Aus dem
Leben der Psyche«, verrät schon der
Titel, daß hier der Schwerpunkt der
Darstellung
im Gegen-
ständlichen
zu suchen
sei. Chloc
ist sein er-
stes Werk,
in dem es
ihm gelang,
das Plastische in der Erscheinung
eines jugendlich anmutigen Körpers
vollkommen zum Ausdruck zu brin-
gen. Mit diesem Werke schloß auch
seine akademische Studienzeit ab.
Die Statue, die seinerzeit mit großem
Beifall aufgenommen wurde, enthält
bereits das ganze künstlerische Pro-
gramm Waderes. Chloe ist darge-
stellt als ein ungemein anmutiges
und reizvolles Wesen von einschmei-
chelndem Ausdruck. Es bedarf keiner
besonderen Anstrengung der Phan-
tasie, um darin das zarte Träume-
rische der Natur im Frühling aufs
glücklichste verkörpert zu finden.
Von dem Eindruck, den dieses Werk
auf die Zeitgenossen machte, be-
richtet Ostini in seiner Kritik über
die Internationale Münchner Aus-
stellung 1890: »Waderes diesjährige
Hauptarbeit , Chloe' dokumentiert
ihn als reifen fertigen Künstler. Eine
keusche, mädchenhafte Nacktheit,
eine liebenswürdige Harmonie der
Linien, eine bei aller Einfachheit
trefflich ausgearbeitete Silhouette
und eine vollendete technische Be-
handlung des Fleisches zeichnet diese
Statue aus, welche ein die antike Doppelflote
blasendes Mädchen darstellt.« In derselben
Ausstellung war Wadere auch mit ein paar
Büsten vertreten. Porträtarbeiten führen den
Bildhauer immer in die nächste Nähe der Natur.
Aber nicht allein die Natur, das individuelle
R-:^ Hl-IXKICH WADl-l^l' ?«ö3
HEINRICH WADEKK
Am Hauptport.il ,
:,t,j:,.ng ^,
TYMPAXON (1S9S-9J1
I.uitpoid von Bayern
Leben reizt ihn zur Darstellung; er sucht viel-
mehr im Bildnis gerne das Repräsentative der
Persönlichkeit wiederzugeben. Bildnisse von
Fürsten (Abb. I. Jg. S. 279 und hier S.47, 60 und
2.ßeil.)und hohenWürdenträgernderKircheim
Schmucke ihrer Herrschertracht und in ihrem
reichen Ornat erscheinen ihm als eine ver-
lockende Aufgabe. Bisher sind ihm aber doch
Kinderbildnisse, z. B. das seines eigenen Töch-
terchens mit dem Pulcinell im Arm und dem
Lebkuchenherz in der Hand (Abb. S. 59) oder
die hübsche Büste von Auguste Thiersch be-
sonders gelungen. Die Bronzebüste »Giulia«
(Abb. S. 56) zeugt wieder von seinem Streben
nach plastischer Ausprägung schöner weib-
licher Formen. Giulia ist zwar kein Tvpus,
dazu trägt sie zu individuelle Züge; sie ist abei
auch kein bloßes Porträt.
In seinen sehr zahlreichen tektoniscli pla-
stischen Arbeiten an Münchener Privathäusern
und Banken, am Künstlerhaus und am National-
museum, gewann er für seine ausgesprochene
Begabung in der dekorativen Plastik einen gro-
ßen Spielraum. Die Stoffe, die er mit \'orliebe
behandelt, enthalten genug dankbare plastische
Motive. Auch hier bekundet er eine gewisse
N'orliebe für die reizvollen Gestalten von Putten.
Die drolHgen und plastisch ungemein dank-
baren Kinderfiguren eignen sich eben sehr
gut zum Schmuck festlicher Räume. Am
Künstlerhaus z. B. (Abb. S. 58) erscheinen
sie als Träger von Beleuchtungskörpern, Kan-
delabern; im Musiksaal der Villa von Prof.
Max Littmann sind Stukko-Reliefs mit musi-
zierenden und tanzenden Kindergcstalten (Abb.
S. 54). .Auch in der Grabmalplastik verwendet
Wadere seiir oft Kinderfiguren.
Am Hause von Prof Littmann fmdet man
ein in Sandstein ausgeführtes originelles Re-
lief. Man könnte es als ein in die Skulptur
übersetztes \'olkslied bezeichnen (Abb. S. 54).
Zum Schmucke der Gartenmauer am neuen
Xatioiialmuseum führt er tektonisch gedachte
Steinfiiiuren aus. An einem hervorragend
38
RSM HEINRICH WADERE ^^
HEINRICH WADERE ST. GEORG (i
Altarfignr (Marmor) in der Geori'sHrchc zu
ScIiL-ttsladt, i m //<></;. Text S. 43
schönen Punkte der neuen Staatsstraße Würz-
burg— Aschaftenburg befindet sich der monu-
mentale bayerische Wappenlöwe (Abb. S. 46).
Von den Dimensionen dieses Steinreliefs geben
die Maße, 5 m in der Länge und 4 m in der
Höhe, einen Begriff. Der gleiche Künstler,
der solche große Plastiken schafft, erweist sich
nicht weniger geschickt in der Ausführung von
Kleinbronzen. Er führt Medaillen im Durch-
messer von 5 cm mit gleichem Können aus
wie monumentale Figuren und Gruppen. Es
mangelt ihm nicht an Einfällen und Ideen.
Seinen Ehrengeschenken fürGenossenschaften,
Gesellschaften, hohe Gönner und Freunde der
Kunst liegt immer ein guter Gedanke zugrunde.
Wadere ist auch der Schöpfer der Eiirengabe
der deutschen Künstler zum 80. Geburtstage
des Fürsten Bismark (jener bekannten Statuette
der Pallas Athene mit der Nike) und der Ehren-
gabe der Beamten des Ministeriums des Innern
zum 25 jährigen Jubiläum des Grafen von Fei-
litzsch. Aus seiner Hand gingen eine Reihe
originell erdachter und sorgfältig ausgeführter
Medaillen, Erinnerungen an die Firnmng, an
die Eheschließung, an die Priesterweihe, \'er-
dienstmedaillen für treue und fleißige Arbeiter
(Abb. S. 48 und II. Jg. S. 93) hervor" Man be-
trachte nur die Ehemedaille, wie plastisch der
Gedanke und die dem Bilde zugrunde gelegte
Idee im Relief ausgeprägt ist. Das Bild ist genau
in den Raum komponiert, es füllt den Rahmen
der Medaille, dekoriert die Fläche, erfreut das
Auge und den betrachtenden Sinn des Be-
schauers. Wenn man bedenkt, was gerade auf
diesem Gebiete dem Volke geboten wird, was
an Wallfahrtstalern, Erinnerungsmedaillen im
Gebrauch ist und massenhaft verkauft wird,
sollte jeder, der Einfluß hat, dahin streben,
daß an Stelle dieser minderwertigen Surrogate
wirkliche Kunst trete. Gibt es ein sinnigeres
Andenken als z. B. diese Priesterweihmedaille,
oder diese Ehe- und Firmtaler? Möchten
darin doch in Bälde die Bemühungen der Deut-
schen Gesellschaft für christliche Kunst Erlolg
haben, daß diese Medaillen immer weiter ver-
breitet würden !
Sehr fruchtbar gestaltete sich Waderes Tätig-
keit in der Grabmalplastik. Die sepulkrale
Kunst ist der religiösen nahe verwandt. Am
Grabe erscheint die Kunst im Bunde mit der
Religion ; sie tröstet und beschwichtigt den
Schmerz, verklärt und vergeistigt mit ihrem
holden Schein die Stätte des Todes. Ganz be-
sonders ist es die Gestalt des Menschen, die
in dauerndem Material gebildet und auf Grä-
bern autgerichtet, durch ihren Anblick des
Menschen Herz erquickt. Gerade Waderes
Kunst hat diese Wirkung. Der Ausdruck von
Ruhe und Würde, Schönheit und Anmut wirkt
beruhigend auf das Gemüt. Ganz besonders
gilt dies von seinen Frauengestalten, die sich
am Grabe den Gefühlen innigsten Gedenkens,
liebevollsten Erinnerns hingeben (Abb. I. Jg.
S. 13). Diese Wirkung wird noch gehoben
durch Waderes Kunst, im Rhythmus und
Schwung der Gewandfalten etwas von der
inneren Bewegtheit der Figur wie ein Echo nach-
klingen zu lassen. Eine sehr glückliche Lösung
bietet in dieser Hinsicht die Figur der trau-
ernden Muse am Grabmal N.Gysis (Abb. S. 50).
Schön wirken sie auch durch den Kontrast mit
der umgebenden Architektur. Nicht immer sind
sie mit dieser so streng und harmonisch ver-
bunden wie z. B. bei dem Grabmal von N. Gysis.
IIEISRICH WADERK
In der Frauenkirche zu München (Mar
GRABDENKMAL FÜR ERZB. ANTONIUS VON TllOMA (i
or aus AJnet- LienbachJ . Text S. 40
4"
IRINRICH WADERE m:<S
Manchmal erinnert Waderes Art an die Cimovas,
der aucli seine Figuren nur in einen losen
Zusammenhang mit der Architektur brachte.
Es ist dann der Erscheinungszusammenhang
mehr durch das Gegenständliche hergestellt.
Wo der Künstler aber, wie z. B. an dem
schönen Epitaph aus rotem Marmor, das dem
Andenken des verstorbenen Münchener Erz-
bischofs Antonius von Thoma in der Frauen-
kirche errichtet ist, eine strengere architek-
tonische Zusammenfassung bevorzugt, erreicht
er otttektonisch monumentale Wirkungen (Abb.
S. 39). In diesem Sinne wirken auch ein paar
schöne neue Grabmäler, jenes der Familie Dorn
(Abb. S. 55), eines mit dem Relief der »Auf-
erstehung«, das auf der ersten Sonderbeilage
reproduziert ist, und dergötthche Kinderfreund
(Abb. S.41). Gerade in diesen letzteren ausge-
zeichnet durchgebildeten Grabmalen spricht der
Geist der christlichen Kunst eine sehr deutliche
Sprache. Würde sie doch öfter gebraucht wer-
den ! Sie ist unerschöpflich reich an herrlichen
Bildern und bedarf gar nicht vieler Symbole und
Allegorien, wenn sie nur, wie hier Wadere zeigt,
.iie Hauptgestalten der christlichen Welt in
nahe Beziehungen zum menschlichen Leben
bringt. Wie uns durch die Kunst die Sym-
bole und Gestalten des christlichen Glaubens
nähergebracht und veranschaulicht werden,
davon war in dem einleitenden Kapitel aus-
führlich die Rede. Wie sich Wadere zu diesen
Problemen stellt und welche Lösungen der
Aufgabe gerade ihm gelingen, ersehen wir aus
seinen religiös gestimmten Werken und aus
seinen Schöpfungen in der kirchlichen Kunst.
Wir haben es schon vorausgeschickt, daß
sein natürliches Empfinden ihm die Darstellung
des anmutig Schönen nahelegt; ohne daß aber
damit seiner Begabung eine bestimmte Grenze
gezogen wäre; sie erstreckt sich vielmehr über
das ganze Gebiet christlicher Kunst und reich
und mannigfaltig ist seine Ausdruckweise. Er
beschäftigt sich mit gleich lebhaftem Interesse
mit einem Altarwerk, einem Kreuzweg, einer
Gruppe, wie mit dem Bilde einer Madonna.
Aus der näheren Betrachtung seiner Arbeiten
und aus ihrer Wirkung auf das Gefühl ergibt
sich von selbst, was uns dabei am besten zu-
sagt. Waderes Studium der alten kirchlichen
Skulpturen, an den französischen Kathedralen,
hat ihm bei der Ausführung von Bildwerken tür
die imstreng romanischen Stil gehalteneBenno-
kirche zuMünchen gute Früchte getragen. Vor-
züglich gelungen ist derSkulpturenschmuck des
herrlichen Altars (Abb. Jahresmappe 1896)
dieser Kirche, welcher eine Stiftung S. K. H.
41
'•ratdtnkmal für einrn Jüngling im Htnru
MirdUchrn Fritdhof i» Miincken. Tfxt S. 4n
/s>'Si<s>'S>«>(S) HEINRICH WADKRE /aisj/a««»»
DER GOTTLICHE KINDERFREUND (1902)
Dl« chrinllche Kun«. V.
42
©^ HFJXRICH WADl-RE m&
des Prinzregenten Luitpold ist und aus dem
Zusammenwirken der Meister Romeis, Wa-
dere und Harrach entstand. Aus der stren-
gen Fassung der arcliitektonischen Umrah-
mung ergab sich auch für den Bildhauer eine
streng symmetrische Anordnung der Figuren,
die noch verstärkt wird durch die kerzenge-
rade Haltung und die Linienführung der Ge-
wänder. Die Skulptur hat hier einen ausge-
sprochen tektonischen Charakter; sie steht
im innigsten Zusammenhang mit der Archi-
tektonik des Ganzen. Eine feierliche Pracht,
gemessene Würde, ist ihr Ausdruck. Die ganze
Umgebung ist in ungemein reiche und präch-
tige Farben gekleidet ; Gold, Email, kostbare
Steine schimmern, glänzen und blitzen rings-
um, die Figuren selbst sind vergoldet, alles
erstrahlt im hellsten Glänze beim Schimmer
der Lichter, eine märchenhafte Welt, ein Hym-
nus und ein Alleluja zur FJire des Herrn.
Einen freieren Zug haben die gleichfalls aus
Bronze ausgeführten Reliefs an der Kanzel.
Der Künstler hat sich auf einem derselben
im Hintergrund in Gesellschaft des verdienst-
vollen Prälaten Dr. Kagerer, der Stifter und
des Erbauers der Kirche dargestellt (Abb.S. 43).
Wadere ist ein guter Kenner des antiken
Reliefstils; er weiß, was man mit dieser Aus-
drucksform der Plastik anfangen kann. Dabei
kommt ihm sein gutes Gefühl für die Gruppie-
rung der Figuren im Räume, sein geschicktes
Kompositionstalent sehr zustatten. Ein gutes
Beispiel dieser Art bietet das »Epiphanie" be-
nannte Relief (Abb. unten), ferner das dekorativ
so wirksame Relief »St. Georg« an einem Palast
(Abb. S. 40), endlich das kürzlich vollendete
Grabrelief (Abb. S. 50).
Am reichsten konnte er diese Kunst bei der
Ausführung der Kreuzwegstationen für die
St. Bennokirche zu München entfalten, die von
HEINRICH WADERE
AXßETUNG DER WEISEN (1907)
AV/zV/. Tex/ olie
©B« HEINRICH WAi:)l-l^H mir?.
43
HEINRICH WADERE
KanzelrelU/ in der St. Beunokirche .
VEREHRUS-G DER KEl.IollEN HKS HL. BENNO (iSjj6;
München, Text S. 42
der Gesellschal't für christliche Kunst publiziert
wurden. Die Darstellung dramatisch bewegter
Gruppen mit vielen Figuren bot dazu die er-
wünschte Gelegenheit. Allerdings beschränkte
der strenge Stil, den hier die Rücksicht auf die
architektonische Umgebung erheischte, die
volle Entfaltung dramatischer Effekte bedeu-
tend. Die Aufgabe war dadurch vielfach er-
schwert und es war nicht leicht, der gemä-
ßigten Empfindung doch einen freien Spiel-
raum zu geben und die Phantasie walten zu
lassen, ohne daß man an Schranken denken
mußte. Die beifallige Aufnahme, welche ge-
rade diese Arbeit in weiten Kreisen crefunden
hat, spricht vielleicht am besten für das Ge-
lingen.
Wiederum ganz anderen Ausdruck erhält
das Ciefühl und die bildliche Vorstellung in
den statuarischen Arbeiten des Künstlers. Bei
seinen 12 Apostelstatuen (Abb. S. 45) bewegt er
sich mehr in den von der Tradition vorge-
zeichneten Bahnen; in seinem Ivitter Georg
aber, der als Altarstatue und Andachtsbild zu
würdigen ist (Abb. S. 38), gibt er seiner eige-
nen Auffassung kräftigen Ausdruck. Aber schon
in dem Früiiwerk der Statue der Rosa mvstica
erhob er sich zu einem Höhepunkte seines
Eühlens, sosehr auch sein Können stetig wuchs
44
Ö^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 m:<S,
HEINRICH WADERE
An, Giiutschhans (Ithilink I
MADONNA (1902)
Hüudu-n. Text iiiitfii
(Abb. S. 53 und 34 und IL Jahresniappe der
D. G. f. ehr. K.). Mehrmais hat er in Madon-
nenbildern wie z. B. in der Figur der Madonna
mit dem Kinde an einem Münchener Bürger-
liause (Abb. oben) ein reizvolles Bild geschaffen.
Die wundervolle Marmorstatue Rosa mystica
erscheint aber als eine besonders köstliche
Frucht seines geistigen Schauens. Es ist, als
ob er im Geiste derM3'stiker, derTroubadoure
der Gottesminne diese Intuition emplangen
und ihr Gestalt und Ausdruck verliehen hätte.
Die beseligende Empfindung süßer Gottes-
minne strahlt durch dieses klare Gefäß der
schönen Form ; der Leib ist durch die ideale
Anschauung des Künstlers schön «ebildet.
Es ist ein inneres Erlebnis in plastische Form
gefaßt und man versteht Canova, wenn er
sagte; :.Der bildende Künstler ist auch ein
DiX-hter!«
DIE MÜNCHENER AUSSTELLUNG
IM GLASPALAST 1908
Von FRANZ WOLTER
IL
Wi 1 h e m A 1 1 h e i m (Eschersheim b. Fr.) be-
handelt ebenfalls ein religiöses Thema und
tauft ein sonst vortreffliches Genrebild in eine
Heilige Familie« um. Man ist es ja heute viel-
fach gewohnt, daß Künstler versuchen, die mit
der Glorie der Heiligkeit umhüllten Personen
der heiligen Geschichte durch realistische Wie-
dergabe, durch »Natürlichkeit« und prägnante
Modellmalerei ihrer Würde zu entkleiden und
alles zu einem realen Erlebnis zu machen. Es
verlieren sich jetzt schon mehr und mehr solche
Probleme, sie haben auch in ihrer Blütezeit
nie rechten iM'folg gehabt, denn es ist schließ-
lich niemandem damit geholfen, wenn ihm
das Göttliche, Übernatürliche, allzumenschlich,
mit Erdgeruch behaftet, entgegengebracht wird.
Wenn dagegen Heinrich Mittag (Hannover)
seine »Bückehurgerinnen« in ihren farbigen
Kostümen mit Gebetbüchern in den Händen
malt, so will er keine anderen Frauen geben,
als diese biederen, etwas stumptsinnigenWesen,
aber mit demselben Rechte wie Altheim seine
Gruppe als Hl. Familie, hätte Heinr. Mittag sein
Bild als -Santa conversazione« bezeichnen
dürfen.
Zwei kleine Bronzeplastiken von Werner
Hautelmann beweisen, wie weit man in
der realistischen Auffassung gehen kann, ohne
in Alltäglichkeit oder Nüchternheit zu ge-
raten. Sowohl der »Münzensammler«, als
auch der alte »Geigenfreund« sind lebens-
volle Gestalten, die mit feinem Humor emp-
funden sind und die ein Spitzweg nicht besser
hätte schaffen können.
Sowohl in der Architektur, als in der Zeich-
nung, Radierung etc. bietet die allgemeine
deutsche Kunstgenossenschaft noch viel des
Interessanten, dessen Prüfung jedoch dem
Besucher der Ausstellung selbst überlassen
bleiben muß. Bodo Ebhardt bringt die
Entwürfe verschiedener Burgen, u. a. die Hoch-
königsburg in architektonischer und zugleich
malerischer Schärfe; Ludwig Fahrenkrog
ein großes, phantastisch wildes Gewoge »Der
Kampf in der Menschheit« darstellend. Bar-
lösius. Ad. Johnsen geben charakteristische
Arbeiten, G. Eilers große Radierungen nach
©^ MÜNCHENF.R AUSSTHLLUNG IM GI.ASPALAST 190S ä*^.^
HEINRICH WADERE Hl .
/« lit'r KapelU der Sckweslerii vom i'/.
in München. Text S. 43
iihi\Kii:ii w \l)i;i!i; iii. |,\iuii;i \ D
Ih ihr K,if;-ll, ,/,-r .S,/,:res/er,i ■.■oiil g"''-» //"
i/i München. Text S. 4J
Menzel, Hans Meyer die schönen Kupfer-
sticlie nacli Geselschap »Krieg« und »Frie-
den« usw., kurz eine noch reiche Tafel der
edlen Genüsse, die, wie vor fünfzig jähren,
heute wieder der deutschen Nation darge-
boten wird. Treflliche Worte sprach damals
zur Eröffnungsfeier der badisciie Hot'inaler
Feodor Diez und namentlich die Schlußsätze
seiner Rede verdienen hier wiedergegeben
zu werden, da sie auch heute Bezug auf die
Ausstellung haben und von hohem Werte
sind: »Jederzeit, so hoften wir, wird diese
Vereinigung von Kunst betrachtet werden
als das opfervolle Werk der Pietät, als das
Werk der Liebe, das seine erwärmende Kraft
fortsetzen soll in die nahe und in die ferne
Zukunft, als das Werk unseres gemeinsamen
Strebens nach den höchsten Zielen, nach
Schönheit, Wahrheit und Harmonie!
Nimmer gebe diese ehrwürdige Auswahl An-
lal.^ zu egoistischem Vordrängen, eitlem Bes-
serdünken und blinder Parteisucht. Eine hö-
here Ordnung der Dinge, eine Zeit und
Menschheit beherrschende Idee muß festgehal-
ten werden, um diese \'ersammlung zu richten.
Das Urteil der Kulturgeschichte kennt nicht
das hochmütige Gerede vom überwundenen
Standpmikt, ihr sind alle Momente gleich
46
ö:^ Münchener Ausstellung lm glaspalast 1908 mia
wichtig und wert. Hier liegt die Tat eines
Volkes eigentümlicher Art vor unseren Augen ;
sie zeigt das Gemeinschaftliche im Beson-
deren, sie predigt laut, daß auch auf unserem
Gebiete die Selbständigkeit des einzelnen er-
halten werden muß, wenn das Ganze in Macht
und Ehren bestehen soll, sie ottenbaret,
was deutsche Kunst ist! Das ist die Aut-
gabe unserer Ausstellung und so will sie be-
trachtet sein. Von ihrer Stätte erhebt sich
der Genius der Kunst, er schwingt sein leuch-
tendes Bannei', aut dem in Flammenzügen
zu lesen ist für das Auge des Meisters wie
des [üngers: ,Ich bin das Banner deines
Volkes, mir f o Ige nach, unter m eine m
Zeichen w i r st du k ä m p 1 e n u n d siegen'. '.
Die östliche Hälfte des Glaspalastes vereinigt
die Werke der Münchner Künstlergenossen-
sclialt und im Anschluß daran die der be-
reits bekannten Gruppen, zu denen als Ab-
zweigung von der Luitpoldgruppe als neueste
die »Bayern« hinzugekommen sind. Eine
große, wesentliche Verschiedenheit zwischen
den einzelnen Korporationen, die ja seiner-
zeit einmal auüällig war, besteht, wenn wir
von der Scholle-; absehen, kaum mehr. Man
wandert von einer zu der anderen Künstler-
vereinigung hinüber und merkt kaum, daß
man sich in einem Milieu befinden soll, das
nur geschaffen worden, um sich äugen tällit;
vom minder Guten zu unterscheiden. Beson-
ders ist dies bei der Luitpoldgruppe der Fall,
sie geht nicht über den Rahmen des guten Alt-
gewohnten und Hergebrachten hinaus. Neues
und Zukunftverheißendes findet man ebenfalls
nicht, dafür ein recht solides Können, ein
Beharrungsvermögen, das an Eigensinn grenzt
und nur in Variationen von Thematen sich
erfreut. Sieht man — ganz abgesehen von
einer einzelnen Korporation — die moderne
Hochflut alles Gesammelten, die Geist, Ge-
schmack und selbst Freude an der Malerei
zu ersticken droht, so erkennt man, daß diese
über das wirkliche Bedürfnis des Publikums
hinausgeht. Die ganze Kunstbetätigung, wie
sie sich heute zeigt und von der nur der ge-
ringste Teil in dieser Art an die Öflent-
lichkeit gelangt, ist der Überschuß an Kraft,
die eine allzu große Zahl talentvoller Men-
schen vergeuden.
Wir können nur aul jene Künstler hin-
weisen, denen im Kulturleben unserer Zeit
eine Bedeutung beizumessen ist.
Unter den Landschaftern, die auch in der
Luitpoldgruppe stark vertreten sind, begegnen
wir Fritz Baer mit Bildern, deren Vorwurf
wieder dem Gebirge entnommen ist. Als
wuchtigstes, fesselndstes Werk dieses neuen
Führers der Gruppe erscheint der »Blick auf
die Ferwallgruppe vom Galzig aus'. Baer
malt keine Vedute, wie es aus dem Titel
U>\\\i .\lll' DEM b.^'iHKliCHKS' WAii'LX
.<t,-„ße Wnrziurg-Asdiajrfidmrg. Text S. JS
©^ MÜNCHHNHR AUSSTELLUNG L\I GLASPALAST 1908
47
IIKISRICH WADERE
S. K. H. PRINZREGENT LUITPOLD ([8j6)
- Kg!. X,-u,-n Vinakolluk zu Münchtn
erscheinen könnte, sondern aus dem künst-
lerischen Gefühl heraus, ein Bild das der
wirklichen, objektiven Xaturwahrheit nicht zu
entsprechen braucht. Hier herrscht er wie
alle Talente souverän und wählt aus hundert
Mitteln ganz frei. Aber gerade seine Mittel
überwiegen in der letzten Zeit das Innerliche,
Beseelte. Man hat vor seinen ^\'erken das
Gefühl, als ob sie mehr des .\Laterials, der
Technik der Ölfarbe wegen gemalt seien, als
aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Da-
mit soll nur das X'orherrschen der malerischen
.\usdrucksweise angedeutet sein, nicht als ob
dein Künstler die Empfmdung mangelte.
Karl Küstner neigt immer mehr zu der
kimstierisch dekorativen Wirkung, die er be-
sonders gut in dem > Maientage im N'orge-
hirge« erreicht hat. Das blaue Wasser, die
leichtgeballten Wolken , vereinigen sich zu
einem zartklingenden H\'mnus. \'ortrei1lich
ist auch der Sonnenuntergang an der Nord-
see« und »Tauwettern von Ernst Plaß; die
Landschaften von Toni Elster lassen da-
t^egen zu stark die Provenienz, die Schulab-
'^ V
S. K. H. Prinzreg-cnt Liiit[)()ld von Bayer
Heinrich Waden- (1908) Q
Q Marmorbüste für die von
Professor Albert Schmidt
erbaute Kjfl. Bank (München)
L>cSri,tlich. Kun,t, V, Jahre.. H. 2.
©^ MÜNCHEN ER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908
49
ganz gehoben ist. Waren es im vergangenen
Jahre Diez und Harburger, denen unsere
Eiirung galt, so in diesem Kotschenreiter,
K. A. von Baur und A. Mangold. Ersterer
gehörte zu der alten Münchner Schule, die
auf Zeichnung, Kolorit und Auffassung den
größten Wert legte. Wir sahen von ihm Ar-
beiten, die uns überraschten, ja die wir aus
seiner Werkstatt kaum erwartet hatten. Einige
Bauernstuben sind von einer Meisterschaft,
dalS sie sich Schöpfungen in dem reichen
Lebenswerk Defreggers, Diez' oder Grützners
anreihen lassen. H. Kotschenreiter als Ver-
treter des bäuerlichen Genres hat hier eigent-
lich sein Bestes geschatfen und es wäre wün-
schenswert, ihn in der Pinakothek eher mit
einem von diesen Interieurs vertreten zusehen,
als mit seinen beim Publikum beliebten Bauern-
köpfen, Jägern, Wildschützen.
Über K. A. von Baur, den ehemaligen ge-
wandten Führer der Genossenschaft, sprachen
wir bei seiner großen Nachlaßausstellung, die
der Münchner Kunstverein ihm zu Ehren ver-
anstaltete. Als letzter war A. Mangold für
die Genossenschaft ein großer Verlust, der
um so bedauerlicher ist, als dieser vortreff-
liche Mensch und Künstler erst im Werden
begriffen war. In seinen letzten Bildnissen
zeigte sich das, wohin Mangold strebte, und
er erreichte in dem vorjährigen Porträt der
Baronin B. eine zarte, helle Farbengebung,
die wie in Licht und Luft getaucht erschien,
dazu eine Weichheit des Tones, die auf einen
neuen Weg der Kunst schließen ließ. Die
jetzige Kollektion besteht aus Bearbeitungen
verschiedenster Probleme älterer und jüngerer
Art, ein Tasten, Probieren ist überall erkenn-
bar. Dort versucht er reine Realität, hier die
höchste Idealität, aber dies alles mit ehrlichem
künstlerischem Streben gepaart. Für den, der
im Leben und Schaffen eines Künstlers die
Wege zum endgültigen Ziele sehen möchte,
bietet gerade die vereinte Sammlung der
Studien und Bilder Mangolds eine reiche
Fundgrube. Von dem alten Stamme der Ge-
nossenschaft treffen wir eine Anzahl hervor-
ragender Arbeiten, die jedoch einer besonde-
ren Beschreibung und Charakterisierung nicht
bedürfen, da sie allzu bekannt in ihrer Art
sind. Es brachte u. a. Eduard Grützner
ein »Adagio«, hohe Geistliche, Arrangement
in Rot; Julius Adam eine seiner liebens-
würdigen Katzenfamilien am warmen Ofen,
von hohem Ton reiz; Franz von Defregger
verschiedene Werke; dann F. Si mm, C. Sei-
ler, A. Fink, Gabriel Max, L. Willroider,
Jos. Wenglein, Carl Kronberger.
Zu den hervorragenden Leistungen auf dem
''ij^
|>^-**Aj>3Ui^'^t^^>-Jl
HEINRICH WADERE EPITAPH (1908)
Für den Grafen zu Pappenhehn, in der dortigen Schloßkirche
Gebiete der Bildniskunst gehören das sehr
ähnlich und psychologisch scharf erfaßte und
auch in malerischer Beziehung vollendete
Porträt des Prinzen Ludwig von Alex. Fuks,
das wieder einen weiteren eminenten Fort-
schritt in der künstlerischen Laufbahn dieses
Malers bedeutet (Abb. IV. Jg. S. 273). Ferner
ein älteres Bildnis des Prinzregenten von
Ad. Echtler. Gerade diese beiden Künstler
bieten zugleich nicht nur Bildnisse im engeren
Sinne, sondern verleihen ihren Schöpfungen
dadurch einen hohen Wert, daß sie den Cha-
rakter ihrer Typen, ja den ganzen feinen
Duft der Zeit mitzumalen verstehen, so daß
diese Werke von nicht zu unterschätzender
Bedeutung für die Kulturgeschichte sind. Unter
diesem Gesichtspunkte ist auch vcir allem I'r.
Aug. V. Kaulbach zu nennen, der stets an
Dl« chrisliche Kunst. V.
50
EJ^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 ^^
Klarheit der Farbe, an Lebendigkeit der Aut-
fassung gewinnt. Diesmal interessieren vor
allem das Bildnis einer indischen Tänzerin
in grünem, weitem, phantastischem Gewände,
eine Libelle auf der graziösen Hand betrach-
tend, ferner die Köpfchen seiner Kinder,
welche der Meister mit ausgesuchtestem Lieb-
reiz auf die Leinwand gebannt. — Walter
1-irle hat ebenfalls ein größeres Kinderbild
und ein vornehm aufgefaßtes Damenporträt
ausgestellt, dann Fr. Wirnhier, nicht zuletzt
der intim und sachlich zugleich beobachtende
A I . E r d t e 1 1. F r a n k K i r c h b a c h erfal.k seine
Mitmenschen tief psychologisch in der Bild-
nisstudie zweier Freunde und dem ganz selt-
sam lein imd locker in blauem Farbenklang
gehaltenen Bildnisse der Frau von Schirach;
dann brau R. Schmid-Göringer, die talent-
\olle Tochter von Matthias Schmid, welche
das Porträt eines goldhaarigen jungen Mäd-
HEIXRICH \V.U)ERR TRAUERXDE MUSE (
Cr„Mc„l;,iml /„r d.;t .Maler Niiolaus Gysis im iinun „ardliche.
Friedlinf in Miiiulien. Text S. JS
chens im Rosakleide in schlichter Anordnung
ausdrucksvoll und mit feinem Farbenverständ-
nis wiedergab. Hans Best zeigt einige famose
Bauernt3pen. L. Schmutzler schildert in
seinem eigenartigen Schwung der Auflassung
den Prinzen Rupprecht in Generalsuniform,
Em. Schaltegger die Prinzessin Ludwig in
hellfarbigem Kolorit und sehr ähnlich.
Unter den immer mehraut den Ausstellungen
verschwindenden Kunstwerken religiösen oder
kirchlichen Charakters treffen wir nur ein
großes Abendmahl von Gebh. Fugel, das
gegenüber seinem früheren allbekannten Ge-
mälde, welches dasselbe Thema aufweist, einen
bedeutenden Fortschritt bekundet (Abb. IV. Jg.
S. 285). Fugel hat hier in glücklicher Weise
versucht, nicht allein durch die moderne auf-
lösende Technik, die an den Impressionismus
gemahnt, größere Weichheit zu erzielen, son-
dern taucht auch seine tiefempfundenen Apostel-
gestalten, die um die hehre Person Christi
geschartsind, in eine etwas verschleiernde
(ilorie der Ubernatürlichkeit. Gerade
diese stille, feierliche Weihe, welche über
dem Ganzen ruht, entspricht dem Cha-
rakter der heiligen Handlung, die weit
entfernt von jedem genrehaften Natura-
lismus ist, dem wir uns auch dann, wenn
noch so gute malerische Qualitäten vor-
handen sind, doch nicht mit vollem
Herzen hingeben können. K. Schleib-
ners Ostermorgen , heilige Frauen, die
zum Grabe des Erlösers beschaulich sin-
nend wandeln, ist von der Kollektiv-
ausstellung des Künstlers in den Räu-
men der Gesellschaft für christliche Kunst
schon bekannt.
\'on Julius krank r, dem Senior der
alten christlichen Kunst aus den Zeiten
eines Cornelius und Schraudolph, dem
Mitbegründer der Allgemeinen Deut-
schen Kunstgenossenschaft und so manch
anderer künstlerischer Vereinigungen,
sehen wir zwei Kartonzeichnungen, die
uns die liebenswürdige Art des Meisters
offenbaren, sein ehrliches Streben nach
Hoheit und Würde. In neuer eigenar-
tiger Form zeigt uns Fr. Schmid-Brei-
tenb ach eine Vertreibung aus dem Para-
diese unter dem Titel Via vitae". der
auf die späteren Schicksale der Menschen
und schließlich die »Erlösung« in Wol-
ken symbolisch hinweist. Der Künstler
gehört zu den philosophierenden Malern,
die in erster Linie dem Gemälde einen
Gedanken zugrunde legen und dann
selbst Erlebtes oder Empfundenes zum
Ausdruck bringen. Die Wege zur Kunst
MCX'CHnXHR AUSSTELLUNG LM GLASPALAST 1908
\ i f ^:>
HtlN'RICH \VADERK
LKIWliRL-NU (i9o_,)
/«.• c'slliJi.i, Ft
sind ja so mannigtaltig und die Möglichkeiten,
ein und dasselbeTliema verschieden autzulas-
sen, unzählige. Wenn man jedoch zum leichte-
ren Verständnis einteilen will, so scheiden sich
die Künstler in solche die nur Bilder aus sich
heraus finden und malen und in solche, die sie
in der Natur aufsuchen. Beide Arten können
gleich künstlerisch hoch sein, es kommt auch
hier nur auf das :;wie« an. Ganz im Banne der
altflämischen Kunst steht Theophil Ly-
baert. Seine Leuchten sind die van Eyck,
Rogier van der Weyden und Memling. In
der »\'ergänglichkeit des Lebens'- scliildert
er eine Frauengestalt in mittelalterlicher Haube
und Kleidung, welche, die Samen des Löwen-
zahns blasend, in freudigem Erwarten eines
langen Lebens schwelgt, während der Kno-
chenmann schon die Hand aus dem Gebüsch-
hintergrund hervorstreckt. So sehr man die
liebevolle L'ältelung der Kleider, die sorgsame
Durchführung bis in alle Details bewundern
kann, so bleibt doch das Gefühl, daß wir in der
rein äußerlichen Wiedergabe von Eigentümlich-
keiten der alten Meister nicht das Ziel der Kunst
erblicken können, sondern eher eine kunstge-
werbliche Rekonstruktion, die weniger naiv als
spekulativ erscheint. — Wie man intim durch-
führen und doch unserm heutigen Geschmack
entsprechend schaffenkann,zeigtT.Rosenthal
in dem jungen Schnitzerlehrling, der an seiner
Erstlingsarbeit tätigist. VonTraulichkeitund ge-
mütvoller Artist die alte Frau im einsamen Stüb-
chen, beim leuchtenden Tannenhäumchen ihr
X Weihnachten« leiernd, von O. Freiwirth-
Lützow. Eine umfangreichere, dazu viel reifere
Arbeit desselben Meisters ist die fleißig studierte
und in den Einzelheiten vortrefi lieh beobachtete
»Prozession im Kanton Wallis«. Es war sicher-
lich nicht leicht, die im blendenden Sonnen-
schein hinschreitenden Ciruppen so zu ordnen
und zu gliedern und die Zuschauer nicht als
Statisten zu markieren und endlich dem Ganzen
Licht und Luft zu geben. — Otto Pilz hat
sich, zwar in kleinerem .\Lißstab, auch ein
Licht- und Luftproblem gestellt und dies in
seinen zwei Bildern Altweibersommer« und
Im Klostergarten: gut gelöst (Abb. R'. Jg.,
S. 279). Köstliche Perlen sind auch das kleine
52
55^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 190« S^^
HEINRICH WADEKE
VON BAYERN (190S)
Bild von F. Roubaud .Genre , das an die
gemütvolle Art Spitzwegs erinnernde Duett
von Roeggejun., sowie die Arbeiten S c h 1 i 1 1 s,
L. Gehrigs, Hans Blums, A. Splitgerbers
u. a. m., die alle Anklänge an jenen humor-
vollen Schilderer Altmünchens aufweisen. Und
wie in der Literatur vor einem Zeitraum laut
oder leise der Ruf ; Mehr Goethe : laut gewor-
den, so dürfen wir für die Landschafter, welche
dem Empfinden des Volkes entgegenkommen
wollen, zurufen; -Mehr Spitzweg . — Aug.
Kühles ist hier schon auf dem besten Wege
und sein Triptychon, ein Liebeshymnus im
Maiengrün, beschwört alte Zeiten zwar kostüm-
lich herauf, jedoch von modernenimpulsen be-
wegt. Nennen wir hier noch M. Grönvold,
Pet. Philippi, Anna May, Tina Blau,
Heinrich Stelzner, K.Klaus.
Das wohnlich Traute alter Bauernhäuser,
ihre Stuben und Kammern, die stillen Winkel
einsamer Städte und Dörfchen, die kühlen
Räume schattig gelegener Landhäuser und
selbst die Wohnungen unserer Großstadt linden
ihre begeisterten Schilderer und dies mit vollem
Recht. Erwähnen wir hier in erster Linie
die vornehme Darstellerin städtischer Eleganz,
Klara Walther. Diesmal ist es u. a. ein ganz
köstlicher Innenraum eines modernen Land-
sitzes, durchflutet von leuchtendem Sonnen-
schein, der Getäfel, Möbel und Gerät mit
grünen Reflexen übergießt, oder Emil Euler,
der ebenfalls durch die Sonne eine Hammer-
schmiede« zauberisch verklärt. Sonnenbeschie-
nene Felder und Wiesen, Schneehalden und
Herden reizen ebenlalls zur Wiedergabe. Otto
Strützel, ferner Fritz Bayerlein mit seinen
Parklandschaften in Morgensonne, Ch.Palmie
der als Neoimpressionist die stärksten, unge-
brochenen Töne der Palette ausschüttet; C.
Bossen roth, der ähnliches mit weniger ou-
trierten Mitteln erreicht. Julius Exter! Merk-
würdig, daß der vielgewandte und von Gruppe
zu Gruppe gewanderte Maler nun hier sein
Heil sucht. Dieser Tanz der nackten Frauen
im Sonnenschein deutet nunmehr auf die Rich-
tung L.v. Hofmanns hin. Wann endlich wird sich
Exter in seiner wirklichen Gestalt zeigen? Er-
quickender, gesunder ist doch die herbe Kunst
Nicol.Pimenenkos, die vielleicht nüchterner
als Exters, aber selbständiger wirkt. In Pime-
nenkos Idyll ;, einen Hirten und eine Hirtin dar-
stellend, leuchtet wirkliche Sonne, keine künst-
lich konstruierte, dabei ist Leben und Bewe-
gung in den lieb gesehenen Naturkindern
zum Ausdruck gebracht. Phrasenlos und wahr
sind auch die Bilder von J. Ekenaes, Fisch-
fang auf dem Eise und 'Vor der Sennhütex,
von ehrlicher tüchtiger Technik. F. Grässel,
der virtuose Schilderer der Bewohner unserer
Teiche, erfreut wieder mit einem prächtig ge-
malten Gänse- und Entenbild am Wasser
(Abb. IV. Jg., S. 304). Als Abwechslung bietet
er aber auch ein reizend gelöstes Genrebild,
gewissermaßen ein Erlebnis; das liebliche Idvll,
wie eine Mutter ihr kleines Mädchen an sorg-
samer Hand über den Steg führt. Paul Leute-
ritz, der gleichfalls schon manch interessan-
tes Motiv, wie Grässel, aus dem Tierleben ge-
53
HEINIUCII WADüUü
Craldriikn
,l/„r /■■„
IIOI I M ■-■ . l Ml I ;i.i.i
lUhhrii Fritiih«/ in M:,,iJun
54 P2^ MÜNCnr,\F.R AUSSTl'Tl.UNG IM Gl, ASPAT, AST iqoS m^
HEINRICH W \|i
Il.ius ,i,s A^xhitektcit Fi
funden, überrascht mit großzügigen und wuch-
tig wiedergegebenen »Bären«, die in tief ver-
schneiter Einsamkeit einen Abhang hinabstei-
gen. Vortreffhch ist der Organismus dieser
Tiere und das Plumpe und Schwerfällige stu-
diert, dabei Landschaft und Tierkörper zu
einem einheitlichen Ganzen verwoben. Außer-
dem hat der Künstler noch ein treffliches
Rebhühner- und Ohreulenbild ausgestellt. Eine
anders geartete Bärengeschichte erzähltMoritz
Bauernfeind in seiner iChronika der drei
Schwestern . Hier kommt mehr das phan-
tastisch Märchenhafte, dem ja dieser Maler
zugeneigt ist, zum Ausdruck, als die rein rea-
listische Seite. Bauernfeind strebt nach den
neuesten Errungenschatten der Technik, w ie
wir sie etwa in der Scholle sehen. Dem
Stofllichen seiner Werke ist jedoch gerade diese
Sprache nicht besonders gut angepaßt.
Der -Fränkische Tanz« von Theodor Alt,
eine geistsprudelnde Skizze, stellt alles in
Schatten, was wir auf choreographischem Ge-
biete, das ja jetzt mehr und mehr bei den
Malern kultiviert wird, erlangten. Die hervor-
ragenden Qualitäten der alten Rambergschule
sind so stark, daß sie auch heute noch, trotz
allem Wandel, die Begeisterung echter Kunst-
freunde entfacht. Die Arbeiten von Matthias
Schmid gehören hierher. Seine ); Hochlands-
kinder'. und >der Erstgeborene« reihen sich
würdig den früheren Werken dieses urwüch-
sigen Meisters an. Nennen wir noch von den
Bildern Wilhelm Immenkamps das Bild
Muttersilück«, dem eine tiefsinnige Idee zu-
HEIKRICH WADKRE
Situckreli,/ fu
des Fr,'/. Lillmatin in Munchct.
PROr.WE MUSIK (ii)U2j
Text S. 37
55
HEINRICH WAbLKH ABSCHIED (ijoS)
Relitf dt! Grabmals dir Familie Dorn im bstlichin Fritdiitt/ tu München. Tixt S. 41
56
SJ^ MÜNCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 J^cö
HEINRICH WADEKt:
GIUUA (iQOi)
Str„ß/.„rg. Test S. S7
gründe liegt, die peinlich und gewissenhalt
durchgebildeten Akte von Alfred Schwarz-
schild, die netzflickenden Fischer von Herrn.
Eißfeldt und das virtuos behandelte Schlach-
tengetümmel von Anton Hott mann.
Den düsteren melancholischen Ernst des
Meerlebens bringt in eindringlicher Form Hans
von Petersen in dem großartigen Ozean-
bilde zum Ausdruck. Schlägt der Künstler
hier in den grünen samtnen Farben einen
einfach grandiosen Akkord an, so zeigt er
in dem reizvollen »Gebirgsfluß« oder besser
noch in dem von intim heimatlichen Klängen
durchwehten Tauwetter, wie wechselvoller
Art sein Schaffen sein kann und wie es mög-
lich ist, die menschliche Seelenemphndung
in das stille und doch wieder so beredte Na-
turleben hineinzutragen. Mit dieser Art Kunst
ist auch das an sich auf den ersten Blick
merkwürdig und absonderlich erscheinende
Bild »In der schönen Gottesnatur« von Leop.
Jülich verwandt. Das noch tief im Schleier
der Nacht ruhende Tal mit dem weithin-
ziehenden Wasserlauf, die in der Ferne in
lichtem Glänze hervorleuchtende Bergwelt
und darüber weiter noch die autgehende
Sonne ist in der Originalität eine geistreiche
Gedankenverbindung, direkt hervorgerufen
von einer tesselnden Naturstimmung, wie
wenig Gleichartiges im Glaspalast zu tinden
ist. Man dart ein solches Gemälde ruhig mit
Dichtung vergleichen und denkt auch unwill-
kürlich an einen der teinsinnigsten Dichter,
wie an Emerson. Ähnliche Gedanken lösen
die Werke von Franz Türcke »Nächtliches
Schweigen« aus, terner K. Schickhardts
»Sommer«, Leop. Schönchens prächtige
Landschatten, dann unser tamoser Chiemsee-
maler Josef Wopfner (Abb. IV. Jg., S. 272),
Hans Klatt, Edw. Compton, Ludwig
Bolgiano, E. Kubierschky, Heinrich
Deuchert, der stets fortschreitende Otto
Gampert. Die engere Heimat mit ihrem
ganzen Zauber von Herbheit und Frische
schildert mit echt deutscher Gemütstiefe und
hervorragendem technischem Können Rob.
Raudner. In seinen Schleißheimer Bildern,
namentlich den »Linden im Vorfrühling«,
liegt eine urwüchsige Kratt, " die kein Ver-
schönern, kein Veridealisieren kennt, sondern
22^ DAS KL'XS'l'l.l-RISCIll-; TITI-I, BLATT
schlichte Schönheit von einer Größe und
ivuhe, die nur in ungestörter inniger Versen-
kung und steter Arbeit erreiciibar ist. Leo
Scliönroclcs »Tauwetter« ist von ähnhch
tcssehuler Stinimungsgewalt, wie denn noch so
nuuiciicr zu nennen wäre, gleich Hermann
l'ctzet, O'Lynch ofTown, Georg Hanoi
und anderen.
Wenn die Natur aus sich keine wohlge-
ordneten Bilder, abgesehen von künstlich an-
gelegten Parks mit zugestutzten Bäumen und
Hecken, zeigt und sie in ihrer scheinbaren
Willkür und Zufälligkeit schön genug ist, so
bcdart es doch beim Stilleben, der sogenanten
toten Natur, der anordnenden Künstlerhand,
um die Objekte der Xatur in ein komposi-
tionelles und farbiges \'erhältnis zu bringen.
Je geschmackvoller und unabsichtlicher hier
vorgegangen wird, desto vornehmer werden
diese Dinge erscheinen, die in den Räumen
unserer Wohnung so viel Freude bereiten
können. Hervorragende A'ertreter dieser Kunst-
art besitzt gerade die Münchner Künstlerge-
nossenschaft. Herrn. Gottl. Kricheldorf,
der glanzvolle Schilderer prunkreicher Tafeln,
saftiger Trauben und sonstiger Leckerbissen,
ist hier im Zusammenhange mit dem stets
.\rbeiten erlesener Art schattenden Carl
Thoma-Höfele zu nennen. Demselben
Kreis gehören mit mehr oder weniger Unter-
schied an: Hermann-Allgäu, Fischer-El-
pons, Carl Gustav Herrmann, Alfred
Müller und P. Ehrhardt. Letzterer gerät
allmählich in eine stark weichliche Manier,
die an X'ertlauung grenzt. (Schluß folgt)
DAS KÜNSTLERISCHE TITEL-
BLATT
r^er künstlerische Entwurf eines Titelblattes
^^ für eine Zeitschrift bietet dem Künstler
mehr Schwierigkeiten, als man anzunehmen
pllegt. Ciedanke und Form sollen so einfach
als nur möglich sein ; sie sollen packen, aber
sich auch nicht aufdrängen. Das Titelblatt
mulj einen Gedanken künstlerisch veran-
schaulichen, nicht etwa bloß literarisch um-
schreiben. Dann darf es auch nicht wie ein bis
ins kleinste durchgeführtes vßild wirken,
sondern es muß darauf ausgehen, nur als Ganzes
Eindruck zu machen und auch auf einige Ent-
fernung eine kräftige dekorative Wirkung zu
erzielen. Es darf auch nicht den Charakter
eines Plakates an sich tragen, das nur auf
l'ernwirkung berechnet ist imd in der Nähe
derb und summarisch ausgeführt erscheint.
Das künstlerische Umschlagblatt einer Zeit-
HEINRICH WADERE
TRISTITIA ([903)
- l-aimUe von Cnu,ifr im m-i,cn
■dlicIu-H Fri,;lho/
Schrift muß vielmehr die Mitte zwischen Plakat
und Bild halten. Es ist auf eine bestiiumte
Größe und ein gegebenes Format angewiesen;
diese gegebene F'läche soll es wohltuend
schmücken und außerdem muß es gleichzeitig
einen praktischen Zweck erfüllen, das ist die
Kennzeichnung der Zeitschrift. Wie dieser
Doppelzweck, der künstlerische und der prak-
tische, erreicht werden soll und kann, das ist
eine Frage, die nur von Fall zu Fall lösbar
ist. Der Text muß stets so behandelt werden,
daß er wie ein ornamentaler Schmuck wirkt.
Häufig braucht auf der ersten Umschlagseite
nur ganz wenig Text angebracht zu werden.
In diesen Fällen wird meist ein schlichtes
ornamentales oder figürliches Motiv ge-
IMc chfUlUchr K<i
58
©^ DAS KÜNSTLERISCHE TITELBLATT ^ö
HEINRICH \\AIli;UE
;//„/,, z„ M,cnJn-u.
nommen, das sich durcliaus nicht über die
ganze Seite zu verbreiten braucht, wenn es sich
nur an einer geschmackvoll gewählten Stelle
gut einpaßt. Erfordern es die Zwecke der
Zeitschrift, daß mehr Text vorgedruckt wird,
so dürfte es der Künstler in den meisten
Fällen vorziehen, die ganze Seite, die ihm
zur Verfügung steht, auszunützen, um eine
reiche und einheitliche und mehr bildmäßige
Wirkung derselben zu erreichen und er wird
deshalb als Gegengewicht gegen die Schrift,
die natürlich auch in diesem Falle als Or-
nament zu behandeln ist, einen kräftigeren
figürlichen oder ornamentalen Schmuck heran-
ziehen. In diesem Falle ist es die erste Auf-
gabe des Künstlers, die Schrift und die figür-
liche Darstellimg gegeneinander schön abzu-
wägen und eine wohlpropotionierte Ein-
teilung der Gesamtfläche, meistens eines Recht-
eckes, in größere oder kleinere Flächen zu
erreichen. Er hat sodann aus praktischen
Gründen darauf zu achten, daß die technische
Reproduktion keine zu großen Schwierigkeiten
bietet. Erläutern wir die vorstehenden Winke
an einigen Beispielen, welche unsern Lesern
am nächsten liegen, nämlich an den Titel-
blättern vorliegender Zeitschrift.
Die Herausgeber der Christlichen Kunst",
haben sich von Anfang an bemüht, für die
Zeitschrift einen künstlerischen Umschlag zu
erhalten und schrieben zu diesem Zwecke im
jähre 1904 einen Wettbewerb aus. Die Auf-
gabe war neu und sehr schwierig. Wir brau-
chen wohl nicht hervorzuheben , daß der
Künstler bei einer Umschlagzeichnung für
eine Zeitschrift profanen Inhalts mehr Frei-
heit nach Form und Gedanken hat und des-
halb bei einer solchen Aufgabe weit leichter
ein befriedigendesResultat zu erreichen vermag,
als hier, wo sich Bizarrerie, Laune, Sinnlich-
keit, Mode und Äußerlichkeit von selbst aus-
schließen. Dazu kommt, daß die Kritik er-
fahrungsgemäß sofort ihre strengste Miene
annimmt, sobald es sich um ein Kunstwerk
religiösen Inhalts handelt. Der Wettbewerb
brachte sehr viele und darunter manche recht
tüchtige Entwürfe zutage, allein doch kein
Blatt, das ohne jede Änderung hätte Verwen-
dmig finden können, lair den Umschlag des
ersten Jahrgangs fiel die Wahl auf einen schon
vorher entstandenen, aber für diesen Zweck
neu bearbeiteten Entwurf von Felix Baum-
hauer. Der Künstler legte das Hauptgewicht
darauf, einen kräftig in die Ferne wirkenden,
aber doch auch für die Nähe in den maß-
gebenden Details fein ausgearbeiteten Titel-
kopf zu schafiien, dem ein längerer Text in
der Weise angepaßt wurde, daß die ganze Seite
einen geschlossenen Eindruck hervorruft und
im Text die großen Massen von Licht und
Schatten, welche der Titelkopf aufweist, ein
angenehmes Echo erhielten.
Der Gedanke des Künstlers ist klar und
passend : Die christliche Kunst ist dargestellt
als edle, tiefsinnende und ernst empfindende
Seele in reinen und erhabenen Körperformen,
bekrönt mit dem Diadem der Kunst (Künstler-
wappen) und gestützt auf das heilige Kreuz.
Die Allegorie ist nicht äußerlich lehrhaft,
sondern unaufdringlich zur Erscheinung ge-
bracht. Wie schon angedeutet, ist dieser Titel-
kopf des ersten Jahrgangs in seinem ganzen
Aufbau, in seiner einfachen, klaren und ab-
gewogenen Linienführung, namentlich aber
in seiner wohltuenden Verteilung von großen
Lichtfiäclien und Schattenmassen und den da-
©^ DAS KÜXSTU-RISCHI- TITELBLATT »^«
)9
zwischen venuittelnden H;ilbtöncn finc sehr
glückliche Leistung, die jeder Kritik standhält
und die wir getrost dauernd hätten beibehalten
können. Hs war aber der \\'unsch laut ge-
worden, der Künstler möchte seine Zeichnung
mit dem Text enger zusammenschließen. Das
lirgebnis seiner darauf abzielenden Versuche
liegt im Umschlag des zweiten Jahrgangs vor,
der von mancher Seite jenem des ersten Jahr-
gangs vorgezogen wurde, während andere das
Cieiühl hatten, als sei die allegorische Figur
der christlichen Kunst namentlich in ihrer un-
teren Hallte zu sehr in divergierende Linien
aulgelöst. In Erwägung des letzteren Um-
standes kam nun Baumhauer zu einer noch-
maligen Umgestaltung, von der wir im dritten
Jahrgang Gebrauch machten; diese sucht jene
N'orzüge in sich zu vereinigen, die dem ersten
und zweiten Entwurf gesondert eigneten : Ge-
schlossenheit der Komposition des Titelkopfes
und Anpassung der oberen Umschlaghältte
an die untere, dabei kräftige Hervorhebung
des Titels der Zeitschrift.
Gerne trat die Leitung dem Wunsch nähei',
öfter einen neuen Umschlag zu bringen, um
auch auf diesem Gebiete in Beispielen anre-
gend wirken zu können. Das Titelblatt des
vorigen Jahrgangs verdanken wir Matthäus
Schiestl. Schiestl verschmolz in glücklichster
Weise die Hauptstellen des Textes mit dem
Figürlichen und löste musterhaft die einem
Quadrat sich nähernde Zeichnung des Ganzen
in Rechteke und Querstreifen auf. in die das
Kreisrund des Heiligenscheins als Mittelpunkt
wohltuende Abwechslung bringt. Alles ist in
ruhigen Flächen gehalten, die Zeichnung kräf-
tig und bis ins kleinste angemessen. Den hei-
ligen Lukas stellt Schiestl als Vorbild des christ-
lichen Künstlers dar, der aus der I'ülle der in
ihm lebenden Bilder heraus treuherzig und mit
voller Hingabe an seinem Werke schatk.
Im Umschlage des vorliegenden Jahrgangs
unterbreiten wir unsern Lesern eine neue Lö-
sung des Problems. Fritz Kunz, von dem
der Entwurf stammt, ist aus den tVüheren
Jahrgängen und aus den Reproduktionen des
ersten Heftes dieses Jahrgangs wohl bekannt
und wir zweifeln nicht, daß das von ihm ge-
schatfene Titelblatt viele Freunde gefunden
hat. Ging Schiestl gleich Baumhauer noch vom
Titelkopf« aus, den er allerdings mit derSchritt
ausgezeichnet verweb, so faliteKunz in seinem
Imtwurf die ganze Unischlagseite ins Auge und
bezog sie samt dem Text restlos in denselben
hinein. Er machte die Schril't durch die Art,
wie er sie in der Fläche verteilt, so sehr zum
Ornament für die Fläche und zur mitsprechen-
den Folie des F'igürlichen, dali wir vor diesem
Titelblatt gewiß nicht an ein Plakat, sondern
eher an eine vortreffliche dekorative Aus-
schmückung einer Kirchenwand denken.
Auch der Gedanke dürfte keine Schwierig-
keiten bereiten. Wir sehen einen Engel mit
einem Heroldstah, den das Kreuz schmückt,
in der Rechten, während die Geste der linken
Hand das gesprochene Wort begleitet ; die
iieilige Flamme schwebt übe/ seinem mit dem
Lichtschein umgebenen Haupt, wie bei den
Engeln Ficsoles, ein Gewand in der Art der
alten Priesterkleidung und darüber ein Brust-
schild bedecken die )iigendliche. geschlecht-
(>0
'sm DAS KÜNSTLERISCHE TITELBLATT »^a
lose Gestalt. Der Künstler sagt uns: Die
christliche Kunst ist ein Bote vom Himmel,
ein Herold , der uns die göttlichen Geheim-
nisse in die Sinne ruft, iur das Himmlische
das Herz entflammt und das Irdische schön
verklärt. Die technischen Ausdrucksmittel ver-
einfacht Kunz noch mehr als Baumhauer und
Schiestl; er verzichtet vollständig auf jeden
Mittelton zwischen Schwarz und dem Ton des
Papieres, während die beiden letzteren Künst-
ler, allerdings sehr spärlich und zurückhaltend,
von schraffierenden Linien Gehrauch machten.
Fritz Kunz entwarf auch den Titelkopf des
Pionier«, der seit i. Oktober lfd. Jahres er-
scheinenden Monatsblätterfürkirchliche Kunst,
welche zugleich als Beiblatt zur vorliegenden
Zeitschrift o;edaclit sind. Hier wurde die Aut-
PorlriMiisle de,
HEINRICH WADERE
vjihcrzosm von HccIdcn/.urg-Sch:v,-,!ii (M„
gäbe von vornherein auf einen Titelkopt fest-
gelegt. Mit Rücksicht auf Format und Umfang
des Blattes war es geboten, sich auf einen
schmalen Querstreifen zu beschränken, für
den Kunz eine ebenso sinnreiche wie schlicht
schmückende Zeichnung erfand. Über dem
Titel »Der Pionier« sieht man das Künstler-
wappen (drei Farbentöpfe) im Kreis ; an den
beiden Seiten je ein Engel, die eine Hand mit
der Gebärde des Aufklärens erhebend, in der
anderen aber ein Räuchergefäß haltend, dessen
Wohlgerüche zum Himmel emporsteigen. Die
ausgebreiteten Flügel wirken raumfüllend. Der
Gedanke ist: »Der Pionier« macht es sich zur
Autgabe, lür die Kunst einzutreten (Künstler-
wappen), und zwar für die heilige Kunst die
Stimme zu erheben (die beiden Engel). Um
nicht die große Wirkung zu verlieren,
läßt sich der Künstler auf keine zier-
liche Durchführung von Einzelheiten
ein ; so z. B. behandelt er die Hände
ganz summarisch, wodurch die Sil-
liouette und damit auch die Eindring-
lichkeit der Geste gesteigert wird. Schon
in dem Triptj'chon »Der Engel des
Herrn offenbart sich der starke Ein-
druck, den die ernste Feierlichkeit der
altchristlichen Malerei auf Kunz wäh-
rend seines Aufenthalts in Italien aus-
übte (Abb. in Mappe 1902 der D. Ges.
f. ehr. K.). Noch entschiedener prägen
sich die von daher kommenden Ein-
flüsse in seiner großen monumentalen
Schöpfung des vorigen Jahres aus, den
Malereien in der Liebfrauenkirche zu
Zürich, und sie erstrecken sich auch
auf die vorstehend besprochenen Zeich-
nungen.
Das Titelblatt soll den Charakter der
betrefl'enden Zeitschritt widerspiegeln ;
je ernster der Inhalt, desto gemessener
muß auch Zeichnung und Ausführung
des Umschlages sein. Mäßige Verwen-
dung mehrerer Farben ist dann am
Platz, wenn auch die innere Ausstat-
tung farbige Blätter in größerer Zahl
enthält. Viele und lärmende Farben
wirken immer unfein.
Es gibt Zeitschriften, welche förm-
liche tarbige Reproduktionen von Ge-
mälden auf demUmschlag bringen. Das
ist im allgemeinen stillos und nur dann
zu ertragen, wenn jede Nummer wieder
ein anderes Bild bringt und die Um-
schlagblätter schließlich gesammelt und
dem Jahrgang beigebunden werden sol-
len. I:ine Unzahl von- Umschlagzeich-
nungen, meist in bunten Farben, na-
©^ SINKHL-AUSSTliLLUNG IN DÜSSELDORF »^a
6i
nicntlich Umschläge von Broschüren und Mii-
sikaHcn, können nur vom Standpunkt des Rc-
klamebhutcs aus beurteilt werden. siauJUamcr
SINKEL-AUSSTELLUNG
IN DER KUNSTHALLE ZU DÜSSELDORF
Wohl nicht ohne Rücksichtnahme auf die Ge-
neralversammlung der Katholiken Deutsch-
lands wählte die Verwaltung der Kunsthalle
gerade den Monat August für die \'eranstal-
tung einer Sinkel-Ausstellung.") Und sie hat
wohl daran getan. Denn Freunde der Naza-
rener und ihrer Kunst fanden sich bei der Ge-
legenheit hier zahlreich zusammen, nicht nur
solche, die nicht ohne eine gewisse mehr oder
minder starke Befangenheit den Nazarenern
anhangen und so eine ungeteilte und unein-
geschränkte Freude an deren Werken haben,
sondern auch solche, denen zwar keineswegs
ein wirklicher oder gespielter Schauder die
Augen verschließt, sobald der Name eines Na-
zareners genannt wird, die aber auch bei die-
sen Spreu vom Weizen im ganzen und im
einzelnen zu trennen entschlossen sind. Es
sind die nämlichen, denen Nazarenerkunst und
christliche oder gar katholisch-christliche Kunst
nicht identische Begriffe sind, die nämlichen,
denen ein erstarrtes oder schlafendes Weiter-
spinnen eines zeitlich und geistig bestimmt
umschriebenen historischen Ergebnisses — ein
solches Ergebnis war die Nazarenerkunst — ,
ein Weiterspinnen in bewußtem Absperren
gegen alle Entwicklung, dem Wesen der Kunst
zu widersprechen scheint, und dementspre-
chend die nämlichen, die bei den Nazarenern,
bei dem einen mehi', bei dem andern weni-
ger, wertvolle Anschlüsse an trübere Zeiten,
versprechende Keime für nachtblgende Rich-
tungen, unzerstörbare, menschheitumspannen-
de (Grundlagen aller Kunst als Frucht ihres
wahrhaft ernsten Tuns erkennen. Es sind aber
auch die nämlichen, die, dem Weiterführen-
den und Neuen sein Recht gebend, einen
menschlichen Fortschritt, der nicht mit der
Religion vereinbar wäre, für undenkbar halten.
') Heinrich Johannes Sinkel, geb. am 6. Ja-
nuar 1855 in Ahiielo Holland), zeigte zwar schon in früher
Jugend großen Drang zum Zeichnen und Malen, widmete
sich aber gleichwohl anfangs dem Kaufmannsstande.
Ihn der Kunst zuzuführen, soll besonders der Hindruck
der Fresken in der St. Apollinariskirche zu Remagen
— Werke von Deger, Ittenbach und den beiden
A. und K. Müller — vermocht haben. .Ms Schüler
der Düsseldorfer Akademie schloß er sich vor allem an
Professor Karl Müller an. .\ber die großen Meister seines
Heimatlandes und die vorbildliclien Schöpfungen christ-
licher Kunst in Italien blieben nicht ohne starke Mit-
wirkung.
HEINRICH WADERE BAVARIA ii')o8)
■nftgur für dit von Prof. Alirrt Schwidl trlauU
Königliche Bank in München
und die sich herzlich freuen, wenn sie sehen,
wie das Neue, wo immer es sich befestigt,
einen Bruch mit dem Alten nicht nur nicht
fordert, sondern ausschließt; das ist immer so
gewesen und muß auch so bleiben. Gerade
für diese Anschauungen ist H. J. Sinkel der
rechte Mann. Er besaß den Sinn und die
Kraft, gleichsam mit einem Fuße im Reiche
des Idealen, mit dem anderen im Reiche des
Realen zu stehen. Denn sieht man sich um-
geben von seinen religiösen Werken und dann
plötzlich von seinen Porträtdarstellungen, so
f5^ SINKHL-AUSSTELLUNG IN DÜSSELDORF ma
^HV^H^^^[^^t'^i'^^^V^^*'^^>'i^*4^'l**'!it»»-
HEINRICH W.Uli Ki:
TÄNZERIN' (I
.l;,s>/,7/««i.' M:mihe
wandelt man wie in zwei verschiedenen Wel-
ten: hier schauen einen wirkliche Menschen
an und individuelle, äußerst schart ausgepräL;te
individuelle Charaktere — wer auch nur ein-
mal eine längere Unterredung mit dem Mainzer
Bischot von Kctteler gepflogen hat, wird das
bestätigen — , dort erdenfremde Wesen, in
denen sich das Reale kaum fernab widerspie-
gelt. Auch bei diesen letzteren erkennt man
überall die fest und sicher zeichnende Hand,
wo das leibliche Auge sie regiert, aber Schwan-
kungen bleiben nicht aus, wo dem Meister
Idee und Absicht ein lintiernen vom Wirk-
lichen zu gebieten schien; und das war eben
vielfach nicht nur hinsichtlich der einzelnen
Gestalten, sondern auch hinsichtlich der dar-
gestellten Situationen und Handlungen der
Fall. So kommt es, daß die überzeugende
Kraft und Klarheit, die manchen Werken eigen
ist, namentlich manchen Skizzen, anderweitig
zu einer naiven Weichheit herabsteigt, die
auch den Unbefangenen nur dann anmuten
kann, wenn er sie von dem Standpunkte der
damaligen Gegenwart aus zu empfinden ver-
suchen kann. Diese Unbestimmtheit stellt sich
naturgemäß am augenfälligsten ein, wo es sich
um Schaffung von idealen Typen handelt, Ma-
rientypen, Josephtypus, Simeontypus, Engelty-
pen u. a. Höchste Lieblichkeit, hingehendste
Milde und Güte und was sonst auf dem kür-
zesten Wege zum Rein-Idealen zu liegen scheint.
reichen nicht aus, um Darstellungen zu
schaffen, von denen man sagen könnte
»das ist der — der eine und ein-
zige Körper dieser Idee ; denn
was glaubhaft erscheinen soll,
muß im Bereiche des Möglichen
liegen. Diese Glaubhaftigkeit nehmen
aber auch die historischen Personen der
Hl. Schrift für sich in Anspruch, ohne
des Scheins von Porträtstücken zu be-
dürfen. Solche Glaubhaftigkeit zeigt in
hochedler Form die »Madonna auf dem
Throne« (Nr. 67 des Kat.), auch der
) Kreuztragende Heiland . (Nr. 66). Wenn
bei diesen beiden Farbe und Behandlung
der Kraft etwas Eintrag tut, so wird die
Wirkung bei einer Reihe von Skizzen
durch dasTechnische wesentlich gestützt,
ebenso bei gewissen Studienköpfen (wie
Nr. 65); das tritt besonders hervor, wo
kraftvolle Skizzen in leuchtenden wohl-
gestimniten Farben großen und fertigen
Ausführungen gegenüberstehen; welch
ein Weg \on der Skizze »Simeon im
Tempel (Nr. 30, auf Glas gemalt) bis
zu der »Weissagung Simeons« (Nr. 3),
oder von der Skizze »Christi Geburt«
14) zu der großen Ausführung Nr. 100
Defreggers Art und Weichheit; neben
dem sinnigen Bildchen »Jesuskind mit dem
vierten Gebot« (Nr. 90, als Andenkengabe zu
einer ersten hl, Kommunion gemalt) sieht man
in der Ausstellung unter Nr. 61 eine Vorzeich-
nung dazu, die kräftigere Auffassung zeigt als
Nr. 90, und unter Nr. 29 eine prächtige kleine
Skizze in Ölfarben. Letztere bildet geradezu
einen künstlerischen Übergang zu den iretl-
lichsten Kopien kleinen Formates nach Bildern
alter Meister; unter den ausgestellten sind
besonders hervorzuheben die > Anatomie des
Doktors von Tulp« nach Rembrandt (Nr. 55),
»Dame mit Fächer', nach demselben (Nr. 35),
»Immaculata« nach Murillo (Nr. 40). In die-
sen kleineren Sachen') entfaltet sich eine solche
Freiheit der Form und solches Leben der Farbe,
daß man die Unerbittlichkeit und Schärfe
kaum \crsteht, mit der Sinkel über das »Mo-
derne urteilte, so wenig er es unbeachtet Heß.
Eine große, man möchte sagen, unüberbrück-
bare Entfernung trennt zwar Werke wie die
»Madonna mit dem schlafenden Jesuskinde«
(Nr. i) und Christi Geburt« (Nr. 100) von
(Nr.
von
') Seine Sorglaft im einzelnen befalligte ihn g.uiz be-
sonders, auch in Sachen von miniaturartiger Kleinheit sich
auszuzeichnen ; das zeigen nicht nur die Malereien aut
den ausgestellten Paletten, sondern nielir noch die Bild-
clien, die er liie und da für Schmucksachen (Broschen)
ausgefühit hat.
©^ SINKEL-AUSSTHI.LUNG IN DÜSSELDORF Ji^ä
63
i*S^^€n' ¥
,-^,->jr7<
,...;;. T,At S. J4
der Gegenwart, aber den Meister selber muß-
ten, sollte man glauben, nicht nur seine Liebe
zu den krältigsten und nicht immer malivoll-
sten alten niederländischen Meistern, sondern
auch seine eigenste innere Natur, wie sie sich
viehacii bei ihm hervorrang, versöhnlicher ge-
genüber heutigem ernsten Ringen stimmen.
Denn weitdavon entfernt, ein süßlicher Schwär-
mer und sentimentaler Lyriker der Form zu
sein, wandte schon seit ca. 30 Jahren seine
Tätigkeit sich mit ebensoviel Liebe als unbe-
zweil'eltem Erfolge dergegenwärtigen Wirklich-
keit zu, der er seine Porträts keineswegs ent-
rückte. Genannt wurde bereits oben das Por-
trät des Bischofs von Mainz. Nicht geringere
Naturwahrheit spricht aus dem Porträt des
Bischofs Wilhelm von Paderborn (Nr. So» —
es ist die letzte Arbeit des verstorbenen Mei-
sters — ; sieht man die beiden Bilder neben-
einander, so könnte man glauben, der Mei-
ster habe, ängstlich, die naturwahre Schlichtheit,
Einfachheit, Bürgerlichkeit bei dem letzteren
zu verletzen, ihm durch Leuciukraft der Farbe
und äußeres Beiwerk die Kirciienfürstlichkeit
zu geben gesucht, die bei v. Ketteier schon
die persönliche Erscheinung ausprägte. Auf
64
©^ MICHEL ANGELO — LIONARDO >^?3
künstlerischer Höhe stehen die Porträts desGr;i-
fen August von Spee (Nr. 73), der Gräfin M.von
Spee (Nr. 74), des Grafen Ferdinand von Ga-
len (Nr. 75), auch der Baronin von der Leyen
(Nr. 79) u. a. Aus dem strengen Porträt noch
mehr in die Wirklichkeit, sozusagen in das
Momentane, führen Bildnisse, wie die der ver-
storbenen Nazarener Professor Ittenbach und
Professor Ernst Deger (Nr. 81), und die ju-
gendlich und persönlich ausgeprägten einer
jungen Frau Seh. (Nr. 91) und einer Nichte
des' Künstlers Frl. M. B. (Nr. 86).
Besondere Beachtung verdienen für das Stu-
dium des Meisters, seiner Art und Auffassung
die ausgestellten Zeichnungen, mögen diese
auf dem unmittelbaren Boden der Wirklich-
keit stehen oder aus dieser in idealere Regi-
onen hinausführen.
Zum Schlüsse darf als ein erfreuliches Zei-
chen für wiederkehrende unbefangene Schät-
zung des älteren Guten nicht unerwähnt blei-
ben, daß gegenüber dem verkäuflichen Teile
der Ausstellung sich regere Kauflust zeigte,
als das sonst bei künstlerischen Nachlässen der
Fall zu sein pflegt. Bone
MICHEL ANGELO
Ich kannte keine Furcht, Gott war mit mir.
Ich kannte keinen Lug, denn ich war treu.
Die Kraft, die Reinheit sind in meinem Werk.
Des Zweifels Hydra schuf mir keine Reu.
Ich ging den graden stolzen Weg zum Ziel.
Ich sah die Menschen, wie sie Gott erschuf!
Nackt; stark und trotzig, ein Titanenvolk,
Das sich emporgereckt auf seinen Ruf.
Ich sah Gott Vater, wie aus seiner Hand
Des Lebens Strom in Adam niederging
Und wie er still in seines Mantels Schutz
Des ersten Weibes Liebes-Seel' umfing.
Aus tiefen Vorweltzeiten kam mein Geist.
Des Lichtes erste Strahlen zog er ein.
Die ersten Kräfte ersten Schöpfungstags,
Die unverbrauchten, heil'gen waren sein.
Ich schuf der Menschenzeiten Anbeginn —
Den Mutterschoß der urgewalt'gen Nacht.
Ich schuf im Moses ehernes Gesetz,
Im Weltenrichter des Verwerfers Macht.
So ging ich durch die Zeiten, ein Gigant,
Und hob aus deiner Niedrung, altes Rom —
Hoch in die blaue Luft des Vaterlands
Mein Herrscherdenkmal, den Sankt Peters Dom.
M. Herbert
LIONARDO
I.
O nicht mehr gehn, nein fliegen! Sieh, ich ward
Für dieser Erde Hemmnis nicht geboren !
An ewig göttliche Vollkommenheit
Hab ich dies arme Menschenherz verloren!
Mir gab der Herr zu wissen und zu schaun !
In seine Himmel ließ er einst mich treten.
Daß ich sein göttlich Antlitz niedertrüg
Zu denen, die in heißer Sehnsucht beten.
Auf Seiner Welt hat er mir nichts verwehrt !
Er hieß Natur vor mir sich ganz entschleiern.
All sein Geheimnis gab er lächelnd preis
Und lud mich zu der Schönheit höchsten Feiern.
Des Weibes allertiefste Gültigkeit,
Sein süßes Lächeln ließ er mich erleben.
Die große Zauberformel war in mir,
Durch die sich die verborgnen Schätze heben.
So ging ich strahlend in Allwissenheit,
EinHalbgott stolz. Und soUtemich nicht wiegen
Wie Adler tun in freier Lüfte Reich.
Und sollte wie ein Wurm im Staube kriechen.
Und sollte mehr nicht sein als Ikarus ?
Die letzten Ziele sollt ich nicht erreichen.
Mich aufzuschwingen in der Sterne Kreis,
Eh ich versinke in das große Schweigen !
O nicht mehr gehn! Nein fliegen! Sieh, ich ward
Für dieser Erde Hemmnis nicht geboren !
An ewig göttliche Vollkommenheit
Hab' ich dies arme Menschenherz verloren.
Ach, du erdrückst mich, Michel Angelo!
Wer kann vor deinem wilden Sturm bestehn?
Dem Blatt gleich muß ich im Orkan vergehn.
Denn santterSchönheit ward das Herz mir froh.
Mir graut vor deines Moses Richterzorn
Und des \'erwerfers grimmer Majestät.
Ich bin ein Stiller, der um Güte fleht
Und aus der Wunde zieht den scharfen Dorn.
Dein »Fiat Lux<, es hat auch mich erfaßt.
Da schauernd ich in der Sixtina stand,
Das Sucherauge hoch emporgebannt
Zum Urweltstraum, den du erschafl'en hast.
Da ging mir auf die Ahnung höchster Kraft.
In Demut legt' ich meinen Pinsel hin:
Dal.i ich im Himmel einst gewesen bin
Ward dem Gedächtnis dazumal entraflt. —
— Nun weiß ich's wieder! Ich nur — ich allein
Hab des Erlösers tiefe Müdigkeit
Herabgetragen in des Lebens Streit.
— Und alles andre! — Laßt es sein! Laßt sein.
M. Herbert
Für <l.e RcLiliti
.nlicll: S. Staildh;
Druck voi
• (Prom
Brnckn
nadeplalz 5)i VerUig Jcr GcsellsclK
ann A.-G. — S:imtl!cl:e in Miincl.t
BEWEINÜNG CHRISTI
Predellagemdldf in Athmihtdorf. Text S. Sl
ZU WOLF HUBER UND DER KUNST DES DONAUSTILS
Von PHILIPP MARIA HALM
Tm Mittelpunkte jener Kunstbewegung zu
*■ Beginn des i6. Jahrhunderts, die wir nach
Frimmels Taufe kurzweg mit Donaustil < zu
charakterisieren pflegen, steht als die liebens-
würdigste und anziehendste Persönlichkeit
der Regenshurger Albrecht Ahdorfer, den
uns Wilhelm Schmidt, Max Friedlander und
Thomas Sturge Moor nähergerückt haben.
Neben ihm nannte man am meisten unter den
Donaumalern den Xamen Wolf Huber von
Passau, seit WilhelmSchmidt durch seinen glück-
lichen Fund des signierten Beweinungsbildes
in Fcldkirch in \'orarlberg ein Gemälde des bis
dahin nur aus Zeichnungen und Holzschnitten
bekannten Monogrammisten W. H. nachge-
wiesen hat und uns durch die wieder ans Tages-
licht gebrachten Aktenauszüge über den Anna-
Bruderschafts- Altar in Feldkirch den Schlüssel
zur Lösung der Signatur gab.
Näher aber hatte sich bis jetzt die Forschung
nicht mit dem Meister von Feldkirch beschäf-
tigt, höchstens daß man da und dort ein paar
Zeichnungen oder Holzschnitte, ein Gemälde
oder eine Urkunde verötlentlichcn konnte; ein
geschlossenes Bild der künstlerischen Tätig-
keit des noch ziemlich im Nebel stehenden
Künstlers fehlte uns bislang. Zu fast gleicher
Zeit traten nun zwei junge Kunsthistoriker —
Vo(J und Riggenbach') — mit Abhandlungen
über Wolf Huber hervor. \'oß nimmt Huber
zum Ausgangspunkt fürentwicklungsgeschicht-
liche Untersuchungen über den Donaustil und
') Hermann VoO, Der Ursprung des Donaustils 1907.
Rudolf Riggenbach, Der Maler und Zeichner Wolfgang
Huber. Baseler Dissertation 1907.
legt dabei das Schwergewicht auf die Tätig-
keit Hubers als Maler. Riggenbachs Schrift
ergänzt die Abhandlung von Voß, indem er
den graphischen Blättern des Meisters sein
Hauptaugenmerk zuwendet. Der Historiker
wird Riggenbach besonderen Dank zollen für
die sorgfältige Bergung des sehr zerstreuten
literarischen Materials und für sein Streben nach
Gründlichkeit und \'ollständigkeit ; deshalb
wird Riggenbachs Arbeit künftigen Huber-
Forschern unentbehrlich sein. Voß vernach-
lässigte die historische Seite des Themas;
er wollte nur »ein Stück Entwicklungsge-
schichte deutscher Malerei : geben. Treffende
Charakterisierung des Meisters und die Be-
reicherung des ^Werkes c Hubers durch einige
neue Bilder sind die Vorzüge seiner Abhandlung.
Exakte Forschung ist für ein Neuland, wie
es das ganze Gebiet des Donaustils trotz viel-
facher Einzelforschungen immer noch ist, eine
unerläßliciie Forderung, und ohne eine syste-
matische Gliederung und Durcharbeitung des
Riesenstortes läl.k sicii ein gesicherter Erfolg
nicht erhörten. Deshalb dürfte es unausbleib-
lich sein, daß N'oßens Donaustil :< bald mancher-
lei Korrekturen erfahren wird. Der Verfasser
hat meines Erachtens sich das Thema zu weit
und die Grenzen des Gebiets zu ausgedehnt
gesteckt oder richtiger vielleicht, der Zeitpunkt
für die Abwandlung der Aufgabe war verfrüht,
denn noch bedürfen wir einer genaueren Kennt-
nis des im Lande verstreuten Materials und ört-
licher Gruppierung desselben. Liegen die bin-
denden Fällen und die Entwicklungsfaktoren
für engere Gebiete noch nicht klar, so werden
Die ctirlitllche Kunst.
Dezamber 1908
66
K^ WOLF HUBER UND DER DONAUSTIL »'^a
großzügige Entwicklungskombinationen im-
mer etwas Problematisclies an sich tragen und
mehr der Ausdruck einer vorgefaßten subjek-
tiven Anschauung denn das Fazit positiver
Faktoren sein. Der Spielarten des Donaustils
gibt es in der Malerei wie in der Plastik außer-
ordentlich viele, weit mehr als man nach Voß
annehmen würde, der um einer Taute oder
sonstigen Zuweisung willen oft die gewagtesten
Sprünge macht; ich verweise z. B. aut seine
Anschauung über die bekannte Holzschnittt-
folge der »Wunder von Maria Zell < (S. 207), die
Arbeiten der Huberschen Werkstätte, d.h. eines
Malers und eines Bildschnitzers, sein sollen,
oder seine Kombinationen über den Stecher
M. Z., dessen Leben und Tätigkeit sich auf
Grund demnächst von berufener Hand er-
scheinenden authentischen Materials durchaus
anders malen wird. Voß übersieht, von allge-
meinen Ähnlichkeiten zeitlich einander nahe-
stehender Werke irregeführt, gerne die Unter-
schiede persönlicher Kunstanschauungen. Die
natürliche Folge ist, daß der Einfluß einzelner
Meister, zumal in seiner örtlichen Ausdehnung,
oft überschätzt wird. Sorgfältige Einzelunter-
suchungen werden deshalb das von Voß ent-
worfene Bild voraussichtlich über kurz oder
lang verschieben.
Mit nachfolgenden Erörterungen wende ich
mich gegen einige Punkte des Voßschen Buches,
die in Beziehung zu demBeweinungsbilde in Feld-
kirch bezw. zu dem Anna-Bruderschafts-Altar
Wolt Huhers stehen und geeignet sind, für die
Zukunft Verwirrung anzurichten, falls sie un-
widersprochen bleiben. Da ich im ersten Teile
zugleich in eigener Sache spreche, will ich
nicht versäumen zu betonen, daß ich trotz
meiner Einwände das Voßsche Buch keines-
wegs unterschätze und in einigen Kapiteln,
namentlich im dritten Teil: Charakteristik des
Donaustils, sogar vortrefflich finde. Hierin, in
der analj'tischen Behandlung der Werke, liegt
die Stärke des Verfassers. Er offenbart eine
Fülle von Anregungen, und man wird seinen
Ausführungen mit Interesse folgen, auch wo
sie zum Widerspruche reizen ; das gilt nament-
lich hinsichtlich des Sachlichen und rein Histo-
rischen.
Wir wenden uns nunmehr den strittigen
Punkten zu.
A^oß will, sich auf eine unsichere Nachricht
stützend, einen Bruder des Wolf Huber. den
»Bildschnitzer Huber« in die Kunstgeschichte
einführen') und ihm außer einer Gruppe der
hl. Sippe in Feldkirch in Vorarlberg die herr-
lichen Türen der Stiftskirche in Altötting zu-
weisen, als deren Meisterich Matthäus Kreniß
gefunden zu haben glaube.-) Er behauptet, mir
sei bei der Untersuchung ein verhängnisvoller
Irrtum unterlaufen, indem ich verkannt hätte,
daß an der Nordtüre zwei verschiedene Hände
tätig gewesen seien, obgleich schon Riehl diese
Tatsache ausdrücklich und unwidersprechlich
hervorgehoben habe. 3)
Hiezu möchte ich zunächst bemerken, daß von
einem Verkennen absolut nicht insoferne die
Rede sein kann, als wären mir die Unterschiede
zwischen den oberen Hoch- und den unteren
Flachrelief tiguren des Nordportals entgangen.
Im Gegenteil, ich erkann te die mancherlei Unter-
schiede sehr wohl und ich habe sie durch Er-
wägungen technisch-praktischer Art, wie sie
mir die Vertrautheit mit plastischem Arbeiten
nahelegten, zu erklären versucht. Ich verweise
auf meine eingehenden Ausführungen, um sie
nicht zu wiederholen und füge noch bei : Bei
einer Höhendifferenz der Hoch- und Flach-
reliefbilder von IG zu 2 cm versteht es sich
doch ganz von selbst, daß der Stil sich stellen-
weise ändert; er ist bei dem Flachrelief in
engere Grenzen gebannt. Erneute, durchaus
vorurteilsfreie Vergleiche an Ort und Stelle
konnten meine Anschauung nicht erschüttern.
Die Hochrelieffiguren bestechen durch ihre
flotte Technik ; wer aber in das Wesen der
Plastik etwas tiefer eingedrungen ist , wird
deshalb die Flachreliefs der Kirchenväter und
Propheten nicht weniger hoch einschätzen in
ihrer plastischen Wirkung und Durchmodel-
lierung, zumal bei der minimalen Reliefstärke
von nur 2 cm. Voß unterschätzt die Flachreliefs
sehr zu unrecht und übersieht die in manu-
eller und typischer Hinsicht engen Bezieh-
ungen zwischen ihnen und den patriarchalischen
Köpfen auf dem von dem gleichen Meister
herrührenden Sippenrelief in Neuötting voll-
ständig. Dafür legt er auf zahlreiche Ausrut-
schungen und \'erschneidungen an den Flach-
reliefs zu großen Wert; deren hätte er auch
genug an den aufgesetzten Hochrelieffiguren
finden können. Seinem »neuentdeckten« Huber
zuliehe soll Matthäus Kreniß geopfert werden.
Ob ihm nicht Bedenken aufgestiegen wären,
wenn er sich doch etwas näher mit dem Chor-
gestühl der Altöttinger Stiftskirche befaßt hätte,
das, urkundlich bezeugt, 1509 durch den Bild-
schnitzer Meister Matthäus Kreniß gefertigt
') Voß a. a. O., S. 205.
=) Halm, Die Türen der Stiftskirche in Aftötting und
ihr Meister, in dieser Zeitschrift I (1904/1905), S. 121.
3) Ich berichtige hier, daß nicht, Riehl, sondern Hager
in den Kunstdenkmalen Bayerns 1, S. 2545, diese Mei-
nung ausgesprochen hat.
©^ WOLF HURF.R UND DER DOXAUSTIL i>^ö
67
wurde. Angesichts der verhältnismäßig ge-
ringen Reste des Chorgestühls, das ich in
stilistische Beziehung zu den Altöttinger Türen
setzte, darf man nicht vergessen, daß sich nur
die hermenartigen Stützen von mehr dekora-
tivem Charakter — pilder auf den katellen
(= Kapitellen) nennt sie die Stiftungsrech-
nung— erhalten haben. Wir müssen uns aber
den Reichtum des Gestühls ausdenken mit acht
Standfiguren (stende pillder), sechzehn Büsten
(prustpilder, Propheten u. a.). Aus den Rech-
nungen namentlich den Einzelpreisen ist er-
sichtlich, daß es sich um ein zwar nicht um-
fangreiches, jedenfalls aber um ein kostbares,
künstlerisch sehr wertvolles Werk handelte, das
der reichen, vielbesuchten Stiftskirche durch-
aus würdig gewesen sein muß. Wie wäre aucii
anzunehmen, daß man mit einer solchen Ar-
beit, die neben dem Hochaltar doch das her-
vorragendste, wichtigste Einrichtungsstück des
Altarraumes darstellte, einen untergeordneten,
unbedeutenden Bildhauer betraut hätte, nach-
dem man z. B. zu derselben Zeit — von 1508
an — eigens einen Hofmaler Hans von München
für den Hochaltar berufen hatte. Ist nicht
vielmehr aus dem allem zu schließen, daß Mat-
thäus Kreniß doch etwas mehr war als der
»Handwerker und untergeordnete Meister«?!
Liegt ferner nicht auch ein auffallender
Widersprucli darin , daß man für ein Aus-
stattungsstück des bedeutsamsten Raumes der
Kirche einen minderwertigen Bildschnitzer
herangezogen hätte, um wenige Jahre danach
eine Arbeit, die mehr der Außenarchitektur
zuzählt, einem »viel bedeutenderen:, noch
dazu erst aus der Ferne herbeigeholten Künst-
ler zu übertragen? Das ist doch in hohem
Grade unwahrscheinlich. Liegt es anderseits
aber nicht auf glatter Hand, daß man dem
gleichen Meister, der die vordringlichere, statt-
lichere und ansehnlichere Arbeit, das Gestühl — ■
ich gestatte mir, da nichts vom Gegenteil bekannt
ist, zu sagen — zur Zufriedenheit ausgeführt
hatte, auch die nächste Arbeit, die geschnitz-
ten Türen, übertrug?!
\'oß gibt zu, daß die Köpfe am Chorgestüh!
zu den Flachschnitzereien der Türen Bezieh-
ungen haben, und daß man annehmen müsse,
daß diese weniger wichtigen Arbeiten eben
Matthäus Kreniß anvertraut wurden , dem
Meister, dem man vorher eine viel wichtigere
Arbeit übertragen hatte. \\'as sollte uns iiin-
dern, den Schluß zu ziehen, dal.' an dem Chor-
gestühl das gleiche Verhältnis wie an den
Türen bestand, daß eben gewisse, aus prak-
tischen, technischen und anderen Gründen
untergeordnetere Teile mit weniger Freiheit
und Bewe"lichkeit in den Formen, zum Teil
vielleicht sogar etwas weniger sorgfältig aus-
geführt waren als die vor Beschädigung ge-
sicherten Hauptbildwerke. Dürfen wir nicht,
nachdem doch Chorgestühl und Türen in den
Flachschnitzereien, den Ziergliedern und Pro-
filen so enge Verwandtschaft tragen, anneh-
men, daß auch die verloren gegangenen Stand-
und Brustbilder des Chorgestühls — an letztere
können uns sehr wohl die männlichen Figuren
der hl. Sippe von Neuötting erinnern — den
uns erhaltenen Hochrelieffiguren der Türen
entsprochen haben? Einige Hermenköpfe des
Chorgestühls, namentlich ein beturbanter,
dann ein Putto, sind übrigens von solcher
Qualität, daß man sie den Hochrelieffiguren
der Türen glattweg an die Seite stellen darf,
ebensogut wie einige der Prophetenköpfe. Da-
bei will ich es keineswegs für ausgeschlossen
halten, daß auch noch nebenbei Gesellenhände
tätig waren; der Hauptanteil an der unteren
Haltte der Türen bleibt aber trotz alledem dem
Meister Matthäus Kreniß selbst.
Nach Voß hätte der Bildschnitzer Hoher
mit seinem Bruder Wolf und einem dritten
Bruder in Passau gemeinsame Werkstatt be-
trieben. Wie läßt sich nun erklären, daß in
den zahlreichen Kirchen und Klöstern Passaus
sich nicht ein einziges stilistisch hier einschlä-
giges Werk findet, in der Umgegend von Alt-
ötting , Mühldorf und Eggenfelden dagegen
sich zahlreiche Arbeiten erhalten haben, die
ganz unzweifelhaft den Stil der Türen von
Altötting oder der hl. Sippe von Neuötting
tragen! Dort an einem der drei Orte, wahr-
scheinlich in Eggenfelden, liegt das Zentrum
lür die ganze Gruppe. Es lassen sich noch
weiter südlich, den Inn, die Salzach, die Alz
und Traun aufwärts, unbestreitbare Werke der
gleichen Hand nachweisen. Nach Norden
bildet das Rottal die allgemeine Grenze, über
die hinaus ich bis jetzt nur eine einzige Ar-
beit des Meisters fand. Und die rege Tätigkeit
der Werkstatt eines ^Meisters von Ruf« sollte
in der Umgegend ihres Sitzes so gut wie gar
keine Zeugnisse hinterlassen haben, unter den
Hunderten von Holzfiguren anderer Meister
nur ein einziges einschlägiges Werk, ein Sip-
penrelief in Höhenstadt, von dem es noch dazu
ungewiß ist, ob es ursprünglich für diese Kirche
bestimmt war!? Wie kann man da, lediglich
einem Xamen zuliebe, eine Bildhauerwerkstatt
konstruieren, von der wir nicht das Geringste
wissen ! ')
' ' Wie kann man bei einer so gewiclitigen Behaup-
tung so ganz und gar verzichten, auf die Hildnerei Passaus
in der Frührenaissance einzugehen ■ Der einzige Passauer
Meister, den bis jetzt greifbar festzustellen gelang, ist der
Steinmetz Jocrg Gärtner. \'gl. darüber meine ausführ-
»•
ex^ WOLF HUBER UND DER DONAUSTIL ?^<a
VOM RELIEF DER HL. SIPPE IN FELDKIRCH
Text S. bS
Wie mangelhaft fließen die Quellen selbst
für Wolf Hubers Aufenthalt und Tätigkeit in
Passau!') Und sollte es nur ein Zufall sein,
daß in der »Supplication gemaingelich
maister und gesellen des handwerchs
der maller, pildschnitzer und glaser zu
Passau von 1542,2) welche sich gegen Wolf
Huber wegen Nichtachtung der Handwerks-
ordnung richtet, nicht mit einer Silbe der
Bruder Bildschnitzer genannt wird, mit dem
Wolf doch eine gemeinsame Werkstatt '. be-
trieben, ja der sogar die Leitung der Werkstätte
in Händen gehabt haben soll? Statt dessen
heißt es deutlich, daß »Wolf Hueber vorher
nicht zu folgen.
ettliche Zeit außer des Bur-
ger Rechts mit ettlichen ge-
sellen und leerkhnaben
gearbeit« hätte. Nirgends
ist von einem Bruder die
Rede, der noch dazu einen
so großen Ruf genossen
haben müßte, daß man ihn
nach auswärts berufen hätte.
So einfach lassen sich
authentische Nachrichten
nicht ignorieren, die in die-
sem Zusammenhang von
ganz besonderer Wichtig-
keit und Tragweite sind.
\'oß hätte, wollte er seiner
Anschauung von der ge-
meinsamen Werkstätte der
Brüder Nachdruck und blei-
benden Wert verleihen, sich
mit diesen Punkten un-
bedingt auseinandersetzen
müssen. Dies unterließ er
aber. Statt dessen weiß er
uns zu erzählen und zwar
liest er das lediglich aus
den Arbeiten des Wolf, aus
der Holzschnittfolge der
Wunder von Maria ZelL<,
und aus den angeblich
Huberschen Schnitzereien
lieraus, daß der Schnitzer
älter als der Maler Wolf
war. 3) Solchem Fluge der
Phantasie vermag ich jedoch
liehe Abhandlung in der »Zeitschrift des Münchener
Altertumsvereins« XVII (1907].
Warum gedenkt Voß nicht mit einem Worte des Bild-
hauers Joerg Hueber, der doch in diesem Zusammen-
hange wenigstens flüclnig hätte erwähnt werden müssen :-
Vgl. Halm, Stephan Rottaler, München 1908, S. .S4.
') Am ausführlichsten handelt darüber Riggenbach,
Wolf Huber, Dissertation, Basel 1907, S. 8 ff.
^) Schmid im Repertorium für Kunstwissenschaft,
XXIV (1901), S. 590.
\'oß erblickt in dem Hochrelief einer hl. Sippe
in der Pfarrkirche zu Feldkirch in Vorarlberg
ein Werk des Bildschnitzers Huber.4) Zur Klä-
rung der schwebenden Frage scheint es mir un-
erläßlich, diese Gruppe, ganz wie Voß es tat,
dem Sippenrelief in St. Anna bei Neuötting,
das er einwandfrei dem Meister der Türen
von Altötting zuschreibt, gegenüberzustellen.
Ich bilde beide Werke zur Nachprüfung der
Voßschen und meiner gegenteiligen Anschau-
ung nebeneinander ab. (Abb. S. 68 und 69.)
Voß findet in den Werken des Meisters der
Altöttinger Türen alle »Stileigentümlichkeiten
des Feldkircher Sippenreliefs« wieder und fährt
bei dem Vergleich der Feldkircher und Neu-
öttinger Sippe fort: »Schon die kompositio-
neile Anordnung ist ganz ähnlich, das Antlitz
beiderMadonnen, ihr strähnig wiedergegebenes
3) Voß a. a. O , S. 207.
4) Voß a. a. O., S. 206 ff.
e^ WOLF HUBER UND DER DONAUSTIL »^Ö
69
Haar ist völlig das gleiche;
auch die Gestalt des Christ-
kindes ist hier wie dort ge-
bildet. Dazu die ganze un-
verkennbare Art des Falten-
wurfes, die Typen der Män-
ner, die über die Brüstung
schauen, die Behandlung
ihrer Barte..
Gehen wir auf die Einzel-
heiten näher ein ! Ich muß
gestehen, daß mir der Blick
fehlt, um in der ^ kompo-
sitioneilen Anordnung« der
beiden Bildwerke auch nur
entfernte Ähnlichkeiten zu
entdecken. Ich erkenne
keine engeren, sondern nur
ganz allgemeine Beziehun-
gen zwischen den beiden
Kompositionen, nicht mehr,
als sie das Sujet ganz von
selbst mit sich bringt. Wel-
che Unterschiede aber! In
Neuötting ist die hl. Anna
selbdritt herausgehoben aus
der Masse, in Feldkirch da-
gegen ist sie eingepreßt
in drangvoll fürchterlicher '
Enge. Dort in Neuötting
sitzen sichMaria und Anna vollkommen im Profil
gegenüber, in Feldkirch dagegen nebeneinan-
der, fast Schulter an Schulter. Wie langweilig
steh: hier das Jesuskind auf dem Schoß derMutter
Anna, wie lebendig balanziert es in Neuötting
aut der Hand seiner Ahne ! Aber von der Be-
wegung ganz abgesehen, wie kann man be-
haupten, daß y.die Gestalt des Christkindes hier
wie dort gebildet« sei! Auf dem Feldkircher
Relief hat es wie alle anderen, selbst die er-
wachsenen Kinder der Sippe, einen unförm-
lichen, viel zu großen Kopf, auffallend schwäch-
lich und klein im Verhältnis zum Oberkörper
sind dagegen die Beine. Und dagegen be-
trachte man das lustige Geschöpfchen auf dem
Neuöttinger Werk mit seinem ebenmäßigen
Körper! Wie dari man weiter von Gleichheit
oder auch nur von .Ähnlichkeit des Antlitzes der
beiden Madonnen reden! Ich kennebis jetzt vier
Darstellungen der hl. Sippe von dem Altöttinger
.Meister, jenein Neuötting (Abb. S. 69), in Obern-
berg,') in Ingolstadt (.-^bb.S. 71) und ein kleines
Altarflügelrelief in Höhenstadt. Sie variieren
alle um etwas die Komposition, aber trotzdem er-
kennt man noch die gleiche Hand in der Run-
dung des Koptes und derStirne Mariens, in der
') Abb. in Halm, Die Türen der Stiftsliirche in .■Mtötting
und ihr Meister, in dieser Zeitschrift I (1904/1905) S. 127.
HEILIGE SIPPE
der St. Annakirche bei Neuöüittg. Text S. 6S
feinen kleinen Nase, selbst in dem Haarreif.
Gleichmäßigschlängeln sich dieHaarein breiten
Wellen über die Schultern herab — in Obern berg
sind die vorderen Strähnen abgebrochen. Und
nun vergleiche man damit die Maria von Feld-
kirch mit der einen geraden dünnen und dürf-
tigen Strähne! Wie kann man da von »völ-
liger Gleichheit i reden ! Wer sich einen so be-
stimmten Marientypus geschaffen hat und ihn
viermal in ganz geringen Spielarten wieder-
holt, wie der Altöttinger Mei.ster — man
könnte auch noch die Maria des Altöttinger
Nordportals oder die beiden des Südportals
heranziehen — , der sollte aber auch so gar
nichts davon in dieser einen Arbeit haben
durchblicken lassen ! Und veriiält es sich mit
der Mutter Anna nicht gerade so?! In den
vier oben genannten Werken trägt sie stets
die hohe Haube und das charakteristische
Obergewand mit dem glatten Kragen, von
dem aus in vielen dünnen Fältchen der Stoff
über die Schulter herabfällt. In Feldkirch ist
Kopf und Schulter von einem Tuch verhüllt.
Warum gerade nur auf diesem einen Werke ?
Der Faltenstil der Feldkircher Sippe schließ-
lich ist meines Erachtens von dem des Alt-
öttinger Meisters ganz und gar verschieden.
Dieser liebt, namentlich in seiner Frühzeit, d. h.
70
»^ WOLF HUBER UND DER DOKAUSTIL ?^a
etwa zwischen 15 lo und 1520, bei allem Manie-
rismus große klare Linien, die die stattlichen
Figuren noch besonders hervorheben, der Feld-
kircher Schnitzer kommt aus dem kleinlichen
Faltenkram nirgends heraus ; das gilt auch tür
die Fußfalten, die sich niemals zu so kräftigen
Wellen wie bei dem Altöttinger Meister erheben.
Noch eines will ich berühren : »Man beachte
auch die Stirnlocke der Figur links (Neuötting)
und halte sie gegen den Mann in Feldkirch,
der durch die Verschränkung seiner Arme aut-
fällt«, sagt Voß. Die »Verwandtschaft« hätte
sich ihm leicht erklärt, wenn er sich darüber
klar geworden wäre, wer in beiden Fällen der
Mann mit der Stirnlocke ist. Durch seine
Stellung unmittelbar hinter Maria schon ist
er genügend charakterisiert als der hl. Joseph,
und dieser Josephtypus mit der Stirnlocke auf
dem glatten Schädel, ganz verwandt dem Pe-
trustypus, läßt sich in dutzend und aberdutzend
Fällen in der süddeutschen Bildnerei jener Zeit
nachweisen; man vergleiche dazu nur die bei-
den Joseph auf dem Altöttinger Südportal, oder
die hl. Sippe von Höhenstadt. ') Außer der Stirn-
locke haben aber die beiden Josephsköpte in
Neuötting und Feldkirch sonst nichts gemein.
Aus allen diesen Einzelheiten ergibt sich
ohne weiteres, daß die Feldkircher hl. Sippe
mit dem Altöttinger Meister nichts zu tun
hat. Man könnte hinsichtlich des kompo-
sitionellen Autbaues der beiden Vergleichs-
objekte noch entgegenhalten, daß die Feld-
kircher Darstellung die sechzehn Verwandten
Christi aufführe, während die Neuöttinger
Szene nur die sieben Nächstverwandten der
hl. Anna darstelle. Wie der Altöttinger Meister
aber die ganze »Sippschaft« zu einem Bilde
vereinigt, lehrt uns das Hochrelief eines Altar-
flügels in Höhenstadt. Von Komposition kann
man bei dieser unbeholfenen Anordnung der
Figuren in zwei oder drei Reihen übereinander
eigentlich nicht reden; das Feldkircher Relief
ist in dieser Richtung viel malerischer, ge-
wandter. Daß aber das Relief von Höhen-
stadt sicher von dem Meister der Altöttinger
Türen und der Neuöttinger hl. Sippe herrührt,
beweistdieenge Verwandtschaftin den Hauptfi-
guren, namentlich in der Anna selbdritt-Gruppe.
Der Faltenstil ist etwas kleinlicher und scharf-
gratiger; das war aber bedingt durch die kleine-
ren Abmessungen des Reliefs. Es zeigt sich
hier ganz das gleiche Verhältnis wie bei den bei-
den szenischen Darstellungen auf der Südtüre
der Altöttinger Stiftskirche, die der Hohen-
stadter Sippe am nächsten stehen. Kompo-
sitionen überraoen aber die beiden Türreliefs
0 Abb. bei Halm, Steplian Rottaler 1908, S. 86.
jenes wesentlich. Das hat wohl seinen
Grund darin, daß das Höhenstadter Relief durch-
aus eigene Erfindung des Schnitzers ist, wäh-
rend die Darstellung der Anbetung der Könige
auf dem Altöttinger Südportal auf einen Holz-
schnitt Springinklees im Hortulus anime (fol,
CXXXIII), gedruckt von Friedrich Peypus in
Nürnberg 15 18, zurückgeht. Ebenso dürfte
auch für das Relief der Geburt ein Vorbild
gegeben gewesen sein.
Von größtem Interesse für die vorliegende
Frage ist schließlich der Vergleich der Feld-
kircher hl. Sippe mit einer bisher unbekannten
Reliefgruppe der hl. Anna selbdritt im Regu-
larchor des Klosters Gnadental zu Ingolstadt^)
(Abb. S. 70). Auf den ersten Blick erkennt man
in ihr ein Werk des Altöttinger Meisters, ja
es ist wohl seine beste, sicherlich seine am
liebevollsten ausgeführte Arbeit. Besonderen
Wert gewinnt sie durch die Angabe des Ent-
stehungsjahres 1 5 I 3 und durch die Wappen der
Ingolstädter Familie Peringer und der Mün-
chener Familie Riedler, von denen um diese
Zeit Angehörige Klosterfrauen waren. Wir
haben es also offenbar mit einer Stiftung dieser
beiden Familien zu tun.
Die Komposition des reizenden Werkes deckt
sich vollkommen mit den uns schon bekannten ;
die Neuöttinger Gruppe ist sogar wortwört-
lich wiederholt, wie der oberflächlichste Ver-
gleich der einzelnen Faltenmotive belegt; sie
scheint die direkte Vorstudie zu dem Ingol-
städter Werk zu sein, nur daß bei diesem
alles mit mehr Hingebung und Liebe behan-
delt ist. Meine Annahme, daß jene im Jahre
1 5 1 1, dem Weihejahr der St. Annakirche ent-
standen ist, erhält durch die Datierung der
Ingolstädter Gruppe eine willkommene Be-
stätigung.
Und gegen dieses Werk halte man nun die
Feldkircher Sippe! Nach der bisherigen An-
nahme, die sich auf den Vertrag über den
Anna-Altar und das Beweinungsbild in Feldkirch
stützt, müßte sie zwischen 15 14 und 1521 ent-
standen sein. Wären diese beiden Werke
aber von einer Hand, so würde die Feldkircher
Sippe einen ganz wesentlichen Rückschritt
ebensowohl in dem persönlichen Können wie
in der allgemeinen Stilentwicklung des Mei-
sters bedeuten. Es genügt, daraufhinzuweisen,
wie an Stelle der luftigen, weiten und vollen
Falten der Ingolstädter und Neuöttinger Gruppe
sich in Feldkirch der StofIschwer,wie vom Regen
durchnäßt, an die Körper klebt. Unmöglich
konnte sich der Stil eines und desselben Meisters
in so kurzer Zeit so grundsätzlich verändern.
^) Das Relief stein in der Klausur und war mir da-
durcli bis jetzt entgangen.
©^ WOLF HUBHR UND DER DOXAUSTIL >^ö
71
A\'ir haben es demnach mit zwei verschie-
denen Meistern zu tun. Der eine derselben
saß vermutlich in Feldkirch selbst ; mit Sicher-
heit läßt sich sein Wohnsitz aber nicht nach-
weisen, da zurzeit genügendes \'ergleichs-
material fehlt (S. 74). Der andere dagegen
hatte seinen geschlossenen Wirkungskreis in
Altbavern, besonders im Gebiete des Innes
nächst die von Richard HofFmann in seinem
außerordentlich verdienstvollen Kataloge »Die
Kunstaltertümer im erzbischöflichen Klerikal-
seminar zu Freising« dem Meister zugeschrie-
benen Statuen eines hl. Stephanus (Nr. 131),
die kleinen Gruppen einer hl. Anna selbdritt
(Nr. 121) und einer hl. Sippe (Nr. 130), ferner
die Reliefgruppe einer Krönung Mariä(Nr. 139)
HL. ANNA SELBDRITT
Im Kloster GnadeHtal 2» Ingolstadt. Text S. 6g
und der Rott. Sein Hauptwerk sind neben
der eben betrachteten, reizenden Anna
selbdrittGruppe in Kloster Gnadental die
Prachttüren der Stiftskirche in Altötting.
Urkundliche Belege nennen uns für das
diesen Türen am nächsten stehende und
bedeutendste Schnitzwerk der gleichen Kirche
den Meister Matthäus Kreniß, den icii trotz
\'oß in die ihm meines Frachtens gebühren-
den Rechte wieder einzusetzen mich ver-
pflichtet fühle.
In diesem Zusammenhange sei kurz nocli
auf eine Anzahl Bildwerke hingewiesen, die
auf Grund ihres stilistischen Gepräges sicli
ohne weiters als Arbeiten des Matthäus Kreniß
zu erkennen geben. Es zählen hieher zu-
und schließlich die reizende, lebendig bewegte
Statue eines Salvators. Das stattlichste Werk
des Meisters erkenne ich in der großen Kreu-
zigungsgruppe an der Westtassade der Pfarr-
kirche in Tittmoning, die in der Behandlung
des Christuskörpers von einer Wahrhaftigkeit
und Hingebung zeugt, wie kein zweites Werk
des Künstlers. Nirgends etwas von Über-
treibung, in die namentlich die Malerei jener
Zeit gerne verfällt, sondern überall Mäßigung
und so auch das Antlitz nicht im körperlichen
Schmerze verzerrt, sondern im seelischen Leide
still verklärt. Mit dem Ernst der Aufgabe wuchs
hier der Ernst des Schatfens und führte des
Meisters Kunst zu der iiir möglichen höchsten
Vollendung.
72
©^ WOLF HUBER UND DER DONAUSTIL J-^a
HL. ANNA SELBDRITT
ziskoCarnUmiw in Linz.
Tt-.xt nel>e7tsieiiend
Neben diesem Werk nimmt als eine Ar-
beit iihnliclier künstlerischer Gewissenhaftig-
keit die Statue einer hl. Äbtissin (Walburg?
Abb. S 73) in der Sammlung Wilhelm Gum-
precht in Berlin einen hervorragenden Platz
ein. Eine gewisse Ruhe in der Haltung und
Mäßigung in der Gewandbehandlung laßt mich
aber nicht ganz des Zweifels entraten, ob wir
es bei diesem schlichtgroßen Werke mit einer
eigenhändigen Arbeit des Meisters zu tun
haben. Sehr fein bewegte Figürchen seiner
Hand sind unzweifelhaft die Statuetten zweier
weiblichen Heiligen im Kaiser Friedrich-Mu-
seum in Berlin. Eine schöne Gruppe der An-
betung der Könige, aus fünf vollrund ge-
schnitzten Figuren bestehend, ging aus der
Sammlung G. A. Leinhaas in den Handel über
(Abb. Jg. IV, S. 130). Von größeren Arbeiten
seien schließlich noch zwei prächtige Sitz-
statuen eines hl. Nikolaus und eines hl. Ste-
phanus (Abb. S. 74 und 75) bei Dr. Oertel in
München erwähnt, welche bereits den vollen
Umschlag des Faltenstils in das Barocke
zeigen, wie er uns schon an dem
hl. Wolfgang in St. Veit bei Neumarkt
a. R. und an dem hl. Antonius im
Bayerischen Nationalmuseum begegnet
ist. (Vgl. Bd.I dieser Zeitschrift, S. 128
und 136.)
Ein feines kleinplastisches Werk des
Meisters besitzt neben einigen hand-
werklichen Arbeiten seiner Hand das
Landesmuseum in Linz in der Statuette
einer hl. Anna selbdritt (Abb. nebenan).
Sie scheint in direktem Anschluß an die
von uns in Band I, S. 132, abgebildete
Annastatue entstanden zu sein, übertrifft
diese aber wesentlich in der Feinheit der
Ausführung. Bezüglich einiger Epita-
phien des Meisters verweise ich auf
meine demnächst erscheinenden »Stu-
dien zur Grabplastik Altbayerns der
Inn- und Salzachgegend«.
Es bleibt nun zunächst noch die
Frage zu erledigen, ob wir den Schöpfer
des Feldkircher Sippenreliefs »Huber :
heißen und in ihm einen Bruder des
Malers Wolf Huber erblicken dürfen.
Voß stützt sich für seine Behauptung
auf die Pruggersche Chronik von Feld-
kirch vom Jahre 1685, in der es heißt:
Sonsten hat mehr besagte Brueder-
schalt neben schönen Kirchenschatz,
Ornat und Zinß-Fählen auch einen über-
auß kunstlichen Altar, welchen drey
Brueder, als ein Schreiner, Bildhawer,
vnd Mahler also außgearbeitet haben,
daß es ein Frewd zu sehen ist, dann ein Kunst
mit der anderen vmb das Lob streittet, möcht
doch das Gemahl praevalieren vnnd den Vorzug
gewinnen.') Der Name »Huber •: wird nicht ge-
nannt. Ich glaube nicht, daß dieser recht
wie eine Schwätzerei anmutenden Notiz ein
authentischer Wert zukommt. Das 17. und
18. Jahrhundert waren in solchen Nachrichten
wenig skrupelhaft, und man weiß, wie vor-
sichtig derartige »Historien« nachgeprüft wer-
den müssen. Prugger, dem übrigens mehrfach
Unrichtigkeiten (s. u. Merkle-Weizenegger, Vor-
arlberg) nachgewiesen werden, scheint sich
bei seinen Kunstnachrichten vielfach auf Buce-
linus^) zu stützen. Hier aber hat er aus Eige-
') Johann Georg Prugger, Veldkirch. Das ist Histo-
rische Beschreibung der Statt Veldl<irch. 16S5.S. 75.
'^) RhätiaEthrusca, Romana, GaUica, Germanica . . . sacra
et profana topo- chrono -stemmatographica descripta per
R. P. F. Gabrieleni Bucehnum Priorem St. loannis Bap-
tistae in Veldtkirch. Augustae Vindelicorum MDCLXVI,
S. 10.
c:®< WOLF HÜBER UXD DHR DONAUSTIL >^a
nem dazu gegeben, denn Bucelinuswciß nichts
von diesem brüderlichen Künstlerkleeblatt. Er
schreibt aber mit einem lür seine Zeit nicht
zu unterschätzenden Kennerblick: »ara dein
St. Annae cuius alae seu valvae acmula et
coena discipuli Dureriani manu depictae nemini
non admirationisunt;«. Bucelinus, der bekannte
Genealog und \'erfasser zahlloser Geschichts-
werke, war Historiker von Fach und verdient
als solcher ungleich mehr Glaubwürdigkeit als
Prugger. Schon daß er dreißig Jahre lang
dem Konvent von St. Johann in Feldkirch als
Prior vorstand, ') läßt erwarten, daß er mit
den Kunstschätzen der Stadt vertraut war, und
wenn uns die Feldkirch -Weingartner Akten
von 1696 berichten, daß die Gemälde des
Priorats Feldkirch, unter denen sich angeb-
lich zwei van Dyck, ein Kaspar de Crayer,
Albrecht Dürer u. a. befunden haben, dem
»Bucelin persönlich und zwar seiner Verdienste
wegen von Kaisern, Königen und Fürsten
verehrt worden seien', dart man doch wohl
den Schluß ziehen, daß diese Geschenke der
Kunstliebhaberei des Empfängers entgegen-
kommen sollten. Und dieser Mann, der in
den Flügeln des Anna-Altars die nachahmende
Hand eines Dürerschülers sieht, wäre in Un-
kenntnis eines Meisternamens an einer so origi-
') Allgemeine deutsche Biographie III (1876), S. .162.
HEILIGE ÄBTISSIN
Dtlail zur Aiii/Jnnf nri
neuen Nach-
richt achtlos
vorüberge-
gangen?! Bu-
celinus kennt
nicht einmal
mehr den Na-
men Huber,
und zwanzig
Jahre nach-
her will man
wissen, daß
drei Brüder
den Altar ge-
fertigt haben.
Wie unwahr-
scheinlich das
doch klingt!
Schließlich
bleibt als die
ungetrübteste
Quelle für
den Altar die
Notiz bei
Merkle, die
wir zur Klä-
rung der Fra-
ge über den
Bildhauer
Huber und
über den Feld-
kircher Altar
selbst voll-
ständig wiedergeben :2) »In dem städtischen
Archive liegt ein Verdingd-Werckh, nach wel-
chem die Mitglieder der St. Anna-Bruderschaft
einen Altar verfertigen ließen, der im fahre 1515
dem Meister Wolfgang Hueber von \'cldkürch,
jetzt wohnhaft zue Passaw, übertragen wurde.
Die Bestandteile von geschnitzten und ver-
silberten Bildern sind genau angegeben, so-
wie auch die : Mahlereien« der Flügeltüren, mit
welchen die Bilder verschlossen werden konn-
ten ; dabei wird ausdrücklich bemerkt, daß
Hueber alles mit eigener Hand und mit guten
Ölfarben malen solle, die Schnitzarbeit aber
durch andere Künstler verfertigen lasse. Die
Kreuzabnahme, welche ehemals die Rückseite
des Altares bildete, kommt zwar nicht nament-
lich in dem Akkorde vor, führt aber das Mono-
gramm W. H. 1521, das ofienbar den genann-
ten Maler anzeigt. «3)
=) M. Merkle, Notizen über Feldkirch, Innsbruck 1853,
S. 50—2". Von Wilh. Schmidt zuerst verwertet im Ue-
pertorium für Kunstwissenschaft XVI (1S95), S. 1.(8.
3) Die Stelle fast genau wiederholt in M. Merkle-
Weizenepger, Vorarlberg II (1859), S. 171, wo es heißt:
.... Flügeltüren, mit welchen der .Mtar geschlossen und
vor Staub bewahrt wurde
HEILIGE .\BTiSSIN
i/fawA' Ciiiiif recht in Berlin. Tixt S. 71
Die chiUtlicho Kuntt.
EX^ WOLF HUBI-.R UXD Dl-R DOXAUSTIL ?^Ö
HEILIGER STEPHANL'S
Im Ilcsitsc v,>,i Dr. 0,-rt,l in Miinclien. Text S.
Also ;iuch hier ist von keinem »Bildhauer
Huher : die Rede, und nach Voß soll dieser
als der ältere Bruder sogar »vermutlich an-
fangs die Leitung der Werkstätte in Händen-:
gehabt haben. In dem »Verdingd Werk« stand
aller Wahrscheii.lichkeit nach nicht eine Silbe
von drei Künstli^rbrüdcrn. Wir haben also
ullen Grund, der erst 170 Jahre nach der
Stiftung des Altars auftauchenden Erzählung
Pruggers, »der sich keinem Historico oder Ge-
schichtsschreiber« — sagen wir wie Bucelinus
— »zu vergleichen« wagt, mit größtem Miß-
trauen zu begegnen. Auf keinen Fall aber
darf man so ohne weiteres, wie das Voß und
Stiaßny') getan haben, eine auf urkundlichem
Material basierende Nachricht mit einer zum
mindesten sehr fragwürdigen Legende ver-
quicken.
Ln Anschlüsse an das Feldkircher Sippcn-
0 Stiaßny, Die Donaumalerei im 16. Jahrhundert in
den Monatsheften für Kunstwissenschaft 1 (igoS), S. 423.
reliet spricht ^'oß noch ganz allge-
mein von »kleinerenFiguren s des zer-
teilten Beweinungsaltars — gemeint
ist der Anna-Altar — , schweigt sich
aber ganz darüber aus, welche er
im Auge hat. Der in diesem Zusam-
menhange wichtigsten plastischen
Arbeiten am gleichen Orte gedenkt
er nicht mit einem Wort ; es sind das
die holzgeschnitzten Figürchen der
Mannalese in der Bekrönung des
alten, 1509 errichteten und 1655 zu
einer Kanzel umgeänderten Sakra-
mentshäuscliens, die ebenso sicher
von der gleichen Hand wie das Sip-
penrelief herrühren, als sie sich von
den Arbeiten des Altöttinger Mei-
sters in Körperaufbau, Bewegungs-
motiven und Faltenstil grundsätz-
lich unterscheiden.') Das zur »Ver-
vollständigung des Werkes« des
angeblichen Meisters Huber von Voß
erwähnte Relief einer hl. Sippe —
richtiger muß es heißen Anna selb-
dritt — im Landesmuseum in Bre-
genz ist um etwa zwanzig Jahre
älter als die Arbeiten in Feldkirch
und Neuötting und rührt von ganz
anderer Hand her. 3)
Stiassny4) hat sich von der Voß-
sehen These des Bildschnitzers Hu-
ber bestechen und verführen lassen
und will dessen d. h. Kreniir Werk
noch zwei Arbeiten — eine hl. Sippe
und eine hl. Anna selbdritt — in der
Pfarrkirche in Puch bei Hallein an-
fügen. Welche Gründe ihn zu dieser merk-
würdigen Zuschreibung bestimmten, ist mir
schlechterdings unerfindlich. Wo haben wir
auch nur etwas annähernd Ahnliches unter den
Arbeiten des Altöttinger Meisters ? Ich überlasse
den Lesern den eingehenderen \'ergleich un-
^) Vielleiclu geliört dem iMcister von Feldlcirch'
noch eine Madonnenstatue (H. ca. 1,25 m) dort an. Von
den übrigen äheren Figuren der Kirclie lassen sich diesen
Arbeiten keine weiteren anreihen. Die kleine Anna selb-
dritt auf dem rechten Seitenaltar sowie die Rehefs der
hl. Barbara und Katharina auf dem linken Seitenaltar
stammen aus dem häide des 1 5. Jahrliunderts, die präch-
tige Madonnenstatue des Marienaltars aus der Zeit um
1.J50. Die Bestimmung einzelner kleiner Figürclien in
den neuen Bekrönungen der Altäre ist ungewiß.
i) Ich bemerke hier, daß die Figur eines hl, Bischofs
bei Julius Böhler, München, welche Voß wieder seinem
Huber zuschreibt (S. 220), eine Arbeit des Matthäus
Kreniß ist. Sie ersclieint Voß zusammengehörig» mit
zwei Gestalten hl. Biscliöfe in Freising; ich kann dieser
Anschauung nicht beipflichten, denn diese Figürchen
sind um weit mehr als die Hälfte kleiner als der hl. Bischof
hei Böhler.
4) Mon.itsliefte für Kunstwissenschaft! (1908), S. 421 tf.
e^ woi.i- hui5i:r und drr doxaustii. ms>
serer Abbildungen, namentlicli jener der Neu-
öttinger Gruppe (Abb. S. 69) und der Abbildung
S. 425 im Aufsatz Stiaßnys. Wo tinden sich auf
jener die unsäglicli langen mageren Gestal-
ten mit den kleinen Köpfen, die für die Gruppe
von Puch so charakteristisch sind ? Xach dem
noch durchaus spätgotischen, eckigen und
knitterigen Faltenwurf ist dieses Schnitzwerk
übrigens um wenigstens zehn Jahre älter als die
Xeuöttinger Gruppe. Das andere Schnitzwerk,
die hl. Sippe (Abb. a. a. O. S. 421) ist etwas
jünger; es mag um 15 10 entstanden sein,
wenigstens legt der um einiges bewegtere
Faltenstil diese Vermutung nahe. Die Typen
und Gesten wirken dagegen etwas altertüm-
licher. Eins aber erscheint mir ganz zweifel-
los, daß die beiden Werke zwei verschiedenen
Händen entstammen. Es genügt, die
Körperverhältnisse einander gegen-
überzuhalten; bei der hl. Arna selb-
drittdie langen hageren Gestalten und
die zu kleinen Kopte auf schlankem
Hals, bei der hl. Sippe die untersetzten
Figuren mit den breiten Köpfen, die
fast halslos auf den Schultern auf-
sitzen. Solche Gegensätze dürften sich
kaum in einer und derselben künst-
lerischen Anschauung begegnen.
Beide Werke aber schließen auch in
ihrer ganzen Haltung, zumal in deni
wenig fortschrittlichen Faltencha-
rakter ebensosehr die Autorschaft des
Meisters Kreniß wie des angeblichen
Huber von Feldkirch aus. Aller Wahr-
scheinlichkeit nach saßen die Fer-
tiger der beiden Schnitzwerke nicht
weit von Puch, entweder in Salzburg
oder eher noch in Berchtesgaden. In
den Stil dieses Gebiets und ihrer
Zeit fügen sie sich zwanglos ein.
Warum also in die Ferne schwei-
fen?! Hiemit glaube ich die Frage
über den Schnitzer Huber undVoßens
Umtaufe des Meisters Matthias Kre-
niß auf dessen Namen endgültig er-
ledigt zu haben.
Wer mit der Bildschnitzerei Alt-
haycrns nur etwas mehr vertraut
ist, mußte die Hinfälligkeit der stil-
kritisch falsch und quellenmäßig
höchst zweifelhaft gestützten Be-
hauptung fast auf den ersten Blick
einsehen. Die ausführliche Darle-
gung des Gegenbeweises meiner-
seits galt auch weniger einer Ret-
tung des Matthäus Kreniß, als viel-
mehr dem Bestreben, das allmählich
sich klärende Bild der oberbaveri-
schen Plastik vor Trübungen und fremden
Zutaten zu bewahren.
Ich wende mich einem andern Punkte zu.
Die Wolf HuberForschung hat meines Er-
achtens bis jetzt versäumt, einmal der Frage
näher zu treten : Wie sah der St. Anna-Bruder-
schaftsaltar in Feldkirch denn eigentlich ur-
sprünglich aus? Nur Riggenbach versuchte
eine Lösung, ohne jedoch zu einem Resultat zu
kommen. Eine Untersuchung dieses Punktes er-
scheint mir aber mit Hinsicht auf das Wenige,
was wir von Huber wissen, wünschenswert,
umsomehr als die verschiedenen Stellen, die
die Fragetlüchtig streifen, die entgegengesetzte-
sten Anschauungen vertreten.
Dem Merkleschen .Abriß über das >.\'er-
Iltn.ICER XIKOLAIS
/m llftitz V0tt Dr. Ocrtet in MiiHchrn. Text S. ^J
76
©^ WOLF HUBF.R UXD DER DONAUSTIL m<2>
dingd Werckhr, von 1 5 1 5 und der Notiz bei
Bucelin kann man mit Sicherheit entnehmen,
daß es sich um einen Sclireinaltar handehe
mit geschnitzten Bildern und gemalten Flü-
geln, »mit welchen der Altar geschlossen und
vor Staub bewahrt wurde«. Danach stand
also im Schrein wohl eine geschnitzte Gruppe.
Voß, Riggenbach und Stiassny erblicken in
dem Bilde der Beweinung Christi von 1521
und dem Sippenreliet, sowie einigen Bruch-
stücken die letzten Reste des Altars.
Der Umstand, daß die im Jahre 1504 auf-
gerichtete St. Anna-Bruderschaft den Altar stif-
tete, läßt als das Nächstliegendste und Wahr-
scheinlichste annehmen, daß den Mittelpunkt
seines Bilderkreises St. Anna bildete. Die ersten
Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts waren ja auch
der Höhepunkt der Verehrung der Heiligen.
Schauen wir uns Annenaltäre jener Zeit
an, so finden wir als das geläufigste Schema:
in dem Schrein hezw. aut dem Hauptbild als
Mittelgruppe Anna, Maria und das Jesuskind,
Joseph und die drei Gatten der Anna, Salo-
mas, Kleophas und Joachim ; auf den Flügeln
die beiden andern Marien mit ihren Männern
Alpheus und Zebedäus und deren Kinder. So
sehen wir es z. B. auf Lukas Cranachs Tor-
gauer Fürstenaltar von 1509 ') im Städelschen
Institut. Treten noch Stifter oder Heilige hin-
zu, so nimmt die ganze hl. Sippschaft das
Mittelbild ein wie auf Wolf Trauts Artelshofer
Altar von 15 14 im Bayerischen Nationalmu-
seum oder auf Jan Scorels Frangipani-Altar in
Obervellach von 1520. An Stelle der Hei-
ligen kommen bisweilen auch noch biblische
Szenen aus dem Leben Annas und Joachims
vor, z. B. die Begegnung an der goldenen
Pforte. Der Bilderkreis der Flügel war dem-
nach ein sehr mannigfaltiger, so daß wir keine
bestimmten Schlüsse auf Wolf Hubers Male-
reien ziehen können. Möglich wäre es ja
immerhin, daß wir in den beiden Zeichnungen
der Verkündigung an Joachim von 15 14 Vor-
studien, wenn auch keine eigentlichen Skizzen,
für das x\ltar\verk hätten. Ich neige sehr
dieser Anschauung Riggenbachs (S. 57) zu und
betrachte sie keineswegs, wie Voß meint, als
»absolute Willkür« und ikonographisch unzu-
lässig.2) Warum sollte es nicht möglich sein,
daß Huber knapp vor Fertigung des Vertrags
von 15 15 sich schon mit einschlägigen Ar-
beiten beschäftigte und warum soll die Szene
ikonographisch nicht zu einem Anna -Altar
passen? Der »Beweinung Christi« würde sie
sich freilich schlecht angliedern. Davon später !
Im Schrein des Bruderschaftsaltars aber
thronte aller Wahrscheinlichkeit nach, wie es
dem Geist der Zeit und der Kirche entsprach
und wie es wohl auch die Stiftung direkt ver-
langte, die hl. Anna selbdritt. Voß erblickt in
dem Sippenreliet des neuen linken Seitenaltars in
Feldkirch den »Hauptanteil des Bildhauers am
alten Altare«. Ich suche diesen aber nicht in
dem nur für eine Predella angelegten Bild-
werk der hl. Sippe, sondern in einer großen
jetzt verschollenen Gruppe für den Altar-
sch rein. Eine Ann a-selbdritt-Darstellung könnte
dies aber kaum gewesen sein, wenn das er-
halten e Sippen relief wirklich zu dem An na- Altar
gehört hätte, denn eine solche Wiederholung
wäre eine der mittelalterlichen Kunst durchaus
ungewohnte Tautologie. St. Anna, die Titelhei-
lige des Altars, einzig in die Predella zu ver-
weisen, widerspricht anderseits der kirchlichen
Anschauung. Nach alledem erscheint es zum
mindesten sehr zweifelhaft, ob das Sippenreliet
von dem Anna -Bruderschafts-Altar herrührt.
Von Merkle haben sich Voß, Riggenbach
und Stiaßny die Anschauung zu eigen ge-
macht, daß Wolf Hubers Gemälde der Be-
weinung Christi von 1521 zu dem Anna-
bruderschaftsaltar gehört habe. Hierauf ist zu-
nächst zu erwidern, daß Merkle ausdrücklich
hervorhebt, daß das Bild nicht im Akkord
über den Altar erwähnt wird, wie ja über-
') Vgl. auch den kleinen ."Mtar in Bernried (Die
Kunstdenlimale Baverns I, S. 699) oder die beiden kleinen
Altäre (K.it. VI. Nr. 1329 und 1333) des Bayerischen
Nationalmuseums oder den Annenältar in Neuötting.
=) Monatshefte für Kunstwissenschaft I (1908), S.443.
©^ WOLF HUBHR UXD DER DOXAUSTIL »^?3
li;iupt nur von iMahlereien der Flügekhiiren«
die Rede ist. Wie würde aucii das elegisciie
Thema der Beweinung Christi in das im
wesenthchen docii heitere Ensemble der
Annalegende und hl. Sippe passen? Es fehlt
jede innere Berührung.
Ganz unhaltbar aber ist die Annalinie, daß
das Bild der Beweinung die Rückseite des
Schreines des Annabruderschafts -Altars ge-
bildet habe, wie es nach Merkles Vorgang
Riggenbach und Stiaßny behaupten. Der Altar
bestand um das
Jahr 1830, als
Merkle seine
Notizen nieder-
schrieb, kaum
mehr in sei-
ner ursprüng-
lichen Gestalt,
sonst hätte
Merkle wohl
mehr von ihm
als nur von der
Rückseite des-
selben zu re-
den gewußt.')
Es ist auch
nicht gut denk-
bar, daß einem
Werk von sol-
chen Qualitä-
ten wie Hubers
Beweinung
(Abb. S. 81),
aufdasderMei-
ster mit Stolz
inid Selbstbe-
wußtsein groß
sein Mono-
gramm setzte,
von Anfang an
ein so neben-
sächlicher untergeordneter Standort zuge-
dacht worden wäre. Ich wüßte kein ahn
liches Beispiel. Wo sonst Malereien aul
der Rückseite von Altarschreinen vorkom-
men, sind diese fast regelmäßig flüchtig und
von Gesellenhänden in Leimfarbe ausge-
führt. Übrigens befmden sich auf der Rück-
seite des Bildes noch Reste minderwertiger
Malereien, welche nicht als Hintergrunddekor
eines Schreines angesehen werden können.-)
') H;irtcnberger im »Archiv für Gcschiclite und Landes-
kunde Vorarlbergs« II (1905), S. 42, vermutet, daß der
Altar vor dem Jahre 1850 noch intakt gewesen und
erst damals gelegentlich einer unverständigen Keno-
vation der Flügel beraubt worden sei.
') Gütige .Mitteilung des k. k. Konservators G. Härten-
berger in Feldkirch.
Hieraus erhellt gleichfalls, daß die Beweinung
Christi die eigentliche Schauseite, d. h. ein
wirkliches Altarblatt gebildet hat. Dies
konnte aber nach seinem stofflichen Inhalt
nicht zu dem Annabruderschatts-Altar gehören.
\'oß wirft nun das Beweinungsbild Hubers,
eine gemalte Predella (s. u.) und das Sippen-
relief, ohne lange zu tragen wie, zu einem Altar
zusammen und mit einer kühnen Schwen-
kung heißt er den Altar, für den er die
Pruggersche Notiz über den Anna-Altar heran-
zieht, nicht
mehr Anna-
bruderschafts-
.\ltar«, son-
dern plötzlich
» Beweinungs-
altar« (S. 18 u.
205). So kur-
zerhand lassen
sich jedoch die
Tituli von Al-
tären nicht aus-
tauschen. Es
bleibt immer
eine seltene
Ausnahme, daß
man einmal
von der stren-
gen Konkor-
danz des Al-
tartitels und
derBildausstat-
tung des Altars
abwich. Erst
mit dem 17.
Jahrhundert ist
man hierin et-
was weniger
streng; doch
herrscht im-
mer noch die
alte Regel vor. Die X'erquickung des Anna-
Altars und eines Beweinungsaltarsist also durch
aus unzulässig. Wie man sich aber aus all den
formal und inhaltlich sich widerstrebenden
Teilen, Schnitzwerken und Malereien, einen
Altar ausgebaut zu denken hätte, kann ich
mir nicht vorstellen. Ich glaube vielmehr,
daß es sich um Reste von wenigstens zwei
Altären handelt.
Mit dem Bilde der Beweinung ist seit der
letzten Restauration der Altäre im Jahre 1878
zu einem Altar ein Gemälde als Predella ver-
einigt, welches das von zwei Engeln gehaltene
Schweiütuch des Herrn darstellt. (Abb. S. 79.)
Voß hat meines Erachtens mit vollem Recht
dieses Bild für Wolf Huber in Anspruch genom-
JL'NG CHRISTI
O^ WOLF HUBER UND DER DOXAUSTIL mo,
men ; Stiaßny lehnt es ohne Motivierung ab,
Riggenbach ebenfalls, weil Huber Dürersche
\'orbilder umzugestalten gepflogen hätte. Der
Zusammenhang des Bildes mit Dürers Stich
von 15 13 (B. 25) springt nun sofort in die
Augen, so daß man von mehr als nur von
einerfreien Benutzungdesselben(Voßlsprechen
kann, denn abgesehen davon, daß die beiden
Engel etwas auseinandergerückt und im Aus-
druck und Typus verändert wurden, deckt sich
sonst Falte um Fältchen mit dem graphischen
Vorbild. Freie Zutat ist die Landschaft.
Trotz der mehr zeichnerischen Art des Vor-
trags erkennt man im Kolorit deutlich die Be-
ziehungen zu der Beweinung Wolt Hubers.
Das Gewand des rechten Engels in seinem
schmutzigen Grün stimmt ganz zu den unte-
ren Gewandpartien des Nikodenius, das Rot
des linken Engels vollständig mit jenem des
hl. Johannes aut der Beweinung. Man ge
winnt aus dieser korrespondierenden Vertei-
lung der farbigen Dominanten unmittelbar
den Eindruck der Zusammengehörigkeit der
beiden Bilder. Echt huberisch ist die Ufer-
landschaft. Die hochgeschwungene Brücke,
die stille Bucht mit den blaugrauen Felsen
und den grünlichen Kastellen harmonieren
ganz mit der Anschauung Hubers. Gegenüber
der Landschaft auf dem Beweinungsbild, aut
der die tiefe Trauer und düstere Schwermut
des szenischen Vorgangs liegt, hält sich die
Landschaft auf der Vera-Ikon-Tafel in etwas
lichteren Tönen, wohl um den Eindruck des
Schwebens der Engel zu erhöhen. Daß Huber
in dieser Vedute die Schattenburg ob Feldkirch
lestgehalten hat, wie Voß behauptet, ist ein
Irrtum. Nicht eines der Gebäude hat auch nur
entfernte Ähnlichkeit mit dem alten Kastell
derMontfort. Das Bild ist jetztstellenweise über-
malt, namentlich wurde der Christuskopf, der
nach Merkle früher »durch andächtige Berüh-
rungsehr verdorben war«, durch spätere Zutaten
in seiner Ursprünglichkeit sehr beeinträchtigt.
Einer Restauration schreibe ich ferner noch den
flachen weichlichen, nichtssagenden Kopf des
linken Engels zu. Schon die steile Prohlstel-
lung spricht nicht für Huber; außerdem sind
die Haare und der Blattkranz in brutaler Deko-
rationsmanier autgesetzt, an der man genau
die gleiche Hand wiedererkennt, die mit brei-
ten derben Strichen Christi Haupt ausgebessert
hat. Wie ganz anders ist der Kopt des rechten
Engels mit den fliegenden Haaren und dem
schmerzlichen, wehmütigen Gesichtsausdruck
herausgearbeitet! Hier haben wir noch ein
unverfälschtes Stück Huber vor uns. Irre ich
nicht, so hat sich auch noch eine Vorstudie
zu diesem Kopf erhalten. (Abb. S. 78.) Es ist
eine Kreidezeichnung auf geröteltem Papier
in der Sammlung Graf Harrach in Wien, sig-
iiiertund datiertW.H. 1 522.') Voßgedenktihrer
als eines Beispiels überraschender Darstellung
maßloser Leidenschaft und bringt sie mit zwei
Kcipfen der Wiener Kreuzerhöhung in Be-
zieiiung. Ein weit engerer Zusammenhang
bestellt aber meines Erachtens mit dem Engel-
laipf der Predella. Der Kopf — »nach lechts
auhvärts blickend, mit schmerzlichem Aus-
druck wie zu einem Johannes unter dem Kreuz
gehörig« beschreibt ihn der'Fext der Albertina-
Publikation — paßt weit eher zu dem Schmerze
des Schweißtuchbildes als zu den rauhen Kriegs-
knechten der Kreuzerhöhung. Die knollige,
etwas von unten gesehene Nase, der dicke
Mund, die hervorquellenden Augen mit den
prononcierten Tränensäcken wiederholen
sich fast Strich für Strich. Dazu kommt
noch die Datierung mit der Jahrzahl 1522,
die darauf hinweist, daß die Predella sich
unmittelbar an die Beweinung Christi von
i;2i anschloß.
WOLF HUBKR
Saliuttlliitg HarfacJi
KOPFSTUDIH
') Handzeichiiuiigen alter Meister aus der Albertina,
Taf. 716. Diese Reprodiilitioii in dem Rötelcharakter des
Originals läßt die Betonung der breiten Kinnpartie rich-
tiger und dem Bilde ähnlicher erscheinen als die starlv
verkleinerte Abbildung hier und bei Voß.
©^ WOLF HUBER UND DF.R DOXAUSTIL »^a
79
WOLF HLBER
SCllWEISSTLXH CHRISTI
PredeüagfmiiUf in Ftldkirch. Text S. JS
Die Beschreibung des Beweinungsbildes bei
\'oß und Riggenbach fordert noch eine Berichti-
gung, die uns die stille, wortlose Wehmut
der Szene erst ganz erfassen lehrt. Voß läßt
.Magdalena träumerisch über das Geheimnis
dieses (d. h. Christi) Lebens und Sterbens sin-
nen , Riggenbacii glaubt, daß sie mit einer
Feder oder einem kleinen Messer Christus
in den Oberarm steche, um sich zu verge-
wissern, daß er tot sei. Beide irren; genaues
Zusehen zeigt deutlich, daß Magdalena mit
zager, zitternder Hand Balsam in die Wunde
des Herrn träufelt; Xikodemus — so dürfen
wir ja wohl die präciitige Rückenfigur nennen
— hält ihr das Salbengefäß. Nicht die stille
stumme Klage allein also ist es, zu der sich
die Freunde um den Toten scharten, sondern
der letzte schmerzliche Liebesdienst, die Sal-
bung. Tränenden Blickes scheinen aller Augen
dem aus der i'eder Magdalenas in die Wunde
träufelnden (Me zu folgen. Weiche Wehmut
und Scheu vor unlieber Berührung des teuren
Toten liegt auf allen Mienen. Es heißt Hubers
feines Empfinden erst ganz verstehen und der
Seele des Bildes erst ganz gerecht werden,
wenn man sich des dargestellten Moments
klar bewußt wird.')
Das Bild der Beweinung (Abb. S. 8 1) befindet
sich in einem alten Rahmen, in dessen Hohl-
kehlenlaibung einem Stammbaum ähnlich sich
Weinlaub mit Fropheten-Sitzfigürchen empor-
rankt. Das Bild schließt nach oben in zwei
nebeneinanderstehenden 1 lalbkreisbögen in der
Weise ab, daß in der Mitte ein Zwickel mit einem
in Gold gemalten Frührenaissance-Ornament
aufgespart ist. Der Rahmen folgt der eigen-
artigen Form des Bildes, von einigen minimalen
Schwankungen am Rande abgesehen ; es ist
kein Zweitel, daß beide füreinander geschaffen
sind. Angesichts der zierlichen Durchbildung
des Rahmens bestätigt sich aufs neue, daß
das Bild sicherlich niemals die Rückseite oder
Hinterwand des ursprünglichen Altars gebildet
■) Riggenbacii a.a.O., S. 50 und 52, führt als .analogen
für seine obener\v.ihnte Auffassung die I'redella des Alt-
mühldorfer .\ltars an. Es unterliegt jedoch auch hier
keinem Zweifel, daß es sich um die Vorbereitung zur
Salbuni; handelt, denn Magdalena halt in der einen
Hand die Büchse, in der andern deutlich erkennbar eine
weifle Feder. .Vbb. in den iKunsldenkmalen Bayerns c,
I. Tafel 255 und hier S. 65.
8o
^ms WOLF HUBER UND DER DONAUSTIL m^
hat, denn wem wiire es beigefallen, solch eine
teine Filigranarbeit den Blicken zu entziehen.
Auch das Bild mit dem Schweißtuch Christi
hat noch die alte Umrahmung. Sie ist un-
mittelbar auf die Holztafel des Bildes in den
Grund graviert und zeigt ausgesprochene Früh-
renaissancemotive. Nach dem Hauptbild dieses
Altars sind wir berechtigt, von einem ■, Bewei-
nungsaltar« Wolf Huhers zu sprechen, mit dem
jedoch der Anna-Bruderschafts-Altar grundsätz-
lich auseinander zu halten ist. Deshalb ist es
auch nicht angängig, wenn Voß schreibt: Wie
uns die alte Pruggersche Chronik berichtet,
haben den heute leider zerrissenen Bewei
nungsaltar zu Feldkirch drei Brüder »als ein
Schreiner, Bildhauer und Maler', ausgeführt.
Diese Notiz von Prugger wäre, wenn man
ihr überhaupt Wert beimessen will, ebenso
wie jene von Bucelin und Merkle einzig und
allein auf den Altar der St. Anna-Bruderschait
zu beziehen. Ich komme damit zu dem
Schlüsse, daß Wolf Huber für die Pfarrkirche
zu Feldkirch zwei Altäre gefertigt hat. Der
erste, der »St. Anna-Altart, verakkordiert im
]ahre 15 15, folgte in seiner Anlage noch der
gotischen Tradition. Es war ein Schreinaltar
mit gemalten FUigeln, von dessen Malereien
sich gar nichts erhalten hat. Ob die Predella
mit dem Sippenrelief von einem uns völlig un-
bekannten Meister der letzte Rest des Altars ist,
muß dahingestellt bleiben. Nach den Abmes-
sungen des Reliefs konnte der Altar nicht son-
derlich groß gewesen sein, und es müßte wun-
dernehmen, wenn sich seine Vollendung sechs
[ahre lang hingezogen hätte, wie man aus
dem Datum des Beweinungsbildes schließen
müßte.
Das zweite Werk ist der »Beweinungs-
altar.', von 1521 und 1522, der heute nicht
»leider zerrissen« ist, wie Voß sagt, sondern
dessen wichtigste Teile — Hauptbild und Pre-
della mit dem Schweißtuch — mit durchaus
richtigem Empfinden für den bildlichen Inhalt
zu dem früheren Ganzen wieder vereinigt wur-
den. Derbreite, nach innen abgeschrägte, reich-
geschnitzte Rahmen des Hauptbildes spricht
sehr für die Vermutung, daß der Altar keine
Flügel hatte, sondern sich auf die beiden Ge-
mälde beschränkte. Wir hätten dann in diesem
Altar schon eine Art Renaissancetypus, ähn-
lich jenem desingolstädter Altars von Melchior
Feselen aus dem gleichen Jahre 1522. Für
die weitere Huber-Forschung dürfte die Kon-
statierung zweier Altarwerke des Meisters nicht
ohne Wert sein.
* ... *
Noch ein paar Worte über »die Nachfolge
Hubers«. Voß wendet sich in der Hauptsache
dem Monogrammisten H. W. G. und Mel-
chior Feselen zu. Von ersterem kennen wir
nur drei Holzschnitte. Voß ist geneigt, ihm
auch das Gemälde einer Kreuztragung im Baye-
rischen Nationalmuseum (Kat. VIII Nr. 92) zu-
zuschreiben, zögert aber doch, lediglich auf
Grund der Holzschnitte, das Bild auf H.W. G zu
taufen. Man wird auch gut tun, diese Kombi-
nation völlig aufzugeben, denn wichtige stilisti-
sche Eigenheiten der Schnitte, z. B. die herab-
hängenden wedelartigen Zweige, fehlen auf dem
Gemälde ganz und gar. Bei den drei graphischen
Blättern übersieht aberVoß einen sehr wichtigen
Punkt vollständig, nämlich das Verhältnis des
Monogrammisten H. W. G. zu Virgil Solls,
dessen bekanntes Monogramm auf zweien der
Blätter — dem \erlorenen Sohn und der Hirsch-
jagd — angebracht ist. In beiden Fällen erkennt
man deutlich, wie der Zeichner den Platz für
das Monogramm V. S. aufgespart hat, während
das Monogramm H. W. G. einmal in das
Wasser, das andere Mal in das Gras un-
glücklich, unvermittelt und steif eingesetzt
wurde. Mit so wenig Geschmack hätte das
der Zeichner nie getan. Das große schöne
Blatt des Johannes auf Patmos, das nur die
Zeichen H. W. G. trägt, geht übrigens im
Landschaftlichen mit den beiden andern Blät-
tern und in der Gestalt des Johannes mit
früheren Arbeiten des Solls so gut zusammen,
daß man für dasselbe, wie auch schon Nagler
behauptet, eine Zeichnung von diesem Meister
als Vorlage annehmen darf.') Daß aber Solls
etwa der Formschneider gewesen wäre, ist
nach Art der Monogrammierung nicht anzu-
nehmen und durch nichts erwiesen. Die
Unterschrift auf dem Porträtstich des Virgil
Solls von Balthasar Jenichen kennt nur sein
moln, stechn, illuminieren, reißen, etzen und
visieren , sagt aber nichts vom Formschneiden.
Als erfindenden Künstler wird man nach alle-
dem den Monogrammisten H. W. G., den
»unmittelbaren Schüler Wolf Hubers«, wie
ihn Voß nennt, einstweilen ganz auf die
Seite stellen müssen.
Neben H. W. G. ist Melchior Feselen sehr
kurz, um nicht zu sagen sehr schlecht weg-
gekommen und doch wäre gerade er wegen
seiner Tätigkeit in Passau näherer Betrachtung
wert gewesen. Seine Belagerungen von Rom
und Alesia konnten ja schließlich im gegebenen
Zusammenhange übergangen werden, aber
nicht die anmutige Geburt Christi von 1524 im
Katharinenberg, die in ihrer Örtlichkeit und
■) Nagler, Die Monogrammisten 111 (1863), S. 719.
Vgl. zu der Hirschjagd auch F. H. Hofmann, Beiträge
zu Loy Hering in der .\ltbaverischen Mon.itsschrift V
(1905), S. 8.
C®« WOLF HURHR UND DER DONAUSTIL S^iü
8i
WOLF HLBER
BEWEISUKG CHRISTI (liii)
/« (/.-r Pfarrkirche zu Feldkirch. Text S. Jq
Stimmung zu einem Vergleiclie mit Ilubeis
fast gleichzeitiger Beweinung direkt heraus-
fordert.
Einen dcrwiciitigsten Meister aus dem Kreise
Hubers muß man in dem sogenannten Meister
von Mülildorf erbliclven, sclion desiialb, weil
wir ihn in seinen Arbeiten lokalisieren kön-
nen. Warum ihn Voß zusammenhanglos erst
in einem Anhang (Exkurs 1) behandelt, ist
schlechterdings nicht einzusehen.') Sein Haupt-
werk, der Altmühldorfcr Altar (Abb. S. 65 ), trägt
das verhältnismäßig frühe Datum 15 11, geht
'; Wie mir Voß w.ihrciui der Druclilcgung dieser
Zeilen mitteilt, entspracli er hierin einem Wunsche seines
Verlegers.
also mehr als zehn Jahre der Feldkircher Be-
weinung Hubers voraus und weist die engsten
Beziehungen zu dem jungen Cranach (Schleiß-
heimer Bild von 1503) auf, wie Wilhelm
Schmidt festgestellt und auch \'oß anerkannt
hat. 2) Ich habe schon früher dem gleichen
Meister ein kleines Epitaph für Anna von
Preysing, gest. 1527, in der Katharinenkirche
in Mühldorf zugeschrieben, das leider durch
neuerliche Ubermalung sehr viel von seinem
ursprünglichen, dem Altmühldorfer Altar völlig
') Die Kunstdenkmale des Königreichs Bayern, I
S. 2147 — 2149, und Wilhelm Schmidt in llelbin'gs Mo-
natsberichte III, S. 117.
Dl« christliche Kunst. V. j
82
©^ WOLF HUBRR UND DHR DONAUSTIL J^Q
JObEIll
entsprechenden Charakter eingebülit hat.')
Unabhängig von Wilhehn Schmidt habe ich
gleichfalls in dem Ptaffinger Stammbaum von
15 16 des Bayerischen Nationalmuseums (Kat.
VIII Nr. 77 a — c) ein Werk des Meisters von
Mühldorf erkannt. Ich vermute, daß dieses
Triptychon aus Schloß Salmanskirchen, dem
Sitze Pläffingers, stammt. Diese Provenienz
würde gleichfalls für die Entstehung des
Stammbaumes in Mühldorf sprechen. In die-
sem Zusammenhange gewinnt eine bisher
unberücksichtigte authentische Nachricht an
Wert. Eine Haushaltungsrechnung für Kur-
fürst Friedrich den Weisen von Sachsen von
15 13 sagt: II gülden vor ein gemaltes tüch-
linn ssant Johans des Zwelfpot vom maller
zu Müldorff kaufft vnd mein gned. Hern
bracht.-) Rechnungsführer war aber jedenfalls
'J Die Kunstdenkmale des Königreichs Bayern I,
S. 2141, 2148 und 2202.
^) Cornelius Gurlitt, Die Kunst unter Kurfürst Fried-
rich dem Weisen, 1S97, S. 50, woselbst noch ein wei-
terer hier einschlägiger Eintrag. Robert Brück, Friedrich
der Weise als Förderer der Kunst 1903, S. 120.
derin den Büchern häufig genannte und eben er-
wähnte kurfürstliche Rat Degen hartPfäffinger. 3)
Bei den engen stilistischen Beziehungen des
Mühldorfer Meisters zu dem jungen Cranach
ist es doppelt schmerzlich, seinen Namen
nicht zu kennen. Die Taufe Naglers auf
Wilhelm Beinholt, einen Mühldorfer Maler,
gest. 1521, dessen Grabstein von der Hand
des Matthäus Kreniß in der Pfarrkirche zu
Mühldorf steht, halte ich angesichts des
Mangels an Anknüpfungspunkten für unzu-
lässig, zumal für Mühldort aus jener Zeit noch
andere Meisternamen genannt werden.
Schließlich noch eine Berichtigung betrefts
des Altmühldorfer Altars. Riggenbach't) re-
produziert eine Notiz Stiaßnys, wonach dieser
Altar außer der Jahrzahl 15 1 1 das Monogramm
L S. B. trage. 5) Stiaßny folgte hier Sighart,
der das Monogramm J. S. FI. las und einen
lohann Sigmund Holbein annahm.^) All
diese Angaben basieren auf falscher Lesung.
Wie ichschonanandererStelle nachgewiesen,")
handelt es sich bei den betreffenden Zeichen
auf der Predella und auf dem Verspottungs-
bild des rechten Flügels, die man als J.S.H.
oder J. S. B. las, um nichts anderes als die
[ahrzahl 1511. Ein anderes Künstlerzeichen
konnte ich trotz mehrfacher genauer Unter-
suchung des Altars nicht finden.
In die nächste Nähe des Altmühldorfer
Altars scheint mir auch eine Predella mit einem
Gemälde der Beweinung Christi im Bayeri-
schen Nationalmuseum (Kat. VIII, Nr. 91) zu
gehören. Wilhelm Schmidt schrieb dieselbe
einst dem Mathias Grünewald zu.'^) Dagegen
scheint mir vor allem die Qualität zu sprechen.
Mit dem Altmühldorfer Meister verbindet das
Bild mehr das lebhafte Kolorit als die Typen;
der Kopf des bärtigen Mannes rechts gemahnt
übrigens etwas an den Joseph von Arimathäa
auf Hubers Feldkircher Beweinung. Eine feste
Zuschreibung der Predella an einen bestimmten
Meister scheint mir in Anbetracht der wenigen
Vergleichungspunkte nicht zulässig, man wird
es nur ganz allgemein der hier besprochenen
Bildergruppe zuweisen dürfen.
3) Ich möchte hier ein Mißverständnis Voßens richtig-
stellen. Das von ihm S. 201 erwähnte Tagebuch ist
nicht von Degenhart Ptai'hnger, sondern von dessen
kunstsinnigem Vetter Hans Herzlieimer verfaßt. Ich ge-
denke den wichtigsten Teil der Handschril't, die Reise bei-
der an den sächsischen Hof, demnächst zu veröffentlichen.
+) Riggenbach, a. a. O., S. 52.
5) Stiaßny, Eine Altdorfer-Biograpliie in der »Zeit-
schrift für bildende Kunst<. N. F. N. (1893), S. 238.
*") Sighart, Die mittelalterliche Kunst der Erzdiözese
München-Freysing, S. 173.
') Die Kunstdenkmale des Königreichs Bayern I,
S. 2142 und 2147 ff'
ä) Repertorium für Kunstwissenschaft XI (1888), S. 3 58.
C?^ WOLF HUBER UND DER DOXAUSTIL ?^<a
83
In nahem örtlichem und Schulzusamnienhang
steht zu dem Meister von Müiildorf schheßlich
eine Folge von nicht weniger als siebenund-
tünfzig Gemälden, die m. W. bisher unbe-
achtet geblieben sind, aber, obwohl von un-
gleichem Wert und von einer gewissen Hand-
werklichkeit, in einer Geschichte des Donau-
stils nicht umgangen werden dürfen. Sie
bekleiden die Außenwand der Gnadenkapelle
in Altötting und bilden in ihren Szenen
merkwürdiger Heilungen und Ereignisse ein
direktes Analogon zu dem Holzschnittwerk
der »Wunder von Maria Zell«. Sie sind um
1)20 entstanden, wurden aber mehrfach re-
staurieit. ') Trotzdem haben sie sich in den
landschaftlichen Partien gut erhalten und
zeigen stellenweise eine außerordentliche Reife
in derBehandlungderFernsicht und Stimmung.
Bilder, wie der Schiffbruch des Rentmeisters
Bernhardt \'orster bei Schärding oder die
Darstellung einer ähnlichen Katastrophe bei
.Moosburg, dann die Landschaften auf den
^'otivbildern des Peter Palbierer von Ried,
des Michel Schetmann von Leopolding oder
des Maurergesellen Wolfgang sind von aller-
größtem Interesse und gehen weit über das
gemeine Können der »Tuifelemaler : hinaus.
Das Figürliche ist schwächer und hat auch
mehr durch Ubermalungen gelitten. Nichts-
destoweniger bieten sich auch hier neue Auf-
schlüsse. Jedenfalls wird man den »Wundern
von Altötting", die nebenbei bemerkt eine
Fülle kulturgeschichtlicher Merkwürdigkeiten
namentlich auch auf medizinischem Gebiete
in sich schließen, für die Zukunft Beachtung
schenken müssen als der bedeutendsten Serie
von Malereien ihrer Zeit und besonders mit
Rücksicht auf den geringen Bestand an der-
artigen Werken im kirchlichen Bereiche Pas-
saus. — dem Sitze Wolf Hubers.
Noch ein Blick nach Feldkirch und Passau!
In Feldkirch haben sich keine weiteren Male-
reien erhalten, die zeitlich und stilistisch mit
Huber oder dessen Kreis in Berührung stehen.
\'oß erwähnt aber zwei Gemälde im Landes-
museum des nahen Bregcnz, die »mit ihren
weiten Landschaften, den klein gezeichneten,
oftmals zentralen Architekturen etc. einiger-
maßen wenigstens an die Wiener Allegorie
erinnern ; es fehlt aber an einleuchtender, stil-
kritischer Beziehung zu Huber«. Zur Beurtei-
lung der beiden, in trostlosem Zustande befind-
lichen Bilder möchte ich darauf hinweisen,
daß dieselben aus der Friedhofkirche in Feld-
kirch stammen, an eine gewisse Abhängigkeit
von Huberschen Werken also wohl gedacht
') Die Kunstdenkmale des Königreichs Bayern I,
S. 2405.
werden könnte, freilich nur ganz im allge-
meinen, denn die Bilder gehören schon der
Mitte des 16. Jahrhunderts an. Das eine der-
selben, das Epitaph mit der Auferweckung
des Lazarus, trägt übrigens die Bezeichnung:
M.F. .552.
Auch in Passau, Hubers langjährigem Wohn-
sitz, findet sich nicht em Bild mehr von seiner
Hand, doch hätten die beiden Huber-Forscher
gerade deshalb wohl einiger für die Ent-
wicklungsgeschichte des Donaustils recht in-
teressanter Bilder der bischöflichen Gemälde-
galerie dortselbst gedenken dürfen. Ich habe
hier namentlich ein etwas derb gemaltes Mar-
tyrium der hl. Ursula und die außerordentlich
sorgfältig durchgeführte Tafel eines hl. Hie-
ronymus — von Dürerschem Gepräge — in
der Landschaft, vom Jahre 1513 im Auge.
Das einzige Bild Hubers, das sich in Passau
nachweisen ließ, erwähnt das Suppleiuentum
Bruschianum Mndobonae 1692 S. 94 mit
den Worten: »Sigismund Rcisacher, Präpositus
monasterii S. Nicolai obiit 1540. Sepelitur
in sacello S. Ruperti, ubi insignis et tabula
addita, quam pinxitW'olfgangus Huber, Apelles
Germanicus. : Nach Zimmermanns Churba\e-
rischem geistlichem Kalender von 17 j6, S. 597,
stellte das auf Holz "emalte Bild ein > Besrähnis
EMIL JUSO (OSNABRCCK) TALFSTEIM
Aiiigr/iihrl für liir Hrrt yrtiikinhe zu Xcusladl
a. Doste. Text S. gj
©^ WOLF HUBIZR UND DER DONAUSTIL ^«3
Christiv. dar. 1756 war es noch vorhanden,
war aber »der besseren Konservierung wegen«
in einem Gastzimmer aufgehängt.')
Das Bild gilt als verschollen, jedenfalls ließ
es sich in Passau nicht mehr eruieren. Da-
gegen bin ich geneigt, es in einem Gemälde der
Grablegung in der Galerie des Stiftes Kloster-
neuburg wieder zu erkennen.^) Diese Grab-
legung Ghristi geht in der figürlichen Kompo-
sition unverkennbar auf den bekannten schönen
Stich Mantegnas (B. 3) zurück, der im Gegen-
sinne umgearbeitet wurde. 3) Alles aber wurde
verdeutscht, der wilde laute Schmerz erscheint
gedämpft, die Hast und Unruhe der Handlung
gemäßigt, die Szene durch die abgeschlossene
Landschaft stiller, intimer. Nur der weite
flatternde Mantel Josephs von Arimathäa ge-
mahnt noch an die bewegte Darstellung Man-
tegnas. Das Bild ist nicht gut erhalten und
zum Teil stark übermalt, immerhin glaube
ich noch genügend Anhaltspunkte gefunden zu
haben, um eine Zuweisung an Huber nicht lür
gewagt erscheinen zu lassen. So sehe ich
in dem phantastisch vom Mantel umhüllten
Kopfe Josephs große Ähnlichkeit mit jenen)
der Feldkircher Beweinung, bei dem zur Klage
geöffneten Munde des Johannes mit den dicken,
stark betonten Lippen denkt man unmittelbar
an die vor Maria knieende männliche Figur
auf der Wiener Kreuzerhöliung oder den reich
gepanzeiten Krieger desselben Bildes. Aucl;
iür den Nikodemus und die trauernden Frauen
bieten die bekannten Bilder Hubers, nament-
lich die Beweinung, geeignete Analogien. Eben-
so widerspricht nicht das Kolorit meiner Ver-
mutung, zeigt vielmehr in dem blauweißen
Mantel Mariens und dem orangegelben Ge-
wand des hl. Johannes engste Beziehungen
zu diesem Meister. Die Veränderung der
Landschalt des Italieners, die an Stelle des
auf klagenden Weibes einen Felsendurchblick
mit einem Walde gibt, scheint mir ebenfalls
für Huber sehr wohl denkbar. Das Bild hat
das etwas ungewöhnliche Format von 88 cm
Höhe zu 80 cm Breite, ist, wie es auch von dem
verschollenen Passauer »Begräbnis« heißt, auf
Holz gemalt und wird in dem Katalog als in
der »Art der Regensburgischen Meister« be-
zeichnet. In der Mache, die sich übrifjens
') Riggenbach a. a, O., S. 9.
=J Die Scliatzliammer und die Kunstsammhmg im
Augustiner Chorherrnstifte Klosterneuburg. Wien 1889,
S. 192, Nr, 47.
3) C. Dre.\ier u. C. List, Tafelbilder aus dem Museum
des Stiftes Klosterneuburg, ca. 1901, Taf. XXXI. In
beiden eben erwähnten Werken wird nur eine Ähnlich-
keit des Johannes mit jenem auf Mantegnas Stich (B. 5)
erkannt. Es ist jedoch die Benützung der ganzen Kom-
position unverkennbar.
der Übei'malungen halber nicht überall mit
Sicherheit nachprüfen läßt, scheint es nicht
auf der Höhe der anderen Werke Hubers
gestanden zu haben; das dürfte aber bei einem
Epitaph nicht sonderlich wundernehmen.4) Er-
weist sich die Zuweisung der Klosterneuburger
Grablegung als berechtigt, so würde diese
Tafel mit Hinblick auf die direkte Verwertung
einer Komposition Mantegnas für Hubers
Kunst und Schaffen besonderer Beachtung
wert sein.
Noch iristet manch Bild, das in der Ent-
wicklungsgeschichte des Donaustils einen her-
vorragenden Platz beanspruchen darf, in den
Kirchen und Klostergalerien des Donauge-
bietes ein verschwiegenes Dasein. Welch
erstaunliche Behandlung des Landschaftlichen,
welche \'ertiefung des Raumes entfaltet, um
nur eines noch zu nennen, das Votivbildnis
des Bischofs Ulrich von Passau vom Jahre 1497,
mit dem entzückenden Ausblick auf die Drei-
flüssestadt, in Stift Herzogenburg! 5) Auch des
Porträts eines Mannes von 1 502 ebendort mag
noch flüchtig gedacht werden.
Man wird, glaube ich, sehr wohl bei diesem
Thema trotz Voß ohne Fächer auskommen kön-
nen, wenn man das nächstliegende Material ein-
mal genauer kennen und über die Lebensge-
schichten der einzelnen Kunstwerke, zumal
jener, die von ihrem ursprünglichen Stand- und
Lntstehungsorte in Galerien und Museen ge-
wandert sind, zuverlässiger unterrichtet sein
wird. Aber nicht allein die Werke wird man zu
sich sprechen lassen dürfen, sondern, wenn ir-
gend tunlich, auch die schriftlichen Urkunden.
So läßt sich z. B. um das Jahr 1530 ein Meister
Wolfgang als Maler in Stein an der Donau
urkundlich nachweisen. Ob er mit Wolf Huber
identisch ist, erscheint luir noch fraglich, denn
dieser saß aller Wahrscheinlichkeit nach bis zu
seinem Tode in Passau. Dortwenigstens starb er
Anfang Juli 1553.'') Wir haben also der bisher
nur bis zum Jahre 15-12 oder 1544 angenom-
menen Tätigkeit des Altdorfer zunächststehen-
den >.'Donaumalers'< noch mehr als zehn Jahre
zuzulegen. Und deshalb heißt es noch rege
Ausschau nach weiteren Werken seiner Hand
lialten-
^) D. Hans Renn in Stift Klosterneuburg bestätigt
durch neuerliche Untersuchung meine Vermutung, daß
der untere Teil der Tafel, also wohl die Legende, ab-
gesägt worden ist. Über die Provenienz des Gemäldes
ließ sich nichts ermitteln.
5) Auf dieses interessante Votivgemälde haben zu-
erst J. Heider und J. V. Häufler im Archiv für Kunde
österreichischer Geschichtsquellen III (1850), 2. Band
S. 1 5 1, hingewiesen. Stiaßny a. a. O., S. 426.
') Über dieses bisher unbekannte Todesdatura Hubers
s. meine Notiz in den Monatsheften für Kunstwissen-
schaft I, Heft 12.
8s
KARL SCHADP:
«. STURM <a
86
'Sm KARL SCHADE iW2
KARL SCHADE
\'on ED. HAAS
Alle wahrhaft bedeutenden Geister haben ihre
Mission zu erfiillen und erfüllen sie in der
Tat frülier oder später. Das Genie und das
Talent sind keine Zufälligkeiten im Reiche der
die Menschheit fordernden Kräfte, sie haben
einen Grund, zu sein, und können daher nie
im Dunkel begraben bleiben, denn wenn die
Menge nicht zu ihnen kommt, so wissen sie
zur IVIenge zu kommen. Das Genie gleicht
der Sonne: sie wird von aller Welt bemerkt
— das Talent dem Diamanten, der lange ver-
borgen bleiben kann, am linde aber doch
immer von jemand entdeckt wird.
So Henry Murger in der Einleitung zu sei-
nem bekannten Buche Die Boheme«. la,
und warum bleibt denn so mancher Diamant
oft lange verborgen.' Weil er nach Mürber
KARL SCH.\DE
Z,i Kcl:nst.-hciuici„ Artikel
zur Klasse der unbekannten Boheme gehört,
zu der groi.V-n Familie armer Künstler, die vom
Verhängnis zum Inkognito verdammt sind, weil
sie nicht in die Oflentlichkeit zu dringen ver-
mögen, um ihre lixistenz in der Kunst zu be-
kunden und durch das, was sie bereits sind,
zu zeigen, was sie dereinst werden könnten.
Es ist dies das Geschlecht der hartnäckigen
Träumer, für welche die Kunst Herzenssache,
kein Handwerk ist, Enthusiasten, Idealisten. . .
Zu dieser Klasse von Künstlern gehörtauch
Karl Schade. 46 Jahre ist der Mann nun
alt, und doch sind wir kaum je in einer Kunst-
zeitschrift oder im Schaufenster einer Kunst-
handlung einer Reproduktion seiner Werke
begegnet. Freilich, wer so manchen Salon vor-
nehmer, besonders österreichischer Familien,
selbst bis in Fürstenkreise betreten könnte,
würde da zu seinem Erstaunen nicht wenige
Schades finden. Das ist nun einmal so seine
Art; um alles in der Welt kein Auf-
hebens, keinen Tamtam. Hübsch
bescheiden in einem stillen, trau-
lichen Winkel, und Meister Schade
ist's zufrieden. Wie mancher ge-
schäftseifriger, wohlmeinender
Verleger mußte da wieder unver-
richteter Dinge abziehen — nichts
zu machen, Freund Schade gibt
nichts heraus. Für Dreifarben-
drucke und dergleichen ist er nicht
zu haben. Einem Einsiedler gleich
\ergräbt er sich in irgend einem
gottverlassenen Nest, das aber
nicht Burghausen, Dachau oder
Worpswede heißt; am liebsten
wäre ihm überhaupt ein namen-
loses. Da sitzt er denn jahrelang
und malt und malt — Natur, nichts
als Natur. Die schönsten Fleck-
chen Erde nimmt er auf seiner
Leinwand mit; freilich nicht den
Golf von Neapel, nicht Venedig
oder Ragusa, nicht einmal ein
Stückchen Alpen weit — nur einen
simplen Hohlweg, dessen schnee-
bepolsterte steile Hänge schüch-
tern das zarte, weiche Mondlicht
streift, einen mit Neuschnee be-
deckten Hügelrücken, hinter dem
ein kleines, liebes Bauernhäus-
chen vorwitzig seinen weißen
Dachgiebel hervorstreckt, in der
oH'enbaren Absicht, nach dem
eben anbrechenden Tag auszu-
schauen, der in seinem schillern-
den Morgenduft so schön zu wer-
den verspricht. Blühende Kirsch-
ZWIELICHT
©S§<; KARL SCHADE »^33
87
KARL SCHADi;
BLICK IM DIE AU
bäume malt Schade, Kirschbäume, die ihr
schneeiges Weiß verschwenderisch, wie Frau
Holle, über ein strohbedachtes Bauernliüttclien
ausschütteln; grünende Kornfelder, die sich
im linden Maien winde wiegen; weite Aus-
blicke ins erntegesegnete Tal; düstere, ge-
witterschwangere, graue Regenwolken; ein
einsames, weltabgelegenes Heim im stillen
Abendfrieden — einen vergessenen Gottes-
acker mit eingeschneiten Kreuzen. Das sind
freilich keine Ausstellungsbildcr. Oder doch?
Als Schade vor zwei Jahren zum erstenmale
in der Wiener Secession eines seiner sciilichtcn
innigen Landschaftsbilder ausstellte, da war ge-
rade dieses eines von den wenigen, die eine an-
gesehene deutsche Kunstzeitschritt von dieser
Secessionsausstellung reproduzierte. Sobald er
sich einmal öffentlich gezeigt, hatte er aucii
schon seine Anhänger und Verehrer.
Karl Schade läßt sich nicht so leicht rubri-
zieren, als Mensch und als Künstler nicht;
das mag in seinem ganzen Wesen, in seiner
Entwicklung liegen. Von Jugend an ist er
einer von den Hinsamen , Stillverschwiege-
nen geworden, die ihre eigenen schmalen
Pl'ade gehen. Im Böhmerhind zu Rokvkau,
erblickte Karl Schade im Jahr 1862 als Erst-
geborener deutsch-böhmischer Eltern das Licht
der Welt. Drei Geschwister folgten ihm noch
nach. Der Vater, ein kleiner Bauunterneh-
mer beim Eisenbahnwesen, der unfreiwillig
das reinste Nomadenleben führen mußte, starb
bald, so wollte es nun einmal das Schicksal.
Der kleine Karl, der um .sein Leben gerne
Maler geworden wäre, auch schon bei einem
Volksschullehrer und später in der Bürger-
schule zu Ealkenau zeichnen durfte, sollte sich
nicht lange dieses Glückes erfreuen. Frau
Sorge klopfte an die Türe. Der lü-stgeborene
braciite der Mutter ein Opfer, er wurde Kadett
in Prag. Doch, Mutteraugen sind nicht blind.
Bald finden wir den opferfreudigen Jüngling
an der höheren Staatsgewerbeschule in Pilsen,
wohin ihn Mütterchen geschickt. \'ier Ge-
schwister, eine kranke Mutter. Schade wird
Unterlehrer an einer Volksschule. Den küm-
merlichen Nebenerwerb legt Mütterchen für-
sorglich aul die Seite, wer weiß, vielleicht
glückt es ihm doch, er malt ja in seinen
Mußestunden schon so tüchtig. Und richtig,
88
©^ KARL SCHADE — GRABDENKMAL S^G>
K. AKLKBEUG
bl.l'AIL \UX HIXEK GKAEI'LAIIE
Schade wird Schüler der Wiener Kunstgewer-
beschule bei Wasser und Brot und einer gei-
stigen Kost unter Minningerode, die dieser
last gleichkommt. Endlich winkt die Aka-
demie. Der Nebenerwerb reicht knapp auch
für Mutter und Brüder. Da, eine unselige Rip-
penfellentzündung. Kaum unter liebevoller
mütterlicher Pflege im Erzgebirge genesen, wird
Schade zur Fahne einberufen. Was half alles
Flehen der Mutter — der Erlöser Tod erbarmte
sich ihrer. Schade, der Unbeugsame, nahm
seine Studien wieder auf. Bald ging er von
der Akademie hinweg wieder hinaus in seine
geliebte, menschentremde, leine Natur, in der
er als Knabe schon viele Stunden einsam ge-
weilt. Er wurde sein eigener Lehrmeister in
jeglicher Beziehung. Selbst auf farbenchenii-
schem Gebiete betätigte er sich fortwahrend
als technischer Experimentator. Nicht allein,
daß er so seinen Bildern die denkbar möglichste
Dauer und den stärksten Widerstand gegen
alle atmosphärischen Einflüsse sichern wollte —
sie entstehen alle nicht in temperierter Atelier-
luftunterneutralemNordlicht, sondern draußen
in derNaturbei heißem, sommerlichemSonnen-
brand oder auch gar in bitterkalter, mondschein-
heller Winternacht — seinen Werken wohnt
eine außerordentliche Brillanz des Kolorits,
eine sieghafte, doch keineswegs aufdringliche,
sondern vielmehr einnehmend ruhig wirkende
Leuchtkraft inne. Äußerste Individualität
steckt in all seinen Werken.
Kann man da nicht auch von einer *un-
bekannten Boheme« reden? Anstatt sich der
weiten Welt, die in unserem mit Surrogaten
überfütterten Zeitalter förmlich nach echter,
wahrer Kunst lechzt, zu offenbaren, vergräbt
sich der Mann in seine Einsamkeit und tut,
als ob die Welt nicht existiere. Seine Werke,
die gleichsam mit seinem Herzblut geschrie-
ben wie Ozon in unserer dicken Stadtluft
wirken, wie Frühlingsduft, der durchs offene
Fenster im Maienmorgen ins Zimmer streicht,
verdienten es, mehr an die Öffentlichkeit zu
kommen. Am Ende wird das Talent doch im-
mer von jemand entdeckt, meint Murger zum
Tröste aller verborgenen Veilchen. Nun, der
Entdeckung braucht, wie wir ja gesehen, Karl
Schade nicht mehr zu harren, das Liciit brennt
schon lange, man muß es nur auf den Scheffel
stellen, damit es die Leute auch sehen, und
sehen sie's erst einmal, dann werden sie's auch
nicht erlöschen lassen. Und ist erst das erreicht,
dann sind diese Zeilen doch nicht umsonst
geschrieben (Abb. S. 85 — 87).
GRABDENKMAL
Am 6. August 1906 starb Ihre Kgl. Hoheit
die Prinzessin Mathilde von Bayern, Ge-
mahlin des Prinzen Ludwig von Sachsen-Ko-
burg, im Alter von 28 Jahren, allgemein innig
betrauert. Auf ihren Wunsch fand die hohe
Frau ihre letzte Ruhestätte in dem trauten und
reizvoll gelegenen Kirchlein zu Rieden bei
Leutstetten, unfern Starnberg. Ihr Leib harrt
vor dem Altare, vor dem sie oft in Andacht
gekniet, der seligen Auferstehung entgegen.
Dort erhielt sie nun ein Grabdenkmal, das
ebenso sinnig wie würdigund ergreiiendist. Auf
der schlichten Grabplatte, die sich nur wenig
über den Boden der Kirche erhebt, ruht die
Gestalt der Entschlafenen, in feierlich ernster
Lage, in schlichte Gewänder gehüllt. Zu
Häupten der Prinzessin sitzen zwei trauernde
Putten, die einen Kranz halten, eine rührende
Anspielung auf ihre beiden Kinder, die sie im
Tod verlassen mußte. Über dem Antlitz ist
heiliger Friede ausgegossen. Am Kopf- und
Fußende befinden sich Tafeln mit kurzen In-
schriften (Abb. S. 88 und 89).
Das vornehme Denkmalist ein Werk des Bild-
hauers K. Akerberg, der an der Akademie zu
München als Assistent Prof. Hildebrands wirkt.
Es ist in Untersberger Marmor ausgeführt.
Die christliche Kui
90
S?^ WEIHEGABE FÜR DIE DORMITIONSKIRCHE m<S>
WEIHEGABE FÜR DIE DORMI-
TIONSKIRCHE IN JERUSALEM
Die »Ausstellung München 1908« ist ge-
schlossen. Unter vielen erfreulichen Ein-
drücken derselben wird stets die Erinnerung
an die dort geschauten Erzeugnisse der Gold-
schmiede- und Metallkunst einer der erh-eu-
lichsten sein. Gerade in kirchlichem Kunst-
gerät war ja ebenso Originelles wie Gedie-
genes in ziemlich reicher Auswahl zu sehen.
Hier ist ein ganz allgemeiner Fortschritt in
Geschmack und Technik gar nicht zu ver-
kennen. Diese Zeitschrift wird sich denn
auch näher damit befassen.
Heute möchten wir nur das herrliche Weihe-
geschenk der Genossenschaft katholischer Edel-
leute in Bayern hervorheben, das aus der Hand
Fritz von Millers, eines Altmeisters der
Goldschmiedekunst Münchens, hervorging.
Das Geschenk ist bestimmt für die Dor-
mitionskirche in Jerusalem, welche sich aut
dem Grundstücke erhebt, das von einer alt-
ehrwürdigen Legende als Begräbnisplatz Ma-
riens bezeichnet wird (Dormitio S. Mariae) und
dessen Besitz die deutschen Katholiken einem
hochherzigen Akte des Deutschen Kaisers ver-
danken.
Nach den Planen des Architekten Renard
erbaut, ist diese Marienkirche, ähnlicli der
Aachener oktogonalen Pfalzkapelle Karls des
Großen, nun dem Abschluß nahe.
Zu ihrem Schmucke spendete auch die Ge-
nossenschaft katholischer Edelleute in Bayern
eine Votivgabe. Dieselbe ist nach den Verein-
barungen zwischen den Bestellern, Herrn Ar-
chitekten Renard und Professor Fritz von
Miller, gedacht als Lichtträger und Votiv-
tafel zum Schmuck des romanischen Eingangs-
bogens von dem Hauptraum in die erste ') der
sieben Kapellen, welche mit dem Chore das
Oktogon umgeben.
Renard hatte bei seinem Bau versucht,
-deutsche Motive mit den orientalischen Eigen-
tümlichkeiten zu verbinden . . .«, wenn auch
der Bau im ganzen romanische Formen tra-
gen sollte. In diesem Sinn ist auch der Stil des
originell gedachten Lichtträgers empfunden.
Die Grundfigur des frontalen Lichtträgers
ist ein breites Balkendreieck, von einem zur
Grundseite parallelen Balken überhöht. Die
Mitte des Dreiecks ist von einem Tatzenkreuz
ausgefüllt. Die breiten Balken dienen zur
Aufnahme von 60 Wappen von Familien des
') Diese erste Kapelle wird auf Anregung des hoch-
seligen Bischofs von Eichstätt, Freiherrn von Leonrod,
dem hl. Willibald geweiht sein, als dem ersten deut-
schen Bischöfe, welcher ins heilige Land gewallfahrtet.
katholischen Adels. Diese sind in köstlichem
Email auf Feinsilber hergestellt. Die Zwi-
schenräume und Ecken der Flächen sind mit
Bronzereliefs von Tauben, geflügelten Löwen,
Adlern und Greifen, reichglänzenden Halb-
edelsteinen und Kristallen, und feinen stets
wechselnden Filigranornamenten in natür-
lichem Kupfer ausgefüllt. Die sämtlichen
Wappen sind im K. Reichsheroldsamte revidiert
und nach Entwürfen von Professor Hupp aus-
geführt.
Krabben und Kristallknäufe zieren den Drei-
eckgiebel. Unten hängen in kräftig geschmie-
deten Metalh'ingen sieben etwas größere
Wappen, jene der Vorstandschaft nach dem
Stande von 1906.') Zwischen letzteren sehen wir
') Die Wappen und die rückseitig entsprechenden
Inschriften sind mit .\usnahme des ersten lediglich nach
künstlerischen Rücksichten angeordnet, aus demselben
Grunde erscheinen zumeist die Urwappen.
Das Schema der Verteilung ist folgendes :
I. Dr. Franz Leopold Freiherr von Leonrod, Bischof
von Eichstätt. — 2. Emmerich und Ma.K Grafen von Arco-
Vallev. — 3. Ferdinand, Joseph, Max und Nikolaus Grafen
Arco-Zinneberg. — 4. Eckart und Hermann Freiherren von
von und zu Aufseß. — 5. Philipp Prinz und Herzog
zu Arenberg. — 6. Anton, Dr. Heinrich, Karl 1 und
Karl II Freiherren von Aretin. — 7. Klemens Freiherr
von Thünefeld. — 8. Friedrich Balduin und Friedrich
Freiherren von Gagern. — 9- Hans Karl und Moriz
Freiherren von und zu Franckenstein. — 10. Joseph
und Robert Grafen von Deym, Freiherren von Stfitei.
— II. Maximilian und Wilhelm Freiherren von Getto.
— 12. Albert, Konrad, Richard, Warniund Grafen von
Preysing-Lichtenegg-Moos (Kronwinkel)- — 13. Max Frei-
herr von Pfetten-Raraspau. — 14. Max Graf von Preysing-
Lichtenegg (Schlachtegg). — 15. Karl Freiherr von Frey-
bergletzendorf — 16. Georg Graf Fugger zu Kirchberg
und von Weißenhorn. — 17. Max Freiherr von Krämer.
— 18. Dr. Karl August Graf von Drechsel auf Deufstetten.
— 19. Max Emanuel und Wilhelm Grafen von Preysing-
Lichtenegg-Moos (Moos). — 20. Sigmund Freiherr von
Pfetten-Arnbach. — 21. Bertram Fürst von duadt zu
Wvkradt undlsny. — 22. Emanuel, Rudolph und Theodor
Grafen von Basseiet de La Rosee. — 25. Dr. Georg und
Karl Freiherren von Hertling. — 24. Dietrich Freiherr von
Laßberg. — 25. Robert Freiherr von Gumppenberg-
Peuerbach. — • 26. Hans Georg Freiherr von Gumppen-
berg-Pöttmes- Oberbrennberg. — 2.7. Alfons Graf von
Mirbach- Geldern -Egmont. — 28. Dr. Max, Karl Alfred
und Joseph Maria Freiherren von Soden -Fraunhofen.
f5^ WEIHEGABE FÜR DIE DORMITIOXSKIRCHE
FKllY VON MlLLtK
Wi-ilifg,tif für dit Dormitioinkirchc in Jt,-
Text S. go
Gehänge, welche an den Schmuck byzanti-
nischer Kronen erinnern. Der obere Balisen
trägt die sechs vollmodellierten, je paarweise
variierten icurzen Leuchter. Das Ganze bildet
so den glänzenden Rahmen für das wiederum
— 29. Arthur und Friedricli Karl Grafen von Schönborn-
Wiesentheid. — 50, Ludwig, Hugo, Otto, Ma.\ Grafen
von Lerchenleid- Köfering. — 31. Erwein Fürst von der
Leyen und zu Hohcngeroldseck. — 32. Kepomuk Freiherr
von Imhof. — 33. Otto Freiherr von Hirschberg. —
34. Max und Dr. Oskar Freiherren Lochner von Hütten-
bach. — 3 5- Alfred Freiherr von I-revbcrg-Haldcnwang.
— 36 Karl Krnst Graf Fugger von Glö'tt. — 57. l'erdinand
Graf von Hompesch. — 5,S. Ferdinand Freiherr von
Schrottenberg. — 3g. Konrad Freiherr Malsen von Til-
borch. — 40. Karl Theodor Graf von und zu Sandizell.
— 4 I. Dr Heinrich und Ferdinand Freiherren von Papius.
— .(2. Albrecht Fürst zu Oettingen- Spielberg. — 43. Karl
Fürst zu Oettingen-Wallerstein. — 4.1. Eduard deGarnerin
Graf von .Montgchis. — 45. Alexander und Dr. Ferdinand
Freiherren von Moreau. — 46. Dr. Sigmund Felix Frei-
herr von 0\v- Felldorf, Bischof von Passau und Anton
Freiherr von Ow- Felldorf. — 47. Stephan Freiherr
Gnessenbeck von Griessenbach. — 48 Heimann Freiherr
Reichlin von Meldegg. — 49. Friedrich Freiherr von Bodeck-
reich mit Steinen und Kristallkugeln ge-
schmückte Kreuz, auf dessen Mitte sich ein
hoheitvolles Madonnenrelief betindct.
Es ist das Motiv der Patrona Bavariae, der
Schirmherrin der Genossenschaft: Maria auf
Ellgau. — 50. Max Freiherr Taenzl von 'Frazberg. —
5 1 . Albrecht und Karl Grafen von Seinsheim-Sünchitig. —
S_2. Bernhard Graf von Spreti-Hohen-Pachl, Karl Graf von
Spreti-Weilbach, Theodor und Adolph (trafen von Spreti-
Kapfing.- 53. Adolph Graf von Walderdorff. — 54.0110
Graf von Rechberg und Rothenlöwen (Donzdorf 1, Ernst
und Bernhard Bero Grafen von Rechberg und Rothen-
löwen (Ellkofen). — 55. Hugo, Dr. Franz, Leopold und
W'ilderich Leopold Grafen von Walderdorff. — 56. Hugo
Graf von OberndorlT. — 57. Richard und Theod'er
Freiherren von N'equel-Westernach. — 58. Ludwig Frei-
herr von ZuRhein. — 59. Wilhelm Fürst von W.aldburg-
Zeil-Trauchburg. — 60. Erhard Freiherr von Perfall.
Die Tniger der sieben Wappen des Vorstandes sind :
I . Hans Karl Freiherr von und zu Franckenstein. — 2. Ema-
nuel Graf Basselct de La Rosee. — 3. Sigmund Freiherr
von Pfeilen -.Vrnbach. — 4. Ludwig Graf von Lerchenfeld-
Köfering. — 5. Dr. Georg Freiherr von Heriling. —
6. Dr. Max Freiherr von Soden - Fraunhofen. — 7. Dr. Hein-
rich Freiherr von Aretin.
92
CJ^ WEIHEGABE FÜR DIE DORMITIONSKIRCHE J^ö
PAUL SIEGWART (AARAU)
KIRCHE U. PFARRHAUS IN MEKZII'
HiiJit. Text S. gs
der Mondsicliel hält das segnende jesuskind-
lein im Schöße. In den Winkeln am oberen
Kreuzbalken sind noch zwei Engel, darüber
die Schrift »Ave Maria« angebracht.
Das Werk ist mit unendlicher Liebe für
die kleinste Einzelnheit ausgedacht und aus-
geführt. Der Reiz des wechselnden Metalls,
der bunten Pracht der Steine und der leuch-
tend emaillierten Wappen, wie das alles sich
vom goldschimmernden Grunde abhebt, ist
ganz eigenartig. Besonders fein ist aber die
Einordnung dieser vielen Details in den Raum,
so daß dies vielgliedrige Ganze sich einheit-
lich zusammenschließt. Einzelnheiten wie die
Eckfiguren sind meisterhaft.
•, Es ist ein herrliches Werk, dessen satter
Prunk durch die strenge Stilführung und
Komposition zu feierlichem Ernst erhoben
wird. «
Unsere Abbildung gibt anschaulich diese
Pracht wieder — freilich der besondere Reiz
der Farbe kann hier kaum geahnt werden.
Die Höhe des Lichtträgers bis zu dem Kri-
stallknauf ist I m, die größte Breite 1,25 m.
An Steinen sind angebracht: Opale und
Opaline, Lapis, Mondstein, Türkisen, Topas,
Turmalin, ChrysocoU, Amethyst usw., über
70 Stücke von ansehnlicher Größe.
Die Kugeln sind Bergkristall; sämtliche
Wappen Feinsilber (350ogr., ohne jede Kupfer-
legierung). Das Gesamtgewicht des Lüsters
ist ca. 150 Pfd.
Die Rückseite zeigt entsprechend den
Schilden die Namen der einzelnen betei-
ligten Adeligen, und auf dem Kreuze die
eigentliche Weiheinschrift: Von der Ge-
nossenschaft katholischer Edelleute in
Bayern in andächtiger Verehrung der
allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter
Maria als Weihegabe in die Sionskirche
zu Jerusalem gestiftet 1906.
An der Kante des Kreuzes steht : Fritz
von Miller fec. 1906 — 8.
Das Werk steht so vor uns als ein
Bekenntnis gläubiger Gesinnung, ein
edles Kunstwerk, eine feudale Weihe-
gabe, deren Vollendung wohl allen Be-
teiligten nicht nur eine stolze Befriedi-
gung, sondern vor allem eine fromme
Stiftung zur Erinnerung später Gene-
rationen bedeutet.
Nichts kann reich und vornehm ge-
nug erscheinen als Weihegabe an so
heiligem Orte !
;j.j^ Mögen an der Stätte des Hinschei-
dens Maria noch späte Enkel an die
treue Gesinnung ihrer Vorfahren er-
innert werden! Möge manch ein Pilger
dort sich erfreuen an einer sinnigen Bekun-
dung der Pietät deutscher Männer und an
einem würdigen Erzeugnis deutschen Kunst-
fleißes!
Eichstitt, Allerheiligen 1908. Dr. Oscar Freih. Lochner von Hüiienbach
PAUL SIEGWART KIRCHE IN MENZIKEN
l 'orhalle tnii Dachgiebel
©^ KIRCHE IN REIXACHMENZIKEN ^^ö
93
PAUL SIEGWART (AARAU)
INNERES DER KIRCHE IN KElNACH-MENilKEN
■ Lfttch, Zürich. Text unten
M-
KIRCHE UND PFARRHAUS IN
REINACH-MENZIKEN
Erbaut von Paul Siegwart in Aarau
(Hierzu die Abb. S. 92 — 96)
[it Rücksicht auf das stete Anwachsen der
römisch-katholischen GenossensciiaftRein-
ach-Menziken im Kanton Aargau (Schweiz)
ward dieselbe genötigt, für eigene Kultgebäude
zu sorgen und beschloß daher den Bau einer
kleinen Diasporakirche mit 200 Sitzplätzen in
Verbindung mit einem kleinen Pfarrhaus. Der
Bauplatz, ein Feldstreifen von Norden nach
Süden verlaufend ca. 32 m breit, war zum
Bau geschenkt worden. Die Mittel zum Bau
waren bei Baubeginn nur teilweise vorhanden,
und war höchste Sparsamkeit bei der Aus-
führung deshalb sehr geboten.
Um Kirche und Pfarrhaus dem Landschafts-
bild und der Umgebung einzufügen, lehnte
sich der Künstler, Architekt Paul Siegwart in
Aarau, an die bodenständige Bauart der aargau-
ischen Bürgerhäuser an, die in der ganzen
Gegend zum Glück noch zahlreich vorhanden
sind. Die großen Dachvorsprünge mit kräf-
tiger Bemalung verlangte das Bauwerk infolge
seiner exponierten Lage an einem Berghang
zum bessern Schutz des Wandverputzes. Als
Motiv zur Bemalung der Dach vorsprünge diente
ein Flechtenornament mit blauen dazwischen
gesteckten Kornblumen.
Durch eine kleine \'orhalle gelangt man
ins Kircheninnere, die Kirchtüre erhielt ge-
schmiedete Zierbänder, Weinlaub mit Rebe,
bunt bemalt. Das Kirchenschiff, ein Rechteck
von 10 mX 16,30m ist nach oben durch ein
flachesTon nenge wölbe ausHolz abgeschlossen.
An das Schiff schließt nach Südosten das Chör-
lein an, das mit einem halben Zehneck en-
digt. Der Chor als Hauptrauni erhielt natur-
gemäß die reichste Ausstattung. Das Chor-
gewölbe ziert ein naturalistisch gehaltenes
Rosenmotiv, das gleiche Motiv findet sich
auf dem Sockel, als Kübelpflanze gedacht,
wieder, Blattgirlanden verbinden die einzel-
nen Blumentöpfe. Durch drei Figuren fenster
fällt reiches Licht in den Chor; die Fenster
stellen dar den Englischen Gruß, St. Joseph
mit demjesusknaben und die heilige Elisabeth.
Die Holzdecke im Schiff wird durch breite
Gurten in acht Felder geteilt. Die Gurten
und Deckleisten sind reich mit Schablonen-
94
©^ KIRCHE IN REINACHMENZIKEN J^a
Ornamenten geschmückt. An den Kreuzungs-
punkten der Gurten sind Darstellungen aus
der Lauretanischen Litanei, als Arche des Bun-
des, Himmelsplbrte, Goldenes Haus, Geist-
liches Gefäß der Andacht und Morgenstern.
Die Hauptgurten zeigen symbolischen Pflanzen-
schmuck, als Rose, Eiche, Distel oderPalme, und
Weinrehe. DerGrundton derHolzdeckeistblau-
grau, die Struktur des Holzes sichtbar lassend.
Die Altäre und die Kanzel sind aus gelb-
lichem Savonierstein erstellt, mit Ausnahme
der massiven Altar- und Kanzelstufen. Die
Tabernakeltüre ist Bronzeguß vergoldet und
zeigt ein Relief Christus am Kreuze mit Maria
und Johannes. Die Leuchterbank und das
Innere ziert ein Ähren- und Traubenornament.
Bei samtlichen Ornamenten sind entweder ein-
zelne Punkte wie Beeren, Überschlage der
Rosen, Nimbus u, dgl. vergoldet, oder aber
der Grund mit gelbem Ocker angelegt.
Die drei Altargemälde stellen dar St. Martin,
St. Antonius und die Kirchenpatronin St. Anna
mit Maria.
Am Chorstuhl sind noch zu beachten der
geschnitzte Fries mit Pelikan und Storch mit
Kröte, ersterer Sinnbild der Kkigheit, die Kröte
der Unwissenheit und des Lhiojaubens.
PAUL SIEGWART
In der Kirche
PAUL SIEGWART |:hl( .11 ! o I l 1 IL
1,1 der kn-che :„ Mnizikeii
Als Schmiedearbeit ist die Ewiglichtlampe
bemerkenswert.
Bei Beschaffung der Kultgegenstände, als
Leuchter, Monstranz, Blumen, Altardecken
u. dgl. wurde der Künstler nicht befragt, was
zur Folge hat, daß die angestrebte Einheit-
lichkeit in der Ausstattung leider fehlt.
Die Sakristei befindet sich im unteren Turm-
geschoß, im oberen ist der Paramentenraum,
zugleich Läutestube, vom ersten Stock des Ptarr-
hauses direkt durch eine Türe zugänglich, von
der Sakristei durch eine besondere Treppe.
Der Sakristan gelangt infolge von außen direkt
in die Sakristei und von da in die Läutestube,
ohne das Pfarrhaus betreten zu müssen.
Im Pfarrhaus sind neben den nötigen Keller-
raumen im Parterre ein Unterrichtssaal, der bei
außerordentlichen Anlassen wie Kirchweih, Fir-
mung u. dgl. als Sakristeiraum benutzt werden
kann, ferner ein Amtszimmer für den Pfarrer,
nebstAborten,imerstenStocksind drei Zimmer,
Küche Speisekammer und Abort, im Dachstock
ein Gastzimmer, Zimmer der Bedienung nebst
den nötigen Nebenräumen. Im Wohnzimmer
fand ein grüner Kachelofen mit schablonier-
»^ EIN NEUER TAUFSTEIN ^S
95
tem Kachelmuster Aufstellung. Kirche, Turm
und Pfarrhaus sind mit Ziegeln gedeckt, Orgel
und Glocken fehlen zurzeit noch.
Mit dem Bau wurde im Juli 1906 begonnen,
am 2. September 1 907 fand die Einweihung statt.
Die Baukosten betrugen exklusive Land-
erwerb, Orgel und Geläute Frs. 92700. Dage-
gen sind in dieser Bausumme die Altäre, Alt';ir-
bilder und Umgebungsarbeiten inbegriften.
EIN NEUER TAUESTEIN
Im VIII. Heft des vorigen Jahrgangs veröffent-
* lichten wir auf S. 73— 81 der Beil. dreizehn
Tautsteinentwürfe, die sämtlich
junge Künstler, Studierende der
Kgl. Akademie zu München und
Mitglieder des Albrecht- Dürer-
Vereins, zuUrhebern hatten. Wir
berichteten darüber auf S. 81 der
Beilage. Heute können wir von
einer sehr erfreulichen Frucht des
besprochenen Komponierabends
berichten. Der Hochwürdige Herr
Kuratus P. Pietryga in Neustadt
a. Dosse interessierte sich für den
aut S. 79 unserer erwähnten Pu-
blikation abgebildeten Entwurf des
Bildhauers Emil Jung, trat mit
dem jungen Künstler vertrauens-
voll in \'erbindung und ließ den
Tautstein tur die Herz-Jesu-Kirche
in Neustadt a. Dosse ausführen.
Da ein \'ergleich zwischen Skizze
und Ausführung immer seine
Reize hat, so reproduzieren wir
auf S. 83 nun auch den fertigen
Taufstein, zu dem wir den Auf-
traggeber wie den Künstler be-
glückwünschen können.
In unserm Fall ist ein richtiger
V/eg eingeschlagen worden, auf
dem recht viele Kirchenvorstände
folgen sollten. Wenn man vor
der Neuanschaffung eines kirch-
lichen Einrichtungsgegenstandes
steht, so verdient der Wunsch,
schon Vorhandenes einzusehen
und zu vergleichen, gewiß alle
Anerkennung. Dieses Studium
von \'orbildern soll jedoch nicht
nur den Blick für alles früher ge-
schaffene Gute schärfen und die
praktischen Werte desselben in
Betracht ziehen, sondern auch das
Verlangen nach einem wirklichen
Original stärken, das den kirch-
lichen Anforderungen entspricht,
aber auch künstlerisch etwas Gediegenes und
Neues bietet. Ganz verfehlt wäre es, wenn man
»Vorlagen-x suchte, um sie unter Mißach-
tung des geistigen Eigentumsrechtes
eines Künstlers, dessen Arbeit als » Vorlage x
dienen soll, durch eine untergeordnete Persön-
lichkeit oder Firma nachmachen zu lassen.
Daß ein solches \'erfahren nicht kor-
rekt ist, müßte doch jedermann ein-
leuchten; es ist übrigens auch \-or
dem weltlichen Gesetze strafbar.
Man sehe sich um einen richtigen
Künstler um und lasse sich in jedem
Fall etwas Neues entwerfen. Jene aber
PAUL SIEGWART HOCHALTAR DER KIRCHE IN REINACH-MENZIKEN
.yfnjfil und Ausführung tvn Bildhauer l^uch
96
©^ DER MINIATURMAI.RR ms>
PAUL SIEGWART
jl/il iramll'ciiuil I
CHORSTUIIL IN DER KIRCHE ZU MENZIKEN
;///, /. fcxt S. q4
halte man vom Gotteshaus fern, die
nicht selbst denken und schaffen kön-
nen oder gar sich bewußt von der künst-
lerischen Arbeit anderer bereichern
wollen. Nur auf diese Weise kann die
christliche Kunst aus ihrer mil.iliclien
Lage befreit werden.
DER MINIATURMALER
Um dieses bitt' ich Euch, Frau Herzogin!
An einem gold'nen Sommertage laßt es sein.
Wenn alle Welt in roten Rosen steht.
Daß Euch die Sonne licht die Haut durchscheint
Und purpurn in den Adern glüht das Blut.
Dann sind die blassen Locken ganz durchwirrt
Von Feuerfunken, und der weiße Flor
Um Eure Brust wirkt wie ein silbern Band.
Und gleich Kaskaden fließt der Spitzenschal.
Schönheit braucht Licht und Wärme! Glaubt
es mir !
Und säst mir heut' ein weiches, güt'ges Wort!
Daß Euer Bild in meiner Seele strahle,
Umweht von Milde und von Jugendglanz._
Denn meine Seele geh' ich Eurer Schönheit.
Fest muß ich glauben, daß Ihr reizend seid.
Sonst ist's gefehlt. — Ich bitt' Euch, bringt
auch mit
Die süßen Lieder, die Ihr innig liebt.
Petrarkas Verse und den Ossian !
Wenn Euer Herz vor sanfter Rührung bebt,
Dann seid Ihr schön, das Auge mildert sich
Und lachehui wölbt sich Euch der feine Mund.
Ach — um die Schönheit ist's ein eigen Ding.
Sie weilt auf harter Menschen Antlitz nicht,
Sie ist der Güte innig nah verwandt,
Sie ist ein Hauch, um den der Künstler ringt
Mit seiner Seele. Ist ein Lichtgespinst,
Ein Augenblick, der wie ein Traum verweht
Und dem wir geben ird'sche Ewigkeit. —
Vergeßt das kleine weiße Hündlein nicht!
Es schmiegt so zart sich ein in Euren Arm!
Den Korb mit Rosen findet Ihr bei mir.
M. Herbert.
Für die Redaktion verantwortlich : S. Staudhamer (Promenadepia
Druck von F. Bnickmann A.-
: 3) ; Verlag der Gesellschaft für cliristlii
!. — Sämtliche in München.
DER HEILIGE FRIDOLIN
FRITZ KU.NZ
Zum Apsisgemiildf
CHKISTUS
•ct/rauckhche in Zürich
DIE NEUESTEN WERKE DES MALERS FRITZ KUNZ
pritz Kunz ist den Lesern der Monatschrilt
^ Die christliche Kunst kein Unbekannter.
Einige seiner sciiönen Bilder in der Kloster-
und Institutskirche in Menzingen und auch
andere Werke wurden ihnen vorgeführt. Seit-
dem diese Malereien ausgeführt wurden, war
dem Künstler zweimal die Gelegenheit ge-
boten, größere Bilderfolgen zu schaffen. Die
erste befindet sich in der Kapelle der Aka-
demie Sainte-Croix zu Freiburg in der
Schweiz. Die Lehr- und Schulschwestern
von Menzingen haben daselbst eine Anstalt
für Töchter gegründet, welche sich eine
höhere, akademische Bildung aneignen wollen.
Professoren der katholischen Universität er-
teilen den Unterricht in allen Fächern des
liöheren Wissens. Das Haus wurde vom
Architekten Hardeggcr in St. Gallen in den
freien Formen der Renaissance und des Ba-
rock gebaut ; die Hauskapelle zeigt über-
wiegend Motive italienischer Renaissance.
Die Ausstattung derselben mit Deckenge-
mälden wurde Fritz Kunz anvertraut.
Die künstlerische Ausbildung des jungen
Meisters tiel in die Zeit, wo in der religiösen
Kunst die Malerei der Xazarener und der
Romantiker, sowie die Richtung Filotvs und
seiner Schule nachwirkten. Kunz fühlte aber
sehr früh das Wehen der neuen Zeit, weiche
einen engeren Anschluß an die Xatur, eine
schärtere Charakteristik und einen bestimm-
teren Ausdruck forderte. Es ist interessant,
den Weg, die Entwicklung des angehenden
Meisters zu verfolgen und zu beobachten,
wie er Schritt um Schritt, von einem male-
rischen Werke zum andern einer Kunst zu-
strebt, die gehaltener, gebundener, inner-
licher, ernster, strenger wird. Die Umwand-
lung vollzog sich während eines längeren
Aufenthalts in Italien durch das Studium der
alten großen Meister bis hinauf zur altchrist-
lichen Zeit.
In dieser neuen Kunst, welche Fritz Kunz
sich aneignete, ist für Laune, Willkür, Zufall
kein Raum. Wie die Pflanze aus der Wurzel
frei , doch gesetzmäßig nach dem in der
Gattung und in der Spezies liegenden Natur-
trieb herauswächst, so geht das Kunstwerk
aus der den Künstlergeist befruchtenden Idee
hervor — individuell und eigenartig, aber
mit ästhetischer Gesetzmäßigkeit als ein gei-
stiges Naturprodukt höherer Ordnung. So faßt
I-'ritz Kunz die Werke des Schönen auf, d. h.
er ist durch seine Umwandlung zum hohen
Stilisten in der religiösen Kunst geworden.
Es geht durch einen Teil der modernen
Kunst ein Streben, ein ausgesprochener Zug,
der an alte, strengere Stiltornien anknüpft —
in der Arciiitektur wie im Kunsthandwerk, in
der Plastik wie in der Malerei. Manche
Künstler ließen sich dadurch verleiten, Werke
und Formen früherer Stile einfach nachzu-
Dlc chrittliche Kunst.
DIE NEUESTEN WERKE DES MALERS FRITZ KUNZ m<ä
FRITZ KUNZ
Deiailvom Apsisgrtualde (Mosaik) der Uek/r,
Evangelisten. Dazu kommen vier iMedaillons :
St. Katharina und die hl. Agnes, die in un-
berührter Reinheit und Hoheit und doch so
freundlich herniederschauen, und die Heiligen
Theresia und Hildegard tiefen , sinnenden
Blicks, als schauten sie ins Übersinnliche,
Ewige.
Die Deckenmalereien in der Hauskapelle
der Akademie Sainte-Croix wurden in den
ersten Sommermonaten 1906 ausgeführt. Von
Freiburg ging der Künstler nach Zürich, um
im Chor der Lie b fraue n kirc he einen
Zyklus von Bildern zu malen.
Die Liebfrauenkirche war vom Architekten
Hardegger im altchristlichen oder Basilikastil
gebaut worden. Der Maler stand also andern
äußern Bedingungen gegenüber als in Frei-
burg. Sollte eine einheitliche Wirkung er-
zielt werden, so mußten sich auch die Bilder
der altchristlichen Kunst nähern. Dem Maler
ward dadurch allerdings einiger Zwang an-
getan; gerade die Kunstrichtung unseres Fritz
Kunz war in vorzüglichster Weise geeignet,
über die Schwierigkeiten hinwegzuführen. Er
schuf Werke, streng im Stil, modern in Auf-
fassung und im Ausdruck, tief religiös in
Stimmung und Empfindung, — so ward die
Kluft zwischen so weit auseinanderliegenden
Perioden überbrückt (Abb. S. 97- — 121).
Nachdem der Künstler sich in Rom jahre-
lang in den Geist der altchristlichen Kunst
eingelebt, ging er, als es sich um die Skizzen
und Kartons der Liebfrauenkirche handelte,
nochmals nach Italien, nicht nach Rom, son-
dern nach einer der merkwürdigsten Oasen
altchristlicher Kunst, nach dem einst so glän-
zenden, jetzt so stillen und einsamen Ravenna,
das, weil es so früh um Größe und Bedeu-
tung kam, seine altchristlichen Denkmäler
vielfach unversehrter bewahrt hat, als Rom.
Nachdem sich der Künstler in Ravenna noch-
mals in den altchristlichen Geist versenkt, zeich-
nete er die Kartons für den Chor der Lieb-
frauenkirche.
In altchristlicher Zeit wurden in den Basi-
liken auf den langen Friesen oberhalb der
Saulenarkaden des Mittelschiffes gewöhnlich
Begebenheiten aus dem irdischen Leben des
Fleilandes, der Gottesmutter oder berühmter
Heiligen dargestellt. Anders im Chore. Dort
sollte der Blick ins himmlische Paradies hinein-
schauen und etwas von den himmlischen Ge-
sichten sehen, die der Apostel Johannes auf
Patmos schaute und die er in der Geheimen
Offenbarung erzählt. Unser Künstler wählte
aus diesen Szenen diejenigen, welche schon
im altchristlichen Bilderkreise die beliebtesten
waren.
In der Halbkuppel der Apsis oder Altar-
iiische hebt sich vom goldenen Grunde groß
und mächtig, ernst und mild die Gestalt
Christi ab, feierlich thronend als König des
Himmels, die Rechte ist zum Segen erhoben,
die Linke hält das Buch, auf dessen Blättern
geschrieben steht; > Ego sum primus et no-
vissimus : — Ich bin der erste und letzte,
der Anfang und das Ende. Vom Hügel, auf
dem der Thron steht, gehen die vier Para-
diesesflüsse aus, die Sinnbilder der göttlichen
Gnadenströme. Zu beiden Seiten des thronen-
den Heilands stehen die zwei ersten, vor-
nehmsten Zeugen seines irdischen Wandels,
zur Linken der hl. Johannes der Täufer, der
mit seinem Zeigefinger auf Christus , das
Lamm Gottes, hinweist ; zur Rechten Maria,
die Mutter des Heilands, welche ihn auf
seinem ganzen irdischen Lebensgang von
Bethlehem bis auf Golgatha begleitet hat.
Im Friese der Halbkuppel erscheinen die drei-
zehn Lämmer, welche geradezu ein Wahr-
zeichen der Basilikenkunst sind und darum
nie fehlen dürfen. Das Lamm in der Mitte
mit dem Kreuznimbus sinnbildet Christus;
die von beiden Seiten heranschreitenden je
sechs Lämmer sind Sinnbilder zunächst der
©^ DIE NEUESTEN WERKE DES MALERS FRITZ KUNZ mQ
Apostel, dann der Glaubigen, welche der
Stimme des göttlichen Hirten folgen.
Die Bilder an der Stirnseite der Chorwaiul
und der angrenzenden Seitenmauern vervoll-
ständigen die Vision des hl. Johannes. In
der Mitte über dem Bogen der Apsis erscheint
wieder das Lamm, das zum Heile der Welt
geopfert wurde, und an seiner Seite sieben
goldene Leuchter und sechs Engel mit gol-
denen Schalen, aus welchen der Duft kost-
barer Wohlgerüche aufsteigt — Sinnbilder,
wie die Gebete und guten Werke der Heiligen
wie ein Gewölke wunderbaren Wohlgeruchs
zu Gott empordringen. Unter den Engeln
schreiten von beiden Seiten je zwölf ehr-
würdige Greise heran ; der hl. Johannes sah
sie, angetan mit weißen Gewändern, wie sie
die Diademe von ihren Häuptern nehmen
und betend dem Lamme zurufen : Würdig
bist du, zu empfangen Ruhm und Ehre und
Machte U.S. f (Abb.S. 104 u. 105). Da die zwölf
Apostel von Christus auserwählt worden, sein
Werk fortzusetzen und seine Zeugen zu sein bis
zu den Grenzen der Erde, so dürfen sie in seiner
Nähe im himmlischen Jerusalem nicht fehlen.
Auf dem tiefroten Grund des Chorrundes er-
scheinen sie in langer Reihe, unvergleichliclie
Charaktergestalten voll heiligen Ernstes. Auf
den Schrifttafeln, welche sie tragen, ist je ein
Artikel des apostolischen Glaubensbekennt-
nisses eingeschrieben fAbb. S. 108 — 113).
Die Bilder der Halbkuppel sind nach den
genauen Kartons des Malers Kunz von der
Firma Neuhauser & Co. in Innsbruck vor-
trefflich in Glasmosaik ausgeführt, — neben-
bei bemerkt, hätte sich die genannte Mosaik-
anstalt nicht besser empfehlen können, als
sie es mit dieser technisch vollkommenen
Arbeit getan hat ■ — , die übrigen Gemälde
wurden vom Künstlerin Kaseinfarben gemalt;
kein Pinselstrich, der nicht von ihm herrührt.
Die Wandmalereien der Liebfrauenkirche
stellen eine hohe künstlerische Leistung dar
— in der charaktervollen Auffassung, in der
einfachen, ruhigen Linienführung und Kom-
position und in der vollendeten Technik. Was
insbesondere die Auffassung betrifft, so hielt
sich Herr Kunz, wie schon bemerkt, an die
altchristlichen \'orbilder, aber aus seinen Ge-
staltenspricht hochentwickelte, moderne Kunst.
Die Bilder der altchristlichen Basiliken ge-
hören einer lebensmüden, absterbenden Kunst-
epoche an, das fühlt man ihnen an; in den
Gestalten dcrLiebiVauenkirche pulsiert frisches,
junges Leben, da waltet eine Kunst, welche
Empfindung, Seele, Charakter in alte Formen
gießt. Der Architektur fügen sich die Ma-
lereien in denkbar schönster, wirksamster
Weise ein. Jetzt erst stellt der Chor der
Liebfrauenkirche ein Ganzes von ernster,
edelster Harmonie dar.
Die genannten Malereien sind im Spät-
sommer 1906 ausgeführt worden.
Zur vollständigen polychromen Ausstattung
des Chores fehlte noch die Bemalung am
Triumph- oder Chorbogen und an denWänden
über den vier Seitenaltären. Die F.rgänzung
folgte im Sommer 1907. Neben dem Kreuz
im Scheitel des Bogens stehen die Symbole
der vier Evangelisten ; darunter erscheinen die
Evangelisten selbst (Abb. S. 1 06 u. 1 07) zu beiden
Seiten des Bogens verteilt, ebenso die noch
tiefer stehende\'erkündigung, welche besonders
zart und innig empfunden ist (Abb. S. 98).
Für die vier Altarbilder zeichnete Kunz bis
ins kleinste und einzelnste genauest ausge-
führte Kartons ; die Firma Neuhauser & Co.
übersetzte sie in Glasmosaik. Die Bilder über
den beiden inneren Altären zeigen in reich-
sten, glanzvollen Kompositionen rechtsChristus
als den guten Hirten, links die thronende
Gottesmutter mit dem göttlichen Kinde und
zwei verehrenden Engeln. Über den beiden
äußeren Altären erscheinen rechts St. Joseph
in ernster, fast zu strenger Haltung und vor
ri;iiY KLN('
JOIl.\NNLb li.vri.
A^^. S. 97 uiiJ too. — Ttxt S, ioo
102 ©^ DIE NEUESTEN WERKE DES MALERS FRITZ KUNZ s^SQ
FRITZ KUNZ
A,l der Stirns.
.i,r C/„»-.m,,id
ihm der stehende (^hristusknabe in weifk-r
Tunilva und golddurchwirlvter , reich ge-
musterter Toga, links in wirksamster Ein-
tachlieit der volkstümhchste Schweizerhei-
lige, der Friedensbote, der selige Nikolaus
von Flüe.
Im einzelnen besitzen die Bilder hohe \'or-
züge und Schönheiten. Was für herrliche
Gestalten sind die Apostel! Glieder einer
heiligen Gemeinde, aber wie verschieden in
Charakter, Ausdruck, Stimmung! Und die
vierundzwanzig Altesten, welche dem Lamme
ihre Kronen darbringen, — welche Größe
und zugleich welche wunderbare Ergriffen-
heit und Andacht und Ehrfurcht spricht aus
ihnen! Zu den glücklichsten Leistungen ge-
hören die drei Darstellungen der Mutter Gottes,
in der Concha, in der Verkündigung des
Triumphbogens und im Altarbilde. Das letz-
tere besonders, vom Künstler »Unsere Liebe
Frau von Zürich :< genannt, ist die schönste
Vereinigung von Hoheit, Milde und seligstem
Mutterglück. Sollen noch zwei der anspre-
chendsten und anmutsvollsten Bilder genannt
werden, so sind es die Medaillons der Zü-
richer Heiligen Felix und Regula (Abb S. 119).
Zur tigürlichen Ausmalung der Liebfrauen-
kirche fehlen nun noch die beiden langen
Bilderfriese über den Arkaden des Mittel-
schiffes, welche das Leben Christi und seiner
heiligen Mutter schildern werden. Hoffent-
lich finden sich bald hochherzige Stifter,
welche die Ausführung ermöglichen und den
gottbegnadeten Künstler zu neuen hohen
Leistungen begeistern.
Die letzten Werke, welche Fritz Kunz
schuf, sind zwei Altarbilder für die Stadt-
ptarrkirche St. Joseph in Basel. Sie be-
fanden sich letzten Sommer in der fahresaus-
stellung des Glaspalastes in München. Das
eine stellt die Madonna mit dem göttlichen
Kinde in einem Walde von roten Rosen mit
den Heiligen Franziskus und Elisabeth dar,
das andere den hl. Fridolin, wie er den Land-
leuten das Evangelium verkündet (Abb. s.
färb. Sonderbeilage). Da die Altarblätter für
eine Barockkirche bestimmt sind, so erscheint
darin der Stil geschmeidig!, die Figuren ge-
winnen an Lebenswahrheit und charakte-
ristischem Ausdruck. Auffallend ist die ge-
dämpfte Beleuchtung der Bilder, sie wird
wohl nach ihrem künftigen Standorte berech-
net sein.
Nach seinen bisherit/en Leistuni?en steht
P?^ DIE MÜNCHRXER AUSSTI-.LI.UXG IM GLASPALAST 1908 i^?3 103
I KU/. KlSl
Fritz Kunz in der vordersten Reihe der jetzt-
zeitigen religiösen Maler Deutschlands.
Eine Bemerkung können wir schließlich
nicht unterdrücken. Es geht durch die mo-
derne Kunst, zumal die Architektur und die
religiöse Malerei ein ausgesprochener, aut-
failender archaistischer, primitiver Zug.
Wir halten ihn für einen fremden Tropfen
Bluts. Modern ist zeitgemäß. Daß die
Primitivität je echt modern und zeitgemäß
werde, glauben wir nicht.
St. Gerold in Vorarlberg
Dr. P. .Mbert Kuhn
DIH MCXCHENER ALSSTHLLUXG
IM GLASPALAST 1908
Von 1"K.\NZ WOLTHR
in.
Immer mehr gewinnt die .Aquarellmalerei
* in der bildenden Kunst an ikdcutung und
keine Teciinik ist wohl so geeignet. tUichtigc
Eindrücke aus der N'atur in skizzeniiafter und
doch zugleich reizvoller Art festzuhalten. Sie
ist eigentlich auch die modernste, weil der
Phantasie viel freier Spielraum gelassen wer-
den und man zwischen den Pinselstrichen
lesen kann. Der Aquarellisten-Klub bietet
hier besonders interessante \\'erke. Ihr be-
währter Führer Max E. Giese schafft mit
breiten, wuchtigen Strichen, die flüchtig, leicht
hingesetzt scheinen, mit ihren richtig sitzen-
den Lichtblitzen und durchsichtigen Schatten,
eine seltene Harmonie. In dieser geistreichen
Technik sehen wir ein prachtvolles Aquarell
) Tauwetter«; dann ein Spätherbsthild und
das imposante Architekturbild aus Passau.
Rene Reinicke, der virtuose Schilderer häus-
licher, genrehafter Szenen, weiß mit den
Wasserfarben jeden Iiffekt, jede Nuance zu
erzielen, es ist der Aquarellist »katexochens
und das französische Wörtchen »chic« dürfte
ihn am besten charakterisieren. Von seinen
Bildern ist die Malerin im Atelier am blen-
dendsten. Ein recht liebliches Aquarell ist
auch das tanzende Mädchen vor dem Spiegel
von Karl Itschner. Paul Leuteritz, Fritz
von Hellingrath, Wilh. Jac. Hertling
und Rudolf Köselitz gehören mit zum
festen Stab jener \'ereinigung.
Desgleichen tinden sich in der größeren
lo.j ©^ DIE MÜKCHENER AUSSTELLUNG IM GLASPALAST 1908 *^&3
FRITZ KUNZ
AN'BETUKG DES LAMMES
Ati dtr Choiwand der Lieh/n
A q u a r e 1 1 a h t e i 1 u n g d c r M ü n c h n e r K ü n s t-
lergenossenschaft, des Bundes zeich-
nender Künstler und Radiervereins her-
vorragende Leistungen auf aquarellistischen
und zeichnerischen Gebieten. Erinnern wir
hier nur an die briUanten Arbeiten von Hein-
rich Rettig, Hans Best, Ludwig Bol-
giano, Angelo Grat von Courten, Max
D a s i o . Karl H a r t m a n n , F r a n z K o c h ,
1{ r n s t K r e i d o 1 f , P a u 1 N e u e n b o r n , letzterer
mit seinen eminent sicher gezeichneten Tier-
studien, Hans Stubenrauch, Carl Voß,
Ludwig Willroider, um aus der großen
Anzahl nur einige bedeutende Künstler zu
nennen.
Eine willkommene Neuerung bot innerhalb
der Architektur der Verein für \'olks-
kunst und Volkskunde, der eine Fülle
von Plänen und Modellen brachte, um die
heimische Bauweise, insbesondere auf dem
Lande, in einfach schlichten A'illen und Häus-
chen wieder zu beleben. Es ist von Herzen
zu begrüßen, wenn der Verein an alte Tra-
ditionen anknüpft, dabei aber von modernen
Gesichtspunkten ausgeht und alle Fragen der
Hvgiene und des neuzeitlichen Komforts bei
Errichtung von Neubauten mit in Betracht
zieht.
Bei den jüngeren Elementen der Scholle
ist in diesem Jahre keine besondere Sensation
zu verzeichnen. Die Zeit der Bilder in großen
Abmessungen ist vorbei, dann haben die
meisten Maler dieser kleinen \'ereinigung auf
der Ausstellung 1908 ihre Kräfte ausgiebig
in den Dienst dieses Unternehmens gestellt.
Was noch vorhanden, gibt keine weiteren
Aufschlüsse über das Fortschreiten, über die
Endziele jener aus dem Plakat, der Illustra-
tion hervorgegangenen Künstler. Etwas macht
sich dagegen unlieb bemerkbar, das starke
C^ DIH MCXC.HI-XER AUSSTF.LLUXC IM CI.ASPALAST 1908
ASö. S. 104. — Text S, loi
AXBtTL'N'G DES LAMMES
Betonen von gegenständlich Minderwertigem
oder Einfältigem, wie: Kleiderständer mit
Kostümen behängt, Masken. Puppen und Hans-
würste, die in den \'ordergrund des malerisch
Interessanten gestellt werden. Püttner und
Voigt gehen hier voran. Leo Putz erlVeut
sich an dem beabsichtigten Raffinement einer
Malerei in angedeuteten oder ganzen Ent-
hüllungen weiblicher nackter Formen bei Sze-
nerien, die sich vor oder nach dem Bade, vor
oder nach der Ruhe des Tages oder der Nacht
vollziehen. Das ausdrückliche Hervorheben
gewisser Dinge, die auf die Instinkte des Ge-
schlechtslebens hinweisen, spricht nur von
einer Unreifheit, die um so bedauerlicher, als
gerade Putz einer der besten Könner der
Scholle auf technischem Gebiete ist.
A. Münzers »Dame in Weiß gehört mit
/u den feineren Leistungen der .Scholle. Über-
haupt ist dieser Maler mehr von künstlerischer
Kultur durchdrungen als seine Genossen, ins-
besondere Bechler, der in seinen, mit gutem
Ölfarben anstrich versehenen Booten am See
die Realität in Lebensgröße zu erreichen sucht.
Die Freude jedoch an der reinen Wirklich-
keit ist heute mehr denn je gedämpft. In
der Nüchternheit des Alltags träumt man von
fernen Schönheitswelteii, von Idealgestalten,
von Klängen. Linien. Harmonien. Das Aut-
greifen der mittelalterlichen F'orm des Tri-
ptychons durch moderne Künstler, das gierige
Sammeln alter Gemälde und Statuen soge-
nannter primitiver Meister ist ein Zeichen,
daß man die Wirklichkeitskunst gründlich satt
bekommen.
Und es ist kein Zufall, daß gerade in der
neuesten Gruppe Die Bayern jene fein-
sinnigen Naturen auttauchen, die wieder an
Gedanken, Ideen, Ideale anknüpfen wollen.
In erster Linie steht der Führer dieser \'er-
einigung Carl Marr mit dem Bilde ■. Lux in
tenehris.. Es würde zu weit führen, den
io6 ö^ DIE MÜNCHENER AUSSTELLUNG LM GLASPALAST 1908 *^a
Ih ,1fr Lu-l/r.
ZWEI EVANGELISTEN
Text S. loi
tiefergehenden Gedanken, den der Künstler
hier verlLÖrperte, zu verfolgen, zu erlvlären,
und es dürfte dies zunächst nicht einmal die Aut-
gahc der Kritik sein. Wir sehen auf dunkler
einsamer Halde die hehre Gestalt eines Engels
im bläulichen Heiligenschein mit dem leuch-
tenden, in überirdischem Lichte erstrahlenden
Lamm in dem Arm, hindeutend in die Ferne
und zugleich einer weiblichen nackten Figur
zur Seite den Pfad in der Dunkelheit weisend.
Die Absicht in Linien und Formen, in Kom-
position und Farbe nicht einen Naturausschnitt
als Träger eines bestimmten Lichtes zu geben,
sondern ganz bewußt den Beschauer in fesseln-
der Stimmungsgewalt der Welt zu entrücken,
hat Marr in geistreicher Weise gelöst. Es
kommt in der Kunst auch durchaus nicht
darauf an, ob irgend etwas wahr im objek-
tiven Sinne sei, sondern auf innere Natur-
wahrheit, auf Menschennatur, die nach einer
edleren, über das Gewöhnliche hinausgehen-
den Welt sucht. Ist einer noch dazu ein Meister
des Handwerks wie Marr, der sein Thema be-
herrscht, so entstehen Kunstwerke, die nicht
für heute und morgen geschaffen werden,
sondern die über den Wechsel der Mode ein
ewig Bleibendes in sich tragen.
In ähnlichen Bahnen, etwas m\stischer.
B^ DIE MÜNCHEXHR AUSSTHLLUXG IM GLASPALAST 1908 *^ö
FRITZ Kl'NZ
/\Vi:i EVAKGELISTLN
herber, primitiver, sciiarf't L'ritz Kunz. xon
dem wir sciioii eine Reihe tiichtit^er Bilder
reh_i,nösen Inhalts gesehen haben. Seine Ma-
donna mit dem hl. Franziskus und der hl. Eli-
sabeth, dann der hl. Fridolin (Abb. s. Sonder-
beilage, vgl. Text S. 102), Altarbild für die Stadt-
pfarrkirche St. Josepii in Basel, tragen einen
tiefen sonoren L'arbenklang und gerade der
Akkord in Rotgrüngrauschwarz; gibt in der
weisen \'erteikiiig der Massen einen eigen-
artigen künstlerisch dekorativen Zug, der dem
Konventionellen ganz fern liegt. Die Italiener
desTrecento und Quattrocento haben bei Kunz
starken Eindruck hinterlassen, aber er hat sie.
und das ist das Wichtigste, nicht nachgeahmt,
sondern jene leierlich sakrale Wirkung, die
diese Werke in so hohem Mal.'e auszeichnen,
ins Deutsche übersetzt. Angesichts dieser und
ähnlicher Schöpfungen auf dem Gebiete der
religiösen Kunst dürfte die Frage dringend
sein, wie lang es dauern soll, bis endlich für
die Werke religiösen Kunstschallens ein der
Würde des Gegenstandes entsprechender Raum
geschafl'en wird? Deiin was für die Kirche be-
stimmt ist, setzt eine andere Umgebung voraus,
als was für den Salon oder das Wohnzimmer
gedacht ist.
\'on innerlich Erlebtem erzählen auch die
io8
©^ DIE MÜNCHF.NHR AUSSTELLUX'G IM GLASPALAST 1908 ^€öS
Werke Walter Geffkens, vor allem die Pro-
zession im bayerischen Vorgebirge«, die im
höheren Sinne als eine direkte Naturabschrift
betrachtet werden will. Herrn. Urban, einer
der phantasiereichsten und begabtesten Land-
schafter, dem nur große Wände zur Verfügung
stehen sollten, ist mit einem düsteren, ernsten
See. mit einer römischen Landschaft und einem
Strandbild vertreten. Rud. Siecks Neigung
für ideale Auffassung priigte sich aus in einem
arkadisch heiteren Vorfrühling und einer Land-
schaft mit Birken , die eine an Stil gemahnende
Größe erreichen. Ernst Liebermann brachte
ein mondscheindurchflutetes Zimmer und
mehrere schon bekannte Bilder. Die rein reale
Malerei, die keine Spur von Naturschwärmerei
und zarter Empflndung, sondern nur das Klare
der im Studium der Außenwelt gereiften Ar-
beiten zuläßt, zeigen Künstler wie Hans
v. Bartels, P. P. Müller, D.Holz.
Kunz-Meyer überraschte mit einem intim
durchgeführten und doch die große Wirkung
nicht verleugnenden Fischerhafen in Lissa-
bon :. Ein Farbenproblem, in dem alle Re-
gister der farbigsten Efi'ekte zusammenge-
schmolzen, suchte MaxOberm ayer in einem
blau und weiß gekleideten Kinde unter Obst-
riUTZ KVS/
In dtr Lli-hfr,
Zürich. Ait.
Spalieren und den buntesten Blumen zu lösen.
An Helligkeit und Kraft stellte er wohl vieles
in den Schatten, was links und rechts in der
Nachbarschaft hängt, wie z. B. das lieblich
zarte Bildnis GeorgSchuster-Woldans, aber
wer, wie hier die technisch -handwerkliche
Geschicklichkeit bis zum Erstaunen zu steigern
vermag, der verblüfit weniger die Künstler als
die Laien. P. Rieth endlich ging in der Dar-
stellung eines weiblichen Aktes so weit, daß
er unter den »Bayern« fremd erscheint, und
seine Heimat wahrscheinlich »Die Scholle'
sein dürfte. P. Ferd. Messerschmitt brachte
wieder eine seiner bekannten liebevollen Ar-
beiten, die hervorragende Bildnisstudie einer
Dame und das Porträt Sr. Kgl. Hoheit des
Prinz-Regenten. Sowohl in dieser wie in den
vielen schon genannten Gruppen, als auch
im kleinen Saal der Schotten wird der kunst-
freundliche Besucher noch manche kostbare
Perle finden, doch alle hier aufzuzählen würde
einem »Katalogisieren« nahekommen.
Im Vestibül mit seinen plätschernden Spring-
brunnen und blühenden Pflanzen treten wir
der hehren Plastik näher. Leider wird heute
dieser vornehmen Kunst, die keine Scherze
kennt, weiKdas Material allein schon diese
verhindert, viel zu wenig vom
größeren Publikum beachtet.
Es liegt dies hauptsächlich darin,
daß die Freude an der Farbe
als eine der eingewurzeltsten
Eigenschaften der Menschheit
zu betrachten ist und sich da-
her die Kunstfreunde mehr an
Bilder als an Figuren in Gips
und Stein halten. Dann aber
gehört ohne Zweifel ein be-
deutend größeres Kunstver-
ständnis dazu, eine Plastik ge-
nießen zu können, die in der
formalen Naturbeobachtung
ihren Zweck sieht. Da aber die
Form weniger augenfällig als
die farbige, malerische Erschei-
nung ist, so geht das große
Publikum bald zu den Bildern
über.
Dies ist um so bedauer-
licher, als gerade vor allen an-
deren Künsten es die Bild-
hauerei ist, die in der ÖfFent-
lichkeit des Lebens die Kunst
in die weitesten Kreise der Be-
völkerung zu tragen berufen
ist. Man denke nur an die
ZWEI \ri)bii I Statuen und Monumente, an
n-xt ■■>■. ,0, mit Figuren geschmückte Fas-
E^ DIE MCXCHEXI-R AUSSTELLUNG LM GLASFALAST 190S »^ö k»;
FRITZ KCXZ
saden der örtentlichen Bauten,
an Kirchen und Paläste, j^anz
abgesehen von den unzähligen
sonstigen Möglichkeiten, die
heute noch ins Gebiet des
Kunstgewerbes fallen. Richtig
ist, daß das. was die plastische
Kunst an Geist und Idee ge-
schalten, im Rahmen einer
Kunstausstellung entweder gar
nicht oder wenig zur Geltung
kommt, es ist mehr Gelegen-
heits-, vielfach auch ^'erlegen-
heitskunst, die darum nicht
weniger beachtenswert sein
soll. Yor allem aber müßte
selbst bei dieser Kunst der
Ruf: ^ Mehr Farbigkeit : ein-
dringlicher hallen. Abgesehen
von einzelnen \'ersuchen der
Tönung von Büsten und Akten,
wozu neuerdings Gold als Fas-
sung hinzugekommen, sieht
alles noch zu kalt und tonlos
aus, trotz dem Bestreben, hier
und da antike Bronzen vorzu-
täuschen. So gut Farbigkeit
die Losung für die Malerei ist,
so muß sie auch tür die Bild-
hauerei so heißen ; waren doch
die antiken Statuen ebenfalls nicht farblos. Mit
mehrfarbigem Marmor werden schon glück-
liche Versuche gemacht.
Viel zu wenig sind auch unsere heutigen
Bildhauer werktätige Künstler, die ihr Material
beherrschen. Holz, Stein und Bronze ver-
langen eine entsprechende Behandlung des
Materials und wir können uns denken, daß
es für einen Bildhauer eine Freude sein mul.v
seinem Werk, das in Marmor ausgeführt wird,
den letzten feinen Hauch, den Dutt der liebe-
vollen Künstlerhand zu verleihen. Die Kunst
liegt auch an der Oberfläche und wenn wir
einem Originale einer griechischen Statue ge-
genüberstellen, so kommt es uns nicht in
den Sinn, daß der alte Grieche, der sie ge-
schatlen, nur Modelleur war, wie oft heute, der
die endgültige Ausführung mehr oder weniger
geschickten Handwerkern überließ. Vollends
Dinge, wie das Krefelder Mädchen« von
Iranz Bralimstaedt, oder das zerrissene
und unplastische Gebilde, ein Grabdenkmal
vorstellend, von Karljanssen, tragen nicht
zur Erhöhung des Ansehens der Plastik bei;
was wir sehen wollen, sind Persönlichkeiten,
die etwas vermitteln können.
Hierher gehören die zum großen Stil füh-
renden Arbeiten Fe rdin and Lieber mann s;
ZWEI .\POSTEI.
/« ti^r Lieb/ratttitkirche zu Zürich
der schon bekannte »Wotan < von Rudolf
Maison (t); die verschiedenen Lösungen,
welche der talentvolle Ed. Beyrer versuchte,
ferner die leider zu stark bronzierte Bildnis-
büste des Dichters Hermann Allmers von
H. Magnussen (Abb. IV. Jg., S. 276).
Hübsch und anziehend komponiert ist die
große Brunnengruppe Neckerei« von Rieh.
Aigner. An den Belgier Meunier erinnerte
»Der Bettler« von Paul Moye, während
Peter Reininghaus in der Lebenslast«
sich völlig modern französischen Einflüssen
hingibt. Daß immer noch die unnahbare
Hoheit der Antike manchen Künstler veran-
laßt, sie zum \'orbild und zur Nachahmung
in Anspruch zu nehmen, zeigen die Arbeiten
von Her 111 a n n N o 1 1 e und C o n s t. S t a r c k ;
in beiden l"älleii handelt es sich um Grab-
reliefs. Daß man den Geist antiker Kunst
verwerten kann, ohne in starre Manier zu
verfallen, beweist die groß aufgefaßte, in ge-
radliniger statuarer Hoheit geschaffene Figur
von Ste fan Wal te r, und eine von Innig-
keit belebte Gruppe von A u g. B a u e r. Ist hier
das Monumentale betont, so erkennt man dank-
bar in anderen Werken den Sinn tür das idyl-
lisch Liebliche und Zierliche an. In erster Linie
kommt der edle, jugendliche Frauenkörper
©^ DIE PETHRSKIRCHH IN MÜNCHEN #^a
1 KU/ KL N/
In d,r Lieli/r
/\\X\ APOSIEL
enkirchc zi< Zutuk
von Sandorjaray in Betracht. Von feiner
Beobaclitung spricht der konstruktive or-
ganische Auf bau der im graziösen Kugel-
spiel beschäftigten Jungfrau. Carl Georg
Barth erfreut desgleichen mit mehreren zart
empfundenen Statuetten und Kinderküpfchen,
vor allem durch den in seiner einlachen und
schlichten Behandlung ausgezeichneten Akt
einer jungen Nymphe. Von feiner Auffassung
spricht auch die liebliche »Gretl« von Josel
M o e s t ; von Peter Breuer sehen wir eine
allseitig günstig gelöste Gruppe "Adam und
Eva«, in wuchtiger Kraft und kernig herber
formaler Durchbildung. Erwähnen wir noch
die ähnliche und breit ausgeführte Büste des
Prinz-Regenten von Ludwig Dasio, eben-
falls der Landesherr in stehender Haltung,
rein menschlich aufgefaßt, von Alois Mayer;
die Modelle für Reliefs der Dresdner Bank
in München, »Fischerei'/., »Ackerbau';;, > Hand-
werk«, »Kunst«, in prächtiger Allegorie ge-
staltet von H. Wadere, die feine Bildnis-
büste von Fritz Zadow, das klagende Mäd-
chen als Grabmal von Hans Da m m a n n ,
die »Kassandra« von Hans Hemmesdorfer,
die reizende Statuette »Willkommen« von Val.
Kraus, so haben wir wohl das Beste unter
dem Gebotenen hervorgeholt.
DIE PETERSKIRCHE IN MÜNCHEN
l:ine baugeschichtliche Studie
Von HUGO STEFFEN, Architekt, Munclien
Was bisher über die Baugeschichte der Peters-
kirche zu München geschrieben wurde,
kann uns kein fachmännisches und klares
Bild über die einzelnen Bauperioden dieses
in kunsthistorischer Hinsicht hochinteressanten
Bauwerks geben ; wir müssen, da sich die ein-
zelnen Nachrichten über den Bau oft wider-
sprechen, teilweise auch ganz fehlen, die ver-
schiedenen Bauteile in Technik, Material und
Formen studieren, um den Bau, mit Hilfe des
Sandtnerschen Stadtmodelles im Münchener
Nationalmuseum, selbst sprechen zu lassen.
Kaum eine andere der vielen Münchener
Kirchen ist im Laufe ihres Bestehens so zahl-
reichen Umwandlungen unterworfen worden,
wie dieses ehrwürdige Gotteshaus, dessen
Ursprung bis ins zwölfte Jahrhundert hinab-
reicht und das somit als eine der ältesten
Kirchen der bayerischen Hauptstadt dasteht.
Gerade aber durch die Einflüsse der verschie-
denen Zeitepochen entstand ein selten male-
risches, eigenartiges Bauwerk, das den Mün-
chenern, gewissermaßen als ein zweites Wahr-
zeichen der Stadt, tief ins Herz wuchs und
e^ DIE PETERSKIRCHF. I\ MÜNCHEN »'SSa
III
besonders vom \'iktualienmarkt aus, mit dem
malerischen Backsteinchor und originellen
Turm — umgeben vom alten Rathaus, dem
Standesamt und der Heiliggeistkirche — ein
prächtiges Stadtbild darbietet.
Die erste wirkliche Pfarrkirche von St. Peter
wurde Ende des 12. Jahrhunderts gegründet
und soll an Stelle einer dem hl. Petrus ge-
weihten Kapelle als dreischiffige Basilika mit
Holzdecke, zwei Türmen und drei Apsiden
im Chor errichtet worden sein, doch ist da-
rüber nichts Sicheres mehr zu ermitteln. Es
ist schon möglich, daß die 1881 abgebrochene,
hinter dem Chor der Kirche stehende, von
dieser jedoch völlig unabhängige Wißkapelle
einige hundert Jahre vor dem Bau der ro-
manischen Kirche bestand, also gewisser-
maßen das erste Reis zur Peterskirche war;
da sie aber zu Anfang des 15. Jahrhunderts
völlig neu gebaut wurde, läßt sich kein be-
stimmter Schluß ziehen. Es ist zu bedauern, daß
diese interessante Kapelle bei Regulierung
des Platzes weichen mußte. Ihre Ansichten
wenigstens hat man in dankenswerter Weise
an einem der neuen Fenster des linken Seiten-
schiffes der Peterskirche in
festgehalten.
Bei Veränderungen des Kir-
chenpflasters in den sechziger
Jahren will man ungefähr in
der Mitte des jetzigen Lang-
hauses Spuren der Apsiden
von der alten romanischen
Basilika gefunden haben: wei-
tere genaue Forschungen dar-
über würden viele Schwierig-
keiten machen, da seit dem
Jahre 1789 bei Beseitigung
des alten Friedhofes auch alle
Grüfte in der Kirche ausgefüllt
werden mußten. Bald scheint
jedoch die alte romanische
Kirche der schnell anwachsen-
den Bevölkerung nicht mehr
genügt zu haben oder stark
reparaturbedürftig geworden
zu sein ; denn schon hundert
Jahre später schritt man zum
Bau einer neuen Kirche an
gleicher Stelle, doch ist den
vorerwähnten Apsidenspuren,
vor allem aber meinen Unter-
suchungen am Mauerwerk zu-
folge, dieser Neubau eigent-
lich nur als ein vollständiger
Umbau anzusehen, bei dem
man eben die Mauern wieder
verwendete. Ob man die
Glasgemälden
beiden romanischen Türme vollständig be-
ließ oder schon zu damaliger Zeit einen
einzigen neuen zwischen die alten hinein-
baute, ist nicht zu ermitteln, da aus dieser
Periode weder Abbildungen noch sichere
Überlieferungen vorhanden sind. Nach dem
großen Brande von 1327 wird uns jedoch
berichtet, der Turm nebst Katharinenkapelle
blieb erhalten', so ist wohl anzunehmen, daß
schon damals ein Mittelturm zwischen den
beiden alten bestand. Nach genauen Unter-
suchungen des Mauerwerks vom Dachboden
aus konnte ich feststellen, daß das Stein-
format der oberen 1 5 Schichten vom Haupt-
gesims ab ein ganz anderes ist als das untere;
auch bei der letzten Renovierung des Turmes
machte ich vom Gerüst aus ähnliche Beob-
achtungen und kam völlig zu dem Resultat,
daß die Umfassungsmauern der Kirche und
des Turmes noch die alten romanischen sind.
Es wird den Freunden und Gönnern der
Kirche wohl besonders am Herzen gelegen
haben, ihr Gotteshaus zu jener Zeit durch
erneuten Glanz als erstes der Stadt zu be-
haupten, denn am 29. März bestätigte Papst
Gregor X. die Erhebung der Kapelle zu un-
serer Heben Frau, unter Lostrennung von
E5^ DIE PETERSKIRCHE IN MÜNCHEN f^ö
St. Peter, als selbständige Pfarrkirche, so daß
der Mutterkirche in der Tochter gewisser-
maßen eine Rivalin entstand. Mit bedeuten-
den Schenkungen, Stiftungen, mannigfachen
Vergünstigungen und Ablässen gefördert,
ging der Bau der Kirche stetig vorwärts, so
daß am 17. Mai 1294 der Bischof Emicho
von Freysing die Kirche nebst 3 Altären ein-
weihen konnte. Bis dahin wurde der Gottes-
dienst in der jetzt noch gut erhaltenen Ka-
tharinenkapelle unter dem nördlichen Turm
abgehalten, welche der sehr vermögende,
fromme Dechant von St. Peter, Konrad Wil-
brecht, schon 1281 auf seine eigenen Kosten
errichtete, mit mannigfachen Einnahmen aus-
stattete, z. B. 60 Gulden jährlich aus einer
von ihm dazu gekauften Fleischbank, und
für die er auch von verschiedenen Bischöfen
Ablässe erwirkte. Für sich selbst stiftete dieser
als besonders hochherzig und wohltätig ge-
schilderte Geistliche einen Jahrtag, welcher
am Vortag des Katharinenfestes gehalten wer-
den sollte, und ein Salve regina, an jedem
Samstag am Altar seiner Kapelle zu beten.
Von vielen Schenkungen reicher Bürger an
Kirchengeräten, Paramenten etc. für die neue
Kirche berichten die Urkunden, und sogar
Kaiser Ludwig der Bayer, ein großer Gönner
In ./.< I.itl,f,:,ucnkiy,h,- z:, Zuiicl,
der Kirche und Verehrer des hl. Petrus, brachte
aus Rom einen Zahn des letzteren zum Ge-
schenke mit; er spendete auch das köstliche
Brautkleid seiner jungen Gemahlin, einer
Tochter Wilhelms V. von Holland, zu einem
Ornat.
Leider waren alle Mühen und Kosten ver-
geblich gewesen, denn schon am 14. Januar
1327 wurde die neue Peterskirche bei dem
großen Stadtbrande ein Raub der Flammen.
Beinahe ein Drittel der Stadt war vernichtet,
Not und Elend allenthalben und der Stolz
der Bürger, die neue Peterskirche, bis auf die
Mauern zerstört! Nach Linderung der größ-
ten Not fing man auch langsam an, die Kir-
che wieder aufzubauen, doch flössen die
Spenden dazu nur spärlich, da sogar noch
viele der reichsten Familien mit den Folgen
des Brandes zu kämpfen hatten. In der von
den Flammen verschont gebliebenen Katha-
rinenkapelle des Turmes hielt man einstwei-
len den Gottesdienst ab. Nach und nach
wurde die Kirche unter großen Opfern wieder-
hergestellt, doch gingen fast vierzig Jahre
hin, ehe sie der Bischof von Freising, am
27. April 1363, weihen konnte, trotzdem sie
noch nicht vollendet war und die Chortafe!
— womit der Aufsatz des Hochaltars gemeint
sein wird — erst zehn Jahre
später zur Aufstellung gelangte.
Der beim Brande verschont
gebliebene Turm wurde erst
in den Jahren 1376 — 86 höher
hinauf gebaut und reichte nun
etwa bis zur Höhe der jetzigen
Cjalerie, wo man ihn über dem
Turmzimmer mit zwei Helmen
und goldenen Knöpfen be-
krönte, wie das Sandtnersche
Stadtmodell von 1572 im Mün-
chener Nationalmuseum zeigt.
Die beiden alten Seitentürme
deckte man schräg ab und ver-
zierte sie mit Backsteinfriesen.
Ein mächtiger, imponierender
Turm war auf diese Weise
entstanden, der Zeugnis von
Bedeutung und Ansehen der
Kirche ablegen sollte ; denn wir
wissen ja, wie unsere Vor-
fahren in Bezug aufTurmhöhe
miteinander wetteiferten. Die
Kosten des originellen Baues
betrugen samt Gemäuer 1285
Gulden (Abb. S. 126). Als maß-
gebende Personen bei dieser
Anlage werden die Kirchen-
pröpste Konrad v. Hausen und
ZWEI APOSTEL
©^ DIE PETERSKIRCHE IN MÜNCHEN »^Ö
113
Hans Rudolf genannt, welclie
auch 1377 ein eigenes Buch
über ihre reiche Bautätigkeit
an der Kirche anlegten, das
jedoch bis auf einige Blätter
verloren ging, die HerrDechant
Kiermayer fand und in das
Seelbuch von 1652 abschrieb,
wodurch uns dieselben über-
mittelt blieben. Kierniaverwar
von 1649 — 1687 als Geistlicher
bei St. Peter tätig und ein
großer Verbesserer der Kir-
chenmusik daselbst, welche bis
dahin als die schlechteste von
München galt.
Die alten Angaben über den
Kirchenbau sind für den ersten
Augenblick manchmal recht
unverständlich und wenig
glaubhalt; vertieft man sich
aber mit aller Liebe in das Bau-
werk selbst, so kommt man
bald dahinter, wie die Sache
eigentlich gemeint war, und
sieht deren Richtigkeit ein
oder kann sich das Fehlende
aus eigener Anschauung leicht
ergänzen ; besonders wenn
man die eigenartigen Fach-
lusdrücke damaliger Zeit in die modernen sehen kann, zu Kapellen für die Altäre aus-
FRrrZ KUNZ
In der Liehjraiuitkirclu zu Zitrich
ZWlil APOSrtL
heutigen überträgt, geht alles eher zusammen,
als bisher angenommen wurde.
Im großen Ganzen haben die erwähnten
Pröpste im Jahre 1378 noch zwei neue Ge-
wölbe (Joche) zugebaut, das Jahr darauf aber
:;ebaut und nicht, wie fiilschlich angenommen
wird, erst Anfang des 17. Jahrhunderts, wo
man u. a. nur noch das Dach der Seiten-
schiffe basilikenförmig veränderte. Nach meiner
genauen Untersuchung ist das Modell in
mals zwei Gewölbe, worunter der Chor ge- keiner Weise verändert oder Zutaten daran
meint sein wird und die innere Einrichtung gemacht worden, die man ja sehen müßte,
vervollständigt. An den Schlußsteinen der da das »anze Langhaus aus einem Stück
Gewölbe, welche bei den Restaurationen des Holz gefertigt ist. An einer Seite sind so-
17. bezgl. 18. Jahrhunderts abgebrochen wur- gar die Strebebögen abgebroclicn und nicht
den, stand eingehauen »Unseres Herrn Barm- wieder ergänzt worden, was bei einer Restau-
herzigkeit und unser lieben Frau«. Die bei- ration sicher geschehen wäre.
den malerischen, vordie I'rontvorspringenden, Bei den meisten mittelalterlichen Kirchen
eckigen Treppentürmchen, zwischen denen Münciiens nützte man den Raum zwischen
sich das Hauptportal befindet, stammen den den Strebepfeilern zu religiösen Zwecken als
Formen nacii aus gleicher Zeit, nur hat man Kapellen für die Altäre aus, indem man die
später die Hauben verändert. Schiffmauern durchbracii und bündig mit den
Die einzig wirklich maßgebende äußere Strebepfeilern anlegte. Die Mauern versah
Ansicht der Kirche, ungefähr vom Ende des man mit Fenstern in den Achsen der neuen
14. Jahrhunderts bis 1607, ist die schon vor- Kapellen und deckte die Anlage basiliken-
erwähnte am Sandtnerschen Stadtmodell von förmig ab. Oft werden solche Kirchen, in-
1 572, nach welcher ich die S. 126 beigegebene folge des Ausbaues der Strebepfeiler, in kunst-
Abbildung zeichnete und die Grundrisse fest- geschichtlichen Werken 'Kirchen mit einge-
stellte. An diesem Modell sind schon die zogenen Strebepfeilern^ benannt. Dies ist
ehemals freistehenden Strebepfeiler, deren jedoch falsch, denn die Pfeiler sind nicht ein-
Spuren man jetzt deutlich zwischen den gezogen, sie stehen wie bei allen anderen
Fenstern an den Außenmauern der Kirche Kirchen noch am richtigen Platze, nehmen
Uchc Kunst. V.
114
©^ DIE PETERSKIRCHE IN MÜNCHEN m(ä
den Schub des Schiftes auf und sind eben
nur wie vorher beschrieben, später zu Ka-
pellen ausgebaut oder, wie bei der Frauen-
kirche, gleich bei Errichtung des Gebäudes
ausgebaut worden, so daß dort also von
Anfang an die Streben nach innen lagen.
Im Jahre 1607 traf die Peterskirche wieder-
um ein bedauerliches Verhängnis, als in der
Nacht des 24. Juli
bei einem heftigen
Gewitter der Blitz
zündend in den
prächtigen Turm
schlug und der obere
Teil mit den beiden
Helmen abbrannte.
Man baute dieselben
jedoch nicht wie-
der hinauf, sondern
deckte über der
Glockenstube eine
Plattform ah und
errichtete darauf die
Türmerwohnung
mit prächtiger Obe-
lisken bekronung, de-
ren höchst originelle
Lösung auf dem
oblongen Grundriß
des Turmes von be-
sonders malerischer
Wirkung ist. Den
in seiner halben
Breite auf Konsolen
ruhenden Wandel-
gang vor der Woh-
nung sicherte man
mit einem schönen,
schmiedeeisernen
Gitter, welches an
den vier abge-
stumpften Ecken mit
Streben befestigt
wurde. Diese ganze a:,!/,,/,,-,
Anlage ist bis heuti-
gen Tages noch unverändert erhalten und habe
ich die S. 128 beigegebene Abbildung des Turm-
helmes nebst Grundriß bei der letzten Reno-
vation des Turmes vom Gerüst aus gezeichnet
bezw. festgestellt. Seit 1607 schlug der Blitz
noch öfter in den Turm, ohne jedoch be-
sonderen Schaden anzurichten.
Im Jahre 1630 ließ Kurfürst Maximilian
die Kirche aus eigenen Mitteln vergrößern,
indem er die von den Kirchenpröpsten Kon-
rad von Hausen und Hans Rudolf 1378 — 79
errichteten vier Joche abbrach und eine
große dreiblätterige Choranlase baute, die,
FriT/ hV\/
r heriL-mhiiktn ,'
abgesehen von einer im 18. Jahrhundert er-
folgten Verstümmelung der Fenster, in ihrem
dunkelroten, malerischen Ziegelkleide nebst
reizvollen Treppentürmchen als eines der
schönsten Architekturbilder aus Altmünchener
Zeit bis heute noch unverputzt erhalten blieb.
Ob nun zu damaliger Zeit der übrige Kir-
chenbau schon verputzt war oder wegen
Schadhaftigkeit des
Mauerwerks bei An-
bau des Chores ver-
putzt wurde, konnte
ich nicht feststellen;
sicher ist jedoch, daß
ehemals die alte Pe-
terskirche,gleich den
meisten öflentlichen
Gebäuden Münchens
aus mittelalterlicher
Zeit, in ihrem präch-
tigen Naturkörper
von Backstein nur
hier und da mit Sand-
oder Kalksteineinlas-
sungen , errichtet
wurde. Bloß die spar-
sam angewendeten
Malereien, die meist
Heiligengestalten
oder Sonnenuhren
darstellten, erhielten
einen verputzten
Grund. Dem durch
Wind und Wetter
teilweise freigeleg-
ten Mauerwerk ist
freilich seine einstige
Schönheit kaum
mehr anzusehen, da
es im Laufe der Jahr-
hunderte durch Ein-
setzen andererSteine
oft repariert und aus-
Mnaik geflickt wurde, was
ich auch am Turm
bei der Renovation beobachten konnte.
Betrachten wir uns die noch übrig geblie-
benen Werke der prächtigen mittelalterlichen
Backsteinarchitektur Münchens näher, so ge-
winnen wir bald die Überzeugung, daß sie
einstens ein ehrlicheres Gesicht zur Schau
trugen, als sie uns jetzt zeigen. Die Barock-
zeit hat leider so vielen älteren, trefflichen
Werken den Todesstoß gegeben, oder den-
selben wenigstens ein Kleid von Putz bezw.
Kalkmörtel übergezogen. Die jetzt noch vor-
handenen, teilweise entstellten, meistens ver-
putzten Baudenkmäler des Mittelalters, sämt-
UNSLKL LILBL FR4U VON 7LRIC
teli/rauenkuche. AM: iinch dem karte
O^ DIE PETERSKIRCdF. IN MÜNCHEN »^ö
"S
liehe Stadttore, Kirchen, altes Rathaus, Zeui^-
haus, alter Hof und zahlreiche Privathäuser,
waren von den Baumeistern damaliger Zeit in
Ermangelung von Sandstein aus Ziegeln ohne
Kalküberzug zur Ausführung gebracht worden.
Ihre Werke sind aber, statt im alten Sinne
restauriert, fast nur mehr verputzt zu sehen ;
wenn jedoch vom Einflüsse der rauhen Wit-
terung der alle
15 — 20 Jahre er-
neuerungsbedürftige
Kalkmörtel los-
springt und das
schöne , sattrote
Mauerwerk bloßlegt,
gibt uns die Natur
die Werke unserer
Väter, wenigstens
teilweise, in unver-
fälschter Art zurück
und enthüllt das
wahre Bild der ein-
stigen Bauweise der
Münchener Baumei-
ster des Mittelalters.
Nur Meister Gang-
hofers ehrwürdige
Frauen- und Kreuz-
kirche, und die male-
rische Salvatorkirche
hat man, wenigstens
äußerlich, noch nicht
durch Putz entstellt,
sie alle drei bilden
nach wie vor die
schönsten Zierden
der Stadt München
aus mittelalterlicher
Zeit. Den massiven
Turm der hl. Kreuz-
kirche durchbrach
man in der Barock-
zeit und baute eine
Apsis an, die gar
nicht zu dem ehr-
würdigen Ziegelbau passen will.
Mit dem Eintritt der Hoch- und Spätrenais-
sance ging die reine Ziegelbauweise auch in
München immer mehr zurück, die Putzfassaden
traten an ihre Stelle und nur wenige reine
Backsteinbauten haben sich aus dieser Zeit
erhalten, z. B. der unvollendete Turm der
Michaelskirche und der Chorbau der Spät-
renaissance von St. Peter. N'iele altbayerische
Städte, ich erinnere nur an Ingolstadt, vor allem
aber Landshut, hatten einstmals eine hohe Blüte
in der Backsteinarchitektur, und eines der her-
vorragendsten Werke ist wohl die Martins-
rUITZ KUS'Z
kirche letzterer Stadt, deren Turm 1432 von
Hans Steinmetz begonnen, durch seine vor-
nehme schlanke Erscheinung zu den edelsten
Gebilden süddeutschen Ziegelbaues zählt, wel-
cher stets in seiner fast klassischen itinfachheit
so kraftvoll und imponierend wirkt.
Lange beschäftigte ich mich mit Bauteilen
an den oberen Seitenwänden der Peterskirche,
deren Zweck schon
auf vielerlei Weise
ausgelegt wurde. Es
sind dies die ca. 25
bis 30cm breiten und
I m hohen vermau-
erten Mauerschlitze,
die oft für die roma-
nischen Fenster ge-
halten wurden , es
aber keineswegs
sind, was schon aus
dem Mauerwerke,
hauptsächlich aber
daraus hervorgeht,
daß diese kleinen
Öffnungen ja nur
außergewöhnlich ge-
ringes Licht gespen-
det hätten. Nach
dem \'iktualien-
markte zu sind die
Schlitze oben mit
einem kleinen Rund-
bogen abgeschlos-
sen, nach dem Ma-
rienplatz dagegen
horizontal. Es iragt
sich nun, welchen
Zwecken diese Off-
nungen gedient ha-
ben? Die aufge-
tauchte Meinung, es
seien Schießscharten
zu Verteidigungs-
zwecken, weil am
Fuße des Berges die
alte Stadtmauer hinlief, ist gänzlich ausgeschlos-
sen, obgleich man derartige F^inrichtungen an
vielen Kirchen, iiauptsächlich der sächsischen
und thüringischen Lande beobachten kann (ich
erinnere nur an die gotische Kirche zu Rein-
städt im Altenburgischen). Überdies haben alle
mittelalterlichen Kirchen Münchens ähnliche
Schlitze aufzuweisen; besonders bei der Frauen-
kirche sind sie noch unvermauert im alten
Zustande an dem das Dach unterbrechenden
Friese in gleichen Abständen voneinander gut
zu beobachten, dsgl. an den Chorwänden der
jetzt so viel umstrittenen Augustinerkirche,
'5*
DICK CITE niKT
l.i,lf,„u„il;irJif
Aiis/iihrung Mosa
ii6
R^ DIE PETERSKIRCHE IN MÜNCHEN ^-^ö
NICOLAUS VON DER
. na:h dem Karton
welche auch einstmals in natürlichem Back-
steinbau errichtet war. Nach genauer Unter-
suchung der Dachböden, sowie des Mauer-
werkes bin ich zu der festen Überzeugung
gekommen, daß diese Offnungen nur zur
Durchlüftung des Dachraumes, hauptsächlich
aber zur Erhellung der Gewölbe gedient haben,
um bei späteren Reparaturen gut arbeiten zu
können. Wir sehen hieraus wieder einmal
eine der Fürsorgen der alten Baumeister für
spätere Geschlechter, doch ist gleichzeitig zu
bemerken, daß bei der trefflichen Bauweise
der Gewölbe sehr selten Reparaturen
nötig waren. Die Baumeister der Barock-
zeit zerschlugen dieselben nur der neuen
Geschmacksrichtung zuliebe, da die
strengen Linien zu ihrer heiteren Bau-
weise nicht mehr passen wollten und
sie selten Schonung für die Bauwerke
ihrer Vorfahren übrig hatten. Auch
am Turm der Peterskirche sind zahl-
reiche der vorgenannten Schlitze noch
unvermauert zu beobachten.
Kurze Zeit nach der Anlage des neuen
Chores wurden auch die Seitenschiffe
nach Abbruch der Strebebögen in Basi-
likenform verändert und bis zum Turm
bezvv. Tor vorgebaut. Die Ansätze der
ehemaligen Bögen kann man jetzt noch
deutlich an den oberen Seitenmauern
wahrnehmen. Als Eingänge errichtete
man die vier prächtigen Portale, welche
in vornehmer Einfachheit einen treff-
lichen Aut bau zeigen und an die Schöp-
fungen Elias Holls zu Augsburg erinnern ;
sie sind heutigen Tages noch wohler-
halten. Gleichzeitig wurden auch die
gotischen Fenster ellipsenförmig ver-
ändert.
Im Innern brach man alle Altäre ab
und ersetzte sie durch neue im Ge-
schmacke der Zeit, reduzierte auch ihre
Zahl, indem man verschiedene vereinigte.
Wo die alten geblieben sind, ist unbe-
kannt, vielleicht sind sie, wie so vieles
andere, von den Handwerksmeistern bei
Lieferung der neuen Altäre mit in Zah-
lung genommen worden und irgend-
wie verwendet. Nur ein einziger aus
mittelalterlicher Zeit, der sogenannte
Schrenkaltar, ungefähr vom Ende des
14. Jahrhunderts, ist noch, wohl eigent-
lich durch Zufall, erhalten geblieben und
wurde fast ganz unversehrt 1841, bei
L^jr Renovation des davorstehenden zweiten
Seitenaltares, in der Wand eingemauert
entdeckt, nach den vorhandenen Spuren
neu bemalt und bildet jetzt eine hervor-
ragende Zierde der Kirche, als einer der weni-
gen Reste aus ihrer mittelalterlichen Zeit. Ein
unklares Gerücht erzählt, daß dieser Altar
schon in der Barockzeit einmal entdeckt, aber
wieder verstellt worden sei. Er besteht aus
einem Aufsatz von grauem Sandstein und
zeigt in übereinander liegenden Abteilungen
mit reichem figürlichem Schmuck das Jüngste
Gericht in Hochrelief Zu beiden Seiten des
Giebels, in welchem der Richter thront, lehnen
über dem Hauptgesims dieWappen derSchrenk,
der vermutlichen Stifter des Altares. Vom
©^ DIE PETERSKIRCHR I\ MÜNCHEN »«Sä
117
mittelalterlichen Hochaltar sind noch die
farbenprachtigen Tafelbilder erhalten,
deren einige als schöner Schmuck an
den Wänden des Chores hängen, wäh-
rend die übrigen sich im Nationalniuseum
belinden.
Zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurde
die Kirche einer nochmaligen durchgrei-
fenden Renovierung unterzogen, die sich
aber hauptsächlich auf das Innere er-
streckte. Man hatte zwar 1729 die Ab-
sicht, abermals eine neue Choranlage
zu bauen, begnügte sich jedoch, da das
Projekt zu kostspielig war und nicht
die Genehmigung des Kurfürsten fand,
mit einer \'eränderung des Chorge-
wölbes, welche Stadtbaumeister Gunez-
rheiner ohne Beschädigung der Mauern
vornahm. Gleichzeitig veränderte man
die Fenster des Chores in der Weise, wie
sie noch jetzt bestehen; den früheren
Zustand, wo sie denen des Schiffes
glichen, kann man auf einem alten Stich
von Michael Wening, einer Stadtansicht
aus dem 17. Jahrhundert sehen, weil
dort der Chor der Kirche hervorschaut.
Zu gleicher Zeit wurde das graziöse,
von Säulen flankierte Eingangsportal zur
Sakristei, bezw. Aufgang zum kurtürst-
lichen Oratorium errichtet, welches sich
gegenüber dem jetzigen Stadtarchive be-
findet und in dem Bogen die Allianz-
wappen Bayerns und Österreichs zeigt,
über welchen ein Chronodistichon die
Jahreszahl 1726 ergibt. Es lautet über-
setzt: r Aufgang, errichtet aus Liebe,
unter dem Kurfürsten Karl Albert und
seiner Gemahlin Amalie. . Turm und
Schiff versah man teilweise außen mit
Malereien, deren Spuren hin und wieder
unter der Tünche hervorblicken.
Die Deckengemälde im Chor fertigte iki
Hofmaler Nikolaus Stuber unter dem
kuriosen \'ertrag, daß, falls die Gemälde
den Kennern nicht entsprächen, er sie auf
seine eigenen Kosten malen müßte; sie stellen
Szenen aus dem Leben des heiligen Petrus dar,
haben aber durch spätere Restauration etwas
gelitten. Gleichzeitig ging man an die Errich-
tung eines neuen Hochaltars, nachdem Stein-
metzmeister Johann Achmüller ein neues An-
tependium, sowie die zum Chor führenden
Stufen und zwei Postamente für die Leuchter
hergestellt hatte. Der Entwurf des Altares
stammt von dem bekannten Bildhauer Egid
Asam, einem der Erbauer der prächtigen Jo-
hanneskirche in der Sendlingerstraße, welcher
auch die Bildhauerarbeiten übernahm undeinige
IlL. JOSEPH
der Figuren selbst schuf; die Marmorarbeiten
der acht Säulen, des Altartisclies etc. wurden
dem Steinmetzmeister Johann Posciienrieder
von Tegernsee übertragen, der sicii verpHich-
tete, den Transport nach München auf eigene
Kosten zu besorgen, was für damalige Zeit
keine Kleinigkeit war, da man nur Wagen
und Pferde als Transportmittel kannte. Der
gesamte, reichvergoldete Altar ist von höchst
prunkvoller dekorativer Wirkung und sehr
guten Verhältnissen. Sein von einem Rund-
bogen umschlossenes Mittelbild vom Maler
Lot stellt das heilige Abendmahl dar.
Kaum war der Umbau des Chores samt
ii8
©^ DIE PHTERSKIRCHE IN MÜNCHEN ^^ö
FRITZ KLX/.
FRITZ KUKZ
Abbildungen nach den h\
HL, FRANZ SALES
seiner Ausschmückung beendet, so ging man
daran, aucii das Langhaus im Geschmaci^e der
Zeit umzugestalten. Unter Leitung des Stadt-
oberbaumeisters Anton Gunezrheiner wurden
die Gewölbe verändert und eine doppelte Pi-
lasterarchitektur mit unten dorischen , oben
jonischen Kapitalen geschaffen. Über den rund-
bogigen Pfeilerarkaden errichtete man logenar-
tige, mit Fenstern abgeschlossene Emporen, an
die sich nach oben Gemälde anschließen, welche
gleichfalls in Rundbogen komponiert sind.
Die reichen Stuckarbeiten schuf der be-
rühmte Wessobrunner Stukkateur und Maler
Joseph Zimmermann, von dem auch die Decken-
gemälde des Mittelschiffes herrühren. Die
Kanzel samt Aufgang wurde von Bildhauer
Bretzner um das billige Geld von 150 Gulden
hergestellt, weil ihm die alte Kanzel mitsamt
ihrer Ornamentik und Figuren überlassen
wurde; auch die alte Orgel wurde gegen Da-
reingabe des Zinnes derselben um nur 1800
Gulden vom Orgelmacher Joseph Hildebrand
durch eine neue mit 26 Registern ersetzt.
Eine wundervolle Arbeit dieser Zeit ist das
prächtige Chorgestühl, welches die Priester-
bruderschaft zur Feier ihres dreihundertjährigen
Bestehens im Jahre 1750 von Hofbildhauer
Joseph Dietrich für 549 Gulden herstellen ließ.
Die Rückwand desselben ist reich mit Schnitze-
reien in Flachrelief verziert und auf dem Ge-
sims des oberen Gestühls sitzen nahezu in
Lebensgröße je zwei Figuren, die Kardinal-
tugenden darstellend. Die mit Messing be-
schlagenen Kirchenstühle wurden zu gleicher
Zeit von Eichenholz gefertigt. ;
Durch zahlreiche Stiftungen etc. gefördert,
war diese große durchgreifende Umwandlung
im Jahre 1756 als glücklich vollendet anzu-
sehen und die Kirche präsentiert sich noch
heutigen Tages in derselben Gestalt. Die Sei-
tenschiffe sind von Tonnengewölben mit Stuck-
verzierung und tief einschneidenden Stichkap-
pen überspannt, während die Gewölbe der
Seitenkapellen Gemälde zieren; unter den Ab-
schlußgittern der letzteren befinden sich einige
schön gearbeitete Stücke, die Beachtung ver-
dienen. Die zwölf holzgeschnitzten, bemalten
Apostelfiguren auf Konsolen an den unteren
Pilastern des Mittelschiffes sind auch Arbeiten
des 18. Jahrhunderts, desgl. die meisten der
Seitenaltäre.
Das Einzige, was man damals aus mittelal-
terlicher Zeit an der Kirche beließ, sind die
schönen Gewölbe nebst spitzbogigen Eingänge
der Katharinenkapelle, welche sogar den Brand
von 1327 überdauerte, und die beiden kleinen
Pförtchen mit reizendem spätgotischem Ge-
wände unter der Orgelempore, hinter denen
Wendeltreppen mit reicli profilierten gotischen
Spindeln in dem nach außen hin vorspringen-
den Türmchen nach der Empore hinaufführen.
Die Anlegung der neuen Pilasterstellungen
dehnte man der Gleichmäßigkeit wegen bis
unter diese Empore aus, so daß das eine Sei-
tengewände der Pförtchen vermauert werden
mußte. Die Gitter davor sind noch die ur-
sprünglichen mittelalterlichen.
Früher besaß die Kirche viele kostbare Meß-
gewänder, Kirchenparamente und Geräte, von
denen nur noch wenige Stücke vorhanden sind,
t5^ AUSSTELLUNG BELGLSCHLR KUNST IN BERLIN »^Ö 119
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In der Lieb/rt
HL. I ELIX
nkircke in Zürich.
FRITZ KLNZ
Abbildungen nach da
HL. ELISABETH
da im Jahre 1789 die Sakristei durch eine Un-
vorsichtigkeit völüg ausbrannte und Anfang
des 19. Jahrhunderts bei Authebung der Klö-
ster und Sperrung der Kirchen noch viele Kunst-
werke zerstört oder verschleppt wurden. Im
erstgenannten Jahre mußte auch, wie bei allen
anderen Kirchen, der umliegende Friedhof au-
ßer Gebrauch gestellt, geebnet und gepflastert,
desgl. alle Grüfte in den Kirchen zugelüllt
werden, wobei man die wertvollen Denkmäler
als schönen Schmuck an oder in der Kirche
anbrachte; letztere würden allein schon Stoff
genug zu langen Betrachtungen geben.
Besonders beachtenswert sind die beiden
spätgotischen Marmorepitaphien in Reliefarbeit
an den Turmpfeilern rechts und links vom
Haupteingang im Innern der Kirche, der Grab-
stein des Dekans Ulrich Aresinger t 1485 und
jener des Balthasar Pötschner und seiner Ge-
mahlin. Audi an den Wänden der Seiten-
kapellen sind Denkmäler verschiedener Zeit-
perioden angebracht, deren vollkommenstes
in Entwurf und Ausführung an der Westwand
der vierten Seitenkapelle angebracht ist. Es
ist eine Beweinung Christi in Bronzeguß mit
späterer barocker Stuckumrahmung, von der
Kurfürstin Maria Maximiliana 1630 der Familie
Ferdinand von Lassos als Denkmal gesetzt.
Bei jedem Besuch der Kirche wird man
wieder auf neue Schönheiten aufmerksam, doch
alle ihre Schätze an derartigen Kunstwerken,
Gemälden etc. zu erwähnen, würde hier zu
weit führen.
Im Jaiire 1903 wurde, da sich des öfteren
vom Turme Steine loslösten, eine Verputzung
desselben vorgenommen, wobei es mir durch
das Baugerüst möglich war, genaue Studien
des Mauerwerkes und eine vollständige Auf-
nahme nebst Grundriß des originellen Turm-
helnies vorzunehmen, der wohl nun für alle
Zeiten seine jetzige Gestalt behalten wird.
AUSSTELLUNG BELGISCHER
KUNST IN BERLIN
Von DR. H.WS SCHMIDKUXZ, Berlin- Haiensee
Ein charakteristisches Gesamtbild der ver-
schiedenartigsten Ausströmungen der mo-
dernen belgischen Schule inneriialb der letz-
ten Jahre« wollte die belgische Ausstellung
sein, die während des Oktobers 1908 im Ber-
liner Secessionslokale gezeigt wurde. Daß
jegliche »Ausstellung', einseitig ist, wurde hier
für die Plastik betont, idie namentlich in
monumentalen Denkmälern und nicht trans-
portierbaren Schöpfungen ihren sprechendsten
Ausdruck findet.. Daß dies auch, wenngleich
weniger, für die Malerei gilt, sollte bei keiner
Ausstellung und gerade hier erst recht nicht
vergessen werden.
Als die zwei grundlegenden Eigenschalten,
»welche die wahren Merkmale der verwandt-
schaftlichen Beziehungen dieser Gemälde zu-
einander sind«, werden bezeiciinet: »die Ehr-
lichkeit in der realistischen Beobachtung der
Natur, und der Reichtum in der Harmonie
der Farben 1. Soweit dies überhaupt zu ver-
©^ AUSSTELLUNG BELGISCHER KUNST IN BERLIN ?^ö
FRITZ KUNZ
HL. REGULA
hl der LU-tfrai
FRITZ KUNZ
■«•/. AM-ilduniren na
HL. CLARA
,/, den Karte.
Stehen ist, verrät es ein mehr nur optisches
Interesse der Aussteller und läßt von dem
Interesse am Seelischen, sowie von phantasie-
kräftigen Schöpfungen absehen, obwohl auch
solche hier nicht fehlen. Wir kennen den
Zusammenhang dieser Einseitigkeit mit der
Verdrängung religiöser, zumal kirchlicherKunst
durch weltliche. Er waltet auch diesmal und
entzieht uns die Kenntnis einer religiösen
Kunst, die von vornherein als reich gelten
kann, wenn man an die Eigenart des Landes
denkt. Schon auf der Lütticher Weltausstel-
lung war eine Ungerechtigkeit gegen jene
Kunst zu erkennen. Dort wie hier muß nicht
böse Absicht herrschen ; es spielen da Dinge
herein, die hier nicht erörtert werden sollen.
Die jetzige Ausstellung wollte hauptsäch-
lich nur so weit retrospektiv« sein, als sie
auch zahlreiche Frühverstorbene zeigt. Eine
reichhaltige Buchliteratur soll ergänzend ein-
treten, insbesondere die «Collection des Ar-
tistes Beiges contemporains«. Zwei dieser
Monographien stammen von C. Lemonnier;
er hatte 1866 »La Belgique« mit Illustratio-
nen von C. Meunier, 1906 »L'Ecole Beige
de Peinture« herausgegeben, und dieses Buch
gewährt ohne etwaige religiöse Tendenz be-
reits einen kleinen Einblick in das auf der
Ausstellung Fehlende.
Die älteren dort erwähnten und auch sonst
bekannten Maler werden vielleicht vom Stand-
punkte der Ausstellung insofern abgelehnt,
da in dieser der älteste (J. Stevens) 181 9 ge-
boren ist. So verzichten wir auf den reli-
giösen Historienmaler F. J.Navez (1787 — 1869),
auf den Genremaler J. B. Madou (1796 — 1877),
auf den weltlichen E. K. G. Wappers (1803
bis 1874), auf den forcierten Tendenzmaler
A. J. Wiertz (1806 — 1865), auf die drei Führer
der weltlichen »koloristischen Historienma-
lerei'. E. de Biefve (1809— 1882), L. Gallait
(1810— 1887), N. de Keyser (1813 — 1887) und
selbst auf H. J. A. de Leys (1815 — 1869), ob-
wohl wenigstens dieser wegen seiner Wirk-
samkeit die Ausstellung gut bereichern würde
(er war u. a. Lehrer des englischen Präraffael-
liten M. Brown und ist auch als Graphiker
leicht zugänglich).
Nun aber Spätere ! Wie bei uns die > Na-
zarener« und noch mehr die älteren religiösen
Düsseldorfer schier geflissentlich vergessen
werden, so scheint es auch mit ihren belgi-
schen Freunden zu gehen. Was in dieser
RichtungG.Guffens(i823 — i90i)undJ.Swerts
(1825 — 1879, ein Freund Karl Müllers und
auch in Prag tätig) geleistet haben, ist nicht
schwer zu finden — bei Lemonnier fast gar
nicht, bequem bei H. Riegel »Geschichte der
Wandmalerei in Belgien seit 1856. Nebst
Briefen von Cornelius« usw. (Berlin 1882).
Und in E. Steinles »Briefwechsel« (1897 I,
S. 91) lesen wir: »Im Frühjahre 1859 ver-
anstaltete das belgische Ministerium in Brüssel
eine x^usstellung von Kartons deutscher und
französischer Meister, um die belgische kirch-
liche und Monumentalkunst zu heben. . . Die
Treibenden in dieser Sache waren die beiden
überaus tüchtigen, an die Altmeister der nieder-
ländischen kirchlichen Kunst anknüpfenden
Antwerpener Maler Guffens und van Swert.«
Q
©^ AUSSTELLUNG BELGLSCHl-R KUXST IX BERLIN S'®«
Aber noch weiter! Es fehlen: der für Bel-
gien besonders wichtige, auch volivstümlich-
religiöse, bei Lemonnier gut vertretene C. de
Groux (1825 — 1870); der auch in Deutschland
wirkende , teilweis religiöse W. F. Pauwels
(1830 — 1904); der schülerreiche koloristische
Landschafter L. Dubois (1830 — 1880); der
Führer der neuen landschaftlichen »Schule
von Tervueren« H. Boulenger (1857 — 1874);
der monumental arbeitende A. de Vriendt
(1843 — 1900), dessen noch lebender Bruder
|. de Vriendt zwar nicht durch sein berühm-
tes > Weihnachtslied (, aber durch ein Bildnis
vertreten ist, nachdem wir ihn vorher durch
eine Zeichnung kennen gelernt hatten (Jahr-
gang V, I, Beil. S. 4 f.); endlich der altertüm-
liche und religiöse E. van Hove (geb. 1852)
und G. van Aise, dessen > Saint Lievin en
Flandren 1883 in Gent zu sehen war. Wäh-
rend der bekannte Impressionist F. Courtens
(geb. 1853), wohl nur zufällig fehlt, werden
die \'orerwähnten vielleicht wegen ihres Alter-
tümeins abgelehnt. Damit würde eben Partei
einbekannt sein. Nun stehen wir vor dem
hier ausgestellten H. de Braekeleer (dem
jüngeren, 1840 — 1888, während der fehlende
ältere J. de Braekeleer, 1792 — 1883, als typi-
scher Genremaler und als Lehrer von Leys
bekannt ist). Würden seine Bewunderer un-
gehalten sein, wenn wir ihn bis zur Art des
Delftschen Vermeer überschätzten ? Und wür-
den es die Bewunderer des Wilhelm Busch
sein, wenn wir auf dessen gleichzeitiger Aus-
stellung im Berliner Künstlerhaus (die wir
hiermit als sehr interessant, sonst aber als eine
kleine Enttäuschung quittieren) seine farbigen
Skizzen gar bis zur Art des A. Brouwer über-
schätzten ?
Von bekannteren Malern finden wir in der
Belgierausstellung folgende vertreten (die wir
nach dem Alter anordnen): die beiden Stevens,
d. i. den beliebten Hundemaler J. Stevens
(1819 — 1892) und den Schöpfer von Interieur-
szenen mit Modekostümen A. Stevens (1823
1 Hl 1/ KLNZ
1 lal/. KLS/.
Die christliche Ku
'S>m AUSSTELLUNG BELGISCHER KUNST IN BERLIN mQ
bis 1906), der besonders den neutranzösischen
Einfluß auf Belgien vermittelte; den jetzt wohl
auch als Maler zur Genüge anerkannten C. M e u -
nier (183 i — 1905), dessen Arbeiterbilder bei
mehreren der Nachgenannten Gefolgschaft
finden; sodann F. Rops (1833 — 1898). Die
so verschieden beantwortete Frage, ob dieser
Künstler als spekulativer Cyniker oder als
ernster Satiriker zu verstehen ist, kann wenig-
stens diesmal eine günstige Antwort finden.
Zwar seine Graphik »Ein Begräbnis im Wal-
lonischen« ehrt ihn wenig. Sonst aber be-
stätigt sich Lemonniers Kennzeichnung: »il
celebra la liturgie du peche en casuiste en-
sorcele bien plus qu'en adepte des saturnales.«
Von seinen das religiöse Gebiet streifenden
Gemälden fehlt die schauerliche Versuchung
des heiligen Antonius (/Cest la glose des
desagregations morales d'un temps qui se sou-
met ä la Suprematie du principe feminin«).
Vorhanden ist derpackend phantastische Satan,
der Unkraut sät. Im übrigen interessieren
besonders seine Virtuositäten der Radierung
(auch Weichfirnis und kalte Nadel); ein Licht-
druck nach »Les adieux d'Auteuil", ist von
ihm selbst gänzlich übermalt.
Wir begegnen weiterhin: K. E. Wauters
(geb. 1846), der nicht als Historiker, sondern
als Porträtist kommt und als solcher modernem
Geschmack wohl zu süßlich erscheint; E. Claus
(geb. 1849), als Pleinairist und Pointillist be-
kannt und hier durch Landschaften vertre-
ten, die wahrhaft überzeugend wirken ; F. van
Leemputten (geb. 1850), der statt seiner
Arbeiterbilder nur eine Landschaft bringt;
L. Frederic(geb. 1856), von dem hier ebenfalls
mehr sein zum Teil geschmackloser Pleinai-
risnius, als seine Charakteristik des Arbeiter-
lebens hervortritt, und dessen /Zum Schmucke
der Kirche« (Nonnen mit Kindern) Hervor-
hebung verdient; F. Khnopff (geb. 1858),
dessen vielberufene Mystik uns nicht abstöf]t;
H. Luyten (geb. 1859), der wiederum nur
durch ein Bildnis statt durch seine Arbeiter-
bilder vertreten ist; T. van Rvsselberghe
(geb. 1862), von dessen gut impressionistischer
und pointillistischer Phantasiekraft das ein-
zig vorhandene Porträt nur dürftig spricht :
E. Laermans (geb. 1864), ein Armenmaler im
besten Sinne des Wortes, neben dessen »Fried-
licher Abendstimmung". »Der Blinde« und
»Der Betrunkene« auch durch eine eindrucks-
volle Flächenkunst hervorragen ; A. Barts o e n
(geb. 1866), hier wohl der Hauptzeuge für
die flämische Kunst stimmungsvoller Stadt-
bilder, neben dessen »Dämmerstunde in einem
flandrischen Städtchen« u. dgl. auch gute
Radierungen von seiner Kunst zeugen ; V. Gil-
soul (geb. 1867?), dessen anerkannte Land-
schaftskunst durch zwei Proben vertreten ist;
endlich den jung verstorbenen fruchtbaren
H. Evenepoel (1872 — 1900), von dessen
Pariser Szenen, an Manet und an Rops er-
innernd, Gemälde sowie GrifTelwerke ausge-
stellt sind.
In weiteren Kreisen wohl noch unbekannt
sind zahlreiche, meist anscheinend ganz junge
Künstler. Die wohl eigenartigste Kunst der
diesmal zu sehenden Belgier, die Meisterschaft
in der verträumten Stimmung von Innen-
räumen, gipfelt vielleicht in den »Langsamen
Stunden« des (jüngeren) H. Courtens. Neben
vielen Landschaften, z. B. denen des bereits
länger vergangenen L. Artan (1837 — 1890)
Schule Tervueren), den Tierbildern des eben-
falls schon weit zurückreichenden A. Verwee
(1838 — 1895) und der uns gut auffallenden
Schneelandschaft des wohlangesehenen Aka-
demiedirektors von NamurT. Baron (1840 bis
1899) wirken trotz oder wegen naturfremder Be-
handlung eindrucksvoll: »Nächtliche Weihe«
von H. J. Hey m ans (geb. 1839, ebenfalls Ter-
vueren), »Die Schule des Plato« vonj. Del-
ville und das umfangreiche »Sacra sub ar-
horei von C. Montald — eine im guten
Sinne dekorativ-malerische Schöpfung, die
zwei letzteren Werke jedoch beeinträchtigt
durch süßliche Körperfarben. Totentanzartig
sind ein Gemälde »Fasching« von C.Lam-
bert und besonders eine der beachtens-
werten Radierungen von J. Ensor.
Eigentlich Religiöses fehlt fast völlig. Als
äußerlichen Ersatz dafür haben wir (während
ein A Heiliger Georg« von M. Langaskens
nur im Kataloge, nicht in der Ausstellung
vorhanden ist) licht- und farbenreiche, zum
Teil sogar an Phantastik reiche Kirchenin-
terieurs u. dgl. von L. Cambier, W. Vaes
(ebenfalls mit guten Radierungen), A. Ver-
haeren und besonders von A. Delaunois,
dessen Zeichnungen und Radierungen auch
von einem tieferen Können zeugen. Die beiden
Smits (E. und J.) sind nicht mit den in-
timeren Kompositionen vertreten , die uns
wohl ein noch günstigeres Bild geben wür-
den, als es kleinere Genrestücke u. dgl. tun.
Im übrigen kehren mannigfaltige typische Ein-
drucksbilder von Landschaften, zumal aus dem
Hafenleben, wieder, auch bei Künstlern, die
noch mehr können, z. B. bei C. M er t e n s. Neben
einem gut auffallenden »Sommer« von G. Mor-
zen und einen ebensolchen »Mondschein«
von J. Rosseis (geb. 1828, Tervueren) bringt
z. B. E. Le vert (1865 — 1901) ein als »Akkord
auf Blau und Rot« bezeichnetes Interieur und
H. Thomas charakteristische Akte. Das
SJ^ BAMBERGER ELFEXBEINRELIEF ?^?3
123
Portratgemälde erhebt sich, etwaJ.Verhe yden
ausgenommen, nicht hoch ; ein Bildnismaler
von der Kraft des L. de Winne (1821 — 1880),
dessen Standbild in Gent von dem nachher
zu erwähnenden P. de Vigne herrührt, würde
wohl schon zu »alt« für die jetzige Ausstel-
lung sein.
Dagegen erfreut sie durch plastische Bild-
nisse und überhaupt durch Plastik. An Alter
steht voran C. van der Stappen (geb. 1843),
der malerische« Brüsseler Akademiedirektor,
fruchtbar auch für das Kunstgewerbe ; sein
David« und »Der Mann der Schmerzen«
mögen als religiöse Werke gelten. Der klas-
sische P. de Vigne (1843 — 1901) bringt cha-
rakteristische Einzelfiguren. J. Dillens(i849
bis 1904) steht ebenfalls seit langem in all-
gemeiner Anerkennung. Sein etwas geziertes
Kirchhofswerk »Das Schweigen des Grabes«
lernen wir hier durch eine verkleinerte Wieder-
gabe kennen ; daneben seinen Entwurf der
Marmorstatue des Malers Bernd van Orley,
die mit neun anderen das Brüsseler Denkmal
Egmonts und Horns umgibt. T. \'incotte
(geb. 1850), der Hof-, Salon- und Pferdebild-
ner, ist nur durch Kleineres vertreten. Der
nach viel V'erkennung mit Recht berühmte
flämische Michelangelo;; j. Lambeaux(i852
'bis 1908), tritt umfassender hervor; sein Frag-
ment des Modelles zum bekannten Relief der
»Menschlichen Leidenschaften«, die »Verfüh-
rung <, kann die widersprechenden Urteile,
die vor drei Jahren seinem »Gebissenen Faun«
zuteil geworden sind, in einer von seelischer
Kunst zeugen den Weise günstig klären. \'. Rous-
seau (geb. 1861). auf dessen Eigenart anschei-
nend viel Hoffnung gesetzt wird, arbeitet eben-
t'alls mit eindringlicher Phantasiekraft, und
j. V. Lalaing als vielseitiger Plastiker und
Maler. Die Bildnisse von C.Samuel (geb. 1862)
sind zierlich, die von J. Lagae (geb. 1862)
und die Medaillen von G. d e V re e s e (geb. 1 86 1 )
gehören zu den besten. Es fehlen u. a. aus
älterer Zeit K. H. Geerts (1807 — 1855), E. Si-
monis(i8io — 1882) und G. deGroot(geb.i839);
aus jüngerer Zeit G. Minne (geb. 1867).
Den Museen und den Privaten, weiche die
Ausstellung durch Leihgaben bereichert, sowie
den zwei Kunstgesellschaften, welche sie ver-
anstaltet haben, gebührt mindestens der Dank
einer Revanche, um die's ihnen wohl eben-
falls zu tun war: einer reichlichen Beschickung
der Brüsseler Ausstellung von 19 10 durch
Deutschland. Hoffentlicli wird dabei die jetzige
Einseitigkeit nicht ebenso nacligeahmt, wie
in unseren eigenen Galerien und Ausstel-
lungen.
Das \'orstehende war bereits geschrieben, als
dem Referenten eine es bestätigende Zeitungs-
notiz bekannt wurde (»Vossische Zeitung«,
13. Okt. 1908, Nr. 481, 6. Beilage). Danach
habe diese Ausstellung bereits vorher in Brüssel
Unmut erregt, infolge von Lücken, »die ge-
schaffen wurden, weil gewisse Kreise gewissen
Leuten nicht genehm sind«. Mit unserem
Vermissen von Arbeitcrbildern scheint es zu
stimmen, daß namentlich H. de Groux (der
jüngere) in der heftigsten Weise protestiert
habe. Künftig solle die Zulassung zu belgi-
schen Ausstellungen im Ausland einer vom
Staat und den maßgebenden Künstlervereini-
gungen zusammengesetzten Jury anvertraut
w'erden. Es sei anzunehmen, daß die Aus-
geschlossenen , unter denen sich namhafte
Künstler befinden, noch in dieser Saison in
Berlin eine weitere belgische Ausstellung or-
tranisieren«.
DAS BAMBERGER ELFENBEIN-
RELIEF CIM 57 AUF DER HOF-
UND STAATSBIBLIOTHEK
ZU MÜNCHEN
Von MAX HAUTTMAXN
Die karolingische Kunst ist nicht die F'rucht
einer organischen künstlerischen Ent-
wicklung des Germanenvolkes, sondern die
künstliche \'erpflanzung einer den Germanen
wesensfremden Kunst, der Antike, nach den
deutschen Landen, hauptsächlich zum Zwecke
der Erziehung der Franken. Karl der Große
und sein gelehrter Kreis stellten dem \'oike
antike Kultur, Literatur, Wissenschaft und
Kunst als Vorbild auf und schmeichelten
sich, eine »Wiedergeburt des Wesens der Al-
ten« herbeigeführt zu haben. Wir werden
heute der karolingischen Periode den Namen
der ersten Renaissance nicht zuerkennen
können : die germanischen \'ölker waren
noch nicht reif genug zu einem selbständigen
Erfassen und fruchtbaren \'erarbeiten der
Antike, der karolingischen Kultur fehlen die
Wurzeln im Volke und damit die Kraft zu
einer eigenartigen Entwicklung: Und so ist
sie, wenn wir auch sehr interessante Ver-
suche zu einer \'ermischung der eben noch
zu wenig ausgebildeten germanischen Ele-
mente mit den antiken finden und trotzdem
das ganze Mittelalter letzten Endes in ihr
verankert liegt, doch weniger der Beginn
einer neuen Zeit als vielmehr ein Ausleben
der Antike: die karolingische Kunst bringt
immer wieder die antiken Formen, antangs
124
»^ 15AMBERGER ELFEN l^EINRELIl-F mö
noch frisch, später, bei zunehmendem tech-
nischem Raffinement oft äußerhch und ober-
flächlich erfaßt, und ihre Diirstellungen ver-
raten nicht nur in der Vorhebe für Stoffe
lehrhaften, besonders dogmatischen Charak-
ters den gelehrten antiken Geist, sondern
sind trotz des Verbotes Karls des Großen ')
mit direkt aus der Antike herübergenomme-
nen Motiven und Vorstellungen, Personih-
kationen und Allegorien durchsetzt.
Die Münchner Hof- und Staatsbibliothek
besitzt ein karolingisches Elfenbeinrelief aus
dem Bainberger Domschatz, das die Kreuzi-
gung darstellt (cim 57, clm 4452). 2) Das Re-
lief ist in einen mit Emaillen und edlen
Steinen geschmückten Buchdeckel eingelassen,
die eigentliche Darstellung von einem Blätter-
kranz und einlachen Leisten, an den Längs-
seiten von zwei breiteren Ornamentstreifen ein-
gefaßt (Abb. S. 125). Dem Werke liegt die ide-
alistische Auff"assung der Kreuzigung zugrunde.
Der Künstler führt uns zwar den historischen
Akt vor Augen und ist bestrebt der biblischen
Schilderung zu folgen, indem er Maria mit
den weinenden Frauen, Johannes, Stephaton,
der Christus den Essigschwamm reicht, und
Longinus, der den Stoß mit der Lanze nach
Christi Seite führt, anbringt. Aber wie der
Gekreuzigte durch seine Größe aus den um-
gebenden Figuren herausgehoben und zum
Mittelpunkt der ganzen Tafel gemacht ist,
so ist auch der historische Vorgang heraus-
gehoben über das Irdische und in seiner ewigen
Bedeutung als Opfertod des Sohnes Gottes, als
Mittelpunkt der Heils- und Weltgeschichte
erfaßt: Christus, 3) den sich die fromme
Ehrerbietung nicht leidend vorstellen will,
schwebt mit Kreuznimbus und Lendenschurz,
ohne Nägel und Wundmale, ohne Suppe-
daneum frei vor dem Kreuz mit geöff'neten
Augen und wagrecht ausgebreiteten Armen
als Erlöser, der sich freiwillig hingibt für die
Menschheit. Das Haupt ist auf die rechte
Schulter gesunken, der Augenblick des Ver-
scheidens ist nahe: Von den Engeln, die
das Kreuz umschweben, hat der mittelste ein
Tuch ausgebreitet, in dem er die Seele des
Verstorbenen hinauftragen wird 4) zu Gott
') In den Libri Carolin!, vergl. Janitschek, Gesch. d.
deutschen Malerei, S. 16, 17.
^) Die reichhaltige Literatur darüber ist zusammen-
gestellt in der Besprechung bei W. Vöge, Eine deutsche
Malerschule usw., Westdeutsclie Zeitschrift für Geschichte
und Kunst, Ergänzungsheft VII, Trier 1891, S. 113 ff.
Das Wichtigste aus der neueren Literatur wird im Ver-
lauf der Darstellung angeführt.
3) Nicht barüos (Vöge), sondern mit Vollbart.
•t) Nach Analogie von verschiedenen Darstellungen,
z. B. der allerdings späteren des Todes Maria (Blatt 161 b),
Vater, dessen Anteilnahme an denr Vorgang
auf Erden durch die aus den Wolken reichende
Hand versinnbildet ist. Durch seinen Tod
bricht Christus die Macht der Hölle: das be-
deutet die Schlange, das Prinzip des Bösen,
die verendet zu Füßen des Kreuzes liegt.
Die vegetative Form des Kreuzes spielt auf
die Legende an, daß der Kreuzesstamm vom
Baum der Erkenntnis herkommt. 5) — Christus
stirbt am Kreuz, aber er überwindet den
Tod: Daran erinnert der Künstler durch die
Darstellung auf dem mittleren Felde: Vor
einem dreistöckigen Grabbau, hinter dem
vier Wächter sichtbar werden, verkündet der
Engel den überraschten Frauen, die mit Salben-
büchsen zum Grab gekommen sind, die Auf-
erstehung des Herrn. Unter dieser Szene ist
die Auferstehung der Toten angebracht, die
auf die Erlösung der Seelen in der Vorhölle,
besonders der Stammeltern,'') hinweist. Um
die weltumfassende Bedeutung der Kreuzi-
gung zu versinnbilden, läßt der Künstler die
ganze Natur an dem Vorgang teilnehmen :
Sonne und Mond, in den beiden oberen Ecken
in Kranzmedaillons als Gottheiten mit Fackeln
in Wagen dargestellt, Sol von vier Rossen,
Luna von vier Kühen gezogen, Meer und Erde
in den unteren Ecken, Oceanus als bärtiger
Mann mit Schlangenhörnern auf dem Kopf 7)
charakterisiert durch ein Füllhorn und eine
ausgegossene Urne, Tellus ebenfalls mit Füll-
horn und zwei Schlangen, von denen eine an
ihrer Brust saugt.
Drei Figuren bleiben uns noch zu deuten
übrig. Es handelt sich um Personifikationen,
wie sie weiterhin im Mittelalter geläufig sind
und zu deren Erklärung die Liturgie, Hymnen
und teilweise auch das geistliche Schauspiel
herangezogen werden müssen 8). Leicht ist
die Deutung der weiblichen Gestalt in lan-
gem Mantel unter dem Kreuz : Es ist die
Personifikation der Kirche, eine Ekklesia, mit
der Fahne der Weltherrschaft und dem Kelch,
in dem sie, die bestellte Verwalterin des
Sakramentes, Christi Blut auffängt. Schwierig
dagegen ist die Erklärung der Gruppe rechts
am Rande. Sie hat die verschiedensten Aus-
der Handschrift clm 4452. Ein Schweißtuch scheint
nicht zur Auffassung zu passen. — Bei den seitlichen
Engeln sind Kreuz- oder Lilienstäbe zu rekonstruieren,
vergl. Kreuzigungsrelief von Essen.
5) F. Piper, Der Baum des Lebens, Berlin 1863.
•>) Die Legende nimmt Adams Grab auf Golgatha an.
Adam ist unter dem Kreuz inschrifthch bezeugt. Vergl.
dazu Otte, Handbucli der kirchlichen Kunstarchäologie,
Leipzig 1883, I. S. 540.
7) Vergl Kreuzigungsrelief von Tongern (abg. bei
Cahier-Martin, Melanges d'Archeologie, Vol. II, PI. VI.)
^) Vergl. Paul Weber, Geistliches Schauspiel und kirch-
liche Kunst, Stuttgart 1894.
125
Zum Arltkel S. ujff.
CIM 57 DEK KÜL. STAATS-
BIBLIOTHEK MÜNCHEN«
126
S2^ BAMBHRGI-R EI.FENBEINRELIEF m:<2>
legungen erfahren, von denen die Webers am
besten sein dürfte. Weber') erkennt, wie die
meisten anderen Eri^lärer, in der stehenden
Figur die Eklvlesia wieder und deutet die mit
einer Mauerkrone geschmückte, vor einem Ge-
bäude sitzende Frau, die eine Scheibe auf
dem Schoß hält, als Synagoge, die Personi-
fikation des Judentums. Und die Szene erklärt
er auf Grund einer als Anhang zu den Werken
des Kirchenvaters Augustinus auf uns ge-
kommenen Schrift : De altercatione Ecclesiae
et Synagogae dialogus als ein Streitgespräch
zwischen Kirche und Synagoge. Durch die
Worte des Dialogs können wir mühelos die
einzelnen Attribute deuten: Die Synagoge
sagt zur Ekklesia : >Ich herrschte .. . bei Jeru-
') A. a. O., S. 27 ff. Andere Erklärungen sind zusam-
mengestellt bei Vöge a. a. O., S. i u).
DIE ST. PETERSKIRCHE IN MÜNCHEN
Früherer Zustand. Text S. r/2 und 1:3
salem in Purpur gehüllt; ich besaß das römi-
sche Reich, ich besiegte fremde Völker...«
Darum das Gebäude und die Mauerkrone
und das prächtige Gewand auf unserer Dar-
stellung, darum auch der Schild, als den wir
wohl die Scheibe in ihrer Linken zu erklären
haben, 2) das Zeichen ihrer kriegerischen
Macht. Am Schlüsse des Dialoges unterwirft
sich die Synagoge bedingungslos der Ekklesia
und so schreitet auf unserer Darstellung die
Ekklesia auf die Synagoge zu und nimmt ihr
das Zeichen ihrer Macht, den Schild ab. —
Leicht fügt sich dann in diesen Ideenkreis die
auch von andern Erklärern gegebene Deutung
des üppigen Weibes auf dem Thronsessel
zwischen Meer und Erde. Es ist die Roma,
die, bisher unter der Herrschaft der Synagoge,
sich Christus und seiner Kirche bewundernd
zuwendet.
Zu der Gruppe rechts vom Kreuz ist
noch einiges zu bemerken. Ich glaube
nicht, daß die Ekklesia, wie Weber an-
nimmt, mit der Fahne auf die Syna-
goge zuschreitet; der Stelle ist zwar
schwer beizukommen, aber man kann
doch erkennen, daß die halbgeöffnete
rechte Hand der Synagoge mit den
Fingern an der Fahnenstange, die die
Ekklesia in der Faust hält, anliegt, und
die ganze Haltung des Arms spricht da-
für, daß die Synagoge eben noch die
Stange in der Hand gehabt hat. Deshalb
werden wir hier die Fahne der Syna-
goge zu sehen haben, die die Ekklesia,
die neue Herrscherin, mit dem Schild
an sich nimmt. Gewöhnlich sind beide
Personihkationen mit der Fahne ausge-
stattet, hier hat aber der Künstler aus
Platzmangel, oder weil er das Entreißen
deutlich machen wollte, nur eine ange-
bracht. Klar läge die Sache, wenn die
Fahnenstange nicht oben abgebrochen
wäre. Die Fahne der Ekklesia unterm
Kreuz läuft nämlich in ein Kreuz aus
und zwar ist dieses ganz nahe an der
zweitobersten Befestigungsstelle des Fah-
nentuches auf die Stange aufgesetzt. Die
strittige Fahne ist über der obersten Be-
festigungsstelle des Fahnentuches abge-
brochen, es müßte also, wenn es die
gleiche Fahne wie die unterm Kreuz
wäre, noch ein Stück des Kreuzvertikal-
balkens zu sehen sein, was nicht der
Fall ist. So spricht die Fahne selbst zum
mindesten nicht gegen obige Erklärung.
^) Vergl. die Kreuzigungsdarstellung im Drogo-
saliramentar, abg. bei Weber, a. a. O., S. i6.
Text S. 18.
»B^ ba.\ibergi;r elfexbeinreliiü- >^?S
127
DIE ST. rETl£RSKlRCHE 1\ MCNCHES
Jftzigfr Ziistaftd, Text S. 114
Ferner: Bei beiden Figuren der Ekklesia
ist der Mantel ganz charakteristisch drapiert:
Er endigt nicht, wie bei den andern Frauen,
verdeckt, sondern das Ende ist noch einmal
über die Schulter auf den Kopf hinaufge-
nommen und fällt in langer Linie den Rücken
herunter. Diese Art der Drapierung erfor-
dert ein Befestigungsmittel auf dem Kopf und
wirklich sehen wir bei der Gestalt rechts
auf dem Kopf eine kleine Erhöhung, die vorne
durch eine vertikale Kerbe in zwei zacken-
ähnliche Teile zerlegt wird. Eine dritte Zacke
scheint dahinter weggebrochen zu sein. Dar-
unter kann man einen schmalen horizon-
talen Reif unterscheiden, der möglicherweise
mit Punktornament verziert war. Beim Kopt
der Figur unterm Kreuz, der stark abgescheuert
ist, läLk sicli nichts Sicheres mehr erkennen.
\'on der Ekklesia rechts aber möchte ich an-
nehmen, daß sie einen Kopfsciimuck trägt
und zwar entweder einen sciimalcn, vom Kopt-
tuch verdeckten Reif — die Form des Hinter-
kopfes wiese darauf hin — auf dem vorne
über der Stirn irgendein Emblem oder Zacken
saßen, oder nur eine Art Diadem als »zag-
hafte Andeutung einer Krone« — ähnlich wie
sie Swarzenski nachweist. ') Wir hätten dann
hier eine der frühesten gekrönten Ekklesia-
figuren und die Worte der Kirche im Streit-
dialog: »Daher bin ich jetzt die Königin,
. . ich bin die Braut des Herrn, der mein Haupt
gekrönt hat;, wären deutlich illustriert.
Die Handschrift, die unsere Platte schmückt,
wurde von Heinricli II. vor 1014 nach Bam-
berg gestiftet und man iiat früher die Platte
für gleichzeitige deutsche Arbeit gehalten.
Heute ist man sich darüber einig, daß sie
eine karolingische Arbeit ist, die, wie das oft
geschah, im i I.Jahrhundert von einem älteren
Werk weggenommen \s urde. Die Platte ist auf
Untersicht gearbeitet; In den einzelnen Ab-
teilungen sind die unteren Partien als Flach-
relief behandelt, während die oberen immer
mehr heraustreten, was besonders bei den
zwei Grabbauten in der untern Abteilung deut-
lich zu sehen ist: Sie scheint also von An-
fang an bestimmt gewesen zu sein, ein auf
») In dem Cod. VI. 55 des Stiftes St. Peter in Salz-
burg. Vergl. G. Swarzenski, Die Regcnsburger Buch-
malerei, Leipzig 1901, S. 15 g.
128
SX^ ORPHEUS REGRUSZT DAS LICHT S^ö
Jetziger Abschhip des Turmes der Peter
in Müitcheit. Text S. Ild
dem Altar auf einem schrägen Pult liegendes
Buch zu schmücken. — Ikonographisch fügt
sich unser Werk in eine größere Reihe von
Kreuzigungs darstellungen'jein, von denen ein
Elfenbein im South -Kensington -Museum in
London (Westwood Nr. 255) und eines aut
dem Deckel von Cod. 9383 der Bibliotheque
nationale in Paris ihr am nächsten stehen,
jedoch einen mehr altertümlichen Stil ver-
treten, so daß unsere Platte wohl erst ins
IG. Jahrh. zu setzen ist. Stilistisch gehört
sie mit ihren starken antiken, byzantinischen
und angelsächsischen Einflüssen zu derCruppe
von Elfenbeintafeln, an deren Spitze die
Illustration zu Psalm 56 auf dem Psalter Karls
des Kahlen in der Pariser Nationalbibliothek
steht und zu der auch das Kreuzigungsrelief
im Bayerischen Nationalmuseum zu rechnen
ist. Diese Gruppe deckt sich vollständig mit
den Werken eines für Rheims^) nachge-
wiesenen Miniatorenateliers, aus dem auch
der Utrechtpsalter hervorgegangen ist, und
so dürfen alle diese Elfenbeine als Arbeiten
der Rheimser Schule bezeichnet werden.
ORPHEUS BEGRUSZT DAS LICHT
Nach einem Bilde von Corot
Mit Silbersohlen auf der Wolken Gold
Nahst du, Aurora! — Strahlend aufgerollt
Hebt sich der Purpurvorhang aus dem Tal
Und Sonnenfluten strömen aus zumal.
Ich aber singe; Heil dem Weckerlicht!
im Glück gebadet heb' ich mein Gesicht
Zu deiner ew'gen Schönheit, Helios !
Aufleuchtend grüßen Blumen dich und Moos!
Aufleuchtend grüßenSträucher dich und Baum,
Spirä und Binse auf der Wiese Raum,
Schwerthalm und Lilie an des Stroms Gestad,
Durchsicht'ge Gräser an des Baches Pfad!
Und alle Wipfel, die dein Segen krönt
Und alle Stämme, die er leuchtend tönt.
Und alle Birken, die er küssend trifft,
Die Weiden, die er malt mit Silberstift.
Das Zitterflimmern, das im Wasser schwimmt
Die Strahlenwege, die's vom Himmel nimmt.
Und alle Fernen, die durchleuchtet stehn
Und alle Berge, die in Duft vergehn.
Das ganze Leben, das du glühend schufst
UndausderNachtzumGlanzdesMorgensrufst.
Sieh', beide Arme streck' ich betend aus,
Daß du vernehmest meines Lieds Gebraus.
Im Jubel all mein Wesen hochaufschießt.
Weil voll von Licht die ganze Seele ist.
M. f-lcrbert
') Vergl. Mulinier, Ivoires, Paris 1896, S. i;
^) Vergl. Swarzenski, Die karolingische Malerei und
Plastik in Rheims. Jahrb. d. Kgl. preuß. Kunstsammlun-
gen 1902.
Für die Redaktion
■tlich : S. Staudhamer
Druck von F.
;naJeplatz 3); Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, G.
ann A,G. - Sämtliche in München.
Adolf von Hildebrandt
Porträtbüste des Professors
Jos. Floßmann o o o o o o
AHB. I. LINKER SEITEKALTAR IN EMERTSHAM (OBBAY.)
UM I ; io. — Text S. 130
CHARAKTRRISTIK DER SPÄTGOTISCHEX HOLZPLASTIK
DES INX-SALZACH-GEBIETHS
Von Dr. G. E. LÜTHGEX
r^as Inn-Salzach-Gebitt, J. h. das Land zwi-
*-^ sehen Inn und Salzach nördlich von Tirol,
gehörte während des ganzen Mittelalters zu
der Erzdiözese Salzburg Als Metropole der
ehemaligen Kirchenprovinz Bojarien war Salz-
burg in der Tat das alte Kulturzentrum des
deutsciien Südostens .. \'on jeher lag hier ein
Hauptsitz des Kunstlebens für das jetzige Ober-
bayern.
Die natürlichen Grenzen des Inns und der
Saizach, die vorherrschende Stellung Salzburgs
gaben der Kunst dieses Gebietes starke ge-
meinsame Züge : Gleichartigkeit in der \'or-
liebe lür Stoffe, die mehr einer gefühlsmäßi-
gen als intellektuellen Behandlung zugänglich
waren; Gleichförmigkeit in der Wahl formaler
Motive, die scharfer Akzentuierung entbehrten ;
dazu die Neigung zu einer die individuellen
N'erschiedenheiten stark verschleiernden Form-
gebung.
Das Ciiarakteristische des Salzburger For-
mensinnes liegt in seiner Entlehnung von Ele-
menten italienischen Formgefühles. Ein leises
Nachklingen des leinen Geschmackes der rei-
fen Kultur der romanischen Rasse scheint hier
Gleichwertigkeit der formalen undpsvchischen
Probleme bedingt zu haben. Doch nur zu-
weilen ungetrübt. Denn allzu oft wird durch
merkwürdige, fast bäurisch barocke Einfälle
das in seinem Wesen erfaßte Forniprinzip
gänzlich verdeckt.
Die tiroler und italienischen Anregungen
in der Formensprache des Inn SalzachGebietes
hat für die Malerei B. Riehl eingehend nach-
gewiesen.') Der spezitische Charakter der ge-
samten Kunst dieser Gegend wird bestimmt
durch die Kunst Südtirols, ) deren Eigenart
wieder wesentlich ihre Beziehungen zu Ober-
italien bedingen;.
Vor einer Überschätzung dieser italienischen
Elemente in der Kunst Tirols muß man sich
jedoch hüten. Denn daß die eigenen selb-
') U. Riehl, Studien zur Gesch. d. bayer. .Malerei des
XV. Jahrh. 1895, S. 60. Verpl. auch Lüthgcn, Die Holz-
plastik der Spätgotik im Gebiete zwischen Inn und S.-i1z-
ach, S. 10 ff. Diss. München 1907.
Die christliche Kumt. V. s.
no ö^ SPÄTGOT. HOLZPLASTIK DES INN- UND SALZACHGEBIETES J^ö
ständigen Formen in der tiroler Kunst einer
iiarmonischen Verschmelzung mit wesensfrem-
den Elementen widerstanden, das beweisen
gerade die besten Werke dieser Schule. Was
an Italienischem darin zu bemerken, zeigt sich
allzu oft als Fremdkörper innerhalb der aus
eigenen Wurzeln entsprungenen, eigenartigen
Kunst, im Verlaute der Entwicklung aut diese
aufgepfropft.
Die Intensität des Formgefühls, das dem
romanischen Künstler eigentümlich, steht der
individuellen Gestaltung eigenwilligen Innen-
lebens entgegen. Ein Ahnliches findet sich
wie ein fernes, leises Nachzittern in der Kunst
des Inn-Salzach-Gebietes. Tiefe des Ausdrucks
war nie das letzte Ziel dieser Schule.
Nachdem um die Mitte des 15. Jahrhunderts
sich die Plastik von den weichen schmieg-
samen, doch allzuoft auch schematischen For-
men befreit hatte, beginnen die Resultate be-
wulker Naturbeobachtung langsam zu wirken.
War im Anfange des Jahrhunderts durch fest-
entwickelte Motive, die hier und da nebenein-
RECHTTR SEITEN'ALTAR IN EMERT5HAM. - lext nchnan
ander gesetzt oder durch anmutige Linienzüge
verbunden wurden, eine mehr gleichmäßige
Behandlung der Formen bedingt, so bringt
das Ende des Jahrhunderts auf Grund eines
tatsächlichen Naturstudiums Vielseitigkeit und
Eigenart des Ausdrucks. Jetzt ist schon die
Wahl des Motives ein Charakteristikum für
den Künstler. Ein vollkommener StiKvechsel
hatte sich vollzogen.
Das Wesentliche ist, daß der Blick durch-
aus auf das Malerische gerichtet ist. Gerade
für die Salzburger Holzplastik ist das charak-
teristisch. Scharf treffen die Linien von ver-
schiedenen Seiten aufeinander. Die Faltenzüge
haben hohe, senkrecht von den Flächen des
Gewandes sich abhebende Stege. Dadurch er-
hält das Liciit seinen Anteil an der Gesanit-
wirkung. Denn die Schatten der Unter-
schneidungen und Stege huschen gleichsam
belebend über die ganze Gestalt und vermitteln
die scharfen Gegensätze, indem sie die kräftig
herausgearbeiteten Erh()hungen fein und leise
in die Fläche übergehen lassen (Abb. i). Die Nei-
gung, die malerische Wir-
_ kung mehr und mehr zu
*SF J!\ ' steigern, lüiirt hier und da,
'^ namentlich im 16. |ahrhun-
dert, zu Übertreibungen.
Denn immer tiefer werden
die Schnitte, gedreht und
gewunden die einzelnen
Formen, damit das Licht in
ilmen seine geheimnisvolle
Kraft übe (Abb. 2).
Dennoch bleibt neben sol-
chen Bestrebungen die Na-
tur die Lehrmeisterin jener
Zeit. Die Neigung nach
naturgetreuer Wiedergabe
schärft das Verständnis für
den Wert der Einzelform.
Die Kenntnis der Einzel-
form aber treibt den Künst-
ler zu einem immer klare-
ren liinblick in den orga-
nischen Zusammenhang des
Ganzen, und dies um so
mehr, als die künstlerische
Auffassung im Inn-Salzach-
Kreise zu einerstarken Rück-
sichtsnahme auf die Gesanit-
wirkung neigte. Der charak-
teristische Ausdruck dafür
fmdet sich in der geschlos-
senen Behandlung der Sil-
houette (Abb. 3 und 4).
Diese Merkmale der Inn-
Salzach-Scliule offenbaren
»^ SPATGOT. HOLZPLASTIK DES INN- UND SALZACHGEBI1ZT1:S »«So i:;i
sich nur selten ganz rein. Denn eine selt-
same Mischung heterogener Bestandteile
in der Kunst dieses Gebiets hat die voll-
kommene \'erschmelzung aller Elemente
zu einer Einheit verhindert. Denn zu die-
sen Eigentümlichkeiten eines durch die geo-
graphischen Verhältnisse bedingten lokalen
Zusammenschlusses tritt die Wesensart des
baverischen Volksstammes , die für den
Charakter der gesamten bayerischen Kunst
bedeutsam ist, in erklärten Widerspruch.
Die Bodenständigkeit der bayerischen Kunst
und ihr Mangel an Beziehungen zu anderen
Schulen läßt die Eigenart des bayerischen
Wesens zu üppiger Entfaltung kommen.
Mit ausgezeichnet feinem Geschmack ver-
bindet sich ein derbes Wesen, mit der
Sucht nach stärkster Charakteristik bäueri-
sche Form. Doch während noch im Be-
ginne des 1 5. Jahrhundert sich diese wider-
sprechenden Züge einem überaus sicheren
Get'ühl für die Anmut und Schönheit der
Form unterordneten, beginnt mit dem zwei-
ten Drittel des Jahrhunderts eine seltsame
Änderung. Diese realistische Zeit beschwor
eine Übertreibung der Charakteristik, eine
geradezu bäurische Derbheit der Auflas-
sung, daß man sich mit Erstaunen fragt,
wie dieser feine, künstlerische Geschmack
so schnell hat vergehen können. Eine
Art Formlosigkeit greift um sich.
Der Schlüssel zur Erklärung dieses merk-
würdigen Phänonrens findet sich in der star-
ken Vorliebe für die malerische Wirkung, die
jener Zeit eigentümlich (Abb. 5). Denn die
ganze Bewegung nahm ihren Ausgangspunkt
von der Tafelmalerei. In ihr ging man in
der bayerischen Schule mehr als in irgend
einer anderen auf das rein Malerische aus.
Das bedeutete die Loslösung von dem zeich-
nerischen Stile des 15. Jahrhunderts und dies
wiederum den \'erlust der Stütze, die der
veränderten Geschmacksrichtung Halt und
Handhabe zu neuer, künstlerischer F'orm
hätte bieten können.
Diese allgemeine malerische Tendenz, die
w ohl dem Zeitgeschmack ihren Ursprung ver-
dankt, äußert sich in verschiedenartigster
Weise. Dennoch kann man zwei klar aus-
geprägte Strömungen unterscheiden, die sich
durch das gesamte Kunstleben dieser Zeit hin-
durchziehen. Die eine sieht ihr Ziel in der
Größe und Freiheit der äußeren Erscheinung
(Abb. 6), die andere im Graziösen und Ele-
ganten (Abb. 7). Nur in der ersten Zeit des
Suchens und Ringens um eine neue Form,
die der veränderten Geschmacksrichtung des
16. Jahrhunderts Rechnung tragen konnte.
AHB. j. III.. LAUREN'TIUS IX OBIEG (OBliAV.). — T.xl .V. 130
gehen diese beiden Strömungen gewisser-
maßen nebeneinander her. Nur kurze Zeit.
Dann drängt alles darauf, alle diese Elemente,
wie unvereinbar sie auch waren, zu einer
harmonischen Wirkung zu verschmelzen.
In der Intensität, mit der man dieses Un-
mögliche in die Tat umzusetzen suchte, liegt
der Wert dieser zu Ende gellenden Stilperiode.
Denn aus dieser Kraft wurde eine neue künst-
lerische Potenz herausgeboren, die in sich
die Keime zu einem ganz andersgearteten
Stile trug. Indem gleichsam der Stil der
Renaissance übersprungen wurde, entwickel-
ten sich schon jetzt die grundlegenden For-
men, aus denen das Barock hervorwachsen
sollte. In diesem Doppelwesen der spätgo-
tischen Kunst, in der Vorbereitung zur Auf-
nahme des Renaissancestils und der gleich-
zeitigen Entwicklung von Barockformen, liegt
die cntwicklungsgeschichtliche Bedeutui g der
Spätgotik für die deutsche Kunst. Allerdings
«7*
132 ©^ SPÄTGOT. HOLZPLASTIK DES INN- UND SALZACHGEBIETES »"^a
MADONNA MIT ENGELN IN OBING. — T.xt S. ij
ist ZU beachten, daß es sich hier nur um
eine Seite der barocken Kunst liandelt. Denn
nebenher geht ja fast überall eine andere
Strömung, die die italienischen Barockformen
ohne weiteres in die heimische Kunst über-
trägt unter voller Negierung deutscher Form-
elemente.
Die Fülle von Werken der spätgotischen
Holzplastik des Inn-Salzach-Gebietes gibt für
alle Punkte klare Belege. Doch muß man
trotz des einheitlichen Charakters dieser gan-
zen Gruppe auch wieder mit starken Modi-
fikationen von Formen und Motiven rechnen.
Denn die Einwirkungen anders gearteter Ver-
hältnisse und Lebensbedingungen in den ver-
schiedenen Teilen dieses geschlossenen Kreises
haben wesentliche Küancierungen der künst-
lerischen Erscheinungsformen bedingt.
So ist im Süden des Inn-Salzach-Gebietes
der enge Zusammenhang des Berchtesgadener
Landes mit Salzburg bedeutungsvoll ■) Denn
Berchtesgaden bildet zusammen
mit dem östlichen Teile des Ro-
senheimer Bezirksamtes die süd-
liche Begrenzung des Inn-Salzach-
Kreises und damit gleichsam die
Basis, auf der sich die Kunst des
Gebietes aufbaute. Die Rosen-
heimer Gegend aber ist deshalb
von spezifischer Wirkung, weil
sich hier der italienische Einfluß,
durch den Inn vermittelt, am
stärksten geltend macht.
Gemeinsam ist diesen Gebiets-
teilen eine klar ausgeprägte
Doppelströmung in ihrer ganzen
Kunst. Es ist der charakteristische
Gegensatz, der die Kunst des Ge-
birges von der des flachen Landes
trennt. Der ganze Süden von Ro-
senheim und Berchetsgaden steht
unter dem starken Einfluß der
Gebirgskunst. Eine straff"e Festig-
keit in der Formgebung, ein star-
kes Betonen jeder einzelnen Linie
gibt allen diesen Werken etwas
fest Umrissenes, das der Gebirgs-
kunst als solcher eigentümlich
(Abb. 8).
Im Norden des Inn-Salzach-
Kreises sind die Verhältnisse ganz
anders. Altötting und Mühldorf
bilden den nördlichen Abschluß.
Die künstlerische Schaft'ensweise
scheint hier dem Süden diame-
tral entgegengesetzt. Das Wirken
der Klöster, die in dem Berchtes-
gadener Gebiet die sichere Grund-
lage einer festen Tradition bildeten und damit
eine gewisse Gruppierung der künstlerischen
Tätigkeit um das Kloster als Zentrale gewähr-
leisteten, fällt im Norden fort. Die natürliche
Folge ist eine Art Dezentralisation, eine größere
.Mannigfaltigkeit der Ausdrucksweise, die noch
verstärkt wird durch die Anregungen, die
fremde Schulzusammenhänge bedingten. Denn
in diesen beiden Bezirksämtern trefl^en mannig-
fache Kunstcharaktere zusammen. In dem
Gebiete nördlich des Innes die Einwirkungen
der Landshuter und der Freisinger Schule;
der Einfluß Münchens findet seine Konzen-
tration in Altötting. Die regen Beziehungen,
die das Witteisbacher Fürstenhaus mit dem
Wallfahrtsort Altötting unterhielt, waren Ur-
sache, daß schon vom Ausgang des Mittel-
alters an Künstler, die für den Münchener
Hof arbeiteten, auch für Altötting tätig waren.
') Über die Gründe vgl, Lüthgen a. a. O., S. 16 fT.
133
ABB. 5. FLÜGELALTAR IN RABENDLN, UM 1,10
Ttxl S. 131
134
e^:^ GABRIEL VON SEI DL J^a
Gegenüber dieser durch die Grenzlage ge-
dingten, leichteren Zugänglichkeit für Einwir-
kungen aus fremden Schulzusammenhängen
besitzen die mittleren Gebietsteile des Inn-
Salzach-Kreises neben dem festeren Hatten
an der Tradition eine stärkere Eigenwiliigkeit.
Hier hat daher der Stil der Kunst des Inn-
Salzach-Kreises seine prägnanteste Ausbildung
erfahren.
Vor allem h.mdelt es sich dabei um die
Bezirksämter Traunstein und Laufen. Aus
der Künstlergeschichte des Bezirkes Lauten
geht zwar hervor, daß der künstlerische
Eintluß der Salzburger Meister vom Beginne
des i6. Jahrhunderts an hier außerordcntHch
groß war. Allein diese Vorherrschaft Salz-
burgs um die Wende des Jahrhunderts wurde
durch den Umstand bedingt, daß diese Stadt
alle bedeutenderen Künstler, deren eigentliche
Heimat der Be;;irk Laufen war, an sich zog.
Dadurch bildete sich eine rege künstlerische
Wec!iselwirkung zwischen Salzburg und dem
Heimatgebiete der nach Salzburg gezogenen
Laufener Künstler. Eür die Künstler des
späteren i6. Jahrhunderts, wie die Hagenauer,
Pfäftinger, Weißenkirchen, Rottmayer ist dies
erwiesen. Da die Entwicklung dieser Künst-
ler nur auf dem Boden einer hohen künst-
lerischen Kultur sich vollzogen haben kann,
ist die Annahme gerechtfertigt, daß schon
gegen Ende des 1 5. Jahrhunderts bedeutendere
Künstler, deren \amen bis jetzt noch nicht
festgestellt sind, dem Gebiete angehört haben.
Die vorhandenen
Werke bestätigen
dies. So vor allem
die Kirche in Fridol-
ting (Abb. 9 u. 10).
Die Zahl der er-
haltenen Werke der
spätgotischen Holz-
plastik ist außeror-
dentlich groß. Be-
rücksichtigt man nur
die besten bis mittel-
guten Arbeiten, so
sind aus der kui'zen
Zeit von der Mitte
des 1 5. Jahrhunderts
bis um 1 5 ^ü noch
etwa 20 große Altäre
und über 200 Ein-
zelstatuen der Holz-
plastik vorhanden.
Da trotz dieser Fülle
des Materials nur
ABB. 6. HL. RUPERT IN GRÜN- g^mz seltcii eine Ar-
BACH. UM i;2o - Text s. 131 beit sicli tiodet, die
einen uneingeschränkten künstlerischen Ge-
nuß ermöglicht (Abb. 1 1), ist man wohl zu der
Frage berechtigt, weshalb überhaupt eine
Sichtung dieses Materials vorgenommen. Die
Notwendigkeit der wissenschaftlichen Bear-
beitung solcher durch natürliche Grenzen ge-
schlossener Kunstgebiete ergibt sich aus der
Erwägung, daß hier die Stetigkeit der Ent-
wicklung durch nichts unterbrochen zu wer-
den pflegt, daß die feste Tradition ein lang-
sames Herauswachsen des neuen Motives aus
dem alten gewährleistet. Denn hier weist
nicht ein einzelner kraft seiner künstlerischen
Genialität den Weg, sondern die Gesamtheit
der Kunstschaftenden wächst aus sich selbst
langsam in eine geteiltere Formensprache
hinein. Dies verfolgen zu können, ist ent-
wicklungssjeschichtlich höchst bedeutunssvoll.
GABRIEL VON SEIDL
Am 9. Dezember waren es 60 Jahre, daß
■'»■ der berühmte Münchner Altmeister, von
unserer Zeit mit Recht als einer ihrer popu-
lärsten Baukünstler gefeiert, unter glücklichem
Stern das Licht der Welt erblickte. Fortuna
neigte sich über seine Wiege und Pallas Athene
drückte dem Kleinen ihren Weihekuß auf die
Stirne, die jetzt der Lorbeer des Erfolges einer
hohen Künstlerschaft schmückt.
Wie selten einem Künstler war es aber
auch dem jungen Seidl von Hause aus be-
schieden, in sicherer Ruhe und Förderung,
ohne die drückenden Existenzsorgen, die so
vielen anderen vorzeitig Schaftenskraft und
Freude rauben, seinen Weg zur Höhe zu
schreiten ! Im Herzen Alt-Münchens, als Sohn
der dort eingesessenen, weitverzweigten Fa-
milie des kunstsinnigen Hofhäckermeisters
Seidl, wuchs er förmlich unter den Augen
hervorragender Künstler seinem Berufe ent-
gegen. Maler wollte der junge Gabriel denn
auch zuerst werden, doch sein trotz allen
Mäzenatentums praktischer Vater bestimmte
ihn zum Ingenieur; er bezog das Münchner
Polytechnikum und muL'te — o Widerspruch
— mit einem Herzen voll hohen Künst-
lersehnens sogar eine Zeitlang praktisch in
einer Münchner Maschinenfabrik arbeiten, bis
er, glücklich vom siebziger Feldzug zurück-
gekehrt, durchbrach und sich wenn auch nicht
der Malerei, so doch der edlen Baukunst zu-
wandte, die damals, als man in der Begei-
sterung für ein neu geeinigtes Deutschland
auch die alten deutschen Kunst- und Bau-
denkmäler wieder zu neuem Leben erwecken
wollte, nur des Sämanns harrte, um auf hoch-
©^ GABRIEL VON SI-IDL ^^Ö
135
ABB. 7. HL. XOTIIELFER IS' EMERTSHA.M. — rt.xt .V.
Iriiclubareiii Felde reiche Früchte xu tragen;
kurz gesagt, der junge Künstler kam in die
richtige Zeit hinein.
\'on München, der damals noch außer Kon-
kurrenz stehenden Kunststadt, ging die Be-
wegung aus und im \'erein mit Rudolf Seitz,
dem leider zu früh verstorbenen Gedon, Willi.
Kaulbach und Lenbach , jenem schönheits-
dürstenden Imperator im Reiche der Malerei
in I-reundschatt eng verbunden, repräsentierte
.Seidl als Baukünstler bald eine typische Per-
sönlichkeit, die Schule machte und gewisser-
maßen einen eigenen Stil schuf, der trotz
aller Anklänge an die Werke unserer großen
Renaissancemeister doch ganz selbständig ist
und auch in aller Großzügigkeit so anhei-
melnd, so wunderbar traulich zu uns spricht,
daß man ihm jederzeit mit Freuden Auge
und Ühr leiht. Eine sichere Ruhe und die
bewußte Kraft des Selbstgefühls ist es auch,
die den Werken des nimmerrastenden, rüstig
vorwärtsschreitenden Künstlers den Stempel
autdrückt. Hermann Roth hat mit den Worten
des Festprologes so ganz das Richtige getroffen :
»Ein Meister, der hier bodenständig,
In seinen Werken uns lebendig.
Der liebend hängt am guten Alten
Und sorgsam strebt es zu erhalten.
Kein \euerer und kein Stilbegründer
Lnd doch ein Dichter und Frfinder!<
Und vielseitig ist er in seinem hervorragen-
den Wirken, nicht bloß Architekt, auch Städte-
baukünstler, Kunstgewerbler, ein hervorragen-
der Meister der Dekoration, überhaupt Raum-
künstler ersten Ranges, ein Hüter und treuer
Kämpfer für Erhaltung der heimatlichen Schön-
heiten und Förderer der Wiedererweckmig
lieblicher \'olkskunst!
Kein prunkendes Bauwerk war der erste
durchschlagende Fjfolg des jungen Künstlers,
nein, ein trauliches deutsches, bürgerliches
Wohnzimmer auf der Deutschen Kunstge-
werbeausstellung zu München im Jahre 1876,
welches alle Besucher, Fachleute wie Laien,
entzückte und auf Jahrzehnte hinaus den Ton
für vornehme Innenarchitektur bestimmte. Und
wie der Meister von innen heraus seinen
Siegeszug begann, so hat er es auch stets ge-
iialten; jedes seiner Werke bedeutet ein durch-
aus harmonisches Ganzes. Darum war auch
er wie kaum ein zweiter prädestiniert , im
Verein mit Rudolf v. Seitz das baverische
Nationalmuseum zu München so zu vollenden,
wie es jetzt als mustergültig für seinesgleichen
vor uns steht und trotz den an seinen Fassa-
den aneinandergegliederten verschiedensten
Stilarten — je nach Ausdruck des köstlichen
Inneren einen durchaus geschlossenen lüii-
druck macht (Abb. S. 138).
Für München insbesondere ist des Meisters
136
E5^ GABRIEL VON SEIDL im/A
ABB.8. HL RUPERT UND MAGDA-
LENA, NÖRDL. FLÜGELALTAR IN
HÖHENBERG. — Text 5. /J-'
Wirken innig mit
dem Aufblühen
der Stadt verbun-
den. »Neu-Mün-
chen« ist ein Teil
von ihm selbst und
als 1 übriges Mit-
glied der Monu-
mentalbaukommis-
sion, als Berater
und Helferin allen
die ^"aterstadt be-
treffenden künst-
lerischen Fragen
steht er am Platze
und kämpft auch,
wenn nötig, mit
großer Energie für
die von ihm gutge-
heißenen Pläne.
Wirerinnernhiernuran jene vor kurzem die Ge-
müter in Aufregung versetzen de Frage der Erhal-
tung oder Vernichtung der alten Augustiner-
kirche, jenes wichtigen Teiles eines der schön-
sten Städtebilder Alt-Münchens, für dessen Wei-
terbestehen Seidl mit Recht in Wort und Schrift
lebhaft eintrat. Er war es ja auch, der dem
verputzten Ziegelbau in der richtigen Erkennt-
nis des bodenständischen Materials seiner Hei-
mat wieder zu Ehren und Ruf verhalf, so
daß er sich auch außerhalb Bayerns rasch ver-
breitete.
Nach Vollendung seines Erstlingsbauwer-
kes, des stattlichen, hochgiebe-
ligen Gasthauses »Deutsches
Haus« am Lenbachplatz zu Mün-
chen, wurde der erst Dreißig-
jährige mit Aufträgen förmlich
überhäuft, so daß es kaum mög-
lich ist, alle die im Laute von
drei Dezennien seines Schaffens
entstandenen Werke aufzuzäh-
len. Sind es ja doch in seiner
Vaterstadt schon so viele : Der
stattliche, mit Loggien ge-
schmückte Arzberger- und der
so gemütliche Franziskanerkel-
ler, das geschmackvolle Onu-
phriushaus am Marienplatz, ver-
schiedene Paläste in der Brien-
ner und Arcisstraße und viele
Privathäuser; Lenbachs wunder-
volles, an italienische Garten-
paläste gemahnendes Künstler-
heim, ein weiteres für Fritz
Aug. V. Kaulbach ; das reizvolle
Gasthaus »Zum Bauerngirgl :
gegenüber der Residenz und als
ABB. 9. HL. MARGARETHA
IN FRIDOLFING (OBBAY.)
Tej-t S. 132
eines seinerletztenW^er-
ke im Auftrage der
Stadt die Bebauung des
sogenannten Ruttini-
blockes. Nach Vollen-
dung des Nationalmu-
seums erhob ihn Se.
Kgl. Hoheit der Prinz-
regent in Anerkennung
seiner großen Verdien-
ste durch Verleihung
des Ritterkreuzes vom
Verdienstorden der
bayerischen Krone in
den persönlichen Adels-
stand. Jetzt wartet auf
der isarumfluteten Mu-
seumsinsel der Neubau
des Deutschen Muse-
ums für Wissenschaft
imd Technik seines Em-
porblühens, um nach
\'ollendung von neuem
Zeugnis abzulegen von der vielseitigen Ge-
staltungskraft, dem großen, künstlerischen
Zuge unseres Münchner Altmeisters.
Auch auf dem Gebiete des Kirchenbaues
gab der Meister seiner Vaterstadt zwei Perlen:
Die neue Rupertuskirche auf der Theresien-
höhe und die in den neunziger Jahren im
Stile der rheinischen Münster entstandene
St. Annakirche am Lehel, welche man wohl
im Einern wie Äußern als eines der schönsten,
stimmungsvollsten Gotteshäu-
ser Neu-Münchens bezeichnen
kann. Ja, ein Unkundiger könnte
den Bau in seinem malerischen,
altersgrauen Kalksteingewande
getrost für ein wohlerhaltenes
Werk frühererjahrhunderte hal-
ten, so ist an ihm bis ins kleinste
die Eigenart der betreffenden
Stilperiode zum Ausdruck ge-
bracht. Daß freilich die An-
sichten über eine solche eklek-
tische Nachbildung auseinan-
dergehen, ist bekannt.
In der Umgebung Münchens
zeugen prächtige Landhäuser am
Starnberger- und anderen Seen
des Vorgebirges etc., im Isartal
die neue Grünwalderbrücke, ver-
schiedene Kirchen und Kapellen,
das Rathaus zu Ingolstadt, so-
wie zahlreiche, äußerst gelun-
gene Umbauten und Restaura-
tionen alter Baudenkmäler von
Seidls Wirkungskreise, der sich
©^ GABRIEL VON SEIDL ma
ABB. II. - tLLGEL.\LI AK IN Sl. I LOKI.AX, .MIT b- 1, AN\A SKI.HDKi I 1
St. Horian, St. Itol/gaiig und Reliefs ans der Legende des hl. Florian, ijoo—tJJO. — iext S. 134
auch weit über Bayerns Grenzen, ja bis Ame-
rika erstreckte, wo er 1^93 die deutsche Ab-
teilung der dortigen Weltausstellung gestaltete.
In der Reichshauptstadt, den Städten des Rhein-
landes, in Darmstadt, Bremen etc., zum Um-
baue zahlreicher Burgen und Schlösser in allen
Teilen des Reiches verlangte man nach seiner
bewährten Meisterkraft !
Kein Wunder auch , daß einem solchen
Manne, der gleichfalls im Privatleben äußerst
liebenswürdig, gefällig und vor allem auch
hervorragend wohltätig ist, die reichsten Ehrun-
gen, Huldigungen und Glückwünsche aus aller
Herren Länder zuteil wurden. Se. Kgl. Hoheit
der Prinzregent sandte einen Strauß seltener
Blumen mit herzlich gehaltenem Glückwunsch-
schreiben und auch von anderen .Mitgliedern
des Kgl. Hauses, den Staatsministern und
dem Magistrat der Stadt München, weicher
eine Straße bei Seidls behaglichem Künstler-
heim von nun an »Seidlstraße ; benennen
will, desgleichen von zahlreichen auswärtigen
Städten und Künstlervereinigungen gingen un-
zählige Wünsche, Adressen und Huldigungen
ein. Doch die meisten der Gratulanten —
als erste der Oberbayerische und der Bayerische
Architektenverein — scharten sich am Vor-
abende des Jubeltages im Künstlerhause zu
einer wohlgelungenen Vorleier um den Mei-
ster, bei welcher ein reizend humorvolles
Festspiel aufgeführt wurde.
Am Vormittage schon hatte der Bayerische
Verein für Volkskunst und \'olkskunde die
Familie Seidl, seine Mitglieder, Vertreter der
staatlichen und städtischen Behörden etc. zu
einem X'ortrage im Museumssaal geladen, wo
der bewährte Kenner Alt-Münchner Lebens,
Dr. Trautmann, über die alten Gebäulich-
keiten an der Theatinerstraße — wo Seidls
Vaterhaus steht — und ihre früheren Be-
wohner, darunter zahlreiche Künstlertypcn,
in reizvoll erzählender Weise sprach. Darauf
folgte die Überreichung einer von Kunstmaler
Joseph Sailer ausgeführten Ehrenurkunde mit
malerischen Motiven aus der Tölzer Gegend.
Die Künstlergesellschaft »Allotria* bereitete
ihrem Vorstande noch eine eigene intime
Feier im Vereinslokale, dessen innere Ein-
1)1« cliiUllichc K.i
1^,8
©^ DER FRRSKENSCHATZ VON MUGGIA «^23
richtung ja auch sein Werk ist. Doch, alle
weiteren Ehrungen aufzuzählen, wäre unmög-
lich. Wir aber hoffen, den Jubilar an seinem sieb-
zigsten Wiegenfeste in unveränderter Frische
und Tatkraft mit gleichem Jubel wieder zu
beijrüßen !
DER FRESKENSCHATZ VON
MUGGIA
Von R.\OUL EUGEN PRUMLHl?, Wien
M",
emem Eifer, auf den nach so und so
vielen Jahren gleichgültigen Ubersehens
niemand mehr gerechnet hätte, gehen in den
letzten Jahren Staat und Kunstfreunde in Oster-
reich daran, die dem Wind, dem Wetter und
jeder Brutalität — in ethischem und ästheti-
schem Sinne — preisgegebenen Vermächtnisse
alter Kulturepochen in gute Hut zu nehmen.
Der Anstoß wurde, nachdem der beweinens-
würdig vernachlässigte Palast des Diokletian
in Salona beinahe dem meistbietenden Stein-
krämerauf Abbruch zugeschlagen worden wäre,
von der österreichischen Leogesellschaft ge-
geben, deren Gründer und Präsident, E.xzellenz
Helfert, auch Präsident der k. k. Zentralkommis-
sion zur Erforschung und Erhaltung derKunst-
und historischen Denkmale ist. Dem kunst-
sinnigen Kreise der Leogesellschaft entsprang
in letzter Zeit auch die Idee der Gründung
eines Vereins zur Erhaltung und Restaurierung
der wunderbaren uralten Patriarchatskirche von
Aquileja, die kanonisch dem Erzbistum Goerz
unterstellt ist. Professor Dr. Heinrich Swoboda
von der Wiener theologischen Fakultät und
der Kunstfreund und Sammler Grat Karl
Lanckoronski gaben kürzlich ein Prachtwerk
über den Dom von Aquileja heraus, und als-
bald folgte die Konstituierung des für den
Fortbestand des berühmten Baudenkmals sor-
genden Vereins. Und man geht kaum tehl,
wenn man den Anregern dieses Vereines auch
das Verdienst zuschreibt, durch ihre Forschungen
im österreichischen Adriagebiete das Kultus-
amt auf ein weiteres Monument mittelalter-
licher Kunst hingewiesen zu haben, die Kirche
von Muggia vecchia bei Triest.
Muggia vecchias Ruinen und ihr erhalten
gebliebenes interessantes Gotteshaus liegen
etwa eine halbe Stunde von dem neueren See-
dorf Muggia entfernt, das ganz gut als eine
Vorstadt Triests bezeichnet werden kann. Die
Kirche, der sich unsere Betrachtung zuwendet,
ragt inmitten der Trümmer des alten Muggia,
das der Genuesenadmiral Paganino Doria im
Krieg mit den über das Land gebietenden
Venezianern 1354 in Schutt legte. Das Städt-
chen rankte sich um die Kuppe des Hügels,
den auch das Fort San Michele krönte, und
der Kunstpilger hat keine frohe Wanderschaft
auf steilen, holperigen Wegen zur erwünsch-
ten Höhe. Ein Steintrümmerwall umsäumt
den Gipfel und läßt noch zuseiten der Ein-
laß gewährenden Bresche Reste von Turm
und Tor sehen. Uralte Eichbäume umschatten,
ein seltener Schatz in diesem kahlen Karst, den
frischgetünchten Kirchenbau, dessen schlich-
tes Äußere die malerischen Schätze seines
Innern nicht ahnen läßt. Und doch ist diese
italienische Landkirche eines unserer ältesten
christlichen Kunstdenkmäler, über dessen Be-
deutung der genialeRestaurator Hans Luke seh,
einer der hervorragendsten Wiener Meister
^ — =5_^^^i^SJaiaEiÄli A»Eii?i=ti;^!aM. -
GAHRIEI. VON SEIDL
KCL. NATION'ALMUSEUM IN MCXCHEN
fV^ DER FRESKENSCHATZ VO\ MUGGIA J^sa
139
der dekorativen und vornehinlicli der
kirchliclien Kunst, ganz Erstaunliclies an
seinen Auftraggeber, den k. k. Kultus-
minister, zu berichten hatte.
Grundriß und Anlage der Kirche »S.Ma-
ria de Castro Mughie« sprechen dafür,
dafsderUrbauausdem [ahre looostamme.
Die Steinskulpturen der das Presbyterium
abschließenden Balustrade gehen sogar
in das 9. Jahrhundert zurück und wurden,
byzantinische Motive zeigend, vermutlich
aus einer noch älteren Ivirche hierher-
gebracht. Kein geringeres Alter ist et-
lichen in die Apsiswölbung eingemauer-
ten griechischen Tongefaßbruchstücken
zuzusprechen, deren Herkunft unaul'ge-
klärt blieb. Hochinteressant ist weiters
die uralte Kanzel, die aber, wenn sich
ihrer nicht ehestens ein tüchtiger Maurer
annimmt, einzustürzen droht. Sie ruht
auf vier Säulen und zeigt die seltene An-
bringung des gleichfalls steinernen Lese-
pultes. Ein zweiter Evangelienträger be-
findet sich an der untersten Stufe des
Kanzelaufgangs und hat bei feierlichem
Hochamte zu dienen (Abb. nebenan).
Nächst der Kanzel sind die Malereien
an den Wänden das Bemerkenswerteste.
Ihre l:ntstehung verlegt Maler Hans Lu-
kesch ungefähr in die Zeit um das Jahr
1300. Ein ziemlich wohlerhaltener St. Do-
minikus unter den Fresken läßt diesen
Schluß zu, da Dominikus 1234 heilig ge-
sprochen und die Kirche 1354 zerstört wurde.
Zwischen diesen zeitlichen Grenzpunkten muß
die Malerei geschatfen worden sein. War
der Bildner auch keiner der großen Meister
seiner Zeit, so führte er den Pinsel doch mit
der löblichen Sicherheit wohlerfahrener Übung
und bewegte sich nicht ohne Selbständigkeit in
den üblichen Grenzen seiner unter bvzaniini-
schem lunfluß stehenden Kunstepochc. Die
Fresken bedecken die Langseiten des Mittel-
schifls und die beiden Innenwände der Seiten-
schitfe in ungefähr 46 qm Flächenausdehnung.
Man sieiit ornamentale Anlagen in den Rund-
bogen, Figuren in den Zwickeln und zwei
leider stark beschädigte und nur zum geringeren
Teile erhaltene Bilderfriese. Im Hauptschiffe
nächst der Kanzel füllen die vier Evangelisten
die Pfeilerbogen aus (Abb. S. 141). (Die Kanzel
stand also sichtlich seit jeher hier.) Die Bio-
graphen Christi, mit ihren Namen überschrie-
ben, unterscheiden sich nur wenig in der In-
dividualisierung von einander. Kopfstellung
und Zutat, als Tintentläschchen, Schreibtafel
und Buch sind fast gleich. Sonderbar erscheint,
was vermutlich auf die göttliche Inspiration
KANZrl. DER KIRCHE IN ML'GGr\
Text neleitan
und die Beeiferung der Glaubensboten hin-
deuten soll, daß jeder Evangelist mit beiden
Händen und also auch in zwei Bücher schreibt.
Den Zwickel zwischen erstem und zweitem
Pleiler der Evangelienseite füllt die Gestalt
der hl. Katharina. Sie trägt byzantinische i-,del-
tracht: braun -rotgemustertes Untergewand,
gleich dem Mantel mit breiten, goldfarbenen
und beperlten Borten besäumt, Umhang und
Diadem. Die Rechte ist segnend erhoben, die
Linke hält das Svnibol der Weisheit, ein Gefäß
mit züngelnder Flamme (Abb. S. 140). Noch bes-
ser erhalten sind Details eines charakteristischen
St. Zeno, dessen Bischofstab in der alten, ein-
mal gekrümmten Form, ausgehend in einen
Schlangenkopf, sogar die Scheidelinien der
Elfenbeinteile zeigt Zu Häupten dieser großen
Zwickelbilder zieht sich durch und um die
ganze Kirche ein in größeren Partien nocii
erhaltener Fries, darstellend aus der Geschichte
der Gottesmutter den Tod, Leiciienzug, Grab-
legung und Himmelfahrt — sämtliche Grup-
pen trotz der etwas schematischen Kompo-
sition ernst und groß wirkend — , dann Steini-
gung und Begräbnis des ersten Blutzeugen
140
©^ ERNST STÜCKELBERG ^^d
St Stephanus. Von den Stephanusbildern ist
wie von zwei gegenüberliegenden Fresken nur
ganz wenig zu retten gewesen.
Im reciiten Seitenscliiffe findet sicii ein ge-
waltiger, jugendlich bartloser heiliger Christo-
phorus, trotz seines langen byzantinischen Ge-
wandes barfuß im Wasser stehend, die Sieger-
palme in der rechten Hand. Unter links ver-
sinnlicht ein Löwe die Kraft oder deutet das
Wappen von Venedig an. Eine beigesetzte
Inschrift lautet nach derForschung des Bischofs
Msgr. Glavina;
Christophorisanctispeciem quicumque tuetur,
lUum quo die nulla languore tenetur —
und zeigt den frommen Glauben an den Schutz
wider plötzlichen Tod und schweres Erkranken,
den das Mittelalter heiligen Bildern zuschrieb.
Für die Verbreitung dieser Anschauung zeugt
eine fast gleichlautende Inschrift an St. Peter
in Straßburg. Unweit des Christophbildes lassen
sich noch Fragmente eines Engels, zweier
Heiliger und eine Taufe Christi feststellen.
Arg beschädigt sind die Fresken an drei Pfeilern
des linken Seitenschifls. Von den geringen
Spuren dreier bärtiger Greise mit Schriftrollen
in den Händen sind die Überbleibsel einer
Gestalt mit dem Namen des Propheten Arnos
bezeichnet. Es ist anzunehmen, daß hier eine
alttestamentarische Prophetengruppe vorhan-
den war.
Neben dem Bilderschmuck blieb auch der
ornamentale Zierat reichlich erhalten als Be-
malung der Bogenwölbungen. Die schmalen
Arabeskenbänder werden nur hin und wieder
durch einzelne Figuren unterbrochen, so un-
tern dem Taufstein durch eine streng byzan-
tinisch gehaltene Maria mit dem Kinde. Die
Ornamentik zeigt stellenweise von schöner
Erfindung oder, wo die Zeichnung sichtlich
von Originalen aus Konstantinopel genommen
ist, von geschmackvoller Wahl. Die Farben
sind schlicht: grün, gelb, braun, rot, schwarz,
ohne Tönung des Grundcharakters.
Die Wiederherstellung, Bloßlegung und Auf-
färbung der Fresken erforderte mehr als ein
halbes Jahr unermüdlichster, aber vollauf erfolg-
reicher Arbeit des Restaurators Hans Lukesch.
ERNST STÜCKELBERG
Von CARL CONTE SCAI^INELLl
Der plötzlich aufflackernde Schein des Ge-
nius Böcklins, die Hallorufe der »neuen«
Kunst Hodlers, die tipfeligen Finessen Weltis
haben uns in Deutschland auf den am 14. Sep-
tember 190 1 verstorbenen bedeutenden Schwei-
zer Künstler Ernst Stückelberg eigentlich ver-
gessen lassen. Die ruhige markige Kraft des-
selben trat freilich hinter den jüngsten Schwei-
zern, hinter dem Eroberungszug, den Böcklin
im letzten Jahrzehnt seines Lebens plötzlich
über ganz Europa antreten konnte, bescheident-
lich zurück.
Bei Schulte in Berlin war zwar im Septem-
ber 1905 eine Kollektion von Bildern dieses
schweizerischen Künstlers zu sehen'), aber auch
hier konnten sie nicht laut genug für seine
Kunst sprechen, denn sein Bestes, sein Typisch-
stes hing ja wohlverwahrt im Baseler Museum.
Stückelberg ist der Heldenmaler der Schwei-
zer. Wie Schiller den Schweizern ein für
allemal seinen Wilhelm Teil« schenkte und
er dadurch — trotzdem er für sie Ausländer
war — der nationalste ihrer Dichter wurde, so
wurde Stückelberg durch seine Freskogemälde
in der Tellskapelle, zu der jährlich Tausende
wallfahren, zum nationalenMalerderSchweizer.
Und gerade die Helden der Tellsage sind
so recht" mit ihren harten, stolzen, trotzigen.
HL. KATHARINA, FRESKO IN DER KIRCHE ZU MUGGIA
Text S. 140
I) Bericht hierüber s. Jg. II, Heft 3, Beil.
SJ^ ERNST STÜCKF.LBERG zs^ö
141
FRESKEN- IM HACPTSCHIFf DER KIRCHE IN' ML(,C;iA (F.VAS(,H It \
Text S. 13g
wettergebräunten Gesichtern sein ureigenster
Seelentypus. Sie waclisen ihm aus dem \'oli<e,
aber sie wachsen ihm auch aus dem Herzen.
Ernst Stüclcelberg entstammt einer ur-
alten alemannischen Familie, die seit Jahrhun-
derten in der Schweiz ansässig ist und man-
chen würdigen Ratsherrn seither gestellt hat.
Er wurde in Basel am 21. Februar 183 1 in
guten Verhältnissen geboren und schon allein
dieser Umstand, der wohlige Wohlstand seiner
Familie, geben von Anfang an seinem Wege
wieseinemSchaff'en einen sicheren, gediegenen,
fast möchte man sagen bürgerlichen, patrizier-
mäßigen Charakter. Sein Vater starb bald
und so wurde der aufgeweckte Junge früh-
zeitig von seinen \'erwandten zum Architek-
ten bestimmt. Doch ehe er sich als solcher
vollständig ausgebildet hatte, zog er 1849 nach
Bern, den festen Entschluß im Herzen, sich
ganz der Malerei zu widmen. Nach kurzen
Vorstudien daselbst zog er auf Anraten be-
deutender Fachleute an die Antwerpener Aka-
demie, und lernte dort bei Wappers und Dyck-
mans. Er kam später nach Paris, dann 1853
nach München, wo er im Atelier Schwinds
Auhiahme fand, aber den inneren Zusammen-
hang mit dessen Kunst nicht finden konnte.
Gerade hier stellt er sich zum ersten Male
auf eigene Füße und die ersten Bilder aus
dieser Zeit fanden in seiner Vaterstadt Basel
nach seiner Rückkehr Käufer.
Aber sein ureigenstes Malerherz sollte er
erst, wie so viele Künstler unter Italiens Him-
mel, unter dem Einfluß der südlichen Kunst
entdecken, — da er 1856 für fünf Jahre nach
Rom zog, von wo aus er immer wieder ins
Sabinergebirge wanderte; die Frucht dieser
Studien ist sein Bild »Maienprozession im
Sabinergebirge , das im Stückeibergsaal des
Baseler Museums hängt (Abb. S. 145).
Durch ein Wechselheber war er schließlich
genötigt, 1863 in seineHeimat zurückzukehren,
wo er zuerst in Basel, dann in Zürich Auf-
enthalt nahm. Die kommende Zeit steht unter
dem Zeichen des Porträts und zwar besonders
des Frauen- und Kinderporträts. Kenner rech-
nen gerade die Bilder dieser Epoche zu Stückel-
bergs besten Werken. 1866 heiratet er und
zieht auf der Hochzeitsreise abermals nach
Italien, allerdings diesmal nach Pompeji, das
seiner Phantasie reichen Stotf für seine Kunst
zuführte. So malt er seinen 'F'rühlingsmorgen
in Pompeji«, seine 5 römische Dilettantini etc.,
aus denen der Geist klassischen Römertunis
142
T^m ERNST STUCKELBERG ^ö
ERNST STUCKELBERG
PEST IN BASEL (STUDIE)
und der Geist des Horaz — seines Lieblings-
diciiters uns entgegenweilt.
Wieder nacli Basel zurüclvgekelirt, sclilägt
er 1869 einen Ruf als Professor der Weimarer
Akademie aus.
Im Jahre 1877 vollendet er das Fresko
Erwachen der Kunst in der Basier Kunst-
halle.
Aber erst von nun ab wird Stückelberg,
obwohl er seiner Eigenart, sich selbst, seinen
Kunstansichten treu bleibt, derjenige Künstler,
als welcher er sich Weltruf errungen, der
spezifische Schweizer Maler, der Maler der
Tellsage. Es wird ihm nämlich vom Schwei-
zerischen Kunstverein der ehrende Auftrag
zuteil, die Teilskapelle auszumalen.
Und mit Fiebereifer geht er an diese große
Autgabe. Er, der sich seit seiner Studienzeit
von der Historienmalerei abgewandt, beginnt
jetzt sich mit ihr wieder zu beschäftigen. Aber
gerade seine fleißigen Studien aus der Jetzt-
zeit kommen ihm zu Hilfe. Manche schwere
Stunde drängt sich ihm auf, man verlangt
Änderung des Kartons, aber er überwindet
alles; immer sein großes Ziel vor Augen!
Drei Sommer malt er an den Fresken, end-
lich im Juli 1882 hat er dieselben vollendet.
Und nun mußte auch jeder Neid, jede An-
fechtung verstummen. Er hatte die schwie-
rige Autgabe meisterlich gelöst, er hatte sich
seine Modelle aus dem "\'olke geholt und
ihnen Leben und Geist eingeflößt. Er \vurde
in der Folge reich geehrt, mit Anerkennun-
gen überschüttet. Aber ruhig und stetig hat
er weiter gearbeitet und hat sich selbst den
Eindrücken der neueren Richtung nicht ver-
schlossen, bis er hochbetagt 1901 verstarb.
Der Raum , der uns hier zur Verfügung
steht, reicht nicht aus, um Stückelbergs Kunst,
deren besten Schätze uns leider nicht zugäng-
lich sind, eingehender zu würdigen. Speziell
den Epochen vor den Tellfresken und nach
diesen, die uns ein reiches, vielseitiges Künst-
lertalent zeigen, kann man in wenigen Zei-
len nicht gerecht werden. Doch das soll
auch nicht der Zweck dieser Skizze sein. Sie
soll uns vor allem erinnern, daß für uns Fern-
stehenden : im lauten Jubel der Tageskunst
ein echter, großer, stolzer Schweizer Künst-
ler mit seinem Tode im Nebel zu verschwin-
den droht! Schade, daß München, das so ge-
wissenhaft jede auch noch so fremde Indi-
vidualität zu wägen weiß, nicht eine Kollek-
tivausstellung seiner Werke sehen kann.
Gerade in den Tagen, da die Lichtstudie
die 1-arbenfreudigkeit, die Ideen, ihre ideale
Auttassung, die sichere Komposition zu ver-
drängen droht, könnte man in gewissem Sinne,
von der bürgerlichen Monumentalma-
lerei Stückelbergs etwas lernen. Er hat es
mit seltenem Geschick verstanden, den Volks-
typus zum Heldentypus zu erheben, er hat
mit wuchtigem Pinsel von herrlichen Helden-
taten mit echtem Pathos erzählt.
Das darf vor allem nicht vergessen werden !
Das Mark, das in seinen Figuren steckt,
saß auch in seinem Arm, der Feuerblick, der
uns aus ihren Augen entgegenleuchtet, glit-
zerte auch in seinem Blick!
Aber das alles war gebändigt durch seine
hehren Ideen, durch seine malerische Selbst-
zucht.
Mit Recht sagt Professor Fritz Trog von
ihm :
M3
HRNST STÜCKELBHRG
KNTSAGL'NG
144
©^ ERNST STUCKELBERG ?^~a
ERNST STUCI^ELBERG
Zu den Fresken
STUDIEKKOPF
der TcüskafeUe ^-.fischen Ki,finn,ht „nd Z„
> Die Vielseitigkeit seiner Begabung, die
Sicherheit seines Könnens, die durchgehende
Noblesse seiner Auffassung, die Richtung auf
das Große und Ernste hin in seinen Histo-
rienbildern, daneben dann wieder die feine
Anmut und sinnige Beschaulichkeit, das sind
allbekannte Züge seiner Künstlerphysiogno-
niie: Stückelberg gehört zu den größten Ta-
lenten in der deutschen Malerei des 19. Jahr-
hunderts, nicht nur in der schweizerischen;
er ist im Ausland leider nicht in dem Maße
bekannt geworden, wie er es verdient hätte.
An Auszeichnungen hat es ihm zwar nicht
gefehlt, so erhielt er 1869 in München die
goldene Medaille. Allein sein Name trat dann
in dem Maße, als er sich an auswärtigen Aus-
stellungen nicht mehr beteiligte, in den Hin-
tergrund, und so kommt es, daß man heute
in Deutschland Stückelberg nicht oder
viel zu wenig; kennt. . . ')
') Wir verweisen auf die prächtige Publikation : Wil-
lielm Teil. Schauspiel von Friedrich Schiller. Mit
50 Abbildungen nach Gemälden und Studien von Ernst
Stückelberg. Bielefeld, Leipzig und Berlin 1905, Vel-
hagen u. Klasing. D. R.
\
©W DAS EHEMALIGE CISTERCIENSERKLOSTER IX OLIVA >^ö 145
ERNST STLCKELBERG
PROZESSIOM
DAS EHEMALIGE CISTERCIENSER-
KLOSTER IN OLIVA
Von H. MANKOWSKI Danzig
Tm Sommer 1907 wurde mir der Auftrag zuteil,
^ einen kurzen » Führer x durcli die ehemalige
CistercienserkircheunddasCistercienserkloster
Ohva zu schreiben und beide als kunsthisto-
rische Stätten zu schildern. Dieser Umstand
veranlaßtc mich, beide Stätten eingehend zu
würdigen und diereiciien schriftliciicn Quellen
zu prüfen, die über Oliva vorhanden sind.
Zu erwägen ist in erster Reihe, daß Oliva als
die älteste christliche und deutsche Kulturstätte
im deutschen Osten viel zur Christianisierung
des Herzogtums Pommerellen (Ostpommern)
beigetragen hat. Der frommen Sage zufolge
ward Fürst Subislav I. durch ein wunderbares
Traumgesiclu zum Christentum bekehrt, und
sein Sohn Samborl. erbaute von 11 70 bis
1 178 in Erfüllung eines von seinem \'ater ge-
machten Gelübdes das Kloster und die Kirche,
die 13 aus einem pommerschen Kloster aus-
gewanderten Cisterciensermönchen übergeben
wurden.
Jene ursprünglichen Baulichkeiten gingen
im Laufe der nächsten Lihrhunderte unter,
und erst im Jahre 1577 wurde das noch be-
.stehende und im Jahre 1S31 zur katholischen
Pfarrkirche umgewandelte Gotteshaus erbaut,
wobei einzelne Teile aus der ältesten Zeit des
13. und 14. Jahrhunderts benutzt wurden.
Die in einer reizenden Gegend am Ost-
abhange des pommerellischen Höhenzuges
Die chriNtliche Kii
146
EX^ DAS EHEMALIGE CISTERCIENSERKLOSTER IN OLIVA ^X3
erbaute Kirche hat die Form eines lateinischen
Kreuzes, dessen Länge im Innern rund 98 Meter
beträgt, während die beiden Kreuzesarme nur
28 Meter messen. Dieses anscheinend dis-
harmonische Verhältnis findet darin seine Er-
klärung, daß das ursprüngliche Langhaus so-
wohl im Osten als auch im Westen erhöht
und verlängert worden ist.
Die beiden schlanken Türme, welche das
Westportal einschließen, erhöhen noch die
zierliche Form, und eine über dem Haupt-
portale angebrachte Tafel nennt als Erbauer
der der hl. Dreifaltigkeit, der hl. Jungfrau
Maria und dem hl. Bernhard geweihten Kirche
den Pommerellenherzog Subislav. Das Quer-
schitf hat drei Tünuchen ; sonst zeigt das
ÄuLsere keinen besondern Schmuck.
Dem mächtigen Eindruck beim Betreten des
Innern kann sich niemand entzielien. Das
reizende Sterngewölbe und das durch die
hochgelegenen Fenster hereinströmende Licht
üben eine gewaltige Wirkung aus, und erst
nach einigem Verweilen in diesem Dämmer-
lichte kann man an die Betrachtung der ein-
zelnen KunstL;e"enstände i7ehen. ^'om west-
KKxsr ■. I ii:kki.i;i-.ki
liehen Haupteingange hat das Gotteshaus nur
zwei Schilfe. Der Architekt wird die reiche
Gliederung der Pfeiler, die Bogengänge zu
den Seitenschifien, die Konsolen, die Spitz-
bogen, die Stern- und Netzgewölbe usw. mit
besonderem Wohlgefallen betrachten. Das
imposante Gewölbe wird von 22 Säulen ge-
tragen, und die niedrigeren Seitenschiffe ziehen
sich um den Hochaltar herum, so daß dieser
völlig isoliert dasteht.
In diesem Umgange haben 22 Altäre Auf-
stellung gefunden, unter denen viele aus dun-
keim Marmor hergestellt sind. Die Namen der
Äbte Kensowsk}', Rybinsky, Goschke,
Hacky u. a. sind mit den mehr oder weniger
großen Kunstwerken aufs innigste verbunden.
Meist fassen gegürtete Säulen mit korinthischen
Kapitalen das Hauptbild ein, über dem sich
das vielfach gekröpfte Gesims erhebt, dessen
Bekrönung durchbrochen ist. Jede Überladung
ist vermieden, und die Antependien sämtlicher
Seitenaltäre bestehen aus farbig gepreßtem
(bunziertem) Leder.
Rechts vom Hochaltare befinden sich meh-
rere Epitaphien von Abten und andern um
die Kirche verdienten Personen aus
älterer Zeit. Eine Sehenswürdigkeit
ist der grol.'e Baldachin, dessen
Himmel in Goldstickerei die aller-
seligste Jungfrau mit dem Jesuskinde
darstellt. Die kunstvolle Gruppe wird
\on einem reich verzierten Medaillon
umgeben und von fortlautenden Gra-
natapfel -Verbindungen eingefaßt.
Diese herrliche Stickerei soll von der
Ivonn^in Christine von Schweden
herrühren, deren Vater König Gustav
.\dolf im Jahre 1632 bei Lützen sei-
nen Tod fand. Abt Michael Anton
Hacky hatte im Dienste der Königin
Chi istine gestanden.
Sehenswert ist auch die Wasch-
vorrichtungaus Marmor, das L a v a b o,
vor der Sakristei aus dem Jahre 1635.
Die ältesten Monstranzen, Kelche,
Pacifikalien usw. sind in den unauf-
hörlichen Kriegszeiten abhanden ge-
kommen.
Vor dem Presbyterium ruhen meh-
rere Äbte, deren Grabsteine entspre-
chende Messinginschriften zeigen.
Ein gemeinsamer schlichter Grabstein
deckt auch die sterbüchen Hüllen
der beiden letzten nominellen Äbte
\on Oliva, der Prinzen und Fürst-
bischöle von Ermland, Karl und
Joseph von Höh en zoll er n. Der
WEGKREUZ AUS DER INNENSCHWEIZ letztere starb im Jahre 1836. Neben
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5!^ DAS EHRMALIGH CISTERCIF.NSERKLOSTnR IX OLI\-A 5*T;-? J47
ci5ti;rciensi:rkirciie und schloss is' oliva
ihnen ruht die 188S verstorbene Prinzessin
Maria von Hohenzollern, eine Niciite des
Prinzen Josepii, die bis zu ihrem Tode das
östlich von der Kirche gelegene königliche
Schloß, die ehemalige Abtei, bewohnte.
Links am Eingange zum Presbyterium be-
iludet sich die aus Lindenholz geschnitzte und
reich vergoldete Kanzel, rechts der Abt-
sitz mit gewundenen Säulen und zierlicher
Ornamentik. Die Wände sind links und rechts
mit historischen Bildwerken bedeckt. Es
folgt das alte Chorgestühl der Mönche,
welches ehedem im Mittelschiffe stand. Es
stammt aus dem Jahre i6o^.
Im Presbyterium fällt das Licht teils durch
die hoch oben befindlichen kleinen Seiten-
fenster, teils durch ein rundes L'enster östlich
der Apsis. Auf 14 schwarzen Marmorsäulen,
die zur Erzielung einer harmonischen Earhen-
wirkung grau gestrichen worden sind, erhebt
sich das Gesimse des Hochaltars, über welchem
weiße Stuckmassen mit zahlreichen Engelköp-
fen den offenen Himmel versinnbilden sollen.
Dort haben viele Standbilder aus der hl. Schrift
Platz gefunden. Das Hauptbild des Altars zeigt
links die auf Wolken schwebende Himmels-
königin, rechts den hl. Bernhard, darunter
betende Mönche, welche das Kloster dem
Schutze der Gottesmutter empfehlen. Das Pres-
byterium ist ein wahrer Kunstschrein.
Die am Eingange befindliche große Orgel
hat loi Registerzüge, 84 klingende Stimmen
und über 5100 Pfeifen. Der überaus reiche
Prospekt mit Engelgestalten, Posaunenbläsern
und Rankenwerk fesselt immer wieder das
Auge. Der Orgelbauer und spätere Pater
Wilhelm Johann Wulff hat von 1760 ab
25 Jahre lang an dem Werke gearbeitet, aber
die Vollendung nicht erlebt, welche daher in
die Hände des Danziger Orgelbauers Dalitz
gelegt wurde.
Das ehemalige Cistercienserkloster
schließt sich südlich unmittelbar an die Kirche
an, und man gelangt dorthin entweder durch
ein Portal in der Nähe der Sakristei oder vom
westlichen \'orhote. Leider ist infolge der Be-
lagerungen und V'erschanzungen der Erdboden
um das Kloster teilweise bis gegen ein Meter
höher gelegen, so daß Nässe in die Mauern
dringt und sie langsam zerstört.
Die eigentliche Klausur bildet ein Recht-
eck, welches einen Garten einschließt. Der
Kreuzgang ist aul der Nordseite am breite-
sten und enthält hier noch eichene Wand-
täfelungen und Sitzbänke. Über dem kunst-
vollen Portale zum Kapitelsaale erblickt man
folgende Inschrift: Hie locus odit Excessus,
amat Pacem, punit murmura, conservat jura,
honorat bonosi.
Im Sommerrefektorium mit schönem Netz-
gewölbe, ziemlich gut erhaltener eichener
Wandbekleidung, der Lesekanzel und einem
sinnigen Eliesennflaster zieht sich über der
hölzernen Wandbekleidung eine Serie von
Porträts der Äbte von Oliva hin. Nur die
beiden Prinzen von Hohenzollern fehlen.
Die dem Refektorium gegenüber belegene
Brunnenkapelle ist ihres Schmuckes be-
raubt, welcher in einem kunstvollen messinge-
nen Springbrunnen bestand, an dem sich die
Mönche vor dem Eintritte in das Refektorium
die Hände wuschen.
148
©^ DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT «^ö
Bemerkenswert ist auch der Friedens-
saal im südlichen Flügel. In diesem Raum,
den die Mönche als Winterrefektorium be-
nutzten, wurde im Jahre 1660 der Frieden
zwischen Polen, Schweden und Brandenburg
geschlossen, was durch zwei Wandmalereien
dargestellt wird. Der Tisch, auf welchem die
Friedensurkunde von den Gesandten unter-
zeichnet wurde, ist noch vorhanden; die anderen
Gegenstände wurden 1807 bei der Belagerung
durch die Franzosen aus dem Friedenssaale
entfernt und zerstört.
Im Westflügel des ehemaligen Klosters be-
findet sich gegenwärtig die Wohnung des
Pfarrers und der Vikare.
DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT
(~jleidizeitig mit der Janssen ■ Ausstellung zog das
Kunstgewerbe-Museum viele Besucher an durch Aus-
stellung des kunstvollen Tafelschmuckes, den die Schwe-
sterprovinzen Rheinland und Westfalen gemeinsam dem
Deutschen Kronprinzen und seiner hohen Gemahlin als
Hoch Zeitsgeschenk dargebracht haben. Auf Entwürfen
von Herrn Professor Schi 11 beruhend, wurden die dreiund-
zwanzig Teile von der Firma CA. Beumers (Düssel-
dorf), S. C. Osthues (Münster) und Gebr. Hermeling
(Köln) ausgeführt in massivem Silber unter Zutat von
Email, Elfenbein und farbigem Steinschmuck. Es gelang
den ausführenden l-'irmen, für einen Gesamtüberblick
hinlängliche Gleichlieit des Eindrucks zu erzielen, doch
gebührt hinsichtlich der peinlichen, an japanische Unüber-
trefthchkeit reichende Sorgfalt und Sicherlieit in allen
Dingen die Palme der Firma Beumers. Größe und Ernst
verleiht den Aufsätzen, Trinkhörnern, Leuchtern und
Schalen neben dem vornehmen Farbenspiel der An-
schluß an nordische Formen mit ihrem Flechtwerk und
ihren phantastischen Tieren.] ■ "^i'.
Von Bedeutung war dann in der Kunsthalle im Mai
eine Sonderausstellung von sieben Düsseldorfer Malern,
Jul. Bretz, Max Ciarenbach, Aug. Deußer, Walter
Ophey, Wilh. Schmurr, Allred Sohn-Rethel und
Otto Sohn-Rethel, denen sich der jüngst verstorbene
Professor ]. M. Ol brich beigesellt hatte. Unter ihnen
bewährte besonders M. Ciarenbach seine Meisterschaft
auf seinem Gebiete, das er nur mit Vorsicht nach der
einen oder anderen Richtung erweitert, ohne es jedoch
zu verlassen. Jul. Bretz, der wohl bisher alle Auf-
merksamkeit gar zu sehr der Sorgfalt im Einzelnen
widmete, zeigte überraschende Freiheit der Bewegung und
scheint ein Vielversprechender zu werden, hei M. Ophey
ist man dessen allerdings noch gar nicht sicher. A.
Deussers kräftige Würfe zeigten gleichwohl zu wenig
Zielbewußtsein. Zwei Bildnisse von W. Sclimurr zeich-
neten iiich aus durch bestimmten, momentan ergriffenen,
aber künstleriscn festgehaltenen Ausdruck und schlicht-
vornehme Farbenvereinigung. Sehr beachtenswerte
Künstler sind A. und O. Sohn-Rethel; sie machen
den beiden Künstlernamen, die sie im ihrigen vereinigt
tragen, alle Ehre und würden auch ihren berühmten Vor-
gängern Freude machen, wenngleich diese über neue
Dinge bei ihnen etwas stutzig werden würden.
Gegen Ende desselben Monats brachte das Kunstge-
werbemuseum eine .\usstellung jüdischer Altertümer, die
aus besonderen Gründen nicht ins nächste Jahr, das Jahr
der Ausstellung für christliche Kunst, verschoben wurde.
Es waren die Erwerbungen der »Gesellschaft zur
Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler« zu
Frankfurt am Main. Hervorragend schöne Handschriften
mit reichen Miniaturen (Thorarollen, Eheverträge), auch
ältere Drucke traten besonders hervor; daneben sah man
interessante Vorhänge, Schreinhüllen, Zinnschüsseln, me-
tallene Lampen und kleines Gerät, aus mancherlei Stoffen
gefertigt. Das Ausgestellte reichte aber zeitlich nicht
weit zurück (nur Vereinzeltes über das 16. Jahrhundert
hinaus) und verlor dadurch an Interesse; Photographien
in großer Zahl führten in ältere Zeiten und suchten ein
Ganzes zu schaffen.
Über die Gebhardt-Feier am 13. Juni (siebzigster
Geburtstag) haben die Zeitungen hinlänglich berichtet.
Die Kunsthalle gehörte im Juni, wie regelmäßig, der
Ausstellung des Kunstvereins für die Kheinlan de
und Westfalen. Jeder Beteiligte sucht da Gutes und
Verkäufliches zu bringen, und es fehlen eigentlich nur
die ersten Namen. Die meisten Gewinner werden zu-
frieden sein, wenn sie nicht erwarteten, eine > Perle«
heimzutragen. Die Fülle (252 Nummern) ließ das Ein-
zelne nicht zur Geltung kommen und datriit auch nicht
den Ernst und die Arbeit, von der gar vieles Zeugnis
ablegte. Hie und da freilich zeigte sich ein Künstler
von ganz neuer Seite; so wohl in erster Linie A.Schlü-
ter, der Maler der Heide, mit den beiden Kirchen-
interieurs, Chorumgang und westliches Kreuzschiff des
Domes zu Münster, in Aquarell von ernster, höchst wirk-
samer Leuchtkraft; ferner W. Kukuk mit seinem vor-
trefflichen »Hochwasser«, Prof. A. Männchen mit
einem »Blumengarten«, A. Baur mit einem »Waldrand«
u. a. Auch an guten Werken unserer Plastikern fehlte
CS nicht, zirka 35 Nummern.
Für die Plastiker brachte der Bildhauer Karl Müller
die von ihm erfundene bildsame Masse »Petroso« in
ihrer Wirksamkeit und Mannigfaltigkeit zur Anschauung.
Eine Reihe von Abformungen fremder und eigener Werke,
bedeutsam und instruktiv vom Erfinder ausgewählt, zei-
gen, wie Färbung und Korn bezw. Struktur des Original-
Materials in einer bis in die Nähe der Täuschung reichen-
den Treue, weiß, gelb, rot, grünlich, fein und grob-
körnig, man möchte sagen kalt und warm, nachgeahmt,
durch diese Masse zur Wirkung gebracht werden können.
Es folgte bald die Ausstellung von Werken zweier
Verstorbenen, des vielversprechenden, kaum erst recht her-
vortretenden Malers Hub. Oellers aus der Nachbarstadt
München-Gladbach und der in München verstorbenen
Marg. von Kurowski. Ersterer, ein talentvoller Auto-
didakt, blieb nicht ganz frei von Einzelnem, was diese
Lernweise in der Kunst mit sich zu bringen pflegt ;
letztere, wenngleich Pohn, versetzte durch die trübgrauen,
alles überspinnenden Farben, aber auch durch die Wahl
der Stoffe und dargestellten Personen eher in das dumpfe
Elend russischer Lebensöde.
Noch neben diesen bleischweren Bildern der Polin
erschien dann die Nachlaßausstellung H. J. Sinkel, die
mit helleren Farben in Regionen christlicher Erden- und
Himmelsfreude verwies ; über diese Ausstellung ist be-
reits berichtet worden (Heft 2, S. 61).
Auch der Schluß der Sommersaison brachte eine
Nachlaßausstellung. Zahlreiche Bilder und Skizzen des
begabten Heinrich Petersen-Flensb urg, der am
23. Mai d. J. starb. Gerne ließ man sich durch seine
frischen farbigen Wiedergaben die freundlicheren, ja lieb-
lichen Szenerien der nordischen Landschaft vorzaubern,
die sichtlich dem Herzen des Malers näher lagen, als
das Gewaltige in der Natur und dem Eise; aber die
Empfindung feierlicher Einsamkeit wußte er wohl liinein-
zulegen. ]\Ianche kleinere Sachen waren schöne Be-
weise für seine kompositorische Anschauung und sinnige
Ausführhchkeit bezüglich des einzelnen.
Unter den Kollektivausstellungen sei — ohne anderen
Xiim Arlikel S. /4J-/4S
INNERES DER EHEMALIGEN CISTER-
CIENSERKIRCHE IN DLIVA ««•«««.
SJ^ DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT J^a
nahetreten zu wollen — die von Max Hunten hervor-
gehoben, der bei aller Schlichtheit und Anspruchslosig-
keit seiner Motive, eine ausgeprägte Künstlerpersönlich-
keit in seinen Werken darstellt. Man könnte glauben,
selbst das wenige von Staffage ließe er am liebsten noch
weg; es erscheint bisweilen wie gewaltsam eingesetzt.
So kommt es, daß seine Bilder, unter viel »Heutigesc
gemischt, leicht zu bescheiden zurücktreten: einzeln
oder mit ihren Brüdern zusammengesehen, finden sie
die verdiente Wertschätzung.
Daß auch die permanente Ausstellung von E. Scliulte
den Sommer nicht ohne mannigfaltige und eigenartige
Darbietungen vorübergehen ließ, braucht kaum gesagt
zu werden. Vieles davon wurde früher oder später auch
in den anderen Etablissements der nämlichen Firma ge-
zeigt, und ist teilweise bereits durch öffentliche IBe-
sprechungen gewürdigt worden. Für die Kunstfreunde
sowohl als für die Künstlerschaft, besonders für die jüngere,
sind die Schulteschen Veranstaltungen vom allerhöchsten
Werte. Sie führen aus dem engen Kreise in die Weite
hinaus und zwar nicht etwa in der RichtuiiiT nach der
fernen Vergangenheit — um derentwillen muß man
schon reisen, wenn man sich nicht mit Reproduktionen
begnügen will — , sondern besonders in die schwer er-
reichbare gegenwärtige Ferne und in jüngst vergangene
Zeiten, denen so gerne der Wert abgesprochen wird.
Auf Einzelheiten einzugehen, verbietet diesmal die Rück-
sicht auf den Raum, wie ja auch hinsichtlich der Kunst-
halle-Ausstellung die zahlreichen Einzelwerke verschwie-
gen bleiben müssen : Hervorragendes fehlte, Beachtens-
wertes herrschte vor, das Bedenkliche fand immer noch
Hintertürchen.
Im Kunstgewerbe-Museum schloß sich an die
bereits erwähnte jüdische Ausstellung eine Ausstellung
von Vorbildern für kirchliche Kunst aus der Vor-
bildersammlung des Zentral Gewerbevereins, verbunden
mit einer Ausstellung von Handschriften und alten
Drucken aus der Landes- und Stadtbibliothek. Die sehr
umsichtige Zusammenstellung bot (in i:\oi Nummern,
wie der Katalog angibt) eine äußerst \ielseitige Übersicht
über das Schaffen auf dem Boden kirchlicher Architektur
und kirchlichen Kunstgewerbes von den ältesten Zeiten
bis auf unsere Tage: Kirchen,
Altäre, Sakramentshäuschen, Hal-
len und Emporen, Orgeln, Kan-
zeln, Taufsteine, Grabdenkmäler,
Glasfenster, (Christusbilder, Ma-
donnen usw.), Wandmalereien,
Kirchengerät, Miniaturen, Kir-
chengewänder') (in dieser Ab-
teilung auch eine reiche Zahl
von Stickereien in Originalen),
Beleuchtungskörper usw. Die
Handschriften- Ausstellung begann
mit dem 9. Jahrhundert (Paulini-
sche Briefe und ein Essener Mis-
sale) und reichte bis zum 16. Jahr-
hundert. Die Drucke führten zu
den frühesten Inkunabeln zurück.
Die übrigen Räume des Museums
traten mit zahlreichen Originalen
ergänzend hinzu, namentlich mit
Spitzen und alten Geweben, eben-
falls mit den frühesten Zeiten be-
ginnend. Es war somit außer-
ordentlich viel Gelegenheit ge-
boten, edle Werke zu studieren
und den Geschmack auch in die-
sen Dingen zu kultivieren und
zu erheben.
Die St. Andreas- Hof kirche
erhielt einen hervorragenden
Schmuck durch das Altarbild
des Hoclialtars. Als Gegenstand
war das Martyrium des hl. An-
dreas der gegebene; die Darstel-
lung und Ausführung wurde
Professor Lauenstein über-
tragen. Eine gewisse Annähe-
rung an V. Gebhardts Richtung
ist nicht zu verkennen; sie hat
vielleiclit etwas Unruhein das Bild
gebracht, aber auch Wirksamkeit
des Ganzen und Energie der Far-
benwahl, die vorzüghch zu dem
Hochaltar und in die ganze Chor-
f^irbung paßt. Dagegen zeigt die
ganze einfache und klare Kompo-
sition den vollbewußten Zusam-
JOSEPH LIMBURG (BERLIN)
SE. EXZELLEN'Z DER LANGJÄHRIGE PR.\SIDENT DES DEUTSCHEN REICHSTAGS FRANZ II. ",
GRAF VON BALLESTREM AUF PLAWNIOWITZ UND RUDA i. SCHL. (K
') In Farbe uud Geist dem guten Ge-
mack entsprechende kirchliche Arbeiten
Ite gleichzeitig Frau Helene Stummel
iveUer) in der Mittelmädchenschule aus.
5?®« AUS DEM KUXSTVF.REIX MUXCHEX »«S3
151
menhang sowohl mit der älteren christlichen als
mit der klassischen Kunst. Man sieht an dem Bilde
aufs neue, wie wenig eine gewisse Berücksichti-
gung V. Gebhardtscher Auflassungen dem katho-
lischen Kunstempfinden prinzipiell fremd ist, und
wie sehr der Künstler dabei seiner eigenen Person
treu bleiben kann, wenn er dazu die Kraft in sich trägt.
In der Maria-limpfdngniskirche wurde die Aus-
stattung mit Glasgemälden, die die fünfzehn Gesetze
des Rosenkranzes darstellen, zu Ende gefülirt. Sti-
listisch entsprechen die Darstellungen mit der zu-
gehörigen Architektur dem gotischen Slile des Bau-
werks selber; verdienen aber auch bezüglich ilirer
Besonderheiten und namentlich in koloristischer
Hinsicht alles Lob. Entwurf, Zeichnung und Aus-
führung verdanken sie dem Düsseldorfer Glasmaler
Karl Hertel. Bunc
AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN
N^
Jach der Ruhe der Sommerferien hat das Kunst-
institut unter den Arkaden mit großen Samniel-
ausstellungen den Reigen der künstlerischen Genüsse
eröffnet. Gleich im Treppenhaussaale begegnete
man einer stattlichen Anzahl von Zeichnungen und
Studien von Max Bernuth. Es ist Mode ge-
worden, mehr durch Quantität als Qualität zu fes-
seln und die Künstler schädigen sich selber, wenn
sie alles und jedes, was sie gerade zufällig gezeichnet
und gemalt haben, auch vor die Augen des Publi-
kums bringen. Auch Bernuth würde sicherlich mehr
Vorteil errungen haben, wenn er sich eine weise
Beschränkung auferlegt hätte. In vielen dieser flotten
Zeichnungen, deren Motive meist dem Tierleben
entnommen, steckt ja eine nicht alltägliche Bega-
bung und ein nach persönlichen Ausdrucksmitlein
ringender Künstler. Als ein für Stil veranlagter
Maler erscheint Karl Schwalbach, von dem
wir hier und da einige kleinere Arbeiten sclion sahen.
Fortschritte sind t;ewiß unterdessen zu verzeichnen
und erfreuen die Ex-libris und Einladungskarten
ob ihrer liebenswürdigen, feinen Technik und Aus-
führung. Auch auf figürlichem und landschaftlichem
Gebiete hat sich der Maler versuclit und in dem
Porträt eines jungen Mannes eine nicht ungewöhn-
liche Leistung gegeben.
Es ist bekannt, wie stark das .Anpassungsver-
mögen an andere Kunstformen geworden und wie
gerade beim weibliclien Geschlechte dies sich in
der Kunst ausgebildet hat. Marie Hey eck gab
von dieser anschmiegenden GeschickUchkeitskuust
wieder einige Proben, die wir stets gerne seilen,
da ihre Vorbilder Hans Thoma und namentlich
E. Lugo sind, die Stil und Charakter in ihre VVeike
tragen. .\m trefflichsten war ein Blick von einem
blumengeschmückten Balkon über wogende Korn-
felder und blühende Lande.
Marie (^aspar-Filser wendet sich modernen
Bestrebungen zu, obgleich auch sie, trotz aller I"r-
rungenschaften des neuzeitlichen 1-arbensehcns,
den Duft der Poesie in ihre Landschaften hinein-
zutragen sich bemüht. Gabr. Schachingers
Blumenstücke sind von altbewährter Tüchtigkeit.
RudolfPetuel bewegt sich in mehr gleichartigen
Themen und es kommt dadurch das Originelle
seiner An nicht so ganz zum Durchbruch. Es mag
auch daran liegen, daß solche Landschaften in
größeren Kollektionen zusammengefaßt, zu wenii;
Wechselvolles bieten. Dennoch ist im einzelnen
ein Eingehen auf delikate Farbenwahl und zeichne-
rische Sicherheit deutlich erkennbar.
lOSKril I.IMU'.RC iBERl.lN)
1 111 TU lihS I EITSASTS KARL VON ROTMI-K
15:
5QS« AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN ^^ö
JOSI.Iil Ll.\ll;LKG iRI'RLIN)
PORTRATBÜSTE ELSE GRÄFIN VON ARCO
Über Charles Palmies Farbenexpeiimente und
sein Studienobjekt, den Münchner Marienplatz, haben
wir des öfteren schon gesprochen, und da keine Ver-
anlassung besteht, neue Werte festzustellen, müssen wir,
um uns nicht zu wiederholen, auf bereits Gesagtes hin-
weisen. Eine interessante Holzplastik »Das Abendmahl«
brachte Thomas Buscher. Seine virtuos technische
Art, die Holztechnik, die wir bereits öfter Gelegenheit
hatten zu bewundern, trat auch in diesem Werke deut-
lich hervor, dabei versuchte der Künstler in der charak-
teristischen Durchbildung der Köpfe eine höhere Würde
zu entfalten, die über das alltäglich Realistische hinaus-
geht. Die gotische Formensprache, die in der Gewand-
behandlung vorherrscht, wird dem Gegenstand durch-
aus gerecht.
Einen prächtigen Einblick in das Schaffen der Künst-
ler unter dem Einflüsse der Diez-Schule brachte die
Nachlaß-Ausstellung des verstorbenen Alf ons Spring.
Man kannte den Künstler meist nur von den kleinen,
liebevoll durchgeführten Bildchen der
rauchenden, politisierenden oder mit Zahn-
sclmierz behafteten Bauern, die des Ver-
kaufs wegen gemalt waren. Hier jedoch
stand man vor einem Studienmaterial,
das der Künstler mit seinem Herzblut
zusammengetragen und wie einen kost-
baren Schatz gehütet hatte. In Wirklich-
keit sind es auch Schätze. Wie köstlich
hingeschrieben, mit wenigen Pinselzügen
und wenigen Tropfen Farbe sind die
holzvertäfelten Stuben Tirols, die rauch-
geschwärzten Küchen, die dumpfen Ställe,
die gotischen Gelasse alter Burgen,
Schlösser und Sakristeien. Es sind diese
Motive in ihrer Korrektheit und Schön-
heit der Zeichnung allein schon wahre
Dokumente kunsthistorischer Zeiten, deren
Originale eine poesielose Zeit vielfach
schon weggefegt hat. Wie sorgsam und
gewissenhaft Spring zu Werke ging, wie
treu er jedes Motiv, das ihn interessierte,
zeichnerisch niederschrieb, geht aus sei-
nen Skizzenbüchern hervor, welche als
kostbares Geschenk der historischen Kom-
mission der Münchner Künstler-Genos-
senschaft vermacht wurden. In diesen
Blättern lernt man eist so recht voll-
ständig jenen ernst strebenden Künstler
Spring kennen, der zu Lebzeiten lange
nicht so gewürdigt wurde, wie er es
verdiente.
Als Gegensatz hiezu müssen die Innen-
räume betrachtet werden, die Ernst
Lieber mann dem Goethe -Hause zu
Weimar malerisch entnahm. Hier sehen
wir das Wehen einer neuen Zeit. Alles
ist aufgelichtet, hell, flirbiger. Ist es bei
Spring, überhaupt bei der älteren Münch-
ner Schule die Sache, die Form in ihrer
Wesentlichkeit der farbigen Erscheinung,
so sind bei den Neueren die Gegenstände
nur als Trager von Farbe und Licht ge-
dacht und gesehen. Beide Richtungen
haben ihre Berechtigung, nur kann letztere
in ihren weiteren Konsequenzen die Stei-
gerung von Licht und Luft so weit trei-
ben, daß diese sich für das menschliche
Auge dem Unnatürlichen nähert.
K. Tschuppick stellte verschieden-
artige Dinge aus, die flott im Vortrag und
Wurf waren, mehr geschickt als empfun-
den, mehr durch die Farbe sprechend,
als durch Zeichnung. Anna Hein tz und Anna Kastner
waren ebenfalls durch Arbeiten vertreten, die das hand-
werklich Geschickte, das, was man einen guten Schul-
ranzen nennt, zeigten.
Die Amsterdamer St. Lukas-Vereinigung er-
wies sich als keine Überraschung. Das waren alles
ganz gute Arbeiten, die aber weder im einzelnen, noch
besonderen charakteristische Merkmale des heimatlichen
Könnens darboten. Man durchlief gemächlich die Reihen-
folge aller traditionellen Techniken bis zum Impressio-
nismus, ohne dabei warm zu werden. Die ganze Folge
jener Bilder, von Wall-Pernes bis ten Gate, von P. Eg-
mond bis W. Sluiter, Monickendam und Kleinijes etc.
hätte ebensogut in ähnlicher Weise von Münchner Ma-
lern aufgebracht werden können, aber dann wesentlich
besser. Selbst ein Blick auf die Arbeiten von Hilde
Weigelt-Middeldorpf ließ erkennen, daß diese
Künstlerin nicht mit angelernten Formeln wirtschaften
wollte, sondern darnach strebt, in Farbe und Zeichnung
Jos. Albrecht pinx
Vorl. der Gi!5cll3cri. I. Christi. Kumt, Müncho
ST. BENNO
's:
JOSEPH LIMBURG (BERLIN)
utoße Berlintr Kuuttauistfilung H)oS
MADONNA
L>le christliche Kunst. V.
154
©^ AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN *^?3
eigenes Empfinden hineinzutragen. Wenngleich all den
Bildnissen, Stilleben und Innenräumen auch die geord-
nete Kultur noch mangelte, so drängte doch ein Selb-
ständigkeitsgefühl an die Oberflache, das schließlich dem
feinen Geschmacke späterhin Rechnung tragen wird.
Viel mehr auf rein äußerliche Wirkung waren die
Arbeiten von Richard Dietze hingeworfen, wie man
zu sagen pflegt »aus dem Handgelenk heraus« alles
gemacht! Aber alles >Gemachte« widerstrebt dem inne-
ren Wesen der Kunst.
Motive aus Dachau und Umgebung verarbeitete G i u 1 i o
Beda in einer von Karl Haider abhängigen Kunstrich-
tung, ohne jedoch die Gemütstiefe dieses echten deut-
schen Künstlers auch nur annähernd zu erreichen. Solche
Art Landschaftschilderung gleicht derjenigen der Men-
schendarstellung aufs Haar; sie langt nur bis zur Ober-
Hache, was unter ihr liegt, wird nicht erkannt und in-
folgedessen auch nicht zum Ausdruck gebracht.
Walter Thor, der geschickte Techniker und erfolg-
reiche Lehrer, zeigt uns wieder einiges von seinem
gediegenen Können. Allzuviel Neues hat er allerdings
nicht gebracht, das meiste ist schon bekannt und wenn
wir auch gute Werke mehr wie einmal sehen können,
so wäre es dabei sehr wünschenswert, einmal auch
solches mitzuteilen, das uns erkennen läßt, welche wei-
JOSEPH LIMBURG (BERLIN)
BILDHAUER PROFESSOR H. GERHARD'l
teren Wege der talentvolle Maler genommen. Von
Carl Seilers Klein- und Feinmalerei war ebenfalls
in »Der christlichen Kunst« schon mehrfach die Rede.
Neues bietet uns der Schilderer des Rokoko und des
modernen Lebens in kleiner Durchbildung auch in die-
ser umfangreichen Kollektion nicht. Wir sehen auch
fast durchwegs alte Bekannte, zumal in den etwas grö-
ßeren, über den übhchen Umfang seiner Bilder hinaus-
oehenden Arbeiten, wie sie in den Genossenschaftssälen
des Glaspalastes in den vergangenen Jahren her ausge-
stellt waren.
Interessanter, als die mehr in Anlehnung an Menzd-
sche moderne Kunstanschauung oder an diejenige Meis-
soniers im älteren Stile, waren die flotten, auch breit
gemalten Aquarelle, darstellend Interieurs, Landschaften,
Studienköpfe etc. Auch die Olstudien, welche ähnliche
Motive aufwiesen, zeigten jenen koloristischen Reiz, den
wir in der Altmünchner Schule ja so oft wiedertinden
und der Gemeingut einer ganzen Zeit und Richtung
war. Manche dieser auf künstlerische Gesichtspunkte
hin gemahe Studien verwandte der Maler zu seinen be-
kannten Genrebildchen. Diese lassen dann nicht ganz
rein den Genuß aufkommen, wie die ohne Nebenab-
sichten, auf lineare und l'arbige Wirkung hin gesehenen
und wiedergegebenen Motive, die ohne Staffage und
anderer Zutaten an sich voUaul schon
als Kunstwerke fertig sind. Als eine
ähnhche Künstlernatur, die allerdiiigs
härter, dazu mikroskopischer veranlagt ist,
erscheint P a u 1 K ä m m e r e r. Kann man
bei Seiler immer im Hintergrunde große
Vorbilder erkennen, so ist Kämmerer
weniger von Kultur befangen, dafür setzt
er eine Selbständigkeit ein, die, für viele
vielleicht ungenießbar, doch einen gro-
ßen Heiz hat und zwar den der Naivität,
erfreulicherweise der unbewußten. Es
gibt ja Maler, die bewußt primitiv schaf
fen, die absichtlich ihren Werken den
oberflächlichen Eindruck des Kindlichen,
Unbeholfenen anpassen. Mit dieser hat
Kämmerer nichts gemein, wenn man
genauer zusieht, ist seine Art zu malen
zwar übertrieben, aber von edlem und
bestem Wollen beseelt. Seine Malerei
ist dadurch gesunder und kräftiger als
die überfeinerte Kulturkunst des moder-
nen Tagesgeschmackes. Besonders leb-
haft hat sich der Künstler mit dem Isartal
und seinen melancholischen Reizen be-
schäl'tigt und mit starken, hellen, teil-
weise ungebrochenen Farben operiert.
Dadurch erscheinen diese Bilder etwas
unausgeglichen, aber im Grunde schlum-
mert ein starkes Talent, das, wenn ein-
mal alle Schlacken des Unreifen abge-
streilt sind, sicherlich zu schönen Resul-
taten gelangen wird.
An die vornehmen Schmelzarbeiten
der Limoges-Werkstätten gemahnten die
Emailmalereien von Milon Andre-
ewitsch. Es ist sehr begrüßenswert, daß
sich der eine oder andere Künstler, statt
Olpalelte und Ölpinsel zu handhaben,
entschließt, auf einem Gebiete sich zu
betätigen, das ebenso hervorragende
Werke schaffen kann wie die Kunst der
OL oder Wassermalerei. Wir haben
Proben alter Emailschmelzkunst, die zu
dem besten gehören, was alle Zeiten
'geschaffen, Zeiten, die noch nicht eine
Trennung von Kunst und Kunstgewerbe
©^ AUS DEM KUNST VER HIN MÜNCHEN ä^/.
kannten. Die Probleme nun, die sicli die-
ser Künstler in Email aul' Kupier, Gold
und Silber gestellt, erheischen alle Ach-
tung. Wenn aüch die Ibrmvollendete i'ech-
nik der Alten noch fehlt, so weisen doch
die günstigen Anfänge auf Zukunftverbei-
ßendes hin. Am besten erschien eine ar-
chaistische Pallas Athene, dann ferner ein
prächtig dekorativ wirkender Pfau.
! Reihen wdr hier noch die leicht graziös
aufgefaßte und zierlich durchgeführte Tän-
zerinstatuette von Heinrich Wadere an.
Von sonstigen Leistungen mögen her-
vorgehoben sein die Landschaften und
S.üon-Interieurs von BertaKaiser, ferner
Landschaften von H. Gegarten, Neppel,
dem selten erscheinenden, trefflichen Ge-
org Jauß und eine sicher behandelte Win-
terstudie von Paul Crodel.
Gino Parin, der vielgewandte und zum
.Außergewöhnlichen hinneigende, stets
neue Wege suchende Künstler,brachte einige
gute Figurenbilder, A. H ermann- All-
gäu eine Kollektion seiner stets liebens-
würdig durchgeführten Stilleben, die von
dem bewährten Geschmack des Verferti-
gers Zeugnis ablegten.
|Die Neuerwerbungen desbaveri-
'schen Staates für 1908 sind reichlich,
aber das meiste, was nun dauernd die Kunst
Bayerns charakterisieren soll, ist kleine
Münze. Hatte man ehedem die DiezSchule
und ihre daraus hervorgegangenen Meister
wenig beachtet, so erscheint der Ankauf
von solchen Dingen, die in den .Ateliers
der Künstler jener Schule hängen geblie-
ben, ja inmierhin erfreulich. Bezeichnend
ist aucli, daß durch die .Ankäufe jener bräun-
lich-goldigen Studien, die ja gewiß vortreff-
lich sind, ein Wandel des Geschmackes sich
zu vollziehen scheint, der dem modernen
abgewandt ist. Selbst die angekauften
Werke .-Mbert v. Kellers, Fritz UTides etc.
stammen aus den iVüheren Lernjahren jener
-Meister. Von Wilhelm Buscli hätte man
eher an geistreiche Skizzen denken kön-
nen. Erfreulich ist die Zuwendung melire-
rer Stiltungen, die eine vollkommene Be-
reicherung jener älteren Münchner Kunst-
richtung in Gestalt der Werke Wagen-
bauers, Dorners, Enhubers und Spitzvvcgs
bedeutet. — War dies Wochenausstellung
der Staatsankäufe gewissermaßen ein Er-
eignis, so dürfen doch nicht andere zu
gleicher Zeit vorgeführte Kunstwerke ganz
vergessen werden. Wir sehen u. a. eine
Serie mit Kohle wuchtig gezeichneter Land-
schaften von L u d w i g U' i 1 1 r o i d e r , meh-
rere sinnig aufgefaßte Städte-.^nsichten von
Paul Tliiem, dasselbe Motiv behandelt
in ansprechender Form H e r m a n n P e t z e t ;
auch waren im Nachlaß von -^ dolf Rau
einige Studien, die von dem Ernst in des Malers Schaf-
fen berichten.
Des öfteren haben wir schon des talentvollen Schweizer
Landschafters Ludwig Lehmann in Einzelleistungen
rühmlichst gedacht. Diesmal gibt er in einer umfang-
reichen, geschlossenen Sammlung einen genaueren .Auf-
schluß über sein vielseitiges Können. Waren es ehe-
dem die hohen, vereisten Bergseen und Gletscher seiner
Heimat, so hat er sich jetzt mehr den sommerlichen
Reizen der oberbayerischen Ebene zugewandt. Wolken
lOSEPH LIMBURG (BERLIK)
GIOVANNI B. ANGELO GRAF BALLESTREM DI CASTKLI.ENGO ^l^og~i^)
lyenkmal in l'U-Mioivilt O.S.
und Sonnenschein wurden seine l-;iementc, und letzteren
weiß er in der drückenden, sengenden Glut einzigartig
zu schildern. Nicht ohne Glück sind auch die figür-
lichen Darstellungen oder das Gewirr elektrisch erleuch-
teter Bahnhofsausfahrten mit rauchenden Lokomotiven
gegeben. .\ni besten aber gelingt ihm melancholisches
Regenwetter, das die Lande weit und dunkel über-
spannt und da können wir mit ihm die trostlose Ein-
samkeit und Lebensmüdigkeit emplinden. — .Mehr heiterer,
phantasievoller Art und dennoch ernst strebender Natur
i5('
^m KÖLNER KUNSTBERICHT ^K3
FKAX/ SCIIMID.BKI 11 i:\liAi. 11 ,M1 N'l 1II_N')
A\A( IIOIJET
ist Rudolf Köselitz. Er gehört zu jenen immer sel-
tener werdenden Erscheinungen, die im Schäften nach
der Natur hinzudichten, die aus der Natur die Poesie
der Dinge lierauszulöscn imstande sind. Voller Ideen,
greift er alles an, was ihn momentan begeistert, und
bannt so köstliche Szenen auf die Leinwand, die weder
in der Technik noch im Stil an jemand anderen er-
innern. Manches mag noch unausgeglichen sein, oder
es mag die Technik den Stoff nocli nicht überwunden
haben, gleichviel, es steckt Rasse und Temperament in
jenen Gebilden, die einen Wechsel auf die Zukunft be-
deuten.
Alles in allem wieder einmal eine genußreiche
Ausstellung, die man nicht so leiclit vergißt, wie die
alltägliche Durchschnittsware. Franz Wolicr
KOLNER KUNSTBERICHT
D"
)ie achte Jahresausstellung der Vereinigung Kölner
Künstler im Lichthof des Kunstgewerbemuseums
zeigte, daß sich nach den Jahren hastigen und unge-
sunden Suchens allmählich eine gewisse Ausgereiftheit
der Technik und des Farbengeschmackes eingestellt hat.
Wilh. Seh reuer ist vollendeter Eklektiker. In Rem-
brandtsches Helldunkel setzt er charakteristische Ge-
stalten, die aus dem Stimmungsgehalt des Raumes her-
auszuwachsen scheinen. Die nuancenreiche Farhenper-
spektive des geschlossenen, wenig beleuchteten Raumes
ist seine Stärke. Auf die genrehafte Erzählung in seinen
Bildern v. ürde man gerne verzichten.
Ursprünglich und eigenwillig ist Ernst Hardt. Die
starke Intensität seiner kraftigen Farben ist für die weite
Ebene und den fetten Boden der niederrheinischen Land-
schaft wie geschaffen. Die charakteristischen, verschwim-
menden Konturen der Flachlandschaft, das Zusammen-
fließen von Erde und Himmel im Horizont verlangt eine
sorgfältige Farbenabstufung. Fritz V^^estendorp sieht
das typisch Niederrheinische in einem anderen Moment.
Sein Form- und Farbengefühl ist von anderer Natur.
.An den sorgsam beobachteten Vordergrund schließt sich
der Mittelgrund, meist eine Gruppe von Häusern, Bäu-
men oder ein Hügel, hinter dem sich unvermittelt der
Himmel erhebt. Das einzelne Objekt innerhalb des
Ganzen kommt dadurch zu stärkerer Wirkung. Und
da Westendorp die Kraft besitzt, die spezifische Farbe
und Stimmung bestimmter Jahres- und Tageszeiten fest-
zuhalten, ist bei ihm die .Auslösung einer ganz bestimmten
Stimmung die Hauptsache. August Neven-Dumont
nimmt mehr Rücksicht auf die nuancenreichen Sch.ittie-
rungen der Farbe. Er liebt es, eine Farbe in hundert-
facher Abstufung der Töne zu variieren. Zwei Blumen-
stücke können dafür geradezu vorbildlich genannt wer-
den. Dennoch kommt bei ihm bisweilen der schmutzig
graue Ton der Düsseldorfer Schule zum Durchbruch.
Seinen Frauendarstellungen raubt ein gewisser Mangel
an Temperament, wie ihn demselben Objekt gegenüber
auch Menzel hatte, die künstlerische Wärme. Zu den
matten weichen, ins nebelhafte Grau spielenden Farben
tritt das träumerische Hindämmern eines seelenlosen
Wesens in seltsamen Kontrast. Als bewußter Ausdruck
einer Lebensanschauung mag diese .Art der Darstellung
künstlerisch gerechtfertigt sein. Obgleich Neven-Dumont
in der Hauptsache auf die malerische Wirkung ausgeht,
bleibt er doch Zeichner. Und zwar ein Zeichner, der
die organischen Zusammenhänge wohl sichtbar zu machen
weiß, dem aber die sensitive Linienführung fehlt. Seine
Linien als solche sind leblos und nur selten charakte-
ristisch. Man vergleiche daraufhin die Arm- und Nacken-
linien seiner Frauenbildnisse.
Die vorzüglichen Porträts des W. Schneider-Didam
frappieren durch die widerspruchsvolle Mischung eines
überstark ausgeprägten Wirkhchkeitssinnes mit einer typi-
schen StiHsierung. Vielleicht wird gerade dadurch die
Lebendigkeit des .\usdruckes noch gesteigert. Sein Mittel,
die dargestellte Figur reliefartig auf einen fast eintönigen
Hintergrund zu setzen, ohne daß sich zwischen dem
Objekt und dem Hintergrunde eine Luftschicht einschiebt,
sichert die Prägnanz der Ausdrucksfähigkeit — bei Rem-
brandt findet sich ähnliches — es liegt aber zugleich
die Tendenz darin, die Formen des dargestellten Men-
schen über die Ebene des Rahmens hinaus in den freien
Luftraum zu drängen, wodurch die ästhetische Realität
verletzt und die künstlerische Wirkung stark beeinträch-
tigt wird.
Zuletzt mögen noch Reusing und Vogts mit guten
Durchschnittsleistungen erwähnt werden. Bei Rieh. Vogts
ist CS zu begrüßen, daß er allmählich die süßliche Manier
der früheren Jahre fallen zu lassen beginnt und ernst-
haft an die künstlerisclie Bewältigung seiner Stoße heran-
geht. Bei dem farbig gut beobachteten >Buchenwaldc
hätte vor allem die organische Struktur der Bäume be-
rücksichtigt werden müssen.
Weit interessanter ist die Ausstellung von Kinder-
bilderbüchern im oberen Stock des Kunstgewerbemu-
seums. Daß Köln zum ersten Male eine solche Aus-
stellung sieht, ist sonderbar. Denn alle ausgestellten
Bücher stammen aus dem Verlage von Hermann und Friedr.
Schafl'stein in Köln. Die Ausstellung ist deshalb wert-
voll, weil sie deutlich dartut, wie sich aus der Verbin-
dung einer bestimmten Technik mit einem neuen Zweck
ein neuer Stil entwickelt hat. L'rsprünglich und wohl
ohne Vorbild stehen Karl Hofer und K. F. v. Frey-
hold da. Ihre Illustrationen sind von solcher Eindring-
hchkeit der Wirkung, sind einzig auf die Auffassungs-
kraft der kindlichen Psyche gestimmt, daß sie von aller
bisherigen Illustrationskunst abweichen. Da in jedem
einzelnen Falle nur die Bewegungen und die Situa-
tionen gewählt sind, die dem Kinde als die charakte-
ristischsten erscheinen, da die Zeichnung jeder kompli-
zierten Linienführung entbehrt und oftmals nur aus ein-
o:^ BF.RLIXF.R KUXSTBRIFF »^a
fachen, geraden Strichen besteht, ähnhcli der Art, die
das Kind für seine Zeichenversuche wähh, offenbart sich
in diesen kleinen Zeichnungen eine Prägnanz der Aus-
drucl;sföhigkeit, die nur einem großen Stile cigentüm-
hch. Durch die starke Intensität ungelirochener Farben-
töne — es steht ein tiefes Blau und Rot neben sattem
Grün und leuchtendem Gelb — wird eine Lustigkeit und
heitere Fröhlichkeit des Eindruckes erreicht, wie man
sie bei diesen scheinbar primitiven Mitteln nicht erwarten
zu können glaubt.
An Farbengeschmack verwandt, aber von anderem
Formgefühl ist E. R. Weiß. Auch hier ist der Stil der
Zeichnung durch die einfache Knappheit der Umiiß-
linien bestimmt. Aber an Stelle des vollkommenen Ver-
zichtes auf die Wirklichkeitsdarstellung ist bei \\'eiß eine
klare Beobachtung der Naturformen getreten, auf Grund
deren sich die gewählten Formen der Zeichnung ent-
wickeln.
Darin nähert sich Weiß dem Berner Künstler Ernst
Kreidolf, der zwar einen ganz anderen Farbensinn
betätigt. Statt ungebrochener Lokaltöne wählt Kreidolf
zarte, helle Farben, ein lichtes Rosa und Gelb, ein hei-
teres Blau und Grün. Auch liebt er es, die Farben ab-
zutönen und nuancenreich ineinander übergehen zu lassen.
Möglich, daß dieses Gefühl für die Farbe seine Ursache
in dem stark ausgeprägten Wirklichkeitssinn des Scliwei-
zers hat. Mit der bekannten alemannischen Gründlich-
keit der Beobachtung, die zu einem fast nüchtern-w^issen-
schaftlichen Naturstudium drängt, mit einer unbedingten
.\chtung vor dem Objekt tritt Kreidolf den Dingen gegen-
über. Aus liebevollem Eingehen in die Natur erwuchs
ihm eine Formenkenntnis, die keine Verzeichnung zu-
läßt. Seine »Blumenmärchen« sind dafür besonders cha-
rakteristisch. Trotz eines phantasievollen Anthropomor-
phismus war das Gefühl für das Organisch-Gewordene
in ihm so stark, daß der Charakter jeder einzelnen Blume,
daß ihre organische Struktur vollkoinmen sichtbar ge-
blieben ist.
Auf die anderen Künstler, auf von Volk mann, auf
Eichler, Münzer, S chmi dham me r , die alle bei
ihrer gewohnten Eigenart verharren, sei nur hingewiesen.
Doch auch sie fügen sich in den Rahmen des Verlages
ein, so daß die Ausstellung eine Fülle von Kinderbüchern
zeigt, die aus dem Gefühl heraus entstanden sind, daß
das für Kinder bestimmte von Kindern verstanden wer-
den und ihnen Freude machen soll. G. E. Lüihgcn
BERLINER KUNSTBRIEF
,;("! rabsteinku nst . hieß die Sonderausstellung,
welche das Berliner Kunstgewerbemuseum im
Sommer und Herbst 1908 veranstahete. Man kann diese
Bestrebungen bereits aus Anläufen in München usw.
kennen, zuletzt aus dem, eine Ausstellung von 1905
fortsetzenden, Flugblatte der »Wiesbadener Gesellschaft
für bildende Kunst«, deren Vorsitzender Dr. v. Grol-
man auch die jetzige .Vusstellung angeregt und geför-
dert hat. Wir sehen im Freien einen Fricdholgarten
mit einigen fünfzig Grabmälern und im I.ichtholraum
Abbildungen aus Gegenwart und Vergangenheit. In
dieser beginnen wir mit griechischen »Stelen« und rö-
mischen »Cippen« usw., freuen uns bei den letzteren
über viel guten Realismus, besonders im Ornament, wäh-
rend das .Mtchristliche durch viel Stilisierung abslicht,
und wandern dann an dem mittelalterlichen >Tischgrab«
und »\\andgrab« vorbei in die reiche Barocke hinein,
nicht zuletzt mit Beispielen aus Görlitz. Die Gegen-
wart hat es dieser Vergangenheit gegenüber nicht leicht.
Sie will die Unkunst von heute überwinden, nicht durch
Reichtum, sondern durch Schlichtheit. Sie strebt kaum
nach dem Aufgebote der dort zu bewundernden alten
Liegefiguren und Grabplatten, ihrer herrlichen Metall
kunst usw., der Symbolfülle und dergl, weicht sogar
der Plastik überhaupt lieber aus; doch bieten die Mün-
chener A. Hildebrand (mit viel Renaissance-Tektonik)
und F. Hoser, die Berliner F. Klinisch und O. Stich-
ling auch darin Gutes. Die eigentliche liaukunst tritt
hinter die Denkmalkunst zurück. Das Herausarbeiten
aus felsartigem Gestein pflegt der Münchencr H . 0 1 b r i c h ;
das Hineinarbeiten in landschaftlichen Eindruck zeigen
besonders die Waldfriedhöfe bei Köln und bei Hamburg.
In bekannter Weise überwiegt Eckiges, Hartes, schmal
Hochlinige.s, wohl am nüchternsten bei dem Wiener
J. Hollmann; in weicheren, rundlicheren Formen und
etwas mehr dekorativ arbeiten die Münchener O. O.
Kurz und C.Sattler, die Berliner M. Landsberg,
W. Schmarje, C. Stahl und besonders F. Seeck,
dem auch der Plan des Gartens zu danken ist — aller-
dings mit der Frage, ob dessen rechteckige Wege das
günstigste Muster sind. Metall wird selten verwendet,
mit Ausnahme des Dresdeners F.Schumacher. Dazu
kommt auch die jetzige Abneigung gegen Umfriedungen
der Gräber; doch sei der hübschen Gitterornamentik
des Dresdeners W. Kreis gedacht. Auf die dekorativen
Güter des Kunstgewerbes, wie z. B. Mosaik, scheint eben-
falls beinahe ganz verzichtet zu werden. Inhaltlich über-
wiegen hellenistische Ideale vor christlichen und deut-
schen, ausgenommen manche Proben aus Münchener
Friedhöfen und besonders von F. Hoser. — Gilt das
Gesagte zunächst von den Abbildungen, so tritt es in
den Werken selbst, wie sie der Garten zeigt, noch mehr
ALFRED KLEM (MÜNCHEN)
IS8
©Bi« BERLINER KUNSTBRIEF m.rä
ALFRED KLEM (MÜNCHEN')
hervor. Hier erfreuen schließlich auch Schriftproben
und die netten hellfarbigen Holztafeln von Schülern des
Museums.
In dessen Räumen sahen wir auch eine Ausstellung
der Edelmetall-Fachschule zu Hanau unter Direktor
Professor Petersen. Deren ersichtlich bedeutende
historische Sammlung war durch einige Bildproben ver-
treten; deutsche Anhängekreuze und russische Popen-
kreuze mit Kette stachen besonders hervor. Einiges
Historische zeichnen die Schuler ab, zum Teil aus dem
Gedächtnisse. Die Neuarbeiten sind anscheinend nur
weltlich. Traditionstreue und Gegenwartssinn arbeiten
ineinander. Eckige Formen entsprechen besonderer Mo-
tivierung; sonst jedoch erfreuen namentlich im farbigen
Goldschmuck gute Rundungen mit viel hübschen Spiral-
chen und Volutchen. Häufig werden vorhandene Steine
zum Ausgangspunkte genommen. Geometrisches wiegt
vor Pflanzlichem vor.
Gleichzeitig waren dort gewirkte Wandteppiche zu
sehen, gesammelt von R.N.dePeltzerin der russischen
Weberstadt Narwa. Arbeiten aus Beauvais, Brüssel und
Paris i'ührten uns in die ihnen günstige Zeit von 1640
bis Mitte des 18. Jahrhunderts zurück und zeigten uns
Ausführungen von Kartons bekannter Künstler durch
Techniker wie Behagle und Peemans.
Ein Wettbewerb zur .Ausschmückung des Berliner
Pappelplatzes erzielte 35 Entwürfe von 45 Bildhauern
aus Groß-Berlin und wurde durch .\bstimmung der
Künstler selbst entschieden (Ausstellung in einemNeben-
raume der >Großen«). Es kam viel Sinn für sozial-
ästhetische Anpassung zu Tage, weniger für intimere
Zuflucht der Erholung. Unter den fünf gleichen Haupt-
preisen scheinen uns am berechtigtsten die für H. Ho-
säus und H. Schmidt; doch auch P. Oesten und
S. Wernekinck waren uns günstig aufgefallen. Gerne
würden wir auch die Entwürfe »Arbeit und Barmherzig-
keit«, »Fontaine«, >Gehen, nicht vergehen« vorangestellt
sehen.
Ein jüngerer Bildliauer, E. Müller-Braunschweig,
ward uns in dem beaclitenswerten Lokale des Verlages
Fischer & Franke vorgestellt. Seine hübschen Klein-
plastiken stellen meist Frauenköpfe und Frauengestalten,
teilweise in einer an E. v. Gebhardt erinnernden Kunst
des Ausdruckes gespannter Zustände dar, nicht ohne
einigen Tribut an unangenehme Sentimentalität. Sein
'Glaube« bleibt wohl gut in Erinnerung.
G.Minne wird durch einige kleine Marmorwerke
bei Cassirer (»Die Knieenden« und dergl.) sympathischer
als sonst. Charles van Wyk ist ein niederländischer
Plastiker mit Wirkungen, die an Meunier erinnern. Seine
mittelgroße Bronze »Ihr Reichtum« stellt ein Feldarbeiter-
paar mit dem auf einen Heukarren gebetteten Kinde
dar. Wir lernten den Künstler inmitten einer Hollander-
.\usstellung im Künstlerhause kennen; diese ergänzt
sich durch eine bei Keller l^ Reiner gezeigte Kollektion
des Malers Frans Slogen, in der uns besonders zwei
landschaftliche Ansichten von Kirchen — eine im Schnee,
eine im trüben Tage — gut auffielen. Dort traten für
uns aus einer Menge von Gemälden, die sich traditions-
treu und doch auch eigentreu halten, namentlich die
bereits wohlangesehenen .Maler W. Maris und (mit Bil-
dern wie »In Sorgen«, »Kindliche Neugierde») A. Neu-
huys hervor. Neu war uns Martin Monnicken-
dam; Motive wie »Atelierecke«, »Am Stadtsaum« und
Studienköpfe behandelt er in einer eigenen Formen-
sprache breiter Striche. Breite Flecke, die ebenfalls
eigen, docli gar zu undeutlich sprechen, bilden das Ge-
mälde »Indische Würfelszene« des sonst nicht häufig
zu sehenden englischen Nach Prärafiäelliten F. Brang-
wyn (bei Gurlitt).
In diese Engländerwelt führt auch eine Doppelkol-
lektion, die aus München kommt und wohl noch weiter
wandert, wesh.alb wir sie kürzer erledigen, als sie es
sonst verdient. Ch. Ricke tts und seinen Schüler
Ch. H. Shannon hatten wir bereits (11. 6, S. 150, und
IV. 5, Beilage, S. 45 f) gekennzeichnet. Für Berlin inter-
essiert jetzt jener zumal durch seine mehrfach variierten
biblischen Motive in schwungvoll langliniger Skizzen-
form, dieser durch seine weich schimmernden Akte, die
wahrhaft ein Muster dafür geben, daß der Menschenleib
zum Verklärtwerden, nicht zum Brutalisiertwerden da ist.
'Salon Schulte, der dies brachte, bringt auch einige
Landschaften, deren gute Stimmung unseren sonst über
das gegenwartige Einerlei dieser Kunst hinwegschrei-
tenden Fuß hemmt. Der Schule Schönlebers macht
W, Strich-Chapell in Sersheim Ehre. G. v. Canal
in München liebt die Wasserobjekte holländischer Land-
schaften; in drei Stimmungen (einer blauen, einer grauen,
einer des Oktobers) m.ilt er das Dorf Loenen. M. Zae-
per in Berlin, von märkischer Heimarbeit bekannt, ver-
tieft sich in Holsteinisclies, wie besonders den Ukleisee.
B. Passig huldigt der Heide; u. dgl. m. Den Fein-
heiten der Landschaften Corots scheinen nachzueifern
der von uns im letzten Kunstbrief erwähnte Berliner
M. Fritz und der H.tmburger Professor Schwinge,
von dem Keller & Reiner eine Kollektion brachten.
Schulte führt uns auch in eine ältere, mehr Verstan-
des- .tls sinnenmäßige Landschaftswelt zurück durch eine
Sammlung des Müncheners Ad olf Stä bli (f igoi). Klar-
heit und Eindringlichkeit, sowie eine mehr objektive als
momentan-subjektive Stimmung, sind es vor allem, durch
die er uns eine Erholung von der Gegenwart schafft. Deren
IS9
ALl-KED KLEM (MÜNCHEN)
ENTWURl- ZU EINER TALFMEDAIL1.E
AI.FKEU KLEM iMLSC-HI :
i6o
Si^ MEISTERWERKE REI.IGIOSJiR KUNST «^ö
DEKORATIVE FIGUR
hei,:i (Atelier Klemm)
Unklarheit zeigt sich z. B. durch die arge Verdunkelung
einer Heiligen Nacht unter Bäumen von P.W. Harnisch ;
im übrigen führen seine stilisierten Landschaften wieder
dem Lithographischen nahe. Silhouettige Figuren er-
ganzen die Landschaften von C. A. Brendel; der großen
Alpennatur und der großen Segantini-Kunst eilert C. Arp
nach, zumal durch Bilder aus Samaden; Münchner-Ma-
rienplatz-Stimmungen leben bei C. Bössenroth. Mo-
dernen Linienschwung zeigen Porträt- und Tanzstudien
von dem Lehrer an der Kunstgewerbeschule Magdeburg,
M. Koppen. Interieurs u. dgl. von C. Murdfield und
gar einen eigenartigen Franziskaner, der aut einem Stuhle
vor einem Wandteppiche sitzt, von Ch. Schuch sieht
man immer wieder gern. — Porträtplastiken vonW. L o b a ch
und ähnliches von S. Jdrav sind eine willkommene Er-
gänzung dieser Mannigfaltigkeiten.
Einförmiger, obgleich zahlreiche deutsche Kunststätten
vertretend, blicken uns die t^'pischen Landschaften u. dgl.
bei Wertheim an. In überzeugender Weise malt der
Brüsseler J. Francois einen Bach in den Ardennen
und Verwandtes; ein Torfmoor des Karlsruhers R. Bäu-
mer, Strandfiguren u. dgl. von E. Kuithan in Jena,
dessen Bewegungskraft nicht mehr unbekannt ist, heben
sich hervor. Die sehr abgekürzte Formensprache von
G. Bechler in Maurach führt wieder zur Verwandtschaft
mit der Lithographie zurück.
Den Spanier F. Goya (1746 — 1828) treibt jetzt die
Mode empor. Seine Sonderausstellung bei Cassirer zeigte
auch zwei religiöse Kleingemälde um 1770: »Verkün-
digung« und »Der Tod des heiligen Joseph« — flüch-
tige Rokokotypen. — Unter den Modernen desselben
Salons fielen uns Fischermädchen u. dgl. von Leopold
Braun auf, wohl dem aus Wien stammenden, dann in
München und weiterhin in Paris (auch durch Illustratio-
nen) tätigen Maler. Dr. Hans Schmidkunz, Berlin-Hilensee
die zweifellos von allen Kunstfreunden auf das freudigste
begrüßt wird. Eine schönere Aufgabe konnte sich wohl
auch die Gesellschaft nicht stellen, als Werke erstklassiger
Meister auf dem Gebiete der religiösen Kunst der breiten
Öffentlichkeit in einer Ausführung zu bieten, bei der
originaltreueste Wiedergabe und eminenteste Licht-
beständigkeit der Farben das hervorragendste Moment
bilden. Die soeben erschienene erste Serie 'j besteht aus
sechs Kümmern, die eine elegante Mappe umschließt.
Unter diesen Kunstblättern begegnet uns zweimal der
Name Martin S chongau er, dann der Xame des Maler-
fürsten Raffael Santi, des Gerard David, Pietro
Perugino und endlich jener des Jan van Eyck. In
glücklichem Wechsel mischen sich mithin italienische
Großmeister mit einem oberdeutschen Maler und zwei
niederländischen Künstlern aus der besten Zeit der Gotik
und der frühen Renaissance. Der begleitende Text hat
Dr. Johannes Damrich zum Verfasser, dessen Na-
men wir schon des öfteren in Publikationen der Gesell-
schaft gelesen haben. In knapper Kürze erfahren wir
hier das Notwendigste über des jeweiligen Meisters Le-
ben und Wirken. Dann geht der gelehrte Verfasser zur
Charakteristik der einzelnen Bilder über. In weiser Mä-
ßigung verweilt er dabei nicht lange. Er will nicht er-
schöpfend sein in seiner Schilderung, er will nur An-
regung geben. Das genügt ihm. Im übrigen soll der
Beschauer sich selbst in die Schönheiten der einzelnen
Bilder versenken und vertiefen. Und ein Versenken und
Sichvertiefen sind die herrlichen Blätter wahrlich werti
Einzigartiges hat die Aquarellgravüre erreicht. Eine solche
Wirkung vermöchten der Drei- und Vierfarbendruck nie
zu erzielen. Wir haben es in der Tat nicht mehr nötig,
die oft so schwer zu erreichenden Sammlungen und
Galerien zu besuchen, um die dort aufgestellten Originale
zu betrachten , die ganz vorzügliche Technik der A q u a r e 1 1-
gravüre läßt uns das Original gewiß nicht allzusehr
vermissen. Wie trefflich entspricht z. B. das leuchtende
Rot und das tiefe Blau der Gewänder auf den beiden
Kunstblättern von Martin Schongauer der Wirklichkeit,
wie glücklich ist der zarte landschaftliche Ausblick auf
dem zweiten Schongauer-Bilde »Die Geburt Christi«
wiedergegeben! Und das wundervolle Inkarnat bei der
Madonna del Granduca des Malerfürsten! Auf dem Bilde
Gerard Davids, »Die Vermählung der hl. Katharina« ent-
zückt uns die vorzügliche Wiedergabe der unübertreff-
lichen Stofibehandlung jenes Meisters in den farben-
prächtigen Samten und weichen Wollstoffen. Wir glau-
ben, bei Betrachtung dieses vierten Kunstblattes dem
wohlbekannten Original in der hiesigen Pinakothek
gegenüberzustehen. Die >edle Gelassenheit, die klas-
sische Schönheit«, wie der Verfasser des Textes sich
treffend ausdrückt, können wir auf dem folgenden fünften
Kunstblatte der Vision des hl. Bernhard von Pietro Peru-
gino bewundern. Und schließhch vermögen wir kaum
den Blick zu wenden von der »Madonna« Jan van Eycks,
in so vollendeter Weise ist auf dem letzten Blatte das
berühmte, in der Städelschen Galerie zu Frankfurt a. M.
befindliche Original getroffen!
Wir wüßten nicht, welchem unter den sechs Kunst-
blättern wir den Preis zuerkennen sollten. Alle sind
in gleicher Meisterschaft ausgeführt. Von ganzem Herzen
beglückwünschen wir die Gesellschaft für christliche
Kunst zu diesem Prachtwerke und wünschen angelegent-
lichst, daß bei den unverhältnismäßig niedrigen Preisen
der einzelnen Kunstblätter das Werk die weiteste Ver-
breitung finden möge. Dr Richard IlotVmann
MEISTERWERKE RELIGIÖSER KUNST
T Jnter diesem Titel soll im Verlage der Gesellschaft für
christliche Kunst eine Reihe von Mappen erscheinen.
Mappe M. aj.— . .Mit Tc
:r Kunst in Aqua
rtüntormat 69X S '
.Johannes Dan
In elega;
Für die Redaktion
S. Slaudhai
Druck von
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Bruckii
nadepiatz 3) ;
christliche Kunsi
Sämtliche in München
Cirrörrfriif Brrlaßoijanöliing ?u iFrriburg im ßrriariflii.
tßrfd)id)tr
tn Bfrftjrnng jFHarias
in Qrutfdjianti mälirrnti tifö jBlittrlaitfrs.
lEin ßfitrag jur ifirlißionsiDilffnfdjiift unö üiunftgrfrijirijtp.
jnit 'I'i'I SbüilDunrtfii.
Bon Stfpljan IBriffrl S. J.
gr. 8" (XII II. ß7K)
M 15.— : gfü. in rirg. JTrinroanöijanö M Xl.üü
0^ü()rid) {}at in gciftreidjer 2Beil'e geic&il=
ly bert, wie DJkria über bn§ ©ebirge ju
glifabett) ging, bei ber fie im Wagiiifitiit
bie 9Bei§fagung nuÄfpvncb: „i^on mm on
rocrben mid) fclig prcijcn iitle ©efdjte^ter."
5Iuf iljrem 2Bege lüf;t Ji'^i^'ti) öie @ottc§=
matter Don @ngclu begleitet fein. Einige
[treuen SRofen über [ie qu§, anbcre fingen
il)r 2ob. 3^r folgt ein ^pilger, ber bie
DJJelobien ^ört unb fi(^ büdt, einige ber
9{ofen äu fammeln ju einem Strauß.
(go ift Waüa bur$ bie cöriftlic^cn 3o^r=
f)unberle gegangen. 2Jie 33eflcn t)(ibcn i^r
6()ren ermicjen unb i^r 2ob gefungen. Jic
3lufgobc bicfca IBucJcä ift, einen 5S:ei( ber
iKojen, bie in 1:eutid)lnnb mübrcnb be§ TOittet»
altera Unfcrcr Sieben A-rou gefpcnbet mürben,
JU fnmmcin, ben fiebern ju laufcften, bie 5U
ibrer 6^re ericbotlten, bie iöilbiuerte }u fd)ilbern,
bie für fic in nnfcrein 3>atcrlanbc entftanben.
J?t-incäiDcg§ bcjroedt e§ alfo eine Don
fjcutigcn 'i)(nf4ouungen geleitete JJritif ber
DJf arienocrebrung ju liefern, fonbern
nad) ben beften jeitgenöjfifdjen Cnetlen unb
Olabüiinenftolue.
icrt, 31 jDÜQii. (Um H"
uDurri] fliif iDutljljiiiiiJiungfn }u bnirljrn.
lQriffrl.(§rfd)id)tförrl3frfl)runrt Parias inSfutfdjinniimnljrtnööPajplittrlaltrrB.
Maria:
Icli sag dir Dane,
0 süszer Klane,
dein Kre ich preit:
sie sein bereit,
gib Zäher, beweg sie, starker Got.
J h e s u s :
Neit, Hasz, Hochmut
zur Hellen Glut,
unkeusch, ungelt,
merk wi die Welt
falsch ist mit Geiz und Stankes vol.
Maria:
Ach Menschen plint,
ir Adams Kind,
werft Posheit ab ;
secht an eur Grab !
Pessert euch drat und lebet wol.
Die Sünder;
0 Junefrau vein,
des Himels Schein,
dir sei Dane, Lob !
Wir seind ein Stop,
Der Tod ist nah. Hilf, Junefrau schon !
0 Jhesu Crist.
ein Blum du bist,
Marie Kint,
mach uns dein Kint,
gib uns dich selbs ein ewig Lon ! Amen !
ijoucquet
n-ü d'heui-es
: .firbiiung ^Jlnria^.
beä g. GfjeBüUer. ©i^Iofe eijaiitiUl).
Se iinbef)oIfcner
jol^e unb ä^nli^e
58er}e oft (ein mö=
gen, be[lobeutli4er
jeigen fie bie wo^re
@cfiiniungbc§ou§=
gdjcnben Wittelal=
tet§, bie but^ou§
tidjtige 9Uiffafjung
be§ 5Bet[)äItiii[fe§
äiüifcfeen bem 6r=
löfer imb feiner
9Jhitter. 3efii§ ift
bieOuefle unb Ur>
fadje oller ®nobe,
5JJaria ober eine
Mittlerin, eineSür=
fpred)erin ber ©ün=
ber. ©ie tonn bem
©ünber }ur 53e=
fel)tnng Reifen,
nidjtoberSSerfiodte
retten.
^nc>nanz>^c^oncnc^c^c>^cyic^cnant:>iona^c^ir-^r'^r<:3T^t<3t'<st-^t<3t-^r'^r<3r<it<3F<3i-^t<Dt^^t'<3
LLDWIG SEiTZ
Fresko in der Chorkapelle der Basilika in Loreto
Pkot. D. Anderson^ R^n.
MARIA VERKCXDIGI'N'G
HISTORIENMALER LUDWIG SEITZ
Von MAX FÜRST
l\Ait dem am ii. September 1908 zu Albano
^'' bei Rom erfolgten Ableben des hervor-
ragenden Künstlers Ludwig Seitz hat die
Genealogie der kunstgeschichtlich bedeutsamen
'Nazarener«-Gruppe ihren Abschluß gefunden.
Nicht allein im geistigen, sondern auch im
persönlichen Sinne kann dieses gesagt werden,
denn L. Seitz war tatsächlich der letzte Künst-
ler deutschen Geblütes, der im Ideen- und
Formenkreise der Xazarener seine Schulung
erhalten, der als strebsamer Jüngling durch
\'ermittlung seines \'aters noch mit den be-
tagten großen Meistern Cornelius und Over-
beck in Fühlung gestanden, der auch im
Wandel der Jahre, bis an sein Lebensende,
die religiösen und ästhetischen Prinzipien
dieser leuchtenden Führer des christlichen
Kunstschartens treu vertreten und im eigenen
Wirken festgehalten hat. Ganz besonders —
und vielleicht für lange Zeit zum letzten Male
— kam in ihm die \'ermittlung deutscher
und italienischer Kunstsprache zu deutlichem
Ausdrucke, so daß wir bei Betrachtung seiner
Werke an das schöne Bild Overbecks ge-
mahnt werden, auf dem die edlen Frauen
Germania und Italia schwesterlich sich die
Hände reichen. Ihm war es auch gegönnt,
die milden Sonnenstrahlen des Glückes, die
nicht allen Xazarenern und Cornelianern ge-
leuchtet, in außergewöhnliciiem Grade auf
sich zu vereinen. An seiner Wiege, in die
er am 11. Juli 1844 zu Rom gelegt wurde,
standen nicht nur die Musen, sondern auch
hohe weltliche Gönner: kein Geringerer als
König Ludwig I. von Bayern war sein Tauf-
pate. Durch seine Abstammung aus einer
an der Isar wie am Tiber gleich hochgeach-
teten Künstlerfamilie') ebneten sich leichter
') Maler Max Seitz, der Vater unseres Künstlers,
war zu München 181 1 als Sohn eines vieltätigen Kupfer-
l62
©^ LUDWIG SEITZ ^ö
die Pfade, die zu bedeutsamen Aufträgen
führten, und das Wohlwollen zweier Päpste
hob ihn zu einer Stellung, die an Ehren und
Auszeichnungen niemals Mangel litt. Wenn
bei ungewöhnlich großer Begabung und einem
rastlosen Fleiße, wie diese Seitz eigen waren,
noch solch äußere günstige Faktoren an der
Entwicklung des Künstlers mitwirken, dann
muß sich ein von freudiger Tatkraft beseeltes
Meisterleben ergeben , das reich gesegnete
Schaftensspuren auch fernen Zeiten hinterläßt.
Schon Seitz' Erstlingsarbeiten (Zeichnungen
von Heiligengestalten zu Holzschnitten für
den Herderschen Verlag), die vielfach von
altdeutschen Meistern inspiriert erscheinen,
zeigten die warme Liebe für ein ernstes, reli-
giöses Schaffen, dem vor allem daranlag, er-
bauend auf die Beschauer einzuwirken ; auch
die frühesten Olbildchen, die meist von hoch-
gestellten Personen erworben wurden, tragen
klar den Stempel des sinnigfühlenden, viel-
versprechenden Künstlertalentes. Von solch
schlichten Jugendarbeiten ging es alsbald an
umfangreiche, in technischer Hinsicht höchst
schwierige Aufgaben : an der Seite seines Vaters
hatte Seitz im Dome zu Diakovar als Fresko-
maler sich zu erproben, da F. Overbeck, seiner
vorgerückten Jahre wegen, den ehrenden Auf-
trag, den der mannhafte Bischof Stroßmayer
ihm erteilt hatte, seinen lieben deutschen
Freunden zuleitete. Den größten Teil der
siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ver-
brachten die beiden Seitz im genannten Dom,
in welchem zunächst die glückliche Schmük-
kung der Seitenapsiden durch Ludwig Seitz
vollführt ward. Auf der einen Seite schaut man
dort die Hirten und Könige an der Krippe,
auf der anderen eine ergreifende Beweinung
des Leichnams Christi, an der neben den
bekannten biblischen Gestalten auch hervor-
ragende südslavische Heilige sich beteiligen.
Bald darauf waren es andere bischöfliche
Stechers geboren. Ein begeisterter Schüler von Peter
Cornelius, siedelte er frühzeitig zu dauerndem Bleiben
nach Rom über; er ehelichte dort 1842 eine Tochter des
Malers und Schriftstellers Ernst Platner, der seinerzeit
in Verbindung mit dem gelehrten Bunsen eine »Be-
schreibung Roms« veröffentlichte. Max Seitz (f 1888),
ein sehr tüchtiger, aber mit mancherlei wunderlichen
Schrullen behafteter Mann, liebte es — ermuntert durch
seine Tätigkeit als Maler im Dome von Diakovar —
hin und wieder auch in den Straßen und Gesellschafts-
kreisen Roms in farbigen, kroatischen Gewandstücken
sich zu zeigen. Schreiber dieser Zeilen fand mehrmals
Gelegenheit, mit seinen jungen Freunden an dem drol-
ligen Auftreten des »alten< Seitz sich zu gaudieren.
Saß in den Abendzirkeln der bejahrte wackere schwä-
bische Meister A. v. Gegenhauer, der dem einstigen
Biedermaier- .Anzug mit seinen mächtigen »Vatermördern^
stets treue Anhänglichkeit wahrte, neben Vater Seitz,
so ergab sich ein gar heiteres, seltsames Kostümbild.
Kirchen — jene zu Serajevo und Treviso —
in denen der rasch zur Selbständigkeit ge-
langte jugendliche Maler sein tüchtiges Können
zeigen sollte. Kamen in erstgenannter Kathe-
drale die acht Rundbilder der lateinischen
und griechischen Kirchenväter zur Ausführung,
so erhielt der Dom zu Treviso innerhalb der
Jahre 1882 — 1888 vier große Wandgemälde,
die in figurenreichen Szenen kirchengeschicht-
liche Ereignisse gar lebhaft zur Darstellung
bringen. Wenn in diesen Fresken hin und
wieder ein sichtliches Hinneigen zur reali-
stischen Gestaltung der Vorgänge und Per-
sonen sich kundgibt, so hielt diese Neigung
bei Seitz nicht sehr lange stand; das allmäh-
lich sich läuternde Gefühl für jene künstle-
rische Art, die uns in dem Begriffe »Stil«
entgegentritt, gewann bei unserem Künstler als-
bald die Oberhand und je weiter sein Schaffen
sich dehnte, desto energischer neigte er dem
Gegenpole der realistischen Kunstweise: der
Stilisierung, der typischen Vorführung des
Darzustellenden mit voller Seele zu. Zur
Würdigung des Künstlers muß gesagt werden,
daß dieses so geartete Schaffen ihm nie zur
Schablone wurde. Immer durchtönt eine selb-
ständige Nuancierung das Dargebotene, und
trotz aller Anklänge an alte Weisen über-
rascht uns nicht selten eine frischsprudelnde,
originelle, stets geist- und gemütreiche Sprache,
die eben einzig und allein die Sprache unseres
Meisters ist. — Wohl die glücklichste und
zarteste Vereinigung von Stilgefühl mit per-
sönlicher Eigenart bot Seitz in dem präch-
tigen Triumphbogenschmuck des Domes zu
Freiburg im Breisgau. Man sagt uns, daß
auch die in der Fürstenbergschen Schloß-
kapelle zu Heiligenberg am Bodensee sich
findenden Gemälde des Künstlers gleiche Eigen-
schaft zur Schau trügen.
Seitz, der diesseits und jenseits der Alpen,
sowie in östlichen Ländern zu malen hatte,
fühlte gar wohl, daß er bei seinen Arbeiten
dem Lande, der näheren Umgebung eben-
falls eine gewisse Beachtung zu zollen habe,
daher moderierte er auch seine rege Tätigkeit
entsprechend den gegebenen architektonischen
und lokalen Verhältnissen. Daß solche Auf-
gabe auch ihm, dem gewandten Meister,
manchmal schwer ward, bekundet er selbst
in einem seiner Briefe, indem er sagt: > In
Deutschland mußte ich Deutscher sein, in
Italien wollte man mich als Italiener haben.« — ')
Da sein Hauptwirken doch auf Italien sich
erstreckte, so lag es nahe, daß das Studium
italienischer Meister ihn ganz besonders be-
') Siehe >Historisch-polit. Biälter«, Bd. 142, S. 726.
i63
Fresko links neben liem Fenster der
ChorkapelU der Basilika in Lcreto.
Phot. D. Anderson. Ro»t o o o o o
'S» LUDWIG SEITZ «
« ISAIAS, EZECHIEL
ABISAG, SULAMITIS
164
©^5 LUDWIG SEITZ mö
schäftigte ; er brachte es hierin zu einer Ken-
nerschaft, die ihn nicht nur zum Direktor der
päpstHchen Gemäldesammlungen befähigte,
sondern die ihn in Kunstfragen auch mehr-
mals zur Feder greifen hieß, um über Wesen
und Ziele der Kunst sich offen auszusprechen.
In etlichen, der »römischen Künstlerzunft«
gewidmeten Broschüren: »Erörterungen über
wichtige Kunstfragen« besprach Seitz ange-
sichts der in den neueren Kunstanschauungen
herrschenden Verworrenheit die Hauptpro-
bleme der bildenden Kunst, wobei das Ver-
langen nach jener Einheit, wie sie die frü-
heren Zeiten festzuhalten vermochten, zum
Hauptmerkmal seiner Wünsche und Bedin-
gungen gemacht erscheint. Wenn er, um
solches Ziel annähernd zu erreichen, an die
Wiedererweckung der alten Künstlerzünite
dachte und diese warm befürwortete, so ent-
ging ihm hierbei wohl doch, daß ein auch
noch so gut gefügter Rahmen nicht die nötige
Kraft haben kann, die schäumenden Wogen
auf dem Kunstgebiete, die nun einmal durch
die auf allen Feldern des modernen Lebens
sich zeigenden Gärungen verursacht und be-
gründet sind, zu bändigen und in erwünschte
Bahnen zu leiten. Der wohlmeinende Ver-
fasser der »Erörterungen« vergaß eben nur
zu sehr, daß Klagen die Toten nicht aut-
wecken, daß die ersehnte Läuterung und Eini-
gung auf dem Kunstgebiete nicht dem Zu-
sammenhange der allgemein geistigen kultu-
rellen Erscheinungen entrückt werden könne.
Wie schon angedeutet, erstreckte sich die
künstlerische Tätigkeit unseres Meisters vor
allem auf Italien. Wie er in der ehrwürdigen
Kirche Ära coeli auf dem römischen Kapitol
eine Kapelle mit Bildern zierte, so ward auch
die Apsismalerei in der französischen Kirche
San Ivo von ihm besorgt ; auch die Aus-
schmückung der deutschen Nationalkirche
S. Maria dell' Anima oblag seiner emsigen
Hand. Bei den engen Beziehungen zu den
vatikanischen Behörden ward ihm die Her-
stellung der Kartons zu den Mosaiken am
Grabmale Pius' IX. in S. Lorenzo fuori le
mura übertragen, ebenso vollführte er die
malerische Schmückung des Kuppelsaales der
Torre Leonina in den Gärten des Vatikans.
Die mancherlei Aufgaben, die an Seitz heran-
traten, brachten in ihm eine staunenswerte
Vielseitigkeit zuwege. Voraus in der Archi-
tektur wußte er gründlich Bescheid und auch
die kunstgewerbliche Kleinarbeit fand in ihm
einen umsichtigenBerater. In bezugauf letzteres
Wirken vertrat er mit besonderem Geschick
die Traditionen seiner vaterseitlichen Ver-
wandtschaft, indem zahlreiche Entwürfe zu Me-
daillen, Kirchengeräten, Grabdenkmälern etc.
in seinem an der Via del Babuino ge-
legenen Atelier entstanden. Seitz' Umsicht
bei schwierigen Restaurierungsarbeiteii führte
ebenfalls zu schönen Erfolgen ; die Wieder-
herstellung der kunstgeschichtlich so wert-
vollen vatikanischen BorgiaGemächer, in denen
Pinturicchios Fresken heute wieder im ur-
sprünglichen Lichte sich darbieten, ist ein
Verdienst, in das der hohe Veranlasser, Papst
Leo XIII., mit dem vollziehenden Künstler
freudig sich teilen konnte. Leo war es, der
dem erprobten Meister weiterhin den reichen,
aus Decken- und Wandbildern bestehenden
neuen Freskenschmuck der Galleria dei Can-
delabri übertrug. Der ehrende Auftrag ward
zur vollsten Befriedigung des Papstes ausge-
führt, der in den zumeist allegorisch und sym-
bolisch gehaltenen vielen Darstellungen nicht
nur der Verherrlichung des heiligen Philo-
sophen von Aquino, sondern auch jener der
Taten seines eigenen Pontitikates, vor allem
des künstlerischen Hinweises aut seine geistes-
und lehrgewaltigen vier großen Enzykliken
sich erfreuen konnte.') Aber auch unter rein
künstlerischen Gesichtspunkten dürfte Leo XIII.
die leuchtenden Bilder des erkorenen Malers
mit Behagen und mit dem Bewußtsein ge-
nossen haben, die Scharte, welche der ge-
rühmten vatikanischen Kunstpflege durch die
in den fünfziger Jahren des vorigen Säkulums
— nahe den Raffaelschen Stanzen — ent-
standenen Malereien geschlagen worden war,
möglichst wieder wettgemacht zu haben. Daß
diese sühnende Tat ein Maler deutscher Her-
kunft vollführte, darf auch uns mit Genug-
tuung erfüllen (Abb. S. 165).
Mit seinen deutschen Gönnern und Reli-
gionsgenossen in besonders innige Fühlung
zu treten, war L. Seitz beschieden durch den
großartigen Auftrag, eine der Chorkapellen
des Domes zu Loreto mit Fresken aus dem
Leben Mariens zu füllen. Wenn schon sein
religiöses Empfinden ihn ob dieser herrlichen
Aufgabe freudig stimmen mußte, so war das
Vertrauen, welches die deutschen Auftrag-
geber ihm entgegentrugen, ein doppelter An-
sporn, mit vollster Seele diesem Schaffen in
Loreto sich hinzugeben. Tatsächlich hat der
Meister in zehnjähriger Arbeit (1892 — 1902)
ein Werk geboten, das hinsichtlich des Reich-
tums der Komposition, der Fülle sinniger,
fesselnder Einzelheiten, des goldfarbigen
Glanzes alle seine früheren Leistungen über-
') Eine Publikation der Fresken mit Begleittext von
Professor Berthier bot der Benzigersche Verlag unter
dem Titel: »Die Glorie des heiligen Thomas von Aquin.«
Ladenpreis M. 24. — .
»^ LUDWIG SEITZ »^ö
165
LUDWIG SEITZ
Deckengemälde im Vatikat
Phot. D. Anderson,
THOMAS VON AQL'IK USD DIE KIRCHE
Text S. l«4
bot (Abb. S. 161, 163 u. Beil. I.). Wenn
Leo XIIL bei Besiclitigung der Entwürfe zu
diesem lauretanischen Kapeilenschmuck von
einer ) Epopea Mariana« gesprochen, so wählte
er wohl die richtigste Bezeichnung für den
zur Ausführung gelangten Bilderzyklus.') Die
Ein- und Unterordnung in gegebene Raum-
') Publiziert in dem reich ausgestatteten Werk; La
Cappella del coro nclla Basilica di Loreto dipinta dal
Comra. Lodovico Seitz, descritta da Mons. Giovanni
Milanese. 46 Textill. u. 2 Einschaltbilder. Benziger & Co.,
Einsiedeln 1908. Ladenpr.M.4.— (deutscheAusg.M.6.20).
i66
©^« LUDWIG SEITZ ?^ö
Verhältnisse wußte Seitz in Loreto so geschickt
festzuhalten, daß Architektur und Malerei über-
aus harmonisch hier zusammenklingen. In den
Details dürfte freilich hierbei des Guten oft zu
viel geschehen sein. Die im Sinne eines Gen-
tile da Fabriano überreich gebrauchte Goldver-
brämung von Gewändern und Geräten, diese
zahllosen Baldachine, Türmchen, Säulchen
und Balustraden, welche die Bildergruppen
nicht nur auseinanderhalten, sondern diese
selbst vielfach durchziehen, dieses Filigran
schmückender Zutaten, drängen eine wün-
schenswerte, gemessene ruhige Wirkung hin
und wieder zu sehr in den Hintergrund. Durch
den Überfluß an Linien, an Gold und Farben
erscheint manch dargebotene, tiefempfundene,
mit Schönheit und Grazie gezeichnete Szene
in ihrer Vollkraft geschwächt und beeinträch-
tigt. Daß bei der immensen Zahl der Figuren
und Gruppen nicht alles auf gleicher Voll-
endungshöhe basiert, daß, wie auch P, A. Kuhn
in seiner Kunstgeschichte (III. Bd. S. 1335)
vermerkt, das nötige Naturstudium nicht immer
zu seinen Rechten gelangte, kann nicht ver-
schwiegen bleiben. Erwägt man jedoch die
Ausdehnung der Gesamtautgabe, sowie all
die technischen und sonstigen Schwierigkeiten,
die bei Herstellung von derartigen, auf hohen,
meist verdunkelnden Gerüsten sich vollziehen-
den Arbeiten sich ergeben, so wird man der
Seitzschen Schöpfung im Dome von Loreto
vollste Bewunderung niemals versagen. Das
»Laus Deo«, das der Künstler beim Schlüsse
unter eines der Bilder setzte, ist die deutliche
Bestätigung dessen, was er gewollt und auch
erreicht hat. Wie die zahlreichen Engelein
auf Gemälden alter Meister gleich jenen aut
den Seitzschen Loretotresken unermüdlich in
fröhlichem Himmelsjubel sich geben und be-
wegen, so wollte auch der fromme Meister
in leuchtenden Farbentönen sein vielgestalti-
ges Preislied zum Ruhme Mariens erklingen
lassen, getragen von dem beglückenden Ge-
fühle, zugleich der Dolmetsch all der Katholiken
zu sein, die aus Deutschlands Gauen der
gütigen Himmelskönigin ihre kindliche Ver-
ehrung hier entgegenbringen.
Noch einmal trat an den Künstler ein
weiterer großer Auftrag heran, indem er drei
Kapellen der berühmten Kirche des heiligen
Antonius zu Padua gleichfalls mit einem Fres-
kenkranze schmücken sollte. Die Arbeit wurde
aufgegriffen, aber nicht vollendet. Andere be-
rufliche Aufgaben, vor allem aber des Mei-
sters angegriffene Gesundheit minderten das
Tempo, in welchem Seitz in früheren Jahren
zu schaffen gewohnt war. Die Neuordnung
der päpstlichen Gemäldegalerie, die ihm be-
sonders am Herzen lag, rief ihn am 10. Sep-
tember von seiner Erholungsstätte in den
Albanerbergen nach dem Vatikan, wo er die
Transferierung von Raffaels letztem großem
Werke: »Transfiguration« noch umsichtig
leitete. Die letzten Blicke des pflichtgetreuen
Künstlers galten dem verklärten Vorgange
auf der Höhe des Tabor — dann fuhr er
wieder nach seinem Bergasyl, um am näch-
sten Morgen dort zu sterben.
Die hohe Begeisterung für Rom und Italien,
die Ludwig Seitz von den Nazarenern als
Erbe überkommen und festgehalten hat, er-
scheint heute in Künstlerkreisen stark abge-
flaut. Der dem germanischen Wesen nun
einmal angeborene Wandertrieb lenkt das
Sehnen der modernen Maler mehr nach den
westlichen Ländern als nach italienischen alten
Kunst- und Kulturstätten. Dieses Abwenden
von einer seit den Tagen Albrecht Dürers
gepflogenen Tradition hat in unserer neueren
Kunstpflege gewaltige Wandelungen hervor-
gerufen und zahlreiche Erzeugnisse gebracht,
die dem deutschen Eigenwesen bisher nur
selten jenen konkreten Ausdruck zu leihen
vermochten, den deutsches Kunstschaffen seit
dem Auftreten der Renaissance bis zu den
letzteren Dezennien des 19. Jahrhunderts zum
Stempel hatte. Da die frühere deutsche und
italienische Kunst engste Fühlung unterhielt
und zudem sehr homogene Elemente auf-
wies, so war es leichter, in ihrem Zusammen-
wirken jenen klaren und auch volkstümlichen
Ausdruck zu finden, den unsere moderne
Malerei noch vielfach vermissen läßt. Dieser,
unter den neueren geistigen Evolutionen nun
fast völlig in die Brüche gegangenen innigen
Harmonie zwischen eis- und transalpiner
Kunst konnte Ludwig Seitz als einer ihrer
letzten hervorragenden Vertreter noch bis an
seinem Lebensabende ungetrübt sich ertreuen.
Indem der genannte Meister an der Grenz-
scheide zweier Kunstperioden uns entgegen-
tritt, steigert sich das Interesse für seine
Persönlichkeit ebenso wie für sein reichliches
Schäften. Unter solchem Gesichtspunkte wird
uns Ludwig Seitz gewissermaßen zu einer
markanten kunstgeschichtlichen Gestalt, die
allseits Beachtung und Würdigung verdient,
die aber vor allem ein Anrecht besitzt, ein
ehrendes Dank- und Ruhmesblatt auch in
dieser, der christlichen Kunst gewidmeten
Zeitschrift zu erhalten.
ö^ HENRI UND MARIF. 13UHRM ^J;a
i6:
ii:\Ri nriii.M
EIN FRANZÖSISCHES KÜNSTLER-
PAAR: HERR UND FRAU DUHEM
Von Dr. LEO MALLINGER, Löwen-Belgien
Hierzu die Abb. S. 167 — 176)
pine stille Straße im äußersten \'iertel eines
'-^ friedlichen Provinzstädtchens im Norden
Frankreichs: Douai. Neben einem alten, ehr-
würdigen Stadtpark, den man eben unerbitt-
lich zerstört, um einer Schule mehr Raum zu
schaffen, liegt ein geräumiges, herrschaftliches
Haus, ebenfalls einer früheren Zeit angehörend.
Wir treten in den weiten, lichterfüllten Ein-
gang, und gleich schlägt uns eine warme, an-
heimelnde Luft entgegen. Man glaubt sich
zu Besuch bei einer hochbejahrten, gütigen
Tante oder einem Großvater mit weißen
Haaren, die uns im folgenden Augenblick liebe-
voll in ihre Arme schließen werden. Allein
statt dieser Zeugen der V'ergangenheit kommt
uns ein noch junger, sympathischer Mann
entgegen, mit sanften, freundlichen Augen in
einem bärtigen Gesicht. Ohne viel Umstände
und Zeremonien zu machen, nötigt er uns
in das nächste Zimmer, die gemütliche Wohn-
stube, und auf seinen Ruf erscheint auch als-
bald eine in aller Einfachheit anmutige Haus-
trau, die sich ihrer PHichten dem Besucher
gegenüber mit ebensoviel Liebreiz als Be-
VKRKÜN'DIGCNG AN DIE HIRTEN
scheidenheit erledigt, i^ie Unterhaltung ist
beständig im Fluß, denn wir haben die Ent-
deckung gemacht, daß wir über alles Edle
und Schöne, über Natur und Kunst dieselben
Ansichten hegen, und unsere erste Begegnung
macht uns den Eindruck eines Wiedersehens
mit guten alten Freunden, die wir immer ge-
kannt haben.
Wir sind in einem wahren Künstlerheim.
Denn frühzeitig hat Hr. Advokat FlenriDuhem,
Sohn eines höheren Justizbeamten, der gericht-
lichen Laufbahn entsagt, welche iiim bereits
reiche Lorbeeren eintrug, um nur der Kunst
zu leben, und nicht lange dauerte es, so maciite
er auf einem MalerausBuge die Bekanntsciiatt
einer Schwesterseele, eines reich veranlagten
Landmädchens, das er bald als glückliche
Gattin heimführte. Und nun leben beide mit
ihrem einzigen Sohn ein zurückgezogenes,
idyllisches Leben, teils in H. Duhems Geburts-
stadt, teils auf dem Lande, in Frau Duhems
Heimatprovinz. Ihr ganzes Dasein ist der Kunst
gewidmet. In dem großen, dichtbewachsenen
Garten, der sich iiinter dem Wohnhaus aus-
dehnt, haben sie ihr gemeinsames Atelier.
Frau Duhem schafft zu ebener F>de, ihr Gatte
haust im oberen Stockwerk. Ihre F.rholung
finden sie in der Musik und der Literatur,
worin sie sehr bewandert sind, und im Um-
gang mit einigen gleichgesinnten Künstlern,
i68
'Sm HENRI UND MARIE DUHEM ^ö
und Frau Duhem hat sein Porträt
gemalt (Abb. S. 169). Die Büste
H. Duhems, von Meunier model-
liert, schmückt den Kamin der
Wohnstube. Herr und Frau Du-
hem haben sich durch ihr Talent
und ihre Schaffensfreude in der
Kunstwelt einen geachteten , ja
man kann sagen einen berühmten
Namen erworben. Einzelne ihrer
Bilder hängen in den ersten Mu-
seen Frankreichs : dem Luxem-
bourg, dem Musee du Petit Palais,
dem Museum von Lille, denen von
Cambrai, Douai, Amiens usw.,
andere wurden von reichen Ame-
rikanern erworben ; einzelne zie-
ren ihr eigenes Wohnhaus. Ihre
neuen Werke werden regelmäßig
im Salon der Societe des Artistes
Irancais und der Societe nationale
des Beaux-arts ausgestellt. Im Fe-
bruar 1906 fand sogar eine Son-
derausstellung ihrer Werke in der
Galerie Petit in Paris statt, wo
nur Berufene, schon anerkannte
Künstler Eingang finden. Dieselbe
erregte die Bewunderung der
Kunstkenner, und diePresse sprach
sich sehr belobend darüber aus.
MARIE DUHEM
nER BLUMENKRANZ
die bisweilen aut einige Tage zu Besuch kom-
men oder das freundliche Paar bei sich be-
grüßen. Übrigens bietet die Wohnung der
Familie Duhem genug des Schönen und Wert-
vollen, um immer wieder Augen und Gemüt
zu fesseln. Ein wirkliches Museum haben sie
sich mit äußerst feinem Geschmack einge-
richtet, eine Zusammenstellung von tüchtigen
Werken ihrer berühmtesten Zeitgenossen, die
man kaum in diesem altertümlichen Hause
aufsuchen würde. Da hängt eine scharfge-
zeichnete, meisterhafte Studie aus einem Berg-
werk von Constantin Meunier neben den
weichen , verschwommenen Umrissen eines
Eugene Carriere, ein kindlich naives Bild von
Maurice Denis neben einem herben, ergreifen-
den Rops; da kann man den Stil Manets mit
deniMonets vergleichen, die modernsten Ten-
denzen in H. Martin, Degas, Renoir, Claus
u. a. studieren; von dem sanften Le Sidaner,
einem Herzensfreund, ist eine ganze Anzahl
stimmungsvoller, friedensseliger Gemälde vor-
handen. Aus dem Gebüsch des Gartens leuchtet
eine kraftvolle Eva von Rodin. Auch C. Meu-
nier war ein gern gesehener Gast des Hauses
Henri Duhem hat in seinem
Wesen etwas Zartes, Träumeri-
sches; er weiht uns ein in den melancholischen
Zauber der nördlichen Ebene seines Heimatlan-
des mit ihrem umnebelten Horizont, ihren mit
roten Ziegeln gedeckten Häusern aus Back-
steinen. Und so charakteristisch wählt er den
Gegenstand seiner Gemälde und den Augen-
blick, daß dieselben zu dauerhaften Symbolen
seiner Provinz werden. Er liebt die in helles,
blendendes Licht getauchten Straßen seines
Städtchens, die alten Häuser, die Kanäle mit
ihren Schiffen, mehrnoch die im Zwielicht, im
Morgengrauen oder Abendnebel ziehenden
Schafherden (Abb. S. 175). Seine Bilder zeugen
von einer unermüdlichen Beobachtung und
einem innigen Naturgefühl; es wohnt ihnen
allen eine echte Poesie inne. Er ist zugleich
ein angesehener Schriftsteller und Kunstkri-
tiker. Sein vor zehn Jahren erschienenes Buch,
Renaissance betitelt, gibt in eigenartiger Weise
Aufschluß über die Bestrebungen der zeitge-
nössischen französischen Kunst, als deren un-
terscheidende Merkmale er das Licht und das
Gefühl bezeichnet.
*
In Frau Marie Duhem, die inmitten der
Co
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E5B4 HENRI UND MARIE DUHEM *^i3
169
ungekünstelten Landbevölkerung in Gottes
freier, schöner Natur aufgewachsen ist, steckt
etwas Urwüchsiges, Reifes, das in ihrenWerken
jeden unbefangenen Beschauer unverzüglich
anspricht. Man merkt, daß dieses begabte
Auge, diese gewandte Hand nicht, wie an-
dere Frauen , ihr Bestes durch das un-
waiire, schablonenhafte Akademiestudium ein-
gebüßt haben ; statt dessen ein heißes, leiden-
schaftliches Ringen nach selbständigen, wahren
Eindrücken. Der warme Hauch eines auf-
richtigen Naturemptindens schlägt uns hier
entgegen, es spricht sich ein fühlendes Herz
vor Gottes Wundern im Weltall und vor den
anspruchslosesten Mitmenschen aus. Keine
Beeinflussung durch diesen oder jenen Meister,
den die Mode auf den Schild erhoben hat;
wenn auch ihre Kunst, in ihrem bewußten
Streben nach Vereinfachung, an die Primi-
tiven oder an Puvis de Chavannes gemahnt,
so äfft sie dieselben doch nicht nach. Nur
persönliches Erleben. Keine schrillen Mißtöne,
nichts \'orIautes, nichts Übertriebenes, wo-
durch Künstlerinnen nur zu oft ihr Geschlecht
zu verleugnen trachten ; aber auch nichts Süß-
liches, nichts Schwächliches. Und darin liegt
vielleicht das Charakteristische ihrer Kunst,
daß sie den ganzen Reiz, die Persönlichkeit
ihrer weiblichen Natur gewahrt hat, mit ihrer
geschmackvollen Einfachheit, ihrem Zartge-
fühl, aber auch mit ihrer gesunden Kratt,
ihrem ernsten Wollen. Die Technik besitzt
Frau Duhem meisterhaft: sie beherrscht die
Zeichnung vollständig. Ihre Linien sind
mit sicherer Hand geführt und doch weich.
Sie kennt die Lichtwirkungen in der Natur
durch genaue Beobachtung. Was die Farben
gebung betrifft, so hat sie, wie etwa Verlaine
und Roden bach, eine Vorliebe für die ver-
schwiegenen, gewissermaßen herbstlich abge-
dämpften Töne; blau, aschfarben, gelbbraun,
welche übrigens der grauen Lufthülle und
der schwermütigen Poesie der nördlichen
Gegenden entsprechen. Ihre Kunst bekommt
dadurch etwas Kühles, Besonnenes. Vornehmes,
was aber keineswegs die Gründlichkeit und
das Gefühl ausschHeßt; im Gegenteil, ihre
friedhche, so harmonische und gedankenreiche
Tätigkeit fließt nicht weniger aus dem Her-
zen als aus dem überlegenden Verstand. Effekt-
hascherei ist ihr gänzlich unbekannt.
Ihr Werk spricht von einem hohen Geist und
von rastlosem Fleiß; es ist wie eine sciiöne,
reiche Ernte und hinterläßt einen starken Ge-
samteindruck. Die Vorlagen sind nicht aus der
Ferne entlehnt, sondern der Heimatboden in
seinem trauten Reiz ist die Quelle ihrer Kunst,
einer Heimatkun.st im besten Sinne des Wortes.
Da sind zunächst ihre Blumen. Viele Frauen
haben Blumen gemalt und sind sogar da-
durch zur Berühmtheit gelangt, wie Louise
Abbema und Madeleine Lemaire. Aber mei-
stens gebricht es ihnen, sogar letzteren, an
Persönlichkeit, an Wirklichkeitssinn, an Auf-
richtigkeit in der Wiedergabe der Natur und
ihrer Farben; zuviel Schulstaub klebt ihren
Blumenstücken an. Frau Duhem hat olt
Blumen dargestellt, keine bunt gemischten
in schreienden Tönen, sondern einheitliche
Beete, Päonien usw., ein Mohnfeld, oder ein-
zelne Nelken, Anemonen, Chrysanthemen in
einem bescheidenen Topf oder in einem Glas
am Tischrand. Und das alles ist so anmutig,
so lebendig, hat eine so persönliche Prägung,
und so fein weiß sie die verschiedenen Farben-
werte gegen einander abzuschätzen, daß sie
mit einem einfachen Schwarzstifte eine weiße
Rose in einem Glas »malen« konnte, auf
welcher man farbige Wirkungen wahrzu-
nehmen glaubt. Auf einem andern Blatt tref-
fen wir weiße Ranunkeln in einer Kristall-
vase, die auf einem weißen Tisch vor einer
grauen Wand steht; trotzdem nur weiß und
grau verwendet wurde, nimmt sich der Strauß
sehrmalerisch aus. Überhaupt scheinen Blume
und Vase bei ihr zusammenzugehören, ihre
Farben und Lichteffekte zu vermählen.
Auch zahlreiche Kinderstudien itnden wir
bei Frau Duhem, die im Porträt (z. B. dem
MARIIC inUliM
NSr\\1!\' MKINIKK
Die christliche KunM.
lyü
Si^ HHNRl UND MARIE ÜUHHM m&
ihres Mannes) Hervorragendes geleistet iiat.
Es sind aber weder die konventionellen kleinen
Hngel, noch die amüsanten Straßenjungen,
sondern naive Landkinder mit frischem Blut
unter den gebräunten Wangen, mit blonden
Haaren, langsamem Schritt und unbeholfenen
Gebärden ; sie sind allerliebst und wahr. Hier
ein Lockenköpfchen, das unerschrocken in
die Welt hineinblickt, dort ein halbwüchsiges
Mädchen, unansehnlich und furchtsam, nicht
eben hübsch, aber auch nicht häßlich, so etwa
wie ein Landmädchen von Hans Thoma.
Kleine Bauernbuben, frühernst und nachdenk-
lich, setzen sich inmitten von Blumen nieder,
oder eine Kinderschar singt gegen Abend
am Wegesrand zum Ringeltanz. Und das
alles stimmt so genau mit dem ernsten und
doch lieblichen Charakter der Gegend; und
man spürt, die Künstlerin hängt mit ganzer
Seele an diesen jungen Menschenleben, die
noch unbefangen vor dem großen Rätsel des
Daseins stehen.
Und ebenso innig ist sie mit der Natur
verbunden , deren Geheimnisse sich ihrem
liebenden Herzen erschlossen haben. Die Be-
ziehungen der Natur zum arbeitenden Men-
schen, das Landleben bildet ihr ureigenstes
Gebiet; tiefe Eindrücke der Kindheit wirken
.MARIE DtTHEM
hier bei der Künstlerin nach, und so wird ihr
Werk eine Verherrlichung der Heimaterde,
der braunen Ebene der Provinz Artois mit
ihrem weiten Horizont, den kleinen Dörfern
in grünem Kranz, den von einem bescheidenen
Gärtchen eingefaßten weißen Häusern mit
Stroh- oder Ziegeldächern. Mit den unschein-
barsten Mitteln erreicht die Malerin geradezu
überwältigende Wirkungen. Das Licht feiert
bei ihr Eeste. Da strotzt das gesunde Treiben
der immerschönen Erde in den prangenden
Ähren, da beherrscht ein mächtiger Schober
die umliegenden Felder, deren Leben er ver-
sinnbildlicht; aufgehäufte Getreidegarben hat
Frau Duhem zu verschiedenen Tageszeiten
gemalt und so den Zauber der Wandlungen
ausgedrückt. Eine Vorliebe aber hat sie für
dämmerige, in Traum gehüllte Landschaften,
für die Poesie und den Frieden des Abends.
Auf der Dorfstraße bewegt sich bei herein-
brechender Nacht ein Landmann den Häusern
zu, die ihren Lichtschein durch den Nebel
werfen. Auf anderen Bildern vergoldet die unter-
gehende Sonne die fernen Hügel und Bauern-
liäuser; es ist wie ein Segen, der auf die ge-
tane Arbeit herniederleuchtet, wie ein feier-
liches Gebet vor der nächtlichen Ruhe. Man
kann sich nichts Köstlicheres denken als dies
andere Bild: die dem Garten zuge-
wandte Rückseite ihres Hauses im
Abendsonnenschein; die Licht- und
Farbenspiele auf dieser gelblich-weißen
Wand bilden ein Gedicht, bei wel-
chem wir mehr empfinden als beim
Betrachten eines großen historischen
oder dramatischen Gemäldes.
Ihre Naturausschnitte weiß die
Künstlerin derart zu beseelen, daß sie
oit aut Staffage verzichten kann. Wenn
wir auch nur einen Ackerflecken oder
die Außenseite eines Hauses vor uns
haben, die Menschen denken wir uns
hinzu. So und so müssen die Bewoh-
ner dieses Hauses aussehen, darüber
geben wir uns genaue Rechenschaft.
Diese Zusammengehörigkeit, diese
Harmonie zwischen Menschen und
Dingen ist vielleicht die Hauptstärke
Frau Duhems. In der intimen Milieu-
schilderung spricht sich ihr eigenes
Erleben aus, und ihre innere Bewe-
gung teilt sich dem Beschauer mit. Sie
liebt die stillen Stunden, wo unsere
Umgebung, und wenn sie auch noch
so unscheinbar ist, uns bedeutsamer,
anziehender, poetischer erscheint, die
verinnerlichten Stimmungen , wo
Worte nur störend wirken könnten.
e^ HENRI UND MARIE DUHEM mxz
So liilft sie uns durch ihre Deutungen des
Daseins die fliehenden Glücksstrahlen des
Lebens haschen und auch im Alltag Schätze
sammeln. Ihre Interieurs, ihre GegenHcht-
studien sind wahre Kabinettstücke.
*
Zu letzterer Gruppe gehören auch die tür
uns besonders wichtigen religiösen Sujets.
Man bilde sich ja nicht ein, Frau Duhem
werde hier ihren Prinzipien untreu und wage
sich an die Behandlung im großen Stil von
Episoden aus dem Leben des Heilands oder
der Gottesmutter, aus den heroischen Zeiten
der Christenverfolgungen, den glorreichen
Tagen der weltregierendenKirche imMittelalter.
Nein, auch hier bleibt sie sich immer gleich
und darf gerade so, iiirer Originalität gemäß,
einen besonderen Platz unter den christlichen
Künstlern beanspruchen.
Was sie auswählt und darstellt sind reli-
giöse Momente aus dem alltäglichen Leben
der christlichen Gemeinde, oft nur eine Person,
ein Antlitz, die aber durch die Eigenart eine
ganze Welt von Vorstellungen und Erinne-
rungen in uns wachrufen. Ein Mädchenkopf
genügt, um uns das Erhabene der ersten hl.
l^ommunion zu vergegenwärtigen; ein anderes
Mal wird uns eine ganze Schar von Kommuni-
kanten in ihrer reinen Anmut vorgeführt.
Auf einem andern Bild schwebt noch der
Duft der vorübergezogenen Prozession in der
Luft. Hier schreitet in der Abendstille ein
MARIE DUHEM
Landpfarrer, in sein Brevier vertieft, der Kirche
zu; wir sehen von dieser nur ein Stück Mauer,
und doch fühlen wir uns von einer Frömmig-
keitsatmosphäre umgeben. Sodann der Be-
such: im Halbdunkel eines Vorzimmers sitzt
der Pfarrer und harrt, einem Schwerkranken
die letzten Stunden durch die Tröstungen der
Religion zu erleichtern. Und wie naturgetreu
sind diese weißen Nonnen wiedergegeben,
die im matten Schatten eines Tannenwäld-
chens, dessen vomHerbst braungefärbteNadeln
den Boden bedecken, sorglos und sittsam
lustwandeln (Abb. S. 171). Ein andermal sind es
schwarze Schwestern, welche durch den Schnee
zu einem Werk der Barmherzigkeit eilen; ein
geringerer Künstler hätte die Gelegenheit zu
einem Effekt benutzt, uns mit grellen Tönen
geblendet; Frau Duhem aber mildert den Ein-
druck, indem sie die Szene in die Dämme-
rung verlegt. Andere Bilder zeigen uns einen
weltabgeschiedenen, sonnenbeschienenen Be-
ginenhof, wo man den Pulsschlag des Klosters
zu vernehmen glaubt, oder Schulschwestern
vor der Kleinkinderschule ; und auch diesmal
wieder empfinden wir lebhaft, wie die Räume
das Gepräge der Persönlichkeit ihrer Bewohner
tragen : so demütig, so rein und friedlich sind
diese niedrigen Mauern, mit dem Rasen und
den Bäumen davor.
Nur zweimal hat Frau Duhem ihren Schau-
platz in frühere Zeiten verlegt, ohne sonst
im geringsten ihre menschliche Auffassung
der Religion zu ändern. Das eine Mal, in der
Tour des Dames (Abb.S. 174), sehen wir einige
von der Welt zurückgezogene Edelfrauen am
Rand eines Weihers umherirren : ihr Stift wurde
ihnen von Margareta von Flandern entrissen
und mußte einem Befestigungsturm Platz
machen. Darüber nun, so erzählt die Legende,
waren die armen Stiftsdamen so untröstlich,
daß einige von ihnen sich nicht dazu ent-
schließen konnten, in ihr neugebautes Kloster
im Innern der Stadt Douai umzuziehen und
sich im Augenblick des Abschieds versteckten.
Seither wandeln sie abends lautlos in den
ihnen so liebgewordenen Wiesen, um den
Weiher, worauf sie bisweilen im Kahn ge-
schaukelt hatten. Die Künstlerin hat diese
melancholische Legende mit viel Feingefühl
und Stimmungsreichtum in Farben übersetzt.
Man glaubt sich in ein Traumland entrückt,
und doch besteht diese Örtlichkeit in Wirk-
lichkeit.
Zum Schluß erwähnen wir einen hl. Fran-
ziskus von Assisi, der im Felde den Vögeln pre-
digt (Abb. Beil. II). Der Heilige ist nicht mensch-
lich schön, und doch wie anziehend mit seiner
überströmenden Liebe zur belebten und un-
©^ WILHELM STEINHAUSEN-AUSSTELLUNG mö
'73
lltNlU DCHEM
.MUNDALIGAXÜ
belebten Natur. Und mit welcher Herzens-
Ireude hat die Künstlerin diese saftigen, vom
Morgentau noch feuchten Ackerfurchen ihrer
Heimat mit den Hügeln im Hintergrund beob-
aciitet, wie kräftig wiedergegeben !
Es hat uns geschienen, daß dieses echte
Künstlerpaar von Gottes Gnaden, dessen Le-
ben und Kunst so rein ist, ohne die geringste
Mischung von Schlechtem, dessen Werke eine
Lust sind für Auge und Herz der Zartfühlen-
den, dessen ganzes Schaffen eine Bejahung
des Lebens ist, verdiente, auch im Ausland
bekannt und bewundert zu werden, und
daü besonders Frau Duhems zarte Bilder aus
dem christlichen Leben, die uns die Religion
menschlich nahe bringen und lieb machen,
auch einem deutschen Herzen Teilnahme ein-
zuflößen imstande sind. Wir beugen uns ehr-
furchtsvoll vor der Frau und begrüßen sym-
pathisch die Erzeugnisse ihrer Kunst.
WILHELM STEINHAUSEN IN BERLIN
Von Dr. Hans Schmidkunz (Berlin Haiensee)
piner der bedeutendsten christlichen Künstler unserer
Zeit außerhalb des katholischen Kreises wurde in der
Stadt, deren Nationalgalerie ihn noch immer ignoriert,
durch eine Sonderausstellung bei 1-ritz Gurlitt bekannt.
Was wir bisher von ihm auf allgemeinen Ausstellungen
rühmen konnten, bestätigt sich hier. Vordem last nur
durch ScIiwarzWciü vertreten, erschließt er sich uns
jetzt auch farbig. Leider reicht diese Kollektion quan-
titativ nicht weit. Namentlich würden wir gerne Stein-
hausens graphisches U'erk und hicmit gerade da.s, was
seine Popularität begründete, beisammen sehen. Von
dem überhaupt dürftigen Verzeichnis hier ganz im Stich
gelassen, versuchen wir folgenden Überblick.
Die für jene Tätigkeit entscheidende Lithographie ist
zunächst durch einige im Drucke getönte Blätter und
durch einen aquarellierten Handdruck »Der verlorene
Sohn« vertreten. Unter den etwa vier ungelönten, an
Liedverse angeschlossenen Steindrucken zeigt einer
>Allein zu dir, Herr< usw. eine Erinnerung an das näm-
liche Thema; ein anderer, der auch in getönten Hxeni-
plaren vorliegt »Wie soll ich dich empfangen.-t, schafft
die phantasievolle Komposition einer Andachtigen im
Vordergrunde gegenüber einer bewegten Betergruppe
im Hintergründe.
174
©^ VVII.HHT.M STFJNHAUSEN-AUSSTELLUNC; «^&9
MARI}' DUHEM
LA TOUR DES DAMES
Fünf Radierungen fügen zur lithographischen Sprache
Steinhausens, sowie zur sonstigen Ätznadelsprache nichts
Wesentliches hin7.u. In ausscliließlicher Linienmanier
vermeidet er auch alle Kleinstriche und Punkte; seine
meist längeren Linien stehen ziemlich weit voneinander
ab, verdicl<en sicli meist in der Mitte und verlauten gerne
wellenförmig. Dies macht besonders die weibliche Fi-
gur in einem Dornbusch »Etliches fiel unter die Dornen«
charakteristisch. Die wenigen Kreuzlagen sind meist
schriig; Umriß und Modellierung viel scharfer als in
den Gemälden.
Einige Bleistiftzeichnungen (>Anbetung der Könige«
u. dgl.) sowie Aquarelle und Pastelle (u. a. kleine Land-
schaftskizzen "Aus meinem Tagebuch«) ergänzen die
sonstigen Eindrücke nicht eben belangvoll. Die Zeich-
nungen leiten uns insoferne zu den Gemälden, als sie
mit diesen die graphische Linienmanier verlassen und
ins Schummerige gehen.
Überall aber die Haupteigenschaft des Künstlers: er
lührt seine Motive nicht naturalistisch aus, sondern mar-
kiert sie in lockeren Formen, so daß er allerorts über die
unmittelbare Darstellung hinausweist und dadurch an
die eigentliche Schwierigkeit aller Religionskunst, mit
Irdischem Überirdisches auszusprechen, heranreicht. So
macht er den Beschauer auch zum Teilnehmer an seiner
eigenen, wahrhaft kompositorisch schaffenden Produk-
tivkraft.
Das Höchste in naturaler und supranaturaler Darstel-
lung wird allerdings noch nicht erreicht. Manchmal kom-
men seine Figuren und Physiognomien über Kindlich-
Primitives und Langweiliges nicht hinaus. Das stört
z. B. bei der Radierung von den Besessenen und bei
dem großen Gemälde »Auferweckung Jairi Töchterlein «.
Anderswo tritt dieser Unnaturalismus zurück hinter die
machtvolle .Stimmung, wie sie uns z. B. in den Ge-
mälden »Petrus hört den Halinenschrei< und »Christus
und Nikodemus« dort das Zittern Petri und hier das
Wehen des Windes beinalic spüren läßt.
Das Nikodemusthema, dessen Behandlung in l'rüherer
Zeit ich bisher vergebens suchte, hat Steinhausen z. B.
gegenüber Gebh.vrdt und L'hde so gesteigert religiös be-
handelt, daß ich einmal bei einer namenlosen Vorfüh-
rung dieser drei Werke als Lichtbilder mit der Frage
nach dem religiösesten von ihnen sofort eine überwie-
gende Majorität für Steinhausen bekam (eine Frage nach
dem das »deutsche Fühlen« am meisten befriedigenden
Bilde erzielte eine Bevorzugung Gebliardts, während Uhde
beidemal abfiel). Unser Nikodemus führt auch in des
Meisters überaus lockere, sozusagen watteförmige Mal-
weise ein ; hier erscheint zwischen graubrauner Tönung
ein bläulich nebeliger Fensterdurchblick. Von einem
ähnlichen Durchblick hebt sich die Gestalt der weißen
und blonden Gattin des Künstlers ab. Im »Judaskuß«
ergreift es eigenartig, daß von den bläulich-kalten »Todes«-
farben Christi eine optische Steigerung (und geistige Re-
duzierung) zu dem warmen Braun des Judas und von
da zu dem heißen Rot einer l-'ackel oder dgl. leitet.
Steinhausens warme Innigkeit, der nur eben eine
Gebhardtsche Natürlichkeitskraft fehlt, gibt in Gemälden
wie »Tröstung« und der dazu analogen Radierung einen
Ersatz für das, was bei dem harten Calvinisten Burnand
fehlt. Dazu kommt auch seine Lindschaftskunst. Ihr
Wert liegt wiederum nicht in direkterDarstellung,sondern
in dem, was hinter oder über dieser liegt. Während nun
e^ KOLNER KUXSTBRIHF »«sa
175
andere Jie biblischen Figuren deutsch kleiden, tut Stein-
hausen dies mit der L'nigebung biblischer Szenen. Das
'l'riptychon vom barmherzigen Samariter führt uns in
deutsche Landschaftsidylle; und wie uns die Samariterin
am Brunnen an einen vertrauten Waldesrand und Wiesen-
hang bringt, so ist es uns vor mehreren bloßen Land-
sclial'ten so, als müßte auf ihnen eine biblische Szene sicht-
bar werden. So beim Morgen im Scliwarzwaldtal; so bei
der Xordseedüne auf Sylt; sie erscheint wie eine Studie
zu >Moses und der brennende Busch«, das eine wahr-
haft sprechende Landschaft enthalt.
Steinhausens Bilder der freien Natur gehen, wie be-
sonders zwei Morgenlandschaftcn zeigen, >gut ausein-
ander« — wenigstens dadurch, daß rückwärts noch ver-
waschener gemalt wird als vorne. Hier erscheint mancli
liebliclie Blumenzier markiert und bildet etlichemal ein
Zentrum, um das sich das übrige wie eine Folie legt.
Häufiger ist es umgekehrt: der Vordergrund geht wie
dienend auseinander und konzentriert unser Interesse nacli
rückwärts. Ein hübscher Durchblick weist beim i- Birken-
wald im Frühling« durch gelbliches Grün hindurch auf
ein Tiefgrün. Ufer und See sind auf Bildern wie >Um- ■
blümter Weiher« und «Uglaiseei gut ineinandergearbeitet.
Viele l.andschaftsbilder zeigen eigenartige rundliche
L'bereinanderschichtungen. Von dem konkaven \'order-
grund eines Nordseestrandes gelit es hinauf zum Meere,
dann zum hellgelben Himmel, endlich zur grauen Wolken-
schicht. Die Bodenseeinsel leitet vom See zum Ufer-
hügel, zum Blauhimmel, zur Wolkenschicht; Ährenfeld
bei untergehender Sonne wölbt ebenso den Weg, das
Getreide, zwei Wolkenschichten und dazwischen den
gelblichen Himmel übereinander. — Die Schwarzwald-
tannen zeigen sozusagen Steinhausens Aufweichung des
Naturbildes, als Gegensatz etwa gegen K. Heiders Spitz-
linien.
Neben einigen belanglosen »absoluten« Porträts lassen
andere wieder das Drüberhinaus fühlen, ohne doch den
Bildnissinn zu verlieren. Von zwei Selbstporlräts in-
teressiert namentlich das mit dem Bodensee durch die
Farbenwärme der Figur vor der Kälte des Blau und Grau.
Wir freuen uns lebhaft eines solchen ganz eigentlicher.
Nationalbesitzes und wünschen ebenso lebhaft, daß keine
cliquenliafte Überbewunderung aus dem Künstler etwas
mache, das er nicht ist, oder gar in die Schlichtheit
störend eingreife, die so anmutend aus seinen Schöp-
fungen spricht.
KOLNER KUNSTBRIEF
z
unäclist eine interessante Mitteilung aus der alten
Kölner Kunst: der Klarenaltar im Dome, der bisher
als ein Werk des Meister Wilhelm galt, außerordentlicli
oft und intensiv angestaunt ward als das bedeutendste
und erste Erzeugnis eines neuen, malerischen Stiles in
der alten Kölner Schule, ist, wie sich in den letzten
Woclien herausgestellt, vollständig übermalt, und unsere
bisherige Bewunderung galt einem Machwerke des 1 9. Jahr-
hunderts. Und was sich unter dieser Schale allmählich
enthüllt, schließt sich stilistisch so schön an die voraul-
gehenden Epochen an, die uns in den .Malereien der
Chorschranken und den Wandgemälden aus St. Andreas
ihre charakteristischen Werke hinterließ, daß die Ent-
iiLSKi iirin.,\i
HI^IMKEHR [>KK HKRDU
176
e^ KÖLNER KUNSTBRIEF J^JS
Wicklung nicht einheitlicher und geschlossener sein kann.
Hinmal mißtrauisch geworden, prüfte man nun mit be-
sonders kritischem Blick auch die anderen Werke, die
man bisher dem Meister Wilhelm zugeschrieben. Die
Madonna mit der Wickenblüte, eines der populärsten
Bilder des Wallraf-RichartzMuseums, sollte am wenigsten
dieser Kritik standhalten. Noch wogt der Streit der
Fachgelehrten, der leider, hier und da mit persönlichen
Noten durchsetzt, allzusehr in die Tagespresse und in
die Öfi'entlichkeit getragen wurde, hin und her. Die
einen erblicken in dem Bilde ein Werk des 1 9. Jahrhunderts,
die andern — und deren Ansicht wird sich wohl als
die richtige bestätigen — geben nur eine Übermalung
zu. Es verlautet, daß demnächst in Köln die sämtlichen
Werke des Künstlers, den wir bisher mit Meister Wilhelm
zu benennen pflegten, zu einer kurzen Ausstellung ver-
einigt werden sollen. Dann ist der Forschung Gelegenheit
gegeben, das nun erschütterte Fundament der alten Kölner
Malerschule neu und hoffentlich fester zu legen.
Wie alljährlich, so waren auch in dieser Wintersaison
die Ausstellung des Künstlerbundes Stil, der nur noch
sieben Mitglieder zählt, und die anschließende Ausstel-
lung der Vereinigung Kölner Künstler die beiden Haupt-
ereignisse. Die erstgenannte Veranstaltung ist schon
darum stets von Interesse, weil sie die Architektur in
reichem Maße zu Worte kommen läßt. Von den in
diesem Jahre gezeigten Entwürfen standen in erster Linie
die Arbeiten des Franz Brantzkv, wuchtig, einfach
und groß. Als Hauptwerk zu nennen: das Tonmodell
zu einer Kirchenanlage für Velbert im bergischen Lande,
von künstlerischem Werte durch die kontrastreiche, har-
monische und malerische Gruppierung der Massen und
an zweiter Stelle das Erweiterungsprojekt des Kunst-
gewerbemuseums zu Köln. Gegenüber dem jetzigen Bau,
der ebenfalls von Brantzky, stellt diese Erweiterung
durch ihre Vereinfachung einen bedeutenden Fortschritt
dar. Zu einer eigenen, künstlerischen Sprache hat sich
auch allmählich der Architekt Paul Bachmann durch-
gerungen. Der Rathausentwurf von 1905 zeigt noch
ganz die alte Wiener Schule. Wie viel individueller
sind dagegen die neuesten Werke in ilirer glücklichen
Verbindung der Flächen und Massen, ihrer großen, ge-
schlossenen Silhouette! Der dritte Architekt des Bundes,
R. Moritz, hält sich in den ausgestellten Werken auf
der alten, großen, künstlerischen Höhe.
Schwebt den Architekten des Vereins immerhin ein
gemeinsames Ziel vor Augen, so sind dagegen die bei-
den Plastiker grundverschiedene Naturen. Grasegger,
eine durchaus gesunde Natur, voll überschäumender
Kraft und mit echtem Stilgefühl, wenn auch nicht immer
sehr originell. Das Relief des drachentötenden Georg
ist gut gelungen als Werk der Tektonik. Doch eine
weit persönlichere Auffassung verrät der farbige Mar-
morkopf desselben Heiligen, der in seiner edlen Kraft
inmitten der vielfacli allzuschwächlichen, modernen christ-
lichen Kunst von sehr wohltuender Wirkung ist. Außer
dem fleißigen und naturalistischen Märtyrerkopf seien
besonders die beiden Marmorbüsten lobend erwähnt.
Warum Grasegger die schon früher ausgestellten Werke
wieder zeigt, so z. B. die • Paradiesesfrucht« und den
»Dämonenkampf« ist nicht recht verständlich.
Neben Grasegger erscheint Moest ruhiger und vor-
nehmer. Sein Jünglingsakt ist ungesucht in der Pose, schön
und geschlossen in der Silhouette, wohlgelungen in der
Vereinfachung und der flächigen Behandlung, und end-
lich durchaus klar und verstanden in der Struktur des
Körpers. Die ernste und schöne Grabfigur einer Trauern-
den war bereits in kleinerem Maßstäbe auf der Aus-
stellung christlicher Kunst zu Aaclien 1907 zu sehen.
Moests drittes Werk, »Parricidat, aus einem Löwe-Zyklus,
ist reizvoll durch die sorgfältige Durcharbeitung des
Kopfes und der feinen Hände, beide aus Elfenbein, in
Verbindung mit der großzügig behandelten, braunen Kutte.
Von den Malern der Vereinigung hat Seuffert die
Kartons zu den inzwischen vollendeten Wandgemälden
im Foyer des Stadttheaters zu Barmen ausgestellt (»Marc
Anton an der Leiche Cäsars« und »Sommernachtstraum«),
kompositionell durchaus nicht einwandfrei. Weit höher
steht der Künstler in den zahlreichen Studien mit ihrer
scharf und sicher festgehaltenen Charakteristik, ihrer
flotten, malerischen Pinselführung.
Schulers Intarsiabild »Lustig Blut« war wohl mehr
technisch interessant als Künstelei, nicht als Kunst. Das
dekorative Gemälde der »Terpsichore« hätte etwas be-
scheidener sein dürfen.
Im allgemeinen zeigte sich der »Stil« auf dem Niveau
des Vorjahres und bedeutende Fortschritte hatte wohl
keines der Mitglieder aufzuweisen. Günstiger stellte sich
in dieser Beziehung die Ausstellung der Vereinigung
Kölner Künstler dar, über die schon an anderer Stelle
berichtet wurde (vgl. S. 156).
Dr. H. Reincrs
FR. MAX SCHMALZL C. Ss. K.
uog Jer b.iycrischen Karelle in S. Gic
christliche Kunst, V. Jhrg., M. S
Henri Duhem
Der SSmann bei
Tagesanbruch o
ö^ DIE MINIATURrA' Dl-;k l-XUI.TirrROI.I.UN »^a
■77
CHRISTUS AUF DEM THRONE. Abb.
DIE MINIATUREN DER EXULTET-
ROLLEN
IHR]-: KUNSTGESCHICHTLICHR
BEDEUTUNG
Von Hl-D.V KLi:iXSCHMIDT O. I-. M. in Harreveld,
Holland
Mit 8 Abbildungen im Text
Vor längerer Zeit durfte ich in diesen i^lättern
die Aufmerivsamkeit weiterer Kreise hin-
lenken auf das frische künstlerische Leben,
welches in den süddeutschen Miniaturen des
späten Mittelalters pulsiert. Heute möchte ich
gleichfalls von diesen Dornröschen unter den
Kunstgebilden reden und zwar über eine eng
begrenzte, bei uns bisher wenig beachtete
Gruppe, es sind die Miniaturen der soge-
nannten Exultetrollen. Allerdings hat
bereits Fr. X. Kraus über sie einige Angaben
gemacht, ') und es zugleich beklagt, daß fast
das ganze Material noch unpubliziert sei, wobei
er freilich die tüchtige Studie des so früh heim-
gegangenen Adalbert Ebner über diesen Gegen-
stand übersehen hatte. ^i Indes auch Ebner
kannte die erhaltenen Rollen doch nur zum
geringsten Teil aus eigener Anschauung. Ich
widmete denselben auf einer Studienreise im
südlichen Italien eine besondere Aufmerksam-
keit, da sie mein Interesse bereits seit Jahren
erregt hatten. Aber erst die wertvolle Publikation
Dom Latils3) und besonders die Forschungen
'i Geschiclne der christlichen Kunst 11. i. 55 (T.
') Kirchenmusikalisches Jahrbuch Vlll (1895), 73 — 85.
*) Lesminiaturesdes rouleauxd'Hxultet, Monte ('assino
1899 — 1901. Es sind teilweise zum erstenmale und farbig
des trefflichen Kenners süditalienischer Kunst
E. Bertaux 4) gestatten uns einen völligen
Einblick in den Wert und Unwert dieser
Miniaturen, die auch für die Geschichte der
nordischen Malerei eine größere Bedeutung
haben, als man bisher annahm.
Unter Exultetrolle versteht man einen langen
Pergamentstreifen, auf welchem der Text der
von einem Diakon am Karsanistag- Morgen
feierlich vorgetragenen Lobpreisung Gottes
geschrieben steht. 5) Da dieser Hymnus, dessen
kirchliche Bezeichnung Praeconium Paschale
ist, mit den Worten anhebt, Exultet iam
angelica <, so benennt man ihn gewöhnlich mit
dem Anfangsworte. Derartige Rollen (Rotein
von Rotulus) sind allerdings heute nicht mehr
im Gebrauch, aber es hat sich eine größere
Anzahl aus der Zeit von 1000 — 1300 in Süd-
italien erhalten, welche fast die einzigen Denk-
mäler für die Geschichte der Miniaturmalerei
dieses Landes in dem angegebenen Zeitraum
bilden. Der Hauptinhalt des Hymnus ist näm-
lich durch Miniaturen veranschaulicht, die teils
zur Illustration des Textes dienten, teils zur
Belehrung desVolkes, das dieselben betrachtete,
wenn der Diakon, auf dem Anibon stehend,
während des Gesanges den Pergamentstreifen
abrollte und über die Brüstung herabhäni^en
folgende Hollen publiziert : i . die Rolle von Monte Cassino,
2. Capua, 3. 4. 5. von Gaeta, 6. von Fondi, 7. von Mirabella
I-clano, 8. ein Fragment unbekannter Herkunft.
4) L art dans rit.ilie nieridion.ile 1 (Paris 1 90.|>, 216 — 2.10.
5) Über Alter und Ursprung dieses Ritus vergl. meine
Abhandlung in der Linzer theologischen Q.u.irtalsLhrift
1909, 2. II.
Die c)iri«tUch« Kitnitt
I"S
O^ DIE MINIATUREN DER EXULTETROLLEN >^a
EINE seil \K E\UK
ließ. Dali die Miniaturen vorzugsweise einen
lehriiaften Zweck hatten, bezeugt ihre Stellung,
sie stehen nämlich in Bezug auf die Schrift
verkehrt, auf dem Kopf, dem Volke aber er-
schienen sie auf dem herabhängenden Perga-
mentstreifen in richtiger Stellung.
Erhalten haben sich die Exultetrollen fast
ausschließlich in den Sakristeien und Archiven
Süditaliens. Am vollständigsten hat sie jetzt
Bertaux zusammengestellt. Während Lan-
glois, der zuerst das Exultet Casanatense publi-
zierte, nur 5 Exemplare kannte. Kraus 9, Ebner 12,
sind jetzt bereits 20 ans Licht gezogen worden,
einschließlich der Fragmente und Kopien. Da-
von befinden sich je eines zu Capua, Säle rn 0,^1
Eclano Mirabella7) (bei Benevent), Monte
Cassino (aus Sorrent), London (aus Monte
Cassino), ^) Paris (aus Fondi)9) je zwei zu
Bari ^°) und Neapel (Kopien), je drei zu Gaeta
und Pisa,") vier zu Rom (Bibliothek Bar-
^) Jetzt größtenteils publiziert von A. Venturi, Storia
dell'arte italiana III (Milano 1904), 7501!.; ebendaselbst
auch Proben aus den Rollen zu Gaeta und Capua. Das
Fragment S bei Latil bezeichnet Venturi als von San Lorenzo
del Piceno herrührend, ob mit Recht, ist mir unbekannt.
7) Auf die Rolle lenlite bereits 1829 R. Guarini die
Aufmerksamlicit, vergl. .\tti dell .Academia Pontoniana
(Naples 1832), 75 s.
^) Add. Ms. 30337.
9) Nouv. Acq lat. 710, sie stammt aus dem St. Petrus-
kloster zu Fondi bei Gaeta.
'°) Von diesen beiden Rollen kommt nur eine in
Betracht, am besten publiziert von Nitti di \'ito, in:
Codice diplomatico Barese (Bari 1897) 205, mitChromo;
über die Bareser und Salerner Rolle handelt gleichzeitig
Schlumberger in: Comptes rendues des seances de
l'Acadeniie des Inscriptions etc. 1897, XXX, 96 ss.
") Schon erwähnt von Förster, Geschichte der italie-
nischen Kunst. Schnaase, Gesch. d. bild. Künste IV, 696'.
berini , '2) Casanatense , '3)
Vatikan [aus Benevent '4)
und Monte Cassino '5)]. Un-
ter ihnen nimmt die Rolle
zu Bari aus der Zeit Kaiser
Basilius IL und Konstan-
tin IX. (gest. 1028) sowohl
textlichwie künstlerisch eine
Sonderstellung ein.
Die Größe der Rollen
wechselt. Ihre Breite beträgt
durchschnittlich ungefähr
20 — 30 cm, die Rolle zu
Salerno mil.u 47 cm. Ihre
Länge ist ebenfalls verschie-
den, die Rolle zu Capua ist
3 111 24 cm, die zu Salerno
S m 28 cm lang. Ebenso
groß ist der Unterschied in
der Anzahl der Miniaturen.
Während die Rolle zu Capua
nur mit vier kleinen Bildern
\erziert ist, zählt der Rotel zu Salerno deren
19, im allgemeinen sind die jüngeren Hand-
schriften am reichsten ausgestattet.
Wenn ich im folgenden zunächst eine
Beschreibung der Illustrationen gebe,
so kann es sich natürlich nur um einen all-
gemeinen Überblick handeln, der die Unter-
schiede unter den einzelnen Rollen nicht immer
berücksichtigt. Da die Miniaturen nur eine
Darstellung der wichtigsten Gedanken des
Textes sind, schicke ich denselben jedesmal
teilweise in freier Übersetzung voraus. Unsere
Illustrationen bringen die Miniaturen der Lon-
Eine Miniatur publiziert von Rohaultde Fleurv, La
Messe IIl iParis 1883), pl. 195. 1 82.
'-') Besprochen und ungenügend publiziert mit einer
Untersuchung über den Ursprung des Exultet von Sante
Pieralesi, II praeconio pasquale del codice Barberiniano,
Roma 1883.
'3) E Langlois, Le Rouleau d'Exultet de la Bibliothe-
que Casanatense in : Melanges de lEcole de Rome VI
(1886), 466 mit zwei Tafeln. — Diese Rolle ist unvoll-
ständig. Die zweite Hälfte befand sicli früher in der
Benediktinerabtei St. Blasien (Schwarzwald) und wurde
von Abt Gerbert publiziert: De Caniu et Musica sacra,
J77), 11 pl. 13, seit der .Aufhebung der Abtei gilt sie als
verschollen. Vergl. K raus, Kunstdenkmaler Badens 111
(1892), 94. Einige Miniaturen bei Rohault de Fleurv
1. c. pl. 195 s. ^
'4) Diese Rolle befand sich früher im Besitz des Kunst-
historikers Serou.x d'Agincourt, der sie teilweise publizierte
in seiner Histoire de lArt, Peintres pl. 53, wodurch sie
frühzeitig weitern Kreisen bekannt wurde. Proben aus
dieser und der Casanatenser Rolle auch bei Wilpert,
Un Capitolo di storia del vestiario, Roma 1899, Si.).79. 85.
Sie wurde geschrieben für das Frauenkloster St. Petrus
zu Benevent unter den Herzogen Pandolf und Landolf um
1040. Diese Rolle ist gemeint, wenn im folgenden von
der »Vatikanischen« Rolle die Rede ist.
'5) Vat. lat. 1784, aus Monte Cassino, erst durch
Bertaux bekannt gemacht, 1. c. 225. Probe Taf. XII. 2.
5!^ DIE MINIATUREN DER EXULTETROLLEN 8^ö
179
doner (Cassinenser) Rolle zur Anschauung,
die eigens für diesen Aufsatz photographisch
aufgenommen wurden und dieselben zum
erstenmale annährend vollständig wieder-
geben.'^)
Gewissermaßen als Überschrift oder Thema
stellen die Rollen von Bari, Pisa(3.) und London
den Heiland dar, wie er auf dem Regenbogen
oder auf einem Throne sitzt, adoriert von zwei
Engeln (Abb. i). Es entspricht diese Miniatur
dem Rufe des Diakons »Lumen Christi ;, den
er nach der Feuerweihe beim Eintritt in die
Kirche dreimal erschallen läßt; auf der Lon-
doner Rolle ist dieser Ruf unter unserer Ab-
bildung dreimal verzeichnet. Der Heiland er-
hebt feierlich die Rechte, als ob er den Diakon
vor Absingung des Exultet nach griechischer
Weise segnen wolle. Die beiden Engel mit
den mächtigen Flügeln sind vortrefl'lich ge-
zeichnete Gestalten. Ihre griechische Abkunft
steht ihnen auf der Stirn geschrieben.
»Autjauchze die englische Heerschar
des Himmels, aufjauchzen die göttlichen Ge-
heimnisse und ob solchen Königs Sieg ertöne
die Drommete des Heiles, i Diesen Drommeten-
stoß veranschaulicht der Künstler durch eine
gehäufte Schar himmlischer Geister, über
deren Häuptern vielfach ein oder zwei Engel
schweben, die in ein mächtiges Eltenbeinhorn
stoßen. Die Rolle von Bari zeigt die blasenden
Engel über dem Tetramorph, der gebildet wird
durch einen Cherub, auf dessen Haupte ein
nimbierter Adler sitzt, durch ein Lamm und
ein Rind in kleinster Gestalt, es ist wohl ein
Bild für »die göttlichen Geheimnisse« des
Textes. In der Londoner Rolle (Abb. 2) treten
aus der Engelschar vier stark hervor, von
denen die beiden äußersten
und die beiden mittleren
in gleicher Weise gekleidet
sind, und zwar tragen sie
die byzantinische Prachtge-
wandung, die mittleren über
der reichen Dalmatik das
Paludamentum, die äußeren
das Lorum, außerdem haben
sie den Heroldstab. Die an-
dern Rollen aus Monte Cas
sino zeigen an dieser Stelle
die gleiche Miniatur.
>!l:s freue sich die Erde
und von des ewigen Königs
''') Außer zwei Initialen enthalt
sie noch eine Kreuzigung, .Vbsticg
zur Hölle, Diakon aut dem .\mbon
(wie unsere Abb. .( ) und vor
demselben .Maria mit Kind (sehr
defekt).
Lichtglanz bestrahlt fühle sie sich auf dem
ganzen Erdkreis befreit von der Finsternis.«
Bei der Illustration dieser Worte sieht man
in den meisten Rollen das Fortleben der Antike
in der karolingisch-ottonischen Malerei. »Die
Mutter Erde : erscheint als ein bis auf die
Hütten entblößtes Weib mit stark entwickelten
Brüsten, aus denen zwei Tiere (Löwe, Rind,
Hirsch, Schlange) das Leben saugen (Abb. 3).
Sie sitzt mit ausgebreiteten Armen in einer
Landschaft, die durch drei Bäume und zahl-
reiche Sträucher angedeutet ist, auf einer nied-
rigen Erhöhung.
In dem Rotel aus Benevent ist ihr Haupt
umgeben von einem Strahlenglanze, während
sie mit der Linken einen nackten Knaben trägt,
dessen Bedeutung der Maler durch die Bei-
schrift, »Caligo« (Finsternis) selbst erklärt hat,
in der Rechten hält sie ein Füllhorn, aus dem
Blumen hervorsprossen. Über ihrem Haupte
zeigt sich des »ewigen Königs Strahlenglanz«
in Gestalt einer von einem Nimbus umgebenen
Hand, dieses vielgebrauchten Svmholes Gottes,
der hier in voller Gestalt innerhalb eines Kreises
nochmals erscheint. \'or soviel Licht entflieht
die Caligo. Gänzlich verschieden ist die Mater
Tellus in dem Rotel von Bari, wo sie als fein-
gekleidete Dame zwischen mehreren Bäumen
und Tieren auftritt; in einer Rolle zu Pisa (2.)
ist an Stelle der Frau eine Ernteszene getreten.
»Es freue sich die Mutter Kirche, geziert
mit so vieler Lichter Glanz und von des Volkes,
mächtigem Rufe erschalle wider dieses Gottes-
haus«. Der irdisciien Mater Tellus folgt die
geistige Mater Ecclesia. In leicht verständ-
licher Ausdeutung stellen vier Handschriften
sie als reichverzierte, gekrönte Frau dar, drei
IHK Ml' 1 I i;k i:riii
i8()
22^ DIE MINIATUREN DER EXULTETROLLEX m^
DIAKON AUF DEM AMBON. Abb. i
davon bi'inyen sie sofort in Verbindung mit dem
»von dem Ruten der Gläubigen ertönenden
Gotteshause.« Auf der Beneventer Rolle sitzt
sie, »geziert mit so vieler Lichter Glanz« in
Form von sieben Kerzen, auf dem Dache einer
romanischen Basilika, in dem Rotel Barberini
steht sie innerhalb einer leicht angedeuteten drei-
schiffigen Kirche. Als ikonographische Eigen-
tümlichkeit ist bemerkenswert, daß mehrere
Rotein (Salerno, Pisa) die Mater Ecclesia durch
einen Bischof in liturgischen Gewändern dar-
stellen. Fast nie fehlt »des Volkes mächtiges
Rufen:; in der Beneventer Handschrift wird
es veranschaulicht durch einen gekrönten
Herrscher inmitten seiner Untertanen, die
Hände und Haupt zur /Mutter Kirche»: empor-
heben.
Darum bittet, anwesende Brüder, den all-
barmherzigen Gott mit mir Unwürdigem, daß
ich unter dem Einflüsse seines göttlichen Lichtes
dieser Kerze Lobpreisung vollenden könne. <
Fast alle Röteln bringen zu dieser Bitte das-
selbe Bild: der Diakon steht auf dem Ambon,
in der einen Hand hält er die abgewickelte
Rolle, mit der andern weist er auf die Kerze
hin, welche ein Kleriker anzündet. Zu beiden
Seiten des Ambon stehen Laien und Kleriker,
unter denen auch häufig ein Bischof sichtbar
wird (Abb 4). Auf der Londoner Rolle ist
die Kerze reich mit Blumen verziert, sie steht
auf einem kräftigen Leuchter.
»Es ist wüidig und billig, dem allmächtit'en
Vater und seinem eingebo-
renen Sohn mit Herz und
Mund helltönenden Dank
zu sagen, da er für uns
Adams Schuld zahlte.« Zur
Illustration eignete sich hier
besonders der letzte Ge-
danke, der den Miniatoren
zudem sehr geläufig war.
Wenigstens acht Hand-
schriften bringen das Bild
des Gekreuzigten, zu-
meist in selbständiger Dar-
stellung, teils aber auch als
Füllung der hier eingeschal-
teten reich geschmückten
Initiale des V (ere dignum).
Es werden jetzt im Exultet
weitere Wohltaten Gottes
an die Menschheit aufge-
zählt, es heißt unter andern! :
»Das ist die Nacht, in der
Gott unsere Väter, die Kin-
^" '^ " der Israels aus Ägypten
führte und trockenen Fußes
durch das Rote Meer ziehen
ließ.« Nicht so sehr die Rettung der Israeliten,
als vielmehr der Untergang der Äg3'pter war
es, der hier den Maler zur Darstellung reizte.
So sehen wir, wie Pharao an der Spitze seines
Heeres den Israeliten nacheilt, die bereits das
jenseitige Ufer unter der Führung einer Feuer-
säule erreicht haben, oder wie Reiter und Wagen
in den Fluten des Meeres versinken. Die
Miniaturen haben auch ikonographisches Inter-
esse ; das Meer ist in einzelnen Rotein nach
antiker Vorstellung als ein den Rachen öflnendes
Seeungeheuer dargestellt, die Nacht erscheint
als unbekleidete junge Frau (Halbfigur) mit
einem sternbesäten Schleier, der über ihrem
Haupte in der Luft flattert, das Land Ägypten
wird kurz durch ein mit Türmen bedecktes
Stadttor veranschaulicht. Sehr seltsam mutet
es uns an, daß in der Londoner Rolle (Abb. 5'^
eine Frau auf ihren Schultern einen völlig un-
bekleideten Mann trägt, der die Arme in
Orantentorm hält. Ob hier eme symbolische
Darstellung vorliegt, vermag ich nicht zusagen.
Den Schluß des Zuges bildet ein mächtig aus-
schreitender Mann, dereine schwere Last trägt.
»Dies ist die Xaclit, in der Christus die
Fesseln des Todes zerbiach, und siegreich
aus der Unterwelt zurückkehrte. Fast aus-
nahmslos zeigen hier die Rollen dieselbe
Miniatur: Christus, gehüllt in die traditionelle
Kleidung und die Kreuzfahne tragend, ergreift
mit der Rechten den unbekleideten Adam (und
Eva) bei der Hand, um eilig ihre i^efreiung
e^ Dil- MIXIATUREX DHR HXL'I.'n-TROLLliN ^Sffl
i8i
aus der Unterwelt zu be-
wirken. Eigenartig und aus-
führlich ist die Miniatur in
einem Rotel zu Gaeta: Chri
stus erscheint aut dem Bilde
nicht weniger als dreimal,
zunächst wie er die Tore
der als palastartigesGebäude
dargestellten \'orhölle zer-
bricht, sodann wie er den
Fürsten der Finsternis als
ein tierartiges Gebilde mit
der Hand ergreift und end-
lich wie er den bekleideten
Seelen ihre Erlösung ver-
kündet.
O sicherlich notwen-
dige Schuld Adams, welche
durch Christi Tod gesühnt
wurde. O selige Nacht, in
der Christus von den Toten
auferstanden ist.; Beide
Gedanken fanden einen
leicht verständlichen bild-
lichen Ausdruck, der erste
durch Darstellung der gänz-
lich unbekleideten Stammeltern neben dem
verhängnisvollen Baume, der zweite durch das
Noli nie tangere, indem Christus zwischen
mehreren Bäumen der ihm zuFüfkn liegenden
Maria Magdalena erscheint, oder durch das
leere Grab, neben welchem die drei Marien
stehen. In der Londoner Rolle sind beide
Gedanken durch eine Miniatur vertreten. Das
erste Bild bietet einige ikonographisch be-
merkenswerte Einzelheiten (Abb. 6). Die
Stammeltern , derbe, kräftige Gestalten und
gänzlich unbekleidet, stehen zwischen zwei
Bäumen. Eva hat bereits von der verbotenen
Frucht genommen, und reicht sie dem Adam
unmittelbar in den Mund. Er ist damit ein-
verstanden, denn er stützt mit der Rechten
ihren Arm. Adam ist als ein älterer Mann
mit breiter Gesichtsbildung aufgefal.it , fast
scheint es, als ob er eine Glatze hätte. Eva
hat sich ganz in die CJewalt der Schlange be-
geben, \on der sie an den Beinen umschlungen
ist, mit derRechten hat sie soeben einen zweiten
.\]ifel von dem Baume genominen. Die zweite
.Mmiatur (Abb. 7) zu den eben angeführten
E.xuitetworten zeigt, wie Maria Magdalena ge-
rade im Begriffe ist, vor dem Auferstandenen
niederzusinken, und er ihr abwehrend das
Xoii me tangere zuruft. Die Bewegung
ihres Körpers, ihre 1 Filtung, ihr Blick sind dem
Maler vorzüglich gelungen; weniger gut ist
Christus, sein Oberkörper ist stark verzeichnet,
er segnet auch hier nach Lrriechischer Weise.
.juu»njo> jÄi>:jjuji> iun4cti>3o?3{ui ^nk -^ iCiyui .lm.'ll"| \j
DURCHZUG I)M; iMiAl I.I 1 1A' IJIK(.;I1 HAS
) Zur Danksagung alst) für diese Xacht nimm
entgegen, heiliger \'ater, das Abendopter dieses
Rauchwerkes, welches die Kirche Dir in feier-
licher Opferung dieser Kerze durch die Hände
ihrer Diener von der Bienen Arbeit darbringt, s
Wiederum sind es zwei Miniaturen, welche
diesen Abschnitt illustrieren. Zunächst sehen
wir abermals den Diakon auf dem Ambon mit
der ExultetroUe, doch liegt der Nachdruck
diesmal auf einem zweiten Diakon, der neben
der Kerze steht und sie beräuchert oder sie
anzündet, was nach dem heute üblichen Ritus
der singende Diakon selbst tut, wie es auch
bereits in einer von mir nicht publizierten
Miniatur der Londoner Rolle dargestellt ist.
Interessanter ist die zweite Miniatur, weiche
an das Wort von der Bienen Arbeit« an-
knüpft. Die meisten Rollen enthalten an dieser
Stelle einen Bienenstand, die Tierchen
fliegen aus- und ein. In der Rolle der Bar-
berinischen Bibliothek sieht man. wie zwei
Männer in gebückter Haltung beschäftigt sind,
einen Schwärm Bienen in einen Sack ein-
zufangen, und wie andere die Honigwaben
entleeren. In unserer Londoner Rolle ist
links ein Mann mit dieser Arbeit beschältigt,
während die Bienen in der Lut't oder auf den
Blüten umherfliegen (.Abb. 8). Diese seltsame
Darstellung in einer liturgischen i^olle findet
ihre lirklärung in dem Umstände, daß seit den
ältesten Zeiten das F'xultet eine lange Lob-
rede auf die Arbeit und F'igenart der Biene
©^ DIE MINIATUREN DER EXULTETROLLEX mxä
enthielt, >■ deren Geschlecht und Un-
versehrtheit durch die Erzeugung und
Geburt der Jungen nicht verletzt wird,
wodurch sie ein Bild der unversehrten
Gottesmutter ist. Deshalb wird Maria
in den Rollen häufig an dieser Stelle
eingefügt, wie ihr der Engel die Bot-
schaft ihrer Auserwählung bringt, oder
wie sie ihrem göttlichen Kinde das Le-
ben schenkt, oder wie sie mit demselben
auf einem Throne sitzt.
Nachdem bei der abermaligen Er-
wähnung der Kerze, welche recht lange
ihre Dienste tun möge, in den Rollen
der Diakon wieder auf dem Ambon
stehend abgebildet ist, werden bei den
Fürbitten für die geistliche und weit
liehe Obrigkeit zum Schluß Kaiser,
Papst, Bischof, Abt allein oder um-
geben von Laien bezw. Klerikern dargestellt.
Bereits geschah der griechischen Kaiser Basilius
und Konstantin in der Rolle zu Bari Erwäh-
nung. In der Barberinischen Rolle sieht man
den Papst auf dem Throne, darüber einen
Kaiser, der als Heinrich II. erklärt wird, neben
ihm sitzt ein Graf(comes), welcher einen Falken
auf der Faust hält; in der Rolle zu Salerno
ist Kaiser Friedrich IL dargestellt.
Im vorstehenden habe ich nur die am häufig-
sten vorkommendenMiniaturen genannt, in den
jüngeren Handschriften treten noch einzelne
andere Illustrationen des Textes auf. Wie die
Zahl, so weicht auch der künstlerische
Wert der Miniaturen in den verschiedenen
Miniaturen sehr von einander ab, oder richtiger
gesagt, ihr künstlerischer Wert ist im all-
gemeinen sehr gering. Welch ein Unterschied
zwischen diesen volksbelehrenden Bildern und
den Miniaturen der karolingisch-ottonischen
Hofkunst im Norden ! Hierdiekräftitien Farben,
.\D\\{ UND EVA, Abb.
CHRISTUS UND MAGDALENA. Abb, 7
welche jetzt noch hell und frisch leuchten,
die sorgfältige Zeiciinung, die noch heute ge-
fällt, dort hingegen schnell hingeworfene,
wenig durchgebildete Darstellungen in ver-
schwommenen matten Farben. Dieser Unter-
schied findet allerdings teilweise in dem ver-
schiedenen Zweck der Miniaturen seine Er-
klärung und Begründung. Wozu eine künst-
lerische, sorgfältige Ausführung dieser Exultet-
bilder, die an erster Stelle für das Volk zur
Belehrung bestimmt waren? Ferner darf man
nicht vergessen, daß die Miniaturen durch das
mehrhundertjährige Auf- und Abrollen der
Pergamentstreifen viel gelitten haben, während
die Malereien der wertvollen liturgischen Pracht-
kodices eine viel sorgfältigere Behandlung und
Aufbewahrung erfahren haben. Eine rühm-
liche Ausnahme macht vorzüglich die Rolle
zu Bari, die auch äußerlich vorteilhaft von den
anderen absticht. Auf beiden Seiten des
Fextes zieht sich eine reich verzierte Bordüre
hin mit Brustbildern von Heiligen, von
denen 38 mit Namen genannt sind;
diese Beischriften sind griechisch, wäh-
rend der Text des Exultet lateinisch ist.
Die Verschiedenheit erklärt sich leicht
aus den politischen Verhältnissen der
Stadt. Bari stand damals unter grie-
chischer (byzantinischer) Herrschaft;
griechische Kunst und Kultur war dort
maßgebend, daneben machte sich in
Apulien aber auch das lateinische Ele-
ment innner stärker geltend. Zirka
50 Jahre vor Anfertigung der Hand-
schrift hatten die Benediktiner von
Monte Cassino dort ein Kloster gegrün-
det, benediktinisch ist die Schrift, bene-
diktinisch auch die Ausstattung der Ini-
tialen, benediktinisch w a h r s c h e i n-
e^ Dil- MINIATUREN DI-R F.XULTETROLLRN »^ö
i8s
licli überliaupt der Ursprung der Exul-
tetrollen. jedenh\lls sind die meisten der
erhaltenen Exemplare innerhalb der Mauern
oder wenigstens innerhalb der Einflulisphäre
eines Benediktinerklosters entstanden. Auf
den Rotein aus Fondi, zu Capua und Sorrent
haben sich die Mönche selbst dargestellt und
zwar an hervorragender Stelle. Durch diesen
Nachweis gewinnen die Miniaturen des Exultet
für uns eine erhöhte Bedeutung, wie schon
Kraus hervorgehoben hat. '7) »In einer Zeit
tiefsten \'erfalles zeugen sie von dem Bedürfnis
der maßgebenden Kreise, die Fühlung mit der
bildenden Kunst aufrecht zu erhalten.;
Hiermit erschöpft sich jedoch ihre Bedeu-
tung keineswegs. Weit höher stehen sie uns
als interessante Zeugen eines wenig gekannten
Zeitabschnittes für den, der ihre Sprache ver-
steht. Dem Kenner jener Zeit reden sie von
den unsäglich trostlosen politischen ^'erhält-
nissen Italiens vom lo. bis 13. Jahrhundert,
sie erinnern ihn an die Kämpfe der lombar-
dischen Herzoge von Benevent mit den deut-
schen Herrschern, an die Ränke der griechi-
schen Statthalter von Apulien , an die ver-
wüstenden Einfälle und Brandschatzungen der
Sarazenen in Süditalien, an den traurigen Tiet-
stand der Kunst in diesen Regionen, zugleich
zeigen sie aber auch das allmähliche Aufblühen
der Buchmalerei und ihre wechselvolle Ge-
schichte bis zum Anbruch der gotischen
Periode. Ich beschränke mich hier auf die
kunsthistorischen Gesichtspunkte, indem ich
in kurzen Worten besonders die verschie-
denen Einflüsse hervorhebe, unter denen
dieser Aufschwung erfolgte.
Wenn ich oben bemerkte, der künstlerische
Wert der Exultetminiaturen sei sehr gering,
so bedarf dieses Urteil doch einer gewissen
Einschränkung. Auch für den tlüchtigen Blick
hebt sich unter den erhaltenen Rollen der
Rotel von Bari durch seine treffliche
Malerei von allen anderen in selir vor-
teil halter Weise ab. Nicht nur ist, wie
schon gesagt, der Text auf beiden Seiten
durch prächtige, mit Medaillonsbildern
ausgestattete Zierleisten eingeralimt, auch
die sichere Zeichnung und besonders
die feine Farbengebung der Miniaturen
zeugen von einem tüchtig geschulten
Meister, der nicht weit absteht von dem
Maler des griechischen .Menologiums für
Kaiser Basilius II. Die Miniaturen zeigen
eine Feinheit und .\kkuratesse, wie sie
damals der italienischen Kunst fremd
war. Es ist in der Tat ein Grieche.
'') Geschichte der christliclicii Kunst II, 1. 61.
welcher die schöne Rolle malte. Abgesehen
von der künstlerischen Behandlung der Minia-
turen spricht dafür die Auswahl der Heiligen
in den Medaillons, die dem Orient ange-
hören, sprechen dafür auch die griechischen
Beischriften. Entstanden ist sie aber in Bari
selbst, nicht etwa aus dem Orient herüber-
gebracht, wo man den Ritus der Osterkerzen-
weihe gar nicht kannte; zudem ist der lateinische
Text des Praeconiums in »longobardischer«
Schrift geschrieben.
Einen sehr verschiedenen Charakter haben
die meisten übrigen Rollen, die wir in drei
Gruppen einteilen können. Zur ersten Gruppe
gehören jene Rollen, welche vor Abt Desi-
derius von Monte Cassino entstanden
sind, zur zweiten und dritten jene, die unter
ihm bezw. nach ihm gemalt wurden. Zum
Verständnis dieser Einteilung mu(i an den
jedem Kenner mittelalterlich-italienischer Kunst
bekannten Bericht Leos von Ostia erinnert
werden, Abt Desiderius habe im jähre 1066
zur Ausschmückung der von ihm erneuerten
Klosterkirche von Byzanz in der Mosaikmalerei
ertahrene Männer kommen lassen , da die
Mosaikkunst in Italien seit 500 Jahren un-
bekannt geworden sei. '^) Aber nicht nur für
die musivische Kunst war diese Tat des kunst-
beflissenen Abtes, der später als Viktor III.
den päpstlichen Stuhl bestieg, von großem
\'orteil , auch die Wand- und Buchmalerei
profitierten davon. Während die vor ihm
entstandenen Rollen, nämlich jene von Bene-
vent, Capua und Gaeta stellenweise von einer
barbarischen Roheit zeugen, dringt uns aus
den Cassinenser Rollen dieser Zeit etwas wie
heller Sonnenschein entgegen, so fein abge-
tönt sind hier die Farben, so freundlich die
'ä) Leo Ost., Chronic. Cass. 1. III c. 29. .Migne
175, 748 s.
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BIENENSCHWARM. Abb. 8
tv^ DIH MINIATUREN DER RXULTl-TROLLEN m>3
Bildnisse der dargestellten Personen, einige
Miniaturen nehmen sich geradezu als die Arbeit
eines Griechen aus. Auch die Kleidung und
die Verzierungsweise zeigen den gelehrigen
Schüler eines griechischen Meisters. Es ge-
hören zu dieser Gruppe die Rolle im Britischen
Museum, in der Barberinischen Bibliothek und
ein Eragment im Vatikan. "') Daß die Minia-
turen dieser Rollen wirklich der Zeit des Desi-
derius angehören, bezeugt ihre überraschende
Ähnlichkeit mit mehreren chronologisch genau
datierbaren Handschritten, von denen eine
das Bildnis des Abtes selbst enthalt. -°)
Unter seinem Nachfolger Oderisius hielt
sich die Blüte der Buchmalerei in dem Berg-
kloster nicht auf derselben Höhe, besonders
die Eigurenmalerei leidet an großen Mängeln,
worunter eine fast komisch wirkende Länge
der Personen auffällt, die sich schon unter
Desiderius geltend macht. Nocli schneller
verblaßten die Traditionen nach dem Tode
des Oderisius, man beschränkte sich auf die
ornamentale Illustration der Bücher. Dieser
Rückgang der Miniaturenmalerei, welcher sich
sowohl in den Handschriften von Monte Cassino
als auch anderer süditalienischer Benediktiner-
klöster beobachten läßt, zeigt sich auch in
zwei Exultetrollen dieser Zeit, in den Rollen
von Sorrent und Neapel. Zeichnung wie
Earbengebung sind gleich mangelhaft, an ihren
Anfertigern war die hohe Blüte der Cassinenser
Miniaturmalerei spurlos vorübei-gegangen. East
ein Jahrhundert später hat man mit archaisti-
scher Tendenz nochmals an die unter Desi-
derius entstandenen Arbeiten angeknüpft und
auch einigen Erfolg erreicht, wie die Rollen
von Salerno und der Bibliotheca Casanatense
(Rom) zeigen. Sie verbinden Cassinenser und
Beneventische Motive miteinander und er-
scheinen nach derselben Vorlage gearbeitet
zu sein, sie gehören der Zeit um 1200 an.
Noch einen Schritt weiter führt uns die jüngste
Rolle zu Pisa, welche gotische Schrittzüge
autweist. Ihre Entstehung fällt in das Ende
des 13. Jahrhunderts. Sie enthält mehrere
Miniaturen, die uns in keiner anderen Rolle
begegnen, z. B. die Schlachtung des Oster-
lammes durch die Israeliten in Ägypten und
die Bestreichung der Türplosten mit dessen
Blute. Wie die Rolle zu Bari, so nimmt auch
sie eine singulare Stellung ein. Mit den süd-
italienischen Rotein zeigt sie keine Verwandt-
schaft, sie dürfte einem s^eschicktcn toska-
nischen Miniaturmalei' ihre Illustrationen ver-
danken.
Es wurde bereits die Abhängigkeit einzelner
Rollen von der byzantinischen Kunst her-
vorgehoben, ein Hinweis auf gewisse ikono-
graphische Eigentümlichkeiten wird
dieses Verhältnis noch deutlicher machen. Da
sind zunächst einige biblische Szenen, welche
den Zusammenhang der Exultetminiaturen mit
der byzantinischen Malerei erweisen. Der
Abstieg Christi zur Vorhölle zeigt genau die-
selbe Entwicklung des T3'pus hier wie dort
Während nämlicii die Miniatur der Bareser
und der übrigen Rollen bis ca. 1050 den Heiland
darstellen, wie er sich gerade anschickt, aus
der Vorhölle zurückzukehren, indem er, mit
der Linken Adams Hand ergreitend, mit der
Rechten die Kreuzesfahne haltend, sich dem
Lichte zuwendet, zeigen ihn die jüngeren
Miniaturen, wie er mit der Kreuzesfahne in
der Linken, mächtig ausschreitend, zur Vor-
hölle herniedersteigt. Genau dieselbe Ent-
wicklung der Szene innerhalb hundert Jahren
sehen wir in der griechischen Mosaikmalerei:
in St. Lucas (Phocis) haben wir die Komposition
von Bari und in Daphni bei Athen die Kom-
position der jüngeren Rollen.-')
Noch deutlicherer gibt sich diese Verwandt-
schaft aus einigen allegorischen Sujets. In
der Rolle von Salerno erscheint über den
Israeliten bei dem Durchgange durch das
Rote Meer eine halbnackte Frauensperson, die
mit beiden Händen über ihrem Haupte ein
sternbesätes Tuch hält, in welches der Wind
bläst, 22) die Beischrift (Nr^-Nacht) läßt über
ihre Bedeutung keinen Zweifel. Dieselbe
Allegorie sehen wir bei der gleichen Szene
in einem griechischen Psalter des 10. Jahr-
hunderts zu Paris. In demselben Psalter sieht
man wenige Blätter weiter die > Nacht noch-
mals als stattliche Frauensperson mit dem
schwellenden Schleier an der linken Seite des
Propheten Isaias, während rechts von ihm
die »Morgenröte: als ein Irisches, munteres
Knäblein mit der Fackel ein herschreitet, ^3) die
ihm in der Rolle von Benevent und Salerno
entwunden ist, weshalb er hier als, »Caligo
(Finsternis) traurig und schwarz ist, also wieder-
um dasselbe Bild, nur im Gegensinne. Diese
ikonographische Übereinstimmung ist oflen-
■9) Auch die Rolle aus Fondi nähert sich dieser Gruppe.
=°) Prachtvolle Miniaturen besonders im Vat. lat. 1202.
Probe bei Bertaux pl. VIII, Venturi III. 75 ^ Beissel,
Vatik. Miniaturen Taf. Vlll.
-') Millet, Le Monastilre de Daplini, Paris 1899,
pl. XVII.
'=) Venturi 1. c. Fig. 674.
^3) Cod. Gr. 159 fol. 419. 455 Bordier, Manuscripts
Grecs de la Bibl. Nat., Paris 1885, iiv Abb. des Isaias
bei Kraus, a. a. O. I, 45;.
tx^ DIE MINIATUREN DER EXULTETROLLEX J^ö
185
bar auf griechische Beeinflussung zurückzu-
führen. ^^
Kann bei der damaligen pohtisciien Lage
diese\'er\vandtsciiaft zwischen der griechischen
und süditahenischen Buchmalerei nicht sehr
auffallen, so ist eine andere Beobachtung, die
E. Bertaux zuerst gemacht hat, mehr über-
raschend. Wie wir oben bei der Beschreibung
der Miniaturen gesehen haben, ist die Mater
Tellus (Erde) als eine halbnackte Erau am
Boden dargestellt, an deren Brüsten wilde
Tiere saugen. Wer erinnert sich hier nicht
einer Anzahl karolingischer Elfenbeintafeln mit
derselben Darstellung? Auf eben diesen Tafeln
ist ferner die Ecclesia Kirche) als eine gekrönte
Frau dargestellt. -5) Die gleiche Personifikation
haben wir auch in den E.vultetrollen. Sollte
sich hier etwa neben dem byzantinischen
germanischer Einfluß geltend gemacht
haben ? Man ist um so lieber geneigt, diese
Frage bejahend zu beantworten, wenn man
die Übereinstimmung mit einem andern nor-
dischen Illustrationsmotiv erwägt. Der Anfangs-
buchstabe des Exultet. ebenso desN'eredignum
ist in den Rollen reich mit Bandgeflecht und
phantastischenTiergebilden verziert, Bildungen,
die in dieser Form niemals in den griechischen,
um so häufiger aber in den nordischen Hand-
schritten vorkommen. In den Sakramentarien
(Missalien) zählen sie nach hunderten.^ß) Aller-
dings finden sich diese Zierbuchstaben nicht
ausschließlich in den cisalpinen, sondern auch
häufig in den italienischen Handschriften,
aber in diese waren sie erst aus jenen über-
gegangen. So knüpft sich das Band immer
enger zwischen .Mittelitalien und Germanien.
Diese letzte Übereinstimmung bietet uns
ferner vielleicht auch einen Fingerzeig nach
dem Ursprung der Rollen überhaupt und
ihrer Miniaturen im besondern. Auch in
-' Die Nacht als l'rau mit Schleier findet sich auch
in dem Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg,
der gleichfalls stark byzantinisch beeinflußt ist.
=äj P. Weber, Geistliches Schauspiel, Stuttgart 1894,
20 ff.
"*) Vergl. Springer. Der Bilderschmuck in den
Sakramentarien des frühen .Mittelalters, Leipzig 1885, 10 fl.
Ebner, .Missale Romanum, Freib. 1896, 429 ff.
Süditalien stand wie im Norden der Text des
Exultet ursprünglich in einem Buche (Sakra-
mentar). Der größeren Feierlichkeit wegen
gnfl' man, wohl unter griechischem Einfluß,
auf die alte Rollenform zurück, die sich übrigens
stellenweise bis tief ins Mittelalter erhalten hat.
Indem man aber den Text aus dem Sakra-
mentar separat abschrieb , stattete man ihn
auch, wie Bertaux annimmt, in gleicher Weise
aus wie das liturgische Buch, d. h. man ver-
sah die Rolle mit historischen (biblischen),
liturgischen und persönlichen Darstellungen
(Bildnissen); 2") zu den liturgischen Bildern ge-
hört z. B. der Diakon auf dem Ambon. Doch
möchte ich auf diese letzteBeobachtungBcrtaux'
nicht viel Gewicht legen. Die Ausstattung
liturgischer Schriften mit Miniaturen war all-
gemein üblich, durfte also auch bei den Rollen
nicht fehlen. Die Sujets der Miniaturen waren
dann von selbst gegeben durch den Inhalt
des Textes und auch durch die .\rt und Weise
des \'ortrages, sodaß man nicht nötig hatte,
in dieser Hinsicht bei den Sakramentarien eine
.Anleihe zu machen. Was vollends die Bild-
nisse betriflt, so waren sie weder den Sakra-
mentarien noch andern liturgischen Büchern
eigentümlich, speziell das .Autorenbildnis ist
eine antike Gewohnheit, die frühzeitig in die
christlichen Bücher überging. Nirgends aber
lag es näher, solche Bildnisse anzubringen,
als am Schluß des Exultet, wo der Diakon die
Gläubigen ötfentlich zum Gebete für die geist-
liche und weltliche Obrigkeit aultorderte.^'^)
Die künstlerisch zumeist nicht bedeutenden
Miniaturen der Exultetrollen sind also, um aus
unsern Darlegungen zum Schluß das Resümee
zu ziehen, vom liturgischen und besonders
vom kunsthistorischen Standpunkte eine inter-
essante Erscheinung in der süditalienischen
Klosterkunst. Unwillkürlich lassen sie unsern
Blick hinüberschweifen nach dem griechischen
Osten wie nach dem karolingisch-ottonischen
Norden, wo man sich geradeso wie im Süden
vor der byzantinischen Überlegenheit beugte.
'^) Ebner, a. a. O. 450.
=3) E. Diez, Die .Miniaturen des Wiener Dioskorides,
in: Byzant. Denkmäler 111, Wien 1903, 58 fr. Beissel,
Geschichte der Evangelienbücher, Freiburg 1906, 278 ff.
Dir christliche Kunst. V.
i86
©^ ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALLICELLA ^S3
iiiiiiiniii]iinnii?iiiFiPf'^"'"i"'?""^'
^^' ^-' E '\l^W"
111? f >^-
l/MiAiAi>ll^
j . i 1,14.:.
Sta. MARIA DELLA VALLICELLA IN ROM
Längsschnitt. — Text S, 190 ß".
DAS EINSTIGE ORATORIUM BEI
Sta. MARIA IN VALLICELLA IN
ROM
Von Dr. M. SCHWARZ (Rom)
Mit 5 Abbildungen S. i86 und 187)
Tm Frühjahr 1656 mußte sich entsclieiden,
A welchem Architekten die ruhmvolle Auf-
gabe zutallen würde, dem Neubau der Peters-
kirche das Atrium anzufügen, das die kon-
stantinische Basilika gehabt hatte. Schon
zur Zeit Madernas stand es fest, daß ein
solches das Riesenwerk abschließen müsse.
Den nach Innozenz' X. Tod gewählten Chigi
Alexander VII. reizte der Ruhm, seinen Namen
auf die Schlußsteine des schier zwei Jahrhun-
derte hindurch geförderten Werkes zu setzen.
Es verging das erste Jahr nach seiner Erhebung
nicht, ohne daß in der Kardinals-
kongregation der Fabbrica di
S. Pietro die Erwägungen be-
gannen, wie über den endgül-
tigen Schmuck der Tribuna
von St. Peter so auch über die
Anlage des Vorplatzes. In den
ersten Wochen des Jahres 1656
bestanden noch Bedenken be-
züglich des letzteren; es ist uns
in der Bibliothek der Familie
Chigi die Formulierung erhal-
ten, die ihnen Kardinal Pallotto
gab. Aber der Wille des Papstes
siegte. Am 31. Juli beschließt
die Kongregation die Pläne in
Auftrag zu geben und zwar an
Bernini. •")
In jenem Zeitalter der Intrigen werden
andere Architekten, deren es in Rom selbst
nicht bloß einen bedeutenden gab, der Ent-
scheidung nicht ganz tatlos entgegengesehen
haben. Der Umstand, daß des allmächtigen
Bernini Gesundheit im vorhergehenden Herbst
und noch im April 1656 durch ein hartnäcki-
ges Fieber in Frage gestellt war, 2) mochte
die Hoffnung auf Erfolg eines Mitbewerbers
erhöhen. So gehe ich wohl nicht fehl, wenn
ich eine eigentümliche Schrift des zeitweise
von Innozenz X. begünstigten Francesco Boro-
mino als ein Mittel auffasse, sich dem neu
gewählten Papst für die geplanten großen
Aufgaben zu empfehlen. Bei den Biographen
') Die Archis'alien wurden, wie es scheint zum ersten-
mal, veröffentlicht bei Fraschetti: II Bernini, Milane 1900.
p. 514 SS.
') 1-rasclieiti, 1 c. p. 423.
Sr». M.\RIA DELLA VALLICELLA IN ROM
Schnitt durcli Jen kleinen Hof und die Sakristei
SJ^ ORATtmiUM BFI Sia MARIA IX X'AI.LK.ELI.A ^a
1S7
Berninis ist viel die Rede von den Intrigen
seiner Gegner; die allerdings noch spärlich
vertretene neuere Forschung hat wenig Ur-
kundliches beibringen können zur Kritik dieser
Erzählungen. \'ielleicht ötinet sich hier eine
interessante Quelle.
Die Schritt ist ein in der Literatur des
siebzehnten Jahrhunderts wohl ganz verein-
zelt dastehender ausführlicher Bericht Boro-
minos über den Bau des Hauses der Oratori-
aner in Rom. Ein Briet, datiert 10. Mai 1656
und dann noch eine förmliche \'orrede an
die Leser geben zu wissen, daß der Marchese
di Gastet Rodriguez') den Baumeister ver-
anlaßt hat, den Bericht zu schreiben und
ihm nun betiehlt, denselben für den Druck
vorzubereiten. Ob damals die Absicht der
\'erötfentlichung ernsthatt bestanden, läßt sich
nicht erkennen. Vermutlich wurde das Manu-
skript den maßgebenden Stellen unterbreitet,
und als es den Zweck verfehlte, zurückgelegt.
Es kam später mit anderen Papieren und
Zeichnungen Borominos in die Hände des
römischen Buchhändlers Sebastiano Giannini.
Dieser verötfentlichte die Relation t'ast jojahre
nach ihrer Abfassung samt einer lateinischen
Übersetzung in einem prächtigen Band als
Erläuterung zu 67 großen Kupferstichblättern,
die die Zeichnungen Borominos für den Bau
wiedergeben. 2)
Die Hauptstütze unserer Aufstellung ist das
Datum ; an diesem Zeitpunkt konnte Boromino
noch nicht von einer fertigen Arbeit berichten;
es stand offenbar der ganze westliche Trakt
noch im Rohbau da, und das vielleicht nicht
einmal in seiner ganzen Ausdehnung. Eine
Treppenanlage, die Giannini in seinem wohl
erst zu seiner Zeit gefertigten Ubersichtsplan
hier angibt, erwähnt der l"e.\.t nicht, während
er doch weniger wichtige Treppen im fertigen
Teil einzeln bespricht. Die einfach schöne,
durch schwache Risalite belebte Front gegen
Monte Giordano ist ebent'alls nicht erwähnt,
vom Uhrtürmchen, für das Giannini im Nach-
laß des Meisters drei Varianten fand, ist im
Text nur die Lage bezeichnet und motiviert.
') Gesandter des Königs von Spanien in Rom ; aul
seine V'ermittlung beltam Boromino den Auftrag, den
Entwurf zur Vollendung des Palastes an piazza di Spagna
anzufertigen ; der I-ntwurf wurde aber dann nicht be-
nützt. In dem W'idniungsbrief sind noch Grabdenk-
mäler erwähnt, die Boromino für den .Marchese ge-
zeichnet habe.
") Seb. Giannini : Opera del caval. Francesco Boro-
mino. (^avala da suoi Driginali cioc l'oratorio e fabrica
per l'abitazione dei P. P. delloratorio di S. Filippo N'eri
con le Vedute in prospettiva etc. Roma 1725. Auf
S. 5 — 51: Relazionc della presente opcra composta dal
medesimo cav. Fr. Boromino . . . e copiaia dal suo ori-
ginale inediio.
niiriß des Gebäudckomplexes der Oratori
Text S. 190)!".
Ausdrückliche Polemik findet sich in der
Relation nicht, von zwei Bemerkungen ab-
gesehen, von denen in anderem Zusammen-
hang zu reden ist. Man darf aber doch wohl
Berechnung darin sehen, wie das wirklich
Wertvolle am Gebäude hervorgekehrt wird,
nämlich die zweckmäßige Raumdisposition
und besonders auch die technische Sicher-
heit — in letzterer Hinsicht hatte sich ja
Bernini als Architekt der Peterskirche schon
zweimal, 1636 und 164J. arg bloßgestellt.
Boromino war sicher durchaus nicht der
Meinung, daßseineXeuerungen in den schnuik
kenden Details wenig wert seien ; aber er
wußte, daß er ihretwegen am meisten ange-
griffen wurde und liel.< sie in den Hinter-
grund treten gegen V'orteile, die allgemein
anerkannt werden mußten.
Auch abgesehen von der \'erkiuipfung mit
3) Die punktierten Linien bezeichnen die Häuser, die
abgerissen wurden. — Der palmo Romano = o 2254 m.
A. Haupteingang; B. Sprechzimmer; C. Zimmer des Pfört-
ners; D. Oratorium; E. Haupttreppe: F. Kleiner Hof;
G. Sakristei; H. Paramentenräume; 1. Eingang in die
Kirche; L. Großer Hof 1 »Garten«): M. l.avaboraum ;
N. Speisesaal; O. Raum, von dem aus hohe Gä;tc be-
dient werden ; P. Küche; Q. Spülraum; R. Ncbtntreppen .
S. Aborte; T. Wirtschafishof; V. Speise: X .\ufbewah-
rung von Tischtüchern usw.
i8S
Bi^ ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALLICELLA J*^«
GEBR. RANK
EINGANGSBAUTEN: PFORTNERHAUS
.Mnuchen igoS. l'gl. II'. Jg.. S. 2g4
der Geschichte der Kolonnaden von St. Peter
ist der Bauhericht ein für Architektur- und
Kulturgeschichte interessantes Dokument; es
ist geeignet, uns die Absichten des verrufenen
Barockstiles klar zu legen — sie berühren
sich vielfach mit modernsten Gedanken. Es
lebte in Boromino viel gesunde Einsicht in
das Wesen seiner Kunst; die Neuerungslust
war bei ihm, der die Errungenschaften seiner
Vorgänger sich durchaus zum Eigentum ge-
macht hatte, nur ein Element, mag sein, daß
es ihm das liebste war; in der geschichtlichen
Würdigung seiner Persönlichkeit dar! es nicht
in den Vordergrund treten.
Die Entstehung des Gebäudeblockes von
Sta. Maria della Vallicella, heute gewöhnlich
Chiesa nuova genannt, zieht sich von der
Grundsteinlegung der Kirche an ( 1 7. Sept. 1575)
gut 8oJahre hin. Die Ursache des langsamen
Fortschreitens war, daß die Mittel nach und
nach als Almosen gesammelt werden mußten;
der hl. Stifter selbst enthielt sich sogar des
Bittens und wartete auf spontane Gaben. Nur
die Kirchenfassade übernahm ein einziger
Gönner, ein Bruder des Kardinals Cesi ; sie
kostete ihn über 30000 scudi. Man hielt
streng daran fest, daß jeweils das für die
Seelsorge Nötigere, der Allgemeinheit Die-
nende in Angriff genommen wurde. So ent-
stand erst die Kirche, die im Frühjahr 1577
schon bezogen, aber erst am 23. Mai 1599
feierlich konsekriert wurde ; ') nach ihrer Fertig-
stellung mußten Zufahrten geöffnet werden,
was die Einkünfte vieler Jahre verschlang.
Dann kamen nach der Reihe die Sakristei,
das : Oratorium-'., ein zweiter Kirchenraum
für besondere Zwecke, in Verbindung damit
Bibliothek und Fremdenherberge, an letzter
Stelle erst das weitläufige Wohnhaus. Noch
zu Lebzeiten des hl. Philipp Neri waren öst-
lich von der Kirche ältere Gebäulichkeiten
als Wohnung der Patres adaptiert worden.
Wälirend der Regierung Urbans VIII. (1623
bis 1644) entschloß man sich, den Neubau
auf die westliche Langseite der Kirche zu
') Die Angaben über die Kirche bei Bacci : Vitii Ji
S. Filippo Neri. Brescia 1706.
C?:^ ORATORIUM BEI Sta MARIA IN VALLICRLLA ?^K^
1S9
GEBR. RANK
Ausstellititg Mihtckett igo8.
EINCANGSBAUTEN ; VERWALTUNGSGEBÄUDE
ygt- ly- 7g-. S.294
verleiben. \'oni Papst wurde ein Breve er-
reicht, das die Besitzer der armseligen Häuser
aut dem Bauplatz zwang, sie nach Schätzung
an die Kongregation zu verkaufen; auch eine
Kapelle der lil. Cäcilia mußte aufgehoben
werden. Es ging nicht ohne Widerstand ab,
und nur allmählich wurde das Feld frei. Beim
Sakristeibau, den wohl der im Bericht ge-
nannte Mario Arcanio') begann, war man
sich über die Gesamtanlage noch nicht klar;
erst der folgende Hausarchitekt, Paolo Marus-
celli, entwarf einen Plan für das Ganze. Das
Wohlwollen des Papstes mußte noch einmal
in Anspruch genommen werden, um ein regel-
mäßiges Rechteck für den Bau zu erreichen;
er gestattete der Kongregation, an der Süd-
westecke aul Gemeindegrund überzugreifen.
Maruscellis Projekt erwies sich, als man an
die Ausführung ging, als ungenügend. Nach
einigen N'erbesserungsversuchen wurde in die-
') Über ihn handelt Baglioni, Vite dci pittori, scul-
tori ed architetti (Xapoli 1753 p. 215) aus persönlicher
Erinnerung. Darnach starb Arcanio noch unter Urban V'III.
Über Maruscelli finde ich keine authentischen Angaben.
sem Stadium Francesco Boromino mit der
Lösung der Schwierigkeiten betraut. Er war seit
dem Regierungsantritt Innozenz' X. (15. Sept.
1644), bis Mitte 1647 etwa, der bevorzugte
Baumeister des Papstes; vielleicht hat eine
\'erinittlerrolle zwischen ihm und dem Ora-
toi'ium der Oratorianer und Beichtvater des
Papstes Virgilio Spada gespielt, der in einem
modenesischen Avviso (3. Febr. 16^6) als beim
Papst gegen Bernini intrigierend erscheint;-)
in unserem Baubericht heißt es, Spada habe
selbst in Architektur dilettiert und vom Ordens-
obern, P.AngeloSaluzzi, die Lösungsvorschläge
Borominos zur Begutachtung bekommen. Der
neue Bauleiter ersetzte den ganzen Plan Marus-
cellis durch einen eigenen, nach dem alles
ausgeliihrt wurde. Im Jahre i 64S wurde das
Gewölbe des Betsaales ausgefüiirt ; es ist niciit
möglicii, aus dem Bericht weitere Jahreszahlen
herauszuschälen: dali im Mai 1656 noch niciit
alles fertig war, ist sciion dargelegt worden.
Boromino empfand offenbar von Anlang
») Fraschetti, 1. c. p. 27
1 90
ö^ (^RA'njRIUM BF.I Sta. MARIA IN VAI.I.ICHLLA
GKBR. RANK
HAUPTEIN'GANG
Aiisstelluiig Mnmhen iQoS
an den Reiz der Autgahe, für eine rund 60-
köpfige »Familie mit ganz individuellen Be-
dürfnissen, hei beschränkten und docii für
das wirklich Notwendige ausreichenden Mit-
teln, an unabänderlich daliegende Verhältnisse
sich anschmiegend, für ewige Zeiten eine
Wohnstätte zu schatten. Es ist ein Verdienst,
das ihm die Kunstgeschichte nicht vergessen
sollte, daß er das uralte Thema — man denke
nur an die altchristlichen »Lauren und an
den Klostergrundriß in St. Gallen aus dem
neunten Jahrhundert — im Sinn des sieb-
zehnten Jahrhunderts neu erschöpfte.
Der mit Hilfe Urbans VIII. gev^'onnene Bau-
platz schloß sich, wie gesagt, als volles Recht-
eck an die Westseite der Kirche, reichte aber
nach Norden noch ein gut Stück über sie
hinaus.') Der dreieckige Platz, der hier hinter
der Apsis der Kirche den Patres noch gehörte,
wurde von vorneherein für vom Übrigen ge-
trennte, um einen schattigen Brunnenhof gele-
gene Wirtschaftsgebäude bestimmt. Die Bewe-
gungslreiheit des Künstlers war arg gehindert
durch die Sakristei, die, planlos auf das Terrain
gestellt, dasselbe in einen kleineren südlichen
'J Vergl. zum tollenden Abb, S. 186 u. 1S7, Repro-
duktionen aus dem Gianninischcn Werke. Aufnahmen
der Innenräume in ihrem jetzigen Zustande herzustellen,
lohnte sich nicht. Die rücksichtslose moderne Adaptierung
hat die Wirkung der Räume barbarisch zerstört.
und einen größeren nördlichen Teil zerschnitt;
sie lag zudem noch einige Fuß über dem
maßgebenden Niveau der Kirche. Man rühmt
den Grundsatz Berninis, daß der geschickte
Baumeister jede Ungunst der Verhältnisse zu
einem Vorteil müsse machen können. Lange
bevor Bernini die eigene Forderung in der
Scala regia des Vatikans erfüllte, leistete Boro-
mino sein Meisterstück, indem er hier die
Sakristei in den Organismus des Klosters ein-
bezog, den anfänglichen Fremdkörper zu einem
notwendigen Glied machte. Der Charakter
des Institutes brachte es mit sich, daß regel-
mäßig eine große Anzahl von Auswärtigen
in das Haus zugelassen werden mußte, sei
es zu seelsorglichen Zwecken, sei es als Gäste
oder zu Dienstleistungen. Anderseits mußte
aber doch das Ordenshaus eine stille Heimat
sein für seine Bewohner. Boromino benützte
die gegebene Teilung des Bauplatzes, um dem
doppelten Bedürfnis zu genügen; er verlegte
alle tür die Familie bestimmten Räume in
den nördlichen, alle Fremden zugänglichen in
den südlichen Teil ; obwohl die beiden Anlagen
durch breite Korridore innigst zusammenge-
halten wurden, konnten sie durcli wenige
Türen gegeneinander abgeschlossen werden.
An die Front auf den Kirchenplatz hinaus
kam das »Oratorium« zu liegen, ein sozu-
.saijen intimerer Kirchenraum, in dem täglich
E?^ (^RATCTRIUM Bl-I Sia. MARIA IN VAT.I.ICELI.A »"^a
191
mfliriiKils katechetische Vorträge gehahen
wurden und walirend der Wintermonate die
in der Musikgeschichte bedeutsam gewordenen
religiösen Konzerte stattfanden ; der Saal nahm
der Höhe nach auch noch den ersten Stock
ein, liel.s aber in der Längenausdehnung gegen
die Kirche hin noch reichlichen Platz für die
Porteria . unten und eine Fremdenwohnung
oben. Mit letzterer stand in direkter \'erbindung
eine Ehrenloge gegenüber dem Altar, für
Kardinäle und Fürstlichkeiten, die den Ver-
anstaltungen in großer Zahl beizuwohnen
ptlegten. Über dem Altar war ein großes
Musikchor, seitlich weiter unten noch zwei
kleinere. Nicht weit davon im Haus sollte
noch ein Ubungssaal tür Orchester und Sänger
hergerichtet werden. Alles dies wie auch das
Chor der Kirche konnten die Singknaben
und Musiker erreichen, ohne das Familienhaus
zu betreten. Die gegen Monte Giordano hinaus
die ganze Breite des kleineren Hofes einneh-
mende, zweiläurige Treppe war als Aufgang
der Gäste repräsentativ ausgestaltet, die Loggia
des piano nobile nicht wie im zweiten Hot
geschlossen. Über Oratorium und »Foresteria«
erhob sich ein holier Saal, für die reichen
Bücherschätze des Hauses, bis ins einzelnste
von Boromino selbst eingerichtet. Die Biblio-
thek wurde ergänzt durch ein feuersicheres
Gemach für das Archiv, ein Zimmer lür die
Münzen- und Raritätensammlung, die Zelle
des Bibliothekars und vor allem einige Räume,
in welchen Gelehrte aus der Stadt zu jeder
Tageszeit Bücher benützen konnten, auch wenn
keine Aufsicht im Hauptsaal war. — Nicht
weit von hier wurde ein »Haus im Hause ;
hergerichtet für einen Gast, der im Advent
und in der Fastenzeit alljährlich sich einstellte.
Es war dies der Kapuziner, dem die beschei-
denen Söhne des hl. Philippus in den Gnaden-
zeiten die Kanzel ihrer Kirche überließen und
der dann mit einem Laienbruder seines Ordens
eine eigene Wohnung brauchte. Er erhielt
einige Zimmerchen im zweiten Stock zwischen
Pl)RTAL IS SCHMIEDEISEN MIT BROW.ErÜLLUNGEN; DIE U.MRAIIMUN'G GETRIEBENES MESSING
Enhviir/: Ollio OrlanJo Ku": — Ausführung : Josf^h Frohmhrck — AusstelluHg Miinchru igoS
192
C^ ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALLICELLA mQ
Ettiiutir/ . Otho
ZWEI BELEÜCHl UKGSKOKPEK
•rlandc< Kurz - Ans/Ükrung: Jostfh Frohnshtck
Ajcssielbing Mjifiche.
Kirche und Refektor angewiesen, wo er voll-
kommen ungestört war und niemand störte;
aut einem versteckten Balkon konnte er ge-
legentlich wie daheim die scotola« besor-
gen, d. h. ungesehen seine einzige Kutte aus-
klopfen.
Um den größeren, gartenahnlichen Hol
reihten sich in drei geschlossenen Etagen
ca. 60 möglichst gleichwertige Zellen, mit
dem Blick auf Monte Giordano und die da-
malige via del Parione (heute del Governo
vecchio). Auch über der Sakristei waren noch
Wohnräume ; hier konnte man an ein großes
Fenster treten und zum Bruder Pförtner hin-
untersprechen, wenn er einen mit dem Glocken-
zeichen gerufen hatte. Das Refektor und
darüber der ^Rekreationssaal', der nach jeder
Mahlzeit die ganze Familie versammelt, er-
halten die gegen den Lärm und die Horcher
der Straße vollständig geschützte Lage gegen
den Wirtschattshof hin. Eine Treppe, die bis
unters Dach hinaufreicht, führt aus den oberen
Gängen an den Vorraum des Speisesaales;
eine zweite, ovale, in die Halle zwischen
Kirche und Sakristei. »Eine richtig angelegte
Treppe erspart Geld und Zeit.«
(Sctiluß folgt)
WETTBEWERB FUR EINE KIRCHE IN
URDINGEN
Erläuterungen zu dem im vorigen Heft publi-
zierten Ausschreiben in diesem Betreff
I Interm 3. Februar wurde ein größerer Lageplan im
Maßstab 1:2500 versendet.
Zugleich wurden noch folgende Erläuterungen gegeben.
Ob bei Bebauung der Umgebung der Kirche das ge-
schlossene oder ofl'ene Bausystem durchgeführt werden
soll, darüber liegt ein förmlicher Beschluß nicht vor,
doch dürfte nur das gesclilossene System in Frage
Icommen.
Die Gruppierung der drei in den Bebauungsplan am
Marktplatz eingezeichneten Gebäude (Kirclie, Pfarrhaus
und Vereinshaus, welch letzteres im Wettbewerb nicht
zu bearbeiten ist), ist für den Wettbewerb nicht maß-
gebend, die Platzgestaltung ist vielmehr noch nicht end-
gültig festgelegt, sondern von der Stadtverordnetenver-
sammlung nur im Prinzip genehmigt. Demnach ist es
nicht erforderlich, daß die Kirche gerade an der Stelle
errichtet wird, wo sie auf dem Lageplan eingetragen
ist, nur müssen die erforderliclien Breiten für die Straßen
bleiben.
Im ganzen muß die Kirclie Platz für 1500 Personen
bieten, die Verteilung auf Sitz- und Stehplätze bleibt
dem Architelvten überlassen ; besondere Plätze für Kin-
der sind vorzusehen, ihre Zahl aber steht im Belieben
des .\rchiteliten.
Noch möchten wir bemerl<en, daß die Ostung der
Kirche eingehalten werden soll. Der Pfarrhof kann nach
Belieben angebracht werden, je nachdem es der Archi-
tekt praktisch und schön findet.
Für die Redikti
rüich: S. Staudha:
r (Prom
Bruckn
Verlag der Gei
Sämtliche in J
Schaft für christliche Kunst, G.
M. Emonds-Alt pinx
Nachb, verb.
CHRISTUS
C.WONTAFELN, ESTWURF US'D AUSFLHRUNG VON RUDOLF HARRACH (FIRMA F. HARRACH & SOHN) IN MÜNCHEN
CetrUbenes M,rssing, Email.mlagen. - '/.i'm Aluir S. 200 gtliiing
DIR KIRCHLICHE KUNST AUF DER AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908
Von ALEXANDER HEILMEVER
Auf einer so grolkn Revue, wie die letzte
Münciiner Ausstellung, die alle Zweige
der Kunst und des Kunstgewerbes umfaßte,
durfte auch die kirchliche Kunst nicht fehlen.
Die Repräsentation auf der Ausstellung konnte
natürlich keinen umfassenden Überblick geben,
sie konnte nicht über den gegenwärtigen Stand
der christlichen Kunst unterrichten, weil es
dazu eines viel größeren Rahmens als der
kirchlichen Kunst auf der Ausstellung zur Ver-
fügung stand, bedurft hätte.')
Und dann die Schwierigkeit, Gegenstände
der kirchlichen und sepulkralen Kunst als
Ausstellungsgegenstände vorzuführen. Immer
wird sich damit die \'orstellung feierlicher
Ruhe und Würde verbinden, Forderungen,
die sich im lärmenden Gewühle einer Aus-
stellung nicht erfüllen lassen.
Wir haben schon darüber berichtet, wie der
Architekt diese keineswegs leichte Aufgabe
gelöst hat. Was der Kirche im Äußern, durch
die Umstände und Umgebung bedingt, an
Monumentalität abging, ersetzte reichlich die
Intimität und Feinheit der künstlerischen Raum-
wirkung der Innenräume. Fine nicht un-
wesentliche Arbeit des Architekten bestand in
der Einordnung und Wertung des Details,
der so verschiedenartigen Gegenstände kirch-
licher Kunst im Räume, eine Aufgabe, die
Wilhelm Spannagel mit seltenem Geschick und
Taktgefühl bewältigt hat.
Die An- und Einordnun'' der einzelnen
') Sämtliche .Abbildungen dieses Heftes sind der kirch-
liclien .Abteilung der Ausstellung München 1908 ent-
nommen.
Altäre im Chor, im Vorraum und in den
Nischen war eine glückliche. Unsere Ab-
bildungen veranschaulichen sehr deutlich die
Situierung und Wirkung der Altäre im Räume.
Wir verweisen insbesondere auf den schönen
Steinaltar von Karl Bauer in Ulm mit dem
Relief von Prof. Max Heilmaier und auf den
aus poliertem Stein hergestellten Altar von
Alois Müller (Abb. S. 207 und 199).
Ganz besonders wirkungsvoll repräsentierte
sich der Hochaltar im Chorraum, ein Stein-
altar, nach Entwürfen des kgl. Baurates Höfl
und seines .\rchitekten Lohnes ausgeführt
und für die Gefangenen-Anstaltskirche in
Landsberg bestimmt (.\bb. S. 200).
Er ist in einfachen Formen, in einer der
jungen Münchener Schule eigenen archaisie-
renden Art gehalten. Mit Verständnis und
Geschick verwendete frühromanische Formen
gewinnen durch das Material und seine Be-
handlung einen eigentümlichen Reiz. Die
Steinskulptur gelangt zu reicher Entfaltung,
für Relieiplastik bietet sich gute Gelegen lieit
und Mosaik könnte hier reichliche N'erwendung
finden. Wir haben ja schon gute Beispiele in
der Maximilianskirclie zu München. Die
Neigung zum Primitivismus, weiche neuer-
dings als Reaktion gegen die üppige Stilfülle
der vergangenen Jahre einsetzt, darf natürlich
nicht ins Extreme führen. Aul die Darstellung
der menschliclien Figur übertragen, mutet sie
wenig überzeugend und liebenswürdig an.
In der Sachkunst, im Kunstgewerbe hin-
gegen ist die Betonung materialgerechter Be-
handlung wie auch unter Umständen das
Die chriithche Kunst.
194 SJ^ KIRCHLICHE KUNST AUF DER AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908 mä
ZurQckoehen auf erprobte Techniken am
Platze. "
Nach dieser Richtung hin bot die Aus-
steUung ein sehr interessantes Bild dar. Das
kirchliche Kunstgewerbe zeigte lioffnungs\olle
Ansätze einer neuen fruchtbaren Entwicklung,
steht. Aufbau, Form, Schmuck und Verzie-
rung des Gerätes wird als etwas organisch Ge-
wordenes anmuten und darum so klar und
deutlich sprechen. Manche Verzierung, z. B.
eine rhythmische Reihung eines einfachen
geometrischen ()rnamcntsalsl'lächenschmuck,
WILHELM SPANNAGEL
DAS INNERE DER KIRCHE
besonders in den Metallarbeiten. Die Mün-
chener Eisenarbeiter, Kupferschmiede, Gold-
und Silberarbeiter verfügen über einen hohen
Grad von Leistungsfähigkeit und Können.
Alle Techniken: Schmieden, Schweißen,
Meißeln, Ziselieren und Gravieren werden
von geschickten fleißigen Händen vituos ge-
handhabt.
Um den Wert einer guten Handarbeit
richtig einschätzen zu können, muH man sich
einmal in Werkstätten wie Rudolf Harrach
(Firma Harrach & Sohn) oder Steinicken &
Lohr angesehen haben, wie aus einem Stück
Metall ein Leuchter, ein Rahmen etc. ent-
ergibt sich sozusagen von selbst bei rationeller
\'erwendung des Materials und bei geschickter
Handhabung der Handwerkszeuge. Der hohe
Reiz, den der Tabernakel von Harrach durch
seine Metallbehandlung ausübte, bestand nicht
zum geringsten in einer sehr geschickt durch-
geführten Kombination solcher Ausdrucks-
mittel, die noch erhöht und gesteigert wurden
durch Verwendung von Glasflüssen, Steinen.
Mosaik etc. (Abb. S. 201). Es ist ein ent-
schiedenes Zeichen von Gesundung des Hand-
werkes, wieder auf solche . einlache rhyth-
mische Reihungen von Schmuckformen, wie
sie sicli aus manueller Handhabung der
■95
München igo8
« WILHELM Sl'AXXAÜHL
DAS INNERE DER KIRCHE
BLICK ZUM HOCHALTAR
196 ex^ KIRCHLICHE KUNST AUF DER AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908 m<^
WILHELM SPANNAGEL
KIRCHLICHE ABTEILUNG UND FRIEDHOFANLAGE
W/t,,;!: Mnn,-/,r,i igoS
Handwerkszeuge und dem natürlichen Emp-
finden ergeben, zurückzugreifen. Einen reichen
Formensciiatz von einfachen geometrischen
Motiven bietet ja gerade die altere kirch-
liche Kunst dar.
Von der richtigen \'er\vendung ornamen-
taler und symbolischer Motive an der rechten
Stelle hängt es ab, welche Wirkungen man
erreicht.
Es ist sehr klug, bei einfachen Gegenständen
von allem Zierat abzusehen und vor allem das
Zweckmäßige hervortreten zu lassen. Die nach
Entwürfen von Prof.Romeis von RudolfHarrach
hergestellten Kanontafeln sind in Messing
getrieben und sinngemäß mit ganz einfachen
Bandlinien und Vierecken geschmückt. Ein
großer Reiz liegt aber in der Zusammen-
stellung von glänzendem Metall und Email,
was natürlich die Abbildung (S. 19^) nicht
wiedergeben kann.
Die von Bernh. Wenig entworfenen und von
Steinicken & Lohr ausgeführten Vortrags-
laternen (Abb. S. 218—220 und 224) erhielten
ihreForm lediglich ausihrerZwecksbestimmung
heraus ; das gleiche gilt auch für die Leuchter
und Meßkännchen, Rauchfaß, Schiffchen und
Kelch, die Seite 202, 205 und 208 abgebildet
sind.
Die Leuchter von Harrach und Steinicken,
(siehe Abb. S. 202, 204, 206, 2131, zeigen
ein vornehmes Streben nach geschmackvoller
Einfachheit, bei guter Gliederung: Betonung
des Standfußes, der Leuchterschale und des
Schaftes mit Berücksichtigung einer prakti-
schen Handhabung. Was dem Auge am
nächsten ist und wo Raum ist für die Ent-
faltung von dekorativem Beiwerk wie z. B.
am Leuchterfuß, da entfaltet sich auch gleich
l-'ülle und Freude am ornamentalen Schmuck;
(s. Abb. S. 202, 206; ähnlich auch bei den
Altarkreuzen S. 203, 206). Hier liegt aber
doch die künstlerische Betonung auf dem be-
deutsamen Mittelpunkt selbst, auf dem Chri-
stuskörper am Kreuze. Das Kreuz wird dar-
um oft einfach in Ebenholz gehalten, von
dem sich der silbernleuchtende Körper ernst
und prächtig abhebt. Man achte auf die von
Steinicken & Lohr ausgeführten Altarkreuze
(Abb. S. 206 u. 216) oder die mit eingelegten
Kreuzesbalken aus Elfenbein (Abb. S. 203) oder
auch aul die Vortragskreuze, die Harrach und
Steinicken & Lohr (Abb. S. 217 — 220) aus-
führten.
Mit der Bedeutung und Würde des Gegen-
standes im liturgischen Dienst steigert sich
naturgemäß auch der Reichtum der ange-
wandten Materialien und der Ausführung, da-
her die Schönheit und Pracht der Monstranzen.
Bei der Ausführung dieser kirchlichen Prunk-
geräte herrscht nun das Bestreben vor, die
197
^^
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1^
198
o Ausstellung
München igoS
<a ^ ,s> «) -a <a WILHELM SPANNAGEL
GANG ZUR VORHALLE DER KIRCHE
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o AussteÜuftg
Mufichen iqoS
■^ WILHELM SPANNAGEL
VORHALLE DER KIRCHE
200 ©^ KIRCHLICHE KUNST AUF DER AUSSTELLUNG MÜNCHEN 1908 ^^a
verschiedenartigsten Materialien, Silber, Gold,
Edelsteine, Ebenholz, Elfenbein in sinngemäßer
Anordnung in eine harmonische Überein-
stimmung zu bringen, ein Rhythmus von
Farben und Formen.
Die von Harrach ausgeführte Monstranz
(Abb. S, 210) gewinnt einen hohen Reiz durch
solche Verwendung verschiedener Materialien ;
so sind z. B, die beiden reizenden Engelfigür-
chen zur Seite aus Elfenbein gebildet. Aus
den Werkstatten von Steinicken ilx Lohr
ging die prächtige und mit sicherem Stilgefühl
geformte Monstranz für die Kirche Blaichach
bei Immenstadt hervor, (Abb. S. 209)
Neben den edlen Glanzmetallen Gold, Silber,
Bronze, Kupfer, Messing, kommt auch Eisen
wieder zur Verwendung. Der hübsche, zier-
liche und elegant geformte Altarleuchter von
Reinhold Kirsch (Abb. Beil. S. 35), sowie das
schöne von Zech ausgeführte Grabsteingitter,
ferner die von Prof Richard Berndl entworfenen
und von Niedermeyer ausgeführtenOpferstöcke
(Abb. S. 222 — 223 und Beil. S. 33) weisen auf
eine im Münchner Kunstgewerbe hochent-
wickelte Eisentechnik hin.')
Glasmalerei, Grabmalkunst und Mosaik
waren in höchst anregender und vielfach
achtunggebietender Weise vertreten. Wir
haben darauf schon im vorigen Jahrgang
(S.294 — 301) mehrfach hingewiesen; auch wird
diese Zeilschrift auf mehreres noch
zurückkommen.
Arg vernachlässigt ist bekanntlich
die kirchliche Paramentik. Was
davon aus neuerer Zeit in Gebrauch
ist, erhebt sich größtenteils nicht
über Fabrikarbeit. Die mit schreiend
bunten Anilinfarben gefärbten und
mit konventionellen Ornamenten
bestickten Gewänder sind weit ent-
fernt von der geschmackvollen Ein-
heit, die sich in früheren Jahrhun-
derten von der Architektur bis auf
die Kirchengeräte und -Gewänder er-
streckte. Es wird so kommen müs-
sen, wie auf den andern Gebieten
kirchlicher Kunst auch, das kirch-
liche Kunstgewerbe muß durch
Künstler gehoben werden. Wir wol-
len es dankbar anerkennen, wenn
sich solche finden, die gleich Bern-
hard Wenig das Verständnis für diese
Aufgaben mitbringen und wenn Ar-
beiten entstehen, wie wir sie auf der
letzten Münchner Ausstellung ge-
sehen haben. Das von Joerres nach
Entwürfen von Wenig ausgeführte
Meßgewand,dieFahnendiesesKünst-
lers (Abb. S. 214 — 216) können als
Vorbilder gelten.
Nach all dem zu schließen, scheint
sich ein Umschwung im kirchlichen
Kunstgewerbe vorzubereiten. Wie
in der Architektur und Plastik, geht
man auch in der Sachkunst allent-
halben auf gute alte Vorbilder zu-
rück. Die künstlerische Auswer-
tung der Tradition soll an Stelle
gedankenloser Nachahmung treten.
HüCU.^LTAK DER GHFANGENANSTALT LANDSBERG a, L. ENTWORFEN VON
OBERBAURATHÖFLUNDARCH. LOHNES. FIGfJRL. ARBEITEN HANS MILLER
') Mehrere sctiöne schmiedeiserne Altar-
leuctiter von Reinfiold "Kirsch in München
sind abgebildet im 4. Heft desPionier S. 28,
29 und 50.
RUD. HARRACH (FIRMA F. HARRACH & SOHN) TABERNAKEL DES HOCHALTARS S. 200
/// Mi'tall getrithtn, mit MosaikeiHlagen und Glasßussftt
l>le chrirtlichc Kunsi. V.
©^ ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALLICELLA ä>^a
RUDOLF HARRACH SANCTUSLEUCHTER
Mitdell ?;v, Alois MuUcr. Guß, .' w hoch
Das zu würde- und weiheloser Fabrikar-
beit erniedrigte Idrchliche Kunstgewerbe soll
gehoben und in seinen künstlerischen Be-
strebungen unterstützt und gefördert werden.
Dann wird auch in geschickter Anlehnung an
die Tradition, die deshalb nicht Konvention
zu werden braucht, Neues erstehen. Das
Können wird wieder zur Kunst im Handwerk
führen und aus der Handwerksgerechtigkeit
wird Schönheit erblühen. Die .Münchner
Werkstätten könnten es ganz gut wagen,
eine solche Renaissance des kirchlichen Kunst-
gewerbes einzuleiten.
DAS EINSTIGE ORATORIUM BEI
Sta. MARIA IN VALLICELLA IN
ROM
Von Dr. M. SCHWARZ (Rom)
Mit 3 Abbildungen S. i86 und iH;
(Schluß)
D ei der Ausgestaltung der einzelnen Teile ver-
^ fährt Boromino wie der modernste Archi-
tekt; er studiert den vorliegenden Zweck in
seiner ganzen Eigentümlichkeit und paßt ihm
die Form an, unbekümmert darum, ob sie
auch die herkömmliche ist. Äußerst lehr-
reich ist da sein Refektor. Fast immer ist
dies in den Klöstern Roms ein alltäglicher
rechteckiger Saal ; Boromino wählte als Grund-
fläche ein Oval und überwölbte es in einer
entsprechenden Kalotte, ähnlich wie Vignola
seine Kirche Sta. Anna dei Pala frenieri. Ein zu-
fälliger Umstand ward dazu Anlaß. Esstand mit-
ten auf dem Bauplatz ein kleines Mietshaus, zu
dessen \'erkaul derBesitzer erst durch einen vor-
aussichtlich langwierigen Prozeß gezwungen
werden mußte ; die Zugangstreppe des Häus-
chens bedeckte nun eben die Ecke des für
den Speisesaal bestimmten Platzes. Um mit
dem Bau beginnen zu können, mußte Boro-
mino diese Ecke vermeiden. Wollte man
auf eine regelmäßige Grundfläche nicht ver-
zichten, so war dies nur aui dem gewählten
Weg zu erreichen. Wie von selbst war da-
mit zwei anderen Forderungen genügt, die
die Verhältnisse stellten. Die Höhe des Refek-
tors war durch die zum Teil schon stehenden
Parterrehallen festgelegt; sie hätte für einen
rechteckigen Saal von der gewünschten Länge
und Breite nicht gereicht, selbst wenn man
für ihn das tiefere Niveau der Kirche annahm ;
im eiförmigen Gewölbe dagegen begnügte
sich das Auge, das den Raum nach hinten
immer enger werden sieht, mit der verfüg-
baren Höhe. Boromino beabsichtigte dem
Kunstgrifl' noch nachzuhelfen, indem er über
den Fenstern in berechneter Höhe Kappen
in das Gewölbe einschneiden ließ. — Zwei-
tens bot die ovale Anlage eine günstige Aku-
stik, die wegen einer dem Institut eigentüm-
E?^ ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALI.ICHI.LA J«^?«
liehen Übung außerordentlich wichtig schien.
Nach Beendigung des Essens hatte nämlich
nach der Regel einer der Patres einen Moral-
kasus vorzulegen, über den sich andere im
Gesprächston äußerten. In dem niedrigen,
nach oben einheitlich gerundeten Saal konnte
man der Rede leicht folgen, zumal fast der
ganze Kreis dem Sprecher auf den Mund
sehen konnte. Boromino formuliert hier den
bedeutsamen Grundsatz : eine ungewöhnliche
Form, aber die angemessenste (il piü proprio),
die sich für das Institut finden ließ.
Eine nicht ganz so neue Idee — Vignola z. B.
hatte sie schon hundert Jahre früher im Schloß
Caprarola angewendet — ergab den Aufriß
der Höfe (vgl den Querschnitt durch den klei-
nen Hof, Abb. S. i86 unten). Um die nötige
Zahl von Zellen zu gewinnen, mußten auf das
Parterre noch drei Stockwerke aufgesetzt wer-
den. Bei dieser Höhenentwicklung wurde aber
selbst schon der größere Hof schachtartig tief,
für Luft und Licht zu wenig zugänglich. Da
rettete der Gedanke, das Gebäude nach innen
schon über dem Korridor der ersten Etage flach
zu schließen. Hier bot sich dann noch eine
auch sonst erwünschte Terrasse, wo man bei
jeder Tageszeit im Sommer eine gute Strecke
Schatten und im Winter ebensoviel Sonne
hatte : in aller Bequemlichkeit konnte hier
die ganze Kommunität das Brevier rezitieren,
auf und ab gehend oder zu zwei und zwei
auf den Bänken der Balustrade sitzend.
Auch aus diesem Kunstgriff ließ sich bei
konsequenter \\'eiterführung ein zweiter \'or-
teil entwickeln. Der Korridor des »piano
nobile, mußte der Hofarchitektur wegen be-
deutend höher sein als die auf ihn sich öff-
nenden Zellen bei ihrem geringen Quadrat-
inhalt sein durften. Ein Mezzanino wollte
man nicht einfügen, um nicht einen Teil
der Patres von vorneherein in minderwer-
tige Zimmer zu verbannen. Es war aber
schwierig, die Zimmerhöhe von der des Kor-
ridors unabhängig zu machen. Die Über-
legung, daß man die Zellen des dritten Stock-
werkes doch nicht auf die bei Nacht und
Regen unpassierbare Terrasse konnte münden
lassen, wies den Ausgang. Hier oben war
auf alle E'älle ein schmaler innerer Gang not-
wendig. Boromino legte nun auch schon
unter diesem, im zweiten Stock einen ganz
gleichen ein, so daß die Decke der Zimmer
im ersten nicht auf das Niveau der Terrasse
hinaufzureichen brauchte. Durch Eenster in
den Hof hinaus konnten die Gänge ohne
-Mühe beleuchtet werden.
Eine dritte Neueriuig löste die immer
äußerst schwierige Abortfrage — Boromino
RUDOLF II.\RR.AC11 (FIR.MA F. H. & SOHK) ALTARKRIXV.
Aus/iihntiig in vergoldeter Bronze, Kreuz schwarz oxydiert mit
Gcliiein/assung und Steinen
spricht in seinem Bericht davon nicht ohne
sich beim Leser zu entschuldigen. Am lieb-
sten hätte er für das Haus eine eigene Kloake
gebaut; aber die Durchfüiirung bis zum Tiber
wäre zu teuer gekommen ; so mußte er an
die öffentliche Leitung anschließen. Da er
die modernen Spülsysteme nicht kannte, mußte
204
©^ (ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALLICELLA J'^Ö
er auf andere Weise möglichst für eine selbst-
tätige Reinhaltung der Verbindungen sorgen.
In den kleineren Anlagen an der Pforte und
in den Wirtschaftsräumen wurde sie dem
eingeleiteten Regenwasser und den Brunnen-
abfällen überlassen. Zur Hauptanlage benützte
er nach einem, wie es scheint durchaus eigenen
Gedanken den Kern der vierläufigen Treppe
zum Refektor, der vom Fuß des Gebäudes
bis ganz oben reichte und einen fast quadra-
tischen Schacht bildete. Er ordnete unter
dem Dach frei über dem Hohlraum auf eige-
nen Bogen zehn Klosetts an, die jener Zeit
für das ganze Haus zu genügen schienen.
Doppelte Türen verhinderten, daß Gerüche
in die Korridore hinausdrangen.
Als Material, in dem alles hergestellt wer-
den mußte, war vom Bauherrn das billigste
vorgeschrieben, der Ziegelstein. Weder für
Türpfosten noch Kamine noch sonstiges Detail
durfte außerhalb der gottesdienstlichen Räume
und des kleinen Hofes der edlere Travertin
verwendet werden. Die Zierformen waren
damit auf das Ärmlichste beschränkt. Boro-
mino verzweifelte trotzdem nicht an künst-
lerischer Wirkung. Wieder spricht er hier
einen Grundsatz aus, auf den man sich heute
wie auf etwas Neues besinnt : die Schmuck-
heit eines Gebäudes kann ohne reichere De-
koration, auch schon durch richtig gewählte
Proportionen und Umrisse erreicht werden ;
er gebraucht den Vergleich mit dem Kleide
des Menschen, bei dem billiger Stoff in ele-
gantem Schnitt besser wirkt als das teuerste
Tuch in ungeschickter Mache. Als das
Schönste in seinem Hause schätzt er die ge-
wissenhaft proportionierten großen Säle und
besonders die Durchblicke durch lange Rauni-
RAUCHFASS UND SCHIFFCHEN. ENTWURF VON PROF. KOMEIS, AUSGEF. VON HARRACH & SOHN
/// Messing getrieben itiut vi-ystllu-rt
LEUCHTER ZUM HOCHALTAR S. 20u — ENTWURF UND AUS-
FÜHRUNG \ON R. HARRACH (FIRMA F. HARRACH & SOHN)
fluchten. Er freut sich beim Gedanken, daß
der Blick, wenn bei musikalischen Auffüh-
rungen alle Türen geöffnet sind, durch die
reich abgewechselten Räume der »Foresterias
schweift und dann noch durch das ganze
Oratorium bis zum Musikchor. In der Frem-
denwohnung sucht er dem Hauptsaal durch
Abschrägen der Ecken und runde Überleitung
aus der Wand in die Decke die nötige Höhen-
wirkung zu geben ;
das Schlafzimmer da-
neben ist eigens nie-
driger gemacht als in-
timerer Raum. Beim
Passieren der Treppe
zum Refektor sieht
man auf jedem Ab-
satz durch ein Fenster
in die Wandelhallen,
über 80 m weit. Im
obersten Geschoß der
Haupttreppe führt er
die Wand, welche die
beiden Läufe bis da-
hin trennt, nicht wei-
ter hinauf, so daß
oben eine weite, lufti-
ge, von zwei Seiten
beleuchtete Halle sich
©^ ORAT(^RIUM BEI Sta MARIA I\ X'ALLICF.I.I.A 9"^«
ergibt. Was mit der ovalen Anlage mehrerer
Nebentreppen für eine besondere Wirkung
beabsichtigt war, ist leider nicht zu ersehen.
Wo Pilaster anzubringen sind, sieht er
darauf, sie möglichst stark aus der Mauer-
linie heraustreten zu lassen, damit sie »die
ihnen eigentümliche Schönheit:; entfalten.
Auch in der Farbe unterscheidet er sie wo-
möglich von der Mauerflucht indem er sie
in helleren Ziegeln ausführen läßt. Zu sei-
nem Leidwesen muß er im ersten Stock
des großen Hofes die Loggia schließen ; er
setzt nun wenigstens die dünne Wand so
weit nach innen, daß außen zwischen den
Pilastern Balkone bleiben. Die kahl wirken-
den getünchten Mauerflächen belebt er mit
vollem Bewußtsein des Eftektes durch eine
Art »hängende Gärten:; in den Ecken neben
den Pilastern, oben auf der Balustrade, unten
im Hof, überall wo Platz ist, werden große
Tongefäße aufgestellt, in denen Zitronenbäum-
chen ihr Grün entfalten sollen; auf den ge-
nannten Baikonen soll außerdem jeder In-
haber des zugehörigen Zimmers Bluinen seiner
Wahl in Töpfen pflegen. Wenn Gurlitt') die
Höfe freudlos fand, war es, weil er sie nicht
in diesem Schmuck sah. — Borominos Sorge
um die architektonische Wirkung ging ins
kleinste. In dem schon vor ihm hergestellten
Gang zwischen Kirche und Sakristei lief am
Ansatz des Gewölbes ein Gesims hin ; er
ließ es abschlagen, weil es den Gang nied-
riger machte.
Boromino ist durchdrungen gewesen von
der Einsicht, daß konsequente Zweckmäßig-
keit und richtige Proportionen ein wichtigstes
') Geschichte des !5arockstile.s in Italien. Stuttgart 1887.
S. 560.
RUDOLF IIAÜRACU
RUDOLF HARRACll (I IR.MA 1-. HARKACIl ,v SOHN) KELCH
Sildery lialbiitatte Vergoldung, am Nodtts inattgriiur l-'.dehtcitie
(Chrysofrase)
Element der Baukunst sind. Immerhin hat
auch er das unangebrachte Streben seiner Zeit
geteilt, die Monumentalarchitektur des Palastes
aufdas billige Nutzgebäude zu übertragen. Nur
ungernhateraufreichereDekoration verzichtet;
aus Ziegeln wenigstens stellt er einfache Ka-
pitelle her für seine Pilaster, weil keine mar-
mornen zur Verfügung waren. Die Herrschaft
der S\-mmetrie, des Schemas erkennt er ohne
Widerspruch an, so sehr er unter ihr seulzt,
da vieles im vorhandenen Bau einer Einbe-
ziehung in das System zu spotten schien ;
mehrfach mußte er zu perspektivischen Kunst-
stücken greifen. Als das, was ihn am gan-
zen Bau zumeist befriedigt, »weil es das
meiste Studium gekostet«, nennt er bezeich-
nenderweise : daß es ihm gelungen ist, die
Treppe zum Refektor genügend zu beleuchten,
ohne die Fensterlinie der hinteren Front zu
unterbrechen und ohne die Gewölbe- und
Stufenhöhe von Absatz zu Absatz zu ändern.
In den Höfen verwendet er die größtmög-
lichen Pilaster; er tut sich etwas darauf zu
gute, daß er als erster wieder zwei Stock-
werke in einer Ordnung zusammengefaßt
206
S?^ ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALLICELLA ?^a
ALTARKKEÜZ UND LEUCHTER VON VERGOLDETEM METALL VON STEINICKEN & LOHR, MÜNCHEN
Aiisstelbnt^ Müticheu igoS
habe, nachdem das von Michelangelo an den
Kapitolspalästen gegebene Muster ein Jahr-
hundert hindurch unverwertet geblieben. Er
rühmt von seinen Pfeilerkolossen, sie mach-
ten ordentlich Lärm (fanno gran rumore),
ohne zu überlegen, ob das im armen Klo-
sterhof auch am Platz ist. Der größte Miß-
griff" in dieser Richtung ist, daß er dem in
das Wohnhaus eingegliederten »Oratorium«
eine lörmliche Kirchenfassade anklebte und
zwar eine auf Täuschung berechnete. Füi
eine aufrichtige war kein Platz vorhanden
da die Schmalseite verbaut war. Die für Aus
wärtige bestimmte Türe führte vom Kirchen
platz seitlich in eine Vorhalle und von hier
im rechten Winkel in den heiligen Raum
sie war also architektonisch ganz tonlos ; trotz
dem steigerte sie Boromino- zum Portal, so
daß der Eindruck entsteht, als wäre ihr ge-
genüber der Altar; die Steigerung geschah
o Ausstellung^
Miinchtn tgoS
«, « /a ^ « ALTAR EINER SEITENKAPELLE
ALTARENTWURF VON KARL BAUER- ULM
RELIEF VON PROF. MAX HEILMAIER ^ 's «
2o8
^m (ORATORIUM BRI Sta, MARIA IN VALUCELLA ^a
KELCH AUS VERGOLDETEM SILBER, MIT STEINEN BESETZT
ENTWURF VON BERNHARD WENIG, AUSFÜHRUNG VON
STEINICKEN & LOHR
aut ganz gewaltsame Weise ; es bedeckte von
der Fassade nur der untere Teil des linken
Flügels etwas vom Oratorium, während der
obere Teil und der ganze rechte Flügel pro-
fane Räume hinter sich hat-
ten.
In der Ausführung dieser
Fassade kam nach dem Be-
richt — ein Beschauer hat
sie sicher noch nie bemerkt
— eine gewisse Symbolik
zur Geltung. Ihre groben,
in Ziegel aufgeführten Pila-
ster mit dem vereinfachten
Detail sollten das Oratorium
als derinTravertin verkleide-
ten Kirche untergeordnet,
als ihre »Tochter« kenn-
zeichnen. Ihre fünfteihge
Güederung nach links und
rechts sollte an die Gestalt
eines Mannes mit ausgebrei-
teten Annen erinnern; der
oval vortretende Türvorbau entspräche der
Brust, der Balkon darüber, vor der Biblio-
thek, dem Hals. Die barocke Idee, Baufor-
men so aus der Menschengestalt zu entwik-
kein, muß der Zeit besonders entsprochen
haben ; sie liegt, wenn die im Besitz eines
römischen Architekten befindlichen und von
ihm publizierten Zeichnungen wirklich von
Bernini stammen,') auch den Kolonnaden von
St. Peter zugrunde. Allzuwichtig muß Boro-
mino der »scherze« nicht gewesen sein; denn
in einer reicher gedachten Variante ist die
fünfteilige Gliederung zu einer siebenteiligen
erweitert. — Im Bericht vergißt er nicht her-
vorzuheben, daß seine Fassade nicht wie viele
andere in Rom, unnütz hoch über das Ge-
bäude aufragt. Das verschlägt in diesem Fall
nicht viel ; das ganze Schaustück entbehrt
eben doch der Wahrhaftigkeit; es täuscht ge-
waltsam über Lage und Größe des Betraumes.
Allerdings ist dies im ganzen Bauwerk wohl
die einzige unerlaubte Täuschung; deshalb
ist das Oratorium doch wohl nicht mit Recht
als Muster borominesker Willkür verschrien.
Fs wurde schon bemerkt und mit dem
Intrigenzweck begründet: in unserer Schrift
wird die Aufmerksamkeit möglichst abgelenkt
von den anfechtbaren Neuerungen. Nur an
zwei kurzen Stellen wird eine Verteidigung
versucht. Im Vorwort wird auf Michelangelo
exemplifiziert; der große Meister habe er-
fahren müssen, daß ein Neuerer in den Formen
auf Anerkennung lang warten muß; seine
Gegner seien beständig daran gewesen, ihm
die Bauleitung von St. Peter zu entreißen.
Boromino fühlt sich offenbar in ähnlicher
Lage; seinen Neidern ruft er das Sprichwort
Fraschetti o. c p. 3 14 ss.
MESSKANNCHE.N, AUS SILBER GETRIEBEN. ENTWURF VON BERNHARD VVENle
FÜHRUNG VON STEINICKEN S: LOHR
209
MONSTRANZ AUS VIlRGOLDIiTl-M SILBHR, MIT EDI:LSTEINEN BE-
SETZT, FÜR DIE KIRCHE IN BLAICHACH BEI IMMENSTADT
STEINICKEN & LOHR (MCXCHEX)
Dl« christliche Kunst. V. 7.
C2^ ORATORIUM BEI Sta. MARIA IN VALLICF.LLA ?^23
zu: l'invidia, fratel niio, sc stessa laccra; mit
eigentümlich verhaltener Empfindung spricht
er aus: wenn der Architekt immer nur Kopist
sein dürfte, hätte ganz sicher er ein anderes
Handwerk sich gesucht. — Im Lauf der Schil-
derung kommt er zu den auffallenden Balu-
stern an der Loge der Kardinäle im Ora-
torium; er hat sie gegen alle Regel nicht rund,
sondern dreieckig gestaltet, weil sie so, richtig
gegen einander gestellt, für den Blick von
unten eine geschlossene Wand bil-
deten und dem oben Sitzenden doch
gestatteten, zwischen durch hinunter
zu sehen. Eine solche Neubildung,
meint er, könne nur verurteilen, wer
nicht weiß, was in der Architektur
erfinden heißt.
Sehr oft weist der Bericht auf
die technischen Erfolge hin, auf die
nie sich genugtuende Vorsicht und
die glücklichen Neuerungen hierin.
Da mußte Boromino zwei große Säle,
das Oratorium und die Bibliothek
aut einander stellen, von denen der
obere noch dazu ganz frei, ohne
Widerlager an der Langseite, aut-
ragte. Um das Gewölbe des unte-
ren auf alle Fälle sicher zu stellen,
gab er den Mauern von unten auf
eine außergewöhnliche Stärke und
baute in die Ecken , als eine Art
Streben, Querpfeiler ein ; er bezeich-
net drei antike Bauten, an denen
er diesen Kunstgrift" beobachtet, wie
er auch sonst wiederholt ein auf-
merksamstes Studium der römischen
Ruinen verrät. Eine weitere Festi-
gung des Gewölbes erwartet er von
dem einen der Pfeiler an der un-
glücklichen Fassade. Er kann be-
friedigt konstatieren, daß in den
acht Jahren seit der Fertigstellung
dieses Traktes nicht der geringste
Ril.' sich gezeigt habe. — Sehr viel
tut er sich auf eine Neuerung im
Einwölben des obersten Stockwer-
kes in den übrigen Teilen des Hauses
zugute. Um hier die nötige Zim-
merhöhe zu gewinnen, ohne das
Dach über ein gewisses Maß heben
zu müssen, führte er die Wölbungs-
linie frei in den Dachraum hinauf;
die Mauer war so dick, daß die Decke
nur die Hälfte brauchte, um aufzu-
sitzen, auf die andere konnten die
Dachsparren noch aufliegen. Boro-
mino findet einen gewissen Reiz
darin, daß man beim Blick aus den
Fenstern draußen unmittelbar das Dach über
sich hat, während drinnen sich die Decke erst
viel höher schließt. Er hatte diesen Kunstgrifl"
schon im Palast der Falconieri erprobt und
empfahl ihn später auch dem Papst Innozenz X.
für einen großen Saal in seinem Palast (an
piazza Navona.?), dem man schon eine flache
Decke hatte geben wollen, weil die gewöhn-
liche Wölbung nicht anging.
Boromino verstand seine Aufgabe als Bau-
MONS: RANZ
211
MONSTRANZ FÜR DIE ST. PAULSKIRCHH IN MÜNCHI-.N VON
RUDOLF HARRACH. SILBERVFRGOLDET. DIE BEIDEN ELFEN-
BEINEXGEL MODELLIERT VON GEORG ALBERTSHOFER
ö^ ORATORIUM BEI Sta MARIA IN VALLICELLA S^e>
KL'liULl" HARKACll
MODELL /ü 1;INI:R MONSTRANZ
meister, wieder in durchaus modernem Sinn,
dahin, daß er nicht bloß für die Mauern,
sondern auch für die Ausstattung der Räume
verantwortHch sei. Er verschaffte sich aus
diesem Grunde eine genaue Kenntnis der
verschiedenen Hantierungen, die in jedem
einzehren vorzunehmen wären: bei der Ein-
richtung des »Oratoriums« denkt er z. B.
daran, daß es für den Prediger unangenehm
wäre, sich durch die Menge der Versammelten
durchdrängen zu müssen; errichtet ihm nicht
weit von der Kanzel ein Plätzchen her, an
das er unbemerkt gelangen und wo er un-
gestört den Stundenschlag abwarten kann. —
Er sorgt dafür, daß man in der Bibliothek
beim Benützen eines Buches von der oberen
Galerie nicht jedesmal in den Saal herunter-
steigen muß, sondern oben ein Tischchen
findet, und er gibt demselben seinen Platz
an einem Fenster, von dem der Blick auf die
grünen Hügel des Janikel fällt — ein feiner
Gedanke, durch den er die »hängenden Gärten«
der Höfe ergänzt: die vielbeschäftigten Patres
sollen mitten in der Stadt ein Stück freier
Natur haben ; in derselben Absicht hat er
von den Wohnzellen des obersten Stockwerkes,
aus welchen man über die Stadt weg in die
Landschaft sieht, aufs sorgfältigste den Cha-
rakter der Mansarde terngehalten; sie sollten
als die angenehmsten im Hause gelten. Das
Refektor mit allem Zubehör ist mit beson-
derem Bedacht eingerichtet. Die Küche muß
zugleich nahe am Saal sein, damit schnell
serviert werden kann, und fern von ihm, da-
mit ihr Geruch und Geräusch nicht belästige;
in diesem Sinn verlegt Boromino sie an den
[spitzen Winkel des Wirtschaftshofes und lührt
die Verbindung mit dem Saal so, daß die
Störungen durch die Wendung des Weges auf-
gehalten werden und die Diener doch mit wenig
Schritten hin und zurück kommen (s. Abb.
S. 1 87). Der Gast am Ehrentisch sieht bei offener
Türe in einen hell erleuchteten Raum mit einem
fließenden Wasser — der piazza d'arme nennt
ihn Boromino scherzweise, weil darin Teller,
Schüsseln, Weinflaschen, Obst usw. aufbe-
wahrt und hergerichtet werden. Den Diener,
der hier schaltet und dem der Römer in seiner
repräsentativen Art den Titel »refettoriere« gibt,
stellt sich der Architekt beim Spülen des Ge-
schirres vor und er disponiert ihm Marmor-
tische und Schränke so, daß sie ihm zur
Hand stehen. Zwischen diesem »Arsenale
und dem Speisesaal wird einer Forderung
Genüge geleistet, die wieder eine der Kon-
gregation eigentümliche Übung stellt. Man
kennt das Reinlichkeitsgetühl als einen cha-
rakteristischen Zug des hl. Philipp Neri, der
zur hl. Messe nicht einen Kelch gebrauchen
wollte, den schon ein anderer benützt ; er
machte seinen Söhnen peinlichste Reinlichkeit
zur Pflicht ; sie mußte in der Sakristei herr-
schen, was, wie unser Bericht anführt, all-
täglich viele auswärtige Priester ins Haus zog;
sie herrschte auch bei Tisch ; vor jeder Mahl-
zeit mußten die einzelnen eigens die Finger
waschen und dann eigenhändig die Serviette
mit dem Tischzeug dem angewiesenen Kästchen
entnehmen. Im Vorraum des Refektors, in den
die die Treppen Herabkommenden zunächst
treten, stellt Boromino alles, Wasser, Handtuch,
numeriertes Kästchen so bereit, daß das
©^ (ORATORIUM BEI Sfa MARIA IN VAI.I.ICF.LI.A J'^a
Geschäft ohne Stauung möglichst schnell sich
abwickelt. Er zeichnet selbst die zwei Brunnen
mit je vier Kränen und richtet es ein, daß
dafür beim Graben der Fundamente gefundene
Marmorstücke \'erwendung linden. — • Es sind
im Bericht noch mehr Einzelheiten beschrie-
ben, die Boromino als Raumkünstler; cha-
rakterisieren. Die Ausstattung des, wie schon
bemerkt, im Mai 1656 noch nicht fertigen
Westtraktes mit den vielen Zellen ist noch
nicht erwähnt. Aus Blatt 58 des Tafelwerkes
ersieht man, daß Boromino aucii da nicht
nachlässig wurde; er hat sich nicht mit einer
hotelmäßigen Aneinanderreihung identischer
Zimmer begnügt.
In den kunstgeschichtlichen Büchern wird
Boromino regelmäßig nur als der extravagante,
von Eifersucht gequälte Rivale Berninis geschil-
dert ; den Ausgangspunkt bildet gewöhnlich der
nurscheinbartragische Abschluß seines Lebens;
wie sich aus einem wiederholt veröft'entlichten
Gerichtsakt ergibt, hat er den unglücklichen
Selbstmordversuch in einer Krise seines Ner-
venleidens begangen. Es stimmt das her-
ALTARLELCHTER AUS POLIERTEM
.MESSING. VOK STEIKICKEN &• LOHR
gebrachte Klischee
nicht ohne weiteres
mit dem Bild üherein,
das unsere » Relation «
von seiner Arbeits-
weisegibt. Zum min-
desten ist es ein Pro-
blem, daß der Mann,
der während der Re-
gierunglnnozenz' X.
die Laterankirche
neu gestaltete, die
großen Bauten an
piazza Navona und
piazza di Spagna (St.
Agnese und Palast
der Propaganda) lei-
tete, die noch unter
Urban MII. begon-
nene Universitätskir-
che St. Eustachio
vollendete, im Jahre
1651 noch dazu we-
gen eines im Zorn
begangenen Tot-
schlages vor Gericht
sich zu verantworten
hatte — daß dieser
Mann die gleichen
zehn Jahre hindurch
mit einer wohl bei-
spiellosen Folgerich-
tigkeit und mit in-
nigster Anteilnahme
den Oratorianern einen Schauplatz ihrer Exi-
stenz errichtete, als hätte er immer mit ihnen
gelebt. Daß er mit ganzer Seele bei der Ar-
beit war, daiür mag man seine oft wieder-
kehrende V'ersicherung als Beweis nehmen,
daß ihm die göttliche Vorsehung jeweils den
erlösenden Gedanken eingegeben habe, daß
besonders der hl. Philipp Neri beim ganzen
Bau .ihn innerlich geleitet. Auch der Be-
richt'selbst als literarisches Dokument spie-
gelt am allerwenigsten ein zerrüttetes Seelen-
leben wider. Obwohl offenbar alles auf die
Wirkung auf den Papst hin angeordnet ist,
kommt nirgends eine unschöne Gesinnung
zum Vorschein; die gelegentliche Befriedigung
über sich selbst — Selbstlob kann man nir-
gends sagen — ist durchaus naiv; eine Be-
schönigung gegen besseres Wissen kann ich
an keiner Stelle bemerken; die wiederholte
Erwähnung von Laienbrüdern der Kongre-
gation, die Einzelheiten der Ausstattung ge-
arbeitet haben, berührt angenehm wie ein
Akt freundlichen Wohlwollens gegen die Be-
scheidenen. — Mit einer an klassische Schrift-
LEUCHTER i- L R DIE OSTER.
KERZE. ENTWURF B. WENIG
AUSFCHRUKG : STEINICKEN
& LOHR
214
52^ STUTTGARTER KUNSTBERICHT »^33
KASULA (VORDERSEITE) VON' BERNHARD WENIG
Vgl. AM'. S. 2rj
werke gemahnenden Klarluit und mühelosen
Selbstverständhclikeit werden die oft reclit
verwickehen Verhältnisse und die Genesis der
Lösungen ausgebreitet ; eine Unzahl von Details
wird aus lebendigster Anschauung heraus mit-
geteilt.
Das Gebäude, das Boromino so in jahre-
langer Arbeit dem Institute angeschaflen hat,
ist von der gegenwartigen italienischen Regie-
rung seinem Zweck entzogen worden. Es
läßt sich vermuten, daß man hier eine ähn-
liche Erfahrung macht wie beim ebenfalls ent-
eigneten CoUegio Romano der Jesuiten, das
man zu nichts recht gebrauchen kann und gern
wieder los hätte. Das ist eben der Fluch,
der dieser Sünde an der Architektur, der
Zweckentlremdung, naturgemäß lolgt.
STUTTGARTER KUNSTBERICHT
Vom Württembeigi sehen Kun st vere i ii. Cail
vonHäbcrlin. Friedrich Keller im Stuttgarter
Galerie verein. Stuttgarter Künstlerbund.
Schwäbische Maler. Erich Ivrl er-S am a de n.
Die Münchner »48«. Münchner, Berliner,
Dresdner, Wiener und andere Maler. Plastiker.
Von ERNST STÖCKHARDT
r)er Württembergische Kunstverein stellt sich
begreiflicherweise in erster Linie den einheimischen
Künstlern zur Verfügung, manches junge, aufstrebende
T.dent verdankt ihm sein Emporkonimen, und es ist in-
lülgedessen nirgends ein besserer Überblick über deren
Leistungen zu gewinnen, wie in jenen sachkundig ge-
leiteten Räumen. Dort aber bot sich mir jüngst ein über-
raschendes Bild
So weit ich zurückdenke, so viele Gemäldesammlungen
ich besichtigt habe, noch niemals sah ich ein solch »aus-
verkauftes Haus«, wie gelegentlich der Ausstellung von
Gemälden und Skizzen unseres Nestors Carl von Häber-
lin- Stuttgart. Alle seine kleineren Arbeiten trugenden
Vermerk »Verkauft« — eine geradezu phänomenale Er-
scheinung , vollends in jetziger geldarmer Zeit, wo bei
den, ich möchte sagen: berüchtigten (weil die Künstler-
schaft schwer schädigenden sogenannten) Kunstauktionen
oft kaum der Rahmen bezahlt wird. Mancher jüngere
Maler aber wird nicht ohne Neid den Riesenerfolg des
18^2 geborenen Meisters beobachtet haben. Es wäre
aber em großer Irrtum, ihn lediglich als Ausfluß des
Lokalpatriotismus aufzufassen. Die Häberlinsche Kollek-
tion zeigte in hochinteressanter Weise den Werdegang
des Künstlers von der Studienzeit in München bis in
die letzten Monate. Ihren Mittelpunkt bildete das große,
jetzt freilich nicht mehr zeitgemäße Galeriebild »Christen-
verfolgung«, in der Komposition deutlich an die Münch-
ner Schule zu Pilotys und Lindenschniilts Zeit erinnernd,
vorzüglicli gezeichnet, im Kolorit etwas matt, wie es
damals eben beliebt war, bis auf die kräftig und effekt-
voll hervortretende Mittelgruppe des gesteinigten greisen
.\lartvrers und seiner schönen Tochter — trotz der ver-
änderten Geschmacksrichtung ein Werk von hohem, künst-
lerischem Wert, welches immerdar eine Zierde des Braith-
Museums in Biberach bilden wird. Ebenlalls überaus
fein in der Zeichnung und dem an niederländische Vor-
bilder erinnernden Kolorit ist das kleine Bild »Ein Hu-
manist«, während das große Gemälde »Gewissen« der
späteren Freilicht-Periode angehört : Ein von den Furien
Verfolgter hat sich in eine Höhle geflüchtet, um hier
seinem Leben ein Ende zu machen, jene aber drängen
aus dem hellen Tageslicht nach — ein packender Vor-
wurf! Sichere, wie immer exakte Zeichnung, efl'ektvolle
Farbenkontraste bringen diese naturalistisch durchgeführte
Komposition zu höchster Wirkung. Von Theatralik und
Atelierlicht ist hier schon nichts mehr zu spüren, und
dieser Richtung blieb der Meister treu, wie sein großes
Familienbild »Im Garten« aus dem Jahre igo8 deutlich
zeigt, welches zugleich die ungeschwächte Künstlerkraft
der 76jährigen Meisters erkennen läßt: Ganz sonnig,
ohne raflinierte Refle.xe gemalt, sitzen die lebensgroßen
Figuren in anmutiger Gruppierung und Ungezwungen-
heil um den Tisch im Grünen.
Bevor ich zu unseren jüngeren Künstlern übergehe,
möchte ich hier der umfangreichen Kollektion von Ge-
m.üden, Skizzen und Studien gedenken, welche unter
der dankenswerten Ägide des Stuttgarter Galerie-
vereins fiist gleichzeitig mit der Häberlinschen im Mu-
seum der bildenden Künste zur Ausstellung gelangte,
unseres 1840 zu Neckarwailiingen geborenen Professors
Friedrich Kel le r- Stuttgart, dem Nachfolger Häber-
lins als Leiter der technischen Malklasse an der Kunst-
akademie. Wohl waren von nah und fern Werke von
ilim zusanmiengetragen, um ein ungefähres Bild seines
Lebenswerkes zu bieten, aber es fehlten doch gerade
jene großen dekorativen Arbeiten , die Keller für den
l)rachenfels a. Rh., für das Justizgebäude in Ulm , für
diverse Kirchen u. a. O. geliefert hat und des Meisters
bedeutendste Werke darstellen. An deren Stelle traten
wenigstens mehrere flott hingeworfene skizzierte Ent-
würfe, welche die Sammlung wirkungsvoll ergänzten.
Hierbei zeigte sich evident, daß die großzügige dekorative
Kunst Kellers ihren grundlegenden Ursprung in der
Dekorationsmalerwerkstatt hat, wo er seine Laufbahn be-
gann und sein Talent entdeckte. Dies führte ihn nach
SJ^ STUTTGARTER KUNSTBERICHT J^<a
215
München und wurde von ihm in uner-
müdlichem Studium unter W'ilhehii Lin-
denschmitts Anleitung, durch Piloty, Ma-
k.irt und andere Größen der damaligen
Münchner Künstlerwelt heeinlUißt, zur
nachmaligen Bedeutungweiter entwickelt,
ohne von der damals beliebten Anek-
dotenmalerei merklich angeregt zu wer-
den. Derartiges fand sich in der hiesi-
gen Ausstellung nicht vor. Unter seinen
iiier zusammengebrachten Gemälden rag-
ten die »Steinbrecher« (1879. Hamburger
Kunsthalle) am mächtigsten hervor, in
interessanter Weise ergänzt durch die
mit höchster Feinheit gemalten kleinen
Steinbruchstudien, wie überhaupt Kellers
Studien geradezu vorbildlich genannt wer-
den müssen. Deren enorme Zahl und
klassische Ausführung konnten der hiesi-
gen jüngsten Malergeneration so recht
deutlich zeigen, wie früher zeichnerisch
studiert wurde. Auch eine Anzahl reli-
giöser Bilder war ausgestellt, welche Kel-
ler bekanntlich mit Vorliebe malte. Seine
»Grablegung« (1884) ist schon längst im
Besitz der hiesigen Staatsgalerie, ihre Vor-
züge sind wohlbekannt. In zwei inter-
essanten Auffassungen war Christi Fuß-
salbung durch Magdalena vorhanden,
eine ältere von 1889 aus dem Besitz eines
Herrn Pfäfi'lin in Straßburg, ferner die
meines Erachtens jene weit überragende
jüngere von 1892 im Besitz des Hofrat
Schmitt hier. Aus allerneuester Zeit
stammt wohl das angefangene Gemälde
»Lots Flucht«. Auf dem beigefügten
skizzierten Entwurf treten die Gestalten
von Lot und seinen Töchtern schatten-
haft aus dem im Hintergrund brennen-
den Sodom hervor. Zwei erst in diesem
Jahre entstandene prächtige Freilichtskiz-
zen von Steinbrucharbeitern waren Glanz-
nummern der später zu besprechenden
Ausstellung des Stuttgarter Künstlerbun-
des, ein Beweis, wie frisch unser neun-
undsechzigjähriger Meister noch arbeitet.
Daneben wollte die gleichzeitig ausgestellte, ihrem
Umfang nach recht anspruchsvolle Kollektion des Balin-
ger Künstlerp.iares H. (laspar und Frau M. Gaspar-
Filser nicht befriedigen. Da ich jedes ehrliche Streben
gern anerkeime, will ich das 'Falent und den Fleiß die-
ses Ehepaares nicht unterschätzen, nur darf er nicht in
Flüchtigkeit ausarten. Auch das Großzügige in den Ar-
beiten der Frau Caspar Filser wurde schon gelegentlich
einer früheren Besprechung rühmend hervorgehoben.
Was uns hier vorgeführt wird, sind häßliche, mindestens
wenig schöne Gesichter und Gestalten, dabei ist die
Zeichnung oft laienhaft unkorrekt. »Melancholie» von
11. Caspar ist eine sitzende Frau in moderner Tracht,
die malerische X'orzüge nicht aufweist. Seine »Röme-
rin«, ein wenig bekleideter Halbakt, will sich wohl an
klassische Vorbilder anlehnen, aber das Inkarnat ist tot
und unwahr, das Ganze verfehlt. Besser gelang sein
»Giovannino«, ein nackter Bube süditalienischer Herkunft,
als Studie — nicht als Bild — lobenswert. Und das
Porträt einer jungen Dame zeigt wenigstens Ansätze zu
richtigem Sehen und eine gute Zusammenstellung der
Farben. Frau Caspar-Filser aber fängt an, manieriert zu
sein. Alle Achtung vor ihrem fast männlichen Talent,
von dem wir Großes erwarten dürfen, aber nur dann,
wenn die Künstlerin die ihr geläufige bodenständige
Heimat naturwahr und nicht allzu skizzenhaft wieder-
K.\SULA (RÜCKSEITE) VON BERNHARD WENIG, AUSGEFÜHRT IN DER PARA-
MENTENANSTALT FIRMA M. JORRES lÜR DIE KIRCHE IN SCHWABERING
gibt. Ihr großes Triptychon »Übsternte«, ihre .Herbst-
saat« — übrigens nicht unbedeutende Arbeiten — leiden
überdies an zu reichlicher Verwendung gelblichbrauner
Töne. Auch ihr »Vorfrühling« leidet unter dieser Ma-
nier. Die »Schnitterinnen« im Weizenfeld erscheinen
als ein schwächlicher Versuch nach Graf Kalckreuth;
aber welch anderen intensiven Sonnenglanz zeigt dessen
leichtbewegtes, reifes Kornfeld, z. B. »Im Sominer« !
U'eit glücklicher gelang der Künstlerin die duftige »Reife
Wiese« und die in ihrer Zartheit ein wenig an .Monet
anklingende »Maisonne«. Auch hier freilich fehlt die
Tiefe, und der Himmel ist zu blaß. Als in ihrer cha-
rakteristischen F'ärbung wohlgelungen ist dagegen die
Alblandschaft »Tauwetter« hervorzuheben.
>• Auch K a r 1 S c h i c k h a r d t - Stuttgart beschränkt sich
fast ausschließlich auf heimische .Motive, einfache Land-
schaften aus dem Neckartal und der Schwäbischen .Mb,
aber hier finden wir wirkliche Natur, in die nichts »hinein-
geheimnist« ist. Freilich dürfte mehr Licht und Sonne
in den meisten dieser zuletzt ausgestellten .Arbeiten sein,
die Luft dürfte leichter, der Himmel lichter sein. Als
gelungen ist sein ».Märzenschnee« hervorzuheben, ein
stimmungsvolles Landschaftsbild mit dem Blick auf die
fernen Berge der Alb. Die alte »Brücke hei Ditzen-
bach« im sonnigen maigrünen Wald mit hübscher Per-
spektive, desgleichen seine »Bäume am Wasser« zeich-
2l6
©^ STUTTGARTER KUNSTBERICHT ^ö
BRUDERSCHAFTSFAHNE VON BERNHARD WENIG, AUSGhliHKl >
FIRMA M. JÖRRES FÜR DIE KIRCHE IN SCHWAHERING
nen sich durch Irisches, dufliges Kolorit erfreulich aus.
Sein >Somniertag« wurde auf der Ausstellung Mün-
chen 1908 mit Recht viel beachtet. Sein »Motiv bei
Niedernau« mit den herbstlichen Pappeln, sein > Früh-
ling« sind als besonders glücklich behandelt noch zu
erwähnen. Beachtenswerte Skizzen vervollständigten seine
KoUelftion. Ungeteiltere Anerl;ennung fand eine Reihe
von Gemälden, welche der von schwerer Krankheit ge-
nesene Otto Rei niger- Stuttgart, ein führendes Mit-
glied des Stuttgarter Künstlerbund es, nach län-
gerer Pause ausstellte. Nicht ohne Grund gilt Reiniger
als einer unserer bedeutendsten Maler. Wundervoll er-
g.inzen Feinheit und Reichtum des Kolorits in seinen
neuesten Gemälden den bekannten großen einheitlichen
Stil des Meisters. Namentlich sein »Motiv bei Ham-
burg« mit dem zarten Duft des Meeres, sein > Abend
am Kochers im goldigen Schimmer der untergehenden
Sonne, der von ihm mehrfach gemalte »Weiher am
Tachensee<, dann das weite, von einem Bächlein durch-
zogene Feld, von rotumsäumten Wetterwolken beschat-
tet, das alles dokumentiert den Meister im Fortschreiten
zu immer größerer Vollkommenheit. Auch Albert
Käppis -Stuttgart ist als tüchtiger Maler bekannt. Er
war mit gut charakterisierenden Motiven vom Adriatischen
Meer und der Ostsee bei Rügen und einem größeren
Gemälde» Fischer am Bodensee< würdig
vertreten. Hermann Drück-Neckarthail-
fingen begegneten wir schon oft in den
Sälen des Württembergischen Kunstvereins
und konnten ihm manches Lob zollen. Dies-
mal sandte er u. a. einige anspruchslose,
sicher gezeichnete und gut aquarellierte
Veduten aus Messina und Calabrien, von
aktuellem Interesse infolge der kürzlichen
Erdbebenkatastrophe. Sein »Somniertag«
zeigt dagegen ein Stückchen Heimat in
recht glücklicher Ausführung. Auch seine
Gattin, Frau Elise Drück -von Stock-
maj-er, zeigt ein hübsches Talent, nament-
lich ihr »Interieur« ist gelungen, während
ihre Motive vom Gardasee fast allzusüß
erscheinen. R. Thost-Stuttgart hatte ne-
ben mehreren Landschaften, von denen nur
»Mondschein« (Wald mit Wasserspiegel;
hervorgehoben werden kann, eine vorzüg-
lich gemalte große Pastellstudie »Spiegel-
bild« (Rückenansicht einer Dame in weißem
Kleid mit Porträtspiegelung) ausgestellt,
welche starkes Talent und feinen Geschmack
für dieses Fach verrät. C. Wahl er- Stutt-
gart behandelte in zwei Pendants »Mor-
gensonne« und »Abendsonne« das gleiche
Motiv, eine sonnenbeschienene, malerische
Dorf kirche,von denen namentlich dicAbend-
stimniung gelungen ist. EmilErich Rath-
Stuttgart brachte vortreffliche Porträts, be-
sonders gefiel dasjenige einer ergrauten
Dame im Profil mit lebhaftem, liebens-
würdigem Gesichtsausdruck. Auch das
Porträt eines Herrn S. auf dunklem Hin-
tergrund ist famos gemalt. — Eine kleine
Künstlervereinigung »Die Freunde«
brachte nicht viel Rühmenswertes. Das
beste Stück dieser Kollektion war das Por-
trät einer Matrone von J. Kurz-Stuttgart.
Von Eugen Hafner- Wickersdorf (Stutt-
garter) wäre ein gut studierter »Neuschnee«
im Wald und der duftige lichte »Frühnebel«
erwähnenswert, von Eugen Stamm-
bach-Stuttgart mögen einige Schneeland-
schaften, eine recht annehmbare »Garten-
laube« und der »Waldweg« mit hübschem
Baumschlag hervorgehoben sein, aber ihm gelingen
Luft und Himmel nicht, die sind geradezu bleiern
schwer. Günstiger wirkten in jeder Hinsicht die zwei
Pendants, welche dieser strebsame Künstler für die
nachfolgende .^ u s s t e 1 1 u n g des » S t u 1 1 g a r t e r K ü n s t-
lerbundes« reservierte: Seine »Tannen« sind dort
malerisch gruppiert und gut getönt, desgleichen seine
»Parkgruppe«. Einer der Fülirer dieser größten Ver-
einigung von Künstlern der Residenz, Carlos-Grethe-
Stuttgart, stellte wieder zwei »Crevettenfischer« aus, einen
auf einem Fuchs, einen auf einem Schimmel stumpf-
sinnig im Schritt der schwachen Brandung entgegen-
reitend, beide im Halbdunkel vor Morgengrauen. Sein
größeres Gemälde »Im Boot«, mit markigen, lebens-
großen Fischern bemannt, im Hintergrund nur eine grau-
weiße Fläche, erscheint übergroß.
Christian Lan de n b er ger- Stuttgart, auch ein
hervorragendes Mitglied der Vereinigung, hat Porträts
und Landschaften etc. ausgestellt, vielseitig, wie er ist.
Von ersteren gefiel das Porträt des 78 jährigen Malers
D. Bantel-Ebingen besonders, es ist markig und lebendig
in Zeichnung und Farbe. Auch ein anderes männliches
Kniestück, ein recht scliwärzlich angelegter und skizzen-
haft behandelter Kopf, ist brillant charakterisiert. Da-
gegen erscheinen in dem Bild »Am Gartenhaus« die
©^ STL'TTGARTF.R KUXSTBF.RICHT »^Ö
beiden lebensgrossen jungen Damen unkörperlich, llacli
und allzu skizzenhaft behandelt, eine Manier, die fast
allen vorher besprochenen Porträts mit Ausnahme der
von E. E. Rath gemalten, anhaftet. Die Farbe soll eben
heutzutage alles sein, Zeichnung Nebensache, ein Irrtum,
der sich späterhin schwer räclien dürfte, namentlich bei
grossem Format. Wie schön wirkte dagegen die kleine
ältere Skizze Landenbergers iSchnitter«. Hier stellte
der Künstler plastische Gestalten in lebhaftem Rhythmus
in ein wogendes Kornfeld. Weniger kräftig ist sein
iBoot auf dem Ammersee«, die Abendstimmung ist
doch wohl etwas zu süß. Immerhin ein Meister der
Farbe, auf den Stuttgart stolz sein darf. Einen schrofl'en
Gegensatz bildet der in früheren Berichten rühmend
erwähnte Amandus 1-aure- Stuttgart, der noch immer
mit Vorliebe dunkle Zirkusbildchen und groteske Szenen
aus der Boheme darstellt und auch jetzt wieder solche
brachte. Von ihm scheint der talentvolle junge Kom-
ponierschüler Molfenter tüchtig gelernt zu haben.
Beide zeigen den geschlossenen Vorhang eines Zirkus,
durch dessen Spalte intensives Licht in den dunklen
Vorraum fällt und auf Molfenters Bildchen ein paar flott
skizzierte Schimmel streift, während bei Faure Mitglieder
der Truppe herumlungern. Von Faure, dessen Talent
für Szenen ä la Goya bekannt ist, waren noch manche
famose Skizzen ausgestellt, so namentlich ein vorzüglich
komponiertes »Theatc-r in Paris«, zugleich übrigens ein
stimmungsvolles »Kircheninneres«. R. Pötzelberger-
Stuttgart stellte diesmal nur bescheiden aus. R. Pankok-
Stuttgart war nur durch eine »Mülile« im Wald mit
hübschem Wasserspiegel vertreten. E. Laiblin-Stutt-
gart krankt etwas an Farblosigkeit: Seine »Waldland-
schaft« ist in der Zeichnung recht gut, der Himmel
aber ist zu schwer. Diesen Mangel zeigt auch sein
>Venedig«, eine übrigens beaclitenswerte Arbeit. Ge-
fälliger in der Tönung ist die »Hafeneinfahrt« von
August Specht-Stuttgart. Seine Spezialität sind Motive
von der Wasserkante, Fischer und deren Behausungen,
Viehweiden auf der Düne u. dergl., die er mit Glück
und Geschick behandelt. Alfred Schmidt- Stuttgart
stellte einen ».\bend am See« aus. Die wundervolle
abendliche Färbung des Wassers, die Zeichnung ist
vortrefflich. Von diesem jungen Künstler war gleich-
zeitig das »Porträt einer jungen Dame«, Kniestück, vor-
handen, frappant ähnlich und flott hingestelh. Stricli-
Cha pell- Sersheim sandte wieder einige große Land-
schaften, meisterhaft behandelt in Komposition und
Kolorit. Erwin Starker-Stuttgart wirkt in seinen
kleinen Bildern besser, wie in großem Format. Sein
in Silberglanz liegender »Untersee«, die schäumenden
Wasser des »Rheinfall« u. a. von ihm ausgestellte Bilder
verdienen alles Lob. Fritz Lang-Stuttgart brachte
eine recht gelungene »Fränkische Landschaft« in fein
abgetönter grauer Regenstimmung. Auch sein kleiner
»Schloßplatz«, der prächtige »Papagei« mit tiefgrünem
Hintergrundgebüsch, die »Kühe auf der .Alb« sind
koloristisch fein behandelt. Ihm ist Farbe alles. Besser
zeichnete AI. Eck ener - Stuttgart seine in Tempera
gemalten »Pflügende Ochsen«, wogegen die Landschaft
zuviel rötlich-braune Töne zeigt.
Von Gesamtausstellungen nichtschwäbischer Maler
nahm die von Erich Erler-Samaden hervorragendes
Interesse in .\nspruch. Der Bruder des berühmteren
Fritz Erler-Münclicn von der »Scholle« zeigt sich da
als eine markante Künstlerpersönliclikeit, der man den
seif made man freilich ansieht. Wir wissen ja, daß er
keine Malschulc, keine .Vkademie besucht hat, und be-
wundern umsomehr den hohen Grad von Künstlertum,
den er aus sich selbst und aus seiner Umgebung ge-
schöpft hat. In der früheren winterlichen Einsamkeit
des Ober-Engadin hat er gleich dem größeren Segantini
eifrig in und an der Natur studiert, Luft und Gebirge
KASUI.A, NACH ABGABEN VON PROF. TH. SPIESS, F.NTWOK-
FEN VON F. GÄSSL. AUSGEFÜHRT IN DER STICKEREI-
.\NSTALT .M. AUER
hat er Sommer und Winter in jenen weltverlassenen
Höhen mit feinem Künstlerauge beobachtet, auch die
Bewohner und Gäste des Landes haben sein Skizzen-
bucli bereichert. .\ber während seine Landschaften
unter diesen wertvollen Einllüssen fast ohne .\usnahme
hervorragend schön und bedeutend ausfielen, wollen
ihm die menschlichen Körper oft nicht geraten. Den
klaren Hochgebirgston, die durchsichtige Luft, das matte
Grün der Wiesen in jenen Höhen trifft Erler vorzüglich.
So bewundern wir z. 13. an der »Hirtenpredigt« die
wunderbare Klarheit der Hochgebirgskettc im Hinter-
grund. Und hier ist auch die nur flüchtig skizzierte
Gruppe der Andächtigen im Vordergrund, gerade in
ihrer Kleinheit, vortrefflich gezeichnet. Sein ».-Kbcnd-
läuten « mit dem einsamen im Gebet stillhaltenden
Reiter charakterisiert vorzüglich die unbeschreibliche
Rulie der Hochgebirgseinsamkeit bei herbstlicher .Abend-
stimmung. Außerordentlich frisch wirkt die Schnee-
studie mit der streifenden gelben Katze. Die prächtige
landschaftliche Umrahmung wird aber stark beeinträch-
tigt, wo Erler riesengroße Figuren, die monumental
wirken sollen, hineinstellt. Ganz unverständlich freilich
ist die »Winzermaske« mit Eule und Kakadu und dem
geöffneten Käfig. Vorzüglich weiß er frischgefallenen
lockeren Schnee wiederzugeben, so aul dem Gemälde
»Heilige drei Könige« und »Winterstille« mit dem
äsenden Hirsch, hier freilich dürfte die .Mondnacht doch
gar zu blau geraten sein. Seinem wiederholten Aufent-
halt am Ammersee scheinen die blumenreichen Ge-
mälde »Sommersonne«, »Gatten am Walde«, »Garten
einer alten Dame«, >.\prilsonne« u. a. ihre I^ntstehung
Die christliche Kunst.
2l8
e?:^ STUTTGARTER KUNSTBF.RICHT m>S
VMUTl: \(,l^l;l tV VO\' ItUDOLF HARRACH
ZU verdanken, und auch in diesem Genre zeigt lirler
seine große Kunst. Ihm liommt freilich zugut, daß
eine so reichhaltige Kollektion ermöglicht, ihn im ganzen
zu beurteilen, nicht nach einzelnen Arbeiten.
Wenn ich jetzt als mindestens ebenso interessant,
freilich ganz anders geartet, die einige Wochen früher
ausgestellt gewesene Sammlung der »48« aus der Mün-
chener Künstlergenossenschaft erwähne, so ge-
schieht dies des Kontrastes wegen. Gibt es doch kaum
einen schärferen Kontrast als den zwischen jenem mo-
dernen Himmelsstürmer, der von keinerlei Schule ab-
hängig ist, und unseren längst liebgewonnenen, längst an-
erkannten und berühmte Namen tragenden
Münchnern. Und merkwürdig, obgleich diese
H. Lindenschniitt, Franz Defregger,
Alex, und Ferd. Wagner, Alois Erdtelt,
Ed. Grützner, G. v. Canal, Toby Rosen-
thal, Rob. Schleich, W. Kreling etc. von
unseren Jungen als veraltet längst abgetan sind,
wie imponierten und erfreuten sie mit den
meist noch unbekannten Arbeiten, welche sie
hierher gesandt hatten! Vielfacli hieß es: Ach,
wenn doch die jungen Maler auch noch so
malen könnten! Und die >- Asphaltmalerei« aus
der Mitte vorigen Jahrliuiiderts gefiel manchen
besser, wie die neuzeitliclien Farbenzerlegungs-
experimente. So erziehe diese .Ausstellung, die
einer n.ilieren Besprechung ja nicht bedarf, einen
unverhofften Erfolg, der im Zusammenhang
mit der Häberlin- und Keller-Ausstellung wohl
zu denken gibt. Unzweifelhal't hat das Ringen
unserer Generation, ihr Suchen nach neuen
Werten im Gebiet der Malkunst tatsächlich
viel Gutes gebracht, aber das Gute früherer
Perioden behält seine Ewigkeitswerte und darf
nicht geringschätzig betrachtet werden.
Auch F. M. Bre dt- Ruhpolding könnte zu
den Münchnern älterer Richtung zählen. Er
sandte eine Kollektion seiner bekannten glatt
und süß gemalten Haremsbilder mit ihren Vor-
zügen und Fehlern. Max Ed. Giese-München
exzellierte mit seinen großen Aquarellen >Pas-
sau<, dem duftigen »Vorfrühling« und dem
alten Stadttor zu >Lochhausen im Winter«, so-
wie Max Flash aar -München mit einem fein
komponierten Miniaturaquarell ■ Sachverstän-
dige <. Auch »Stilles Wasser< im Waldesdickicht
bei Mondenscliein von W.R. Bonge -München
zeichnete sich durch flotte Behandlung und
glückliches Kolorit aus. Rick off München
sandte ein vorzüglich charakteristisches Por-
trät des seligen »Papa Geis« und hübsche an-
spruchslose Genrebildchen, u. a. einen gelun-
genen »Geizhals«. Die weiß in weiß darge-
stellten Kinderportrats von H u m m e 1 - M ünchen
sind etwas sehr auf Etfekt gemalt. Einen tüch-
tigen Tiermaler lernten wir in H. Naumann-
München kennen. Eine Menge prächtig ge-
malter und famos cliarakterisierter Schnauzer
sandte Richard Streb el-Münclien. Von Ton-
stimmung freilich scheint er niclit viel zu hal-
ten, so auf dem Bild »Meine Frau und ihre
Hunde«, wo das rote Kleid hart gegen die
Lult stellt und das Gras zu aufdringlich wirkt,
'l'heodor Bohnen berger-München ist ein
leiner eigenartiger Porträtist, wie die »Dame
in hoUändisclier Tiacht« in dem vorzüglich
gemalten bräunhchen Velvet und der kleine
»Skiläufer« beweist. Bei den Münclmer Ve-
duten von Bössenroth -Dachau sind die Be-
leuchtungseffekte in warmen gelbroten Tönen
wohlgelungen.
Von norddeutschen Malern ist der gutgemalte Akt
einer jungen Blondine im Wald von J. Engel-Berlin
zu erwälinen. Das Porträt einer »Dame in Grün« von
Linde-Walther-Berlin zeichnet sich durch reizende
Farbenzusammenstellung aus. Martin Brandenburg-
Berlin sandte einen vornehm behandelten »Erlenwald«,
dagegen konnte »Loge« weniger befriedigen. Um so
beachtenswerter waren die »Gartenpartien« von Pottner-
Berlin in ihrer farbenteilenden Technik. Die dämmerige
»Flußlandschaft« von Kallmorgen-Berlin zeiclinet sich
durch schönes, weiches Kolorit aus. Die sich auf der
Düne sonnenden Kinder von Bischoff-Culm-Berlin,
©^ STUTTGARTER KUNSTBERICHT »€S3
219
wie auch die Blumen pllückenden Landmad-
chen, selir hübsche Arbeiten, wirlcen doch etwas
konventionell. KaiserEichberg- Steglitz hatte
eine größere Kollektion von Bildern und farbigen
Radierungen gesandt, erstere meist auf külile
grünblaue Töne gestimmt. Der »Reiser Tüm-
pel« ist als besonders gelungen hervorzuheben.
M. Fritz- Waren war mit einer stimmungsvollen
»Überscliwemmung im Spree wald« vorteilhaft
vertreten, namentlich entzückte der duftige Bir-
kenhain. Schnei der- D i dam- Düsseldorf inter-
essierte besonders durch das Porträt des früheren
hiesigen Hofschauspielers Schmidt-Häßler. Auf
Fritzeis -Kaiserswerth »Gegen Abend« stehen
die von der Sonne gestreiften Bäume prächtig
gegen die heiße Sonnenluft. Es ist ein hoch-
poetisches Bild.
Hine interessante Kollektion sandte Hans
Unger-Dresden. Dort und in Paris machte
er seine Studien, und so vereinigen sich in sei-
nen .\rbeiten die Vorzüge beider so grundver-
schiedenen Richtungen in glücklicher Weise,
jedenfalls hat er von ihnen viel gelernt und be-
sitzt feinen Farbensinn. Hegenbach-Dresden
erfreute durch zwei gelungene Bilder.
H. v. .-Vn gel i- Wien glänzte mit einem Porträt
seiner Frau. Bewundernswert ist die feine ele-
gante Auffassung, die prächtige Faktur, das Ge-
mälde läßt jedoch kalt. C. von Breuninger-
Wien war mit einem Kabinettstückchen in Aqua-
rell iVor dem Ausgang« (einer reizenden Bie-
derniaierin) vortrefi'lich vertreten. E U hl- Wien
steht ganz im Zeichen der alten flandrischen
Meister, auch ihre päte, die glatte porzellanene
Malweise hat er angenommen, übrigens in sol-
cher Vollkommenheit, daß man seine Freude
daran haben kann. Seine Landschaften sind
vorzüglich, namentlich die »Felspartie bei Jeri-
cho« und die biblisch behandelten »Felder mit
Schafen«. Bedeutender noch sind seine Innen-
räume eines belgischen Museums, hier erreicht
er eine beachtensw-erte Leuchtkraft auf dem Wege
der Farbenteilung.
Richer- B utler-Paris, ein feinsinnigerKünst-
1er, der längere Zeit in Überlingen am Boden-
see weilte, sandte eine größere Zahl interessan-
ter Arbeiten, so eine »Stürmische See« in feiner
Tönung und unter anderen offenbar Pariser Wer-
ken das Porträt einer »Dame in Schwarz«, wel-
ches sich durch vornehme und geistvolle Be-
handlung auszeichnet.
Die Plastik war wie immer auch in dieser
Berichtsperiode nur wenig vertreten. Eine der
reizendsten .\rbeiten war unstreitig der schalkhaft
dreinhlickende Knabe, welchen Schmutzcr-
Berlin Jungbrunnen« benannt hat. Ferner sah
man tüchtige Arbeiten von Schaer-Krause-
Zug, H. Baldin-Zürich, Otto Pilz- Dresden.
Erklärlicherweise überwiegen im Würiteni-
bergischen Kunstverein auch in der Plastik Stutt-
garter Künstler. Eine hervorragende Arbeit unter
diesen ist eine für eine hiesige Kirche bestimmte
lebensgroße Bronzestatue »Johannes« von dem
talentvollen und ideal veranlagten Emil Kiemlen-Stutt-
gatt. Würde und strenge Gesclilossenheit zeichnen
diesen Johannes aus, während der leider in kleinem
Format modellierte Johannes« von Daniel Stocker-
Stuttgart, in schreitender Bewegung entworfen, mehr
den Feuergeist des Propheten, übrigens in bedeutender
Art, versinnbildlicht. Ferner waren vertreten der viel-
seitige R. Pötzelberger-Stuttgart, Melchior von
Hugo, G. A. Bredow, Karl Donndorf jun. und
VORTRAGKREUZ VON RUDOLF HARRACH. MODELL ZUM KRUZIFIXUS
VON' BM-DHAUER KOPP. — AUSFCHRUNG IN SILBER: AX DEN KREUZ-
AKMES' BERGKRISTALL; AM KREUZ ELFENBEINEINLAGE; HALBEDEL-
STEINE
Thuma- Stuttgart, ein junges aufstrebendes Talent, letz-
terer mit einem »Heil. Martinas« zu Roß, einer vielver-
sprechenden Arbeit.
Am I. März wurde die Ausstellung des Württem-
bergischen Kunstvereins eröffnet, welche ganz im Zeichen
modernster Kunstrichtung steht. Das Ehepaar Bruno
May-Stuttgart und Frau Valerie .May-Hülsniann,
beide Schüler des Professor Hölzel-Stuttgart, zeigen
sich in einer großen Zahl farbenfroher Stilleben für
220 ©^ STUTTGARTER KUNSTBERICHT — BERLINER KUNSTBRIEF !^^&
VORTRAGKREUZ AUS OXYDIERTEM MESSING UND VERSIL-
BERT. ENTWURF VON BERNHARD WENIG, AUSFÜHRUNG
VON STEINICKEN & LOHR
dieses Genre gleicherweise heivorragend talentiert. Es
sind oft gewagte Farbenkontraste, die sie verwenden,
z. B. leuchtende hellgelbe >Margueriten« vor einem
grellgrünen Hintergrund, dann wieder inanche vorsichtig
zusammengetönte Farhenskala, wie die rosa Puppe mit
dunkelroten Rosen vor einem tiefdunkelroten Hinter-
grund, wie sie es überhaupt lieben, lichtere Töne aus
dunklem Hintergrund hervorleuchten zu lassen. So
verstehen sie, stets gewaltsam unser Auge auf ihre
Arbeiten hinzulenken durch z. T. direkt hierauf ab-
zielende Experimente. Weniger erfreuhch sind ihre in
Hodlerscher Art stilisierten figürlichen Arbeiten. Das
Porträt eines sitzenden jungen Mädchens von Frau
May-H. ist im Arrangement und seiner noblen grauen
Tönung gelungen, aber das Gesicht ist nicht ausgeführt
und ebenso skizzenhaft behandelt, wie »Die heil. Elisa-
beth als Kind«. Merkwürdig, was auf den Stilleben
an Farbe geradezu verschwendet wurde, haben beide
an den figürhchen Bildern üblerweise gespart.
G. Bechler-Maurach von der »Scholle« sandte eine
Reihe größerer interessanter Landschaltsbilder aus seiner
Hochgebirgsgegend, alle in der bekannten horizontalen,
rein auf dekorative Fernwirkung berechneten Flächen-
manier gemalt. Eine bedeutende Wirkung kann den
meisten von ihnen nicht abgesprochen werden, nament-
lich ist das Gemälde »Mein Fenster« mit dem Blick
auf das verschneite Gebirge vortrefflich zu nennen,
desgleichen das einzige nichtwinterliche Bild der Kol-
lektion »Maitag« mit dem sich erst vorsichtig hervor-
wagenden Grün der Berghalde und der klaren, noch
kalten Luft über den Bergspitzen, die fast so durch-
sichtig scharf behandelt ist, wie von Erich Erler. Violet
B. Wenner- Stuttgart zeigte sich als talentierte Porträt-
malerin. Auch Käthe Olshausen-Schönberger-
Berlin ist keine schlechte Malerin. Interesse beansprucht
auch die Büste des Bildhauers A. Brütt von Franziska
von Seeger.
BERLINER KUNSTBRIEF
Von Dr. Hans Schniidkunz (Berlin-Halensee)
r^er neuerUche Aufschwung der religiösen Kunst und
des Interesses für sie war bisher nicht gleichmäßig.
In Architektur und Malerei am lebhaftesten, in Plastik
und Kunstgewerbe schwächer, hat jener Aufschwung in
der künstlerischen Graphik, in der Griffelkunst, im Kunst-
druck, noch wenig geleistet und erst recht wenig Be-
achtung gefunden. Die technische Graphik, die mecha-
nische Reproduktion steht allerdings schon längst im
Dienste der Kirche. Die künstlerische jedoch hat ihren
Leistungen und ihrer tiefen Bedeutung, die sie zurzeit
Dürers besaß, seither wenig eigentlich Religiöses hinzu-
gefügt — oder man weiß es gewöhnlich nicht. Allmäh-
lich gelingt uns eine Rettung der christlichen Kunst des
19. Jahrhunderts; allein seit deren Beginn dauert es lange,
bis die Graphik schon überhaupt und gar erst imrehgiösen
Dienste wieder emporkommt. Die spärhche Zahl un-
serer graphischen Sammlungen erschwert dieses Empor-
kommen erst recht.
Ein Zurückgreifen jenes Interesses auf das 18. Jahr-
hundert und etwa noch weiter zurück steht erst bevor
und wird voraussichtlich bei den Malerstechern eigens
schwer zu tun haben. Scheint doch der auf ekstatische
Stimmungen gerichtete Geschmack des 17. Jahrhunderts
der Graphik wenig gefrommt zu haben! Trotzdem
dürfte sich ein solches Suchen lohnen, zumal da die
Grifl'elkunst oft intimer in die Weise der Zeit und des
Künstlers einführt, als die Gemälde. Schließlich haben
ja die meisten ausgedehnter arbeitenden Profankünstler
ab und zu religiöse Stofie behandelt.
Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts (in der
uns aus Berlin vornehmlicli G. F. Schmidt und C. B.
Rode angehen) sowie bis ins 19. hinein ist wohl auch
für uns der wichtigste Name der des Spaniers Goya.
Die nun wieder erweckte Neigung für ihn prägte sich
auch in Neuerwerbungen des Berliner Kupierstich-
kabi nettes aus. Als er 50 Jahre alt war, wurde die
Lithographie erfunden; wie er auch sie sich angeeignet
hat, zeigen uns dort einige seltene Stücke (>Der Mönch«,
iDer Überfall« usw.). Auch an den seinerzeit hoch,
jetzt niedriger geschätzten Nachfolger der Niederländer,
an C. W. E. Dietrich in Dresden, werden wir dort
erinnert, z. B. durch die Radierung der Geburt Christi
in Rembrandtscher Weise. Neuerwerbungen aus älterer
Zeit brachten besonders Deutsche, und Franzosen vom
Ende des 1 5. Jahrhunderts, natürlich mit v.'eit mehr Re-
ligiösem, als aus jener rationalistisch-weltlichen Zeit ;
C!^ BERLINER KUNSTRRIEF »«Sä
voran den vielseitig abhängigen Westfalen Israel von
M eckenem.
Das Berliner Kupferstichkabinet hat bei der Erwei-
terung des Berliner Museenkomplexes viel Raum und
unter der kurzen Direktion von M. Lehrs eine größere
Ausdehnung in die Gegenwart herein bekommen. Wech-
selnde Ausstellungen zeugen davon. Auch sie sind fast nur
wehlich; duftige Steindrucke des Pariser A. Belleroche
verdienen Hervorhebung. Doch findet sich z. B. von
dem Kopenhagener Carl Bloch (1854 — 1890), der
u. a. biblische Stofl'e und jüdisches Volksleben behan-
delte, eine gute Radierung von 1885 »Christus und der
ungläubige Thomas i.
In unserer Zeit (für die das Dresdener Kabinett durch
die frühere und jetzt fortgesetzte Direktion von Lehrs
eine besonders wichtige Stätte ist) haben religiöse Graphik
am ehesten Franzosen und auch Engländer gepflegt.
Ebenso wie auf den diesen beiden Nationen angehören-
den A. Legres (geb. 1857), haben wir in Berliner Be-
richten noch auf manche Neuere aufmerksam gemacht.
Jetzt stellte bei Keller & Reiner der Kopenhagener
Louis Moe Radierungen aus, zum Teil farbige. Sie
verbinden in anziehender Weise Stricharbeit mit Flächen-
arbeit; für letztere scheint Schabkunst zugezogen zu sein.
Erstere tritt speziell in den wenigen an Religiöses rühren-
den Stücken hervor. Sein im Buch der Schick-
sale studierender Teufel ist wohl schon be-
kannt; sein »Totentanz der Sünder« verdient
wegen seines gewaltigen Zuges eine beson-
dere Beachtung auch innerhalb der jetzt wie-
derum häufiger werdenden Totentänze.
Farbige Holzschnitte, von mehreren Plat-
ten (bis zu sechs) mit der Hand gedruckt, sahen
wir bei Schulte von Martha Wenzel; doch
kommen sie mit ihren Interieurs und dergl.
für Religiöses kaum stärker in Betracht, als die
auf Landschaften beschränkten Radierungen
von F.Hollenberg(bei Keller & Reiner), die
übrigens Zweig- und Blattwerk geschickt wie-
dergeben.
Im Kunstgewerbemuseum überraschte wäh-
rend des Oktobers eine »Sonderausstellung
von Arbeiten einer Gruppe englischer
Künstler« für Schrift, Druck und Schmuck
(vorher in Weimar). Seit Januar 1908 will zu
London eine Gesellschaft von Kalligraphen die
Druckkunst (»lettering«) fördern, nachdem seit
zehn Jahren eine Schule von Schreib- und
Illuminierkünstlern sowie Drucktechnikern die
alten band- und inschriftlichen Traditionen
wieder aufgenommen habe. Der »klassische
Charakter« der Schriftfornien soll erneuert
und das Manuscriptum als eines der schön-
sten Handwerke, die Inschrift als eines der
vornehmsten Ornamente betrachtet werden.
Uns interessieren besonders kalligrapliische
Einzelblätter, zum Teil haussegenartig in Rah-
men aufgehängt, weltlich (besonders für Poe-
sien), sowie religiös. Präsident E. Johns ton
schrieb z. B. einen liebliclien Bettscgen und
interessiert namentlich durch einen schlicliten
und individuell freien Schnitt seiner Buchsta-
ben. Künsteleien sind seltener als in bekann-
ten deutschen Versuchen, am ehesten noch
bei A. E. R. Gill, dessen mannigfaltige Grab-
schriften und (vom Leipziger Inselverlag auf-
genommene) Titelblätter und dergl. jedoch
wohl zu fruchtbarer Wirkung berufen sind.
G. He Witt schreibt u. a. ein Paternoster in
Gold auf Rot, sowie den Text der Bergpre-
digt, der geätzt und gedruckt herausgegeben
ist (im selben Verlag). Ein anderes Paterno-
ster, mit etwas bizarrer Initiale, und ein prächtig ge-
rändertes Blatt »Der Herr mein Hirte«, bringt P. Mor-
timer neben Miniaturen-Büchlein; die Damen L. M.
Harcourt und E. Zompolides schließen sich mit
Gebetblättern (»Salve rcgina« und dergl.) an. Über-
gehen wir zierliche Proben von Kleinillustration und
Randdekor, an beste Spätgotik erinnernd, so verdient
noch der Sekretär jener Gesellschaft, P.J.Smith, Er-
wähnung. Er hat in dem hier überhaupt eifrigen Verlage
B. T. B a t s f o r d zu London ein interessantes Alphabetbuch
herausgegeben und ein von dem bekannten J.j. (juth rie
entworfenes Büchlein der Seligkeiten ausgeführt. Gedruckt
ist es in der »Pear Tree Press«. Und nun stehen wir vor
dem nicht mehr neuen Reichtum der lingländer an künst-
lerischen Druckpressen. C. R i c k e 1 1 s und C. H. S h a n n o n,
uns bereits vertraut, besitzen die »Vale Press« und bringen
hier z. B. die Legende des hl. Julian (»L'Hospitalier«) und
Miltons Jugendgedichte. Die »Ashandene Press« druckt das
Hohe Lied in besonders reicher Handschrift und Miniatur
von zwei Künstlern ; die »Eragny Press«, im Besitze des be-
kannten Graphikers L.Pissarro (Bruder des Malers), zeigt
illustrierte, zum Teil alttestamentliche Poesien. T.J. Cob-
den-Sandersonist beteiligt an einer »Doves Press« und
einer »Doves Binderv«, die uns nun mit Buchbänden,
besonders von R. Philpott u.a., zu einer geschmacks-
ALTARKREUZ. KREÜZBALKEN AUS SCHWARZEM EBENHOLZ. CHRISTUS
ALTSILBER, DAS ÜBRIGE VERGOLDET. STEINICKEN & LOHR, MCNCHEN
e^^ BERLINER KUNSTBRIEF ms>
reichen Buchbindekunst führt. — Anna Simons, die
Vermittlerin der ganzen Ausstellung, entwirft neben
anderen Künstlern Ex libris und dergl., zeichnet histo-
rische Kelche in Gesamtansicht, Aufriß, Grundriß und
dergl. (bis zurück zu einem reichhaltig-schönen irischen
»Ardagh-Cup<, 9. oder 10. Jahrh.) und stellt eigenes
Kirchengerät aus, das überhaupt dort neuerdings Vorliebe
zu finden scheint. Solche Geräte und weltlichen Schmuck
sehen wir auch von P. Cooper und von dem uns bereits
bekannten H. Wilson, der u. a. ein größeres Silberkreuz
sowie einen Anhänger mit kleiner Engelfigur zeigt. Gegen-
über seiner kräftigeren Art ist der von E. P. Agnew
entworfene, auch Kreuzchen enthaltende Sclimuck mehr
eine weiche Farbenstimmung.
OPFERSTOCK, ENTWORFHN VON PROF. RICHARD BERNDI.
AUSGEFÜHRT VON SCHLOSSERMEISTER L. NIEDERMEYER
Der erfreulichste Eindruck, den diese Schrift- und
Schmuckschau hinterläßt, und ihre beste Lehre sind das
Zeugnis, das sie für eine Vereinbarkeit von Traditions-
treue und Eigensprache ablegt.
Eine »Ausstellung kirchlicher Kunst mit be-
sonderer Berücksichtigung der Fahnen- und Paranienten-
Stickerei, sowie der für kirchliche Zwecke geeigneten
Spitzen« plant der hiesige Verein Frauen-Erwerb. Unter
den beabsichtigten zwölf Gruppen soll eine für »graphische
Kunst, Kunstverlag« eintreten. Der letztere Zweig ist
wohl bereits dankbar zu behandeln; zumal den religiösen
Buchschmuck haben wir in der Öffentlichkeit noch kaum
kennen gelernt. Sodann kommt auch die gegenwärtige
Popularisierung des künstlerischen Steindruckes in Be-
tracht, wie sie z. B. für W. Steinhausen wirkt.
Wer in der Literatur oder in der Ausstellungspraxis
für religiöse Graphik eintritt, wird das künstlerische und
technische Detail keineswegs um des Inhaltes willen
ignorieren dürfen. Wir wollen auch erfahren, wie denn
die spezifisch graphischen Sprachweisen in den Dienst
des Inhaltes treten. Wir vermuten, daß manchen Dar-
stellungen je nach ihrem Zweck oder nach dem Cha-
rakter ihres Inhaltes eine schärfere Zeichnung, dagegen
anderen eine weichere, fl.ichigere, malerischere Weise,
niitluministischen Wnkungen, zugehört. Dort eher Hoch-
druck, hier eher Flachdruck; und vom Tiefdruck dort
eher der eigentliche Stich, hier eher die Radierung und
gar erst ihre malerischere Sippe.
Kurz: künstlerisch zu schaffen, was not tut, es sozial
zu verwerten und theoretisch zu erkennen, bleibt für
unser Thema überviel, selbst solange wir noch kein
Museum christlicher Kunst besitzen, das ja mit Graphik
ganz besonders zu tun haben müßte.
Eugene Burnand, geb. 1850 zu Moudon und jetzt
zu Bressonaz lebend (beides im Waadtland), Schüler
von J. L. Geröme, war erst durch Genre- und Tierbilder
bekannt. Später lernten ihn Freunde der christlichen
Kunst schätzen, zumal wegen seines strengen und kräftig-
menschlichen, stark männlichen Christustypus. »Christi
Gebet nach dem Abendmahl« zeigt den samt den Elfen
nach vorne tretenden und mit energischer Wendung gen
Himmel betenden Heiland. Jetzt bereiten die Pariser
Verleger Berger-Levrault et Cie. eine künstlerische Aus-
gabe der evangelischen Gleichnisse vor, nach 64 bis 84
Kompositionen Burnands (Zeichnungen mit Kohle und
Rötel). Die Pariser >Socicte nationale des beaux-arts«
stellte sie in ihrem Salon 1908 aus, und nun sehen wir
sie bei Scliulte.
Das Thema war bisher anscheinend nicht sonderlich
und eher auf protestantischer als auf katholischer Seite
beliebt, wie denn auch Burnands Bildergehalt auf seinen
Calvinismus weist. Doch kennt man ja das Künstler-
interesse für den guten Hirten, für den verlorenen Sohn,
für den barmherzigen Samariter, für die klugen und
törichten Jungfrauen. Der Reformationsmann G Pencz,
bei dem wie bei Burnand Madonnenbilder zu fehlen
scheinen, behandelte in Kupferstichen Gleichnisse wie das
vom reichen Manne. Der Venetianer Schiavone malte
in zwei Bildchen von epischem Breitformat die Parabel
vom ungerechten Haushaher und die vom Weinberge,
letztere mit Zusammendrangung der zeitlich verschie-
denen Erzählungsmomente. Burnand widmet ihr und
ebenso anderen Parabeln mehrere Darstellungen. Jedes
Blatt trägt französisch einen Titel und einen Text nach
genauem Bibelzitat, natürlich mit besonderer Verwertung
von Matth. 13 (die deutschen Übersetzungen sind ge-
radezu störend). Mehrere der Bilder zum Hochzeitsmalil
(Luk. 14 und Matth. 22) sind überarbeitete Skizzen zu
Gemälden; und eine von diesen geht über den Text
hinaus, indem sie die Ankleidung zum Mahle darstellt.
Am eindrucksvollsten erscheinen uns die Blätter von den
auf den Bräutigam Wartenden; namentlich die seelische
e^ BERLINER KUNSTBRIEF S»^a
Erscliütterung der einen einzeln
dargestellten törichten Jungfrau ist
überraschend. Doch auch andere
schon erwähnte Themen sind prä-
gekniftig durchgeführt, mit (cal-
vinistischer) Betonung des Ver-
dammenswerten, wie z. B. des
ungerechten Richters. Indessen
scheint ein Aufgabenzwang man-
ches entbehrliche, nicht so recht
aus dem Vollen gehende Stück
verschuldet zu haben.
Scheiden wir die religiöse Kunst
in eine mehr lehrhafte mit Vor-
wiegen des Zeichnerischen, und
in eine mehr stimniungshafte mit
Vorwiegen des Malerischen, so
gehört Burnand ebenso mehr dort-
hin, wie Uhde melir liierher. Mit
diesem hat aber jener in den jetzt
vorgeführten Werken eine mehr
humanistische als theistische Kunst-
religion gemein. Dies zeigt sich
ebenfalls in dem mit ausgestellten
Gemälde «La voie douloureuse<;
auch hier sind der Leidensausdruck
bei den Frauen und die erhabene
Strenge bei Cliristus von eindring-
licher Wirkung.
Gleichzeitig gibt es bei Schulte
eine umiängreiche, mehrfachem
Privatbesitz entnommene Kollektion Carl Spitz weg
(1808— 1885). Sie bestätigt das bekannte Urteil: köst-
lich im gegenständlichen Interesse an dem humoristi-
schen Inhalt; formenarm, zumal im Interieur; entzückend
in landschaftlichen, zumal Waldes- und Stadtwinkeln mit
engem Fernblick ; geschickt im Äußerlichen der reli-
giösen Idylle mit Einsiedlern, betenden Mädchen u. dgl.,
einschließlich der düsteren heiligen drei Könige. Ein
Selbstporträt von 1856 ist sympathisch.
Zu Spitzweg passen gut vier jüngere Stuttgarter Künstler
>Die Freunde«, namentlich Julius Kurz, dessen In-
terieurs mit Figuren allerdings die Oberilächlichkeit jenes
noch überbieten. Daneben Fritz Hafner, der durch
sehr lockere Malweise an den ihn anscheinend stützen-
den Steinhausen erinnert ; Georg Lebrecht, halb zeich-
nend, halb malend; Eugen Stammbach — all diese
vorwiegend landschaftlich. Auch die oberbayerischen
Landschaften des wenig bekannten Müncheners August
Seidel (1820 — 1904), meist aus seiner früheren Zeit,
fügen sich durch ihr l:;rinnern an K. Rottniann hier an.
Die behauptete Einwirkung I. Constables auf ihn ver-
dient wohl noch eine Prüfung.
Gerade entgegengesetzt führen uns die bereits aus
Secession bekannten meist grell sonnigen Gemälde des
Dresdeners Ü. Hettner (Sohn des Literarhistorikers);
das wohl beste, »Abend auf der Terrasse«, teilt mit son-
stiger Modernkunst eine Steifheit der Gesichter.
Neben dem schon bekannten Schnee-Schweden G.-A.
Fjaestad, der ebenfalls auch Kombinationen von Stift
und Pinsel in gut einheitlichen Landschaftsskizzen bringt,
dürfte der Engländer C. W. Bartlctt noch wenig be-
kannt sein. In einer Malweise länglicher Flocken zeigt
er Muttcrbilder, eine >.'\blaßpro2ession in der Bretagne«
u. dgl., sowie ein »Schmerz und Trost« ohne rechten
Zusammenschluß der tröstenden mit der schmerzvollen
Figur.
Ein »Wochen-Abreißkalender«, betitelt »Kunst und
Leben« (soeben in Berlin bei Fritz Heyder erscheinend),
wird uns hier durch eine Exposition der 45 Originale
seiner Zeichnungen vorgeführt. Moderne Vereinfachung
des Holzschnitts. Wir nennen Franz Heins »Weih-
OPFERSTOCK, ENTWORFEN VON PROF. RICH.\KD BEUXDI., .M. S(,
SliRMEISTER L. NIEDERMEYER
IKI VONSCHLOS-
nacht«, Hans Lindloffs totentanzartigen »Aschermitt-
woch«, Rudolf Schiestls »Im (jarten«, Willibald
Weingaertners gehaltvolle Vertreibung aus dem Para-
dies: J Schatten«.
Auch der vorangegangenen Ausstellungen bei Schulte
gedenken wir noch mit manchem Zuwachs an Kennt-
nissen. Weniger gilt dies von dem in typischer Mo-
dernität, doch interessant arbeitenden ungarischen Künstler-
verein »Keve« und von der niederländischen Gruppe
»Vie et lumiere« mit ihrem gesteigerten Licht-Im-
pressionismus, wie er sich am stärksten wohl in einer
verllimmernden Frühlingslandschaft von Alois de Lact,
dann auch bei Anna i3och und als Weiß- und Blau-
grün-.Studie in den »Kommunikantinnen« von Anna
de Weert ausspricht, während Ru dolph e deSaegh er
durch duftige Bachlandschaften erfreut. Mehr fessehen
uns: von Paul H ev u. a. Märchen Wandbilder für Schulen.
Ini Besitze von Meinhold & Söhne, Dresden ; von .Matth.
Schiestl neben einem »Haus im Jura« das .sinnvolle
»In Italien«; von dem i'von E. Zimmermann por-
trätierten) älteren Schweizer A. Stabil und von dem
jüngeren C. A. Brendel Landschaften — letzterer zeigt
den ausgebrannten Hamburger Michaelisturm und bringt
auch Radierungen ; von dem uns in der »Großen« wieder-
begegnenden Dresdner F. Dorsch ein »Kloster Man-
rath«; endlich von den schon früher erwähnten Münch-
ner »Achtundvierzigern« manches Religiöse, wie die dra-
matische und lichtkräftige > Kreuzabnahme G. Papperitz'
(farbige Reproduktion im 11. Jahrgang), sowie die etwas
pathetische jBibüa sacra« F. Kirchbachs und endlich
kräftig expressive .Mpenlandschaften C. Reisers, deren
lithographische Manier nicht wie sonst stört.
Ein corotartiger Duft findet sich in jüngsten Land-
schaften Ott. So z. B. in den feuchten (besonders Dünen-)
Landbildern von C. P. G r u p p e , der ebenfalls bei Schulte
ausstellt. Gehen wir von da hinüber zum Salon Wert-
heim, der in seinen zwei Ausstellungen von Juli bis
Oktober quantitativ nicht dürftig ist, so begegnet uns
wiederum .Ahnliches und zwar besonders, wenngleich
mit Übertreibung, bei dem Hamburger Aenderly
Möller. Wcichleuchtende Winterlandschaft u. dgl. bringt
224
©^ BERLINER KUNSTBRIEF J^«
der Münchner H. Frobenius. Kircheninterieurs zeigen
neben sonstigem Landschafihchen der Berhner A. Plitz-
ner und (etwas oberflachhch) der im allgemeinen durch
Interieurs hervorragende Miinchner C. L. Voß. Eine
Burglandschaft >Der Drachen« ist von dem Pariser
H. Vogel da (wahrscheinlich dem bekannten, geb. 1856).
Der bereits mehrmals hervorge-
hobene Londoner Ch. Shannon
porträtiert sich selbst, mit dem
Titel »The marble torso«. Auch
dem Brüsseler J. Fran(;ois und
dem Wiener K. Feiertag (»Bei
der Arbeit«) gebührt ein Blicl< ;
ebenso den Buntstiftzeichnungen
und Lithographien (besonders
»Stätte des Friedens«) des Berli-
ners H. Prentzcl.
Aus all diesem Landschaftsge-
webe u. dgl. hebt sich eine phan-
tasieliräftige Konzeption heraus,
von dem Münchner S. L a n d s i n-
ger, geb. 1855, bereits bekannt
durch Schule Böckün mit Figur-
landschaften und mit Graphik.
Sein Triptychon ^Die Kraniche
des Ibykus« teilt zwar wieder mit
der Moderne ein Zurückbleiben im
pliysiognomischen Ausdruck, ist
aber sonst eine Schöpfung im be-
sten Sinne des Wortes.
Auch im K ü n s 1 1 e r h a u s e mit
seinen LokalKünstlerrevuen oder
Lokalkünstler-Kevuen hebt sich aus
den vielerlei Landschaften wenig
Produktionskräftiges hervor. LIn-
ter jenen finden sich auch solche
des bekannten Schlachtenmalers
K. Röchling, wieder mit einem
Zuge nach dem Dufte Corots,
wie ihn auch der Hamburger F.
Schwinge (bei Keller & Reiner)
hat; tirolische von O. H. Engel-
hardt; Mond- und Sommernacht
von H. Licht; ein Frühling mit
Akten (der wenigstens keine Ta-
pete ist) von W. Müller-Schö-
nefeld; neben manchem, das
»gestellt« ist, die guten Stücke
»Sorgenvoll« und »Verwundet«
von dem auch durch Illustrationen
bekannten E. H enseler ; ein »F>-
Zähler« mit hübschem Stubenlicht
von R. Breßler; und eine »Non-
ne« mit einem gut angebrachten
harten Zuge von J, Fehling. Pla-
stiker kehren aus der »Großen«
wieder; so J. Pageis und mit
einer Bronze »Böses Gewissen«
F. Lepke.
An der stets neu ergreifenden
»Grablegung« A. Feuerbachs
bei Gurlitt vorbei kommen wir
zum Salon Keller & Reiner.
Dem Düsseldorfer Akademiedirek-
tor Peter Janssen (1844—1908) ist hier eine Sonder-
ausstellung, zumeist aus seinen letzten Jahren, gewidmet.
Sie interessiert nicht nur durch ihre Weisung des Weges
von dem Düsseldod' Bendemanns und Sohns und der
Genremaler zu dem Gebhardts, auf den besonders das
Bild »Kommet her zu mir . . .« von 1903 04 deutet,
sondern auch absolut. Die Aussprache der Physiognomie,
sowie die Kraft der Bewegungen steht hoch über mo-
VORTRAGLATERNE AUS OXYDIERTEM MES-
SING UND VERSILBERT. ENTWORFEN VON
BERNHARD WENIG, AUSFÜHRUNG VON
STEIINCKEN & LOHR
dernen Einbildungen, stört aber doch manchmal durch
eine allzugroße, mehr logische als ästhetische Deutlich-
keit, sowie durch trockene, kunstliche Modellarbeit.
Vieles ist Skizze; so die von 1903: »Es ist mehr
Freude über einen Sünder, der Buße tut . . .«. Auch
eine Bleistiftzeichnung von 1907: »Straßenszene aus Pa-
lermo«, hat religiöses Sujet. Von
der Ausmalung der Kemenate in
Schloß Burg (wohl 1906) sind viele
Studien da; unter ihnen die rüh-
rende Zeichnung von 1904 (Kohle
und Kreide): »Brautpaar in Burg«.
Aquarelle schließen sich an, wie
z.B. das von 1902; »Kranke auf
Schiebkarre«. (Näheres siehe H. 5,
Beilage S. 21.)
DER PIONIER
Jahresabonnement inkl. Frankozu-
stellung M. 5. — . Der Pionier er-
scheint seit 1. t)ktober vor. Jahres
im Format und in der Ausstattung
der vorliegenden Kunstzeitschrift
»Die christliche Kunst« und dürfte
auch den Abonnenten der letzteren
eine willkommene Beigabe im
Sinne einer Erweiterung derselben
sein. Sein Inhalt unterscheidet
sich vollständig von jenem der
»Christlichen Kunst« und beschäf-
tigt sich in praktischer Weise durch
kurze Artikel und geeignete Illu-
strationen mit Fragen der kirch-
lichen Kunst und des kirchUchen
Kunsthandwerks : Kircheneinrich-
tung, Paramentik und dergl. Inhalt
der bisher erschienenen sieben
Hefte: Zur Einführung. — Woher
derName Vesperbild? Von Dr. An-
dreas Schmid. — Seit wann sind
die Fenster verglast? Von Regie-
rungs- und Baurat Max Hasak. —
Zur Geschichte der liturgischen
Gewandung. Von S. Staudhamer.
— Zum Kapitel »Volkskunst«. Von
Friedrich Hacker. Reproduktions-
teclmiken. — Der Klerus als För-
derer christlicher Kunst. Von S.
Staudhamer. — Die Zinkographie.
— Die Kunst auf dem letzten
Katholikentag. — Altarleuchter.
Von A. Wenig. — Vereinsgabe
der Deutschen Gesellschaft für
christliche Kunst. — Die Bilder in
unseren Schulen. Von E. Guten-
sohn. — Reinigung metallener
Kirchengeräte. — Entwürfe auf
Vorrat? — Über Glockenzier. Von
A. Wenig. — Durchforschung der
Landkirchen auf ihre künstlerischen
und kunstgeschichtlichen Werte.
VonP.Bretschneider. — Was gehört
zu einem kirchlichen Kunstwerk?
Von S. Staudhamer. — Künstleri-
scher Buchschmuck im Mittelalter. Von Dr. Seb. Huber. —
Bewertung der Kunstwerke. Von S. Staudhamer. — An-
regungen und Mitteilungen. — Heft 7. — Über die heutige
Lage der christlichen Kunst. — Der Granatapfel, ein Sinn-
bild der göttliclien Liebe. Von P.H. Heimanns. — Christ-
licher W'andschmuck. Von Fr. Hacker. — Der Holzschnitt.
— Zur kirchlichen Denkmalkunde. — Anregungen und
Mitteilungen. — Zahlreiche Abbildungen.
Für die Redakii
S. Suudha
Drack von
(Promenadeplatz 3) ; Verlag de
Brnckmann A.-G. — S.iimliche
Jesellschaft für
München.
ciirislliclie Kunst, G. 1
MARIA
GEBET
VON PIETRO PERU6IN0
ail aus der „Anbetung des Jesuskindes", Galerie Pitti in Florenz)
MAXIMILIAN LIEBENWEIN
ANBETUNG DER HL. DREI KÖNIGE
MAXIMILIAN LIEBENWEIN
Von EDUARD HAAS
N licln als ob icli mir einbildete, Maximilian
^^ Lieben wein x entdecken < zu wollen,
oder gar stolz darauf wäre, ihn entdeckt zu
haben. Ein Künstler wie Liebenwein hat das
nicht nötig. Übrigens feierte der Mann kürz-
lich seinen 40. Geburtstag, er steht also so-
zusagen im schönsten Mannesalter. Da käme
ich wohl schon ein bißchen zu spät mit meinen
Ansprüchen auf das althergebrachte Linsen-
muß. Jeder von uns ist gewiß schon da oder
dort, sei es im Münchener Glaspalast bei
der Internationalen, in der Wiener Secessions-
oder in irgendeiner Provinzausstellung, beim
Lesen eines Buches oder eines Kalenders einem
Liebenwein begegnet. Der Name ALiximilian
Liebenwein hat in der Kunstwelt seit langem
einen guten Klang, man kennt die Schöp-
fungen des Künstlers und erfreut sich an den
reichen, reifen Gaben seiner Kunst; aber —
Hand aufs Herz — wer weiß wohl etwas
Näheres über den Künstler Maximilian Lieben-
wein zu berichten? Es geht einem hier wie
mit manchen alten Bekannten ; tagtäglich trifft
man sie, tährt mit ihnen aut der »Elektrischen«,
mit einem Wort, man kennt und grüßt sie,
man schätzt sie sogar; doch, weß' Art sie
sind, das konnte man noch nicht ergründen.
Ja, die guten alten Bekannten. Maximilian
Liebenwein gehört entschieden auch zu der
Gattung. Schon so oft war er mir in die
Quere gekommen, daß das Interesse, das ich
ihm und seiner Kunst entgegenbrachte, sich
nachgerade zur Neugierde auswuchs. Und
damit diese endlich oefriedigt werde, raffte
ich mich — es ist bereits ein paar Jahre her —
auf und schrieb schnurstracks an — Ma.ximilian
Lieben wein, akademischer Maler, Wohlgeboren
in Burghausen an der Salzach.
Die chrtitllche Kumt. V.
SJ^ MAXIMILIAN LIEBENWEIN »^-a
MAMMII lAN LIEBEWVEIX
ll'niufi',;,
HILFE I\ TODESNOT
:/,!,// Spnrl.-asstn^a.uiJe zn Linz
Es dauerte nicht lant;e, da kam ein Briet,
dessen Kopf eine von Liebenwein selbst ent-
worfene Vignette schmückte, darstellend den
hl. Georg, wie er hoch zu Roß mit gefalteten
Händen Gott dankt für die glückliche Über-
windung des greulichen Drachen. »Sie bitten
um einige Daten aus meinem Leben \ Dieser
Bitte ist leicht nachzukommen, da mein Lebens-
lauf nicht sehr komplizieit ist, wenigstens
äußerlich nicht.
»Ich bin in Wien am ii. April 1869 als
Sohn eines Kaufmanns geboren, besuchte die
Bürgerschule und das Gymnasium (zu den
Schotten), wo ich 1S87 absolvierte. Von
meiner L'amilie iür den ärztlichen Berul be-
stimmt, hatte ich als Gymnasiast manchen
Kampf zu bestehen, als ich mich der Kunst
zuwenden wollte. Ich setzte aber durch, d,tl.(
ich an die Akademie in Wien kam, wo ich
1887 bis 1891 unter Professor Julius Viktor
Berger die allgemeine Malerschule besuchte.
189'! bis 1892 diente ich als Einjähriger in
Wien und in Wiener-Neustadt bei einem
Reiterregimente. Im Herbste 1892 kam ich
in die Spezialschule Prof. Trenkwalds; es
herrschten aber so unleidliche Verhältnisse
damals in der Schule, daß ich einen schweren
Unfall meines Vaters als gute Gelegenheit
ergriff, um zu gehen. (Februar 1893.) Im
Januar 1894 hatte ich es endlich nach aber-
maligen schweren Kämpfen durchgesetzt, nach
Karlsruhe meinem Freunde Ferdmand Andri
folgen zu dürfen, wo ich an der großherzog-
lichen Kunstschule bei Professor Kaspar Ritter
eintrat. Ich vertauschte diesen Lehrer aber
bereits Neujahr 1895 mit meinem geliebten
AUS
MAXIMILIAN I.IEBEN'WHIN «««
»ST. JÖRG, 1£INE FROMME MAR.
228
ss:^ MAXIMILIAN LIEBENWEIN l^<S
i^mm-^
Lehrer und Meister Professor Heinrich Zügel,
dem ich den größten Teil meines Könnens
verdanke. Die Vorliebe für die Darstellung
des Tieres und vor allem die machtvolle Per-
sönlichkeit dieses Meisters war es, was mich
an seine Schule so sehr fesselte, daß ich mit
ihm, als er im Herbst 1895 "'^'-"'^ München
berufen wurde, nach München zog. Ich blieb
noch bis 1897 in der Schule, machte mich
dann selbständig und zog im Jahre 1899 nach
Burghausen a. d. Salzach, wo ich bisher lebe.
Seit 1901 bin ich verheiratet. Seit diesem
Jahre (1901) bin ich auch Mitglied der Wiener
Secession, seit 1904 Mitglied des »Deutschen
Künstlerbundes«, seit 1907 Mitglied der Luit-
poldgruppe in München. Meine wichtigsten
Werke sind: »Vier Legenden« (1899); > Der ge-
stiefelte Kater« (1900), Hamburg, Privatbesitz;
das »Märchen von der Gänsemagd« (1902);
»St. Jörg, eine fromme Mär« (1903 — 04),
im Besitze Sr. Exzellenz Graf Doubsky; »Ka-
lender«, 14 Zeichnungen, im Besitze der groß-
herzoglichen Kunstsammlung, »Albertina« in
Wien (1904); »Dornröschen« (1904—05) und
»König Drosselbart« (1905 — 06). So, jetzt
habe ich Ihnen beinahe mehr geschrieben, als
anständig ist. Im übrigen müssen Sie sich
Ihre Meinung über mich natürlich selbst bil-
den . . . <
Ob dieser letzte Absatz auch noch vor die
breite Öffentlichkeit gehört? Gar keine Frage,
natürlich. Es ist dies der nämliche, ehrliche
gerade Zug, den wir in Liebenweins Schrift,
kräftig und eindrucksvoll mit breiter Rund-
schriftfeder hingesetzt, wie in seinen Bildern
mit den starken Konturen wiederfinden.
Der Drang, künstlerisch zu gestalten, äußerte
sich bei Liebenwein schon in seiner frühesten
Jugend. Bereits im vierten Lebensjahre be-
klexte er täglich einen Bogen Papier mit den
Gebilden seiner ungezügelten Kinderphantasie,
mit Tigerjagden, Elefanten, Rittern, Zirkus-
pferden etc. Im Elternhause war jedoch für
den Jungen wenig Anregung zu holen. Der
Vater war ein trockener, gestrenger Zahlen-
mensch; das besagt alles. Dafür aber war
das Haus des mütterlichen Großvaters Maxi-
milian Liebenweins für ihn ein wahres Paradies.
Der Großvater war des Kaisers Leibkammer-
diener und kaiserlicher Jagdleiter, Forstmann
von Beruf, und diente seinem kaiserlichen
Herrn seit dessen viertem Lebensjahr. Seine
Wohnung war voll Jagdtrophäen und gute
Bilder und Kupferstiche von Gauermann,
Pausinger, Ridingerund andere herrliche Dinge
hingen an den Wänden. Außerdem war er
Entomologe, besaß große Sammlungen, die
dem Wissensdurstigen stets offen standen,
eine reiche Bibliothek wissenschaftlicher Werke
und war ein Kunstfreund. Künstler und Ge-
lehrte gingen bei ihm aus und ein. Der Groß-
vater besaß aber auch Kunstschätze: Gute
alte Möbel, chinesische Malereien und ein
Buch, in das Kupferstiche alter Meister ein-
geklebt waren. Über diesem Buche saß der
junge Max oft stundenlang, hielt sich die
Ohren zu, damit er nicht gestört werde, und
bestaunte sein Lieblingsbild, Albrecht Dürers
»Ritter, Tod und Teufel <. Fügen wir dem
noch bei, daß Liebenweins Höchstes im G3'm-
nasium die Naturgeschichte, das Sammeln
von Insekten, der Umgang mit Hunden, Pfer-
den und Katzen, oder gar mit wilden Tieren
war, so sind wir, wenigstens in großen Um-
rissen, der Quelle und dem Wesen der Lieben-
weinschen Kunst schon ziemlich nahe ge-
rückt und wir fangen auch an zu begreifen,
warum er zu Zügel kommen mußte. Seelen-
verwandtschaft.
Da spielt aber noch so ein kleines, un-
scheinbares Ereignis aus der Jugendzeit Maxi-
milian Liebenweins herein. Sein Lieblings-
dichter am Schottengymnasium war eine Zeit-
©^ MAXIMILIAN LIEBEN WEIN J^ö
229
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lang Scheffel und er ahmte ihn einmal in
einer Schularbeit aus Leibeskräften nach. Als
die Arbeit zurückkam, stand darunter: »Kaum
genügend!« »Scheffeln S' nicht so! Hätten
Sie weniger gescheffelt, so hätten Sie eine
bessere Note bekommen. Nachahmung frem-
der Art ist immer schimpflich, verfehlt und
unwürdig. Goethe sagt: das höchste Glück
ist die Persönlichkeit!« Diese Korrektur —
sie kam von seinem Lieblingslehrer, dem hoch-
gebildeten und hochgesinnten P. Hugo, den
er wie einen Vater verehrte — merkte sich
der Jüngling für sein ganzes Leben. Wer
weiß, ob wir nicht diesem »Zwischenfall«,
diesem simplen Schüleraufsatz gerade den
Liebenwein verdanken, den wir heute als
krattvolle, eigenartige künstlerische Persönlich-
keit so hoch schätzen. Sagt er doch selber
einmal: Von jener Korrektur gelten für mich
die Verse Liliencrons:
»Schwamm ich viele Jahre lang
Steuerlos im Leben,
Hat mir heut' der scharfe Gang
Wink und Ziel gegeben !<
In seinen Ölstudien, Skizzen und Zeich-
nungen, wie auch in seinen fertigen Arbeiten
verleugnet Liebenwein keineswegs seine Ab-
stammung. Jedoch — und das ist charakte-
ristisch für ihn — nicht wie zahllose andere
Zügelschüler wird er ein blinder Verehrer,
ein gedankenloser Kopierer seines Meisters;
o ja, auch er weiß die seltene markante Eigenart
des bedeutenden Impressionisten zu schätzen;
ihm aber dient, was er hier gelernt, wie dies
ja bei selbständigen Naturen, bei wirklichen,
begabten Künstlern immer so ist und auch
so sein soll, als solides, sicheres Fundament,
auf dem er sich seinen eioenen höchst per-
sönlichen Kunsttempel aufbaut. Liebenwein
geht einen, ja mehrere Schritte weiter wie
Zügel. Ihn interessieren nicht nurTierstudien,
sondern alle Gebiete der künstlerisciien Be-
tätigung. Über alles macht er sich her, Tier-
studien, Architektur-, Landschafts- und Figuren-
studien finden wir in seiner Mappe und sind
die Bilder noch so flüchtig iiingeworfen, so-
fort erkennen wir in Liebenwein den flotten
Zeichner, bei dem jeder Strich sitzt wie der
wohlgezielte Hieb eines Fechters. Aber auch
schon in den Skizzen blinzelt uns, zwar nur
verstohlen , der große Farbensymphoniker
Liebenwein schelmisch an.
!30
©^ MAXIMILIAN LIEBENWEIN mQ>
Und dann wollen wir uns zur rechten Zeit
daran erinnern, daß Liebenwein eigentlich
auch von Albrecht Dürer herkommt. Von
Zügel den sicheren Blick für das Charakteristi-
sche, die farbenfreudige Irische Impression,
von Dürer wieder die zeichnerischen Quali-
täten, die strengen scharten Konturen und
die Vorliebe für religiöse Bilder. Maximilian
Liebenwein gehört zu unsern Heiligenmalern,
wobei er von besonderer Art ist. Aber eben
das Besondere schätze ich an ihm so hoch,
weil es eine echt künstlerische Individualität
ist. »Das Rosen wunder der hl. Elisa-
beth« betitelt sich eines seiner Werke; jetzt in
der oberösterreichischen Landesgalerie zu Linz
(Abb. S. 231). Herbst ist's, ein buntes, feuriges,
farbenprächtiges Bild, der hügelansteigende
Laubwald dort ; wie die hochgegiebelten, mittel-
alterlichen Bauernhäuschen in der frisclien
Herbstsonne so freundlich leuchten, jawohl
leuchten, man liest ihnen förmlich das Be-
hagen an dem schönen Herbsttage aus den
kleinen Guckfensterin. Die Armen des Ortes
haben sich unter dem großen Maulbeerbaum
versammelt; denn auch ihnen wird hier gleich
den Vögeln des Himmels heute das Tischlein
gedeckt — von der hl. Elisabeth. Heilig?
Kann diese hoheitsvolle Gestalt in dem ein-
fachen schwarzen Gewände, mit dem edlen,
ernsten Profil etwas anderes sein als eine
Heilige.- Und wie sie jetzt, da der hohe Herr
Gemahl mit seinen Reisigen von der fröh-
lichen Jagd heimkehrend, vom schmucken
Rosse herab mit vorwurfsvoller Gebärde über
ihr Beginnen Aufschluß begehrt, wie sie vor
ihm steht, im dunkeln Schöße die blühen-
den Rosen — kein Wort kommt über ihre
Lippen; aber fühlen muß er's, der liebevolle
Gatte; was bin ich doch für ein erbärmlicher
Wicht einem solchen Weibe gegenüber. Und
wüßte man nichts von der Legende, hier in
diesem tarbensprühenden und doch so stren-
gen Bilde lernte man sie in ihrer ganzen
schlichten Erhabenheit kennen. Ein Gegen-
stück: >St. Isidor«. Draußen auf dem
Acker, wo er mit den schnaubenden Stieren
das rauhe Feld bebaut, hat er beim Feldkreuz
ein wenig Rast gemacht. Gebet und Arbeit
gehören zusammen, das weiß er, wenn er
auch nur ein armer Bauernknecht ist in
engen schwarzen Lederhosen. Unser Herrgott
scheint an dem frommen Isidor sein besonderes
Wohlgefallen zuhaben; während der so dem
Zöllner gleich im Evangelium im Gefühle
seiner Sündhaftigkeit seinen Blick beschämt
zu Boden schlägt, merkt er gar nicht, wie
mittlerweile der liehe Gott einen Engel auf
die Erde herniedergesandt hat, der nun mit
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MAXIMIMAX LlHBEWVlilX, XI' UJAIIRSK \ U
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LtogtstlUchafl — Text S, 330
«'S"» MAXIMILIAN LII-.BF.NWEIN' 'S"«®
ROSHXWUNDER DER HL. ELISABETH
©^ MAXIMILIAN LIEBENWEIN mß
des Isidors Pflug drauflospflügt, daß es eine
wahre Freude ist. Ist das ein Jubel für die
kleinen Engelchen, so etwas gibt es nicht
alle Tage, selbst im Himmel nicht, und da
kommen sie nun in Scharen herabgeflogen,
wie die Mücken in der Luft tanzend. Über-
mütig sind die Knirpse, einer setzt sich gar
dem ohnedies so hart arbeitenden Stier auf
den breiten Rücken und tut »Hota, hota,
Rößchen«. Na, warte nur du Schelm, was
wird da der liebe Gott sagen! — So malt
Liebenwein Heiligenbilder. Realistisch? Viel-
leicht, warum auch nicht? Er darf sich das
erlauben; er hat den nötigen sittlichen Ernst
und ein reiches reines Talent dazu und noch
etwas, und das ist die Hauptsache — den
unerläßlichen, gefestigten, warmherzigen Idea-
lismus.
Der Maler sinniger Heiligenbilder schafft
auch wundersame Märchenzyklen. Aber auch
hier wird Liebenwein nicht lediglich zum
Illustrator bereits bekannter Geschichten, unter
seiner Hand erstehen die alten Märchen zu
neuem lebendigem Leben, sie bekommen ein
ganz neues Gesicht, so daß wir sie mit Inter-
esse wieder miterleben, beinahe wie damals,
als wir noch den Märchentraum der Jugend
träumten. Die spezifischen Qualitäten Lieben-
weins : sein trefl"sicherer Blick für das Charakte-
ristische, die Fähigkeit, jede Idee auf die denk-
bar einfachste Formel zu bringen, sein aus-
geprägter Farbensinn und seine Vorliebe für
das Dekorative prädestinieren den Künstler
förmlich für größere, ins Monumentale gehende
Autgaben. Einen ihm gewordenen Auftrag
dieser Art, die künstlerische Ausschmückung
großer Wandflächen im Sitzungssaale des
städtischen Sparkassengebäudes in Linz a. D.
mit allegorischen Bildern, hat Liebenwein in
geradezu glänzender, mustergültiger Weise
erledigt. (Abb. S. 226.) Mit diesem seinem
jüngsten, vor kurzem erst vollendeten Werke
hat der Künstler seinen Namen in die Reihen
der Meistgenannten unserer Tage gerückt.
Wenn oben betont wurde, Liebenwein ver-
meide bei seinen Märchenzyklen das herkömm-
lich schablonenhaft Illustrative, so soll damit
nicht gesagt sein, daß der Künstler, der ja
im Gegensatze zu so vielen seiner zeitgenössi-
schen Kollegen ein hervorragender Zeichner
ist, nicht auch auf dem Gebiete der Illustra-
tion, wie überhaupt des Buchschmuckes mit
Erfolg tätig ist. Einige charakteristische Proben
dieses Zweiges der vielseitigen Kunst Lieben-
weins finden unsere Leser in diesen Blättern
(Abb. S. 229, 232 u. 23 3). Wer sich näher für diese
gediegene Kleinkunst interessiert, der verfolge
den »Neuen deutschen Kalender;-, den Maxi-
milian Liebenwein im Vereine mit dem Herrn
Kuraten Frank in Kaufbeuren schon seit et-
lichen Jahren herausgibt. Ein eigenes, um-
fangreiches Kapitel ließe sich über die ex libris-
Kunst Liebenweins schreiben ; denn auch hierin
ist er ein Meister (Abb. S. 228 u. 230).
MAXIMILIAN LIEBENWEIN, ERNTE UND ST. ISIDOR
^wei Zeicknungen des Titelblattes vott »Neuer deutsclur Kalendern — Text oben
S^ MAXIMILIAN' LIEBENWHIX i>^ö
Xach all dem kommen wir zu dem Schlüsse:
Maximilian Liebenwein ist nicht nur ein Künst-
ler von starker, seltener Eigenart, von packen-
der Phantasie mit einer verborgenen Ader still
beschaulicher, humordurchwebter Romantik,
ein Künstler von gut geschultem Formen- und
reichem, mit Geschick und Geschmack kontra-
stierenden Farbensinn, dem die unbeschränkte
Beherrschung der Technik, die Kenntnis aller
modernen Errungenschaften nicht Selbstzweck,
sondern nur Mittel zum Zweck sind — Lieben-
wein ist, und das wollen wir hier besonders
betonen, ein Heimatkünstler in des Wortes
schönster und edelster Bedeutung. Eines Be-
weises dessen bedarf es wohl nicht, wer seine
Bilder gesehen, insonderheit seine Märchen-
zvklen, der wird es fühlen. Dieser Zug im
Wesen Liebenweins ist es vor allem, der uns
diesen Künstler so sympathisch, so anheimelnd
macht.
LXe chilitllchc Kunst. V. 8.
234
'S'm DIE HOHKONIGSBURG J^a
DIE HOHKONIGSBURG
Hiezu das Einschaltblatt
Der Stielt um den äußeren Anblick der Hoh-
kc'inigsburg ist höchst lehrreich. Jeder,
der die Sachlage nicht kennt, muß annehmen,
daß die jetzige Burg eine Neuschöpfung ist
und die alte Burg ein Trümmerhauten war.
Warum könnte man denn sonst so völlig im
Zweifel darüber sein, wie die Veste eigent-
lich ausgesehen hat.'' — Es wird daher jeder-
mann erstaunt sein, zu hören, daß die Burg
bis an die Dächer aufrecht dagestanden hat
und der vielumstrittene Turm noch ein biß-
chen höher. — Uir^iöglich! — Und doch ist
dem so! — Der Beweis ist leicht zu führen.
Die Königliche Meßbildanstalt zu Berhn hat
die Hohkönigsburg im Jahre 1900 photo-
graphiert, ehe ein Stein angerührt worden ist.
153 Blatt, je 40 zu 39 cm groß, in der vor-
züglichen Ausführung, welche allen Photo-
graphien des Geheimen Rates Meydenbauer
eigentümlich ist, zeigen auf das genaueste den
Zustand der Burg vor Inangriflnahme der Wie-
derherstellungsarbeiten. Da ist auch das Innere
desoberstenTurmgemachesinHöhederDächer
über der Burg zu sehen, welches ebenso vier-
eckig ist, wie der ganze Turmstumpt darunter.
Das Kunststück, auf dieses nicht allzustarke
Mauerwerk einen runden Turm aufzusetzen,
wird jeder Baumeister gerne denen überlassen,
für die in allen Jahrhunderten der Spruch an-
geschrieben worden ist: »Wer tut bauen an
der Straßen, muß die Leute reden lassen. .
Natürlich hat auch weder der Baumeister des
14. Jahrhunderts noch der vom Ende des
15. Jahrhunderts dieses Kunststück gewagt.
Jeder Baumeister sieht, daß der obere Teil
des Turmes viereckig war und nicht rund.
So hat es auch Viollet-le-Duc, der berühmte
französische Baumeister und Gotiker, schon
im Jahre 1875 dargestellt und gedruckt, und
der elsässisch-französische Baumeister Böswil-
wald hatte seine vorher angefertigten Aut-
nahmen damals Viollet mit dem viereckigen
Turm zur Verfügung gestellt. — Dem Gotiker,
welcher seinen Viollet studierte, war die Hoh-
königsburg nichts Unbekanntes, im Gegenteil
recht vertraut, ehe die Stadt Schlettstadt noch
diese alte Veste dem Kaiser schenkte. Bilden
doch die Säle der Hohkönigsburg im 4. Bande
des vDictionnaire raisonne de l'architecture
hochgepriesene Beispiele des unvergleichlichen
Konstruktionsgeschickes der mittelalterlichen
Baumeister.') Man betrachtete mit Bedauern
die meisterhaften Zeichnungen, da der Ein-
sturz der ohne Dächer dastehenden Säle vor-
auszusehen war. Zur Wiederherstellung ge-
hörten reiche Mittel. Wer sollte sie hergeben.'
— Das hatte sich vermutlich auch die Eigen-
tümerin, die Stadt Schlettstadt, gesagt, als sie
die Burg dem Kaiser schenkte. Sie war an
die richtige Stelle gegangen. Ohne den Kaiser
wären sicherlich die oberen Säle nicht mehr
vorhanden ; denn schon die 30 Jahre seit Bös-
wilwald und Viollet hatten manches zum Ein-
sturz gebracht.
Wer die Kunstgeschichte daraufhin schreiben
wollte, welche Bauten vor 100 Jahren noch
aufrecht standen und was heute davon fast
spurlos vom Erdboden verschwunden ist ; wie
viel z. B. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen
der Kunst und der Menschheit an Baudenk-
mälern erhalten hat, dadurch, daß erden Bitten
und Vorschlägen seiner Ratgeber entsprechend
aus den damaligen geringen Mitteln eine ver-
fallende Kirche nach der anderen wiederher-
stellen und unter Dach und Fach bringen ließ,
der würde jeden Streit verstummen machen,
ob man Ruinen wiederherstellen müsse oder
nicht.
Doch noch einmal zu dem runden oder
viereckigen Turm. Nicht bloß im 4. Bande,
auch im 3. Bande beschäftigt sich Viollet-le-
Duc mit der Hohkönigsburg. 2) Daselbst bringt
er auch zwei Grundrisse der alten Veste. In
beiden ist der Turm viereckig und er schreibt
dazu: >La tour carree L est le donjon qui
domine lensemble des defenses, et parait ap-
partenir ä l'ancien chäteau.« (Der viereckige
Turm L ist der Donjon, welcher das Ganze
der Befestigungen beherrscht, und dem alten
Schlosse anzugehören scheint.)
Es kann also gar kein Zweifel darüber be-
stehen, daß der umstrittene Turm der Hoh-
königsburg viereckig war.
Wer die Holzschnitte und Kupferstiche jener
Zeit kennt, von Hartmann Schedels Chronik
angefangen bis zu den Städtebildern Merlans,
der weiß, daß sie auf Genauigkeit der Wieder-
gabe keinen Anspruch machen. Aus solchen
Bildern läßt sich auf die baulichen Einzel-
heiten nichts Sicheres schließen, selbst wenn
die Bezeichnung daruntersteht, was sie dar-
stellen sollen. Gegenüber dem heute noch
stehenden Bauwerk können sie überhaupt nichts
beweisen.
Unsere Abbildungen zeigen die Hohkönigs-
burg vor Inangriffnahme der Arbeiten, auf-
getragen von der Meßhildanstalt nach ihren
'} Viollet-le-Duc, Dictioiinaire raisonne Ue larchitec-
ture iVan^aise du Xl<^ au XVI= siöcle. Paris iS7>. Bd. 4,
S. 253 ff.
') Viollet-le-Duc, Dictionnaire raisonne du l'architec-
ture. Paris 1875. S. 171 ff.
O^ DIE AUGUSTIXERKIKCHH IN MÜNCHEN »SSÖ
235
Photographien, und den jetzigen Zustand nach
der Wiederherstellung.
Der Entwurf ist seinerzeit von der Akademie
des Bauwesens geprüft worden, die sich aus
Privatarchitekten und Baubeamten Nord- und
Süddeutschlands zusammensetzt, und diese hat
ihn als zutreffend und gut befunden. Alk-
erdenkliche Vorsicht hat also gewaltet, und
tatsächlich ist die Wiederherstellung durchaus
gelungen.
Man kann dem Kaiser nur dankbar sein,
daß er durch sein Eintreten für die Wieder-
herstellung der Burg eines unserer großen
Baudenkmäler vor dem Untergang gerettet
hat, und dem Baumeister gebührt gerechtes
Lob. Hasak, Regierungs- und Baurat a. D.
DIE EHEMALIGE
KLOSTERKIRCHE
AüGUSTINER-
IN MÜNCHEN
Von HUGO STEFFEN', Architekt
(Hierzu die .\bbildungen S.
bis 241.)
Trotzdem ihr nach langem Kampfe schon das
Todesurteil gesprochen wurde, steht sie
noch immer, die ehemalige Augustiner-Kloster-
kirche, zur Freude ihrer Getreuen, zum stillen
Verdrusse derjenigen, denen der alte Bau schon
längst ein Dorn im Auge, als harmonischer
Abschluß des herrlichen Stadtbildes am Ein-
gange der Neuhauser- in die Kautingerstraße.
Wird sie erhalten bleiben oder wird sie
wirklich fallen müssen, einem Neubau Platz
machend? Bald ist auch die letzte Frist herum,
welche die endgültige Entscheidung bringt;
die Resultate des zurzeit ausgeschriebenen
Wettbewerbes für Bebauung des sogenannten
Augustinerstockes — dessen Hauptfrontseite
die Kirche einnimmt — werden bestimmend
wirken, da es den Bewerbern daran freige-
stellt ist, das altehrwürdige ehemalige Gottes-
haus zu erhalten oder dem Neubaue des auf
dem Areale zu errichtenden Polizeigebäudes
zu opfern. Sollte letztere Idee zur Durch-
führung kommen, wäre es wirklich tief zu
bedauern, nicht nur der Kirche selbst wegen,
sondern auch wegen ihrer innigen Zugehörig-
keit zu dem eingangs erwähnten köstlichen
Straßenbilde Alt-ÄIünchens, welches durch den
Abbruch der Kirche vollständig zerstört würde,
denn etwas Besseres ist an ihre Stelle nicht
zu finden (Abb. S. 236 und 237).
Den Mittelpunkt dieser Hvmne der Bau-
kunst bildet St. Michael, jener hochgieblige,
reichgegliederte Renaissancekirchenbau, zu
linker Hand erstrecken sich die vornehmen
Fassaden des ehemaligen Jesuitenklosters —
jetzt Akademie der Wissenschaften — und
rechts bildet die Augustinerkirche, deren mittel-
alterlicher Chor vom Wahrzeichen Münchens,
den wuchtigen Frauentürmen überragt wird,
einen vollendeten Abschluß und harmonisches
Ausklingen. Mit welch' hervorragendem \'er-
ständnis und jener so oft zu bewundernden
Anpassung der Renaissancemeister an die Werke
ihrer Vorfahren brachte Friedrich Sustris seine
Michaelskirche in herrlichste Wechselwirkung
zu der nur eine Straßenbreite ent lernten Kloster-
kirche der Augustiner! Wie kühn und wohl-
bedacht stellte er den ruhigen Seitenflächen
der letzteren seinen hohen Prunkgiebel ent-
gegen und schuf uns dadurch das jetzt be-
drohte, weit über Bayerns Grenzen hinaus
bekannte, herrliche Straßenbüd.
Einsichtige Männer, Prof. Gabriel v. Seidl
an der Spitze, haben den Reiz des alten Baues
an sich und seine Unersetzlichkeit als Glied
SITLAIIONM'L.W UND CRLNDRISS DER AUCUSTINERKIRCHE IN' Mi M iits'
236
ö^ DIE AUGUSTINERKIRCHE IN MÜNCHEN m.(ä
CHOR DER AUGUSTIN'ERKIRCHE A\ DER NEUHAUSERSTRASSE UND BLICK AUF DIE
FRAUENKIRCHE (DOM)
des Gesamten wohl erkannt und sind für
dessen Erhaltung kräftig eingetreten. Das
Mauerwerk ist völlig intakt und noch imstande,
Jahrhunderte zu überdauern, weshalb also es
abbrechen? Das mindeste, was wir wünschen
müssen, ist, daß man nach dem Muster jener
Städte verfahre, die derartige ihrem Zweck
entfremdete, auch mitten im Zentrum gele-
gene Kirchen bei guter Restaurierung im Ge-
schosse teilten und irgend welchen nützlichen
Zwecken zuführten, wie z. B. Lübeck, das
seine mittelalterliche Katharinenkirche nach
erfolgter Teilung in zwei Stockwerke oben
zu Ausstellungen bezügl. Versammlungsräumen
und unten zu städtischen Verwaltungsbureaus
verwendete, wodurch allerdings der Innen-
raum aufgeteilt wurde, aber doch der alte
Bau selbst und seine Gesamtwirkung im Stadt-
bilde erhalten blieb. Ahnliches gilt von Jena
und Mücheln bei Wettin. Die Barfüßerkirche
zu Basel, die Pauluskirche zu Worms, die
Kirche der Nürnberger Burtj dienen jetzt zu
Museen und sogar im anmutigen Landsberg
a. Lech verfuhr man nach dem Muster größerer
Städte und schonte auf diese Weise ein nicht
mehr für Kultuszwecke erforderliches mittel-
alterliclies Kirchlein.
Warum soll München, die Stadt der Künst-
ler, die Zentrale des Heimatschutzes etc., etwas
von seinen unwiederbringlichen Schönheiten
opfern ? Steht dies nicht im größten Wider-
spruch? Immer seltener werden in Groß-
städten die abgeschlossenen Städtebilder, hin-
weggerafft durch Unverstand oder dringendste
neuzeitliche Bedürfnisse; auch die bayerische
Hauptstadt besaß deren in reicher Zahl, doch
was ist jetzt noch übrig? Ein dringendes Be-
dürfnis zum Abbruch der in Frage stehenden
Kirche ist nicht vorhanden, denn das Areal
der dahinterliegenden, weitläufigen Klosterge-
bäude bietet Raum genug .für die im Wettbe-
werb vorgeschriebenen Bedürfnisse des künfti-
gen Polizeigebäudes und für dessen eventuelle
spätere Erweiterung stehen außerdem die noch
RS&« DIE AUGUSTINERKIRCHE IN MÜNCHEN >«sa
257
ST. MICHAELSKIRCHE (LINKS), AUGUSTINERKIRCHE (RECHTS) UND HINTER LETZTERER DIE FRAUENTÜRME
im Privatbesitze befindlichen beiden Häuser
an der Ecke von Löwengrube und Augustiner-
stralk zur \'erfügung. Es gibt schon ander-
orts Beispiele genug, wo man manches alte
Stadtbild in der Meinung, dafür etwas »Bes-
seres« hinzusetzen oder zu gestalten, zer-
störte, um es darnach bitter zu bereuen. Ich
erinnere hier nur an die verunglückte Frei-
legung des Domes in Ulm, wo man sich
jetzt die Köpfe zerbricht, mit was für Mitteln
die alte Harmonie der früheren Umbauung
wieder zu erreichen sei. Hoffentlich ist man
in München beizeiten klüger und läßt die
Augustinerkirche nach wie vor bestehen. Voll-
ständig befriedigend für ein künstlerisch fein-
fühlendes Gemüt wäre freilich, wenn auch das
Kircheninnere als einheitliches Ganzes erhalten
bleiben könnte, ') doch dem stellen allseits
bedeutende wirtschaftliche Bedenken der kost-
") Vgl. S. 35 der Beilage, Heft 7.
baren Grundfläche wegen entgegen und eine
Verwendung für gottesdienstliche Zwecke ist
von keiner Seite in Aussicht genommen. Darum
soll man den Mittelweg einschlagen, die Kirche
als hervorragendes Glied des Straßenbildes er-
halten und das Innere, in zwei Geschosse ge-
teilt, nützlichen Zwecken zuführen, wie auch
der Wettbewerb trefflich bei eventueller Erhal-
tung der Kirciie vorschreibt, nämlich: die obere
Hälfte des geteilten Kirchenraumes mit seiner
herrlich stuckiertcn, gewölbten Decke als gro-
ßen Saal ohne Einbauten für Zwecke des V.'m-
wohneramtes zu erhalten und die untere Hälfte
zu Läden, natürlich nicht den jetzt üblichen,
auf Eisenstelzen ruhenden, rentabel auszu-
nützen, was wohl als Mittelweg die treffendste
Lösung bedeuten dürfte.
In dem jetzigen, verwahrlosten Zustande
freilich kann die Kirche nicht weiterbestehen !
Seit lahren schon sind die unteren Mauern
an ein PJakatinsiitut vermietet; das ganze
2^,S
em« DIE AUGUSTINERKIRCHH IN MÜNCHEN ^^ö
äußere Hauptgesims des Mittelschiffes entlang
ist ein hoher Verschlag aus rohen Brettern
angebracht, um ein weiteres Herabfallen der
alten, höchst malerisch wirkenden Dachziegel
auf die verkehrsreiche Straße zu verhindern.
Und das herrliche Innere, ist's nicht allein
schon der Erhaltung wert? Doch aufweiche
Profanierung blicken die feinen graziösen
Stukkaturen der Gewölbe, die herrliche Orgel-
empore jetzt herab! Da lagern hoch aufge-
stapelt Ballen und Fässer, Kisten und Säcke,
da wird geschoben und gekarrt; die unteren
Mauern sind zerstoßen, die Fensterscheiben
blind und zersprungen, denn seit der Säkularisa-
tion des Jahres 1803 dient die entweihte Kirche
zur Mauthalle (vgl. Abb. S. 239).
Sie ist ein elfjochiger, ehemals unverputzter
Backsteinbau, wie die meisten der mittelalter-
lichen Kirchen und öffentlichen Gebäude Mün-
chens, mußte aber im Laufe der [ahrhunderte
mancherlei Veränderungen über sich ergehen
lassen.
Es war zu Ende des 13. Jahrhunderts, als
Herzog Ludwig der Strenge die Augustiner-
mönche nach München berief und ihnen, die
hauptsächlich der Krankenpflege oblagen, an-
fangs am Heiliggeist-Spitale ein Unterkom-
men bereitete. Da der Orden in steter Tat-
kraft emporblühte, wies ihm der Herzog einen
Platz auf dem großen Haberfelde außerhalb
der Stadtmauern, unweit des sog. schönen
Turmes, zur Erbauung von Kirche und Klo-
ster an und 1294 wurden letztere nebst dem
Friedhofe durch Bischof Emicho von Frei-
sing zu Ehren der beiden heiligen Johan-
nes — für welche schon vorher auf dem
Platze ein Kapell-
chen stand —
feierlichst einge-
weiht.
An längs be-
stand die Kirche,
entweder gerin-
gen Raumbedüri-
nissesodertehlen-
derGeldmittel hal-
ber, nur aus dem
dreijochigen, in
seinem oberen
Teile (bis aut die
in rundbogige
verwandelten
Fenster und den
Kalkmörtelüber-
zug) heute noch
in ursprünglicher
Weise erhaltenen
Chor, der ein auf
DIE VliRUNST.'VLTETE STIRNSEITE DER AL'GUSTINERKIRCHE
AN DER ETTSTRASSE
fünf Seiten geschlossenes, von zwölf kräftigen
Strebepfeilern flankiertes Achteck bildet. Die
Pfeiler standen ohne die später hinzugekomme-
nen Anbauten bis zum Erdboden herab vollstän-
dig frei, wofür als sicherer Beweisim Dachboden
der letzteren die teils freiliegenden, teils ver-
mauerten Sandsteinkaflgesimse der unteren
Teile zeugen. Bei Erhaltung und Renovie-
rung der Kirche wäre es daher angebracht,
wenigstens am hinteren Teile des Chores die
Strebepfeiler, wie ehemals, wieder ganz frei-
zustellen.
Die Giebelseite war, wie bei solchen An-
lagen meist Übung, mit einem Dachreiter als
Glockentürmchen abgeschlossen der — laut
dem Sandtnerschen Stadtmodell von 1572 im
bayerischen Nationalmuseum, welches die
Kirche nach der zweiten Bauperiode zeigt —
beim Anbaue des Langhauses erhalten blieb
und von da ab den Dachfirst in der Mitte
schmückte. Daß übrigens das Modell nicht
trügt, bestätigen im Dachraum der Kirche
die Spuren der Spreizen des 1620 entfernten
Dachreiters.
Ganz abgesehen von den Zutaten aus der
Renaissancezeit ist es ja auf den ersten Blick
selbst für den Nichtfachmann erkenntlich, daß
Chor und Langhaus zwei ganz verschiedenen
Bauperioden angehören. Ersterer in seinen
charakteristischen, mittelalterlichen Formen
mit den kräftigen Strebepfeilern, letzteres ohne
diese, ein Werk späterer Zeit.
Für den Fachmann geben noch
die verschiedene Technik des
Mauerwerkes, vor allem aber der
charakteristische Absatz zwi-
schen Chor und
Langhaus, wel-
cher durch Unter-
brechung und
Höherlegung des
Hauptgesimses
bei letzterem mar-
kiert ist, sicheren
Beweis, daß an-
fangs nur der
Chor als selb-
ständige Kirche
bestand. Außer-
dem sind die Glie-
derungen des
Hauptgesimses
ganz verschiede-
ne, am Chor be-
. steht selbiges aus
zwei Platten und
einer Kehle, am
Langhause hin-
S-:^ Din AUGUSTINliRKlRCnii IX MCNCMCN
»€öa
259
gegen aus einer Platte und einer Kehle.
Ganz im Gegensatze zur jetzigen Zeit pfleg-
ten unsere Altvorderen jedem Anbau an
schon Bestehendes den Stempel iinx-r Zeit
aufzudrücicen, beziehungsweise den ange-
lugten Teil von dem schon vorhandenen
völlig auseinander zu halten, worauf eben
die unvergleichlich malerische Wirkung
ihrer Bauten fußt, während wir Modernen
ein sogenanntes einheitliches Zusammen-
stimmen und kaltlassendes Gleichmäßig-
machen bevorzugen und anwenden.
Wenige Monde vorEinweihung derKirche
warihr Gründer, Herzog Ludwig, gestorben,
doch sein jüngster Sohn gleichen Namens,
der spätere Deutsche Kaiser, schenkte zeit
seines Lebens den Augustinern und ihrem
Gotteshause große Sympathien und För-
derung, ja, es war sogar sein Wunsch, in
den Grüften der Kirche beigesetzt zu werden.
Um 1458 unterzog man das Gotteshaus
einer großen Erweiterung, indem man dem
Chor das achtjochige Langhaus mit niede-
ren Seitenschiffen vorbaute, wobei auch,
den spätgotischen Rippenprofilen der Ge-
wölbe nach zu urteilen, der Anbau am
Chor und Einbau der Sakristei erfolgte;
letztere befindet sich unter dem erhöhten
Mönchschore und ruht ihr Sterngewölbe
auf einem einzigen schlanken, von einer
Steinbank umgebenen Syenitpfeiler inmit-
ten des Raumes. (Abb. S. 240.)
Ob das Langhaus, da Strebepfeiler feh-
len, ehemals von einer geraden Balkendecke
überspannt wurde, ist nicht zu bestimmen;
ebensogut können es auch Gewölbe gewe-
sen sein, denn die sich nach unten in
mehrfachen Absätzen verstärkenden Mauern
wären kräftig genug, den Schub von Ge-
wölben auch ohne Strebepfeiler aufzuneh-
men. Gibt es doch mancherlei Beispiele
aus dem späten Mittelalter, wo die Gewölbe
stattlicher Kirchen ohne Hilfe von Streben,
nur durch kräftig verstärktes Mauerwerk
.aufgefangen wurden.
Durch meine langen Studien in der Kirche liehen großen Baumeister; man mußte sie für
angeregt, hätte ich gern den Namen des Bau- Monumentalbauten von auswärts heranziehen
meisters vom Langhause erfahren, doch alle und so ist es leiciu möglich, daß der Magistrat
Forschungen darnach in Archiven etc. waren auf Ganghofer durch die in Frage stehende
bis jetzt vergeblich. Es drängte sich mir näm- Erweiterung der Augustinerkirclie aufmerk-
lich die \'ermutung auf, daß vielleicht Jörg sam wurde und ihm dann den Bau des Domes
Ganghofer, welcher 1468 den Grundstein zur übertrug. Die Daten deuten in auffallender
Frauenkirche legte, auch die Erweiterung der Weise darauf hin und vielleiciu ist es mir
Augustinerkirche— die ursprünglich, wie schon noch möglich, eine urkundliciie Bestätigung
eingangs erwähnt, auch als unverputzter Back- darüber zu erlangen. —
steinbau mit Sandsteinverblendungen ausge- L'ntcr der Kirche befinden sicii ausgedehnte
führt war — übertragen wurde. In München Katakomben, die unter dem linken Seiten-
selbst gab es zu damaliger Zeit keine eigent- schiffe noch wohlerhalten, sich von dort aus
BLICK IN DEN CHOR DER AUGUSTIXERKIRCHE MIT DF.M SPATER
EN rFERNTi;N GEM.Xl.DE TINTORETTOS. Ttxt S. 238
240
f5^ DIE AUGUSTINERKIRCHli IN MÜNCHEN »^ö
BLICK IN Dil-: SAKRISIKI UNTUK DEM ClIOKH DER
AUGLTSTINERKIRCHE IX MÜKCIIEX. Text S. .'JQ
bis unter die Klostergebäude an der Ettstraße
hinziehen, wo sie verschüttet sind. Die oberen
Gewölbe unter der Kirche wurden 1803, bei
Übernahme durch den Staat, zur Gleichung
der Niveauverhältnisse eingeschlagen und mit
Urbau ausgefüllt. (Abb. S. 241.)
Wie überwältigend feierlich mögen wohl
hier die Beisetzungen gewirkt haben 1 Vorbei
an den in vierreihigen Nischen übereinander
stehenden Särgen der längst entschlafenen
Brüder führte der Zug unter dem gedämpften
Klang der Gebete bei Fackelscheine hinein
in die Gänge, wo für jeden der jetzt noch
rüstig Mitschreitenden ein Platz schon bereit
war. Memento mori! —
Im Jahre 1620 erfolgte eine vollständige
Umgestaltung der Kirche im Geschmacke der
Zeit, wobei äußerlich von der Architektur des
einfachen, mittelalterlichen Gotteshauses nur
der Chor mit seinen Strebepfeilern und im
Innern die Sakristei nebst den prächtigen
Gewölben der Choranbauten erhalten blieben.
Mittelschifl' und Chor überspannte man durch
ein von graziösen Stuckornamenten reichver-
ziertes Tonnengewölbe mit Stichkappen und
die Spitzbogenarkaden der Seitenschiffe wur-
den gleich sämtlichen Fenstern in rundbogige
umgewandelt, überhaupt das ganze Kirchen-
innere im Geschmacke der Zeit einheitlich
ausgestaltet, wie wir es heute noch vor uns
sehen (Abb. S. 239).
Aus der Periode dieses Umbaues stammt
auch die einst teilweise mit Malereien und
Stukkaturen geschmückt gewesene, großzü-
gige Giebelsilhouette und der Kalkmörtel-
überzug, mit dem man den natürlichen Back-
steinbau umkleidete. Der mittelalterliche Dach-
reiter inmitten des Firstes wurde entfernt und
dafür ein anderer von Holz an der Gratspitze
des Chores angebracht.
Die bayerischen Fürsten und viele Personen
von Stand und aus der wohlhabenden Bür-
gerschaft, welche sich auch Begräbnisse für
sich und ihre Familien in den Grüften der
Kirche sicherten, trugen ununterbrochen zur
Ausschmückung bei. So ließ ein Herr Sebastian
Füll von Windach den kostbaren Chorahar
errichten, den ein Kolossalgemälde von Tinto-
retto, die Kreuzigung Christi, 12 m hoch und
6 m breit, ein Werk von unschätzbarem Werte
schmückte. Auch die übrigen Altäre zeigten
kostbare Marmorarbeiten und Gemälde von
Peter Candid, Ulrich Loth, Andre Faisten-
berger, dem kaiserlichen Hofmaler Pallach u. a.
mehr. Die herrliche Orgel stiftete um 7000 fl.
die Churbayerische Landmannschaft.
Die Kunstkammer der Maler und Stein-
metzen wurde die Kirche seinerzeit wohl mit
Recht benannt; kostbare Reliquien, wunder-
tätige Gnadenbilder, verbunden mit großen
Ablässen zogen die Gläubigen in Scharen her-
bei und 1699 erlaubte Kurfürst Max Emanuel
dem damaligen Prior Johann Baptist Inninger
den Zubau eines > Mietstockes« zum Kloster
»weil ein solcher der Stadt ein Ansehen gebe«.
Es ist dies die an der Löwengrube gelegene,
von der Ett- bis zur Augustinerstraße sich hin-
ziehende Häuserfront, die, wie der Name be-
sagt, vom Kloster an Private vermietet wurde.
Die Ausdehnung des Klosters war eine
stattliche. Nach der Ettstraße zu wurde es
von einem kunstvoll gehaltenen Garten be-
grenzt, in dem eine kleine, an die Kirche
gelehnte Kapelle mit vorgelagertem Treppen-
lürmchen eingebaut war, welche, samt dem
hölzernen Dachreiter über dem Chore, kurz
nach der Säkularisation entfernt wurde. —
Im übrigen besitzt das alte Gotteshaus
auch eine gewisse historische Bedeutung, da
in der Nacht des 11. Oktober 1347 der Abt
des Klosters, Nikolaus de Luna, der Leiche
des mit dem Kirchenbanne belegten, plötzlich
aufderJagdbeiFürstenfeld-Bruckim 73. Lebens-
5^ DIE AUGUSTINF.RKIRCHIi IN MÜNCHl-N »«Sa
241
jähre verstorbenen Kaisers Ludwig des Bayern Sciiiosses über und mit anderen gesciiah es
an der Schwelle der Kirche die Beisetzung in ähnhcher Weise. Das Abschlußgitter be-
verweigerte. Da nun die wirkliche Ruhestätte ';->-•'• ■ • ■ - . . f^
des Kaisers unbekannt ist, entstand die Ver-
mutung, daß er doch in aller Stille, seinem
Wunsche gemäß, in den Augustinergrüften
bestattet wäre. Im Jahre 1877" nahm der Ge-
lehrte Faßl mit Genehmigung Koni» Ludwigs II
dortselbstAusgrahungen und Nachforschungen dene andere Reliquien an die Meiligen- Geist
vor, deren Resultate er in einer jetzt ver- kirche über
hndet sich im bayerischen Nationahnuseum
zu München und von den prachtvollen Mar-
moraltären, Epitaphien etc. wurde ein großer
Teil zerschlagen, verschleppt. Das allverehrte
)_Gnadenkindl« ging in den Bürgersaal, eine
Kirche in der Xeuhauserstraße, lind verschie-
griifenen Schrift »Die Grabstätte Ludwig des
Bayern« (in der Staatsbibliothek aufbewahrt)
niederlegte. Es wurde auch eine, den Por-
träten des verblichenen Kaisers frappant ähn-
liche, außergewöhnlich gut konservierte Leiche
gefunden, doch ein si'cheres Urteil darüber
ließ sich nicht feststellen. —
Nach der Säkularisation wurden die aus-
gedehnten Klostergebäude als Justizbureaus
verwendet, der Mietstock an Private verkauft
und die am i. Oktober 1803 für immer ge-
schlossene Kirche, nachdem sie all ihrer Schätze
beraubt, zur Mauthalle profaniert. Das wert-
volle Inventar unterstellte man größtenteils
dem Verkaufe; so kam die kostbare Orgel
in den Dom zu Speyer; das großartige Altar-
bild von Tintoretto'in die Kapelle des ehe-
maligen Lustschlosses Schleißheim bei Mün-
chen, wo es infolge der geringen Tiefe des
Raumes zu keiner Wirkung kommt, ja halb-
vergessen dem Verfall entgegenschlummert.
Weitere Gemälde von Rubens, Peter Candid etc.,
gingen in die Gemäldegalerie des gleichen
Ckn
OKABGEWÜLBE IN DER EHEMALIGEN AÜGÜSTINERKIRCHE
IN MÜNCHEN
Ein Jahrhundert ist nun schon über die
aufregende Epoche des Klöster- und Kirchen-
sturmes hinweggebraust. Jetzt ist das alte
Gotteshaus wieder von neuem hineingezogen
worden in den Kampf Hinwegzutragen ist
aus ihm nichts mehr, jetzt soll's ihm selbst
ans Leben gehen !
Doch immer noch hoffen jene, die die alte
Kirche schätzen und in richtiger Erkenntnis
ihres Wertes als historisch künstlerische Stätte
und Mittelpunkt des herrlichsten Altmün-
chener Straßenbildes für ihr Leben die Lanzen
brachen, bis zu letzter Stunde auf ihre Er-
haltung.
AUSSTELLUNGFÜRCHRISTLICHE
KUNST IN DÜSSELDORF 1909
Am 15. Mai wird die Ausstellung für christ-
■^ liehe Kunst in Düsseldorf im Städtischen
Ausstellungsgebäude eröflnet. Die Deutsche
Gesellschaft für christliche Kunst betei-
ligt sich an der Ausstellung als Gruppe,
soweit nicht manche ihrer Mitglieder —
z. B. die Düsseldorfer Künstler — sich
aus besonderen Gründen einer anderen
Gruppe anschlössen. Leider konnten der
Gesellschaft bloß drei Räume zur \'erfü-
gung gestellt werden, von denen nur
einer etwas größere Dimensionen besitzt.
So mußte denn auf eine ursprünglich ge-
plante Abteilung für kirchliche Architek-
tur, die ganz besonders interessant hätte
werden können, von vorneherein ganz
verzichtet werden. Aber auch die Betei-
ligung der Maler und Bildhauer der Ge-
sellschaft kann nur eine sehr beschränkte
sein, da die Kaumverhältnisse eine Beteili-
gungauf brcitererGrund läge nicht zulassen.
Die objektive Kritik wird auf dieser
unter allen Umständen bcgrül.<enswertcn
Ausstellung einen schweren Stand haben.
Sie wird den religiösen und den künst-
lerischen Gehalt der ausgestellten Arbeiten
prüfen. Kern und Schale, Wesen und Schein
auseinanderhalten müssen.
'42
©^ JULIUS VON KLEVER ^a
JULIUS VON KLEVEK
JULIUS VON KLEVER
Von Dr. phil. C. E. GLEYE, Dresden
Tm letzten Jahrzehnt haben mehrere Wan-
A derausstellungen, die die Hauptstädte West-
europas besuchten, weiteren Kreisen einige
Kenntnisse von der zeitgenössischen russischen
Malerei vermittelt, von der man bis dahin
nur wenig wußte. Ab und zu war auf irgend
einer Ausstellung ein Bild von Rjepin wie ein
Meteor aufgetaucht. Am meisten wußte man
noch von Werestschagin, dessen Tendenz-
und Orientbilder mehrere Male ihren Rundzug
durch Europa machten. Als einer der ersten
russischen Maler ist auf einer Berliner Kunst-
ausstellung zu Beginn der achtziger Jahre der
Balte Julius Klever mit seinen Landschaften
erschienen, zu einer Zeit, als der Kult des
feinsinnigen russischen Naturschilderers Tur-
genew in Deutschland auf der Höhe stand und
sein Ruhm noch nicht durch Dostojewski und
Tolstoj verdunkelt war.
Bei Klevers erstem Auftreten in Berhn schrieb
ein angesehener Kunstrichter jener Tage (A.
Rosenberg): »Ein frisches, resolutes Talent,
ein Beobachter, der sich nicht in poetische
Träumereien verliert, sondern mit keckem
Pinsel die Dinge wiedergibt, wie sie sind.
Manches fällt dabei flüchtiger, roher, deko-
rativer aus, als es gerade nötig ist, aber im
ganzen spricht doch aus diesen handfesten
Malereien ein selbständiges Talent, das bei
der Jugend des Künstlers noch einer weiteren
Entwicklung und einer gleichmäßigen Durch-
bildung fähig ist.« Als diese und ähnliche
Urteile, die in dem Künstler, was uns heute
wundert, einen Realisten feststellten , gefällt
wurden, hatte der junge Künstler in seiner
russischen Heimat schon Ruhm und Volks-
tümlichkeit in reichem Maße erworben, schon
war er der russische Landschaftsmaler par
excellence. Bilder von seiner Hand befanden
sich schon in den öffentlichen Galerien und
in denen des Kaiserhauses und der bekannten
großzügigen russischen Sammler: schon hatte
er in Russland eine große künstlerische Mis-
sion erfüllt.
Julius Klever ist geboren im Jahre 1850
zu Dorpat, der ehedem deutschen Musenstadt
am Embach, als Sohn eines Gelehrten. Es ist
interessant, daß derselben nördlichen Hälfte
des Baltenlandes auch die großen Düssel-
dorfer E. v. Gebhardt, G. v. Bochmann und
Eugen Dücker entstammen. Der Wunsch,
Künstler zu werden, und zwar Landschafter,
ist in dem jungen Klever schon früh erwacht,
aber nur unter der Bedingung gestatteten ihm
die Eltern die Petersburger Kunstakademie zu.
beziehen, daß er sich dem Brotstudium der
Architektur widmete. Hier auf der Akademie
ist seine erste Liebe eine prachtvolle Samm-
lung von Gemälden der Meister von Barbizon
gewesen, die ein fürstlicher Mäzen der Aka-
demie gestiftet hatte. Ihr Einfluß zeigt sich
deutlich in den ersten Schöpfungen des jungen
Künstlers, der erst nach zweijährigem Archi-
243
244
S?^ JULIUS VON KLEVER ^Ö
tekturstudium offiziell in die Klasse für Land-
schaftsmalerei übertrat, in der die Professoren
Worobjewund Baron Klodtseine Lehrerwaren.
Durch Klever ist zuerst Naturauffassung und
Malweise der Meister von Barbizon der russi-
schen Kunst vermittelt worden. Das ist eins
seiner Verdienste und nicht das letzte. Nach-
dem auf der akademischen Ausstellung des
Jahres 1872 der Kaiser Alexander IL das Bild
»Frühling in Russland« des damals 22 jährigen
Künstlers gekauft halte, machten ihn seine
Bilder »Alter Park«, »Waldeinsamkeit«, iln-
sei Nargen ::, die ihren Weg in die bekannten
großen russischen Galerien, wie z. B. die der
Gebrüder Tretjakow in Moskau fanden und
in ungezählten Kopien und Reproduktionen
über das ganze russische Reich verbreitet
wurden , berühmt. Die Motive zu diesen
charaktervollen Gemälden hatte der Künstler
meist in seiner baltischen Heimat gefunden,
für die er der eigentliche Heimatkünstler ist.
So z. B. zu seiner berühmten Parklandschaft.
Wie oft hat er diesen alten Park malen müs-
sen ! Bei einem Besuche des alten Schlosses
Marienburg in Livland hatte sich ihm die
ganze Poesie solch eines halbverwilderten,
weltverlorenen Parkes eines alten Herrenhauses
lüLIUS \0N Kl I.VEK
DER WEG /U GROSSMAMAS G.\R1HN
erschlossen, und auch von Klever, in dem
ohne Zweifel ein gutes Stück Romantiker
steckt, gilt, was vor kurzem ein feinsinniger
Kritiker von dem zu früh dahingegangenen
Dichter Prinz Schönaich-Karolath gesagt hat:
»Immer wieder hat er die Märchenwelt des
Parkes alter Edelsitze in neuer Fassung em-
porleben lassen, bald in herbstlicher Trauer,
wenn der Nebel um Allerseelen durch die
Wipfel auf die letzten Astern regnet, bald
im Juniduft, wenn die Rosen blühen, die
Springbrunnen verschlafen platsch ern, aus den
Taxushecken der Pan und die Sphinx von
Stein lachen.« Auf ein verlorenes, der est-
ländischen Küste vorgelagertes Eiland im Fin-
nischen Meerbusen versetzt uns sein Bild
»Waldeinsamkeit«, von dessen Qualitäten un-
sere Abbildung (S. 245) natürlich nichts ver-
raten kann. Durch diesen Märchenwald der
Insel Nargen läßt er auch sein Rotkäppchen
schreiten. Mit diesen seinen Waldbildern stellt
sich Klever den großen Waldschilderern des
19. Jahrhunderts ebenbürtig an die Seite.
Aber das Herz des russischen Volkes hat sich
Klever durch seine Winterbilder erobert. Wie
er den russischen Winterwald dargestellt hat,
das hat ihm niemand nachgemacht, vor allem
nicht den Schnee mit der wunder-
vollen, unvergleichlichen Leucht-
kraft. Und die meisten seiner Win-
terlandschaften sind Abendlandschaf-
ten ; die Sonne geht zur Rüste. Ge-
rade diese seine Bilder haben eine
so große Verbreitung gefunden in
Kopien und Reproduktionen und zu-
letzt auch in vielen Fälschungen. Er
selbst hat sie — oft gegen seinen
eigenen Willen — immer wieder
malen müssen. Ihn hatten zuerst
die koloristischen Probleme gereizt,
welche die vom scheidenden Son-
nenlicht gestreiften Schneeflächen
boten. Und wer den sprunghaften
Charakter der Russen wirklich kennt,
weiß wohl, wie vertraut ihm abend-
liche Emmausstimmungen sind. So
erklärt sich die Volkstümlichkeit
gerade dieser Bilder Klevers. Denn
nichts hat einem so vielseitig begab-
ten Künstler wie Klever so fern ge-
legen, wie Einseitigkeit oder scha-
blonenhafte Routine. Es wird w^ohl
wenig Landschafter geben, die in
gleich vollendeter Weise den Stim-
mungsreiz der einzelnen Jahreszeiten
wiederzugeben imstande sind wie
Klever, die in gleicher Weise die
Forderungen des Paysage intime er-
©^ JULIUS \'OX KLEVER *^Ö
T
HS
ILllLS VON KLEVER
WAl.DtSDLN'KEL (KÜSM.AMJ)
füllen und.dabei doch den Vortrag ins Heroische
steigern können. Es sind zwei sehr weit von-
einander entfernte Pole, die durch Klevers
Gemälde »Welke Blätter« und »Verlassener
Friedhof; dargestellt werden.
Das Bild Welke Blätter (durch eine Ra-
dierung von B. Mannfeld weiteren Kreisen
bekannt) verrät deutlich den Einfluß Daubignys,
aus dem Bilde X'erlassener Friedhofs tönt uns
der Xachhall einer Heldensvmphonie ent-
gegen. Eine Charakteristik der Eigenart Kle-
vers wäre nicht vollständig, wenn wir nicht
seines großen Kompositionstalentes gedenken
würden, das ihn besonders zur Lösung deko-
rativer Aufgaben, die ihm oft gestellt wurden,
befähigte und dann vor allem seiner eminenten
koloristisciien Begabung. Diese tritt besonders
deutlicii iiervor in der im Auftrage des Kaisers
Alexander III. gemalten Illumination des Mos-
kauer Kremls während der Krönung«, und dem
von der Rigaer Städtischen Galerie erwor-
benen »Wasserfest auf der Düna beim 700-
jährigen Jubiläum der Stadt Riga.. In seinen
zahlreichen Waldbildern hat der Künstler stets
besonderes Gewicin auf das Erfassen und die
Wiedergabe des (.)rganischen, des intimen
Waldlebens mit seinen Flechten und Moosen
gelegt; für ihn hat stets das Wort Leopardis
gegolten: minor natura e minor arte. In
Petersburg hat Klever, dem der Kaiser Alexan-
der III. 1893 den erblichen Adel verlieh,
wiederholt Sonderausstellungen mit seinem
Freunde Rufim Sudkowski, dem hervorragen-
den, früh verstorbenen russischen Marinemaler,
veranstaltet. Der Einfluß dieses Freundes
zeigt sich in Klevers erfolgreichen \'ersuchen,
das Meer darzustellen. So z. B. in dem ein-
zigen Bilde des Künstlers, das ein religiöses
Motiv wiedergibt: Christus auf dem
Meere . eine Schöpfung, die nicht nur in
Rußland, sondern auch in Deutschland großes
Aufseilen erregt hati,Abb.S.242). Es darf hier an
wenig bekannte, diesem \'orwurf gewidmete
Worte Goethes erinnert werden: Um aber zum
Heiligsten überzugehen, wüßte ich in dem
ganzen Evangelium keinen höheren und aus-
drucksvolleren Gegenstand als Ciiristus, der
ieiclit über das Meer wandelnd, dem sinkenden
Petrus zu Hilfe tritt. Die göttHche und mensch-
liche Natur des Erlösers ist in keinem ande-
ren Falle den Sinnen, und so identisch dar-
zustellen, ja der ganze Sinn der christlichen
Religion nicht besser mit wenigem auszu-
drücken. Das Übernatürliche, das dem Na-
türlichen auch in übernatürlich - natürlicher
Weise zu Hilfe kommt und deshalb das
augenblickliche Anerkennen der Schitfer und
Fischer, daß der Sohn Gottes bei ihnen ge-
246 ©^ FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG DER SECESSION MÜNCHEN J'^a
JULIUS VON KLEVER
SELBSTBILDNIS
genwärtig sei, hervorruft, ist selten gemalt
worden.«
Seit mehreren Jahren lebt Klever in Berlin,
wo er sich schon in den achtziger Jahren einen
Freundeskreis, der ihm treu geblieben ist, ge-
schaffen hat. Aber er weiß es, was er Ruß-
land, und Rußland weiß es, was es ihm ver-
dankt. In der Geschichte der russischen Land-
schaftsmalerei, ja der Entwicklung des russi-
schen Naturgetühls wird sein Name stets einen
ehrenvollen Platz behaupten, und mit Recht
vermisste der feinsinnige Verfasser des be-
rühmten Buches über den russischen Roman,
der Graf de Vogue, wohl einer der besten
Kenner der russischen Kultur, als vor drei
Jahren während der russischen Revolution die
Wanderausstellung moderner russischer Maler,
die sich anmaßte, ein Bild vom Gesamtschaffen
der russischen Malerei zu geben, auch nach
Paris kam, auf dieser russischen Ausstellung
die Landschaften Julius von Klevers.
DIE FRÜHIAHRSAUSSTELLUNG
DER SECESSION MÜNCHEN
Wiederum, wie jedes Jahr, taucht eine Fülle
malerischer und zeichnerischer Neuschöp-
fungen auf, die mehr Aufschluß geben über
den kolossalen Andrang zum Kunstgebiet und
seine Überproduktion, als über wertvolle Kul-
turdokumente. Alljährlich sehen wir dasselbe
Bild: Eine Anzahl frischer und fröhlich hin-
geschriebener Malereien, eine Menge Studien,
eine Menge Naturausschnitte, aber selten ein
Gemälde, selten ein innerlich empfundenes
künstlerisches Gebilde. Das Charakteristikum
der modernen Kunst ist die Technik und zwar
die Technik des Blendens, des Verblüffens.
Der Technik allein dient das Motiv, vom
hölzernen Gartenzaun bis zum mehr als natur-
großen Kohlstrunk, der Straßenlaterne, der
Stubentür etc. Es kommt einem immer so
vor, als ob die Jungen und Jüngsten dem
Beschauer zuschreien wollten: »Seht, was wir
alles mit der Farbe machen können, uns ist
nichts zu schwer, wir malen Erde, Luft, Was-
ser, Sonnenschein. Wir können alles !'^ Ja,
die heutige Kritik hat dies auch anerkannt
und sie spricht vor modernen Gemälden von
Frdgeruch, von Feuchtigkeit der Luft, von
heifier, zitternder Sonnenglut. Aber steckt in
all dem nicht doch auch ein großer Tadel?
Pst es der Endzweck der Kunst, Natur natür-
lich darzustellen? War nicht in allen hohen
Kunstepochen das Streben, die Erscheinungen
der Natur in feste Formen zu bannen, das
Natürliche herauszutreiben und auf der Grund-
lage von Natur, an Stelle der banalen Wirk-
lichkeit eine innerliche, vergeistigte zu setzen ?
Die Wirkung auf die Menschenseele, auf die
Empfindungen edler Seelenregungen ist doch
das erste und höchste, was wir unter dem
Worte »Kunst« uns vorstellen. Wir können
nur dann Fortschritte in der Kunst erkennen,
wenn sie uns aus der nüchternen Alltäglich-
keit zu höheren Zielen zu führen imstande
ist. Allerdings verlangen wir mit diesen Zielen
auch technisches Können, kurz eine klare,
sichere Sprache und Ausdrucksweise, aber sie
braucht ihre Übungen nicht an Gegenstände
zu hängen, die an sich schon geschmack-
widrig sind. »Kunst ist Wahl« hat irgend
einmal ein Kritiker gesagt und dies mit Recht.
Eine schlechte Wahl aber ist es, wenn z. B.
Walter Sehn ackenberg ein nacktes Frauen-
zimmer vor dem Toilettetische malt, das im
Begriffe ist, sich zu schminken und weiter
nichts anhat, als bis über die Kniee herauf-
gezogene knallgrüne Strümpfe, von einer Auf-
dringlichkeit der Farbe, die einer optischen
Ohrfeige gleichkommt. Überhaupt diese Ganz-,
Halb und sonstigen weiblichen Akte! Bis
zum Überdruß tauchen diese akademisch-posie-
renden, langweiligen Gestalten auf Sie ver-
folgen einen bis in den Kunstverein und jede
kleine Kunsthandlung. Julius Heß hat sich
drei solcher Frauenzimmer geleistet, dazu in
einer Farbe von trüber Süßigkeit und abso-
lutem Schmutz, die mehr aJs abstoßend wirkt.
Hans von Marees' Arbeiten, die noch
vor kurzem an derselben Stelle hingen, waren
dagegen von Phidiasischer Erhabenheit. Es
SJ^ FRUHJAHRSAUSSTELLUNG DER SECESSION MÜNCHEN >^ö 247
1 RAN/ JOM;ril MAYIJ;
HAUSALI ARCHIA"
AussUiiuTi£ Mütuhen tgoS
ist manchmal unbegreiflich, wie stark die
Neigung vorherrscht, den menschlichen nack-
ten Körper, der doch in allen Teilen so schön
sein kann, unter so schiefem Gesichtswinkel
zu betrachten. Dasselbe gilt noch von man-
chen Fleischmalereien, die wir nicht alle auf-
zählen mögen. Sonderbar ist auch das weib-
liche, nackte Wesen vor dem Spiegel, das
sich den Hut aufsetzt, eine Tätigkeit die meist
als letzte, nach beendeter Toilette vorgenom-
men wird. Eine weitaus ernstere Arbeit an
sich, obwohl nicht in der Ausführung, ist
der tote Christus von Curt Witte. Freilich
von einer geistigen oder gar religiösen Durch-
dringung des erhabenen Themas ist der Künst-
ler noch himmelweit entfernt; es ist eine
Malstudie. Aber auch die Manier, den Strich,
den Farhenfleck als solchen wirken zu lassen,
grenzt hier an eine Art, die dem Wesen der
Malerei widerspricht. Je technikloser, je weniger
auffällig etwas mit den Mitteln der Farbe zur
Darstellung gelangt, desto edler und geistiger ist
auch das Werk. Abgesehen von einigen Bild-
nissen, die ebenfalls mehr aut farbige Wirkung,
als auf psychologische \'ertiefung hin aufge-
faßt wurden, gehört die Mehrzahl der Studien
wie immer, dem Gebiete der Landschaft oder
des Innenraums an.
Unter Bildnissen sind als bessere Leistungen
zu nennen diejenigen von Paula von
Blancke nburg, Fritz Burger, Wilhelm
Gallhof und Hans Lesker. Als vortretT-
liche Malerei von fast monumentaler Wucht
sind idic Nibelungen, von Hans Bühler
zu betrachten. Der Maler trägt in seine etwas
bräunlichen Menschenleiber jene Kraft hinein,
die an ein gigantisches Geschlecht gemahnt
und die wir auch in erster Linie bei einem
solchen Thema voraussetzen. Die Helden des
Nibelungenliedes tauchen dem Beschauer frei-
248
K-:^ FRÜHIAHRSAUSSTELLUNG DER SECESSION MÜNCHEN ^ö
JOSi;PH KOPP GRABMAL HARTMAW
Neuer Nord/riedhnf m München
JOSEPH KOPP
GRABMAL CONSONI
■edhcf in München
lieh unwillkürlich auf, aber anders. Von großem
Interesse sind auch, zumal rein dekorativ be-
trachtet, die farbigen Zeichnungen von Julius
Diez, zu den Stücken: »Was Ihr wölk-: und
»Maß für Maß«. Mit spielender Leichtigkeit,
unterstützt von einer starken Phantasie, sind
diese für das Künstlertheater geschaffenen
Kostümfiguren in dem eigenen, so reizvollen
persönlichen Stil dieses Meisters geschaffen. Es
steckt in allen ein gut Stück mittelalterlicher
Tradition und dies ist nicht das Schlechteste.
Manche von den ausgestellten Landschaften be-
gegneten uns schon im Kunst verein und müssen
wir auf die Kunstvereinsberichte hinweisen.
Als neue Nummern kommen in Betracht,
ein treffliches »Hochwasser im Walde« von
Otto Altenkirch. In ähnliche Stimmung
versetzt Giulio Bedain zwei Bildern »Trübes
Wetter in Burghausen« und »Spätherbst in
Dachau«. Allzustark pastos und rahmig schil-
dert Ludwig Bock das Wasser eines Mühl-
baches. Von toniger, abgeklärter Wirkung
sind die mehr melancholisch ernsten Studien
von Hans Borchardt. —
©^ FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG DLR SRCESSION MÜNCHEN »^a 249
JOSEPH KOPP
JOSEI'H KOPP
Die kleine Nachlaßaussteliung von Faul
Cczanne fällt unter den einheimischen Bil-
dern stark ab. Man hat diesen Maler stets
hochgeschätzt; was wir hier sehen, stellt ent-
weder das Schlechteste dar, was Cezanne ge-
malt hat, oder das ihm gespendete Lob war
stark übertrieben. Nichts ist in der ganzen
Kollektion, was nicht von Einheimischen besser
gemalt würde, ja es sind Dinge dabei von
solch kindlicher Ungeschicklichkeit, wie z. B.
einige Stilleben mit Früchten, die selbst die
mildeste Jury eines Provinz-Kunstvereins nicht
annehmen dürfte. Ruft man sich erst die
Schuch- Ausstellung ins Gedächtnis, so er-
füllt es jeden Kunstfreund mit Schmerz, daß
unser Meister, der himmelhoch über jenem
stand, verkannt und unerkannt aus dem Leben
schied. Gleiche Gedanken beschäftigen unser
Emplinden bei dem reichen Nachla(.i von
H. Braun. Auch dieser reichbegabte Künst-
ler starb jung, in Not und Elend und wie
man sagte, an Verzweiflung über den Miß-
erfolg seiner Tätigkeit. Es ist heute im Zeit-
alter des internationalen \'erkehrs kaum glaub-
Ule cliristllche Ku
250 ©^ FRÜHJAHRSAUSSTELLUNG DI:R SFXESSION MÜNCHEN m&
|ÜSi;PH KOPP
/,ii uidlicheii Fl
GRABDKXKMAP BAUM DACH
■i-dl,p/ zu l\l,i„L-l,ni
lieh, d;U.( solch ein gewaltiges Talent, wie es
diese höchst malerischen und lein empfun-
denen Blätter verraten, nicht Anerkennung
zu finden vermochte. Und doch versteht man
es wieder, zieht man in Betracht, daß gerade
die feinsten Künstlernaturen, die, welche nicht
schreien, nicht mit Ellenbogenkraft sich durch
die Menge den Weg bahnen wollen, einsam
bleibend oder tauben Ohren predigend, in
Unbeachtetheit dahinschwinden. Die hasten-
den, nervösen Menschen unsererEpoche haben
keine Zeit mehr, selbst zu suchen, sie haben
auch am Ende nicht das Verständnis für die
Kunst, sie sind direkt auf die Künstler ange-
wiesen, die als die >/Guten:( abgestempelt,
jede weitere Bemühung betreffs Garantie der
Tüchtigkeit überflüssig machen.
Als schon bekannter Meister gilt Paul
Crodel, von dem drei tüchtige Arbeiten vor-
handen, '1 heodor Essers »Motiv aus einem
zoologischen Garten« ist von sonniger Heiter-
keit und Klarheit. Dasselbe gilt von den
weichen, fein wertigen Leistungen Rudolf
Nissis, von Charles Vetter, H. B. Wie-
land t und Richard Wintern itz, der immer
mehr den Bahnen Uhdes zu folgen bestrebt
ist. Letztgenannter Meister ist mit einem
kleineren Bilde, aber einer Perle im modernen
Sinne vertreten; spazierende junge Damen
am sonnigen Nachmittag. Ist hier wirklich
flutendes Sonnenlicht wiedergegeben, so ist
der gleiche Versuch bei den Arbeiten Eugen
Wolffs gescheitert. Besser gelangen diesem
Maler einige Interieurs von kräftigem Far-
benreiz.
Als Techniker dürfte wohl Theodor Hum-
mel mit am höchsten zu bewerten sein, alles,
was er anfaßt, gelingt ihm, kein Thema ist
zu schwer, er hat sein Handwerk gelernt wie
selten einer, nur bedauert man, daß dieser
Maler und Könner sich nicht dazu aufschwin-
gen kann, mit dem Erlernten nun etwas zu
schaffen. Man erfreut sich an seinen roten
Rosen, seiner sonnigen Landschaft, oder an
seinem größten Bild, dem Innenraum einer
Brauerei mit dem Gewirr von Kupferkesseln,
Treibriemen, Geschirren, Rädern und Stangen,
aber man bedauert zugleich, daß all diese
Geschicklichkeit an einem innerlich so ma-
geren Thema verschwendet wurde. Den mo-
dernen Malern ist nun einmal ein jeder Ge-
genstand, es mag sein, was es will, als rein
farbige Erscheinung oder als Träger von Luft
und Licht geeignet als Vorwurf zu einer
Malerei, ob sie nun hier einen Bräuhauskessel
vorstellen oder dort eine Strickmaschine,
kommt nicht in Betracht. |a selbst die mensch-
liche, nackte Gestalt wird unter keinem an-
deren Gesichtspunkt aufgefaßt. Diese gleich-
wertige Behandlung aller Objekte führt zu
einer Einseitigkeit, die darin besteht, daß man
das Wesen der Dinge verkennt und nun alles,
ob lebend oder tot, ein und derselben Pro-
blemdurchführung unterwirft. So behandelt
zwar in leinen, perlmutterartigen Tönen Josef
Huhn eine Salontüre, und die Dame, welche
davorsteht, ist Nebensache, und so wie die
Salontüre ist die »Balkontüre?, und das Bild
>'An der Balkontüre«. Des weiteren arbeitet
nach dieser Richtung Paul Roloff. »Am
Büfett« heißt seine Studie und ein nacktes
Mädchen steht vor diesem. Weshalb eigent-
lich? Am weitesten ging wohl Jul. Seyler
in seiner merkwürdigen Leistung »Durch die
Furt« und in der abstoßenden Wiedergabe
eines sich aus- oder anziehenden Modells. Weit
erfreulicher ist das Bestreben von Richard
v^^ FRÜHJAHRSAUSSTELI.LXG DER SECESSIOX MCXCHHX f^iö 251
lOSEI'H KOPP
Ifest/rieMo/ i
GRABMAL STURM
Miinchfft
JOSl£PH KOPP
DOPPKI.GKAB HEII.ENSTEINER
Ku/sUin-Ztll
Pietzsch, eigene Gedanken mit der Land-
schaft zu verkörpern; wohl weniger in der
banalen Dreschmaschine«, als in dem hei-
teren >.Sommertag in Icking«. Der talentvolle
Maler soll nur ruhig, ohne nach links oder
rechts zu schauen, seinen eigenen Gefühlen
nachgehen, dann wird er noch Wertvolles er-
reichen.— Zu stark pointillistisch angehaucht
ist Karl Reisers Erühlingsbild aus Parten-
kirchen; etwas zu groß im Format, jedoch
vorzüglich in der Beobachtung ist AI. Purt-
schers Bild Durch die Furtx. In noch
größeren Dimensionen bringt Burger-Mühl-
feld eine Hochofen-Szene, bei der man zu-
erst an Menzel und dessen geistreiche Art
denkt, wie so etw-as auch künstlerisch ge-
löst werden kann. Amandus Faure hat
in »Zirkus-Erlebnisse nichts Neues gesagt,
ebenso sind die Bilder von Hugo v. Haber-
mann, W. Lehmann, Hans v. Hayek,
U. Hübner, Alb. Lamm, C Th. Mever-
Basel, Fritz Oßwald, Karl Picpho, Rud.
Schramm-Zittau. H. Zügel schon in gleicher
Art und so oft besprochen worden, daß eine
Wiederholung ermüden dürfte und wir nur
bestätigen, daß alle jene Maler Gutes boten
und zur X'erschönerung der Frühjahrsaus-
stellung beitrugen. Eine hübsche Ergänzung
ÖC^ DÜSSELDORFHR KUNSTBERICHT mxä
|usi:i'H KOPP
GRADDENKMAl.
findet sich noch in dem großen Nachhtß von
Handzeichnungen des früh verstorbenen Zeicli-
ners derjugend und desSimpHzissimus: Rudolf
Wilke. Achtung gebietendes Können spricht
aus diesen Blättern, die dem Gebiete der Kari-
katur angehören. Ein etwas derber, wiewohl
eigenartiger Humor durchweht jede noch so
flüchtige Skizze, der man es ansieht, daß
alles scharf beobachtet und in stark persön-
lichen Stil übersetzt wurde. Nach der Natur
wird Wilke kaum viel gezeichnet haben, da-
für sehen die Darstellungen zu bizarr, zu
grotesk aus, aber gerade deswegen haben
diese Übersetzungen jene Note, die der Satire
oder dem Burlesken so recht entspricht.
Wie stets, so sind auch diesmal nur wenige
Werke der Plastik zu verzeichnen.
Einige Kleinbronzen, ein Hase von J. Bary-
Doussin, ein Skiläufer von Ernst Geiger,
die hübsche Brahms- Statuette von Max
Hoehne, »Diana« von K. E. Moeller,
»Bronzekopf« von Paul Oßwald und eine
flott aus dem Stein gearbeitete Bajadere von
Hans Schwegerle sind tüchtige Leistungen.
Franz Wolter
DÜSSELDORFER KÜNSTBERICHT
Von Dr. KARL BONE, Düsseldorf
Die Winterausstellungen
P)en Darbietungen des abgelaufenen Winters kommt
vor allem das Lob großer Vielheit und Vielseitigkeit
zu. Aber auch die Auswahl verschonte die Besucher fast
durchweg mit allzu abstoßenden Exzentrizitäten undWider-
wärtigkeiten. Dem Schönen war der Weg nicht ver-
legt, weder dem Schönen aus älterer Zeit (Spitzweg u.a.)
noch dem fremden (Belgier, Niederländer, Herkomer u.a.),
noch dem deutschen Schönen anderer Kunststätten (Mün-
chen, Berlin, Karlsruhe) noch den Erzeugnissen Düssel-
dorfs selber, die der Kunst, nicht dem augenblicklichen
Eft'ekt und Erfolg zustreben. Diese Düsseldorfer konnte
man am zahlreichsten — freilich keineswegs vollzählig —
zusammensehen in der Weihnachtsausstellung
des Vereins Düsseldorfer Künstler in der
städtischen Kunsthalle. Nur ein unfreundlicher Beurteiler
konnte diesmal sagen, man sehe es den Werken an, daß
sie für den Weihnachtsverkauf gemalt seien. Daß der
Künstler seine Bilder, soweit er sie nicht auf Bestellung
malt, verkaufen will, ist doch naturgemäß; ein Vor-
wurf kann ihm aus diesem Wollen nur gemacht werden,
wenn er ihm Opfer bringt, die seiner und der Kunst
unwürdig sind; ja man könnte es ihm als Kurzsichtig-
keit anrechnen, wenn er zu einer Weihnachtsausstellung
Werke oder Entwürfe brächte, die den Ankauf durch
Kunstfreunde von vorneherein ausschließen. Aber, was
wir diesmal sehen, konnte mit wenigen Ausnahmen
ebensogut in jeder Kunstausstellung großen Stiles er-
scheinen. Denn der große Stil bedient sich nicht des
duadratrutenmaßes; er kann mikroskopisch erscheinen.
Von A bis Z, von Ackermann bis Zacharias, war
ernstes und zielbewußtes — das Ziel freilich nicht immer
einwandfrei — Streben erkennbar, ohne daß Ängstlich-
keit oder Absicht die Freiheit der Bewegung störend
beeinflußt hätte. Wenn ich hier die kräftigen Dorfbild-
chen von O. Ackermann, den jungen »Mönch in den
Blumen« von A. Bertrand, das lesende Mädchen von
Aug. Blan kenstein, ein gleiches, aber an Farben-
fröhlichkeit recht verschiedenes von Josse Grossens,
einige Heide- und Waldbilder von G. Hacker, Still-
leben von M. Hainbuchen, Alma Hamel, Mag da
Kröner, Meta Weber, die vortrelflichen Interieurs
und Dorfbilder von H. Hermanns, die prächtigen Son-
nenscheinwirkungen auf dem Innenbilde >Sonnenschein<
von M. Heß, den echten > Herbstmorgen an der Erft«
von C. Jutz jun., die geschickten Farbflecke auf W.
Kukuks Ansicht >Aus Oberstdorf (Algäu)«, die wasser-
klare Flußkrümmung >An der Stever« von G. Lasch,
M. Lucas' »Häuser am Wasser«, den sonnigen »Spät-
herbste von G. Mühlig, die neuartige, trefthch erfaßte
»Sandgrube in Münsterland« von A. Schlüter, das
frisch und lebendig gemalte »Niederländische Volksfest«
von M. St ern, das »Längster MarktschifFi in feinnebeliger
Frühmorgenstimmung von W, G. Y. Titcomb, das Kna-
benporträt »Mein Sohn« von Fred Vezin, v. Willes
Eifelbilder besonders hervorhebe, so würden wohl andere
andere Bilder lieber nennen; z. B. die Kühe »Im Ginster«
von J. J. Junghanns, H. E. Kohles »Zypressen«, oder
den »Frühlingsanfang« von A. Lies, oder die Waldbilder
von Chr. Kröner, oder C. Heydens Bilder »Aus
Rothenburg«, oder C. Havers »Am Herd« oder ebenso
Nennenswertes. Die Künstler der Weihnachtsausstellung
zeigten übrigens im Laufe des Winters auch weitere Lei-
stungen in der Kunsthalle sowohl wie in der perma-
nenten Ausstellung von E. Schulte, und andere sekun-
dierten ihnen oder ragten hervor. Dies letztere kann
man diesmal nicht von den Darbietungen E. v. Geb-
hardts sagen; weder die Einzelstudienköpfe noch die
beiden Figurenbilder »Heilung des Gichtbrüchigen« und
55^ DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT »SSffl
»Bethanien« zeigten den Meister nach allen Riclitungen
auf der Höhe seines Schaffens. Der Hauptvorzug des
zuerst genannten Figurenbildes liegt in der außerordent-
lich scliarfen, unübertrefflich individuellen Charakteri-
sierung der einzelnen Köpfe, die den langen grünen
Tisch umgeben, an dessen Kopf Gebhardts tvpischer
Christus das Wunder — die Darstellung läßt eher an
ein Taschenspielerstücitchen »jetzt zähle ich eins, zwei,
drei, und der Mann ist gesund« denken — verkündigt
oder erklärt. Was hier an Glück der Komposition fehlt,
bildet den Hauptvorzug des anderen Figurenbildes, das
den Besuch Christi in Bethanien darstellt; in sehr glück-
licher Weise ist, während Martlia sich um vieles — des
vielen ist fast zuviel — kümmert, Maria, die den besten Teil
erwählt, nicht gerade zu einer Hauptperson gemacht,
sondern sie lauscht verklärten Blickes dem Gespräche,
das Christus mit ihrem Bruder führt; nun aber ist der
Maler von der ihm gewohnten Farbengebung erheblich
abgewichen und das befremdet nicht nur durch das Un-
gewohnte, sondern nimmt dem Bilde aucli an sich alle
Wärme, die hier doch so recht am Platze wäre.
Von weitgreifendem Interesse ist ein Wandbild von
Josse Goossens, das für das Rathaus von Bergisch-
Gladbach bestimmt ist. Es stellt >Die Einführung des
Büttenpapieres durch holländische .Arbeiter im Jahre 1511«
dar. Das Theatralische, das in derartigen halbhistorischen
Darstellungen noch immer spukt, hat der Künstler aufs
glücklichste zu vermeiden gesucht und die Verständlich-
keit der Szene dabei eher gemehrt als gemindert; er hat
ihr volkstümliche Frische und Natürlichkeit gegeben, oline
etwa auf Kosten der historischen Bedeutsamkeit ins Genre-
hafte hinüberzuirren. So ausgeprägt bei dem Bilde auch
der Charakter der Flächendekoration ist und bei näherem
Herantreten zunimmt, fehlt es doch nicht — namentlich
nicht aus größerer Entfernung — an Tiefblick in die
Ferne, der durch die Wahl der Farben — nur hie und
da erheben sich Zweifel an deren Angemessenheit —
wirksam unterstützt wird. Es ist recht zu wünschen,
daß die Stoffe, mögen sie ihm von außen geboten oder
von ihm selber gewählt werden, ihn auf diesen vor-
nehmen Stilwegen fesseln, die doch wahrlich keinen
Widerspruch mit frischer Naturauffassung fordern.
Eine andere erfreuende Erscheinung war eine Zu-
sammenstellung landschaftlicher Bilder vom Niederrhein
von Ernst Hardt. Die Entfernung von dem sonst
geistesverwandten Max Ciarenbach hat sich in der Rich-
tung, die bereits in einem früheren Kunstberichte vor-
hergesagt wurde, vollzogen, ohne daß einer der beiden
dabei zu Schaden gekommen wäre. Dem Weichen, Nebel-
haften, dem geheimen Weben und Werden in der Natur,
wie es jenem sympathisch ist, steht in Hardts Werken
das Fertige, in Farbe und Zeichnung Bestimmte, das
Repräsentierende gegenüber. Es ist dieselbe Natur zu
verschiedener Stunde. Die beiden Künstler sind berufene
Darsteller des Niederrheins und seiner landschaftlichen
Eigenart.
F. Klein-(Tie valier zeigte in der Kunsthalle und
bei Schulte eine .Anzahl farbenfrischei Szenen aus Italien,
meist von der Riviera, einigermaßen in der .Art des Spa-
niers Sorolla, ihn aber doch nicht in Unmittelbarkeit der
Auffassung erreichend ; auch das frisch .Anmutende fehlte
bei manchem; mehrt sich beides, so wird noch viel Er-
freuliches folgen.
G. .\I a c c o bot (Kunsthalle) einen umfassenden Ein-
blick in die aufgesammelten malerischen Früchte seiner
Orientreise; im Vordergrunde stand Kairo mit seinen
seltsamen Winkeln und überladenen Bazars; vielfach ge-
malte Dinge, die weder stofflich nocli malerisch Neues
bieten konnten und den Maler selber in den Hintergrund
drängten; weit interessanter und teilweise hervorragend
waren die Studienköpfe, hinsichtlich der .Ausführung so-
wohl als hinsichtlich der verständniss'ollen Auffassung
GRABMAI. BINAI'Fl.
solch fremder Typen. Der GcsanitkoUektion fehlte es
aber an Farbenlebendigkeit ; der vorherrschend stumpf-
bräunliche Ton wirkte eintönig; nur einzelne Skizzen
traten lebliafter hervor; besonders einige landschaftliche.
Einen bewundernswerten Reichtum von Wald- und Wild-
bildern, zum Teil abweichend von früher mit Vorliebe
von ihm behandelten Szenen, brachte der siebzigjährige
Professor Chr. Kröner in ungeschwächter Kraft.
Bei Schulte trat von Düsseldorfern Fritz Reusing
mit einer Sonderausstellung hervor. Erscheint sich wieder
ganz dem ernsten und einheitlichen Porträt zuzuwenden,
und was er ausstellte zeigt, daß er daran wohl tut. Das
wahre Porträt will nicht Figur in einem Genrebilde sein.
Das sielit man recht deutlich an dem großen Familien-
(Genre-)Bildc, das er diesmal ausstellte, »zwei Damen und
ein Herr beim Frühstück« ; seine Absicht, die Dargestellten
recht lebendig und lebenswahr in ungezwungener Szene
erscheinen zu lassen, ist ihm nicht gelungen ; Porträt und
Szene bleiben im Streit, und wenn er das Bild »Licht
und Schatten« nennt, so ist allerdings fast ebensoviel
Schatten als Licht darin. Umso erfreulicher ist die
Rückkehr — hoffentlich ist sie es — zu dem Kreise,
dessen Ptlege dem Künstler recht zu eigen gegeben ist;
er ist jung genug, um sich diesem Kreise mit vollem
Erfolge hinzugeben.
H. Ritzenhofen hat sich von dem trüben Wasser
254
©^ DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT ^a
JOSEPH KOPP
ERBPI'GRABXIS Itl-
ht Kii/stcin. Gcsniiitaiisicht
der alten > Welle > ') noch nicht so ganz frei gemacht,
als es sein schönes Fronleichnamsbild der Ausstellung
1907 zu zeigen schien. Die Lichtwirkungen, auch
die trübsten und farbenlosesten, verlangen doch als
Grundlage festen Formensinn und klare, richtige
Zeichnung, wenn diese auch nicht linear hervor-
tritt. Der junge Künstler würde sich gewiß größere Er-
folge sichern, wenn er hierauf einmal eine Zeitlang
ganz besonderen Wert legen wollte. Es ist ein Irrtum,
zu glauben, jene alten Meister, bei denen keine Pinsel-
striche die Zeichnung markieren, hätten nicht zeiclmen
gekonnt, und darum könne man sich das Zeichnen-
lernen ersparen und doch ein großer Meister werden.
Die Sache liegt eher umgekehrt: je weniger die Zeich-
nung — so will man es ja heute — als solche sicht-
bar wird, umso notwendiger ist sie als Grundlage bis
in die Einzelheiten hinein. Auch im tollsten abendlichen
Kindergewimmel, wie am »Martinsabend«, setzt sich das
Gewimmel aus wirklichen und zwar fröhlichen be-
geisteiten Kindern zusammen; dickköplige Kröten,
widernatürliche Verzerrungen dürfen auch im tiefsten
Dunkel nicht für fröhliche Kinder gelten sollen oder
wollen.
Von Münchnern war der neue Besuch Ch. Pal mies,
dessen eindrucksvolle Schneebilder gegenwärtig bleiben,
mit seinen Stadt-(München-)Bildern willkonmien: das
Kämplen zwischen dem scheidenden Tageslicht und
dem Sternenlicht einerseits und der künstlichen Beleuch-
tung anderseits. Wirksam sind diese Bilder zweifel-
los, aber man hat das Gefühl, daß der Künstler noch
Besseres als sie im Pinsel führt, und dieses Bessere
dürfte ihn auch allmählich von der Gefahr des Exzen-
trischen wegleiten nach der schönen Mitte hin. — Andere
Kollektionen sandten von dort der oft und gerne hier
■) S. Jahrg. I, Nr. 11, Beil. S. V.
gesehene L. A.Kunz, A. Lüdeke, F. Schmid-
Breitenbach. Die beiden Skizzen von Fr. v.
U h d e sollten hoffentlich nicht einen Vorge-
schmack von seinen Beiträgen für die Ausstellung
für christliche Kunst geben; das war nichts weni-
ger als christliche Kunst.
Eine eigentlich bedauerliche Erscheinung in der
Kunsthalle war die erstmalige Ausstellung der
«K ün stier v er bindungNied er rhein«. Wenn
das knochen- und blutlose Gespenstlein auf ihrem
Plakate mit den beiden roten Schminkflecken
rechts und links vor dem Nasenknödel Erschei-
nung des Geistes dieser Verbindung sein sollte
und der eingeladene Flecken: >Wald« von Chr.
Rohlls (Hagen) als Freier des Gespenstleins da
war, dann ist nicht viel zu hoffen; auch diese
neueste >Welle« muß in sich versinken. Dann
köiinen auch einzelne gute Namen und selbst ein-
zelne gute Leistungen z. B. die überraschend wohL
gelungene Dorfstraße im sonnigen Fronleich-
namsschmuck (von M. Ophey) nichts ändern, die
ersteren werden wieder ihre eigenen Wege gehen,
die letzteren ihren Urhebern hoffentlich eindring-
lichst zuflüstern: dies Gespenstlein zeigt den Weg
zur Höhe der Kunst nicht.
Das Gespenstlein gab nicht einmal eine befrie-
digende Vorstellung von Düsseldorfer Plakatma-
lerei; und ohne Plakate, »künstlerische« (?!) geht's
doch heute nicht. So hatten wir denn auch
diesen Winter zwei Plakat-Ausstellungen. Die erste
I (in der Kunsthalle) galt dem Kovemberfeste in
^ ! der Tonhalle, war aber recht klaglich, obschon
gute Namen unter den Bewerbern waren. »Düs-
SCH seldorf im Jahre 2000« war als Grundidee für das
Fest hingestellt. Die Befangenheit in kurzsichtigen
Luftfahrten war teilweise geradezu albern. Aber
auch selbst abgesehen von dem Gedankeninlialt,
der bei solchen Plakaten sich nur sehr wenig oder gar
nicht als genrehalt geltend machen sollte ■ — hier tat
er es teilweise im Übermaß — , war kaum das eine
oder andere einigermaßen wirksam. Da konnte man
sehen, wie weit man trotz aller Plakatwirtschaft und
plakathaften Malerei vielfach vom sicheren Erfassen der
Idee des Plakats entfernt ist. Die andere Plakataus-
stellung (im Kunstgewerbemuseum) brachte die zahl-
reichen Entwürfe zu dem gemeinsamen Plakate für die
Doppelausstellung im Sommer 1909. Diese Ent-
würfe konnten ebenso wenig befriedigen als die Plakate
für das Novemberfest. Dementsprechend wurde ein
erster Preis gar nicht erteilt; zweite und dritte Preise
wurden zuerkannt; es ist aber schwer zu sagen, warum
und wofür. Ein Entwurf wird nun zu Brauchbarkeit zu
rechtgestutzt. Es ist eine beachtenswerte Erscheinung,
daß die heutigen Künstler der so verlockenden Plakat-
aufgabe im allgemeinen so hilflos gegenüberstehen; ja,
was ist Kunst ohne Ideen? — und Ideen sind doch so
ganz 1 unmodern«.
Eine Zeitlang beherbergte die Kunsthalle auch ein-
mal eine sogenannte »Raumkunst-Ausstellung«, geschaffen
und arrangiert von Max Benirschke, Lehrer an der
Kunstgewerbeschule. Man konnte nicht leicht über den
Eindruck eines der heutigen »besseren« Möbel- und
Ausstattungsgeschäfte oder auch großer Warenhäuser
hinauskommen, in denen die blankgewichste Dutzend-
ware aufgereiht steht. Ob reich und überladen oder
hungrig-armselig, alles liegt auf dem Wege nach fabrik-
mäßiger Massenherstellung. Zudem herrscht bei der
»modernen« Raumkunst im allgemeinen das Negierende,
der Widerspruch gegen alles, was bisher für naturge-
mäß galt, aufdringlich vor. Und so ist die heutige
»Raumkunst" von behaglicher und anmutender Zweck-
mäßigkeit weiter entfernt, als irgend eine minder selbst-
5^4 DÜSSELDORFER KUNSTl^ERICHT ^ö
2)5
bewußte frühere. Desto mehr r c d e n
die Herren Raumkünstler meistens
von der ; Sachlichkeit und Zweck-
mäßigkeit« als einzige duelle der
Raumkunst und dulden kein Bezvvei-
feln, ja die Deklamationen lassen
keinen Moment dazu übrig: das
weiß ich alles ganz allein; hör zu,
sei pali und red nichts drein. Von
den lautesten Sängern dieser Melo-
die liat sich Max Benirschke noch
nicht genug unabhängig gemacht.
Man muß den Eindruck des Möbel-
geschäfts erst überwinden, um hier
den Sinn für das Maßvolle in Farbe
und teilweise auch in Form zu be-
merken ; man ahnt wieder das ur-
menschliche Gefühl, daß etwas, um
stark zu sein, nicht gerade plump
sein, um fest zu sein, niclit gerade
als ein Klotz erscheinen, um »sach-
lich und zweckmäßig« zu sein, nicht
gerade Uranfänge eines Zyklopenstiles repräsentieren
muß. Aber die Fluclit vor dem Gefälligen sollte
ganz aufhören; ein zügelloses Spiel braucht ihm des-
halb nicht gestattet zu werden. Mit seinem Spruche
>ümne tulit punctum, qui miscuit utile dulci« will
Horaz sagen, daß voller Beifall dem zukomme, der
über dem Zweckmäßigen nicht das Gefällige, aber
auch nicht über dem Gefälligen das Zweckmäßige ver-
gesse, sondern beide zur Einheit verschmelze.
hl diesem Sinne gab wohl der neue Direktor der
Düsseldorfer Kunstgewerbeschulc, Wilhelm Kreis,
als geeignetes Programm seiner persönlichen .Auffassungen
und Ziele eine umfangreiche Ausstellung aus seinen
bisherigen Werken und Entwürfen in dem Kunstge-
werbemuseum. Der allgemeine Eindruck mußte der
sein, daß ein vielseitiger und unbeengter Geist die
Leitung der Schule übernehme, der nicht lielfen werde.
JOsl.l'H KOPP
KEl.ll.F AX l:iN'l..\l GK.\Bni;XK.\IAI
das Kunstgewerbe und die »Raum-
kunst« — die wahrlich nichts Neues
ist! — in die tote Sackgasse modern
sein wollenden Schablonenvorur-
teils zu treiben. Mögen das kom-
mende Schüler- und Lehrer-Ausstel-
lungen bestätigen! Über die aus-
gestellten Werke eingehend zu spre-
chen, fehlt es an Raum, aber auch
an Veranlassung. Die Bismarcktürme
und viele andere Werke, große und
kleine, von M. Kreis sind bekannt
genug. Wenige werden mit allem
ganz einverstanden sein, aber jeder
dürfte sich einem Manne gegenüber-
gestellt fühlen, der in seiner Eigen-
art fertig ist und so, wie er ist, auch
bleiben wird. Vermag ein solcher
zu leiten, ohne die Freiheit zu
beeinträchtigen, dann wird er im-
mer nützlich sein.
Stark unter dem Banne modern-
kunstgewerbliclier Richtung stand die Ausstellung von
Entwürfen zu einem Brunnenbau vordem Kunstpalaste
zwischen den beiden lange umstrittenen hohen Beton-
säulen an Stelle der mächtigen Betongruppe (Wasser-
ungeheuer usw.) von Prof Karl Janssen.
Unter dem sehr vielen wußte die Jury nichts ohne
weiteres Brauchbares zu finden. Formloses, gesuchtes
Zeug, Mangel an jeglicher Einheit oder vergebliches
Ringen nach einheitsschaffender Idee auf dem vorge-
schriebenen Boden »Kunst und Industrie«. Nur ganz
vereinzelte Entwürfe zeigten Lust und Befähigung für
ideale .Auffassung und monumentalen und doch leichten
Aufbau- Man darf gespannt sein, was nun werden wird;
zu befürchten ist, daß Grund da sein wird, sich nach
den Seeungeheuern zurückzusehnen.
Im Kunstpalast selber herrscht bereits reges Leben
in Vorbereitung der Doppelausstellung, die am i^-Mai
JOSEPH KOPP
ERBBEGRÄBNIS KEISCH
Inntnansicht. ^gt. Abb. S. JJ4
256
JOSEPH KOPr
Entimtr/
£2^ DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT ^Cö
eröffnet werden und bis in
den Spätlierbst dauern soll.
Es ist kaum zu bezweifeln,
daß beide Ausstellungen
ängstliche wie absichtliche
Skeptiker durch ihren Reich-
tum und ihre Bedeutsamkeit
überraschen werden. Die
Vorsicht der Einladungen
wie der Jury im Zusammen-
wirken mit der Vielheit und
Eigenart der Anmeldungen
verspricht das Beste. Ins-
besondere wird diese erste
große Ausstellung für christ-
liche Kunst ein ganz beson-
deres Interesse dadurch er-
regen, daß ihr retrospekti-
ver Teil sich nicht wieder,
wie so oft, auf das Mittel-
alter beschränkt, sondern,
dieses diesmal zurücktreten
lassend, das für seine christ-
liche Kunst eigentlich wenig
bekannte 17. und 18. Jahr-
hundert und das vielfach
schon halbvergessene, wenn
nicht despektierlich ange-
sehene 19. Jahrhundert in
dessen erster Hälfte (Naza-
rener), dann aber auch die
meist so zersplitterte Kunst
der Gegenwart — in den
permanenten und periodi-
schen Ausstellungen sieht
man ja sehr wenig davon —
zur Geltung bringen. Ge-
rade in der christlichen
Kunst ist eineaustauschende
und anregende Gemeinsam-
keit unter den Künstlern
— ganz unbeschadet ihrer
persönlichen Eigenart —
eine sozusagen innerlich ge-
gebene Sache ; und so ist es
auch eine erfreulichelirschei-
nung, daß sich im Hinblick
auf die Ausstellung und die
aus ihr hervorgehenden An-
I
JOSIlPH KIM'
Ost/H.-.i/w/ ,
GR.\H,STi;i\
München
regungen eine Anzahl jüngerer christlicher Künstler zu-
sammengefunden hat, die als eine geschlossene Gruppe
von Malern, Bildhauern und Architekten in besonderem
Raum ausstellen wird. Das Ausgestellte wird hotf'ent-
lich ebenso würdig und wertvoll sein, als der Gedanke
eines solchen Zusammenschlusses. Man wird aber in
der ganzen Kette von Räumen ganz gewiß gar große
Verschiedenheiten von Auffassungen dessen, was christ-
liche Kunst ist und sein soll, finden und bei aller Vor-
sicht der Anordnenden und der Jury manches, bezüglich
dessen die Ansichten über Zulässigkeit und Erbaulichkeit
recht weit auseinandergehen werden. Gerade das aber
wird Klärungen fördern helfen, die von allzugroßer Be-
engtheit ebenso fern sind, als von allzugroßer Schranken-
losigkeit. Diese Klärungen sind aber um so wichtiger,
weil die Ausstellung nicht nur große Werke für kirchliche
und sonstige Öffentlichkeit, sondern auch den Schmuck
für das Haus, das Geeignete für die häusliche Andacht,
bis zur künstlerischen Einlage in das Gebetbuch berück-
sichtigen wird; so wird auch das große Publikum, der
gemeine Mann seinen Nutzen aus der Veranstaltung
ziehen können. Und da ist der Wunsch wohl begründet,
daß die Ausstellung im Herbste als ein gelungenes
Werk möchte geschlossen werden können.
ZU UNSEREN BILDERN
Auf S. 248 — 256 reproduzieren wir mehrere Grab-
denkmäler des Bildhauers Joseph Kopp in München.
Auch die gleichzeitig mit diesem Heft ausgegebene
Nummer des Pionier enthält sieben Abbildungen von
Grabmälern dieses Künstlers. Joseph Kopp wird von
Mitte Mai bis Anfang Juni in den Räumen der Gesell-
schaft für christliche Kunst eine Ausstellung halten. Bei
diesem Anlaß werden wir einen Artikel über seine Tätig-
keit auf dem Gebiete des christlichen Grabmals ver-
öffentlichen. Die Entwürfe dürfen natürlich ohne Er-
laubnis des Künstlers nicht nachgebildet werden.
Für d.c Rcdaktic
S. Suudha
Druck von
ntr (Prom
F. BrackiT
IcpUtz 3); Verlag der Gesellschaft
A.-G. — Sämtliche in München.
i
Gesellschaft für christliche Kunst
Hiife der Christen
Die christliche Kunst, V. Jhrg.
OTTO RICHTER, BERLIN
Giebelfeld am Amtsgericht Schoneberg hei Berlin
KAISER OTTOS DES GROSSEN ERZBISCHÖFLICHE METROFOLITAN-
KIRCHE ST. MAURITIUS UND KATHARINA IN MAGDEBURG
Von Architekt FRANZ JACOB SCHMITT in München, vormals Domhaumeistcr zu St. Stephan in Metz
Am Sitze der Benediktinerabtei Fritzlar in Hes-
sen wurde im Jahre 9 1 9 Heinrich der \'ogler,
als erster sächsischen Stammes, zum deutschen
Könige erhoben, leiderstarb er aber bereits 936
in der Fülle des Glückes wie Ruhmes und so
ward sein Sohn als Otto I. einstimmig zum Nach-
tolger gewählt. Schon der Krönungsort Aachen
bezeichnete die Erwartung, welche man von
dem neuen Herrscher hegte, schien doch der
Geist Kaiser Karls des Großen aut ihn über-
gegangen; auch Ottos Gemahlin Editha, die
Tochter des englischen Königs Edmund, wurde
vom Mainzer Erzbischofe gekrönt. Schon 929
hatte Otto I. seiner Gattin Magdeburg an der
Elbe geschenkt und Editha') wohnte zumeist
daselbst. Hier ein Bistum zu gründen, faßte
Otto, seit den Kriegen mit den \\'cnden jenseits
der Elbe, seinen Entschluß, welchem Vorhaben
sich aber der Halberstädter Diözesanlischof
Bernhard und dessen Metropolit derErzbischot
von Mainz widersetzten. So kam es, daß Otto
9362) zunächst ein Kloster in Magdeburg
gründete, nebst einer Kirche zu Ehren des
heiligen Mauritius und der Theabaischen Legion.
Der Gründer beschenkte das Gotteshaus3) reicli-
')\ViJukiniiI.II.inMon. Gcrm.III.S. (49: >26.Jan.946
ist der Todestag von Königin Edgid (Edidis), nachdem die-
selbe 19 Jahre In Sach.sen gewolint. Sie wurde von allen
Sachsen tief betrauert und in der Stadt Magathaburg in
Basilicanova an der nördlichen Seite nach Osten bestattet.«
') Die .Xnnalen von Mülvcrstedts geben an: >lm
Jahre 956 ling Otto, der große Kaiser, das Münster in
Magdeburg zu bauen an und gründete dabei eine König-
liche Abtei zu Ehren der heiligen Apostel Peter und Paul
und der heiligen Moritz und Innocenz.«
lieh, schon im Jahre 937 durch den ganzen
Zoll von Magdeburg nebst liegenden Gütern
und mit Reliquien von St. Mauritius. Des
heiligen Benediktus Söhne besiedelten die neue
Stiftung, bei der eine tüchtige Klosterschule ent-
stand, während der Kaiserzwischen 961 bis 966
der Magdeburger Kirche •») nicht nur die Land-
schaften übergab, welche jetzt den größeren Teil
des Saalkreises bilden, sondern auch Giebichen-
stein nebst den Salzgütern bei Halle an der
Saale. \m Jahre 962 hatte Otto sein Vorhaben
glücklich erreicht und Papst Johann XIL be-
stimmte, daß die Benediktinerabtei in Magdeburg
für die Christen jenseits der lilbe zum Erz-
bistum.^) erhoben werde, somit der ganz gleiche
\'organg, wie bei dem Benediktinerkloster
St Feter in Salzburg. Ik'reits 965 stattete Otto
das neue Erzhochstift mit der Gerichtsbarkeit
von Magdeburg und seiner Umgebung aus,
3) Chron. Magdeburg ap. Meibom. S. R. G. 11. 272 :
»Um nun dem Kloster bei dessen Ausbau und Erweite-
rung einen Beweis seiner Zuneigung zu geben, erbaute
Kaiser Otio über den Gebeinen der .seligen Königin Ediilia,
die 9.(6 im elften Jahre seiner Herrschaft gestorben war
und neben der er selbst nach seinem Heimgang zu ruhen
wünschte, mit zwar großen Kosten, aber mit noch größerer
Hoffnung auf dereinstige Belohnung mit aller Pracht und
Kunst ein neues Kloster. Um es auszuschmücken, ließ er
kostbaren Marmor mit Gold und Edelsteinen herbeischaffen
und in alle Säulenkapitäle Reliquien von Heiligen sorgsam
einschließen.«
<) Auf Seite 49 berichtet die von Janicke herausge-
gebene Magdeburger Schöppenchronik : »Im Jahre 956
sandte Kaiser Otto den Marmelstein nach .Magdeburg, der
zu dem Dom kam und großes Gold dazu.«
5) Mon. Germ. VIII, Seite 616.
-58
cs:^ DER DOM ZU MAGDEBURG ?^<a
worauf dann durch Papst Johann XIII. bei der
Synode zu Ravenna 967 die Errichtung der
Erzdiöze feierhch verkündet wurde. Erzbischof
Hatto von Mainz und der neue Halberstädter
Bischof Hildeward (t 996) willigten ein; dem
neuen Erzbistunie wurden als Suffraganbigtümer
Brandenburg, Havelberg, Lebus, seif 1128
Cammin, Merseburg, Zeitz, ab 1028 Naumburg,
Meißen und Posen unterworfen, deren Grün-
dung bereits erfolgt oder doch vorgesehen war.
In Paris wurde durch Childebertl. an der Stelle
der nachmaligen Benediktinerabtei St. Germain
des Pres der Zentralbau St. Vincent-le Rond
errichtet und in seinem Todesjahre 558 geweiht,
leider sind hierüber nähere Angaben nicht über-
liefert. Karl der Große ließ von 796 bis 804
die gewölbte Achtecksbasilika St. Maria mit
großem Vorhofe in Aachen erbauen und hierin
besitzt Deutschland das bedeutendste altchrist-
liche Monument. Ein derartiijes Bauwerk reizte
zur Nachahmung und so entstand in Magdeburg
an der Elbe durch Kaiser Otto den Großen die
Ecclesia rotunda; das Gotteshaus ') brannte zu
Anfang des XI. Jahrhunderts ab, worauf an
gleicher Stelle die St. Nikolauskirche des Kolle-
giatstiftes aufgeführt wurde, welche jedoch 1 3 1 o
abgebrochen werden mußte, um für die z weiWest-
türmederneueuMetropolitankircheSt. Mauritius
und Katharina Platz zu machen. Noch heute
besitzt die Magdeburger Domkirche in ihren
Chorkapellen einen kleinen Zentralbau goti-
schen Stiles aus durchbrochenen dünnen Sand-
steinplatten in Form eines regelmäßigen Sech-
zehneckes mit 3 m 60 cm lichtem inneren Durch-
messer nebst ein er Altarmensa, worauf diesitzen-
den Steinstatuen von Kaiser Otto I. und seiner
ersten Gemahlin Editha stehen. Der Über-
lieferung gemäß istd lese sechzehneckige Kapelle
eine Nachbildung des vormaligen Zentralbaues
der Ecclesia rotunda, was sehr glaubwürdig
erscheint. Karls des Großen Aache-
ner Pfalzkapelle ist im Äußern ein
Sechzehneck, auch die im Jahre
799 geweihte Kapelle des Falken-
hofes der ehemaligen Reichsstadt
Nymwegen ist ein Achteck mit
16 seitigem zweigeschlossigem Um-
gange. Ob die von Kaiser Otto
dem Großen westlich der Domkirche
St. Mauritius und Katharina errich-
tete Rotunda-) als Mausoleum oder
als Taufkirche gedacht war, ist nicht
überliefert. In der Erzdiözese Mainz
wurde 822 zu Fulda nächst der dop-
pelchörigen Benediktinerabteikirche
St. Salvator die Rundbasilika St. Mi-
chael als Grabkapelle geweiht und
in Regensburs: an der Donau lag
REKONSTRUKTION DES UR-
BAUES DER ERZB, METROPOI.I-
TAXKIRCHE UND DER ECCLESIA
ROTUNDA. VON F. |. SCHMITT
A. Cliorvorlage mit Triumphbogen,
B. Gewölbte Conclia mit dem Hocli-
altar. C. Vierung über flachsedecl;tcni-
obkiDgem Räume. D. und E. Quer-
arme mit HolzbalUendeciie. F. Flaclv
gedecktes Langhaus niii 14 Frcisäulen
und ;oOberg.adenfenstcrn. G.undH.
Flachgedeclile Seitenschiflc mit 2 Ar-
kaden auf 1 Mittcls.iulc. L. Eccelsia
rotunda St. NicoUusv..\lvra. .\L Neu-
bau der 120S begonnenen Erzbischöfl.
Metropolitan-DomkirchemitChoruui-
gang, Kapellenkr;
Feri
beiden West
Kreuzgang
•Ma
Holzbalkendecke
') Auf Seite 84 berichtet die Schoppen-
Chronik: »Erzbischof Walthard baute auch
die sogenannte Rotundenkirche wieder, wel-
che die Wenden zerstört hatten, als sie Mag-
deburg verbrannten. Es war dies die alte
St. Xicolaikirche, welclie auf dem neuen
Markte gelegen hatte, da wo jetzt die Dom-
türme stehen.«
=) Die Magdebuger Ecclesia rotunda dürfte
Anregung und Einwirkung geübt haben
beim Rundbau der iVetus capella Sancta
Anna" des regulierten ;\ugustinerchorherren-
stiftes auf dem Petersberge bei Halle an der
Saale in der Erzdiözese Magdeburg, ferner
bei der Rundkapelle des Schlosses Groitzsch
bei Pegau an der Elster, weiter bei dem
mit Doppeltürmen versehenen tlktogon des
durch Kaiser Konrad II. gegründeten regu-
lierten .-^ugustinerchorherrenstiltes auf dem
St. Georgenberge bei Goslar in der Diözese
Hildesheini, endlich bei dem im Xlll. Jahr-
hundert errichteten und iSoo zerstörten Zen-
tralbau St. Spiritus zu Salzwedel in der Alt-
niark.
©^ DER DOM ZU MAGDEBURG ^Sö
2)9
iM.i; iK).\i /i M \(,i)i:nL'KU ^c)Ms|:ll^.)
das Baptistcrium St. Johannes des Taufers mit
einem l\olle>;iatstit"te verbunden, bis zur Mitte
des XIV. Jahrhunderts vor der Westseite des
alten St. Petersdomes romanischen Stiles. Auch
hier gab die Herstellung der gotischen Doni-
doppeltürme N'eranlassung zum Niederlegen
der St. Johanneskirche. Die Magdeburger
Rotunde wird ungewölbt gewesen sein und
so konnten eben die feuergefährlichen höl-
zernen Balkendecken ihres Mittelraumes und
Umganges dem verheerenden Brande keinen
Widerstand leisten und scheinen auch im
Anlange des XI, Jahrhunderts der Substanz des
Monumentes den Untergang gebracht zu haben.
DicsechsSaulenschäfte ausedlem Marmor- und
Granitniateriale ') in der kreuzgewölbten Krypta
der Magdeburger I.iebfrauenbasilika dürften
wohl vordem das Innere der Ecclesia rotunda
geziert haben und fanden hier durch den \on
1064 — 1078 regierenden Hrzbischof Werner
ihre zweckentsprechende Wiederverwendung.
Für die im Sommerund Herbste 1901 indem
Magdeburger Dom eingeführte Xiederdruck-
dampfheizung^) sind zur Aufnahme der Roiir-
leitungen ungefähr 2oj m begehbare Kanäle
') Dr. Franz Kugler: Geschichte der Haukunst, II. Band,
Seite 376.
') Auf Seile 26 bis 28 berichtet Herr Harnis-Magdehurg
hierüber in der am 19. M.irz 1902 zu Berhn erschienenen
»Denkmalpflege.«
Ji*
26o
Sj:^ der DOM ZU MAGDEBURG ji^:ö
bis zu etwa 3 m Tiefe unter dem Plattenboden
angelegt worden. Dabei haben die Ausschach-
tungen einige Gegenstände von allgemeinem
Interesse an das Tageslicht gefördert, weiter aber
auch die Veranlassung zur Freilegung umfang-
reicher Grundmauern gegeben und damit einen
willkommenen Beitrag zu der leider so außer-
ordentlich lückenhaften Baugeschichte des
Magdeburger Domes geliefert. Die im süd-
lichen Teile des Chorumganges und im süd-
lichen Seitenschifle freigelegten alten Grund-
mauern stammen aus einer Zeit vor der Aus-
führung des heutigen Domes gotischen Stiles;
sie zeigen eine abweichende Längsrichtung, eine
Achse, welche genauparallelderjenigen desSüd-
arnies vom Kreuzgange festgestellt worden ist.
Daher wird mit Recht angenommen, daß dieser
Teil des Kreuzganges im Jahre 1207 beim
Brande vom Dome Ottos des Großen erhalten
geblieben und somit auf unsere Zeit gekommen
ist. Das bei dem Chorumgange autgefundene
alte Mauerwerk besteht aus Bruchsteinen und
reicht nur etwa 2 m unter den Plattenboden;
die Grundmauern im südlichen Seitenschiffe
bestehen aus festem Bruchsteinmauerwerk und
reichen tiefer als die Ausschachtung für die
Heizkanäle. Die im Jahre 1901 aufgefundenen
Fundamentmauern des Domes St. Mauritius
und Katharina habe ich in Verbindung mit
dem 55 m langen Südflügel des Kreuzganges
aufgezeichnet und so (Abb. S. 258) eine Rekon-
struktion des im X.Jahrhundert von Kaiser Otto
dem Großen erbauten Gotteshauses erreicht.
Hiernach war es eine im Langhause dreischiffige
Basilika von 38 m Länge, dann folgte ein
Querhaus von gleichfalls 38 m lichter Länge,')
') Hocliinteressant ist diese Gfeiclilieit der Länge
von Langliaus und Q.uerfiaus, es stellt liiefür aber der
alte St. Mauritiusdom nicht vereinzelt da, hat doch auch
Magdeburgs Suft'ragan-Bischof in Merseburg bei seinem
Dome St. Laurentius und Johannes der Täufer das Lang-
haus wie duerhaus mit je 28 m lichter Länge zur Aus-
führung bringen lassen. Die Abteikirche St. Stephan und
Sebastian des Benediktinerinnenklosters St. Maria, Petrus
und Cyriacus zu Frose in der Diözese Halberstadt hatte
im Lirbaue von 950 ein Langhaus von 22'ii m Länge
bei 9 m MittelschitTbreite und ein QuerschifF von 25 m
Länge mit nur y'/a m lichter Breite. Bei dem im
Jahre 1863 aufgegrabenen altchristlichen Urbaue der Bene-
diktinerabteikirche San Abondio in Como besaß das Lang-
haus 23V2 m Länge und das Querhaus 233,4 m, dabei
hatte letzteres 6 m 65 cm lichte Breite, während das
Mittelschiff 11 m 19 cm. maß. Die Patriarchenkathedrale
St. Hermachoris und Fortunat zu Aquileja hat ein Mittel-
schiff von II m 40 cm und ein Q.uerschiff von nur 9 m
lichter Breite. Im romanischen St. Stephansdome zu Metz
besaßen Langhaus wie duerhaus je 43 m Länge ; während
aber das duerschiff eine lichte Breite von 10 m 60 cm
hatte, erreichte das Mittelschiff 14 m Lichtweite, wie ich
in meinem Aufsatze »die Kaüjedrale St. Stephan zu Metz
in der ehemaligen Kirchenprpvinz Trier« im I. Jahrgange
der Monatsschrift »Die christliche Kunst« auf Seite 226— 252
und 250—252 sowie 270 — 272 nachgewiesen habe.
während dieses aber eine lichte Breite von 10 m
hatte, erreichte das Mittelschiff' eine solche von
i2'/2 m; beide Abseiten besaßen die gleiche
Länge wie das Mittelschiff' und je 8 m 80 cm
Breite. Die Vierung bildete kein Quadrat,
sondern ein Oblongum von 10 m auf 12'/ 2m
lichter Weite. Die ganze Länge des Kirchen-
inneren erreichte vom Westeingange bis zum
Apsidenschlusse 62V2 m, während der heutige
gotische Dom von der inneren Flucht der
Westdoppeltürme bis zum inneren 5/io Apsiden-
schlusse 90'/2 m mißt.
Zunächst erscheint auffallend, daßsich keine
Fundamente von den ehemaligen Glocken-
türmen gefunden haben und wenn der Urbau
Kaiser Ottos ihrer etwa entbehrt, so ist doch
diesem Mangel sicher im Laufe des XL Jahr-
hunderts abgeholfen worden, was ja auch bei
der Benediktinerinnenabteikirche St. Maria und
Gertrud zu Essen in der Diözese Hildesheim
(heute Köln) und bei Unser Lieben Frauen und
St. Markus-Münster des Benediktinerklosters
Mittelzeil auf der Lisel Reichenau im Boden-
see in der Diözese Konstanz, da wie dort,
durch einen nachträglichen Hochturmbau über
dem Westchore geschehen ist. Sind nun sämt-
liche mittelalterlichen Kirchen derStadt Magde-
burg mit Doppeltürmen versehen, so wird die
ehemalige Kathedrale 2) des Erzbischofes im
romanischen Stile wohl auch dieser Zierde
nicht entbehrt haben; wurde der gotische Neu-
bau des XIIL Jahrhunderts doch planmäßig
mit vier Türmen von quadratischem Grundrisse
ausgestattet. Es wird Sache der Lokalforschung
sein, die Nachgrabungen unter dem heutigen
Plattenboden des Domes fortzusetzen und sicher
werden die jetzt noch unbekannten Glocken-
türme, sei es am Chore oder an der Westseite,
sich auffinden lassen. Merkwürdig ist ferner
bei dem Urbaue des Magdeburger Domes
die lateinische Kreuzesform, denn diese gehört
wohl dem XI, nicht aber schon dem X. Jahr-
hunderte an ; in diesem herrscht noch durch-
gehends die T-Form, welche ich auf Seite
171 — 176 des Jahrganges 1890 der Karl von
Lützowschen »Zeitschrift für bildende Kunst«
im Ostchor des von 978 — 1009 durch Erz-
") Mon. Germ. XVl. Seite 183: »An Commemoratio
Pauli, 30. Juni 11 29, erhob sich gegen den Erzbischof
Norbert eine große Empörung der Bürger der Stadt Magde-
burg, weil er die Domkirche, welche, wie er erfahren
hatte, entweiht worden war, zur Nachtzeit wieder weihte.
Bei dem \\'achsen des Aufstandes zog sich Norbert mit
den Bischöfen von Meißen und Havelberg sowie dem
Magdeburger Dompropste in die oberen Räume des
alten Münsters zurück und wurde dort lange belagert,«
und weiter : »Sie nötigten ihn auf ein .Municipium zusteigen,
welches vor Zeiten von Kaiser Otto an der Stelle eines
Turmes der Domkirche erbaut worden, aber wegen seines
frühen Todes unvollendet geblieben war.«
26l
DER DOM ZU MAGDF-lU'Rr, II
202
S-^ DER DOM ZU MAGDEBURG ä^a
bischof Willigis erbauten Mainzer St. Martinus-
domes nachgewiesen habe. T-Form hat im
Erzsprengel des Mainzer MetropoHten weiter:
I. die Benediktinerinnenabteii<irche St. Maria
in Steinbach bei Michelstadt im hessischen
Üdenwalde, 2. der Urbau der St. Michaels-
basilika auf dem oberen Heiligenberge bei
Heidelberg am Neckar, 3. die St. Remigius-
palastkapelle Kaiser Karls des Großen in Niedcr-
ingeIheimbeiMainz,4.derUrbauderSt.Justinus-
säulenbasilika zu Höchst bei Frankfurt am
Main,') 5. die ehemalige Pfeilerbasilika der
Benediktinerabtei auf dem St. Johannesberg
im Rheingau und 6. die ehemalige St. Salvator-
basilika in Frankfurt am Main. ■-) Bei den bis
jetzt bekannten Fundamentmauern des alten
Magdeburger Domes wurden vom Querhause
nach Osten hinausgebaute Apsidiolen nicht
gefunden, immerhin dürften sie nicht gefehlt
haben, besitzt solche doch auch die kreuz-
förmige dreischiffige Basilika St. Maria 3) in
Magdeburg, sowieSt. Cvriakus und Metronus der
ehemaligen Benediktinerinnenabtei Gernrode
am Harz in der Dii)zese Halberstadt, welche
dem im Jahre 960 begonnenen Basilikenbaue
■) »Repertorium für Kunstwissenschaft« 1900: »Die
Karolingische SäulenbasiHka St. Justinus zu I lochst am
Main« von Arcliitelit Franz Jacob Scliniitt.
-) Berliner »Deutsche ßauzeitungs Seite 11)5 — 19$ vom
25. April 1892: »Die ehemalige St. Salvatorbasililia in
Frankfurt am Main« von Architekt Franz Jakob Schmitt.
3j Die südöstliche Apsidiole von St. Maria existiert
noch heute, wahrend die nordöstliche einer bereits im
Mittelalter ausgeführten Erweiterung der Sakristei des
Präuionstratenserchorherrenstiftes weichen mußte. , ■
zugeschrieben werden. Die überaus pietät-
volle Wiederverwendung der Säulenschäfte
und Kapitale des romanischen Domes im goti-
schen Neubaue beim Cliorinneren, dessen ge-
wölbter Empore und im vormaligen Kapitel-
saale an der Ostseite des Kreuzganges gibt
uns einen willkommenen Einblick in die for-
male Konstruktion des untergegangenen Monu-
mentes aus dem X.Jahrhunderte. Vier Mono-
lithschäfte im jetzigen mit fünf Seiten des
Zehneckes geschlossenen Chore haben bei '/^m
Durchmesser eine Höhe von 3'/2 ni; da aber
der Schaftdurchmesser ungleich, so werden
Kapitälaufsätze zur Ausgleichung für die Ar-
kaden und die auf denselben sich erheben-
den Hochschiffsmauern vorhanden gewesen
sein. Besagtes Konstruktionsmotiv findet sich
in altchristlicher Zeit bei den Baudenkmälern
von Ravenna und kam zur Karolingerzeit
von da in den deutschen Norden, wo die
St. Justinussäulenbasilika zu Höchst in der
Erzdiözese Mainz ein treffliches Beispiel gibt;
als architiaviertes Gesims erscheint der Kapitäl-
aufsatz bei den Säulen der Vorhalle von St. Vitus
und Stephanus der Benediktinerabtei Corvey
in der Diözese Paderborn. Es entsteht die
Frage, ob der Dom Kaiser Ottos des Großen
imLanghause eine reineSäulenbasilikagewesen
oder ob bei ihm schon der regelmäßige Wechsel
von Säule und I-'feiler stattgefunden hat? Das
herrliche Säulenmaterial kam wohl vonRaven na
und hier sind alle Monumente reine Säulen-
basiliken, was auch von den Domkirchen zu
Aquileja, Grado und Parenzo gilt; aus Karolin-
gerzeit ist es die St. Justinusbasilika in
Höchst am Main, die Rundbasilika St. Mi-
chael in Fulda, war es ebenda die Bene-
diktinerabteikirche St. Salvator, ferner
der alte St. Petersdom zu Köln a. Rhein
und der 1030 abgebrochene Urbau des
Spevrer Domes St. Maria. 4) In Sach-
sen findet sich nachmals zu Goslar die
durch Kaiser Heinrich III. 1045 errichtete
und 1056 durch Papst Viktor II. geweihte
St. Petersbasilika mit zehn Freisäulen im
dreischiffigen Langhause und zu Pader-
born die 1017 erbaute Hallenanlage St.
Bartholomäus auf sechs Freisäulen. —
Bei meiner Rekonstruktion des Urbaues
vt)m Magdeburger Dome St. Mauritius
und Katharina habe ich im Langhause als
Stützen der Hochschiftsmauern beider-
seits je sieben, also zusammen 14 Frei-
säulen angenommen, dies ergibt bei 38 ni
KREUZGANG AM DOM ZU MAGDEBURG
•>) Seite 275 — 278 der Karl von Lützowschen
Zeitschrift für bildende Kurwt 1888: »Römische
Tempel in Speyer« von Arcliitekt Franz Jakob
Schmitt.
©^ DER DOM ZU -MAGDFRURG ^<a
263
INNERES DES DOMES /X MAGDEBURG
Länge eine Aclisenweite von 43/4 m im Säulen-
niittel; zum \'ergleiche sei angeführt, daß beim
Dome St. Maria zu Konstanz am Bodensee die
Säulen von Mittel zu Mittel in 4'/2 m, in Lim-
burg an der Haardt beiderBenediktinerbasilika
Heiligkreuz und St. Johannes der Evangelist
in 4 m 15 cm und bei der Benediktinerbasi-
lika Allerheiligen zu Schatihausen am Rheine,
Diözese Konstanz, in 5 m Entfernung sich
hetinden. Da alle diese Baudenkmäler reine
Säulenbasiliken sind und ihre Substanz viele
Jahrhunderte in solidem Zustande dauerte, so
besteht kein konstiuktives Bedenken, wenn
ich für den Kaiserdoni in Magdeburg auch
eine reine Säulenbasilika voraussetze, zumal
es Otto dem Großen an Monolithschäften
durchaus nicht gemangelt zu haben scheint.
Wenn auf Seite 369 seiner Geschichte der
romanischen Baukunst L'ranz Kugler im fahre
1859 über die dreischiftige Basilika St. Cvria-
kus und Metronus der Benediktinerinnen zu
Gernrode im heutigen Herzogtum Anhalt
schrieb: > In den \'erhältnissen des Innern ist
ein bestimmt energischer Zug hervorzuheben,
der sich namentlich in der freien und derben
Spannung der unteren Arkadenbögen geltend
macht., so dürfte das Gleiche wohl auch für
Jie ehemalige Kathedrale des l-rzbistums Mag-
deburg anzunehmen sein. Hier gab die große
Breite der Seitenschiffe von 8 m 80 cm, ganz
264
<?xm DER DOM ZU MAGDEBURG S^>Q
wie bei der durch Bischof Bernward (995 bis
1022) erbauten Benedilvtinerabteikirche St. Mi-
chael in Hildesheim, Veranlassung, statt der
üblichen einfachen Bogenöffnung sie durch
einen von einer Freisäule getragenen Dop-
pelbogen in die Flügel des Querhauses mün-
den zu lassen. Diese Konstruktion findet sich
bei der dreischiffigen Basilika St. Hermachoras
und Fortun at des Patriarchen von Aquileja,
sowie bei der mit doppeltem Querhause ver-
sehenen dreischiffigen Basilika St. Maria und
Markus der Benediktinerabtei Mittelzeil aut
der Insel Reichenau im Bodensee;') wenn das
Baumotiv hier erstmals im deutschen Süden
auftritt, so dürfte der im X.Jahrhundert ausge-
führte Urbau des Magdeburger Domes wohl
hiefür das älteste Beispiel im Norden Deutsch
lands sein ; von Magdeburg ging es aut St. Mi-
chael in Hildesheim über.
Aus demNecrolog. Magdeb. von 946 — 1033
ist bekannt, daß am 22. Februar roo8 auf
Sonntag Reminiscere die Krypta der Dom-
kirche geweiht worden ist. Da nach dieser
Krypta romanischen Stiles 1896 Regierungs-
und Baurat Angelroth im geosteten Chore des
heutigen Domes erfolglose Nachforschungen
angestellt hat, so wäre sehr zu wünschen, wenn
auf Grundlage der im Jahre 1901 entdeckten
Fundamentmauern des Ottonischen Domes
neuerdingsGrabungen erfolgen möchten; heute
wissen wir, wo sich Chorvorlage und Concha
befunden haben, hierunter werden sich auch
noch die Spuren einer ehemaligen Säulen-
krypta auffinden lassen. Vom St. Stephans-
dome in Halberstadt ist urkundlich überlietert,
daß seine gewölbte Krypta imjahre 974 konse-
kriert worden ist; beim nachmaligen Neubaue
gotischen Stiles ward sie verschüttet, ihr be-
glaubigtes Vorhandensein dürfte aber tür die
Magdeburger Archi-Episkopalkirche und deren
frühere Krypta von nicht geringer Beweiskratt
sein. 2) Weiter möge die Frage aufgeworten
werden, ob wohl die alte Magdeburger Kathe-
drale doppelchörig gewesen ist? Die Kunst-
geschichte kennt in Deutschland und den ehe-
dem zum Reiche gehörigen Ländern derzeit
20 Domkirchen, welche mit einem Ost- und
einem Westchore ausgestattet waren; dazu ge-
hören wohl Naumburg mit St. Peter und Paul,
Merseburg mit St. Laurentius und Johannes
dem Täufer, Hildesheim mit St. Maria, Minden
') Friedrich Adler »Baugesdüchtliche Forschungen«,
Berhn) 1870.
') Die noch heute dauernde romanische Säulenkrypta
der ehemaligen Pramonstratenser-Chorherrenstiftskirche
St. Maria zu Magdeburg dürfte wohl in der Mutterkirche
St. Mauritius und Katharina der Erzdiözese ihr Vorbild
gehabt haben.
mit St. Peter und Gorgonius, Paderborn mit
St. Maria, LiboriusundKilian, Münster in West-
falen mit St. Paulus, Bremen mit St. Peter
und Maria, sowie Prag in Böhmen mit St. Vitus,
Adalbert und Wenzel, 3) bis zur Stunde aber
weder Halberstadt mit St. Stephans, noch
Magdeburg mit St. Mauritius und Katharina.
Wenn daher im alten Sachsenlande der Bene-
diktinerorden die Abteikirchen St. Peter und
Paul zu Ilsenburg, St. Vitus zu Drübeck, St. Maria
zu Huyseburg, St. Stephan und Sebastian zu
Frose, St. Johannes der Täufer, Anastasius
und Innocenz zu Gandersheim, St. Cyriakus
und Metronus zu Gernrode, St. Michael sowie
St. Godehard, beide zu Hildesheim, endlich
St. Maria und Gertrud zu Essen 4) doppelchörig
erbaute, so ist dies wohl auf keine Anregung
der Oberhirten von Halberstadt und von Magde-
burg zurückzuführen.
Beim Neubaue des gotischen St. Stephans-
domes in Metz hat man die Längsachse des
romanischen Urbaues genau beibehalten, eben-
so geschah es bei dem Neubaue des Renais-
sancedomes St. Rupertus und Virgilius in
Salzburg, 5) und leicht ließen sich diese Bei-
spiele noch vermehren; anders wurde aber
in Magdeburg an der Elbe verfahren. Wohl
steht auch hier der Hochaltar nahezu aut
gleicher Stelle wie im Dome Kaiser Ottos
des Großen; aber die Längenachse war ehe-
dem nach Südosten gerichtet und wurde tür
den gotischen Bau nordöstlich verschoben,
was dann auch das Niederlegen des alten Nord-
flügels vom Kreuzgange nötig machte; dieser
erhielt hierauf die selten vorkommende Grund-
rißform eines Paralleltrapezes. '5) Derzeit ist
der Beweggrund zu besagter Abweichung un-
bekannt; Schwierigkeiten des Terrains, ein
Wasserlauf oder schlechter Erdboden dürtten
es aber sicher nicht gewesen sein.
Die Baugruppe vom alten Dome St. Mauritius
3) In den letzten Jahren des XIX. Jahrhunderts hat
beim Ausbaue des gotischen Langhauses Dombaumeister
Mocker sowohl den Westchor, als auch dessen ehe-
malige Krypta romanischen Stiles vom St. Veits Urbaue
entdeckt.
4) Alfried, seit 848 Bischof von Hildesheim, gründete
im Jalire 873 das Benediktinernonnenkloster zu Essen
an der Ruhr, es blieb kirchlich bei Hildesheini und kam
erst spater zur Erzdiözese Köln.
5) »C)sterr. Monatschrift fürden öffentlichen Baudienst«
1 897 : I- Die Erzbischöfliche Metropolitankirche St. Rupertus
und Virgilius zu Salzburg in romanischer Zeit« von Architekt
Franz Jakob Schmitt.
•=} Des heutigen Kreuzganges Ostflügel hat eine Länge
von 42"/2 m, wahrend der Westflügel 4'h m weniger,
also nur 38 m lang ist; Nord- und Südtlügel haben je
55 m Länge. Die Maße entnahm ich einem Lageplane des
Magdeburger Domes in dem durch Architekturphoto-
graph E. von Flottwell 1891 herausgegebenen Werke:
»Mittelalterliche Bau- und Kunstdenkmäler in Magdeburg.«
S. K. H. Prinz Ruprecht von Bayern
jOI« christliche Kunst, V. .
i
WANDGEMÄLDE IX DER DOMINIKANERKIRCHE ZU REGENSBURG
?6^
und Katharina mit seinem an der Südseite
ausgedehnten Kreuzgange und der westwärts
stehenden Ecclesia rotundamuß entscliiedenen
Reiz besessen haben, hat docii die Arnostadt
Pisa bis auf den heutigen Tag im St. Marien-
dome nebst Canipo santo, dem kreisrunden
Campanile und Baptisterium ein derartig groß-
artiges Architei<turbild. Aber auch das l<reuz-
förmige dreischilTige Innere vom Dome Ottos
des Großen dürfte durch die kostbaren Marmor-
säulen, mit welciiem Schmucke wohl Wand-
maiereien, gleich der St. Blasiusstiftskirche
Braunschweigs wetteiferten, vornehmsten Iiin-
druck ausgeübt und weithin Bewunderung sich
erworben haben.
EIN ZYKLUS VON WANDGE-
MÄLDEN AUS DEM LEBEN DES
HL. THOMAS VON AQUIN IN
DER DOMINIKANERKIRCHE ZU
REGENSBURG
Von Dr. J. A. ENDRI-S
In der Dominikanerkirche St. Blasius zu Re-
^ gensburg wurde in der jüngsten Zeit eine
Anzahl alter Wandgemälde von der ver-
hüllenden Tünche befreit. Zuerst stieß man
noch zu Anfang der neunziger Jahre des
verflossenen Jahrhunderts auf heraldisch
höchst bemerkenswerte, gemalte Epitaphien
in der Chorpartie des nördlichen Seiten-
schiffes, deren Reihe vielleicht noch am Ende
des I 3. Jahrhunderts erötlnet wurde. In den
letzten Jahren schlössen sich daran Funde
im Chor des Mittelschiffs und an der Nord-
und Südwand des Schilfs der Kirche. Der
langgestreckte Chor von St. Blasius muß ur-
sprünglich ein ganz einfaches Chorgestühl
besessen haben, ehe das jetzt vorhandene in
der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts an
seine Stelle trat. An diesem alten Chorge-
stühl fehlte offenbar der Aufbau an der
Rückwand. Denn hinter den jetzigen Chor-
stühlen erscheinen an der Wand gemalte
frühgotische Blendarkaden. Diese gemalten
Hallen tragen geradeso wie die Standorte
der jetzigen Holzchorstuhlwände die Namen
jener deutschen Städte eingeschrieben, deren
Klöster ihre Abgeordneten zu den Kapiteln
der deutschen Ordensprovinz zu entsenden
pflegten. Später, aber noch im 15. Jahr-
hundert, wurden über diesen Blendbögen
fünfzehn Szenen aus der Leidensgeschichte
Christi gemalt und in gleicher Höhe gegen
Osten hin links die Figur des hl. Dominikus,
rechts jene des hl. Thomas von Aquin an-
gebracht. Eine Heiligenreihe aus irühgotischer
Zeit, in gemalter Nische stehend, schmückt
die Südseite der Kirche unmittelbar beim
Eingang zur jetzigen Sakristei. Durch die
Neuschaffung dieses Eingangs sind die Bilder
teilweise zerstört worden. Links über dem
Eingang erscheint die große Figur der
hl. Katharina von Alexandrien, vor welcher
der betende Stifter kniet. Sein mächtiges
Wappen steht vor ihm. Eine Inschrift hält
das Jahr 1331 fest. An der nördlichen
Längswand des Seitenschiffs wurde das
larbenfrische Bild von Maria Schutzmantel
gefunden, ein \'orwurf den der Dominikaner-
orden ganz besonders bevorzugte. Gegen
Westen war an der gleichen Wand ein großes
Olbergbild angebracht. Und zwar stellte
sich heraus, daß dieser gleiche Gegenstand,
nachdem er früher etwas tiefer gemalt war,
später, das alte Bild teilweise verdeckend, in
die Höhe gerückt wurde. Der Olberg, das
Werk eines sehr guten Meisters, entstand
1520. Ungelähr zwei Dezennien früher war
die Südwand der Kirche dem Olberg gegen-
über mit zwei Gemäldezyklen in vier Bilder-
reihen untereinander geschmückt worden.
Der obere Zyklus erzählt das Leben des
hl. Sebastian, der untere jenes des be-
rühmtesten Lehrers aus dem Dominikaner-
orden, des hl. Thomas von Aquin. Der
Beschreibung dieses letzteren sollen die folgen-
den Zeilen gewidmet sein (vgl. Abb. S. 267).
Der Zyklus aus dem Leben des hl. Thomas
besteht aus acht Bildern, in zwei überein-
anderstehcnden Reihen. Die einzelnen Dar-
stellungen werden durch eine gemalte Leiste
voneinander getrennt. Die Erhaltung der Ge-
mälde läßt viel zu wünschen übrig. Doch
ist nur ungefähr ein Drittel der beiden ersten
Darstellungen links ganz zerstört, da hier der
Mauerbewurf erneuert wurde. Der Inhalt
der einzelnen Bilder kann überall noch leicht
erkannt werden, ja einzelne Figuren zeichnen
sich durch eine verhältnismäßig gute Erhal-
tung aus. Der Maler sah sich veranlaßt,
fünf Szenen durch gemalte Spruchbänder zu
erläutern. Der gelehrte Aquinate gehörte
eben nie zu den eigentlich volkstümlichen
Heiligen. Auch diese Spruchbänder sind teil-
weise lesbar und lassen sich leicht ergänzen.
Die Gemälde erzählen den Ruhm des Hei-
ligen, angefangen von seiner \'orherverkün-
digung durch einen Eremiten bis zu der Er-
scheinung nach seinem Tode an der Seite
des hl. Augustinus. .■Ms literarische Grund-
lage der Bilder ist die Biographie des Heiligen
zu betrachten, welche \Vilhelm von Tocco
Dir chrittlkhe Ko
266 WANDGEMÄLDE IN DER DOMINIKANERKIRCHE ZU REGENSBURG
als Prior des Dominikanerklosters zu Bene-
vent und Prokurator bei der Kanonisation
des Aquinaten am päpstlichen Hofe zuAvignon
um 1319 verfaßte.') Sie ruht zwar auf einer
etwas älteren und einfacheren Lebensbe-
schreibung des bedeutenden Dominikaner-
historikers Bernardus Guidonis,^) verdrängte
aber durch ihr offizielles Ansehen alle übrigen
Berichte über Thomas.
Von den vier Bildern der oberen Reihe
bietet das erste eine Doppelszene. Die Ver-
kündigung der Geburt des Heiligen und
Thomas als Kind im Bade. Die drei übrigen
beziehen sich auf seine Aufnahme in den
Dominikanerorden, seine Haft und seinen
Aufenthalt in der Schule Alberts des Großen.
Die Verkündigung der Geburt des hl.
Thomas und die Badeszene des Kindes finden
in einem und demselben Räume statt. Nach
Wilhelm von Tocco sagte der Mutter des
Aquinaten, Theodora, em Mitglied der Ere-
mitenkongregation auf dem Berge Roccasicca,
namens Bonus, die Geburt eines Sohnes mit
den folgenden Worten voraus: Gaude domina,
quia es praegnans, et paries filium, quem
vocabis Thomam.3) Von der Rede des
guten Eremiten haben sich die letzten vier
Worte auf dem Spruchbande über den Figuren
erhalten. Dagegen blieb von dem Eremiten
selbst nur mehr die Hand mit dem Krücken-
stocke, dem beliebten Attribute der Einsiedler,
übrig. Wohl eine der besten Figuren des
ganzen Zyklus ist die gut erhaltene Gestalt
Theodoras. Sie trägt als Zeichen ihrer fürst-
lichen Abkunft ein pelzverbrämtes Oberge-
wand. Die Wiedergabe des Staunens ist dem
Maler in Gestus und Gesichtsausdruck treff-
lich gelungen.
Auf der zweiten Szene des Bildes sehen
wir den kleinen Thomas bereits im Bade,
einen beschriebenen Zettel in der Hand
haltend, welchen ihm die Wärterin zu nehmen
sucht. Die Legende erzählt nämlich, daß
der Kleine sich dereinst, als er gebadet
werden sollte, einen zufällig gefundenen
Schriftstreifen kindlich hartnäckig nicht habe
entwinden lassen. Als ihm die Mutter das
Händchen öffnete, sei das Ave Maria auf
dem Zettel gefunden worden. 4)
') Gedruckt Acta SS. Boll. Mait. I, 657 ff.
') Vgl. meine Abhandlung : Studien zur Biographie
des hl. Thomas von Aquin, Histor. Jahrb. d. Görres-
Gesellschaft 29 (1908), 537 ff.
3) Acta SS. Ic. 659 D.
■♦) Acta SS. Ic. 659 F. Wilhelm von Tocco verlegt den
Vorgang nach Neapel. Die Darstellung unseres Kunstlers
entspricht der schlichteren Erz.ählung bei Bernardus Gui-
donis, Vita s. Thomae c. 2, gedruckt in Bon. Mombri-
ius, Sanctuarium pars IL (s. 1. eta.; unpaginiert).
Das zweite Bild setzt uns in den Kapitels-
saal des Dominikanerklosters von Neapel. In-
mitten mehrerer Dominikaner sitzt der Prior
— es ist Thomas Agni de Lentino, später
Patriarch von Jerusalem — auf erhabenem
Stuhle mit verzierter Rücklehne. Thomas
kniet als Knabe vor ihm. Er hat seinen
verbrämten Rock abgelegt und bereits den
weißen Habit der Dominikaner angezogen.
Thomas Agni vollendet die Einkleidung, in-
dem er ihm das Skapulier mit der Kapuze
darreicht.
Bekanntlich waren die Angehörigen des
hl. Thomas mit seinem Eintritt in einen
Mendikantenorden nicht einverstanden. Als
er von Neapel aus zu den Studien nach
Paris gesandt wurde, hoben ihn daher seine
älteren Brüder auf und schafften ihn auf
eines der Schlösser der Familie, S. Giovanni,
wo sie ihn während einer längeren Haft auf
andere Gedanken zu bringen suchten. Unter
anderem sollen sie das schändliche Mittel
versucht haben, ihn durch eine Dirne vom
Ordensleben abwendig zu machen. Doch
'Fhomas habe das Weib mit einem brennen-
den Scheite des Kaminfeuers in die Flucht
geschlagen. Darauf habe er mit dem ver-
kohlten Teile des Scheites ein Kreuz an die
Wand gezeichnet, vor dem er betend ent-
schlummerte. Während des Schlafes sei er
dann von Engeln gegürtet worden. 5) Unser
Maler zieht den Vorgang zusammen. Mit
der Fackel in der hocherhobenen Rechten
treibt Thomas die Dirne zur Türe hinaus.
In die Linke gibt ihm der Künstler einen
Buchsack, weil die Biographen berichten, daß
sich Thomas von seinem Kloster aus Bücher
für die Zeit seiner Haft erbeten habe. Noch
während der Handlung läßt der Künstler
den Gefangenen durch zwei Engel gürten.
Nachdem Thomas vom Jahre 1245 — 1248
an der Universität Paris studiert hatte, begab
er sich zur Fortsetzung seiner Studien an
das durch Albert den Großen eben neu ins
Leben gerufene Studium generale nach Köln.
Dort fiel er durch sein schweigsames Wesen
derart auf, daß ihn seine Studiengenossen
den stummen Ochsen nannten. 6) Darauf
nimmt das vierte Bild in Legende und Dar-
stellung Bezug. Erstere besagt im Anschluß
an Wilhelm von Tocco, nur den Text etwas
kürzer fassend : Nos vocamus hunc bovem
mutum, sed magnum dabit in mundo mugitum
5) Acta SS. Ic. 661. Die älteste Q.uelle für die un-
wahrscheinliche Verführungsgeschichte ist der phantasie-
volle Niederländer Thomas CantJmpratanus. S. meine
oben zitierte Abhandlung, S. 774 ff.
«>) Acta SS. Ic. 662 F.
267
M*
268 WANDGEMÄLDE IN DER DOMINIKANERKIRCHE ZU REGENSBURG
(Wir nennen diesen den stummen Ochsen,
er aber wird ein großes Gebrüll in der Welt
erheben). Mit diesen Worten soll Albert
der Große auf die künftige Bedeutung
seines Schülers Thomas hingewiesen
haben. Auf unserem Bilde nimmt
Albert rechts oben den Lehrstuhl
ein. Sechs Schüler, darunter ein
vornehmer Laie, bilden seine Zu-
hörerschaft. Thomas sitzt sin-
nenden Blicks im Vordergrunde.
Seine nächsten drei Nachbarn
sind offenbar gerade mit ihm
beschäftigt. Der vorderste in
der Reihe will sich von dem
Gegenstand der Vorlesung nicht
länger abziehen lassen. Er legt
den Finger auf die Stelle des
eben erklärten Buches und be-
gnügt sich damit, einen bedenk-
lichen Blick auf den unterschätz-
ten Genossen zu werfen. Der
zweite in der Reihe kann ein
spöttisches Lächeln nicht untei
drücken, während ein dritter hm
ter dem Rücken von Thomis
sichtlich die Nase über ihn rümpft
Auch hier ist dem Maler die Ge
bärdensprache recht wohl ge
hingen.
Die untere Bilderreihe, \\eil
näher am Publikum, war der Be
Schädigung mehr ausgesetzt als
die obere. Am meisten hat ge
litten das erste Gemälde mit dei
Szene, welche die Biographen
auf die Erzählung des Sakristans
von S. Domenico Maggiore zu
Neapel, Dominikus von Caserta
zurückführen. Dieser sah näm
lieh dereinst, wie Thomas be
tend zwei Ellen hoch über die
Erde erhoben wurde und er \er
nahm die vom Kreuze ausgehende
Stimme: »Thomas, du hast gut
über mich geschrieben. Welchen
Lohn willst du von mir für deine
Mühe erlangen.?' Thomas habe
geantwortet: Herr nur dich! ■)
Auf dem Bilde erkennt man noch
drei Bogenstellungen der Kirche
und davor die schwebende Ge-
stalt des Heiligen nebst den zwei
zugehörigen Spruchbändern mit
(Bene) scripsisti de me. Quam
recipies.? Domine "~
-x-^*»»
LEONHARD THOMA
OSTEKMORGEN
dem Text:
mercedem
non alKim nisi teipsum.
') Acta SS. Ic. 670 f.
Dagegen blieb von dem Kruzifixe auf der
linken Seite nur der Rest vom Querholze des
Kreuzes erhalten.
Das nächste Bild zeigt Thomas mit einem
Ordensgenossen an reichbesetzter Tafel,
an deren Langseite ein König und eine
Königin Platz genommen. Eine vor-
nehme Jünglingsgestalt, wohl nur
eine Füllfigur und ganz in der
Art des vornehmen Laien in der
Schule Alberts, nimmt stehend
rechts den Vordergrund ein. Es
handelt sich hier um die reizende
.Anekdote, welche bekundet, daß
Thomas als Professor zu Paris
der kleinen Schwäche mancher
seiner Standesgenossen, nämlich
einer nicht selten zur Unzeit sich
geltend machenden Geistesab-
wesenheit, auch seinen Tribut
zollte. Er war nämlich dereinst
mit seinem Prior von König Lud-
wig dem Heiligen von Frank-
reich zu Tisch befohlen. Ganz
in seine Gedanken vertieft ver-
gaß er die ihn umgebende Situa-
tion und brach plötzlich in die
Worte aus: »letzt bin ich fertig
mit der Häresie des Manichäus.«
Der Prior zog ihn an der Kapuze
und sagte: »Gebt acht, Magister,
da ihr jetzt an der Tafel des Kö-
nigs von Frankreich seid.« Mit
einer Verneigung gegen den hl.
Konig habe dann Thomas um
Entschuldigung gebeten. 2) Auch
hier sind die Legenden des Bil-
des noch großenteils lesbar.
Der Chronologie nach sollte
diese Darstellung der vorigen
\orangehen. Denn der Vorgang,
welchen Dominikus von Caserta
berichtet, fällt bereits in die letzte
Zeit des Lebens von St. Thomas,
wahrend die Einladung bei dem
hl. Ludwig in einer der voraus-
gehenden Lehrperioden des Hei-
ligen zuParisstattgefunden haben
muß.
An vorletzter Stelle schildert
der Maler den Tod des hl. Tho-
mas in der Zisterzienserabtei Fos-
sanova. Der Heilige ruht auf
dem Sterbelager. Die Sterbekerze ist ange-
zündet. Drei Mönche, darunter ein Zister-
zienser, bemühen sich um. den Sterbenden.
=; Acta SS. Ic. 675 BC.
WANDGEMÄLDE IN DER DOMINIKANERKIRCHE ZU REGENSBURG 269
I.EONHARD
THOMA, MÜNCHEN
PAPST
GRKGOR DER GROSSE
An dem Fenster links im Gemache ist scheinbar
als Verzierung der \'erglasuiig ein Stern ange-
bracht. Tatsächlich will der Maler das Gesicht
einesZisterzienscrsvonFossanova andeuten, der
einen Stern von wunderbarem Glänze über dem
Klosterherablallensah-EswarzurselbenStunde,
als im Kloster das Schallbrett zum Zeichen des
Todes von Thomas geschlagen wurde.')
Den ganzen Zyklus schließt die Darstellung
einer Vision des Dominikanerlektors Albertus
Mandukasinus von Brescia (gestorben um 1 5 1 4)
ab. Dieser, vielleicht ein unmittelbarer Schüler
von Thomas, jedenfalls ein begeisterter An-
hänger seiner Lehre, scheint sich um die An-
■) Act.1 SS. Ic. 67 7 K.
270 WANDGEMÄLDE IN DER DOMINIKANERKIRCHE ZU REGENSBURG
erkennung dieser letzteren sehr bemüht zu
haben. Dem entspricht denn aucli die Vision,
welche er hatte und über die wir durch das
Protol^oll des Kanonisationsprozesses des Aqui-
naten unterrichtet sind. Als er nämlich einst-
mals vor dem Altar der heiligen Jungfrau betete,
erschienen ihm zwei Gestalten in wunderbarem
Lichtglanz, die eine infuliert, die andere im
Gewände der Predigerbrüder, aber mit außer-
ordentlichem Schmucke geziert. So hatte sie
unter anderem auf der Brust einen großen,
kostbaren Stein, welcher die Kirche erleuch-
tete.') Der Bischof gab sich als der Kirchen-
lehrer Augustinus zu erkennen und bezeich-
nete als seine Absicht, die Lehre und Ehre
seines Begleiters, des Bruders Thomas von
Aquin, zu bestätigen. 'Dieser ist nämlich,',
sagte er, > mein Sohn, welcher der Lehre der
Apostel und der meinigen, in allem folgte und
die Kirche Gottes durch seine eigene Lehre
erleuchtete. Das deuten die kostbaren Steine
an und vornehmlich der, welchen er auf der
Brust trägt. '< Augustinus schließt: »An Ruhm
ist er mir gleich mit der Ausnahme, daß er
durch den goldenen Kranz der Jungfräulich-
keit mich überragt. :2)
Der letztere Gedanke fand auf dem Spruch-
bande unseres Bildes seine Stelle. Aul die-
sem Bilde kniet Albert von Brescia vor dem
Marienaltar, der eine gemalte Altarretable mit
') in pectore habebat magnuni I.ipidcin prctiosuni, qui
ecclesiam illuniinabat. Act. SS. Ic. 708 15.
=) Act. SS. Ic. 70SC.
HL. THO.MAS VON AQUIN
Zu nebcttstehendcvt Text
der Kreuzigungsgruppe besitzt und dessen Titel
als Marienaltar durch eine kleine Inschrift am
vorderen Rande des Altartuchs angedeutet ist.
An derSeite des Altares erscheinen Thomas und
Augustinus. Für Thomas strebte der Regens-
burger Künstler höchst wahrscheinlich Porträt-
ähnlichkeit an. Und zwar hielt er sich an
die Reproduktion jenes lange Zeit in Viterbo
erhalten gebliebenen Thomasporträts, das nach
der Tradition die Züge des Heiligen in authen-
tischer Weise überlieferte. Die Ähnlichkeit
zwischen der Regensburger Darstellung und
jener von Viterbo (vgl. Abbildung unten 3) ist
kaum zu verkennen. Sie erstreckt sich auf den
Gesichtswinkel des Malers, auf die Gesichts-
züge und die eigenartige Kopfbedeckung. Viel-
leicht geschah es unter dem Einflüsse der
gleichen Vorlage, daß der Regensburger Maler
auf dem vierten und füniten Bilde der ganzen
Folge, wo er für die jugendlichere Erschei-
nung von Thomas vermutlich ebenfalls Por-
trätähnlichkeit anstrebte, stets die gleiche Wen-
dung des Kopfes beibehielt.
Was die obige Vision betrifi"t, so weiß jeder
Kenner der wissenschaftlichen Richtungen am
Ausgang des 13. Jahrhunderts, daß sich in
ihr ein deutlicher Hinweis auf die bestehende
Divergenz zwischen dem doktrinell konserva-
tiveren Augustinismus und der durch Albertus
und Thomas angebahnten Richtung bekundet,
welche man kurz als Aristotelismus zu be-
zeichnen pflegt. Die\'ision Alberts von Brescia
verfolgte zu ihrer Zeit eine apologetische Ten-
denz. Für die Zeitgenossen des Regensburger
Malers im Dominikanerkloster von St. Blasius
entbehrte das Bild einer zeitgeschichtlichen
Nebenbeziehung. Für sie war die Zusam-
menstellung von Augustinus und Thomas an
sich von Bedeutung. Ikonographisch besitzt
die Vision des Albert von Brescia, was auch
auf unserem Bilde zum Ausdruck kommt, -i) in-
sofern ein hohes Interesse, als sie den Künst-
lern das Attribut an die Hand gab, durch das
sie die Gestalt des hl.Thoinas kennzeichneten.
Es ist die kleine strahlende Scheibe auf seiner
Brust, nämlich jener »kostbare Stein, der die
3) Die für die Abbildung benützte Reproduktion des
Porträts von Viterbo trägt die Inschrift: Divi Thomae
.\quinatis Angelici Doctoris vera effigies Viterbii asser-
vata ipsius sancti temporibus exarata eumque naturaliter
exprimens. Es ist jedoch auf den ersten Blick klar, daß
das Origin.al, welches unsere I-(eproduktion wiedergibt,
erst der neueren Zeit angehören kann. Die Photographie
für die Abbildung verdanke ich Herrn geistl. Rat D.Sachs.
— Die Photographie der )5ilder in der Dominikanerkirche
zu Regensburg überließ mir für diesen Aufsatz gütigst
Herr geistl. Rat, Rektor Dr. Schehz.
<) Auf der Abbildung nicht zu ei kennen. Das Original
zeigt einen roten, von Lichtglanz umgebenen Stein.
WANDGEMÄLDE IN DER DOMINIKANERKIRCHE ZU REGENSBURG 271
I.EONHARD THOMA, MÜNXHKK
DIE HL. CACILIE
Kirche erleuchtete. «■) Er svmboHsiert die Lehre
und die Scliriften des Heiii.t^en.^)
Der Wert des Thomaszyklus der Regens-
burger Dominikanerkirche liegt im allgemeinen
') Bei Kraus Sauer, Gesch. d. christl. Kunst, Freiburg,
1908, II, 157 ist mit Bezup; auf das Thomasbild von
Benozzo Gozzoli im Louvre irriger Weise die Rede von
einer Hostie auf der Brust des Heiligen. Das gleiche
ist der Fall bei P. W. von Keppler, Aus Kunst und Leben,
Neue Folge, Freiburg igo6, S. 16.
') Nach Antonius von Brescia erläutert der hl. Augu-
stinus die Gestalt des mit ihm erscheinenden hl. Tliomas
in folgender Weise: Ipse enim est filius meus, qui doc-
trinam .Vpostolicam et mcam in Omnibus est secutus et
ecclcsiani Dei sua doctrina illuminavit. Qiiod designant
lapidcs pretiosi et praccipue lapis, quem gestat in
pectore, qui designat intentionem rcctam, quam ad
defensionem lidei habuit et declarationc ostcndit. Q.ui
lapides pretiosi et praecipue lapis iste libros multos et
opcra scripturae suae, quae composuit, significant, quod
mihi in gloria est aequalis, excepto quod ipse in virgini-
tatis aureola me excedit. Acta SS. Ic. 708 C.
in der Seltenheit ähnlicher, auf das ganze Leben
des hl. Thomas bezüglichen Darstellungen.
Für die rcgensburgische und bayerische Kunst-
geschichte macht er uns mit einem Künstler
bekannt, der sich nicht allzuhoch über die
Stufe handwerksmäßigen Schaffens erhebt, aber
iinmerhin schätzenswerte Ansätze zu richtiger
Auffassung und Wiedergabe von Handlungen
und namentlich zu psychischem Ausdruck be-
kundet. Wieweit seine Erfindungsgabe reicht,
vermag nicht entschieden zu werden, da wir
nicht wissen, welche Anhaltspunkte ihm für
seine Arbeit zu Gebote standen. Daß er die
Neigung besaß, sich seine Arbeit zu erleichtern,
zeigt der Jünglingstypus, den er lediglich in
der Farbe geändert zweimal, auf der vierten
und sechsten Darstellung, wiedergibt. Die Per-
son des Malers ist einstweilen in völliges Dunkel
gehüllt.
ö^ AUSSTELLUNG VON WERKEN DER PILOTYSCHULE !^öa
AUSSTELLUNG VON WERKEN
DER PILOTYSCHULE
in der Galerie Heinemann (München)
Noch mehr als die seinerzeitige Ausstellung
von Werken der Diez-Schule bedeutet
diese an Pilotys Namen sich anknüpfende
künstlerische Rundschau aus seinem und
seiner Schüler Wirkungskreis ein Ereignis.
Wir haben uns im Jagen und Drängen neu-
zeitlichen KunstschaiTens angewöhnt, die Alt-
münchner Schultraditionen entweder zu ver-
gessen, oder sie als wenig wertvoll anzu-
sehen, hauptsachlich deshalb, weil mit Pilotj-
jene Historienmalerei verknüpft ist, die von
Belgien ihren Ausgangspunkt nahm, und all-
mählich jene theatralische Haltung sich an-
eignete, die mit dem wirklichen Leben im
Widerspruch stand. Betrachten wir nun
ganz vorurteilslos die Werke jener Zeit, die
mit Mühe und großen Opfern aus Galerien
und Privatbesitz zusammengebracht wurden,
so erkennen wir bald, daß es nicht das Thema
oder der stoffliche Inhalt war, was das da-
malige kunstbegeisterte jungmünchcn zur
OrrO RICHTER
BERLIN' 0 0 0 0
DER ZWÖLFJÄHRIGE
JESUS IM TEMPEL o
Piloty-Schule drängte, sondern der innere Wert
der Malerei, das positive Können, die mal-
technischen Errungenschaften, welche Piloty
seinen Schülern zu übermitteln vermochte,
kurz, die künstlerische Anregung nach jeder
Richtung. Das Wertvollste der pädagogischen
Methode Pilotys war die vollkommene Wah-
rung der persönlichen Eigenart des Schaffen-
den und wir haben weder vorher, noch
nachher an der Münchner Akademie eine
solch große Anzahl grundverschiedener Künst-
lernaturen zu verzeichnen, wie sie in der
Piloty-Schule sich entfalten konnten. Man
mag sich auch keine größeren Gegensätze
denken als etwa, um nur ein paar Namen
zu nennen, Leibl und Makart, Habermann
und Grützner, Gabriel Max und Oberländer,
Lenbach und Alex, von Wagner usw.
Piloty verstand es eben, wie dies die noch
lebenden Künstler aus seiner Schule stets
betonen, auf die Ideen und Gedanken der
Schüler einzugehen und ihrer Neigung ent-
sprechend, die ihnen gemäße Bahn zu weisen.
Vor allem aber legte der Lehrer das größte
Gewicht auf das Handwerk der Malerei selbst
und wir sehen auch in dem reichen Material
Dinge, die von solch vorzüglicher Qualität
der Malerei sind, daß sie ruhig den Vergleich
mit manch großem altem Meister aushalten
können. Um gleich einen der interessan-
testen und genialsten, leider vergessenen
und verschollenen Künstler herauszugreifen,
nennen wir Jul. Berger, dessen Studien aus
Wohnräumen und Ateliers, von Landhäusern,
Akten und Bildnissen von ungemein feinem
Schmelz der Farbe und Duft der Technik
sind, wie wir dies etwa bei den besten Fran-
zosen oder Holländern kaum wiederfinden.
Ski/zen und Studien wie sie Sziny ei-Merse-
Pal in den sechziger und Anfang siebziger
Jahren schuf, glaubt man auf den ersten
Blick für eine Unmöglichkeit. Ein : Idyll«,
eine »Gartenszene«, der »Spaziergang«, vor
allem aber das ^ Picknick« sind Perlen einzig-
artiger Farbensymphonien, zu denen man
Parallelen unter den jetzt lebenden Künstlern
schwer finden wird.
Sind solche Talente allerdings selten, so
erfreuen wieder andere, weniger starke Na-
turen durch ihr gediegenes Können, das auch
ein Minderbegabter in Ausdauer und Fleiß
erreichen konnte, indem er sich eng an die
Schultradition anschloß. Gerade das, was
noch \iel früher zurückliegenden Zeiten ein
einheitliches Kulturgepräge gab und in den
letzten Ausläufern der Münchner Schule der
siebziger und achtziger Jahre noch einen
starken Abglanz verlieh, fehlt unserer moder-
273
Ol« chrisUlche Kunst V. 9.
274
ö^ AUSSTELLUNG VON WERKEN DER PILOTY-SCHULE ^?;i
DER BARMHERZIGE SAMARITAN
nen, stets nach neuen Problemen jagenden
Zeit vollständig. Nur auf diese Weise des
Anschlusses konnten Maler wie Alhert und
Max Adamo, E. Correns, Ad. Eherle,
Joseph Flüggen, Johann Herterich,
Toby Rosenthal und nuch \ielc andere
ganz beachtenswerte Leistungen zustande
bringen. Ferner konnten manche Talente
sich an fremdelndividualitäten so anschmiegen,
daß sie vollständig eine eigene Art zu unter^
drücken imstande waren, oder diese nur
kaum merklich mitsprechen ließen. Ein Genie
allerdings wird stets gegen fremde Kunst
Stellung nehmen, sie gleichsam hassen und
mit allen Mitteln darnach trachten, nur Ei-
genes, Erlebtes und Selbstgeschautes in
eigner, ihm allein gehörender Formensprache
zum Ausdruck zu bringen. Vor allem er-
kennt man gleich als solche Kraftnatur
schon in den ersten Stadien r'er Entwicklung
Franz von Lenbach. Wir können von
ilim ein Knabenporträt, einen Bauernkopf,
das wundervolle Bildnis Herrn von Lipharts
bewundern, dann aber das großzügige Bildnis
Pilotys selbst, das schon alle Eigenschaften
enthält, wodurch Lenbach später in seiner
volleren Entwicklung so große Bedeutung
erlangte.
Von Wilhelm Leibl sind nur einige Proben
seines Könnens ausgestellt, ein Frauen- und
ein Mädchenkopf von 1862 und das eminent
gemalte Prolilbildnis eines Herrn mit Brille.
Freier ist Leibl wohl später nie gewesen, als
in diesem breit hingestrichenen Bildnis. —
Reichhaltiger ist Hans Makart vertreten,
und wenn wir heute auch etwas fremder
dieser eigentlich seelenlosen Kunst gegen-
überstehen, erstaunlich bleibt es dennoch,
welche Farbenglut und welchen Schmelz des
Materials der Frühverstorbene mit leichtem
Pinsel hinzauberte, der gleich dem zarten
Windhauche, der die Blüten des Frühlings
berührt, nur eben über die Leinwandfläche
hinglitt. Von solch feinem Duft sind: die
hellzitronfarbige Skizze zum Sommernachts-
traum, dann die beiden Damen mit Hund,
die Siesta am Hofe der Medici, die Skizze
zur Papstwahl. In anderen Entwürfen ist er
275
?i*
276
e^ AUSSTELLUNG VON WERKEN DER PILOTY-SCHULE S^Q
OTTO RICHTER, BERLIN
AUFERSTEHUNG
kräftiger, bis er seine Farben zum rauschenden
Prunke steigert, die Orgien von Farbenakkor-
den bedeuten. Wird uns Makart gerade der
Farbe wegen nie gleichgültig sein, so stehen
wir den ahnlichen Kompositionen mit Bühnen-
wirkung von Alexander von Liezenmayer
viel fremder gegenüber. Recht sinnig ist die
heilige Elisabeth aufgefaßt, wie sie Abschied
von ihren Eltern nimmt, ferner von technisch
hervorragender Qualität das Bildnis des Grafen
Pocci von 1875.
Was N. Gysis und Haber mann Tüch-
tiges gekonnt haben, geht gleichfalls aus dem
reichen Studienmaterial hervor. Ersteren,
einen der feinsinnigsten Künstler letztver-
gangener Zeit, sieht man in geistreichen Kom-
positionen, die allerdings schon bekannt sind,
und in einigen sanfitonigen Bildern, und bei
Hugo von Habermann bedauert man ange-
sichts seiner früheren Glanzleistungen, daß
er alte, gute Bahnen verlassen und sich zu
stark zeitgenössischen ausländischen Einflüs-
sen unterworfen hat. Einige Studienköpfe
sind von einer souveränen meisterlichen Durch-
arbeitung und verraten neben aller Schul-
tradition eine Selbständigkeit, die damals in
den siebziger Jahren wenige besaßen. — Ihm
an Kraft kommt William Chease sehr
nahe. Von diesem Künstler sind nur Bild-
nisse zu sehen, aber alle von gleich frischer
Auffassung und Technik, so daß man glauben
möchte, jedes Stück müsse in einem Tag, in
einem Zuge vollendet worden sein.
Über Franz von Defregger ist es wohl
überflüssig. Neues zu berichten. Ganz ver-
traut sind uns von früheren retrospektiven
Ausstellungen her die bekannten Meister-
leistungen, die in ihrer Tonschönheit ihres-
gleichen suchen. Denkt man allein nur beim
Anblick der weiblichen Halbakte, wie sie
Defregger auffaßte und malte, an unsere
heutigen Produkte, welche in großen Aus-
stellungen und Kunstvereinen in Masse uns
entgegentreten, so überschleicht wohl jeden
das Getühl der Mißstimmung, weil alles so
roh, brutal und kulturlos geworden. Abge-
sehen von der phänomenalen Fleischmalerei,
wie sie Defregger zeigte, begegnet uns heute
selten mehr ein weiblicher Akt, der so dezent
aufgefaßt wurde, wie dieser kernige Tiroler
Meister es verstand, dem die Tvpen seiner
Heimat am nächsten lagen. Von dem Lands-
mann Defreggers, dem reich begabten, aber
ungleich gearteten AI. Gabi sind einige
ganz besonders tüchtige Leistungen zu ver-
zeichnen. Ein >Knabenkopf« könnte eben-
sogut Leibl zum Urheber haben, so trefllich
ist er nach jeder Richtung hin durchgeführt.
Ahnliche Vorzüge weisen dann ferner die
Studien auf von Graf An gelo von Courten,
Ferd- Barth, P. Bau m gart n e r, W. von
C z a c h o r s k i , E. Hofmeister, H e r m .
Kaulbach, Hugo Ko tsche n reiter, L.
von L a n g e n m a n t e 1 , Rudolf und Otto
Seitz, The od. Schuez, Alex, von
W a g n e r.
Eduard Grützner steuerte einige feine
Interieurstudien bei, unter denen besonders
das so oft schon gemalte »Stadtarchiv in
Hall« sich am wirkungsvollsten darbietet. —
Marcus Grönvoldistu. a. vorzüglich ver-
treten durch den virtuos behandelten Abt-
stuhl im Kloster Maulbronn, Otto Gebier
durch einige im altmeisterlichem Ton ge-
haltene Tierstudien, Otto Faber du Faur,
der brillante Schilderer militärischer Szenen,
mit zwei gediegenen Werken »Schwere Ar-
beit« und »Rast«. Recht interessant ist es,
darauf aufmerksam zu machen, mit welch
sicheren Mitteln ein Virtuose der Malerei wie
Gyula von Benczur seine Studienköpfe
heruntermalte, oder wie Carl Gussow, der
R;^ KUNSTAUSSTELLUNGEN DÜSSELDORF 1909 ^^ö
277
HERMAW JOACH. PAGELS, BERLIN"
juniiii
in gleichem Fahrwasser, aber mit mehr deut-
scher SchwerfäUigkeit seinen Realitätssinn
offenbarte.
Bei Gabriel von Hackl kommt die Art
der Piloty-Schule trotz dem Eigenwillen des
Meisters ebenso klar zum Ausdruck wie bei
Matthias Schmid, insbesondere in seinen
Erstlingsbildern, die von erstaunlicher Frische
und Kraft des Kolorits sind. Bei Hackl sind
die bedeutendsten Arbeiten ^Reveille« (1885),
»TirolerStube '., >.TirolerKüches, »Ungebetene
Gäste :, bei Schmid die berühmt gewordenen
»Karrenzieher', Einzug der Missionare : und
der sonstigen Studien, die bei Anlaß des 70. Ge-
burtstages des Künstlers im Kunstvercin all-
seitige Bewunderung erweckten.
An den unvergeßlichen humorvollen Schil-
dererbäuerlichen Genres Ed. Kurzbauer wird
man durch eine Kollektion seiner Bilder er-
innert. Kurzbauer ist ein Künstler, dem nicht
das Gegenständliche die Hauptsache war, son-
dern der in geschmackvollster Weise alle seine
Darstellungen unter dem Gesichtspunkte einer
malerischen und zeichnerischen Auffassung
stellte. Die Reihe der großen und talentvollen
Schüler ist mit den vorgenannten nicht er-
schöpft, die Ausstellung birgt noch vieles, das
gewürdigt zu werden verdient, wie die an die
alten Niederländer erinnernden Bilder Ad.
Obe'rländers, die seelenvollen F'rauenköpfe
von Gabriel Max, die brillanten Bildnisse
Gabriel Schaching'ers, die Landschafts-
studien Karl Raupps, Joseph Woptncrs,
Ed. Youngs usw. Es sei nur so viel gesagt,
daß durch persönliches Anschauen und Ge-
nießen dem Kunstfreunde große Anregungen
und Freuden vermittelt werden, von einerglän-
zenden Epoche in Münchens Kunstleben, die
mit dem Namen Piloty aufs engste verknüpft ist.
Franz Wolter
GROSSE KUNSTAUSSTELLUNGEN
DÜSSELDORF 1909
des Ausschusses der Ausstellung für eil ristlichc
Kunst e.V. und des Vereins zur Vcranst.iltung
von Kunstausstellungen c. V. unter dem Protek-
torate Seiner Kaiserlichen und Königlichen
Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reiches
und von Preußen im Städtischen Kunstpalast
am KaiserWilhelni-Park
Anfang Mai 1909
\Jl^ic aus der vorstehenden Bezeichnung der großen
' ' Sommerdarbietung 1909 ersichtlich, h.u eine Ver-
einigung der .Misichten des Ausschusses der Ausstellung
für christliche Kunst und des Vereins zur Veranstaltung
©^ KUNSTAUSSTELLUNGEN DUSSELDORF 1909 m<?,
RICHARD KAISER, MÜNCHEX
AUFZIEH EXDES GEWITTER
von Kunstausstellungen hinsichtlich der Benützung des
Kunstpalastes auf dem Rheingelande am Kaiser Wilhelm-
Platz stattgefunden. Diese Vereinigung bedeutet aber
l;eines\vegs ein Aufgehen der Ausstellung für christliche
Kunst in einer allgemeinen Kunstausstellung. Vielmehr
finden die beiden Ausstellungen unter durchaus getrennter
Verwaltung statt; die beiden Verwaltungen treten aber
überall miteinander in Verbindung, wo es das Interesse
der Veranstaltungen erfordert oder nahe legt. Beide
Kunstausstellungen haben ein gemeinsames Plakat, das
nun wohl in beschleunigter Eile allwärts sich präsentieren
und seine bescheidene Stimme eindringlich genug er-
heben wird, um die vielen Wege, die aus aller Welt
nach Düsseldorf führen, in den Sommermonaten und
Herbstmonaten so zu bevölkern, wie es der Bedeutung
der Ausstellungen entsprechen würde. Es wird auch eine
gemeinsaiue Dauerkarte für beide Ausstellungen (a 5 M.
für eine erwachsene, 2 M. für eine ininderjährige Person)
ausgegeben, daneben aber auch Dauerkarten für eine der
beiden Ausstellungen (ä 4 M.); um Auswärtigen, die
nur für kurze Zeit oder nur bisweilen nach Düsseldorf
kommen können, den Besuch der Ausstellungen zu er-
leichtern, werden für Auswärtige Dauerkarten zu ermäßig-
tem Preise ausgegeben (ä 5 M.); der Eintrittspreis für
den einmaligen Besuch beträgt für beide Autstellungen
zusammen i M., für jede besonders 75 Pfg. Gemein-
scliaftlich sorgen beide Verwaltungen für Veranstaltung
von Konzerten an mehreren Tagen der Woche. Gemein-
schaftlich ist endlich auch der Eingang zu den beiden
Ausstellungen durch das Hauptportal des Kunstpalastes.
Im Innern der großen Rotonde scheiden sich die Wege;
die Stufen zur Linken führen zur Ausstellung für christ-
liche Kunst, die zur Rechten zu der Allgemeinen Aus-
stellung, die nicht ganz mit Recht als » profane i bezeich-
net zu werden pflegt, da sie doch auch Werke christlicher
Kunst zuläßt und auch tatsächlich zur Schau bringen
wird und zwar keineswegs etwa solche, die die andere
Verwaltung abgelehnt hätte. Die Verschiedenheit des
Gesamtcharakters der beiden Ausstellungen hat die Leitung
der Vorarbeiten in unzweifelhaft bester Absicht, die aber,
wie so viele beste Absichten, nicht überall das ganz
Richtige trifft, schon äußerlich in der Ausstattung der
beiden Eingangspforten kennzeichnen wollen. Auf der
Rotondenseite der Ausstellung für christliche Kunst ist
Schv^'arz mit Gold gehöht der Grundton und soll nicht
nur den Ernst der christlichen Kunst versinnbildlichen,
sondern auch gleich von vorneherein eine ernste Stimmung
bei dem Besucher hervorrufen. Gegenüber herrschen
fröhliche und lichtvolle Töne. Es würde nun aber doch
ein recht falscher Schluß sein, wenn jemand daraus
sciiließen wollte oder sollte, der christlichen Kunst seien
fröhliche und lichtvolle Töne fremd ; sie sei etwas Trüb-
seliges oder gar Kopfhängerisches ; das sind die echten
christlichen Künstler nicht gewesen, die auf solchen Wegen
christliche Kunst zu pflegen wähnten. »Dienet dem Herrn
in Fröhlichkeit!« das gilt auch dem christlichen Künstler.
Ebensowenig schließt die profane Kunst den höchsten
Ernst aus, und die Ausstellung wird in mehr als einer
Darbietung das beweisen. Doch dies nur nebenher.
Auch die Räume der Ausstellung für christliche Kunst
haben nur in den ersten Teilen den schwarzen Grund-
ton ; schnell folgen andere Töne und Dekorationen, von
deren Beachtung der Besucher 'sich durch die ausge-
stellten Werke nicht allzusehr abziehen lassen sollte. Auch
©^ KUNSTAUSSTELLUNGEN DÜSSELDORF 1909 »^:a
279
in der anderen Ausstellung verdient die Ausstattung der
Räume, um die sich vor allem unser Meister des Inte-
rieurs, Heinr. Hermanns, verdient gemacht hat, die
höchste Beachtung.
Die Veranstaltung der Ausstellung für christliche
Kunst ist nicht ein akademischer Hinfall, sondern eine
Folge der Erkenntnis, dass etwas eminent Wirksatncs
geschehen müsse, um die beteiligten Kreise, Künstlcr-
kreise sowohl wie Geistlichkeit und Laienwelt, von Ab-
wegen und Irrwegen, die bereits eingeschlagen sind, und
Festigkeit zu bekommen drohen, zurückzuführen, zu-
gleich aber auch die wahren Wege christliclier Kunst
festhalten und Hand in Hand mit allem echten Fortschritt
ausgestalten zu helfen. Dem Festhalten der Errungen-
schaften des christlichen Kunstbetriebes in den ver-
gangenen Jahrhunderten will die Ausstellung durch
ihren retrospektiven Teil dienen. Es konnte dem Kunst-
ausschusse nicht in den Sinn kommen, einen zeitlich,
räumlich und sachlich ganz umfassenden Rückblick zu
eröffnen. Lag doch die Ausstellung von 1902 und ihre
ergänzenden Nachfolgerinnen von 1404 und 1907 noch
zu nahe, und ist die Festlegung dessen, was sie boten,
doch zu sorgsam und umfassend geschehen, um jetzt
schon eine Wiederholung für das Mittelalter und dessen
Wende bis zum Ausgange des 16. Jahrhunderts ange-
messen erscheinen zu lassen. Beim
17. Jahrhundert machten jene Aus-
stellungen halt. Von der folgen-
den Zeit kann man sagen, daß sie
hinsichtlich der christlichen Kunst
ebenso reich, als der heutigen Welt
im allgemeinen unbekannt ist. I;s
ist noch wie gegenwärtig, daß der
> Kunstverständiget mit dem sinn-
vollen Worte >Zopfi sich, die Augen
verschließend, abwandte, wenn ihn
sein Weg vor oder in eine Kirche
fülirte, die nicht romanisch oder
gotisch war. Es ist noch wie gegen-
wärtig, daß von »kunstsinnigen«
Pfarrern, Kirchenvorständen usw. die
prächtigsten Arbeiten der Barock-
undKokokozeit aus den Kirchen, von
den Altarschranken, den Ürgelbüh-
nen weggerissen und wie Brenn
holz in einen Winkel zusammengc-
häuft oder an einen herum/ielun-
den .-\ntiquitätensucher verkauft wur-
den, um dann im Korridor oder im
Salon eines minder beengten Geistes
bessere Wertschätzung zu finden, j.i,
es ist noch gegenwärtig, daß wo d.is
Auge der aul'sichtfülirendcn geist-
lichen oder weltlichen Behörde ein-
mal schlummert, kostbare romani-
sche und gotische und spätere Werke,
weggetauscht gegen die unglaub-
lichsten handwerksmäßigen Fabri-
kate und statuarische Zuckerbäcke
reien, wie sie der gewandtredende
Fabriksreisende aufschwatzt, die
nämlichen Wege gehen. Und nun
erst die malerische Innendekoration !
Es liegt dringende Notwendigkeit
vor, daß da Wandel geschatfen werde
und bessere Wege der Misere ein
Ende machen.
Die Werke christlicher Kunst au-.
dem 17. und 1 S.Jahrhundert können
aus mancherlei Gründen nur in ver-
hältnismäßig wenigen F.inzelobjek-
ten gezeigt werden. L'nter diesen k.\ki. I'KIN/, wiek
sind aber auch vorherrschend Gegenstände allerersten
Ranges, teilweise solclie, die noch nie zu einer Ausstel-
lung hergegeben worden sind. Ein besonders großer
Reichtum wertvoller und niegezeigter Kunstwerke wird
aus üsterreicli kommen, aus dessen reichen Klöstern,
Stiftern und Städten, aus seinen Museen, der Albertina
und vom Hofe; auch die Galerie Liechtenstein hat Perlen
ilirer Sanmilung zur Verfügung gestellt. Die Museen
und der Privatbesitz, namentlich des Adels, in Rhein-
land und Westfalen werden es natürlich auch nicht an
sich fehlen lassen. Im 19. Jalirhundert treten die Naza-
rener an die Spitze, Overljeck, Veit, Cornelius, dann
die Düsseldorfer Maler der St. Apollinariskirche bei Re-
magen, Deger, Karl und Andreas Müller und ihre Freunde
und Nachfolger bis in das 20. Jahrhundert hinein Aber
auch an den Malereien christlicher Art der Künstler, die
der Riclnung der Nazarener fremd oder auch gegensätz-
lich gegenüberstanden, wird es nicht fehlen; die bedeu-
tendsten Namen werden mit den bedeutendsten Werken
vertreten sein.
Eine eigenartige abgeschlossene kleine Gruppe wird
die Schule von Beuron bilden. So reiht sich an die
retrospektive Ausstellung wie von selber und unver-
merkt die christliche Malerei und bildende Kunst der
Gegenwart an, zu der bereits Namen wie Eduard von
BAUERNHAUS IN SI'AKBACII
28o
C^« KUNSTAUSSTELLUNGEN DUSSELDORF 1909 mo,
Gebhardt durchaus geieclinet werden müssen. Es folgen
die Säle der Düsseldorfer Künstler, darunter der Saal
jener neuen Gruppe Düsseldorfer christlicher Kunstler,
von der bereits im vorigen Hefte der Zeitschrift") die
Rede war. Dann folgt die Dresdner »Zunft", dann
die Säle der Münchner, deren Anordnung die Gesell-
scliaft für christUche Kunst zu München übernommen
hat, dann Hannover, Aachen usw. Die Vertretung des
Kunsthandwerkes hat sich der Semperbund besonders
angelegen sein lassen. In Vertretung des Auslandes
folgt zunächst Frankreich, von dem die Ausstellung mit
ganz besonders hervorragenden Werken der Malerei
und Plastik beschickt wird ; dann in dem großen Saale,
der in zahlreiche kleine Abieilungen zerschnitten ist,
das übrige Ausland, Belgier, Holländer, Engländer, Skan-
dinavier und wahrscheinHch auch einige russische Werke.
Zahlreiclie Einbauten veranschaulichen die Richtungen,
die in großer Verschiedenheit die heutige kirchliche
Architektur einschlägt. Was die Kapellen und Kirchen-
teile darzustellen nicht vermögen bei der Beengung
des Raumes, ist durch Pläne, Zeichnungen, malerische
Darstellungen, Photograpbien in Aufbau und Wirkung
gezeigt, hn unmittelbaren .Anschluß an den Kunstpalast
ist eine ganze Friedhofsanlage in künstlerischer einfacher
Umschließung hergestellt, die mit Grabmälern und gärt-
nerischem Schmuck ausgestattet erscheinen soll, für die
man aber auch eine Urnenhalle als zuläßig angesehen
hat. Die Grabplastik, die in der Friedhofsanlage keinen
Raum findet, wird in dem sogenannten Ehrenhofe auf-
gestellt. Die sonstigen plastischen Werke sind vorherr-
schend so in die einzelnen Säle und Einbauten verteilt,
daß sie selber bestens zur Geltung kommen und zu-
gleich die Räume zu verschönern und zu bereichern
Gelegenlieit haben. In den oberen Räumen werden
architektonische Entwürfe und Reproduktionen ausge-
stellt werden. Diese Abteilung soll besonders auch dem
bürgerliclien Hause dienen, das auf kostspielige Originale
verzichten muß. Zu dem Zwecke sind zahlreiche Re-
produktionen usw. in Glas und Rahmen und mit Preis-
angabe aufgereiht ; man wird leicht sehen, daß das
cliristliche Haus nicht zu dem billigen Schund mancher
Schaufensterauslagen und noch weniger zu dem noch
erbärmlicheren — wenn auch fromme und biblische
Dinge darstellenden — Schund der aufdringlichen Kol-
porteure zu greifen braucht, um ihr Heim als ein christ-
liches zu kennzeichnen. Das Volk kann sich dort mit
den Werken selber bekannt machen, aber auch mit den
Wegen, aut denen es sicher in den Besitz würdigen
Wandschmuckes gelangen kann.
Für die Zulassung von Künstlern und Werken zu der
christliclien Kunstausstellung mußten, damit nicht Aus-
schreitungen das Echte überwucherten, gewisse Grenzen
eingehalten werden; aber, wenn die Ausstellung zu wirk-
lichem Fortschritte der christlichen Kunst luhren wollte,
dann durften diese Grenzen nicht zu enge gezogen werden ;
weder Herkömmlichkeiten noch persönliches Urteil —
gar zu leicht Vorurteil — durften übereilte Entscheidungen
herbeiführen. Es gehört zum Wesen der christlichen
Kunst, wie des Christentums, an jeglichem menschlichen
Fortschritt tätigen .\nteil zu nehmen und jeglichen mensch-
lichen Fortschritt auch der eignen Entwicklung dienst-
bar zu machen, soweit er dazu föiderlich sein kann.
Und wenn nun gar auf dem Boden der christlichen Kunst
vermeintlich oder selbst angeblich Abweichungen vom
Bisherigen als Fortschritte präsentiert und in weiteren
Kreisen anerkannt werden, so müßte, wenn alles übrige
verwerflich wäre, das einzige Körnlein des Richtigen
gerechte Würdigung und Verwertung hnden. Bei aller
Maßhaltung wird daher ganz gewiß manche Einzelleistung
erscheinen, die mancher mindestens bedenklich nennen
wird, das eine oder andere vielleicht gar von der Art,
■) Heft 8, Seite 256.
daß es schwer sein würde, seine Gegenwart in einer
Ausstellung für christliche Kunst zu rechtfertigen. Es
handelt sich aber bei der diesmaligen Ausstellung nicht
so sehr um die Frage, ob ein Werk gerade ein eminent
christliches sei und von jedermann als solches erkannt
und anerkannt werde, als vielmehr um die Frage, ob
und wieweit ein Werk der weiteren Entwicklung echt
christlicher Kunst in der einen oder anderen Richtung
förderlich sein könne. Kann es zugleich als hervorragendes
Vorbild christlicher Kunstbetätigung emporgehoben wer-
den, umso besser, und es ist Grund zu hoffen, daß die
.\usstellung viele derartige Werke zeigen wird ; kann es
das nicht, so haben die Künstler, die Kunstgelehrten,
die Kritik der öffentlichen Meinung zuzusehen, was Gutes
etwa daran sei. Es kommt hinzu, daß die Ausstellung
eine interkonfessionelle sein soll und werden wird, nicht
in dem Sinne etwa, daß nur solches zugelassen werde,
was sich auf dem den Konfessionen gemeinsamen Boden
bewege, sondern in dem Sinne, daß die verschiedenen
christlichen Konl'essionen ganz unbehindert zeigen können,
in welchem Maße, in welchen Formen, mit welchen Ab-
sichten sie an der Förderung und Weiterentwicklung
der christlichen Kunst mittätig zu sein für geeignet halten.
Die Verwirklichung dieses Gedankens in gemeinsamer
Arbeit wird manche Schwierigkeit finden, und vielfach
wird ideale Selbstverleugnung nötig sein; am guten
Willen wird das meiste liegen. Wie es aber auch kommen
mag, das Gesamte der Ausstellung läßt sich bereits ge-
nugsam übersehen, um sagen zu können, daß sie geeignet
ist, einen Merkstein in der Geschichte der Entwicklung
der christlichen Kunst und insbesondere für ihre Weiter-
gestaltung im 20 Jahrhundert zu bilden.
Die Ausstellung des Vereins zur Veranstaltung von
Kunstwerken im südlichen Teile des Kunstpalastes wird
es sich zur wesentlichen Aufgabe machen, den jetzigen
Stand der Düsseldorfer Kunst in allen ihren Zweigen
vor Augen zu stellen. Wenn auch die Malerei wohl
wie immer in den Vordergrund treten wird, so werden
doch auch Architektur, Plastik, Radierung, Kupferstich,
Steindruck usw. von der Lebendigkeit und Tüchtigkeit
ihrer Betätigung Zeugnis geben. Die Gestaltung der Räume
ist mit großem Geschick von der Absicht geleitet worden,
alle einzelnen Werke in freundlich günstigem Lichte, in an-
mutenderRäumlichkeit und auf Hintergründen geschmack-
voll umrahmter Wandfiächen erscheinen zu lassen, die
niclit nur an sich erlreulicheföne zeigen, sondern aucli eine
Aufeinanderfolge voll Harmonie bilden. Zu den Werken
der Düsseldorfer Künstler sind nur noch hundert bestimmte
Werke auswärtiger liervorragender Künstler eingeladen
worden. Diese Werke aber hängen zerstreut in den ver-
schiedenen Sälen und Zimmerchen zwischen den Werken
der Düsseldorfer, und auch diese sind ohne jede Rück-
sicht auf irgendwelche Gruppenbildung auf die Räume
verteilt. Die Verteilung faßt Rücksichten ins Auge, die
jedem einzelnen Werke als solchem dienen. Zu den
Werken lebender Künstler kommen, unter sie gestellt,
wenige von verstorbenen Meistern (Leibl, Menzel).
So dürften denn für beide Ausstellungen alle Vor-
lagen gegeben sein, der Gesamtdarbietung im Kunst-
palaste einen Wert zu verleihen, dem der glückliche
Erfolg der bisherigen Ausstellungen im Kunstpalaste
ebenfalls zukäme und jedenfalls zu wünschen ist.
Bone
28l
KARL HERRMANN, MÜNCHEN
<s>/tB« HUNGRIGES VOLK «««
de chrisUlcbe Kunst. V. 9.
282
©^ BERLINER KUNSTBRIEF K^
BERLINER KUNSTBRIEF
Von Dr. HANS SCHMIDKUNZ, Berlin-Halensee
(Scliliil!)
Dei Keller & Reiner zeigten zahlreiche Porträts des
Papstes Pius X. von O. Hierl-Deronco ein Inter-
esse für die Verbindung der Figur mit dem Hinter-
grund und in dem einen hellgrauen Stück auch etwas
Seelisches, machten aber sonst den Eindrucl«, als hatte
sie jemand mit einer » dekorativen c Brühe Übergossen.
Gegensatz: die zwar tapetenliaft flachen, aber durch
Schlichtes und lieblich Seelenvolles erfreuenden Porträts
von Luise v. Kehl er, in Pastell und (ihre Eltern dar-
stellend) in Tempera. Mancherlei Porträtkunst findet sich
in den dort eifrig gepflegten Kunstdrucken. So über-
trägt z. B. Otto Goetze die langstrichelige Technik des
A. Zorn in sein radiertes Porträtgenre; Lotte Boltze
interessiert durch Bildnisse, deren eines Stichel und
kalte Nadel vereinigt. Genreliaftes Porträt findet sich
auch in Carl Mosers Farbholzschnitten mit geschum-
merten großen Flächen. Jos. Ulli (aus Norwegen) ra-
diert Satirisches mit mancherlei Übertreibung, z. B. mit
greller Wirkung weißer Stellen (»Der Zug des Todes«,
»Opfer der Narrheit«, »Der Reiclie«). Wieder Gegen-
sätze: die duftigenBIumen-Farblithograpliien vonHelene
Lange (München) und die Silhouetten des verstorbenen
Rob. Erbe (Dresden).
Unter zahlreichen Kollektionen beschränken wir uns
ungern auf die Erwähnung eines häufigen Vorkommens
von Stadtbildern usw , z. B. in den Zeichnungen und
Aquarellen von Marie Henri ques (Kopenhagen). Der
mystisch-mythologische Herm. Hendrich gewinnt bei
wiederholter Betrachtung. In seinen nebeligen Gemälden
nach R. Wagner, nach Goethes Märchen von der grünen
Schlange u. dgl. steckt jedenfalls Schöpferisches.
Sein l'ranzösisches Seitenstück, H. Fantin- Latour, war
bei Schulte u. a. durch Lithographien > Oeuvre de Wagner«
und »Oeuvre de Berlioz« vertreten. Bei Keller &
Reiner liclen ihm gegenüber die auf heroische Sehn-
sucht oder auf Ahnliches ausgehenden Landschaften von
Th. Wolf- Ferrari ab, zumal durch ihre etwas derben
Graufarben in breitkurzer Strichweise.
Als Plastiker interessierte uns Paul Peterich aus
Florenz besonders durch ein sehr zart getöntes, anmuti-
ges Madonnenrelief, das ein wenig ülDer bloße Welt-
lichkeit hinausreicht, dann durch seine getönte Gruppe
von Mutter und Kind: »Das erste Lächeln«, durch Por-
trätbüsten u. dgl. Seine Marmorstatue »Schönheit« ist
von der Stadt Charlottenburg zur öffentlichen Auf-
stellung angekauft.
Bei Gurlitt interessierte die Ausstellung des wohl-
bekannten Graphikers Emil Orlik besonders durch
seine Verarbeitung japanischer Eindrücke sowie durch
seine Entwürfe für eine Drehbühne.
Des Weimarers Theod. Hagen Landschaften lassen
Äußerlich-Gröberes und Innerlich Feineres unterscheiden.
Der seit kurzem beliebte Dresdener Rob. Sterl kam
mit Porträts, unter denen »Mutter und Kind« ebenso
Hervorhebung verdient, wie unter den Plastiken von
Fritz K lim seh eine Mutter mit Töchterchen.
Die »moderne« »Aestheten«-Art derausdrucksloscn.oft
wie absichtlich dummen Gesiebter, der die Körperlich-
keit ersetzenden Flächen und der mehr dem Eigensinne
des Subjektes, als dem Eigentlichen des Objektes dienen-
den Vereinfachungen blüht bei Karl Hofer, einiger-
maßen auch bei K. Otto-Müller, dessen mehr graphi-
sche als malerische Blässe wenigstens durch Zartheit
anzieht. Einen belebenden Gegensatz dazu zeigen von
dem gut Düsseldorfisch bewährten Historien- und Fres-
kenmaler F. Klein-Chevalier mehrfache Bilder, zumal
solche mit den Motiven schleppender Arbeiter u. dgl.
Zuletzt kamen Stuttgarter, denen unsere Eingangsworte
MAX GIESE, MÜNCHEN
DIE ALTE MOOSHÜTTE
55^ BERLINER KUNSTBRIEF »^«
283
RICIIAKD \VI\TI£RKITZ
Ausstellung tifr Seit
München iqo8
ganz besonders gelten, liöchstens ausgenommen Chr.
l.andenberger, der mit seinen hauchartigen Farben-
flecken manch freundliche Stimmung erreicht.
Eine Überraschung inmitten der französischen Äußer-
lichkeiten des Salons C a s s i r e r waren zuletzt Zeichnungen
des belgischen Bildhauers Georg Minne. Gegenüber
dein Eckig-Harten seiner Plastiken zeigen diese Bleistift-
Studien von 1908 scharfe, aber nach Rundung und nach
einer Einheit der Gewand- und der Körperlinien strebende
Striche. Themen: besonders mehrfache Kreuztragung,
auch Kreuzigung, Pieta usw. Still-getreue Arbeit! Um
so lauter schreien die Atelierkünste in Malerei, Graphik
und Plastik von Henri Matisse; über manches, das
mit Zeichnungen von Kindern zu wetteifern scheint,
erheben sich zu eigenen dekorativen Wirkungen besonders
Gemälde von gedeckten Tischen. Matisses Berliner
Seitenstück, Benno Berneis, mag sich ebenfalls in
seiner Weise >ausleben<. Kollektionen zeigen am ehesten,
ob man zu einem Künstler gerne zurückkehrt, oder von
ihm bald genug hat. In diesem Sinne gewinnen Gas-
sirers Lieblinge wie Ulrich und Heinrich Hübner
am wenigsten; und an Spczialinteressen müssen wir die
deutsche und französische Stilleben- Ausstellung mit
Verschiedenartigem von Cczanne, das bald mehr linear
einem Gauguin zur Seite steht, bald mehr flächig durch-
gearbeitet erscheint, oder die in porös-rauhem Material
)*•
284
^m BERLINER KUNSTBRIEF ms,
HEINRICH TOLD, BOZEN
PORTRÄT DES J. SAUTNER
primitiv-stilisierenden Bildwerke Herrn. Hallers ab-
geben.
Dei Einzug des Dekorativen in die Graphik wurde
besonders deutlich durcli die graphische Winterausstellung
der Secession. Der Spezialhistoriker kann sie für eine
Geschichte der zeichnenden Künste gut brauchen, seien
es nun die Radierungen von Philipp Franck, von K.
Stratlimann, von Rud. Stumpf, von Erna Frank
und anderen, oder die farbigen satirischen Skizzen von
Ernst Stern, oder die Illustrationen des verstorbenen
Rud. Wilke idessen Büste von Ed. Beyrer beigefügt
war), oder Vielfaches von Allbekannten; und vielleicht
wird er gleich uns in den Werken von Olaf Lange
noch am ehesten eine schöpferische Phantasiekraft finden.
Mit dem für die Hamburger Musikhalle bestimmten
Bralims-Denkmal scheint Max Klinger am wenigsten
die Herzen der Bildhauer und der Plastikfreunde gewonnen
zu haben — eher noch eine Bewunderung für Einzel-
heiten an den Beifiguren, welclie die starte vereinfachte
Herme des Komponisten fast erdrückend umgeben, ohne
daß beim Rundgang um das Werk echt plastische Ein-
lieitlichkeiten herauskommen. Man möchte umsomehr
von einer Iransskription aus der Graphik sprechen, als
in dieser die Klinger-.-\usstellung der Secession wertvollste
Eindrücke gebracht hat, zumal in der ganz selbständig
schöpferischen Doppeheihe »Vom Tode«.
Als besonders großes und lautes Ereignis hat die
Secession eine Ausstellung Hans v. Mar e es veranstaltet.
Seit einiger Zeit hagelt es nur so von .A.usrufen der
Entdeckung einer neuen monumentalen Kunst, die sicli
durch das große Sehen, die klare, geschlossene Form-
gehung, das Raumerlebnis u. dgl. m. kennzeichne. Nun
darf man sich vor allem das fortwährende
»Entdecken« verbitten, das so tut, als hätte
nicht längst jeder Kenner das gewußt und
verwertet, was nur eben den in die Gegen-
wart Eingeschlossenen neu ist. Sodann kommt
das Rätsel, warum Marces nicht zur Ausrei-
fung gelangt sei. Wir meinen: er hat die
deutsche und christliche Kunst, für welche
die Welt des Sehens ein Mittel zum Zweck
des inneren Erlebens ist, verlassen, um in der
italienischen und alt- oder neuheidnisclien
Kunst das scheinbar Größere zu finden, für
das ihm doch wieder deren sinnliche Kraft
lehlte. Die Überzeugung, daß der echte Künst-
ler ein mit Hilfe des Naturvorbildes Schaffender
sei, wurde bei ihm zum Prinzip eines stilisie-
renden Raumbaues. Da bewundern wir Wag-
rechtes und Lotrechtes und in die Tiefe Gellen-
des, mit hineingebauten Figuren ohne Aktivi-
tät und l'>zählungskraft und mit geistvoller
Einheitlichkeit der meist stumpfen Farbe (z. B.
in dem schon vor den Studien in Italien ge-
malten »Bad der Diana«). Wir freuen uns
des Triptychons der »Drei Reiter« in der zwei-
ten Fassung, die zwei Jahre vor des Künstlers
Tod kam (1885), und möchten uns hier die
Legenden der Heiligen Martin, Hubertus und
Georg erzählen lassen, bekommen aber gerade
ihr Gesicht am wenigsten zu sehen.
An H. V. Marees und an P. Peterich schließen
wir den bei Keller i5c Reiner ausstellenden
C. M. Rehel aus Rom an. Das Äußerste an
inhaltsarmen Gesichtern dürfte hier immerhin
noch nicht geleistet sein, und das Hineinfügen
von szenischen und Porträtfiguren in eine Land-
schaft ist von Interesse. So seien »St Georg«
und »Nun wandere, Maria« hervorgehoben.
Aber auf die Dauer möchten wir solch äußer-
liche Mythologie nach italienischer Renaissance
mit unheiligen Konversationen doch lieber
nicht bekommen.
Auch der Bildhauer J. G. Schade w hatte nicht erst
eine Entdeckung nötig. Die ganzen oder halben Erlblge
seines Gegensirebens gegen klassizistisclie Künstlichkeit,
das die Berliner Nüchterniieit so vielseitig mit preußisch-
antikem Heldentum zu verbinden wußte, kamen auf der
ihm gewidmeten Ausstellung in der Akademie der
Künste so zur Geltung, wie man sie kannte. Ein gutes
Arrangement ließ den eindringlichen Porträts, den
Schlachtenreliefs mit ihren geschickten Übergängen vom
Flachrelief in Rundplastik und nicht zuletzt seinen Zeich-
nungen leicht gerecht werden.
Sehr wenig »Entdeckung« war die akademische
Aquarell-.^usstellung. Sie ging nicht etwa auf die
frühen Ursprünge dieser Malgattung in Englands Atmo-
sphäre zurück, erleichterte uns auch nicht etwa das Er-
kennen des besonders bei den Deutschen und teilweise
schon in alten » Illuminierungen < wichtigen Verhältnisses
von Saftfarben und Deckfarben und kreidigen Zusätzen,
ließ die luftige Frische des eigentlichen Aquarells mehr
nur ahnen und interessierte mit Ed. Hildebrandt
sowie zahlreichen Neueren mehr inhaltlich.
Line wirkliche Entdeckung waren ebenda chinesische
Gemälde, gesammelt von Olga Wegener. Ihre dekora-
tive Kraft mag zu ihrer jetzigen Bewunderung noch eigens
beitragen; und der Japanfreund sieht wohlihre symbolische
und kalligraphische, sozusagen raumkindliche Art über-
wunden durch die Erben dieser Kunst.
Nebenbei stellte die Akademie neuere Gemälde aus
und interessierte uns u. a. für ein »Lux in tenebris« von
Karl Marr, darstellend einen Engel, der ein in Glorie
strahlendes Lamm trägt und einem weiblichen Rücken-
285
I
1^6
PS^ BHRI.INRR KUNSTBRIP.F J^ö
EUGENE BURNAND, PARIS
Große Reproduictio.
JOHANNES UND PETRUS AM OSTERMORGEN
bei Ernst Fhukli in B.isel
akte gegenübersteht. Polierter sind die Figuren auf einer
Kreuzigung von Ernst Hildebrand mit guter Stim-
mung eines dunl<len Felsens und Gewitters.
Auf Rundg.ingen durch die Berhner Salons tritt man
immer besonders gerne in die stillen kleinen Räume
Caspers ein. Zwar bevorzugt auch er das optisch
Interessante und das Französische. Doch ein überlegter
Geschmack wählt hier das Feinere, bevorzugt das »Kabinett-
stück« und läßt Mannigfahiges zur Geltung kommen, in
Einzelwerken wie in Kollektionen; solche gab es z.B.
von dem Münchener Landschafter Rieh. Pietzsch und
von dem Berliner Genre- oder Typenmaler Franz
Skarbina, zu dessen sechzigjälir. Geburtstag eine lange
Reihe virtuoser Bildchen von verregneten Straßen u. dgl.
zu sehen war. Storni von Gravesan de war eine der
erlreulichsten Erscheinungen: seine Zeichnungen und
Geinälde machen uns lebhaft anscliaulich, was die Kunst
aus dem stürmischen Küstenland wie aus dem stillen
Interieur herausholen kann. Für das letztere gibt es hier
immer wieder gute Franzosenslücke, von D. Bergeret
oder von J. Choquet oder von dem » Figaro «-Zeichner
H. Tenre. Auch für die Landschaft (Reich -Münster-
berg u. a.) sowie für das Stadtbild (G. Roussel u.a.)
fällt manches erfreuliche ah; von K. Fath interessiert
eine Kirchenwand in Grün, u. dgl. m.
Etwas Intimes haben aucli die kleinen Räume der
Kunstausstellung Wert heim; nur daß gar viel Forciertes
und Zusammengewürfeltes die Be-
trachtung erschwert. Aus vielerlei
Gegenden werden vorwiegend Lhi-
bekanntere geholt und wandeln
liier ihre Landscliaftskünste, spe-
ziell Jahrzeitskünste u. dgl. ab — ■
in .Mengen, die uns auch nur eine
.\uswahl des > Wichtigsten« ver-
wehren. Aus Brüssel fallen land-
schaftliche Spezialitäten von Van
Danime-Sylva, von J. Fran-
cois auf; aus dem mährischen
Wessely kommt Ludw. Ehren-
haft; aus München kommen H.
Frobeniusz. B. mit einer weicli
leuchtenden Winterlandschaft, C.
Leop. Voss mit Interieurs und
besonders S igm. Lan dsinger,
von dessen lang bekannten Figuren-
landschaften hier >Die Kraniche
deSIbykus« endlich auch eine künst-
lerischere Kunst vertreten. Manch
minnigliches Märchen u. dgl. wird
in Steinzeichnung und Aquarell
von Franz Hein gestaltet. Ein
oder der andere Berliner kommt
besonders graphisch: so Hans
Pretzel mit Buntstiitzeichnungen
undmitLitliographien, unter denen
• Stätte des Friedens« erwähnt sei;
andere mit Landschaftsproben von
Nord und von Süd, wie Alfred
Pfitzner und Pa ul Paeschke.
Eine besonders glückliche Wa-
renhausidee war es, daß Otto
Kirmse eine seit Jahren versuchte
Zentralstelle lürGrabmalskunst nun
durch einen Kunstsalon für Plastik
iniTrauerwarenhaus 0 1 1 o W e b e r
durchgeführt hat. Unterstützt durch
ein eigenes Photographie-Arcliiv,
will dieser Salon die Leidtragen-
den anregen, nicht Waren, son-
dern Werfie zu nelmien, und fügt
auch sonstige Schmuckplastik hin-
zu. Fürs erste zeigt er neben einigen bereits in die
Kunstgeschichte eingetretenen Werken, zumal dem im
besten Sinne dekorativen Strousberg-Sarkophag von Rein-
hold Begas, auch nicht wenig Neues, das zum Teil
über Typisches hinausgeht. Voranstellen dürfen wir wohl
Reliefs und eine Grab-Architektur von Otto Richter;
und Erwähnung verdienen: »Der Glaube« von A.Mülle r-
Krefeld, »Das Leid« von Cav. Val. Casal und ein
Relief »Weinlese« von Wilh. Jacobi.
Die nachgerade ermüdenden Kollektionen ostasiati-
scher Kunst, in denen die verschiedensten Ausstellungs-
gelegenlieiten wetteilern, sowie die Museumslrüchte des
Kolonialwesens erwecken meist den Anschein, als hätten
die lernen Völker keine religiöse Kunst darzubieten.
Neueste Sammlungen führen endlich darüber hinaus.
So hat unser Museum für Völkerkunde zahlreiche
Schätze aus Mexiko erworben, welche in alte religiöse
Traditionen Einblick gewähren. Ein ganz einzigartiges
Ereignis aber ist die im März 1909 dort eröfl'nete ost-
asiatische und speziell zentralasiatische Ausstellung,
welche die Früchte mehrerer neuer Reisen bringt.
Namentlich eine zweite E.xpedition nach dem Bezirke
von Turfan im nordöstlichen Turkestan, am Rande der
Gobi-Wüste, schuf geradezu Überraschungen.
Es handelt sich um ein oder um das Hauptland des
Buddhismus, aber zugleich um ein Land der Kreuzung
von Nationen. Noch mehr: wir blicken in Grenzgebiete
EUGKNl; BLUN WI
ri\l \l \G
hrmt hinckh tn Basel
\l GASTMAHL
©^ BERLINER KUXSTBRIEE *^Z3
287
von Buddhismus und Christentum Iiinein.
Wir denken zurück an den Gnostizismus
mit seiner Fortführung heidnischer Motive,
mit seinem Sitz innerhalb der Wechsel-
wirkung zwischen Orient und Okzident,
mit seinem Eingehen auf volkstümliche An-
sprüche mittels apokrypher Evangelien-
Schriften, mit seiner unchristlichen Tren-
nung des Unendlichen und Endlichen, mit
seinem dazwischenstehenden > Dcmiourgos«
und mit seiner Annäherung an den Nesto-
rianismus, der jene Trennung cliristologisch
darstellte, sowie an den Manichäismus, der
sie zum Gegenspiel zwischen gutem und
bösem Prinzip ausgestaltete. Nun verstehen
wir die durch die neuen Funde aufge-
deckte, vielleicht den Findern und Ausstel-
lern selbst nicht genug bewußte und jeden-
falls in der Ausstellung erst mühsam heraus-
zusuchende Berührung zwischen den beiden
letztgenannten Richtungen und dem Bud-
dhismus, oder die Mittelstellung des Ma-
nichäismus zwischen diesem und dem Chri-
stentum. Aus einer Ruine von Idiqut Schahri
tinden wir manich.iische Reste: Miniatu-
ren, in denen hübsche Ranken mit Blattern,
unter Vorherrschaft von Blau und Rot, an
Gotisches erinnern; Buchblatter in soghdi-
scher und sonstigen Sprachen ; dann Tem-
pelfahnen und Fragmente von Wandge-
mälden. Ein Heiligenbild, darstellend eine
Frau mit Heiligenschein, die einen Säug-
ling hält, kann nestorianisch oder manichä-
isch oder buddhistisch sein. Aus derselben
Gegend sehen wir ein entweder nesto-
rianisches oder manichaisches ^\'andgemal-
de, auf welchem ein segnender oder spre-
chender Gottmensch (? Christus?) vor drei
mit Zweigen in den Händen versehenen
Priestern steht. Ein Seidenbild zeigt die
Gestalt eines Welthüters (eines Verwandten
des Demiourgos?). Das türkische Volk der
Uiguren ist in seiner Kulturbedeutung be-
reits anerkannt; es bekam nestorianische
Missionäre und tritt uns jetzt in Erinne-
rung durch Handschriften mit Miniaturen
in ähnlicher Färbung, wie oben.
Dann aber gelangen wir, mit einigen
Reminiszenzen wie z. B. Tempelfahnen, ins
eigentlich Buddhistische. Ein Grottentem-
pel wurde entdeckt in den Ruinen von Bäzählik bei dem
tjrfanischen .Murtuq, von etwa 600 — 900 n. Chr. hincr-
halb einer quadratischen Umfassung steht eine eben-
solche Cella; aus ihren Wänden wurden die großen
Fresken herausgesägt und hergebracht. Sie zeigen haupt-
sächlich Mönche bei kultischen Aufzügen, mit typisclien.
aber kräftig-großen Physiognomien, in einer mehr linea-
ren als llächigen Darstellung, alles reich gefüllt, da eine
Hölle, dort ein dämonischer Begleiter des Stifters, dann
wieder >die Predigt von Benares<.
Auch aus dem östlichen China kamen Überreste,
sogar von seiner vorbuddhistischen Zeit her. Der ersten
Hälfte der »HanZeit, 206 vor bis 221 nach Chr, gehört
aus der Provinz Schantung ein Steinsarg an, erworben
von der katholischen Mission in Südschantung. Seine
Innenwand Reliefs zeigen auf rauhem Stein ausgeglättet
Figuren (besonders auf Wagen fahrend! und (jebaude-
teile. Endlich Japan . Ein meisterhaftes Tempelbild, in
prachtvollem Braun und Schwarz auf Gold, stellt einen
mit zwölf Gottheiten herabschwebenden Buddha dar; es
stammt aus einem Kloster auf dem Kövasan, vom Jahre
1649. Der Gott Kwanon erscheint in einer Bronzeplastik
SIMON' W. .MARIS, .\MSrERD.\M
GI.CCKMCHli Mfl lER
von 1176, mit einem Heiligenschein, der eine Inschrift
trägt, und zusammen mit der Göttin Seishi auf bemalten
Flügeltüren eines Altarschreines von ungefähr 1200.
Dazu dann Tempclschutzgottheiten, Dämonen, und »Him-
melskönige» von 729—7.(8. Koreanische Kloster- und
Tempelstatuen ergänzen diese reiche Welt.
Recht kleinlich erscheinen die meisten Versuche, in
unserer eigenen Welt Volkstümliches zu schaffen und
zu zeigen. Was da alles von >vereinigten« und unver-
einigten Werkstätten u. dgl. in vielfacher Menge vorgeführt
wird, bestätigt immer wieder unseren Verlust der reli-
giösen Hauskunst; abgesehen davon zeigt das Bessere
einen Anschluß an die Sachlichkeit des gotischen Kunst-
gewerbes. Daß eine Ausstellung «Die Dame in Kunst
und Mode« uns erst recht nichts Wesentliches bietet,
auch abgesehen davon, daß sie zu einer Berufung auf
die Kunst sehr wenig berechtigt war, läßt sich denken.
Das sie veranstaltende H o h e n z o 1 1 e r n K u n s t g c w c r b c-
haus zeigte vorher eine .■\usstellung von Trachten-
gruppen und plastischen Karikaturen, die zwar
ebenfalls mehr auf gesellschaftliches Interesse ausging,
aber doch auch kulturgeschichtlich einiges darbot. Man
288
©^ WETTBEWERB URDINGEN ?^?3
AUGUST HERR.MANS'-ALGÄU, .MÜNCHEN
konnte sich die Karikaturen plastischer, weniger graphisch
denken, konnte sich die Marionette als Mittelglied jener
beiden Gattungen vorstellen und konnte besonders über
russische Werke erfreut sein. Über das Jahr 1700 ging
wohlniireine »Puppe in niederländischer Tr.ichtc zurück.
Mit Religiösem standen einijje Stücke des 18., wenige
des ig. |.ihrhunderts in Beziehung; und anscheinend
waren daran nur Oberbayern, Tirol und (besonders
Ober-) Italien beteiligt. Man sah Krippen und einzelne
Krippenfiguren, einen »Engel aus der Ursulinerinnen-
Krippe Innsbruck 18. Jahrb.«, Heilige drei Könige, Christ-
kinder und »Marienkinder« (ein blumenreiches aus Ober-
italien, ein schlichteres aus Südtirol) und zwei Mönchs-
figuren (einen mit Totenkopf).
In Kürze weisen wir nocli hin auf die interessanteste
und im guten Sinne nationalste Veranstaltung dieses
Winters; Die Internationale Volkskunst- Aus-
stellung, veranstaltet vom Deutschen Lyceum-
Club. Doch hat dieser einen »Führer« herausgegeben,
in ersichtlicher Eile verfaßt von Marie v. Bunsen,
der zwar durch die etwas kunterbunte Ausstellung selbst
ungenügend leitete, als Leistung für sich aber noch in
alle Zukunft Wert behalt.
Wir werden an anderer Stelle noch eigens auf diese
^\-r.^nstaltunl' zurückkommen.
ERGEBNIS DES WETTBEWERBES
ÜRDINGEN
A nläßlich des von der Deutschen Gesell-
■'»■ schalt für cliristhche Kunst veranstalteten
Wettbewerbes zur Erlangung künstlerischer
Entwürfe tür eine neue katholische Kirclie
in Urdingen am Niederrhein liefen 126 Pro-
jekte ein. Die künstlerische Qualität dieses
Ergebnisses ist eine sehr hohe und war die
Tätigkeit des Preisgerichtes in den Sitzungen
vom 22. und 23. April eine sehr anstrengende.
Den I. Preis (700 M.) erhielt Kennwort
>/Name Jesu« von Otho Orlando Kurz
(Herbert & Kurz, München) ; der II. Preis
(500 M.) fiel auf ■ Chorgruppe« von Hans
Rummel (Frankfurt a. M.); der III. Preis
(300 M.) wurde dem Projekt »Rotes Kreuz«
von den Architekten Verheyen und Stobbe
(Düsseldorf) zuerkannt. Ferner wurden fünf
ly. Preise zugesprochen für Projekte von
Prof. Richard Bernd! (München), D. Böhm
(Ofienbach a. M.), Carl Colombo und Ernst
Müller (Köln), Adolf Nöcker (Köln) und Ernst
Riedl (Murnau). Mit Rücksicht auf ihre be-
deutenden Qualitäten wurden außerdem noch
sieben Projekte mit Belobungen ausgezeichnet,
nämlich: »Weiße Ostern« von Herm. Moser
(Ulm a. D.), »Halleluja« von Aug. Schiffer
(Düsseldorf), »Die vom Niederrhein« von
Albert Kirchmayer (Augsburg), »Christliche
Kunst II« von Hans Brühl (München), »Ein
modernes Stadtbild« von Hugo Lechmig
(Düsseldorf), Heimatstrom« von Dr. E. B.
Fiechter (München), »Ohne Fleiß kein Preis«
von Willy Graf (Stuttgart).'
örtlich : S. Staudhamer (Promcoadeplatz 3) ; Verlag der Gesellschaft für christliche
Druck von F. Bruckmann A.-G. — Sämtliche in München.
lilN SAAL DKR DEUISCHEX Gi:SI I I ^CIIAI T I 1 H llllüSi I H lli; Kl \S1 MI 1 l)i:\l lilMjlOFSTUHl. IN' BAMBKI«.,
Ausstellung /ur christlkhc Kum!, DüsseldorJ igog
VOX I)]-R VIII. INTERNATIONALEN AUSSTELLUNG IN VENEDIG
Von Dr. Ü. DOERING-Dachau
In diesem Jahre nach dem Prozentsatze der
*■ auf den Ausstellungen befindlichen Werke
spezitisch christlichen Inhaltes über deren
Stellung in der modernen Kunst ein annähernd
richtiges Urteil abgeben zu wollen, scheint
mißlich infolge des Iiinflusses, den die große
Düsseldorfer Ausstellung übt. Während dort-
hin von allen Seiten die kirchlichen Kunst-
werke zusammenkommen, weisen die übrigen
Orte verhältnismäßig nur sehr wenig auf Nun
liegen die Dinge aber so. daß die geringe Zahl
solcher Kunstwerke auch in andern Jahren
allerorts zu beobachten ist. Und weil nun
Düsseldorf in diesem Jahre zeigt, daß es doch
eine stark produktive christliche Kunst in unse-
rer Zeit gibt, so folgt daraus, daß, sei es nun
infolge von Prinzipien der Ausstellungskom-
missionen oder zu großer Zurückhaltung der
Künstler, die seltene Gelegenheit, solche Dinge
zu sehen, nicht an der Unprodukiivität der
letzteren liegt. So weit die Bescheidenheit
der Künstler in Betracht kommt, so dürfte
man sie in diesem l'alle keineswegs billigen.
Geben sie doch dadurch den Gegnern wie den
Unerfahrenen die Miiglichkeit, zu behaupten
und zu glauben, daß die Kunst der Kirche,
wie die künstlerische Gestaltung religiöser
Gegenstände überhauptim letzten Hintertreflen
stehe und wenig Beachtung verdiene. Auch
die venezianische Ausstellungkönnte äußerlich
solchen Gedanken Nahrung geben. Der Werke
christlichen Inhalts sind bei bester Rechnung
nicht viel mehr denn zwanzig unter den vielen
Hunderten. Nur die annähernde Hälfte davon
stellt Gegenstände der Heilslehre dar, und
unter ihnen kommt höchstens eins für die
Zwecke des kirchlichen Dienstes in Betracht.
Zur gerechten Beurteilung des Ranges der
christlichen Kunst gelangt man hier nur, wenn
man sich vergegenwärtigt, daß jene wenigen
Stücke Repräsentanten großer Gruppen sind,
die es tatsächlich gibt. Zu irrigen Schlüssen
würde auch führen, aus dem Maße der Betei-
ligung der Nationen ihr Interesse an der Kunst
christlichen Inhaltes abschätzen zu wollen.
Natürlich spielen politische Verhältnisse, Tem-
perament, allgemeine Lebensanschauungen da-
bei mit, würden aber erst hei längerer Be-
obachtung in ihrer Wirksamkeit deutlich
werden. Gleichwohl mag es kein bloßer Zufall
sein, daß die meisten \Verke christlichen In-
haltes auf der venezianischen Ausstellung aus
Deutschland stammen, und daß danach Italien
und Unaarn die größten ZiHern erreichen und
I'ic christliche Kuii
290
e^ VIII. INTERNATIONALE AUSSTELLUNG IX VENEDIG *^a
FELIX BAUMHAÜKR
Aiisstrlhnig für
christliche Kunst, Düsseldorf iqog
daß aus Frankreich überhaupt nichts dergleichen
da ist. Allerdings fehlen andere Nationen
auch, aul die im einzelnen nicht eingegangen
werden kann. Wir wollen aber nicht betrach-
ten, was nicht da ist, sondern das positive
Ergebnis anschauen.
Vorweg seien ein paar Architekturhilder
erwähnt. So schildert z. B. der Engländer
James G. Laing in geschickt, aber etwas
kalt durchgeführten Aquarellen mehrere bel-
gische und französische Kircheninterieurs, sein
Landsmann AxelHerman Haig in einer
tüchtigen Radierung das Äußere der Chor-
partie an der Kathedrale von Amiens.
Von der Schilderung des Menschen-
werkes wenden wir uns zu der des
Menschen selbst. Daß unter den Re-
präsentanten der Malerei christlicher
Motive Darstellungen aus dem Volks-
leben verhältnismäßig zahlreich sind,
ist bei dem Interesse, dessen dieser
Gegenstand zurzeit sich erfreut, nur
natürlich. Daist ein prächtiges Stück
des Polen Ladislaus Jarotzky,
eine : Bauern-Prozession in den Kar-
pathen«. Der Beschauer blickt dem
Zuge nach, der sich gegen den Hinter-
grund entfernt. Trotz des Umstandes,
daß die Figuren im allgemeinen von
rückwärts gesehen werden, ist doch
ihre Charakterisierung gut gelungen.
Es fesselt weiter die Vollsaftigkeit der
Farben, vor allem die Kulturschilde-
rung eines Volkes, dessen Eigentüm-
lichkeiten uns wenig vertraut sind
und das unbewußt ein inniges, für
uns vielfältig anregendes und lehr-
reiches Verhältnis zurprimitiven Kunst
hat. Ähnliche Eigenschaften besitzt ein
Ländliches Leichenbegängnis« des
Österreichers Fryderyk P autsch.
Eine bunte Schilderung russischen
Volkslebens, wobei die lebhaften Far-
ben, die von unsern westeuropäischen
Begriffen von einer Leichenfeier gänz-
lich abweichen, durch die weißen
Töne der winterlichen Landschaft
noch besonders befördert und ver-
stärktwerden. Der Venezianer Luigi
Nono schildert in einem großen
Temperagemälde einen »Ersten Re-
gen«, der auf frische Kindergräber
niedersinkt. Eine Bäuerin schmückt
eins davon und schützt es zugleich
mit einem aufgespannten großen Re-
HRisTüs genschirm. Ich kann nicht finden, daß
dieser dem gewollten Ernst der Situa-
tion entspricht, vielmehr bekommt die
Szene für mich dadurch etwas Burleskes. In der
Malerei ist das Bild recht wirkungsvoll, zumal
das landschaftliche Element, bei dem das kräftige
Grün des Friedhofes gegen das Schiefergrau der
ihn umgebenden Berge einen erfreulichen,
feinen Kontrast gibt. Volle Lebenslust, echt
italienische Freude an Sonne und Farben leuch-
tet aus Ferruccio Scattolas »Kirchweih
des hl. Johannes«. Endlich sei hier zweier
interessanter Werke des Giuseppe Pellizza
da Volpedo gedacht, der vor zwei Jahren
gestorben ist. Er war ein Künstler, den seine
tiefe Liebe zur Natur befähigte, sein Bestes
in Einsamkeit und Zurück^ezoijenheit zu
291
WII.IIF.I.M HAVr.RKAMP
PIi:iA GIPS)
Ausilfllung /ür chrhlticht Klilisl, llus>ft,<or/ iQi,i)
M'
J9:
t?^ VIII. INTERNATIONALE AUSSTELLUNG IN VENEDIG S^Q
finden. Mit seinem Bilde »Auf dem Heu-
boden« erregte er schon auf den Ausstellungen
in Mailand 1894 und zu Florenz und Turin
in den zwei folgenden Jahren Aufsehen. Der
Einfluß Segantinis ist nicht zu verkennen.
Das Stück wirkt mit seiner schlichten Dar-
stellung (ein Mann wird mit den hl. Sterb-
sakramenten versehen) höchst ergreilend, far-
big ist es ein Meisterwerk pointillistischer
Technik, diskret, vornehm, dabei vollerLeucht-
kraft bis in die tiefsten Schatten hinein, har-
monisch ausgeglichen gleich Pellizzas andern
Werken. Dieselben Vorzüge zeigt das klei-
nere Bild Die geknickte Blume:, die Schil-
derung des Begräbnisses eines jungen Mäd-
chens. Auch hier der schlichte Gedanke, die
vollendet vornehme Färbung, die namentlich
durch den Kontrast der weiß gekleideten
jungen Mädchen und zuschauender, bunt
gekleideter Kinder interessant ist. Die Kom-
position ist streng und ruhig.
Bilder, wie diese, sind keineswegs religiöse
FR.WZ SCHILLING HL. CHRISTOI'H
Aiisstrl/liiig /,„■ chrhtliclie Kianl. Piissel.i.u-/ iq,,q
Bilder, aber immerhin weit davon entfernt,
Genredarstellungen im rückständigen Sinne
zu sein. Sie sind echte Poesie in Auffassung
und Schilderung, im Geiste, der die zeich-
nende Hand gelenkt, die Farben gemischt
hat, beides zu dem Zweck, ästhetischen Ein-
gebungen zum rechten Ausdrucke zu ver-
helfen. S<i darf man auch der .Matutin«
des Lioncllo Balestrieri derlei poeti-
schen Wert beimessen. Hervorragend ist in
dieser farbigen Radierung die Andachts-
stimmung der im ersten Morgengrauen Be-
tenden wiedergegeben. Dazu mit einer be-
wunderungswürdigen Bewältigung außeror-
dentlicher Schwierigkeiten der Beleuchtung.
Eindringendes erstes Frühlicht, das besonders
die eine Figur stark hervorhebt, mischt sich
mit dem warmen Licht der Kerzen, das auf
den Gewändern der andern schimmert, und
kämpft samt ihm mit dem bläulichen Dunkel
des Kirchenraumes. Balestrieri zeigt in diesem
Werke eine Tiefe, die seinen andern Arbei-
ten, in denen ein novellistisches Element oft
zu fühlbar hervortritt, nicht immer eigen ist.
Interessant ist im Gegensatze zu diesem ita-
lienischen Werk des München-Dachauischen
Radierers Oscar Graf prächtige Studie
Gebet vor der Schlacht«. Ein knorriger alter
Recke, der, neben seinem ungeduldig scharren-
den Gaul stehend, andächtig des Himmels
Beistand anruft. Das Ganze ein echt deutsch
empfundenes Stück. Schade, daß vom selben
Künstler nicht noch andere seiner mit Ge-
danken der Religion erfüllten Erzeugnisse
ausgestellt sind. Sie lassen in ihrer herben
Kraft den Wunsch gerechtfertigt erscheinen,
ihren Meister einmal mit einer Aufgabe mo-
numentalen Umfanges beschäftigt zu sehen.
Die Kunst eindringlicher Charakterschilde-
rung feiert Triumphe vor allem in der Por-
trätmalerei, die auf dieser Ausstellung reich-
lich und mit ausgezeichneten Leistungen ver-
treten ist. Ich nenne das Bildnis des Kardinals
Ludwig Haynald, Bischofs von Kalocsa. Das
Bild, ein Meisterwerk von MihalyMunkäcsy,
gehört zu den Zierden der ungarischen Staats-
sammlungen. Es zeigt des Künstlers glänzende
Fähigkeit, persönliche Eigenart zu schildern,
Sinn und Art des Dargestellten aufs feinste
herauszuarbeiten, dabei koloristische Probleme
zu lösen. Das geistvolle Gesicht des Kirchen-
fürsten, der überlegene, dabei wohlwollende
Ausdruck prägt sich unverlöschlich ein, und
die Bewunderung hierfür vereint sich mit der
des tiefen Kolorits, das auf Klänge von ver-
schiedenartigem Rot gestimmt ist und durch
den dunkeln Fond wie durch das Weiß in
der Gewandunt; zu kräftio:er und dabei über-
293
294 ®^ ^'III- INTERNATIONALE AUSSTELLUNG IN VENEDIG ^^a
THi:OI)0R UAIEKL
iw„y/ Ton y. A„s
BKMALUNG EINER CHOKWAND UND APSIS (ENTWURF)
sstelhmg für christliche Kunst, Dussehtoyf iqog
aus vornehmer Wirkung gesteigert wird.
Munkäcsy gehörte zu jenen faustischen Na-
turen, in deren Brust zwei Seelen wohnen,
eine, die am Irdischen hangt, eine, die gewalt-
sam emporstrebt. In seiner Kunst kamen beide
voll und fruchtbar zur Entfaltung. Eine Ähn-
lichkeit in solcher Beziehung zeigt mit dem
dahingeschiedenen genialen Ungarn so man-
cher deutsche Meister, und dieser bezeich-
nende Zug unserer nationalen Eigenart tritt
in mehr als einem trefflichen Werke gerade
auf dieser Ausstellung vor Augen. Ich denke
dabei nicht zuletzt an Albert von Keller.
Neben einigen seiner bekannten Damen-
porträts zeigt er uns eins seiner merkwür-
digen Visionsbilder, nicht vorwiegend als
Beweis einer über Schwierigkeiten erhabenen
bestrickenden Technik und Vortragsweise,
sondern vor allem zum Einblick in sein in selt-
same Träumereien versunkenes Innenleben
und seine Stellung zu den Geheimnissen
religiöser Verzückung. In diesen Randgebieten
christlicher Wahrheiten und dichterischer
Schwärmerei wandelt auch die Monumental-
kunst des Galileo Chini. Freilich beschäf-
tigt sich seine große dekorative Schöpfung
in der Kuppel des Hauptgebäudes nicht eigent-
lich mit der Religion, kann aber, da sie die
Allegorisierung der Kunstgeschichte von den
ältesten bis zu den neuesten Zeiten zum Ge-
genstande hat, natürlich nicht umhin, die Ge-
danken der christlichen Kunst mit zu charak-
terisieren, ihrer historischen Bedeutung ge-
mäß ausführlich zu behandeln. Dies geschieht
im vierten Kuppelfelde, das den Übergang
von heidnischer zu christlicher Kunst und die
Schöpfungen von Byzanz schildert, ferner im
fünften, welches jene des Mittelalters und der
Renaissance andeutet. Das Motiv des sechsten
ist Michelangelo. Im siebenten werden in
der Kunst des Bernini und Tiepolo zwei
wichtigste Erscheinungen des Barock zur Ver-
tretung der ganzen Epoche herausgegriffen.
Von einer eigentlichen religiösen Vertiefung
ist in diesen Dekorationen nicht die Rede,
dafür wirken sie im Rahmen des Ganzen ein-
heitlich und harmonisch und erfüllen ihren
Zweck der historischen Reminiscenz. Außer
ihnen ist die großmonumentale, dekorative
Malerei noch vorzugsweise in einem Zyklus des
e^ VIII. INTHRNATIOXALE AUSSTELLUNG IN VENEDIG »«^
295
Römers Aristide Saitorio
vertreten, der auch eine Zeit-
lang in Weimar tätig gewesen
ist. In mächtigen phantasie-
vollen Zeichnungen dichtet er
Epen des menschlichen Le-
bens. Eine unbedingt christ-
liche, sittlich vertiefte Auffas-
sung liegt ihnen zugrunde und
macht sich allenthalben fühl-
bar. Dennoch gehören die For-
men und Gestalten nicht dem
Kreise eigentlich religiöser Dar-
stellungen an, sind vielmehr
durchaus von den Auffassun-
gen der Antike beherrscht. Eine
Analyse des eigentümlichen
Stils, der sich hieraus in \'er-
mischung mit modernsten Auf-
fassungen und gewissen Ein-
seitigkeiten der Zeichnung er-
geben hat, kann hier als zu
weit führend nicht wohl unter-
nommen werden.
Bleibt bei Schöpfungen sol-
cher Art die Abschätzung ihres
christlichen Inhaltes und Wer-
tes mehr dem Gefühl über-
lassen, bieten sich die in un-
serm Zusammenhange in Be-
tracht kommenden Momente
vorzugsweise in Andeutungen,
so treten bei einer Anzahl an-
derer Werke der Ausstellung
die christlichen Gegenstände
klar und ohne weiteres be-
greiflich hervor. Die Stotf-
kreise der biblischen, in einem
Falle der legendarischen Über-
lieferung sind in einer ver-
hältnismäßig nicht zu geringen
Zahl zu malerischer Geltung ge-
bracht. Das eine legendarische
Bild stammt von dem Münch-
ner Julius Diez. Wer den
Namen hört, weiß sogleich, daß
dieses Bild — es stellt den hl. Hubertus vor —
in einer nur diesem Künstler eigentümliciien
stilisierten Art gegeben sein muß. Wir sehen
einen wenig schönen alten Gesellen zusammen-
geduckt auf seinem Pferde hocken. Die Land-
schaft zeigt Winterstimmung, die Bäume sind
seltsam genug vereinfacht, und das Ganze
trägt das Gepräge einer gesuchten Naivität.
— Natürlich ist eine verfehlte \'ortragsweise
um so schwerer zu ertragen, je bedeutender der
Gegenstand ist. So istKärolv Ferency's
"Kreuzesabnahmes, eine mittelgroße Im-
THEODOR HAIERI.
Aussteltinig y«.
CHRISTI HIM.MEI.F.\HRr (l-NTWUBF)
•itlühe Kunst, Duiseldor/ iqog
pression in Tempera, das äußerste, was uns
diesmal an Häßlichkeit zugemutet wird. Ein
Christus ohne jede Hoheit, eine in unschöner
Haltung gegebene Gottesmutter in giftgrünem
Unterkieide mit roten Blumen, S. Johannes
in Weiß, Joseph von Arimathäa in braun, einer
immer abstoßender als der andere. I:in grüner
Berghintergrund vervollständigt den unerfreu-
lichen Eindruck. Gegen derlei gehalten ist
das meiste schön, und auch eine ziemlich
süßlich durchgeführte ? Madonna mit dem
Jesuskinde* vom verstorbenen K.iroly Lotz
296
»^ VIII. INTERNATIONALE AUSSTELLUNG IN VENEDIG J»^a
wirkt dagegen mit ihren weißen, grauen, blauen
und sparsamen rotbraunen Tönen schier
meisterlich. Uneingeschränkte Anerkennung
verdient dagegen »Die Geburt Christi« des
Andor Bori'ith, die der ungarische Staat
samt mehreren andern bedeutenden Stücken
aus seinem Besitze hergeliehen hat. Das Ge-
mälde zeigt die hl. Familie und die anbetenden
Hirten in treftlicher Lebenswahrheit. Jeder
Kopf, jede Figur eine Charakterstudie, die
freundlichen Züge nicht süßlich, die herben
F. SCHII LIXC CHRISTUS
A:,sslcl!,i,ig /. Christi. Kunst. Dussel.iorf igog
ohne Niedrigkeit, alles schlicht und unab-
sichtlich, wie die Wirklichkeit selbst es ähn-
lich geboten haben mag. Die Farbe ist voll,
tief und harmonisch, die Lichtstimnmng, die
Verteilung von Hell und Dunkel erinnert an
Rembrandt. Von allen Gemälden, die auf
dieser Ausstellung dem christlichen Gedanken-
kreise angehören, ist dieses von Boruth das
einzige, das ich mir auf einem Altar denken
könnte. Denn bei allen übrigen treten die
malerischen und technischen Absichten allzu
fühlbar hervor, der christliche Inhalt leuchtet
nicht immer in völlig ungetrübter Klarheit.
Das ist auch bei der »Pietä« von Molnär
länos Pentelei der Fall. Schon der Titel
ist unrichtig gewählt, denn es fehlt bei dem
toten Heilande die trauernde Mutter, aber das
ist ja nebensächlich. Gezeichnet ist der Akt
hervorragend gut, besonders die Verkürzung
wohlgelungen. Gebilligt kann auch werden,
daß die Fußpartie in einen Halbschatten ge-
hüllt ist, dessen äußere Motivierung allerdings
nicht einleuchtet, der aber den Vorteil hat,
die wieder aufstrebende Linie der Füße zu
mildern und der Horizontale zu ihrem Recht
zu verhelfen. Dagegen kann die Auffassung
des Kopfes nicht befriedigen. Die Biegung
nach hinten zur Rechten hebt besonders die
Nasenpartie in unschöner Weise hervor, was
sich|durch Wendung zur Linken leicht hätte
vermeiden lassen. Auch ist das Gesicht nicht
jenes, welches wir uns als das des Erlösers vor-
stellen möchten. Das ganze Bild ist schließ-
lich trotz Nimbus und Dornenkrone nichts
als eine freilich virtuos gegebene Studie vom
Seziertisch. Unwillkürlich fordert es zum
Vergleich mit dem Stuckschen Christus
heraus, der wohl so ziemlich auf jeder Aus-
stellung zu finden ist, an der dieser Meister
sich beteiligt. Gegen diesen Ciiristusakt kann
freilich ein anderer schwer aufkommen. Alle
Linien, alle Einzelheiten vereinigen sich hier
zu einem Ganzen von äußerster formaler
Vollendung, und das Einzige, was man zwei-
felnd fragen darf, ist, ob in diesem nunmehr
tot hingestreckten Körper eine Seele gelebt
hat, die der Wclterlösung fähig war, und ob
dieser Christus berufen ist, der Auferstehung
entgegen zu schlummern. Das sind Fragen,
die nicht wie bei Pentelei leichthin zu ver-
neinen sind, sondern über die bei Stuck das
Nachgrübeln je nach Auffassung und persön-
licher Empfindung zu dem oder dem Ergeb-
nis führen kann. Mein Gefühl will sich bei
der Monumentalität, die dem Werke zweifellos
in hohem Grade eigen ist, doch nicht so
erwärmen, wie bei vielen weitaus kunstloseren
Arbeiten anderer Meister, vor allem aus älterer
Eduard von Gebhardt
Der arme Lazarus
Die chriitHche Kun.t, V. J.hr,
tSSä« VIII. INTHRNATIONALE AUSSTELLUNG 1\ \H\'HDIG
297
FRANZ SCHILLING
ENTWURF FÜR EIN TREl'l'LNHAUS
AtisstelUmg /iir christliche Kunst, Di'isseldorf tqog
Zeit. Aber auch in neuerer maciit, glaube
ich, nach der Richtung der Gemütstiefe so
mancher Künstler dem großen Zauberer von
München mit Erfolg den Rang streitig. Das
gleiche gilt auch von den andern Stuckschen
Bildern, die für das Religiöse in Betracht
kommen und über die ich mich kurz fassen
kann, weil die Akten über sie längst ge-
schlossen sind, die »Vertreibung aus dem
Paradiese« und die »Kreuzigung«. Wer den
Beruf der Kunst darin erkennt, unnachahm-
liche Vollendung der Form, feinste Phantasien
der Farbe liervorzubringen, wird diese Stücke
zu den ersten reciinen, über die einst die
Kunstgeschichte zu bericiiten haben wird.
Wer aber mehr sucht, der darf in irgend
ein altes Kirchlein gehen, für das kein Vir-
tuose gemalt iiat, und wird dort Iniden, was
er sucht. Und wenn er der Kunst neuerer
Zeit sich zuneigt, so wird er auch bei ihr
reichliches Genügen haben an Meistern, die,
statt nur die Sinne zu blenden, zu Herz und Ge-
müt sprechen, etwa an Fugel, Gebhardt, Kunz
oder auch Thoma. Es ist nur ein kleines
Blättchen, nur ein Holzschnitt, der von Hans
Thoma hier in Venedig ausgestellt ist, die
andern, deren Namen ich sagte, fehlen über-
haupt. Es ist die )> Kreuzigung«. Ganz einfach,
ganz wie sie seit alters dargestellt ist, wie
sie uns im Herzen gemalt stellt, ohne groL'e
Künste, die um ihrer selbst willen glänzen
sollen. Auch Thoma ist ein Führender im
Reiche der Kunst wie Stuck. Wer mit klarem
Sinn und warmem Herzen diese Kreuzigung
mit der auf dem großen, farbig und zeich-
nerisch Staunen erregenden Stuckschen Ge-
Dle chHiUkhe Kun
298
Si^ Dil- KUNST IM BÜRGERLICHEN HEIM *^a
THEODOR WIKTER
CHRISTUS IM GRABE
Ausstellung für christliche Kunst, DiascUeif iqog
mälde vergleicht, wird schwerlich zweifeln,
welches von beiden Werken den höheren
inneren Wert besitzt.
Wollen wir zum Schluß den Eindruck der
ganzen Ausstelhing zusammenhissen, so muß
man sagen, daß sie namentlich hinsichtlich der
Anordnungdcs Ganzen befriedigt, während die
Qualität der künstlerischen Darbietungen auf
der Höhe der früheren steht. Den schwersten
Stand hatten die Italiener, in deren Abteilung
denn auch nicht wenig Mittelmäßiges geraten
ist. Die fremden Nationen konnten eine
sorgsamere Auswahl trefl'en. Die deutsche
Kunst ist am stärksten durch München ver-
treten. So hat der oben erwähnte F. von Stuck
eine Kollektivausstellung, die in 35 Nummern
alle bedeutenderen Werke des Künstlers um-
laßt und bei der italienischen Kritik eine begei-
sterte Aufnahme fand. Sam bergersandte drei
seiner brillanten Bildnisse: Welti (Abb. IV. Jg.,
S. 303), Dr. Schäfer (Abb. IV. Jg., Beil. zu H. 5)
und Becker-Gundahl. Von den drei Bildern F. v.
Uhdes nennen wir das bekannte Bildnis des
Schauspielers Wohlmuth. Tüchtige Werke ent-
hält die Ausstellung u. a. von Richard Kaiser,
Hugo von Habermann, G. v. Kuehl, H. v. Zügel,
Charles Tooby, Pietzsch.
DIE KUNST IM BÜRGERLICHEN
HEIM
Von E. GUTENSOHN
IVylehr als je werden in unserer Zeit die so-
^ ' ' zialen Gegensätze fühlbar. Äußerlich frei-
lich tritt der Unterschied von arm und reich
vielleicht weniger scharf hervor als in frühe-
ren Zeiten, denn die moderne Kultur »nivel-
liert«, sie gleicht äußerlich aus. Immerhin
haben wir täglich Gelegenheit, auf der einen
Seite Prunk und Luxus, auf der andern harte
Arbeit und Entbehrung wahrzunehmen: Ge-
gensätze, die dem liebevollen Geiste des Chri-
stentums ganz und gar nicht entsprechen;
Gegensätze, die das ärmere Volk bitter fühlt,
denn es ist heutzutage gescheit genug, um
sie beim Nachdenken über seine Lage zu
empfinden. Es ist darum ganz natürlich, daß der
kleine Bürger nach einem Ausgleich dieser tief
liegenden sozialen Gegensätze trachtet, indem
er einer Übervorteilung von selten der wirt- :
schaftlich Stärkeren zu begegnen sucht, in- \
dem er ferner für seine Arbeitsleistung eine
den Verhältnissen der Zeit' entsprechende Ent-
lohnung anstrebt, indem er endlich auch dar-
Si^ DIR KUNST IM BÜRGRRLICFII'N
■IM »«Sä
299
nach traclitet, seine ganze Lebenshaltung zeit-
gemäß zu heben und mensclienwürdiger zu
gestalten. Es ist nicht zu verkennen, daß
heute dem einlachen Bürger manche Ver-
gnügungen, manche Bildungsgelegenlieiten
geboten sind, die ihm früher wegen der da-
mit verbundenen Kosten unerreichbar waren.
Wie aber ein großer Unterschied besteht zwi-
schen dem kleinen Luxus des Ärmeren und
dem kostspieligen Luxus des Reichen, so ist
nicht minder ein bedeutender Abstand zwi-
schen dem Luxus des Gebildeten und dem
des Ungebildeten. Letzterer, weil geistig zu
beschränkt, um höhere, geistige Genüsse zu
erstreben, hält dafür niedrige, materielle, wie
Essen und Trinken u. dgl.
für am meisten begehrens-
wert; er verzeiht auch an-
dern eher diese Art Luxus,
weil er ihn begreiflicher fin-
det als den geistigen : Kunst-
genuß u. dgl., für den er sel-
ber keinen Sinn hat, wes-
halb er ihn für überflüssig
hält. Erfreulicherweise
wächst nun heutzutage in-
folge der erhöhten \'oIks-
bildung auch in den Krei-
sen der Arbeiterschaft mehr
und mehr das Bedürfnis nach
dem Besitze edler geistiger
Güter. Es ist dies zugleich
ein erfreuliches Zeichen von
der materiellen Hebung des
Volkes, denn ein Bedürfnis
nach ästlietischem und gei-
stigem Genuß stellt sich,
wie uns die Kulturgeschichte
zeigt, erst dann bei einem
Volke ein, wenn es die ärg-
ste Not des Lebens über-
wunden hat. Dieses Bedürf-
nis, diese Sehnsucht nach
Veredlung und \'erschöne-
rung des Lebens, wie sie
insbesondere die Kunst bie-
tet, läßt sich als Wirkung
der nüchternen Leere be-
trachten, welche sich bei
dem von der Prosa des sich
immer gleich abwickelnden
Tagewerkes Ermüdeten ein
stellt, und die nun nach
einem Inhalt strebt, nach
einem Gegenstande, der das
Gemüt befriedigt, dem die
Arbeit in der I'abrik oder
^^'erkstätte nichts zu bieten
\ ermochte. Mit anderen Worten : die Seele
des Menschen, die untertags einseitig durch
den Beruf in Anspruch genonmien war, strebt
nach freier Betätigung jener geistigen Kräfte,
die während des Tages ruhten; sie sucht Er-
holung, Abwechslung, wie wir es nennen.
»Erholung ist Rückholung des Gleichgewichts
unserer Kräfte , das durch den Tagesberuf
und die gewöhnliche Beschäftigung gestört
wird«, sagt der Ästhetiker M. Hoffmann. —
Wohl dem, der diese Erholung in einem be-
haglichen Heim sucht und fmdet! Behaglich
und schön wird aber selbst das schlichte Heim
des Arbeiters außer durch den Geist der Ord-
nung und Reinlichkeit, der Eintracht und
Al.l-XASDKR IVKK
Atisstflliins /«r chrisilichf KntiMl. DusttUurf looq
©^ DIE KUNST IM BÜRGERLICHEN HEIM >^a
THEODOR BAIERL
KREUZABNAHME
"eUtiftg für clirislHche
DnsseUorf igvg
Liebe, der darin vor allein herrschen muß,
auch durch die Kunst. Niemand möge ein-
wenden, der Arbeiter verstehe von der Kunst
zu wenig, er könne deshalb auch keine Kunst
in sein Heim bringen. Das wäre ein gänz-
lich falscher Standpunkt. Es ist dagegen zu
bedenken, daß wohl fast jeder Mensch einen
angebornen Sinn für das Schöne hat (verrät
ja auch der Wilde Kunstsinn, wenn er seine
Waffen und Geräte verziert und sich mit
Schmuck behängt), freilich der eine mehr,
der andere weniger, der eine mehr für diese,
der andere mehr für jene Seite des Schönen.
Ebensowenig wäre der Einwurf stichhaltig,
die Kunst sei überhaupt für den kleinen Mann
zu teuer. Wenn wir unter Kunst nicht die
Luxuskunst verstehen, so können wir sehr
wohl von einer Kunst im Heim des Arbeitersund
überhaupt des schlichteren Bürgers sprechen.
Da den meisten Menschen ihr Heim als
Ort der Erholung, der Ruhe nach vollbrach-
tem Tagwerk, als Sammelpunkt der Kraft für
neue Tätigkeit dient, ferner den Kindern zur
Erziehung, der Hausfrau als steter Platz für
ihr Wirken, so wird es sich von selbst emp-
fehlen, auf geschmackvolle Ausstattung der
Wohnung möglichst bedacht zu sein. Ob
jemand guten Geschmack besitze, zeigt sich
oft schon in der Wahl der Wohnung. Wer
auf ein angenehmes Heim etwas hält, der wird,
wenn dies möglich, nach einer Wohnung
trachten, die einen Ausblick ins Freie, aut
Bäume, auf eine Kirche oder einen Kirch-
turm u. dgl. bietet. Aus denselben, aber auch
aus sanitären Gründen wird er auch lieber
die höheren als die niederen Stockwerke be-
ziehen, lieber eine gegen die Sonnenseite als
eine gegen Norden gelegene Wohnung mie-
ten. Wenn er genötigt ist, in einem Hin-
terhause zu wohnen, wird er ein solches be-
vorzugen, das gegen einen Garten liegt usw.
(Das Wohnen im Hinterhause bietet übrigens
meist den Vorteil größerer Ruhe.) Dies sind
indes Dinge, die man schon deshalb — lei-
der! — als nebensächlich bezeichnen muß,
weil es angesichts der mißlichen Wohnungs-
verhältnisse in den größeren Städten dem
»kleinen Manne« häufig unmöglich ist, bei
der Wahl seiner Wohnung auch seinen Ge-
schmack ein gewichtiges Wort mitsprechen
zu lassen.
Günstiger verhält es sich schon bezüglich
der Einrichtung des Heims. Beim Einzug
in dasselbe starren uns überall die leeren
Wände entgegen. Oft sind diese tapeziert,
oft auch nur getüncht, welch letzterer Um-
stand durchaus keinen Ubelstand bedeutet.
Besser schön getüncht, als häßlich tapeziert!
301
©3^ DIR KUNST IM BÜRGERLICHEN HEIM mQ
GEBHARD FUGEl.
i:HET DAS LAMM GOTTES (EN'TWURFl
Es ist durchaus nicht gleichgültig, welche Far-
ben die Wand aufweist. Matte, einfache Be-
malung in angenehm grauen (bläulich-, grün-
lich-, briiunlichgrauen) Tönen wirkt am ruhig-
sten; grelle, besonders rote Farben wirken
unruhig und sollen sogar, wie behauptet wird,
auf empfindliche Gemüter eine nachteilige
Wirkung ausüben. Kommt man in die Lage,
sich die Tapeten selber zu wählen, so suche
man sich ebenfalls ein ruhiges Muster in mat-
ten, womöglich hellen Farben, weil allzu grelle
Farben und bunte Muster nicht nur auf die
Dauer nicht gefallen, sondern auch die Wir-
kung etwaandieWandgehängterfarbigerBilder
und sonstiger farbiger Gegenstände sehr beein-
trächtigen können. Auch zu groß und zu lebhaft
inderBewegung soll das Muster nicht sein. In die-
ser Beziehung hat der sogenannte »Jugendstil«,
der nun wieder überwunden ist, viel gefehlt.
Tapeten mit gewaltig großen Blumen und
Blättern und sonderbar gekrümmten Ranken
zogen den Blick des ins Zimmer Eintretenden
sofort auf sich, als wären sie und nicht die
Einrichtung darin die Hauptsache. Aufdring-
liches Wesen in Form und Farbe ist aber
protzenhaft und hat keinen Platz im Gebiete
der wahren Kunst. Wie die Wand einfach
gehalten sein soll, so auch die Zimmerdecke,
C;^ Dil- KLXST IM BL RCEKI.lCHliN Hl-I.\l J^/;^
GI.BHARD lUGl I,
i;i:i;i 1 L'NG ii, iki iEmw l'kf-
Ausitclluug /ur chyistlichf Kunst, Düsseldorf igog
denn unser Auge sielit niclit aufwärts, son-
dern vorwärts; es soll also nichts an der
Decke sein, was sich derart aufdrängt, daß
der Blick nach oben gebannt wird. Die Decke
könnte ganz gut weiß bleiben (daher auch in
manchen Gegenden der Ausdruck: Weißdecke),
meistens zeigt sie aber eine an den vier Sei-
ten herumlaufende, bald schmälere, bald brei-
tere ornamentale Bordüre und in der Mitte
eine Rosette. Dagegen wäre nun an sich
nichts einzuwenden, der Fehler ist aber der,
daß das Muster der Decke meist mit dem der
Tapete im grellsten Gegensatz steht. Land-
schaften, Genres u. dgl. bildliche Darstellun-
gen an der Decke sind nach dem Gesagten
vollständig zu verwerfen. Bilder gehören an
die Wände, nicht an die Decke; dies ist nur
in sehr großen Räumen : in Kirchen, hohen
Sälen etc. angebracht, wo sich ein weites Ge-
sichtsfeld bietet.
Nachdem wir uns nun über das Aussehen
der Wohnräumlichkeit klar geworden sind,
sei unsere Aufmerksamkeit nunmehr der Ein-
richtung derselben zugewendet. Diese kann
auch dann Kunstgeschmack zeigen, wenn sie
nicht »kunstvolle, d. Ii. luxuriös ist. Der Reiche
mag seine Möbel beim Kunsttischler bestel-
len und einzig darin seine Befriedigung fin-
den, daß er Gottseidank in der Lage ist, ein
respektables teures Haus zu machen und sei-
304
Q'm DIH KUNST IM BÜRGERLICHEN HEIM »■^a
VALENTIN KRAUS
UNSERE ERLÖSUNG
Aiisitrllniis; fnr chrhlliche Kiinat, PiisselJor/ loog
nen Besuchern Zimmereinrichtungen zuzeigen,
bei deren Anbliciv sie von einem Staunen ins
andere fallen. Das ist aber nicht das Wohl-
getühl eines befriedigten ästhetischen Bedürf-
nisses, sondern Prunksucht und die eitle Lust,
anderen mit den überladenen Wohnungsschät-
zen möglichst zu imponieren. Bei der Wahl
der Wohnungsgegenstände ist nun allerdings
darauf zu achten, daß dieselben stilvoll seien.
Stilvoll ist dasjenige, was einen gefälligen Ein-
klang zwischen seiner Form und seiner Be-
stimmung, zwischen seiner äußeren Erschei-
nung und seinem Zwecke oder auch den hiezu
verwandten Mitteln, besonders dem Material,
zeigt. Was nicht zum Wesen der Sache ge-
hört, also aller äußerlich angefügte Schmuck,
ist überflüssig. So ist es z. B. vom künstle-
rischen Standpunkte aus erlaubt, die Beine
eines Tisches geschweift zu machen, ja wir
werden an solchen ein größeres Gefallen fin-
den, als an geraden, weil jene durch ihre Aus-
beugung sofort daran erinnern, daß sie eine
Last, nämlich die Tischplatte zu tragen haben
und daher eine ähnliche Beugung zeigen, wie
der Mensch, der eine Last zu tragen hat und
sich deshalb bückt. Unnötig erscheint es da-
gegen vom künstlerischen Standpunkte, daß
z. B. an Kästen Säulen angebracht werden,
die doch mit der Bestimmung des Kastens
nichts zu tun haben. Säulen sollen tragen,
am Kasten haben sie diese Tätigkeit nicht zu
erfüllen. Leider haben wir heutzutage immer
noch eine Scheinkunst, die zwar derech-
ten Kunst ähnlich sieht und dennoch billiger
kommt, die aber im Volke den Sinn für die
gute kunsthandwerkliche Arbeit vielfach er-
tötet hat! Um wie viel besser ist doch die
schlichte Volkskunst auf dem Lande — wo
wir sie überhaupt noch antreffen — , als die
unsoliden Möbeleinrichtungen unserer städti-
schen Warenhäuser und Abschlagszahlungs-
geschäfte! Die einfachen Stühle aus Apfel-
baumholz mit ihren bei aller Einfachheit charak-
teristischen Lehnen, die bemalten Büfetts und
angestrichenen Kästen, worauf religiöse Em-
bleme wie: Herz Jesu und Herz Maria, das
Lamm Gottes, auch wohl Engelsköpfchen, Va-
sen mit Blumen u. dgl. gemalt sind, das zeugt
von einem recht gesunden künstlerischen Ge-
schmack im Volke! Einfach und geschmack-
voll sei darum auch unser Losungswort. Ein-
fache Möbel, mit hübscher Farbe angestrichen,
der auch die Wandbemalung, bezw. die Ta-
pete entspricht, das wäre wohl das Ideal eines
AuisMluitg für christliche
Kunst, Düsseldorf tQog o
'f/. Abk. S. jod
\'ALENTIN KRAUS
ALTARSCHREIN «
Uo chhitlicbe Kunsc V.
3o6
©^ DIE KUNST IM BÜRGERLICHEN HEIM mö
jm'h t
AlurmuJell von Jal,ub Angcrmair mit Relief von Val. Kraus
Vgl. S. 3o;
Ausstellung fiir christliche Kunst. Ditsscldorf iqog
geschmackvollen Wohnraumes für unsern
Bürgerstand.
Neben der Auswahl der Einrichtungsstücke
läßt die Anordnung derselben im Zimmer
eine volle Betätigung des guten Geschmackes
zu. Wie die harmonische Wohlordnung, der
Geist des wohltuenden Zusammenwirkens aller
häuslichen Gegenstände in unser Heim ein-
geführt werde, das läßt sich im einzelnen nicht
angeben; es möge genügen, darauf aufmerk-
sam gemacht zu haben.
Außer der Möbeleinrichtung kommt auch
der Zimmerschmuck in Betracht. Der
erste und beste Schmuck, den die Wohnung
des christlichen Mannes aufweisen soll, ist ein
Kruzifix. Man hängt dies gern in die der
Zimmertüre schräg gegenüber liegende Ecke,
doch kann es auch anderswo seinen Platz fin-
den. Neben dem Kruzifix dürfen auch gute
religiöse Bilder nicht fehlen, denn diese haben
nicht nur eine künstlerische Wirkung, son-
dern sind auch sehr geeignet, unseren Blick
von den Sorgen des Alltags hinweg zum Ewi-
gen zu richten und uns dadurch aufzurichten
und zu trösten. Bildnisse des Landesfürsten
und vaterländischer Helden, sowie Darstellun-
gen von Ereignissen aus der Geschichte un-
seres Vaterlandes wecken und stärken das pa-
triotische Gefühl. Weniger Wert haben die
Darstellungen aus dem Alltagsleben, sog. Gen-
res; wenn solche verliebte Szenen darstellen,
sollten sie der Kinder wegen aus dem Heim
einer christlichen Familie lieber überhaupt aus-
geschlossen bleiben. Besser ziere man, wo
sich noch freie Wandflächen darbieten, diese
mit Landschaften.
Der Einfluß, den die an der Wand hän-
genden Bilder besonders auf den Geist und
die Denkungsweise der Kinder ausüben, ist
viel größer als manche Eltern ahnen, und wenn
sie auch für sich selber keinen Anstoß neh-
men an manchen Darstellungen, wie man sie
auf weltlichen Bildern finden kann, so sollte
man doch um der Kinder willen lieber bei
religiösen, patriotischen und landschaftlichen
Darstellungen bleiben; wo man Genres wählt,
müssen sie wenigstens unschuldig und harm-
los sein.
Wer aber geschmackvolle Bilder will, der
kaufe nicht auf Jahrmärkten oder bei herum-
ziehenden Händlern billigesog. Ölfarbendrucke;
es gibt heutzutage tüchtige, solide Kunstverlags-
anstalten genug, die um billigen Preis treffliche
Bilder herstellen, so daß niemand nötig hat,
zu Schundware zu greifen! Für religiöse Bil-
der sei vor allem hingewiesen auf die Gesell-
schaft für christliche Kunst in München, Karl-
straße 6, die treffliche Reproduktionen alter
und neuer Meister zu den verschiedensten
Preisen liefert. Wer sonst noch gute farbige
Bilder will, der kommt nicht in Verlegenheit,
denn an wirklich guten und dabei billigen
Erzeugnissen echter Bilderkunst ist durchaus
kein Mangel; möchten sie nur überallhin ge-
langen!
Es ist nun aber nicht genug, daß man gute
Bilder besitze; sie müssen auch richtig ge-
rahmt sein und passend aufgehängt werden.
Die Umrahmung hat den Zweck, dem Bilde
307
BALTHASAR .SCHMriT MAt.MI KAI
AuiilrlluHg /„r chrisIlUht KmtsI, Diisirl./m-/ iqoq
©^ DIE KUNST IM BÜRGERLICHEN HEIM mG>
VMSCP'^S FRlWWSWeCBI
7Sfm\Qm.0m
HAI THASAK SCHMITT
Ausstellung für christliche Kunst, Düsseldorf igog
II, KREUZWEGSTATIOX
eine Grenze gegen die Wand zu geben. Bilder,
welche einen weißen Papierrand haben, brauch-
ten eigentlich keinen Rahmen, da schon der
weiße Rand einen solchen bildet; da sie aber
ohnehin des besseren Schutzes wegen unter
Glas kommen müssen , nehme man einen
schmalen, einfachen Rahmen, ja nicht einen
autdringlichen, weil ein solcher die Wirkung
des Bildes stört; er soll ja im Dienste des
Bildes stehen, darf also nicht als Hauptsache
erscheinen, ebenso wie auch die Wand bloß
der Hintergrund und das Bild die Beseelung
und Belebung der Wandfläche ist, weshalb,
wie schon früher erwähnt, aufdringliche Ta-
petenmuster zu verwerfen sind. Gegenwärtig
werden außer schwarzen und vergoldeten Rah-
men auch gern farbige (rotbraune, grüne u.
dgl.) verwendet. Sie machen sich oft recht
gut, nur ist bei ihrer Verwendung der Grund-
satz zu beachten, daß sie eine Farbe haben
müssen, die das Bild gut gegen die Wand ab-
schließt. Im allgemeinen soll die Rahmenfarbe
im Bild nicht vorhanden sein. Darum nimmt
man bei mehrfarbigen Bildern gern Goldrah-
men, denn Gold kommt ja in farbigen Bil-
dern meistens nicht vor. Auch Eichen'rahmen
(Naturholz) sehen recht hübsch aus. Die Breite
des Rahmens muß immer im richtigen Ver-
hältnis zur Bildgröße stehen. Bei großen Bil-
dern, auch bei solchen, die einen breiten Rand
haben , ist der Rahmen am besten schmal,
bei kleineren Bildern und solchen ohne Rand
darf er breiter sein. Größere Bilder hängen
wir höher, kleinere niedriger. Kleine möge
man aber nur dann an die Wand hängen,
wenn schon einige größere da sind, da sonst
die dekorative Wirkung gänzlich verloren geht.
Wer farbige und »schwarze« Bilder hat, wird
nicht beiderlei nebeneinander plazieren; er
wird, wie schon aus dem früher Gesagten
hervorgeht, gut tun, wenn er die farbigen
an eine mattfarbige Wand, die andern (Holz-
schnitte, Kupferstiche u. dgl.) an eine Wand
mit lebhatterer Farbe, demnach in ein ande-
res Zimmer, bringt. Daß die Bilder außer-
dem svmmetrisch verteilt werden müssen, ver-
steht sich von selbst.
Außer dem Bilderschmuck treffen wir in
manchen Wohnungen noch manch andere
Sachen und Sächelchen, sogenannte Nipp-
sachen, an, die eben auch zur Zier dienen
sollen; oft sind es deren so viele, besonders
©S^ DIF. KUN'ST IM BÜRGERLICHEN HEIM >®ft3
309
r'' ^
LfR HfRR WAHM VOM MIR /lllfNTPi)^ ^>m\\% mMil NICH iCHMArHIfW
BALTHASAR SCHMITI
ellung Jür chrUttUht Kunst, DusseUorf ,Q.,g
IV. KKEU/WEGSI AlIOS'
bei reiclien Leuten , dalS sie ein Gefühl der
Unruhe und UnbehagHchi<eit erzeugen , daß
wir uns in einem solchen Zimmer veranlaßt
sehen, ganz besonders aufzupassen, um nichts
zu zerbrechen. Solche Dinge sind unnötig.
Geradezu gewarnt muß werden vor den
geschmacklosen, manchmal bronzierten oder
vergoldeten Gipshguren , die man billig im
Bazar kauft, wie z. B.Osterhasen, Schäfer
und Schäferin, Kätzchen u. dgl , oder gar
Schweinchen, auf denen Gras wächst! Zu
verwerfen sind ferner künstliche Blumen, die
ohnehin bald ihre Earbe verlieren , sowie
überhaupt alles unechte, nachgemachte Zeug.
Dagegen werden natürliche i51umen, etwa
Feldblumen, die man gelegentlich gepllückt
hat und in ein Glas oder eine \'ase mit Was-
ser stellt, immer einen hübschen Schmuck
des Zimmers bilden, ebenso lebende Pflanzen
in Töpfen. Schon eine einzige Blattpflanze
in einem kleinen Blumentisch, den sich ein
geschickter Arbeiter auch selber machen kann,
verleiht dem Räume einen Hauch der heitern
Natur und darum eine besondere Traulich-
keit. Man stellt den Blumentisch am besten
in eine Ecke, denn es ist überhaupt gut. in
den Zimmern die F.cken der zusammenstoßen-
den Wände nach Tunlichkeit zu verbergen.
Auch Bücherbretter können in einer Ecke
ihren Platz finden.
Kommoden und 'Fische, wenn letztere ge-
rade nicht benützt werden, bedeckt man gerne
mit passenden Teppichen. Man kann dazu
unbedenklich lebhaftere Farben wählen, es
genügen dabei einfache und billige Muster,
schon diese verleihen dem Räume ein gefäl-
liges Aussehen. Zu beachten wäre auch, daß
Tisch- und Kommodedecken, wie auch Sessel-
überzüge u. dgl. in der Farbe möglichst unter-
einander und auch mit der der Wände har-
monieren sollten; indes läßt sich diese For-
derung freilich oft beim besten Willen nicht
durchfuhren. Was Bodenteppichc, Läufer,
Bettvorlagen betrifft, so gilt hier besonders
die Regel, daß grelle Farben und Muster ver-
mieden werden müssen, weil sie das Auge
des Besuchers zu sehr auf sich lenken und
ihn zwingen, mit gesenktem Blick ins Zim-
mer zu treten und dadurch einen \'erstoß
gegen die gute Sitte zu begehen. Für Fußtep-
piche empfehlen sich ruhige, weder zu dunkle,
noch zu helle Farben und als Muster symme-
trisch zusammengesetzte einfache Ornamente
oder stilisierte Pfianzengebilde. Schlechten
3IO
S;^ PROIEKT FÜR EINE PFARRKIRCHE IN URDINGEN ?^S
1
1 1 4S'#^^^^H
HANS MILLER
ENTWURF
■st/n-/u- Kinist. DiiszeMoy/
ZU EINEM TAUFSTEIN
IQOQ
Geschmack verrät es, wenn Tiere oder gar
menschliche Gestalten in die Fußbodenbedek-
kungen eingestickt sind, bei deren Anblick
man den Fuß unwillkürlich zurückzieht, weil
man sich scheut, über Menschen- und Tier-
leiber zu steigen. Ebenso sollten die Fenster-
vorhänge nicht menschliche Figuren, Häuser
oder Burgen u. dgl. zeigen, sondern am besten
aufsteigende Blumenranken.
Zur Einrichtung eines Heims gehören auch
die Gefäße in Stube und Küche. Daß diese
im Heim des einfachen Mannes nicht prunkvoll
sein können und auch nicht zu sein brauchen,
liegt auf der Hand. Am besten ist es, ganz
weißes Geschirr zu nehmen oder wenigstens
solche Muster, zu denen man leicht wieder
das gleiche Stück kaufen kann , wenn eines
zerbrechen sollte. Es nimmt sich unschön
aus, wenn z. B. mehrere Personen beim Kaffee
sitzen, von denen jede ein andersfarbige Tasse
hat. Natürlich wird man ebenso trachten, wenn
ein Stück Möbel angeschafft werden soll, ein
solches zu nehmen, das in Form und Farbe
zu den bereits vorhandenen paßt.
Aus den in dem Vorstehenden gegebenen
allgemeinen Richtpunkten, die natürlich nicht
ganz erschöpfend sein konnten, weil sich ja
unter verschiedenen Verhältnissen auch man-
ches verschieden gestaltet, mag wohl jeder
selbst herausfühlen, was unter der »Kunst
im bürgerlichen Heim« zu verstehen ist; nicht
luxuriöse »stilvolle« Einrichtuni; , sondern
die Befolgung jener Ge-
setze und Regeln, die uns
der Sinn für das Schöne
diktiert, in der Beschränkung
einlacher Lebensverhält-
nisse. Die Hauptsache aber
ist und bleibt immer, daß
die Bewohner das Schöne
in Charakter und Gemüt
zeigen, das Schöne, das sich
im Wollen und Handeln zu
erkennen gibt. Jede Lei-
denschaftlichkeit im Ge-
spräche, wozu wohl oft ein
liäusliciier Zwist verleiten
kann, soll unterlassen, jede
heilige Gemütserregung, die
zu einem übereilten Ent-
schlüsse verleitet, soll, ganz
besonders in Gegenwart der
Kinder, möglichst vermie-
den werden, damit diese nur
immer das Bild eines harmo-
nischen Zusammenlebens
der Erwachsenen vor Augen
haben und von ihnen wohl-
tuende Eindrücke empfangen. Dieses Bild
der ruhigen und beruhigenden Zusammen-
stimmung, des gleichmäßigen Einklangs wird
sich dann dem leicht empfänglichen Kindes-
gemüte einprägen und ihm, wie das ganze
elterliche Haus, überhaupt für sein ferneres
Leben als Vorbild vor Augen schweben. Das
ist die pädagogische Bedeutung der
»Kunst im bürgerlichen Heim;.
ÜBER DAS ERGEBNIS DES WETT-j
BEWERBS FÜR EINE PFARR-
KIRCHE MIT PFARRHAUS IN
URDINGEN AM NIEDERRHEIN
Um den W'ert und den Erfolg einer Kon-
kurrenz beurteilen zu können, muß man
verschiedene Faktoren in Betracht ziehen: ein- j
mal den Gegenstand selbst, um den es sich
handelte, dann die Art, wie die Aufgabe ge-
stellt wurde, ferner das Preisgericht und die
Qualität der Künstler, die an dem Wettbewerb
teilgenommen haben. Das Objekt, um das
es sich handelt, spielt eine wichtige Rolle —
denn es ist nie gleichgültig, was gestaltet wer-
den soll. Ein gewöhnlicher Nutzbau, z. B. ein
Bahnhof oder eine Fabrik, bietet niemals
solche Möglichkeiten einer architektonischen
Ausgestaltung wie ein Sakralbau.
LEO SAMBERGFR
STLDII-: ZU i;iNEM PUOPUKTEN
AulsUlluiig /lir chrisllkhr Kutist, Dlitirlllt'r lilOQ
E?:^ PROJEKT FÜR EINli PFARRKIRCHE IN URDINGEN J-^Cö
Der Kirchenb.m fordert gebieterisch eine
künstlerische Ausgestaltung. Zu allen Zeiten
stellen die Tempel Höhepunkte architektoni-
scher Kunst dar. Es ist also ganz natürlich, daß
sich junge Architekten zu Kirchenhaukonkur-
renzen drängen und sich von solchen Aut-
gaben mächtig angezogen fühlen. Die immer
stärker werdende Beteiligung an den Wettbe-
werben der D. Gesellschaft für christliche Kunst
beweist es. Die Gesellschaft ist schon längst
nicht mehr imstande, die Ergebnisse dieser
Wettbewerbe in ihre Räume zu fassen, daher
sie schon seit längerer Zeit in großen, öft'ent-
lichen Lokalen ausgestellt werden.
Aus der großen Zahl der Einsendungen,
es sind das letztemal 126 Projekte eingegan-
gen, läßt sich auch ein Schluß auf die Quali-
tät der am Wettbewerbe beteiligten Architekten
ziehen. Es ist nicht die Zahl, welche dem Be-
sucher imponierend entgegentritt, sondern der
augenfälhg gute Durchschnitt der Leistungen;
es beteiligen sich immer weniger Leute, welche
durch zeichnerische Manier und sonderbare
Erfindungen und Einfälle aufzufallen suchen.
Das Bauen auf dem Papier hat ja ohnehin
etwas Problematisches und auch der Beste
läuft dabei noch Gefahr, einem »schönen
Bild« zuliebe Dinge zu konstruieren, die in
Wirklichkeit weniger >:schön« aussehen wür-
den. Unsere Architekten sind zwar in letzter
Zeit vorsichtiger geworden und üben eine
gewisse Zurückhaltung, seitdem sie die »Zweck-
mäßigkeit-', und »Sachlichkeit« an Stelle der
Schönheit gesetzt haben. Sie wollen letztere
nur gelten lassen, wenn jene elementaren For-
derungen erfüllt sind. Das ist ganz gut so.
Wir sind in der Baukunst seitdem vorange-
kommen, seit wir wieder mehr gesunde natür-
liche Grundsätze befolgen.
Die Kirchenbaukunst kann nur gewinnen,
wenn sie auch für sich die modernen Grund-
sätze der Sachlichkeit und Ehrlichkeit im Bauen
in Anspruch nimmt.
Das Programm zur Erlangung von Ent-
würfen für eine neue katholische Pfarrkirche
mit Pfarrhaus in Ürdingen am Niederrhein
enthält auch den von Prof. Hennerici für Ür-
dingen aufgestellten Bebauungsplan und be-
tont nachdrücklich, wie erwünscht es wäre,
bei der Bebauung des Platzes, der den Mittel-
punkteines neubesiedelten aufstrebenden Stadt-
teiles bilden wird, diese Umgebung ins Auge zu
fassen. Die Kirche ist also als natürliche Do-
minante in diesem neuen Stadtteil gedacht.
Mit der Kirche sollte auch das Pfarrhaus in
direkte Verbindung gebracht werden. Er-
wünscht war ferner, die Umgebung so zu
gestalten, daß kirchliche Umzüge und Prozes-
sionen rund um die Kirche auf eigenem Boden
abgehalten werden können.
Die Autgabe war demnach für den Künstler
eine so verlockende, weil ja mit diesem Pro-
gramm die modernsten Aufgaben der Archi-
tektur gegeben waren: Gestaltung einer sehr
interessanten Situation im Sinne des moder-
nen Städtebaues und Gestaltung eines Monu-
mentalbaues, einer Kirche.
Die ganz erkleckliche Anzahl guter Lö-
sungen, welche diese Aufgabe gefunden hat,
beweist, wie angelegentlich die Teilnehmer
des Wettbewerbes sich mit dieser Aufgabe
beschäftigt haben und mit welchem Ernst sie
an die Lösung dieser Probleme gingen. Faßt
man das Ergebnis in die prämiierten Arbeiten
zusammen , so muß es als ein vorzügliches
angesehen werden. Das Preisgericht hatte
keine leichte Arbeit, es mußte auswählen, ab-
wägen und oft unter mehreren Projekten mit
gleichen Vorzügen sich doch für eines ent-
scheiden. Es hat sich in solchen Fällen durch
Zuerkennung von dem Grade der Auszeich-
nung nach gleichen Preisen geholfen und
z. B. fünf vierte Preise verteilt, einen an Pro-
fessor Richard Bern dl in München, einen
an die Architekten Colombo und E. Müller
in Köln; einen an O. Böhm in Ütfenbach;
einen an den Architekten Riedl in Murnau
und einen an den Architekten Noecker in
Köln. Ein III. Preis fiel an den Architekten
Stobbe in Düsseldorf, der die Situation gut
zu gestalten wußte. Der II. Preis kam an den
Architekten H. Rummel in Frankfurt, dessen
Projekt den örtlichen Charakter geschickt be-
tonte und auch einen guten Innenraum zeigte.
Mit dem I. Preis ausgezeichnet wurde das Pro-
jekt des Münchner Architekten Otho Or-
lando Kurz. Kurz' Lösung enthielt sozusagen
in sich alle die Vorzüge der übrigen: eine
gute Situierung und Ausgestaltung des Platzes,
eine malerisch anmutende Baugruppe, die eine
wirksame Dominante im neuen Stadtteil ab-
geben würde, auf die kirchlichen liturgischen
Anforderungen Bedacht nehmende Grund-
risse und einen stimmungsvollen Innenraum.
Wie unbefangen und sachlich das Preisge-
richt waltete, mag schon aus dem einen Um-
stand hervorgehen, daß unter den Prämiierten
Künstlern nord-, süd- und mitteldeutsche Ar-
chitekten vertreten sind.
Das künstlerische Ergebnis dieses Wettbe-
werbes kann also nach jeder Richtung hin
befriedigen und dies kam auch während der
Dauer der öiTentlichen Ausstellung deutlich
genug zum Ausdruck. Mit besonderer Befrie-
digung muß es die \'eranstalterin des Wett-
bewerbes, die Deutsche Gesellschaft für christ-
■■tussteUiing /ür chrisllicht
Kunst, Diisseldor/ tqog o
«"S"» \X:0 SA.MBERGEK '<»««'
ERZBISCHOF Dr. VON ABERT
Die chrislllche Kun«. V. lo.
3'4
S3^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 m&
HUBERT NETZER MADONNA
J:i der/ürsll. Quadtschen Schtoßkaprllc zu hny. AusUellung /ür
christliche Kunst, Düsseldorf iQog
liehe Kunst erfüllen, daß vor allem Künstler
und Kleriker diesen Veranstaltungen ein
immer mehr steigendes Interesse entgegen-
bringen; diese Wettbewerbs- Ausstellungen
bieten auch in der Tat eine einzige Gelegen-
heit, Kirchenbaufragen zu studieren und sich
mit ihren künstlerischen und praktischen Auf-
gaben vertraut zu machen.')
') Eine reich illustrierte Publil<ation über den Wettbe-
werb wird im Verlag der Ges. f. ehr. K. erscheinen. D. R.
Dil: GROSSEN KÜNSTAUSSTEL-
LUNGEN IN DÜSSELDORL 1909
Von Professor Dr. KARL BONE, Düsseldorf
A ni festgesetzten Eröffnungstage, am 1 5. Mai,
■'^ konnte die Eingangspforte des Kunst-
palastes in festlicher Weise autgetan werden,
um eine wohlvorbereitete doppelte Entfaltung
von Kunstwerken aller Art zu zeigen, die
den Gesamteindruck des Fertigen machte.
Dies bringt den besonderen Vorteil mit sich,
daß der erste Gesamteindruck sich auch zu
einem Gesamturteil gestalten kann, das eine
wesentliche Umänderung nicht zu fürchten
hat. Greift man die Gesamtdarbietung der
beiden ausstellenden Vereine (Ausschuß der
Ausstellung für christliche Kunst e. V. und
Verein zur Veranstaltung von Kunstaustel-
lungen e. V.) zusammen, so darf man wohl
sagen , daß der Gesamteindruck ein sehr
günstiger ist. In ausgesucht angemessener
Weise ausgestattet und umrahmt, sind beide
Ausstellungen dazu angetan, durch Eigenart
und Neuheit anzumuten und anzuregen. Man
kann hinzufügen, daß die Zweiheit zwar
deutlich hervortritt, daß aber sichtlich weder
feindliche noch auf absolut verschiedenem
Boden stehende Kräfte einander gegenüber-
stehen, daß vielmehr ein gemeinsames höchstes
Ziel — die Kunst — sie vereinigt. Aber
auch im einzelnen sind der Übereinstim-
mungen, der Übergänge, der Gegensätze,
deren Betrachtung beiden von Nutzen sein
kann, so viele und so bedeutsame, daß nicht
darüber hinweggesehen werden kann, wenn
auch die Berichterstattung die beiden Aus-
stellungen zunächst auseinanderhalten und bei
der Betrachtung den besonderen Standpunkt
einnehmen muß, den jede von beiden ver-
tritt. Dabei liegt es noch auf der Hand,
daß der Kreis, den die Ausstellung für christ-
liche Kunst zu vertreten hat, sachlich weit
enger und bestimmter umschrieben ist, als
der Kreis der anderen Ausstellung, der seiner-
seits wieder örtlich enger begrenzt ist. End-
lich kann es keine Frage sein, daß für die
Zeitschrift» Die christliche Kunst« dernördliche
Teil des Kunstpalastes der fruchtbarere ist;
sie hat aber auch der anderen Ausstellung
gebührende Beachtung zu widmen.
Einen Umblick über den ganzen und viel-
seitigen Reichtum von Kunstwerken, die der
Kunstpalast während der Sommermonate
birgt, mögen einige Notizen aus den Kata-
logen andeuten. — Der Katalog des Vereins
zur Veranstaltung von Ausstellungen zählt
415 malerische, 75 plastische und 608 archi-
©^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DUSSELDORJ- 1909 »^^
515
tektonische Arbeiten. \'on verstorbenen Künst-
lern finden sich nur W. Leib! und A. von
Menzel vertreten. Wie die auswärtigen
Werke nach den Anschauungen der Leitung
mit strenger Sorgfalt ausgewählt sind, so hat
die Jury auch seitens der Düsseldorfer nur
das ihrer Ansicht nach Wertvollste zugelassen.
Die Beschränktheit des Raumes namentlich
führte dazu, in Werken mäßigen äußeren und
inneren Eormates den Höhestandpunkt, den
die Düsseldorfer Kunst augenblicklich ein-
nimmt, zur Anschauung bringen zu wollen.
Die eingeladenen Werke sollten nicht etwa
nur zeigen, daß die Düsseldorfer Werke sich
neben dem Besten sehen lassen können — in
der Absicht wohl sind die auswärtigen Werke
von den Düsseldorfern räumlich nicht ge-
schieden — , sondern sie sollten dartun helfen,
daß überall im gleichen Rahmen ein gleich
ernstes und nicht erfolgloses, wenn auch hie
und da gründlich abirrendes Streben nach
Förderung und wahrer Freiheit der Kunst
in Bewegung ist.
Im Katalog der Ausstellung für christliche
Kirnst findet sich als e rste Abteilung eine
Reihe von Werken »zeitgenössischer Künster
(einschl. 19. Jahrhundert).. Es folgen zwölf
Düsseldorfer Architekten«, dann eine Sonder-
ausstellung von Prof J. Kleesattel , Düssel-
dorf« ; ) Kunstverein für Rheinland und West-
falen \ , »Semperbund ( , »Beuroner Kunst-
schule , »Deutscher Werkbund'., eine Reihe
von »Sonderausstellungen«, »Friedhofanlage
von M.Kreis«, »Städtisches Gartenamt Düssel-
dorf«. Die zweite Abteilung bringt den
Rest der retrospektiven Ausstellung, und zwar
A.Rheinland und Westfalen in 158 Num-
mern und B. Osterreich in ebenfalls 158
Nummern. Als dritte Abteilung folgt (im
Obergeschoß) diegraphische Abteilung in zahl-
losen Einzelblättern, die größtenteils einge-
rahmt und mit Preisen bezeichnet sind.
Der Zweck und Plan dieser Ausstellung ist
bekannt. Das Maß der Erreichung des Ge-
wollten liegt nicht in der Ausstellung allein,
sondern, und vielleicht am meisten, im Stu-
dium und in der Nutzbarmachung der Aus-
stellung für die christliche Kunst. Soll das
geschehen, so muß auch an Widerstrebendes
mit Vorurteilslosigkeit herangetreten werden.
* *
*
Die Ausstellung für christliche Kunst sollte
durch die ausgestellten Werke nicht unmit-
telbar gleichsam eine Antwort sein auf die
Frage: Was ist christliche Kunst? und der
Besucher sollte nicht ohne weiteres aus ihr
den beruhigenden Gedanken mitnehmen, dal.i
er nun wisse, wie ein Bild, eine Statue, ein
M.W SEIBOI.D M.\DONK.\ (MAKMOR)
Aussteilttti}^ /iir christlUhe Kunst, Piisstliior/ iqoQ
Bauwerk aussehen müsse , um unbestritten
als ein Werk der christlichen Kunst zu gelten,
oder daß er nun wisse, wie ein Künstler
arbeiten müsse, um vielleicht wider Willen
unter die christlichen Künstler gerechnet zu
werden. Noch weniger sollte es jedem Werke
gewährleistet sein, daß es, aus echter und
ungetrübter christlicher Überzeugung und
Empfindung herausgeschafien, auf dem Boden
christlicher Lebens- und Weltanschauimg stehe.
.Aber dadurch, daß die Ausstellung in ihrem
retiospektiven Teile ausgesuchte Werke zeigt,
die in den letztvergangenen Jahrhunderten als
3i6
ÖB« DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORI- 1909 f'^a
Werke christlicher Kunst oder wenigstens
als mit ihr verträgliche gegolten haben und
selbst beim christlichen Kultus gebraucht wor-
den sind, in ihrem neuzeitlichen Teile aber
Werke zur Schau stellt, die die Urheber als
Werke christlicher Kunst präsentierten, er-
möglicht sie es, anknüpfend an die vorliegen-
den Werke, die Fragen nach dem Wesen und
den Grenzen der christlichen Kunst, nach der
Notwendigkeit christlicher Gesinnung für den
christlichen Künstler, nach der Beziehung der
christlichen Kunst zu den nebeneinander her-
gehenden Strömungen auf dem geistigen und
dem kunsttechnischen Gebiet zu vielfacher
und auch fruchtbarer Erörterung zu führen.
Als Fortsetzung der früheren retrospektiven
Ausstellungen kann sie ein Gesamtbild von
der Stetigkeit der christlichen Kunst geradezu
grundlegend vervollständigen. Es kann aber
auch in dieser Ausstellung jedem fühlbar ge-
macht werden, wie sehr für Übung christ-
licher Kunst ein ausgebreitetes und zugleich
verständnisvolles Wissen von den religiösen
Dingen — vom christlichen E m p f i n d e n
einmal abgesehen — unerläßliche Voraus-
setzung ist, und daß dieses Wissen die höch-
sten Triumphe in seiner organischen Ver-
schmelzung mit den durchaus künstlerischen
Dingen feiert.
Zum Wesen der christlichen Kunst gehört
es, christlichen Ideen sinnlich wahr-
nehmbare Form auf dem Wege der
Kunst zu geben. Hier ist die Kunst nicht
^Selbstzweck«, sondern sie greift aus der
ganzen Welt der Ideen den christlichen Ge-
danken mit dem ganzen zugehörigen Ideen-
kreise heraus und stellt sich in dessen Dienst;
dieser Dienst ist aber ein durchaus freier und
darum eher ein Bündnis. Der Kreis der
christlichen Ideen tritt der Kunst als ein ge-
schlossener, in der Kirche gleichsam personi-
fizierter gegenüber. In diesem Bunde der
Kirche mit dem Künstler ist jene dem
Inhalte nach die Gebende und Grenzbestim-
mende, diese sind die Empfangenden und
Schaftenden. Der Bund aber ist so geschlossen,
daß die Kirche nichts fordert, was dem Wesen
der Kunst widerspräche, — im Gegenteil, sie
weiß, daß die Kunst nichts in ihrem Wesen
tragen kann, was der Kirche widerspricht — ,
^«!«!*!!«!«!>i»:fyK'£{*A
JObEI'H HL I;l-,K-H:1.DK1KCH GRABDKN'KMAL i.MODhi.Lj
Ausstctluiig für (hristlichc Kunst, Dinseldor/ iqoq
&S^ DIR KUXSTAUSSTF.I.I.UXGF.X T\ DÜSSF.I.DORF 1909 »^ö
317
JOSEPH HÜBER-FELDKIRCH
GRAHÜENKMAL (MOÜELI j
DussfUior/ \Qcit}
die Kunst aber alle ihre Kräfte, jegliches
Mittel, jeglichen Fortschritt zum darstellenden
Dienste bereit zu halten hat. Dabei fällt ganz
besonders ins Gewicht, daß die christliche
Kunst nicht von heute ist, und von dem, was
sie einmal wirklich in sich aufgenommen hat,
nichts wieder völlig aufgibt, sondern es fest-
hält wie eine liebgewordene Tradition. Diese
tritt bald hier bald dort als etwas Bekanntes
hervor und durfte oft nicht fehlen, ohne
schmerzlich vermißt zu werden.
N on dem Standpunkte aus, der im \'or-
stehenden skizziert ist, ergibt sich für die
Ausstellung der Satz, daß sie einen durchaus
würdigen Hindruck macht. Welch ein Reich-
tum von Stoffen und Formen, welch ein
Ernst der Arbeit offenbart sich von Saal zu
Saal! Und das auf einem Boden, der für viele,
weil gewaltsam totgeschwiegen, der
\'ergangenheit angehört, für andre ein > wässe-
riger Aufguß von Resten des Xazarenertums,
für dritte ein brauchbares Frbauungsmittel
ohne eignen Wert ist! Der wievielste von
denen, die bei jeder Gelegenheit ein Dutzend
moderner Prolankünstler im Munde führen,
mag wohl eine Ahnung von der Hohe Schaper-
scher Gestaltung haben und wissen, daß neben
diesem Künstler, den wir in diesem Zusammen-
hang nur beispielsweise nennen, nicht wenige
mit hoher Meisterschaft die Ideenwelt des
3i8
P^S^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 S^G
-.ti)^.«...ji.Mtii?iijiir liiiM-M i'm 'r iVfii
üßep^iiwfeQfswop.
?j SefundaMeit'ßottßUJtaifjcit
hnai'^fiiiiMainaiiaAMiajMi
jMIhiM^WMMiiafc***. ■ -*' I i» (■
GEORG WINKIER DER I
Ausshlhmg /iir chrhtluhc Kunst, l>i,iStldor/ IQOQ
Christentums in Sichtbarkeit bringen. Man
begegnet auf der Ausstellung auch Künstler-
namen, die aus der Sphäre christlicher Kunst
bei vielen hinwegzuweisen scheinen. Sollte
nicht der Name Lovis Korinth für viele
einen solchen Klang haben? Aber wer den
Raum 36 glücklich gefunden hat, der diesen
Namen trägt, der wird den Eindruck emp-
fangen, daß ein energischer Geist ein acht-
bares Können und Wollen zusammengepreßt
für die Idee, der er Gewalt über sich gegeben
hatte ; er wird gerade deshalb allerdings um
so schmerzlicher bedauern, daß dem Künstler
die innere Würde, die zum Gestalten christ-
licher Werke gehört, gänzlich fehlt. Konzen-
triertes Wollen und Können, wo es wirklich
vorhanden ist, kann nicht völlig wertlos sein,
selbst wenn es auf Abwege gerät. Wo der
ernste religiöse Wille mangelt, wo den Künst-
ler nicht Liebe zum geistigen Inhalt, sondern
im besten Fall nur ein rein künstlerisches
Interesse am Gegenstand erfüllt, da kann bei
noch so viel technischem Können freilich kein
Werk entstehen, das in einer Ausstellung für
üiihiT^rnttSa/i christliche Kunst ganz befriedigt. Wenn
aber anderseits den guten und ernsten
Willen kein ausreichendes Können be-
gleitet, darf nicht der Wille für die Tat
gelten. Vielleicht wird mancher Künst-
ler, den sein Werk im Atelier befrie-
digte, die Schwäche des Ganzen und
mancher Einzelheit empfinden, wenn
er es in dieser Ausstellung sieht; diese
Selbstprüfung kann ihm nur nützen.
Förderliches wird er in Menge und
überall finden, durchaus Abzuweisen-
^,, des nur hier und da.
'% ^ Eine Besonderheit der Ausstellung
■ für christliche Kunst ist der breite
Raum, der neben der Kunst im eigent-
lichen und herkömmlichen Sinne des
Wortes diesmal, bald räumlich ge-
trennt, bald zu engem Zusammen-
wirken, dem Kunsthandwerk ein-
geräumt ist, wo die Übergänge hier zur
Kunst, dort zum schlichten Handwerk
bald sachentsprechend, bald grund-
sätzlichen Bestrebungen folgend, mög-
lichst vermischt sind. Man sieht deut-
lich: auf dem strittigen Boden der
Betätigung christlicher Kunst sucht
das Handwerk unter der vermittelnden
Bezeichnung »Kunsthandwerk« tun-
lichst unbekümmert um die Künstler
testen Boden zu gewinnen ; von der
isiDOR anderen Seite mehrt sich die Zahl der
Künstler, die einer Verbindung mit
dem Handwerk nicht ausweichen, son-
dern vielmehr dem Handwerk einen künstle-
rischen Zug verleihen wollen. In diesem Sinne
nennt sich der Semperbund »Verein für
Handwerkskunst« und der Deutsche
Werkbund »eine Vereinigung von Künst-
lern und Firmen der Industrie und des Hand-
werks«. Ob diese Versuche, einen Zustand her-
beizuführen, der naturgemäß ist und früher tat-
sächlich bestanden hat, von Erfolg begleitet
sind oder scheitern werden, muß man ab-
warten. Dem Ziele nahe sind die Bestre-
bungen keineswegs. So innerlich notwendig
bei tausenderlei Gelegenheiten, insbesondere
auch bei Vollendung und Ausstattung von kirch-
lichen Gebäuden die Tätigkeit des Künstlers
und des Handwerkers ist, deren jeder tüglich
nur in seiner Sache Sachverständiger ist,
ebenso notwendig ist es, daß für dieses Zu-
sammenarbeiten jeder die ihm zukommende
Stellung einnimmt. Es ist darum keine Hebung,
sondern eine Fälschung des Handwerkes, wenn
dem Handwerker, z. B. dem Dekorationsmaler,
beigebracht wird, er könne des Künstlers ent-
behren ; was er an eingebildeter Künstler-
319
■ •""Irihnig Jur christlkltf
KhiiiI, DiittrMor/ igog o
««/8> HI-INlUCfl SCHIKSTL«««
V. KKELZWEGSTATION ;HOLZ)
320
^mi DTR KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 m.rä
JOSEPH MOUST JOHANNES I'ARRICIDA
Aitsstellntig für chriitlUhc Kunst, Düsseldorf jqoq
Schaft in sich autnimmt, büßt er an seinem
wahren Werte em. Und wer hat den Scliaden
davon? Nun, abgesehen von dem idealen
Schaden, den Kunst und Handwerk dabei
erleiden, das Volk und die Kirche. Meistens
ireilich geschieht dieser Schaden in Kurz-
sichtigkeit und Unwissenheit, vielfach auch
unter dem angeblichen oder vermeintlichen
Vorwande finanzieller Rücksichten. Darum
tut vor allem Lernen not, Lernen durch
vergleichende und aufklärende Anschauung,
unterstützt durch einsichtsvolle Belehrung.
Wer immer aber sich belehren lassen will,
den ruft die Ausstellung für christliche Kunst
zu sich heran, sie ruft: »Gebet der Kunst,
was der Kunst ist, und gebet dem Handwerk,
was des Handwerks ist!« Vornehme Firmen
des Handwerks haben endlich einmal be-
gonnen, in oflener Aufschrift den schaftenden
Künstler neben dem ausführenden Handwerker
zu nennen; andere wollen's noch allein tun
und sehen in dem entwerfenden und model-
lierenden Künstler nur den anonymen Lohn-
arbeiter, dessen Verdienst dem Verdienst des
Ziselierenden oder Polierenden gleich sei.
Aber der Entwerfende ist deshalb noch nicht
Künstler, weil er sich etwa Schüler irgend
einer Kunstgewerbeschule nennen kann, er
muß wahrhaft Künstler sein und als christ-
licher Künstler ein Mann von tiefer und
vielseitiger Bildung. Wenn ihm ein aus-
lührender Handwerker, der in gleicher
Liebe mit ganzer Seele beim Werke ist,
zur Seite tritt, und beide zusammen in
ihrem Werke, jeder mit den ihm eigenen
Kräften und besonderen Fähigkeiten sei-
nes Berufes eine christlicheldee zur Sicht-
barkeit bringen, dann kann etwas ent-
stehen, was der Ausstellung für christliche
Kunst als ein Ideal gelten kann. Und in
der Ausstellung iinden sich solche Werke,
z. B. der hochvollkommene Bischofsstuhl
für Bamberg (Abb. S. 289). Die Auftrag-
geber können in der Ausstellung Beispiele
sehen, wie man Prächtiges mit großen
Mitteln, aber auch Edles, Würdiges, Er-
bauliches, künstlerischen Anforderungen
Entsprechendes mit bescheidenen Mitteln
beschaffen kann. In ersterer Hinsicht
darf wohl schon an dieser Stelle auf die
Apsis der demnächstigen romanischen
hl. Geistkirche zu Düsseldorf hingewiesen
werden, entworfen von Prot. Klee satt el,
ausgestattet mit den malerischen Ent-
würfen von W. Döringer, mit dem in
der Apsis aufgestellten reichen Altar von
Bildhauer Pehle. Es ist ein Grundirrtum,
daß ein Künstler immer mit maßlosen
Ansprüchen komme, eine Handwerksfirma aber
hillig und ebensogut >bediene« — auch ohne
Mitwirkung eines wirklichen Künstlers ; man
könnte eher das Gegenteil behaupten: nur
der wahre Künstler kann mit geringen Mitteln
Großes Schäften, und je größer der Künstler,
umso unabhängiger ist er von der Größe
der Mittel.
Für eine Betrachtung der einzelnen Ab-
teilungen läge es nun am nächsten, mit der
Retrospektiven Abteilung den Anfang
zu machen. Aber eine so stetige Entwick-
lung, wie sie aus den früheren retrospek-
tiven Ausstellungen des Mittelalters unschwer
herausgelesen werden konnte, wird sich aus
dem diesmal Gebotenen, das in der Eröft-
nungsredeals Stichproben« bezeichnet wurde,
nur schwer zu einer wirklichen Brücke vom
Mittelalter zur Gegenwart verknüpfen lassen;
es erfordert eingehendes Vergleichen und
Erwägen der zahlreichen Einzelgegenstände ;
die am meisten typischen werden bei der
späteren Erörterung ausdrücklich zu nennen
sein. Aber für eine Zeitschrift, die sich
hauptsächlich die Pflege der lebenden Künst-
ler zur Aufgabe macht, i.st es nicht un-
passend, wenn sie zunächst die neue Kunst
behandelt. (Forts, folgt.)
Für die Rcdaktic
ortlich : S. Stsiudbamer (PromenadepUu 5) ; Verlag der Gesellschaft für christliche
Druck voti F. Bmckmann A.-G. — Sämtliche in München.
Martin Feuerstein pin
Verl, der 6esellscli. f. cliristl. Kunst, tvlu
F1SCHPREDI6T DES HEILIGEN ANTONIUS VON PMDUM
)£RÜNT MANUS rOEAS, ET PEDES^MfcüS. DINl5MERAVtRüNT
MAITHAUS SCHIESTL
KKIXZIGDNG, ENTWURF
AitssteUung für christliche Kunst, Düsseldorf tgog
DIE GROSSEN KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909
Von Prof. Dr. KARL BONE
(Fortsetzung)
Tst man durch den schwarzbespannten, gold-
* geschmückten Eingang in den Bereich der
christhchen Kunst hineingeschlüpft, so sieht
man gegenüber dem Eingang eine schwarz-
bchangene Pforte, über der auf schwarzem
Grunde das fahle Bild ».-^bend (Holzhauer
und Tod)« von A. Hildenbrand (Pforz-
heim) hängt. Gewaltsam erfaßt von der Lin-
ken her im ersten Saale das große Gemälde
> Christus im Reiche der Toten« von Mikael
Sko Vgaard. Es dürfte nicht leicht sein,
aus der ganzen Menge der Bilder ein ge-
eigneteres für diesen ersten Platz zu finden ;
nicht als ob es das vollkommenste Werk
wäre, nicht als ob es keinerlei Einsprucii
herausfordern könnte und müßte; aber es
ist eine Konzeption der göttlichen Gewalt
Christi über den Tod von größter Klarheit,
geschlossener Einheit, monumentaler Fesse-
lung eines Augenblickes und dabei von hoch-
dramatischer Bewegung der Massen und des
Lichtes. Am besten gelang dem Künstler die
machtvolle Christusgestalt, wie sie die Arme so
weit ausgebreitet, sie alle umschließend, die im
Todesschatten wandelnd, nun seinem Lichte
zueilen, wie sie Tod und Teutel niedertritt.
Die Schilderung der zu Befreienden ist zu
kraß und eintönig. Ob der Künstler die betref-
fende Stelle des .\postolikums richtig aufgefaßt
hat, läßt sich schwer sagen. Das etwas lärmende
Gemälde bildet für .Arnold Böcklins bekannte
Kreuzabnahme, die in der Nähe aufgehängt
ist, eine schlimme Kaciibarschaft, weil es die
Vorzüge dieser Schöpfung totschlägt. Gerne
wendet man sich der sinnigen Hl. Familie
von L. Feld mann zu; in der Werkstatt
des Nährvaters steht der Jesusknabe am
Stuhle mit einem Buche und richtet eine
tiefernste Frage an die jungfräuliche Mutter,
die diese sichtlich nicht sofort zu beantworten
weiß, Joseph aber, sein Hobelwerk unter-
brechend, wendet sich hastig mit dem .Aus-
druck des Staunens den beiden zu. Mehr
als W. Trübners in starker Verkürzung ge-
sehener Ciiristus im Grabe , ein durch bei-
gemaltes Attribut und Aufschrift willkürlich
individualisierter Akt und als solciier eine
Bravourleistung, fesselt C. Stratiimanns
j Maria .,einegesucinschnörkeligeKomposition
in der bekannten feinmusternden Ausführung:
Die chriilllclie Kui
©^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 ä>'^fa
Maria vor einem Dornbuscii knieend, der in
seinem ganzen Gezweige die Vorstellung der
Dornenkrone heranzieht, ja in einer Zweig-
spitze unter Hinzunahme blutigroter Dorn-
spitzen zu einem kroneniörmigen Kerzenhalter
sich gestaltet, aus dem sich eine flammende
Kerze erhebt.
Es folgt ein kleines halbdunkles Kabinett,
dessen rechte Haltte einige Hauptwerke Fr. von
Uhdes enthält, die linke solche von E. von
Gebhardt, vom ersteren den .v Christus«, das
Tischgebets, die »Anbetung der Hl. drei
Könige, und die Predigt auf dem Meere«,
deren lauschende landliche Jugend unüber-
trefflich, auch kaum anachronistisch wirkend
ist, Christus selber aber nicht viel mehr als
ein «interessanter« Erzähler. Die von Geb-
hardtschen sieben Bilder stellen eine Stufen-
reihe dar von der »Himmelfahrt Christi« bis
zum 'Johannes« der letzten Ausstellung.
In der mittleren Abteilung des folgenden
großen Saals, die wir durchschreiten, hängt
gleich links der »Christus« von M.Muncakzy,
ferner die Skizzen von P. Janssen und
dessen Gemälde »Kommet alle zu mir« mit
dem Kreuzträgergedränge (Abb. s. erste Son-
derbeilage des zehnten Heftes). Die lebhaften
Farben in E. Pfann Schmidts Kaseinbildern
und M. Seligers gesucht naivem, »Die Liebe
hört nimmer auf« zeigen immerhin ein so-
lides Können. Gerne verweilt man vor den
vorzüglichen Bronzen von J. Limburg
»Bischof Dr. Franz Zorn von Bulach« (Abb.
Jg. lY, S.8) und »Pius X. , beide in Lebensgröße,
auch wohl vor M. Streichers Marmorbüste
)la Fede«.
Der folgende Saal, von der »Dresdener
Zunft eingenommen, führt schon in die
Sphäre des Zusammengehens von Kunst und
Handwerk, wovon später die Rede sein wird.
Einige Bronzen von A. Höfer, A. Hudler
und G. Wrba geben zu denken, während
die äußerlich aufgebauten farbigen Studien
zu einem Jüngsten Gericht von K. Rößler
der Vertiefung bedürfen, wenn sie etwas
werden sollen. Zwischen diesen beiden Wand-
malereien hindurchschreitend, kommen wir zu
den drei Münchener Sälen (19, 19a und 19b).
Es ließ sich von vorneherein erwarten, daß
die Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst,
der fast alle in den Münchener Sälen ver-
tretenen Künstler angehören, es sich angelegen
sein lassen würde, eine vorsichtige und viel-
seitige Auswahl zu treffen und das Gebotene
um so wertvoller sein zu lassen, je beschränkter
der Raum war, der ihr zur Verfügung ge-
stellt wurde. Die Münchener Kunst hat sich
bescheiden müssen; aber sie hat keinen Scha-
den davon; denn die Besucher verweilen um
so lieber bei ihr und kehren gern zu ihr
zurück. Die Werke jener Künstler der Deut-
schen Gesellschaft für christliche Kunst, welche
nicht in München wohnen, sind in den an-
deren Abteilungen der Ausstellung unterge-
bracht; so begegneten wir Feldmann bereits
vorhin (S. 321), ebenso Limburg.
HIN SAAL DER AUSSTELLUNG FÜR CHRISTLICHE KUKST, DCSSELDOKF 1909
MIT GEMÄLDEN VON MARTIN FEUERSTEIN UND FRITZ KONZ
DIE KUXSTAUSSTl-LI.LXC.RX IX DÜSSELDORF 1909 ^:^ 323
FKIT/. KLNZ
Aus dem Zyklus der Franziskusbilder
GEISTLICHES GESPRÄCH
Ausstellung /itr christliche Kutist, Diisseldor/ lejog
Trotz der erwähnten guten Piastiken vor
der Eingangstür fülilt man beim Eintritt in
den Münciiener Mittelsaal eine Art Befreiung.
Man ist wieder ganz in der Sphäre christlicher
Kunst, aber nicht etwa in einem Museum
alter Kunst oder gewerblicher Imitationen,
vielmehr kommt die Gegenwart zu ihrem
Rechte, hie und da vielleicht eher zu viel
als zu wenig.
Das Auge ruht wohl zuerst auf der Porträt-
statue des Bischofs P. L. Haflner (Mainz) von
Georg Busch (Modell zum Grabmal iiu Dome
zu Mainz) ; es ist ein vortreffliches Werk,
und besonders ist es dem Künstler gelun-
gen, die ernste Inbrunst und die geistvolle
Fröhlichkeit ohne Widerstreit zum Ausdruck
zu bringen, die in dem Verstorbenen zu einer
so seltenen Einheit verschmolzen waren. In
der benachbarten Plastik von \'. Kraus tritt
die Kreuzigungsdarstellung ihrem Zweck ge-
mäß beherrsciiend in den Vordergrund; die
Darstellung der Bitte j unser tägliches Brot
gib uns heutet bringt der Künstler durch die
am Fuß des Kreuzes betenden Landleute, die
aus Gründen der künstlerischen Gruppierung
und wegen ihrer nebensächlichen Rolle am
Altar in kleineren Maßen gehalten sind v^bb.
S. 305 und 306).
Die Madonna« mit Dornenkrone von
G. Netz er ist ohne Aufschrift kaum als solche
zu erkennen, aber eine ernste Leistung. Un-
mittelbarer religiös wirkt die Piet.'i von B u s c h e r ,
über der schon mehr ein Zug erschöpfter Resi-
gnation liegt (Abb. S. 334). Hervorragend und
voll Würde sind die Arbeiten von B. Schmitt,
(Abb. S. 307 — 309), nicht minder das Hochrelief
St. Georg< von G. \\'aderelAbb.Heft2,S..4o)
und desselben Künstlers Grabdenkmal für Erz-
bischof von Thema (.\bb. S. 39). Der »Licht-
träger von Fritz von .\Hller ist ein Weihe-
geschenk katholischer Edelleute Bayerns für
die Dormitio B. \'. Mariae. Davon rindet sich
bereits im 3. Heft, S. 91, eine Abbildung mit
näherem Bericht. In der anderen Vitrine
sind Goldschmiedarbeiten aufgestellt, unter
denen eine stilvoll entwickelte Nlonstranz von
Rud. llarrach mit \'eibindung von EU'en-
beinplastik hervortritt (Abb. S. 211); vorzüg-
lich ist des nämlichen Künstlers Kelch mit
.\hren und Trauben als N'erzierunt;, die mit
324
K^ DIE KUNSTAUSSTFJ.LUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 J^ö
JU^iTUN WAuMiLl Lk
MAkU \LKKL\D1GU\G
Ausstellung /ut- christliche Kunst, Düsseldorf igog
vornehmer Zurückhaltung last nur andeutend
verwendet sind. Unter den Malereien des
Saales interessieren vor allem die vorzüglichen
Bilder von Leo Samberger »Christus« und
) ErzbiscHof Dr. von Abert« (Abb. S, 313), dann
mehreres von J. Huber-Feldkirch (Abb.
S. 316 und 317), der noch zu erwähnen sein
wird; K. Schleibners »Flucht nach Ägyptens
ist gefällig. Ausdrucksvoll und warm in der
Farbe i,st j. Albrechts »Hl. Benno« (Beil.
zu H. V), C. J. Becker-Gundahls eindrucks-
voller 'Christus am Kreuz« ist als >.un\ ollendet«
bezeichnet (Abb. S. 330).
Der kleine Saal zur Rechten gehört drei
Meistern: M. Feuerstein, G. Fugel und
Fr. Kunz, alle drei bekannt und bewährt.
G. Fugel greift hier in Auffassung und Be-
handlung am weitesten zurück und weiß
neueste Errungenschaften damit zu verschmel-
zen ; die Szenen „Berufung Petri« und «Sehet
das Lamm Gottes« sind groß gesehen
(Abb. S. 392 und 303). Beim Abendmahl
(Abb. S, 301, vgl. die erste Fassung auf S. 293
des vierten Jhrgg.) ist der Moment der Dank-
sagung und Segnung des Brotes gewählt;
unter den Aposteln sind vortreffliche Köpfe.
M.Feuerstein bringt lebhafte Farben und
sein Stil weist nach Paris, wo er seine zeich-
nerische Meisterschaft und die gefällige Kom-
position sich aneignete.
Stark eigenartig und individuell ausgeprägt
ist Fritz Kunz; man freut sich; einige sei-
ner Illustrationen zuFederers»Franz von Assisi«
hier im Original zu sehen. Die beiden Skiz-
zen zu einem Marienleben sind von eigen-
artig starker farbiger Wirkung. Um den Künst-
ler genauer kennen zu lernen, hält man sich
am besten an die beiden größeren Franzis-
kusbilder (Abb. S. 323). Da erkennt man das
ganz Persönliche seiner Art; ja, das Persön-
liche ist so stark, daß es gewissermaßen sel-
ber »Art« wird.')
Als Mittelpunkt des Saales zur Linken zieht
^) Wir erinnern an das im Verlag der Gesellschaft für
christliche Kunst erschienene Werl<: Der hl. Franz von
Assisi, von Fritz Kunz und Heinrich Federer. D. Red.
e2^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DUSSELDClRl- 1909 i^^
der farbenleuchtende Bischofsstuhl
für Bamberg, an dem Architekt Ro-
meis als Entwerfender, Bildiiauer
Pruska als Urheber der plastischen
Modelle und Hofsilberarbeiter Har-
rach als Ausführender zusammenar-
beiteten, die Augen an. Es ist ein
prächtiges Werk in edelstem Stil-
gefühl, für das heutige Auge auf den
ersten Blick fast zu prächtig. Aber
man muß bedenken, daß das Werk
für das Halbdunkel eines romani-
schen Domes bestimmt ist; auch ge-
wöhnt sich das Auge selbst in der
jetzigen Autstellung schnell daran
und emphndet das Wohltuende des
harmonischen Zusaninienstimmens
der Metalle (\'ergoldung, grünliche
Bronze , schwärzlichoxvdiertes Sil-
ber), der Halbedelsteine, der Tönun-
gen im Hintergrunde und in den
Flachreliefs. Alles einzelne ist in
Zeichnung und technischer Ausfüh-
rung beachtenswert, — ein Werk
ersten Ranges. Unter den Plastiken
ragen die Reliefs von H. Schiestl
aus der Pfarrkirche zu Dorfprozelten
(hl. Wendelin und hl. Rochus) her-
vor, neben ihnen der hl. Benediktus
von J. S c h e e 1 (Abb. S. 3 3 2). Von dem
genannten Heinrich Schiestl sieht
man eine ergreifende Kreuzwegsta-
tion in Relief im Umgang um den
Ehrenhof (Abb. S. 319). Von den
Gemälden des Saales sind die meisten
Entwürfe für monumentale oder de-
korative Kirchenausmalungen. Sehr
anziehend sind die Entwürfe zur
Ausmalung von Apsis und Chor-
wand einer Kirche von j. Gunter-
m a n n vor allem durch die vortreff-
liche Behandlung von Zeichnung
und Farbe f.^bb. S. 293). Wirkungs-
voll ist der Entwurf für die Aus-
malung der Taubstummenkirche in
Dillingen von Th. Baierl, mit dem
Altarmodell von Jakob Angermair
(Abb. S. 306). Die flotten Entwürfe
von W. Koppen, die ausgeprägt
modern empfunden sind, zeigen
gleichwohl ein ernstes Studium der
Alten und streben deren Größe an.
Hervorzuheben sind in diesem Saale
noch die von B. Locher trefflich
gezeichneten »Vier Evangelisten;.
Es sind übrigens nicht alle Münche-
ner, die die Ausstellung für christliche Kunst be-
schickt haben, in diesen drei Sälen vereinigt. So
GEORG SCHREYi iGt;
AusiUüufii: /i,
I IJIHl NDKl; ClIKIMLS
sind Gabriel .Max, Editier, Uhde, Flescli Bru-
nin-jen u. a. Münciiener. Gabriel Max geht in
326 EJ^ DIE KUNSTAUSSTELI.UNGF.N IN DÜSSELDORF 1909 ma
ANTON HESS
MADONNA, MARMOR
Ausstelliiiig für christliche Kunst, Düsseldorf igog
seinem ^Christus« nochüberdaslängstbekannte
Übermaß des Weichlichen und darum auch
innerlich Flachen hinaus. Ihm neigt sich A.
Echtler in seiner »Mater dolorosa«, zu.
Es ist nicht zu wünschen, daß diese Art ge-
suchter Weichlichkeit, die zu technischen
Spielereien und Virtuositäten hinabsteigt, in
der christlichen Kunst Platz greife. Gefällig
sind die Bilder ^Christus« und »Madonna«
von Ludmilla von Flesch-Bruningen.
Gehen wir nun zurück durch die Münchener
Säle zu den Werken des stillen Frankfurter
Meisters W. Stein hausen, dem ein be-
sonderer an den Saal der Feuerstein,
Fugel und Kunz anstoßender, zu den Dres-
denern zurückführender Raum (Nr. 1 6) gegeben
worden ist. So günstig und reich ist der
Künstler hier in Düsseldorf wohl noch nicht
vorgestellt worden. Man erkennt seine Tiefe
und seinen Ernst, auch die Vorzüge seiner
Behandlungsweise. Und doch gehört eine sozu-
sagen persönliche Svmpathie dazu, \ollbefrie-
digt zu sein. Eine oft neblige Unbestimmtheit,
die bisweilen wie Zaghaitigkeit aussieht, be-
unruhigt, ohne in den Kreis des Geheimnis-
vollen zu versetzen. So wirkt z. B. die ge-
heimnisvolle Spannung bei der Brotausteilung
(unter der Kreuzigung des Bremer Altarbildes)
höchstens wie Neugier. Steinhausen ist nicht
der Künstler, der dem Idealismus Kraft und
Klarheit erhalten lehrt und die irrige Meinung
widerlegt, daß Kraft und Klarheit dem Na-
turalismus und Realismus ausschließlich eigen
seien. Man sollte nicht übersehen, wie vielmehr
Kraft und Klarheit in Stein hausens Zeichnung
liegt, als in seinen Gemälden, bei denen doch"
Farbe und Farbengegensätze mitwirken könn- i
ten; das ist ein Punkt von allgemeiner Be-
deutung und mag daran erinnern, daß nicht
der Dichter allein, sondern auch der Maler
und selbst der Plastiker »der Dichtung Schleier
aus der Hand der Wahrheit« empfangen hat.
(Fortsetzung folgt)
327
Altislilliing /ur christlichr
Kumt, Diissttdcr/ igog o
ROMANISCHER CHOR LXD TAUFSTKIN. ENTWORFEX
VOS PROF. KLI-ESAriUL (DCSSELDORF), AUSMALUNG
VON ÜÜKINCER ; ALTAK VOX PEHLE oooooooo
328
©^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN ^Q
AussUlluNg fiir christliche Knust, Düsseldorf rgog
DIE X. INTERNATIONALE KUNST-
AUSSTELLUNG IN MÜNCHEN 1909
Von FRANZ WOLTER
r^ie Kunstdarbietungen im großen Stile, die
^-^ von Jahr zu Jalir nicht allein in Bayerns
Haupt- und Residenzstadt veranstaltet, sondern
in jeder, durch die Natur der Sache einiger-
maßen ähnlich veranlagten Stadt geboten
werden, regen zu dem Gedanken an, ob denn
auch wirklich das Publikum in ein näheres
Verhältnis zur Kunst gebracht wird. Handelt
es sich um eine internationale Kundgebung,
wie in diesem Falle, so wird die Frage noch
dringender. Was eine Nation, eine Generation
verlangt, erhält sie und je stärker sich das
äußerliche Leben entwickelt, je rascher die
lockenden Vergnügungen des Alltags einander
ablösen, je raffinierter die Leckerbissen der
Tafel und A'ariete-Freuden ersonnen werden
und je rascher die Autodroschken die Straßen
durchsausen, je oberflächlicher und schneller
wird auch die Kunst genommen, denn die
Zeit zur Vertiefung fehlt, und wahrhaftig, um
zur Kunst zu gelangen, gehört mehr Zeit als
der bildungshungrige Mensch nur ahnt. Ein
stilles Versenken, ein gemütvolles sich Ergehen
kostet Zeit, darum nur schnell das Sensa-
tionelle, Packende und Pikante, das momentan
reizt und erquickt, gekostet — nicht einmal
genossen. Die Folgeerscheinung ist derTriumph
der Technik, der äußerlich blendenden Mache,
kurz das Virtuosentum. Wir stehen auch in
dieser großen, fast 3000 Kunstwerke umfas-
senden Ausstellung des Glaspalastes durch-
wegs vor Problemen der Technik des äußer-
lichen Scheins. Ein ziemlich gleiches Niveau
allüberall, der Höhepunkt des Malenkönnens
mit unseren, nun einmal gegebenen Mitteln
ist erreicht und viele, ja recht viele können
malen und meißeln. Der Unterschied ist nicht
mehr so groß wie in vergangenen Jahrzehnten,
eine gewisse Gleichmäßigkeit ist fast erreicht.
Es hat keinen Wert, dies zu beklagen oder
hierüber sich zu ereifern, es ist nur die Pflicht
des Chronisten, diesen künstlerischen Baro-
meterstand abzulesen, denn das, was entsteht,
entwickelt sich mit Naturnotwendigkeit in der
Weltordnung. Die überaus hohe Bewertung
des technischen Könnens charakterisiert im
Zeitalter der Elektrizität, der Dampfmaschinen
und des Luftschiff"es unsere Epoche und wie
von den rein technischen Erfolgen der neuesten
Erfindungen alles berauscht wurde, sosetzt auch
als Spiegelbild die Kunst den höchstenTriumph
daran, auch auf ihrem Gebiet zu zeigen, was
mit den Mitteln der Farbe, des Pinsels und
des Meißels geleistet werden kann. Die Freude,
jede noch so erdenkliche Schwierigkeit zu
überwinden, ist an die Stelle einer edleren,
inneren Gestaltungskraft getreten. Die Wir-
kung auf die Seele, auf das Gemüt, das was
man bisher in jeder Kunst vergangener Zeit
als erste und heiligste Aufgabe ansah, mußte
ersteren Bestrebungen weichen. Und doch
sind noch genügend Dinge da, die als Oflen-
barungen echter, wahrhafter Kunst zu betrach-
ten sind, Dinge, die uns über die \'erkörpe-
rung der Idee, des Könnens vergessen machen.
©^ X. IN'TERNATIOXAI.r: KUXSTAUSSTELLUNG IX MUXC.HF.X >^ö ^29
leJocli wird manches
da\ on durch das blen-
dende Feuerwerk der
Mache verdunkelt und
\ ieles, gar vieles kam
Liberhaupt nicht zu
Worte, weil ihm die
Cjunst der Ausstel-
lungsleituny nicht
schien. Der Laie hat
überhaupt keinen Be-
griff, wie groß die
Kunstproduktion in
München im Laufe
nur eines Jahres ist.
Leicht könnte man mit
diesem Material drei
und vier Glaspaläste
füllen und wahrlich
das Schlechteste wäre
nicht darunter, denn
die Rücksichtnahme
auf Gruppen und Kol-
legen, auf Macht, An-
sehen und Kunstpoli-
tik erfordert mitunter
eine Binde vor den
Augen, es wäre sonst
nicht begreiflich, daß
unter dem Guten so
manch Schlechtes pla-
ziert wurde und das
nicht in den letzten
Sälen. Dies sei von
vorneherein aus Grün-
den der Gerechtigkeit
gesagt.
Im Arrangement der
Ausstellung sind ver-
hältnismäßig wenige
Neuerungen gemacht
worden. Im großen, der Plastik gewidmeten
Vestibül rauscht der altgewohnte Springbrun-
nen, die Wände erstrahlen in einem nicht ge-
rade angenehmen Gelb, das dem Flor der
Blumen, welche das Wasserbecken umschlie-
ßen, namentlich aber der Plastik keine gün-
stige Folie verleiht. Etwas zu mächtig erhebt
sich hier die Reiterstatue des hl. Wenzel in
Bronze von J. V. Myslbeck, sie wirkt förm-
lich erdrückend. Neue Anregungen werden
kaum von diesem stark akademisch gehaltenen
Werk ausgehen, wie denn insbesondere das
Ausland auf unsere einheimische Plastik, ab-
gesehen von einzelnen tüchtigen Erscheinun-
gen, wenig befruchtend einzuwirken imstande
ist. Es stecken überall noch zu starke An-
lehnungen an einmal überlieferte Schönheits-
IKANV WOLTER
DER Hl^ I'.\L'I-L>
Ausstellung j!tr christliche Kurt
begriffe und die Schablone ist oft allzu deut-
lich erkennbar. Zumal tritt in einer stärker
als je geprägten Form eine manierierte Antike
hervor, die noch frostiger erscheint als die
Xeubelebungen zur Empire -Zeit. Für uns
Deutsche, für das ganze germanische Volk
steht eine Kunst, die aus dem Volke sich
herausgebildet, die wie die ganze Plastik des Mit-
telalters mit dem Geschäftsieben der Nation ver-
wachsen war, unendlich viel näher alsdie schön-
ste antikisierende Bildhauerei und wenn sie noch
so stark die Grazie und die sinnfällige Schön-
heit einer vergangenen hohen Kunstblüte mit
den äußerlich blendenden Mitteln der Tech-
nik heraullieschwören kann. Recht lehrreich
ist hier das Beispiel, welches Ferdinand
von Miller in seinem Christus« auf schrei-
330 ©B^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG TN MÜNCHEN ms
sielluiig /:ir chrhtlu-lic Kiinsl, Dusset,/. >/
tendem Pferde für die St. Annakirche in Mün-
chen gegeben hat. Der Künstler hat die Stelle
der Apokalypse plastisch übersetzt, die da heißt:
Und siehe, ein weißes Roß, und der auf
demselben saß, hatte einen Bogen und ward
ihm gegeben ein Kranz und er zog aus,
siegend, damit er siege.« Die edle, vornehme
würdige Erscheinung des Christus hat der
Meister in großzügiger Form und in einem
persönlich eigenartigen Stil vortrefflich wieder-
gegeben und Roß und Reiter wie ein orga-
nisches Ganzes gebildet, daß alles wie aus dem
Vollen heraus geschöpft erscheint. Weniges
kommt diesem gleich, wie denn überhaupt
die meisten plastischen Arbeiten ungeachtet
ihrer Größe wenig monumentalen Charakter
tragen. Man sehe darob den stark musku-
lösen Steinschleuderer, »In Gefahr« betitelt, von
Richard Aigner an; die allerdings fleißig
und lebendig durchgeführte Ringergruppe«
von Wilh. Haverkamp, die von südHchem
Temperament belebte Danteszene »Der Styx«
von Rutelli Mario oder die an Meunier
erinnernde realistisch-malerische Bildnerei wie
die »Wölfin von G. Graziosi. Das alles
sind ja an sich tüchtige Leistungen, aber es
fehlt ihnen der Charakter, der große Zug,
der jedes Kleinliche vermeidet. — Es gehören
ferner hieher die trefflichen Arbeiten Gae-
tano Cellinis, die Statue des Bildhauers
Prof Sinding von Rasmus-Harboe und die
im Ausdruck der Angst und des Schreckens
ohne Übertreibung erfaßten Bauerngestalten
von »Anno neun« von Christian Plattner.
Alle diese an sich guten Leistungen könnten
mit Fug und Recht in wenig größerer Aus-
führung dem Fach der Kleinplastik angehören.
Von wirklich großzügigem Charakter sind
die Bronzebüsten von Robert Diez und ein
drittes Werk, ein wuchtiger Kopf einer Löwin
in rotem Marmor. Das hat etwas von antiker
Art mit modernem Geiste beseelt. — Zu un-
ruhig in den Gewandpartien erscheint die sonst
wirkungsvoll erdachte Marmorgruppe »Der
Abgrund von Pietro Canonica, im krassen
Gegensatz hierzu steht das klobige, an mittel-
alterliche rustikale Steinmetzarbeit gemahnende
Reiterstandbild von Franz Metzner. In ein-
fach schlichter Haltung, im Zivilanzug mit
Hut und Stock ist das durchaus ähnliche Stand-
bild des Grafen Konrad v. Preysing von Ge-
org Busch gegeben (Abb. III., Jg. S. 231), gut
331
B!^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN J^O
JOSEPH SCHEEL
Ausstflhiilg /ity dir
I \'I-,DIKT iHOI /l
n-ldorf igoQ
Studiert und an Altes erinnernd der »Eros«
von Artur Volkmann, jedoch dürfte die
stark fleischliche Abtönung dem Werke an
Gefälligkeit Abbruch tun. Wie denn überhaupt
in der Patinierung und Fassung der plastischen
Werke entweder des Guten zu viel oder zu
wenig getan wird. Es müssen doch Büsten
lebender Menschen einerseits nicht Ausgra-
bungen gleichen, die eine tausendjährige Pa-
tina tragen, anderseits auch nicht einer Figur
aus dem Wachskabinett zum verwechseln ähn-
lich sein. Unter den stark vertretenen weib-
lichen Akten sind erwähnenswert die ins Süß-
liche hinübergleitende . Salome« von Emil
Epple, »Das schlafende Mädchen« von Luigi
Secchi, »Nach dem Bade« von Oskar Gar-
vens. Herber und strenger in der Form ist
das Tugend betitelte Werk von Giuseppe
Romagnoli. Hervorragend hat sich Hein-
rich Wadere mit vier Werken eingestellt,
von denen das Relief der Tänzerin durch die
feine Bewegung und das große Grabmonu-
ment durch den Adel der Form und des Aus-
drucks fesseln.
Eine ausgezeichnet in tiefstem Schmerz sich
windende Gestalt, eine Art Niobide schuf
Ödon Szamovlsky. Selten ist die Tragik
so wuchtig zum Ausdruck gekommen, daß
man den Akt an sich, das Fleisch ganz ver-
gißt, wie bei dieser Figur. — An Büsten und
Kleinplastiken ist wirklich kein Mangel und
manches hier sowohl wie bei den Ausländern
hätte man weglassen können. Entzückend,
wenn auch nicht direkt zur Kleinplastik ge-
hörend, ist das weich und voll modellierte
- Brunnenbuberk von Ed. Beyrer, wie denn
von diesem talentvollen, aufstrebenden jungen
Künstler noch sonst treftliche Büsten, u. a.
die vom Maler Leo Putz, aus der großen Menge
hervorragen. Ein fleißig durchgeführtes, da-
bei in der Auffassung lieb und natürlich wahr
empfundenes Aktflgürchen in Elfenbein brachte
Karl Kiefer. Sehr begrüßenswert ist es,
wenn wieder dem edlen Material, wie in
diesem Falle , größere Aufmerksamkeit ge-
schenkt wird, und gerade das Elfenbein ist, wie
das alle Kulturepochen von der Antike an es
beweisen, geschaffen zum plastischen Schmuck.
Von Valent. Winkler sehen wir neben
einem entzückenden lachenden Kinderköpf-
chen in Marmor eine ausgezeichnet beobach-
tete Dogge und eine vortreft'liche Hirsch-
gruppe in Bronze. Recht lebendig wirken
die gut bewegten, vergoldeten Bronzen > Eulen-
spiegel', und Minnesänger von Franz Ber-
nauer. Hübsch in der Auffassung sind auch
der »Kegeljunge ■. von Carl Pieper und die
singenden Chorknaben von Christ. Stütt-
gen. Daß die Bildhauer wieder mehr zum
Holz greifen, ist ebenfalls erfreulich. Wir
haben in der Ausstellung davon einige ganz
tüchtige Proben. Neben Th. v. Gosen kommt
Charles Amgst mit seinem den Charakter
des Materials entsprechend schnittig behan-
delten : Handwerkern in Betracht.
Einermerkwürdigen, mehrundmehrin Mode
kommenden Unart, die von dem Pariser Meister
Rodin ausging, muß noch Erwähnung ge-
schehen, und das ist: der Kultus des Torsos,
vielmehr des Bruchstückes. Wir haben ge-
rade heuer von dieser Art verschiedene Proben,
FSB.« X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN »«sa
die nicht glücklich genannt werden
können, u. a. von A. Hanak, Henri
van Perck, Ivan Mestro vic etc.
Letzterer Künstler hat in seinem Frag-
ment wohl das Beste geleistet, wie denn
diese Plastik, vom Gesichtspunkte der
Kunst aus betrachtet, hoch dasteht; trotz-
dem bedauert man die schlecht abge-
schnittenen Arme der willkürlich ver-
stümmelten weiblichen Figur, die nicht als
Zufallszerstörung, sondern als beabsich-
tigte erscheint, und dies hebt einen großen
Teil des künstlerischen Genusses auf.
In der kleinen, aber äußerst erlesenen
Gesellschaft der Secessionsplastik treffen
wir durchaus gute Arbeiten. Da sind
vor allem die dekorativ figürlichen Schild-
halter vom Hamburger ßismarck- Denk-
mal von Hugo Lederer, die acht pla-
stischen Werke von Hermann Hahn,
darunter die antikisierende Reiterstatue,
die vorzüglich beobachteten Tierdarstel-
lungen von Fritz Beim, dessen Talent
auf eine großzügige Form gerichtet ist.
Eine ganz außerordentlich einfache, aber
um so eindrucksvollere Leistung ist der
große afrikanische Leopard. Eine Reihe
trefflicher Bildnisbüsten sind noch zu
nennen von Heinr. Jobst, Cipri Ad.
Bermann, Alex. Oppler und Theod.
V. Goosen.
Ist es schon bei der Plastik schwer.
die Gebilde der Kunst, die mit dem
geistigen Auge gesehen werden sollen,
um wahrhafte Würdigung zu finden,
in beschreibender Form dem Leser vor-
zustellen, so ist diese Schwierigkeit be-
deutend größer bei der Malerei und den
graphischen Künsten. Es ist auch schlech-
terdings unmöglich, die überaus ver-
wickelte, nur durch persönliches Erleb-
nis zu erfassende, sinnliche Erscheinung
der Kunst so vor die Augen des Lesers
zu stellen, daß eine subjektive Vorstel-
lung eines anderen exakt verstanden wer-
den kann. Hieran hindern schon allein die
nie vollkommen gleich richtig aufgefaß- "'^"'
ten Anwendungen von Worten und \'or-
stellungen, trotz einer gewissen, einmal
übernommenen Konvention. Wenn daher eine
ganz genaue beschreibende Behandlung der
Kunstobjekte im folgenden hinter sachliclien
Erwägungen und Betrachtungen allgemeiner
.Natur zurücktreten muß, so glauben wir eher
etwas für das Verständnis zur Kunst beige-
tragen zu haben, als wenn wir den Ton einer
angenehmen und unterhaltenden Stimmungs-
lektüre anschlagen.
AN\ KKAHI-OKM
A usslfllutij^ /ii
URblKUSiObNBiLU
• chrittticht Kunst, Pustfläorf iqoq
Betreten wir, bevor wir den Rundgang durcii
die Gruppen der Münchner Kunst fortsetzen,
ein kleines Sanktuarium, das den Namen Fritz
Aug. V. Kaulbach trägt. Wir kennen den
vornehmen Künstler von starker Persönlich-
keit schon lange in seinen Leistungen und
vermögen nichts Neues zu seiner Charakte-
ristik zu sagen. Und doch, halten wir Um-
schau in allen Sälen des weiten Hauses, wir
334 E»^ >^- IXTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN Ji^a
finden selten diese Abgeklärtheit, diese Ruhe
und Sicherheit, wie hier. Es liegt in all den
Gebilden der Malerei etwas, man möchte sagen
Zeitloses, etwas, das nicht heute und morgen
gilt, sondern \on dauerndem Werte im Wech-
sel der Zeiten und Moden ist. Mit einer Fülle
von neuen hervorragenden Schöpfungen hat
er das kleine, mit roten Teppichen ausgestat-
tete Gemach geschmückt. Kostbare Möbel
geben dem Gesamten einen behaglichen Ein-
druck. Vor allem aber erfreut in den letzten
Werken die Klarheit und Frische der in un-
mittelbarem Schaffen vor der Natur entstan-
denen Bildnisse, und in dieser Richtung hat
der rastlos wirkende Künstler wieder einen
weiten Schritt nach vorwärts getan. Als be-
sondere Anziehungspunkte sind einige Damen-
bildnisse zu nennen. Kaulbach ist ja der Schil-
derer des weiblichen Geschlechtes; wir nennen
hier eine Dame in Weiß, mit einem Früchten-
tlidu- Kumt, DnsseUorf iqog
korb, eine sitzende weibliche Figur, welche
die Züge der Gattin des Meisters trägt, ein
weiteres Damenporträt in heller Gewandung.
Daneben kommen besonders die Bildnisse seiner
Kinder in Betracht. Der Künstler hat von
Jahr zu Jahr stets malerische Berichte über
die eigenen Sprößlinge gegeben und diesmal
von bedeutender künstlerischer Kraft. Hieher
gehört auch das Doppelbildnis der Prinzen
Luitpold und Albrecht von Bayern, die, in
helleuchtende Landschaft gestellt, in brüder-
licher Eintracht an dem vertraulichen Täub-
chen sich erfreuen, das der ältere der Brüder
auf der Hand trägt. In majestätisch feierlicher
Haltung, wie zum Opfertische schreitend, sehen
wir die Tänzerin Ruth St. Denis, dann wieder
ein kostbares Tulpenstück, Skizzen und Stu-
dien kleineren Formats oder eine farbenfreu-
dige Landschaft — kurz, eine Fülle des Er-
lesenen, die uns über die Welt des brutalen
Alltags und nicht weniger der so
vielen brutalen Malerei zu einer
schöneren, idealeren erhebt. — Will
man ganz gerecht sein, so darf man
freilich den wichtigen Faktor nicht
unbeachtet lassen, daß Kaulbach
vor allen andern Ausstellern
ein gewaltiger Vorteil eingeräumt
wurde, indem er in der Lage war,
sich alle andern Kunstgenossen fern
zu halten, für seine Bilder die vor-
teilhafteste Beleuchtung einzurich-
ten, die Umgebung zu ihnen zu
stimmen und durch die elegante
Ausstattung seines Raumes die Be-
sucher und Besucherinnen, wenn
nicht zu hypnotisieren, so doch in
eine gehobene Verfassung zu ver-
setzen.
In den Sälen der Münchner Künst-
ler-Genossenschaft mit Deutschland
treten wir dann auf schon realeren
Boden. Es herrscht viel Geschmack
vor, aber auch das Gegenteil. Das
kommt davon, daß, wie ebenfalls in
anderen Korporationen, eine per-
sönliche Freundschaft, Zugeneigt-
heit.kameradschaftlicheGesinnung,
endlich Zugehörigkeit zu einer
Gruppe, bis zur \'erleugnung des
eigenen künstlerischen Gewissens
führt. Sind solche Faktoren für
weniger im Vordergrund des In-
teresses gelegene Säle entschuld-
bar, so wird gleich die Harmo-
nie dort gestört, wo zuerst das
redliche Bestreben bemerkbar war,
die Kunstwerke nach ihrem wirk-
335
Ausstfilung für christUcht Kunst,
Düsttidor/ igog ooooooooo
Mit Geurhmigung dtr Münchner
Graphischen GeselUdia/t Pick £?> Co.,
München oooooooooooo
'S « KASPAU SCHLEIBNER
FLUCHT NACH AGVPTHN
36 &^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN f^Q
BETRACHTENDER .MÖNCH
Aitsstelluttg für christliche Kinisl, Dusseldorf iqoq
liehen Werte zu ordnen. Gleich in den
ersten Sälen fallt dies auf, wenn man das
ungemein delikate Interieur mit der Dame in
heller Ivleidung von Carl Albrecht in Ver-
gleich zieht mit ähnlichen Themen. O. Frei-
wirth- Lützows »Gevatterin« macht hier
eine rühmliche Ausnahme, der Künstler führt
uns in die Zeit unserer Urgroßväter zurück
und schildert mit feinem Verständnis für Licht
und Schatten ein behagliches stilles Heim von
warmer Beseelung der Gestalten. Daß selbst-
verständlich die altbekannten Namen im Reiche
der Kunst, die Defregger, Grützner, M.
Schmid, L. Willroider, J. Wenglein, J.
Wopfner, F. Simm, A. Fink, Walter
Firle, G. Papperitz nicht fehlen, sei nur er-
wähnt. Von zwingender Stimmungsgewalt
sind sowohl die Schnee- und Gebirgsbilder,
als namentlich 'Die Hochsee « von Hans
von Petersen. Gerade in letzterem Gemälde
verstand es der Künstler, wieder jene Note
hineinzutragen, die von der Unendlichkeit des
Meeres in seiner elementaren Gewalt kündet.
Ganz anders sieht G. Schönleber die welt-
umspannenden Gewässer. Sein -Abend am
Strande mit dem ein-
samen Boot gleicht ei-
nem friedlichen Volks-
lied und A. Bachmann
und K. Boehme haben
ebenfalls in ihrer Art
Beisteuer zu jenen Vor-
würfen geleistet.
Die religiöse Malerei
verschwindet von Jahr
zu Jahr mehr aus den
offiziellen Ausstellun-
gen, sie wird wohl von
tüchtigen Künstlern
noch gepflegt, aber sie
genießt gar keine Aner-
kennung. Kaum ein
Dutzend Gemälde reli-
giösen Inhalts ist in die-
ser großen Bilderschau
zu finden. Eines der
bedeutenderen Werke
ist > Die Verehrung der
Reliquie des heiligen
Blutes in Brügge?, von
Max Gaisser. Das in
Form des Triptychons
angelegte Werk zeigt im
Hauptbilde die versam-
melten Gläubigen, wel-
che der vom Priester
in kostbarer Fülle dar-
gebotenen Reliquie ihre
Andacht bezeigen, während aut den Flügel-
bildern das äußerliche Straßengepränge der
Prozessionen als wirksamer Gegensatz zur
stillen Feierlichkeit gestellt ist. Das Weihe-
volle der Handlung ist dem Künstler in
vortrefflicher Weise gelungen und spiegelt
sich in den grobknochigen echten Typen
flämischer Bürger und Landleute jene tiefe
Frömmigkeit wider, welche dieser uns stamm-
verwandten germanischen Rasse so charakte-
ristisch ist. Selten hat Gaisser, von dem wir
manch treffliches Bild gesehen und auch auf
der Ausstellung sehen können, etwas ge-
schaffen, was so frei von Schablone, so frei
von jeder Herkömmlichkeit, einen solch starken
Eindruck hervorzurufen geeignet ist.
In ähnhcher Weise läßt sich dasselbe, mu-
tatis mutandis, von Otto Strützels großem
weitzügigem Gemälde x Gewitter an der Isar<
sagen; ein Bild, das mit in erster Linie von
den im übrigen zahlreichen Landschatten zu
nennen ist. Es schließen sich diesem Meister
hier an: Hans Prentzel »Der Heidehügel'.;
Josue von Gietl »Trüber Märztag ; Otto
Gampert Herbstmorgen im Schleißheimer
©^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN »«S?2 337
Moos und ?Eiii Sommertag ; A. Dierks
s Landungsbrücke und Kaiser-Eicliberg
i-Frühlingsahend im Luch:; C. Bracht :Die
drei Türme im GauertaL;; Robert Curry
»Märzschnees und Gregor v. Bochmann
>An verlassener Heerstraße«; A. Schüler
»Ostertag»; H. Licht Landschaft an der
Mündung der Havel;. Angenehme Über-
raschungen bieten einige Künstler, die bisher
wohl immer geschmackvoll, aber nicht so
ganz sicher auftraten und die diesmal in
einigen Bildern eine vornehme und ge-
festigte Künstlernatur verraten. Hieher
gehören Jul. Schräg mit einigen farbig
gesehenen Interieurs, Wilhelm Immen-
kamp mit dem Bildnis Dr. W. Raabes,
M. Hartwig Im Aprils, TheodorWin-
ter »Frühling ;, Pet. Kraemer Bildnis-
studie , Fritz Bayerlein Park im
Schnee:, August Rieper mit einigen
leuchtenden Innenräumen, H. Linde
Braudiele in Lübeck'.; Hans Blum >:Im
Gemüsegarten ;c. Vorzüglich ist ein farben-
sattes Interieur von Klara Walther mit
feinem Schmelz der Töne, in brillanter
Technik wiedergegeben.
\'on altmeisterlicher Kraft und zeichne-
rischer \'ollendung, doch unserem Gefühl
nicht fremdartig, sind die bis ins kleinste
Detail durchgeführten Bauernköpfe von
Georg Schildknecht. Auch das ist
eine Malerei, die abseits steht vom Alltags-
geschmack, der immer mehr droht zu ver-
flachen und demokratischer zu werden.
\'()n bewährter \'irtuosität sind F. Gräs-
seis Enten , wie Jul. Adams /Katzen ,
die, wohl unerreicht in ihrer ganzen Ras-
seneigenartigkeit, von keinem anderen
Künstler so gemalt werden. Stark vertreten
ist das Beleuchtungsproblem, sei es, daß
eine natürliche oder eine künstliche Licht-
quelle gesucht oder gestellt wurde. So
schildert A. Graf Courten den von der
Lampe erhellten sterbenden \\'ilhelm nach
Heines Wallfahrt nach Kevelaer , wie die
Gottesmutter ihn zu sich ruft; A.Wilkens
eine in ähnlichem Effekt gemalte ■ Hoch-
zeit auf Fano ; Wilh. Claudius Böh-
mische Dorfmusikantenc.die unter Festes-
beleuchtung zum Tanz aufspielen; Ferd.
Dorsch ein Lampionfest :<. Diese Art
technisch geschickt gelöster Probleme
kehrt nun auch in den übrigen Abtei-
lungen, in den verschiedenen \'ariationen
wieder.DiegefährlicheKlippedesSchwarz-
malens wird meist glückhch umschiflt.
Eigenartig dunkle und helle Farben werden
gefunden, die gerade bei solchen Wir-
kungen eine wertvolle Bereicherung für un-
sere Ausstellungsmalerei bedeuten. Es kommen
Bilder zustande, die auf den Gegensatz ge-
richtet sind und aus der Allgemeinheit heraus-
fallen sollen. Gerade aus diesen, vom maler-
ischen Standpunkte aus berechtigten Erwä-
gungen erw^ächst der Wert solcher Gemälde,
die ins dekorative Gebiet hinüberragen.
Unter den poetisch veranlagten Künstlern
AuisUUunt Jttr ckriithciu
ST |0>EPH
Die chrlnllclie Kuiut.
:8 C^« X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN ms>
kommt in erster Linie A. Kühles in Betracht.
Er gehört zu den wenigen Malern, welche die
Natur als Basis ihres SchaiTens wählen, weder
sie nachmachen, noch ihre Motive sklavisch
benützen, sondern ihre Ideen, ihre Welt in
die Werke hineintragen, die uns mehr inter-
essieren als das alte Winkelwerk der Städte
und Burgen selbst, welche Kühles z. B. als
Vorwürfe wählt. Die Kunst hängt mit dem
menschlichen Empfinden so eng zusammen,
daß sie , sollte sie den Anschluß an die
Empfindungen des Gemütes verlassen, einer
wurzellosen Pflanze gleicht, die schnell dahin-
welkt. Am schönsten hat Kühles diesen An-
schluß in dem von idyllischem Zauber um-
wehten Bilde : Im Krug« gefunden. Auf
diesem Wege weiterschreitend, wird er uns
noch manch schön gemaltes Gedicht schenken.
Von den zahlreichen Bildnissen sind wenige
charaktervolle Leistungen zu verzeichnen,
manches wirkt direkt gleichgültig. Hervorra-
gend ist das umfangreiche Gemälde von Hub.
von Herkomer »Die Jury der K.Akade-
mie der Künste in London 1907.« Der leidige,
branstige Ton, den auch die Landsberger Bil-
der besitzen, kehrt auch hier wieder, sonst ist
das gewaltige Bild mit jener alten Faustter-
tigkeit gemalt, wie wir sie von dem zum Eng-
länder gewordenen Deutschen kennen. Alois
Erdtelt ist neben seinem trefllichen Selbst-
bildnis mit einem tüchtigen Kinderporträt ver-
treten ; Alexan d er Fuks mit dem schönen
vom Kunstverein her bekannten Porträt seiner
Gattin, ebenso Frank-Kirchb ach's Bildnis
seines Bruders, ferner H. Best, Leonhard
Blum. Recht kräftig im Ton ist das Reiter-
bildnis von Richard B. Adam, vornehm
und zart in der malerischen Behandlungsweise
das Porträt des Freiherrn von Münchhausen
von R. Schulte im Hofe. Von diesem
Werke aus finden wir den Anschluß an die
Luitpoldgruppe. Eine merkliche Trennung
von dieser und der Genossenschaft ist durch-
aus nicht bemerkbar. Im Gegenteil, die ältere
Korporation gewinnt von Jahr zu Jahr mehr
an Frische, wogegen die Luitpoldgruppe an
Blutleere zu erkranken droht. Nichtsdestowe-
nigerrinden wir hier die alten, bewährten Kräfte
und meist sogar an derselben Stelle wie alle
}ahre, gerade so, als ob diese gepachtet wäre.
Es läßt sich daher über die meisten Künstler
nichts Neues sagen; zumal bleibt Fritz B ae r
seiner Art treu. Das Bild vom Pilsensee so-
wohl als die »Morgenstimmung in den Bergen«
schließen sich seinen früheren Bildern an ; das
Vorherrschen der technischen Mache, das Ar-
beitenlassen des Materials war von jeher Baers
Stärke, damit soll der großen Anlage und An-
schauung nicht zu nahe getreten werden. Eben-
falls mit stark technischen Mitteln arbeitet Hans
Heider, sein herbstlicher Tannenwald ist wohl
unter den übrigen Bildern das beste. Weit ein-
facher und schlichter erscheint die großge-
dachte Landschaft von ErnstGerhard »Sturm
im öden Land'<. Eine ernste, fast dämonisch
wirkende Stimmung liegt über der trostlos
weiten Ebene. Karl Küstner hat in die ver-
schiedenen neuartigen Motive eine Bereiche-
rung hineingetragen, die erfreulich zeigt, wie
selbst ein schon längst zur Reife gediehener
Künstler weiterschreiten kann. Koloristisch in-
teressant und wirkungsvoll sind die tief beseel-
ten Landschaften von Wenzel Wirkner;
sie stechen um so bestimmter aus der Menge
heraus, die nur aufgenommen worden zu sein
scheint, um für die besseren Bilder eine halb-
wegs günstige Bei- oder Unterordnung zu
scharten.
Recht gute Naturstudien, positive Malereien,
die Ivoutine und Technik voraussetzen, sind
die drei Arbeiten von H e i n r i c h B r ü n e. Es
wird wohl niemand geben, der die beiden weib-
lichen Akte, vom modern technischen Stand-
punkte aus betrachtet, nicht vortrefflich fin-
den wird. Diese Studien sind mit den einfach-
sten Mitteln kräftig und sicher herunterge-
schrieben. Von einer Studie oder Skizze kann
man schlechterdingsnichtmehrverlangen. Aber
schließlich soll das alles nur Mittel zum Zweck
sein, denn die Notwendigkeit, mit den zeit-
genössischen Errungenschaften eine geistige,
gedankenvolle antinaturalistische Kunst zu
schaffen, die Technik, Form und Linie in den
Dienst der Idee stellt, dürfte wohl nicht un-
berechtigt sein. Brüne hat das Talent dazu und
wir können bei seiner Jugend horten, noch
einmal schöne Resultate seiner Kunst in edle-
rem Gevyfande zu sehen. Ähnliches gilt von
Georg Mayer-Franken, der aber im Ko-
lorit noch nicht das Lockere, Leichte erreicht
hat. R udolf Sc hie stl erfreute hier, wie
ebenso sein Bruder Matthäus in den ande-
ren Räumen der Genossenschaft mit einem
köstlichen Bildchen von echt deutscher Bieder-
keit; R. Willmann mit einem in altmeister-
lichem Charakter gehaltenen Fasan und Perl-
huhn«. Edel und vornehm in der Form ist
der allerdings nicht modern gemalte, dafür
um so ansprechender in der beabsichtigten
Idee gehaltene Frauenakt »Vanitas« von Alb.
Lang. WalterThors eigenartige Mosaik-
technik kommt wieder am schönsten in eini-
gen Bildnissen zur Geltung, unter denen das
Doppelbildnis des Malers und seiner Frau am
glänzendsten und ausgeglichensten, auf einer
erstaunlichen Höhe des Könnens angelangt ist.
O^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN *^a 339
Recht buntfarbig und heiter geht es in der
Scholle zu. Daß ein Weitcrschreiten auf
diesen zur rein dekorativen Wirkung zielen-
den Effekten nicht möglich ist, wurde schon
früher betont, trotzdem muß man mit l'reu-
den anerkennen, daß die starken Talente sich
mäfiigen, sowohl in Extravaganzen als in Lor-
maten der Bilder. Das stärkste Talent ist un-
streitig Fritz Erler, erstellt eine Kollektion
Bildnisse aus, von unerhörter Farbenfreude.
Vor tapetenartig gemusterten Wänden malt er
die Menschen mehr als farbige Erscheinungen,
denn als Individuen. Um dies recht zu ver-
ÜES HL. S r.WISI.AL'S
stehen, muß man sagen, er malt sie im Gegen-
satz zu Lenbach als Stilleben, sie sind Licht-
und Farbenträger, wie etwa ein Blumenbukett
es sein kann. Auch das ist ein Ziel der Ma-
lerei, wenngleich nur ein dekoratives, ein zum
Plakat hinneigendes. Am besten kommt dies
Prinzip in dem Bildnisse einer Dame in Rot
und dem eines Herrn in Schwarz und Rot zur
Geltung. V'on den weiblichen Akten, die ja
stets gern als Motiv in der Schollegruppe ge-
wählt werden, überragt der in Freilicht ge-
malte von L. Putz nicht allein alle andern,
sondern auch die sonstigen Arbeiten dieses
41*
340
E5^ SULPIZ BOISSERfiE »^iS
^^^^^^^^^Ms^
■
H
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mmk'
4t^
^1
Secession zeigt uns eine Überfülle von
solchen Künstlern, deren Prinzip im
Schaffen nicht auf höhere Kunstziele
gestellt ist, sondern die in vagen Stim-
mungen und Gefühlen sich ergehen,
aber diese nicht festbannen oder gar
verkörpern können, weil der Wille zur
Mrlüllung entweder nicht stark genug
oder die Kraft zur Tat nicht ausreicht.
\'orläufig sehen wir, daß das Skizzen-
hafte, Unfertige und Rohe, im Sinne
des Nichtgekonnten die Kunsttorm,
wie sie vielleicht gedacht war, ersetzt.
(Forts, folgt)
SULPIZ BOISSEREE UND
SEIN WERK
A'^
M \\ü^■K;\cs^■ ciiHisi rs '
A:,ssMl„„g /ur .iirhtlkhe Kunü, rhi^scU.'i/ i.:u,;.
Co/-ylig>il /'.V Konyvcs Kalmiin A. C, Binhipeit
Strebsamen Künstlers. Als weitere bedeutende
Arbeit muß das große Bild Mutter lirde« von
Rob. Weise anerkannt werden. Wir sehen
eine Frau mit Kindern in weiter Landschaft,
Getreidefelder dehnen sich aus und Sonnen-
glut und Farbenglanz belebt die schlichte, aber
groß und miichtig empfundene Gruppe. Weise
gehört sicherlich zu den Besten der Scholle.
Walter Püttners >.>Musikanten :, um einen
grüngedeckten Tisch versammelt, zeigen einen
koloristischen Reiz, aber auch hier steht dem
rein künstlerischen Prinzip die dekorative Art
entgegen, die wenig Wert auf die Qualität der
Malerei selbst und noch weniger Wert auf die
feineren Abstufungen der Töne legt. In weit
höherem Maße verfällt in diesen Fehler Franz
Voigt mit seinen drei Bildern und auch Ad.
Münzer ist nicht davon freizusprechen, ob-
gleich die Dame im Grünen im grünen Ge-
wandeauf eine harmonische Gesamtstimmung
hindeutet. Ein von diesen mehr abseits stehen-
der Künstler, der innerlicheres Versenken in
die Natur bei all seinem Schaffen bekundet,
ist Erich Erler und sind sein Sommer",
und »Stiller Tag« von eigenartigem Reiz, der
noch Besseres erhoffen läßt. Der allgemeine
Eindruck dieser Säle sowie der folgenden der
Von A. BLUM-ERH.'XRD
n einem schönen Frühlingstage des
Jahres 1 804 spazierten über den Neu-
markt in Köln zwei junge Leute von
18 und 21 Jahren, vertieft in einen
philosophisch-ästhetischen Diskurs mit
ihrem Lehrer und Freund Friedrich
Schlegel. Auf ihre Bitten war er nach
Köln gekommen, um hier die Vor-
uDii:) lesungen fortzusetzen, dieerihnen, den
beiden jüngsten Söhnen des Kölner
Handelsherrn Boisseree, während der
Herbst- und Wintermonate zu Paris in der
Rue Glich}' in dem ehemaligen Hotel des
Baron Holbach gehalten hatte. Sie hingen
mit großer Verehrung an ihm. Neben den
Schriften Goethes und Tiecks hatten sie auch
die seinen gelesen, waren durch sie veranlal?t
worden, den Kaufmannsstand zu verlassen und
mit glühendem Sinn nach jenem goldenen
Schein zu blicken, den die Kunst, und nur
die Kunst, ins menschliche Leben und über
den Alltag zu werfen vermag. Ein Besuch, den
der ältere der beiden, der junge Sulpiz, um
dieselbe Zeit in Düsseldorf abstattete, ver-
stärkte das Interesse, das jene Lektüre erweckt
hatte. Denn er kam dort in die eben wieder-
eröffnete berühmte Gemäldegalerie, die vor
den Schrecken des Krieges über den Rhein ge-
flüchtet worden war, und sein empfängliches
Gemüt trug die tiefsten und bleibenden Ein-
drücke mit fort. Seinen jüngeren Bruder Mel-
chior und seinen, die Rechte studierenden
Freund Bertram verstand er durch seine be-
geisterten Berichte derartig zu entflammen,
daß sie sich ihm bei seinem Ausflug nach Paris
anschlössen.
Hunderte von Künstlern und Kunstfreunden
pilgerten damals an die Seine. Das Gerücht von
341
MARTIX I-l-.UnRSTEIN
111,, onniA
Aussirltung Jitr ihrisliune Kun.l, DuiStUoi/ iqag
342
©^ SULPIZ BOISSRREE »-^«a
dem köstlichenRaube, den Napoleon Bonaparte
auf seinen ]£robei"ungszügen durch Italien und
durcli die Niederlande als erster Konsul an sich
gerissen und in Paris aufgestellt hatte, jenes Ge-
rücht verfehlte seine anziehende Macht auch
bei Sulpiz Boisseree nicht. Voll von den wun-
derbaren Eindrücken, die er dort empfangen
und für die ihm durch Schlegels weise Führung
erst das richtige Verständnis aufgeblüht war,
ging er an jenem Frühlingstage Anno 1804 über
den Neumarkt zu Köln. ZweiMänner kreuzten
seinen Weg. Sie trugen auf einer Tragbahre
allerlei alten Hausrat, der seinem Eigentümer
im Wege stand und nach einem Holzschuppen
in der Nähe zu anderem Gerumpel gebracht
werden sollte. Aber unter dem wertlosen Kram
entdeckte Sulpiz eine bemalte Tafel, die trotz
Staub und Spinngewebe eines Meisters Hand
erkennen ließ. Sulpiz beschloß, das Bild dem
Untergang zu entreißen. Er erwarb es um
eine geringe Summe, von der Zustimmung
seines väterlichen Freundes angespornt, und
brachte es heimlich, um dem Gespött der ver-
ständnislosen und laclilustii7en Nachbarschaft
zu entgehen, durch die Hintertür ins elter-
liche Haus. Auf der Treppe begegnete dem
jungen Kunstmäcen seine alte Großmutter,
eine fromme, von ihm hochverehrte Frau,
die schon seit dem frühen Tode seiner Mutter
die Erziehung der Boissereeschen Kinder mit
verständiger Hand leitete.
Schweigend betrachtete sie lange das alte
Gemälde und voll Rührung beglückwünschte
sie den Enkel zu seinem Kauf. Tiefer als sie
ahnte, hat ihn ihr Segen in jener Stunde be-
rührt, ist ihm ein Ansporn geworden, von
den Schätzen, die eine wilde, ungebärdige,
verständnislose Zeit verschleuderte, zu retten
und aufzubewahren, was in seiner Macht stand.
Und so ist dieses Bild, von der Hand eines
niederrheinischen Meisters um das Jahr 1500
gemalt, »eine Kreuztragung mit den weinen-
den Frauen und der heiligen Veronika'< —
der Grundstock jener reichen Sammlung ge-
worden, die heute unter dem Namen der
: Boisseree-Sammlungs die niederrheinischen
und niederländischen Schulen umfassend, in
der Pinakothek zu München sich befindet.
WILHELM STKINHAUSEN
Ausstellung für christliche Kuust, Dnsseldcr/ iQog
JESUS UND NIKODEMUS
SJB^ SUPLIZ BOISSERH1-: »^Ö
343
WILHELM SIEINHAUSEN
MOSES UND DER FEUKIGE DOUN'BLSCH
Ausstellung _fiir christliche Kunst, Düssehiiirf iqog
Niemand hatte sich bisher um diese ähesten
Meister gel<ümmert. Fürsten hatten seit jaiir-
hunderten Gemälde gesammelt und Galerien
angelegt; aber immer waren es die Kunst-
werke eines Rubens, eines Van Dyck, Rem-
brandts, Teniers und Zeitgenossen, die sie zu
erwerben trachteten. Der Sinn für die \'or-
iäufer dieser Großen fehlte. Unscheinbar, nur
der Andacht verständlich, bargen sie sich in
Kirclien und Klöstern und selbst von diesen
stillen angeerbten Plätzen wurden sie gerissen,
als die Revolution in die Speichen des Welten-
rades eingriff und die Verweltlichung geist-
licher Länder und Güter statthatte. Wertlo.ses
wie Wertvolles wurde entfernt. Kann man
die kunstungebildeten Kommissäre verantwort-
lich machen für das, was verloren ging, wenn
selbst die Galeriebeamten von Unkenntnis der
Meister des 15. und 16. Jahrhunderts und ihrer
Werke strotzten und keine .\hnung von den
Hauptschulcn damaliger Zeit hatten, sondern
alles mit dem Namen altfränkisch', belegten"'
^'erschiedL•Ile l)in"e mögen zusammenge-
wirkt haben, um den Sinn des jungen Sulpiz
auf die Kunst des Mittelalters zu richten. \'iel-
leicht war es vor allem die örtliche Umgebung,
das .hillige Kölns an den Utern des Rheins,
von Sage und Legende umwoben , das mit
seinem gewaltigen Dom und seinem Reich-
tum romanischer Kirchen gewaltigen Hindruck
auf den empfänglichen Knaben machte. Das
alte väterliche Haus, mit dem \'orrecht alter
ehrwürdiger Häuser, hat aus Winkeln und
Lcken auf ihn eingeredet. Ls bekam einen
feierlichen Ximbus, wenn der Herr Pate, der
Propst von Langwaden, dort einkehrte. Und
ein Strahl davon floß um Sulpiz' fLiupt, wenn
er seine Großtante, die Priorin des dortigen
Nonnenklosters, besuchen durfte. In ihrem
weißen festlichen Ordenskleide ist ihm die
sanfte Frau unvergeßlich geblieben.
Haben die herrlichen Kirchen und Klöster
seiner X'aterstadt den Keim zu seiner späteren
Tätigkeit gepflanzt, gehegt und großgezogen
ist er worden durch die Menschen seiner Um-
gebung: durch den treuen rechtlichen \'ater,
344
©^ SULPIZ BOISSHRFE J^ä
FRANZ \AN LEEMI'UITEN HRSTK HI KÜMMIXION
AuiStfllung für ihriitliclic Kunst. Duss,-lJ,n/ IQOO
der sehr jung von Mastricht herübervvanderte
und ehrenvolle Ämter in Köln erwarb; durch
die treffliche fromme Großmutter; durch die
verklärte Erscheinung seiner frühverstorbenen
Mutter; durch den würdigen Propst und die
schöne Priorin von Langwaden; durch den
ältesten Bruder Nikolaus, der sich dem geist-
lichen Stande widmete und an dessen Hand
Sulpiz durch festlich geschmückte Kapellen
und Kirchen wanderte.
Gewiß war es dies Aufwachsen unter wahr-
halt frommen Menschen, das Sulpiz' religi-
ösen Sinn stählte. Was einen so echt deut-
schen Mann aus ihm machte, das waren die
Schrecken und die Trübsal seiner Jugendjahre.
Im Jahre 1785 geboren, erlebte er all die
Durchmärsche und Einquartierungen öster-
reichischer und französischer Heere. Er er-
schreckte sich an dem Anblick und dem Be-
nehmen der sanskulotte-artigen Soldateska
des Franzosenreichs, die, mit nackten Füßen
in hölzernen Schuhen, Teppiche und Tapeten
an Stelle der Mäntel trugen und die erbeu-
teten Lebensmittel an ihren Bajonetten auf
spießten; die jeden Kölner mit »Bürger« und
du?: anredeten und ihm, ohne »mit Ver-
laub< zu sagen, die stählerne Uhr aus der
Tasche seiner weißseidenen Weste zogen —
auf Nimmerwiedersehen. Kein Wunder, daß
dadurch die wütendsten Freiheitsschwärmer
sich zu dem Biedersinn des Kölner Jungen
bekehrten, der seine Abneigung gegen den
Franzmann selbst in dem lockenden schönen
Paris nicht verlor. Wie bitter mußte er, bei
seiner Rückkehr aus Hamburg, beim ^'er-
kissen eines geistig hochstehenden Kreises,
die dumpfe Stille seiner Vaterstadt empfin-
den! Wie trauerte er über den Druck, der
auf seinem lieben prächtigen Köln lastete !
Wie haßte er die Eindringlinge, die aus der
alten freien Reichsstadt eine französische
Provinzialgrenzstadt gemacht hatten ! Selbst
die zärtliche Liebe seiner Geschwister ver-
mochte nicht, ihn zu trösten oder gar zu
ersetzen, was er mit Hamburg verloren.
Da gewann er einen gleichgesinnten Freund.
Der um sieben Jahre ältere Bertram, deri
Rechtswissenschaft studierte, gab ihm alles,)
wonach sein junger Geist dürstete. Er er-
öftnete ihm Ausblicke und zeigte ihm Wege,
dahin zu gelangen. Er bewog ihn, zu stu-
dieren, besiegte Sulpiz' Bedenken, daß es
zu spät dazu sei — und half ihm aus den
Fesseln eines Berufes, der ihm nie zugesagt
hatte. Sulpiz sagte dem Kautmannstand Va-
let. Sein Beispiel und seine Überredung ver-
anlaßten den um drei Jahre jüngeren Mel-
chior, den Benjamin der Boisserees, den
gleichen Schritt zu tun. Es entstand ein
Dreibund, der ein Menschenalter währte. Vom
gleichen Eifer beseelt, strebten alle drei nach
dem gleichen Ziele. Immer blieben sie bei-
sammen. Nie trennten sie sich, außer wenn
es der Vergrößerung oder der Zukunft ihrer
Sammlung galt. Aber nun ward Sulpiz der
Führende. Wie ging er den Spuren alter
345
Ausittllutig lies SaUn t der Societi
nationale des Beaux Arts, Paris
'S"»"» MAURICE DENIS
MARIA HEIMSL'CHUNG
Di« cUrislllrhe KunM V.
346
Z^S^i SULPIZ BOISSERliE m(ä
Bilder nacli! Wie horciite er hin, wenn be-
tagte Leute von diesem und jenem Gemälde
berichteten, davon sie selbst als Kinder hatten
wie von etwas sehr Wertvollem reden hören !
Wie forschte er nach dem Verbleib und wie
beglückt schrieb er dem Bruder und dem
Freunde, wenn seine Bemühungen von hr-
folg gekrönt waren ! Wahrlich, ein seltener
Mensch, der zu einer Zeit, da sich selbst die
besten deutschen Manner ihres Deutschtums
nicht zu rühmen wagten, ohne Aussicht aut
Lohn oder Ruhm oder Anerkennung, ganz
in der Stille sich mühte, die alte deutsche
Kunst der \'ergessenheit zu entreißen !
Manches Sparstück, manche treubehütete
Kostbarkeit wurde geopfert, wenn es sich um
den Erwei b einer neuentdeckten Tafel handelte.
Und wo fand sie sich oft? In welchem Zu-
stande! Hier als Tischplatte, als Fensterladen
— hatte sie anderswo bei einem Tauben-
schlag \'erwendung gefunden ! Manchem
Händler, der altes Eisen oder Glocken kaufte,
ward irgend ein allzuschweres überflüssiges
altes Gemälde dazugegeben, das dann ebenso
überflüssig und unbeachtet in einem Schuppen
umherstand. Was alles mochte in den Kreuz-
gängen der leeren Klöster geblieben sein,
von jahrhundertelangem Staub und stetig er-
neutem Spinngewebe überzogen? Und wie
mancher gedankenlose Hüter dort hatte solch
eine Holztafel, wenn der harte Winter kam,
zerkleinert und in den Ofen gefeuert?
Wie jammervoll wollte es Sulpiz erscheinen,
daß hier unersetzliche Werte vernichtet waren.
Es ließ ihm nicht Ruhe. Nicht bloß sammeln
wollte er — nein, auch gründlich unterrichtet
sein, was vorhanden und allenfalls zu retten
war. Er begann, Kunstgeschichte zu stu-
dieren. Aber mit der erweiterten Erkenntnis
erweiterte sich das Ziel. Hatte er zuerst bloß
den Plan getragen, altvaterländische Kunst-
werke aufzustöbern und dem Untergang zu
entreißen, so reifte nun der Wille, die Reihe
von Tafelgemälden der altkölnischen Schule
nach Möglichkeit zu vervollständigen. Und
in dieser Bestrebung erfuhr er zu seiner
Freude, daß zweifellos alles, was wirklichen
Wert besaß, doch noch bestand.
Der Ruf dieser alten Altar- und HeiHgen-
bilder hatte sich selbst dann noch erhalten,
wenn der Geschmack einer anderen Zeit sie
von ihrem ursprünglichen Platze verdrängt
hatte. Man wußte, man sprach noch von
ihnen. In Nebenkapellen, Kapitelsälen, in
Sakristeien und Schatzkammern harrten sie
der Auferstehung. Als so viele geistliche
Gemeinden aufgehoben wurden im Jahre 1803,
erinnerte man sich auch der alten Bilder oder
fand sie vor. Sie freien in die Hände der
\'orsteher : beibehaltener ' Kirchen, sofern
nicht die Ausgetriebenen Anspruch erhoben.
Nach und nach entledigten sich diese Per-
sonen der Kunstschätze durch Verkauf. Auf
diesem Wege, der weitläufig und mühselig
war, geriet manches Bild in den Besitz der
unermüdlichen Boisserees. Wie der Erwerb,
so erforderte auch die Wiederherstellung der
alten, oft mit Krusten von Schmutz bedeck-
ten oder übermalten Tafeln viel Zeit und
Mühe. Die Freunde ließen es daran nicht
fehlen, und nach und nach gestatteten sie
Auserwählten den Zutritt zu ihrem Heilig-
tum <, den Zimmern, in denen sie die lieben
Schätze verwahrten.
In seinem zehnten Jahre hatte Sulpiz wäh-
rend der Einquartierung der Österreicher bei
einem Ingenieur-Offizier voll kinderhaften
Staunens die ersten Zeichnungen und Ent-
würfe und Pläne gesehen. Fünfzehn Jahre
später finden wir ihn, selbst messend, selbst
entwerfend, selbst zeichnend. Eine hohe
stille Liebe hatte ihn zeitlebens an den Dom
von Köln gebunden. Sie war nicht er-
loschen, während er den Heiligen auf Gold-
grund nachspürte und durch Wort und Schrift
sich über die Werke der alten Meister be-
lehrte. Eine zarte Pflanze, war sie zum kräf-
tig schattenden Baum gediehen. So stark
war diese Liebe, daß sie den vernachlässigten
zerrütteten Zustand des nie zur Vollendung
gediehenen Baues nicht länger dulden wollte.
Mit Feuereifer machte Sulpiz sich ans Werk,
den Dom auszumessen, Entwürfe zu zeichnen
und sie von verschiedenen Künstlern aus-
führen zu lassen. In diesen Zeichnungen
führte er vor, wie diese schönste Kathedrale
Deutschlands, aus der die Franzosen seit dem
Jahre 1796 ein Frucht- und Fouragemagazin
geschaffen, einstens war und wie sie nach
ihrer Vollendung erscheinen sollte. Soweit
war es bereits gekommen, daß dem herr-
lichsten Bauwerk deutscher Gotik der Ein-
sturz drohte. Sulpiz selbst vergleicht den
Dom mit einem : vom Sturm verheerten, halb
entblätterten Walde« und feiert nach längerer
Abwesenheit ein trauriges Wiedersehen, von
dem sein Herz erbebt, mit dem Dom, — wie
;mit einem alten Freunde, der an einem
tödlichen Übel krankt!:
Sulpiz' Eifer erreicht, daß der damalige
Kronprinz von Preußen, der spätere König
Wilhelm 1\'., sich für die Sache erwärmt.
Die Bauschäden werden besichtigt. Weitere
Kreise fangen an, sich zu interessieren. Mäh-
lich begeistert sich das deutsche \'olk für den
Plan einer Wiederherstellung; des Domes. Eine
M7
vorffu von II : -.: Riimaiiii
r/iihrt li'H Ahys iMayrr o
PHTTI-NKOKnKDLNKMAI.
IN MUNCIIHN is<s»s«««is
348
©^ SULPIZ BOISSEREE J^öS
bedeutende Summe wird vom König dafür
geneiimigt. Langsam, ganz langsam geln es
an die Ausfülirung. Zu langsam für Boisserees
Ungeduld, die nicht rastet. Dichter und Ge-
lehrte, Künstler und Fürsten, selbst den Kaiser
Franz I. v. Österreich für den Bau zu inter-
essieren. Im Jahre 1823 sieht er endlich den
Beginn der mühevollen Arbeiten. Mit seiner
Schrift »Geschichte und Beschreibung des Doms
zu Köln-., fördert er sie nach Kräften; denn
das große Werk will unendlich viel Verständ-
nis, Fleiß und Begeisterung.
FRANZ CLliVE
KREU/JGUNGSGKUl'PE
■•£l. H. 2, Biil. S. II.
Sulpiz Boisseree, der 'erste Protektor des
Doms :, wie ihn der König scherzweise und
anerkennend nannte, hat die Vollendung nicht
mehr erlebt. Aber vielleicht war es seines
reichen und gesegneten Lebens schönster Tag,
als er, geladen vom König von Preußen, am
4. September 1842 der Grundsteinlegung zum
Ausbau der Türme beiwohnte. Ein köstlicher
erhebender Augenblick ! Wie eine warme Welle
strömte die Begeisterung von einem zum an-
dern. Was an jenem Tag geschah, ein be-
glückendes Geschenk war es, das der König
dem Volk, das das Volk dem König
machte. Alle kamen sich nah, von
gleichem Gefühl durchdrungen.
Sulpiz, tiefbewegt, gedachte jenes
Tages im Jahre 181 3, da er seinem
Gönner, dem damaligen Kronprin-
zen, die Domzeichnungen vorge-
legt. Auch der König mochte daran
sich erinnern, als er dem Vielge-
treuen eigenhändig den roten Adler-
orden dritter Klasse überreichte.
Was hatte Sulpiz Boisseree erlebt,
bis jener testliche Tag ihn zurück
nach Köln führte? Der wichtigste
Abschluß in seinem bewegten Le-
ben lag längst hinter ihm. Wir
haben ihn gesehen, wie er anstatt
dreier kurzer Wochen sechs Monate
im Hause Schlegels in Paris ver-
brachte, im iolgenden Frühjahr auf
dem Neumarkt zu Köln den ersten
Gemäldeankauf betätigte und vier
fahre später in den Wintermonaten
von der Wiederherstellung und dem
Ausbau des Domes träumte. Träum-
te, und für ihn schuf. . . . Im Jahre
iSio siedelten die drei Freunde mit
ilirer inzwischen stattlich herange-
wachsenen Gemäldesammlung nach
Heidelberg über. So wohl, so glück-
lich hat sich Boisseree nirgends
sonst gefühlt. Fand er doch hier
Freundschaft und geistige Anre-
gung und Belehrung wie nirgend
anderswo! Von hieraus auch spann-
ten sich die feinen Fäden nach Wei-
mar, die mit einem kurzen Aus-
tausch von Brieten anhoben und
zu einer herzlichen großen Freund-
schaft sich verdichteten. Goethe
lud den jungen Boisseree zu sich.
Man hatte ihm von den Domzeich-
nungen gesprochen. Sulpiz bat, sie
vorlegen zu dürfen. Im Mai 181 1
sah er sich bei derii damals Einund-
sechzigjährigen. Er stellt seinen
ö^ DAS MARKISCHE MUSEUM ZU BERLIX »■^ö
349
.a-;\VOLßKMALERi;i IX DER KIRCHE /U GACHESl'Ai
yor der Resttutrifntn^, Tfxt S.JJ/
Mann dem großen Dichter gegenüber, der
ihn anfangs etwas von oben her behandelt,
aber bald von lebhaftem Interesse für den
jungen Sammler und Gelehrten erfaßt wird.
Vor allem ist es : der von jeder grimassen-
haften Zutat freie Enthusiasmus Boisserees*)
für seinen speziellen Gegenstand, sein reiner
frommer Sinn und wahre Weltkenntnis«, was
Goethe an ihm zu schätzen weiß. Über Dinge,
denen nachzuforschen er selbst nicht Zeit hat,
möchte er sich von Boisserce belehren lassen
und so entsteht ein Briefwechsel, der in ein-
undzwanzig Jahren keine Unterbrechung
erfährt. Schluß folgt.)
DAS MARKISCHE MUSEUM ZU BERLIN
Von Dr. H.AXS SCH.MIDKUNZ (Berlin-Halensee)
7\vei Sammlungen sind in der jüngsten Zeit aus engeren
älteren Verhältnissen heraus in bequemerer Weise
vor die Öffentlichkeit getreten. In Dresden wurde der
Neubau des auf 1876 zurücligehenden Königlichen Kunst-
gewerbemuseums am 8. Dezember 1907 eröffnet. Die
namentlich als kunstgewerbliche Vorbilder gedachten
sehr reichen Schätze haben dort vorläufig so weite und
so helle Räume erhalten, daß schon dies den Neid von
weniger günstig gestellten Sammlungsleitern, doch auch
•) Brief Goethes an den Grafen Reinliard.
neue Zweifel an einer .\ufstellungsweise erwecken kann,
die weniger den Objekten als der '.Aufmachung' dient.
Das Museum zeichnet sicli im übrigen besonders durch
seine Beiträge zur Te.xtil- und zur Met.illkunst aus und ent-
hält in einem eigenen Kapellenraume wichtige Gegen-
stände christlicher Kunst, zumal sächsischer Herkunft
aus dem 17. Jalirhundert.
Nach 5.) jähriger Kümmerlichkeit der Behausungen
ist das Berliner .Märkische .Museum am 10. Juni 1908 in
einem eigenen großen Gebäude dem allgemeinen Be-
such eröffnet worden. Die Architektur von Ludwig
Hoffmann bemüht sich, das besonders in München
bekannte Prinzip der kunsthistorisch gegliederten Be-
standteile zu verwerten, und huldigt dem jetzt so be-
liebten Grundsatze der lebensvollen Ausstattung in einer
Weise, die uns trotz vieler V'orzüge dennoch einen Ge-
gengrund zu bedeuten scheint. Gerade die charakteristi-
schesten von den so arrangierten Räumen sind .illzu
dunkel geworden, als daß die Gegenstände genügend
zur Geltung kommen könnten; wozu auch noch stim-
mungsvoll trübe Fenster beitragen. N'ur wenige, hoch-
gelegene Räume, zumal für neuzeitliche Details, sind
so hell und bequem, wie wir es schließlich von jeglichem
Museumsraume wünschen.
Die Vorderansicht, gegen die Spree zu, ist in einer
sehr primitiven märkischen Frühgotik gehalten. Reichere,
spätere Formen dieser An, neben Renaissanceformen,
bilden die Rückansicht des Gebäudes gegen den Köllni-
sehen Volkspark zu und lassen auf einen hübschen hüge-
ligen Garten blicken.
Das Innere birgt Objekte von jeglicher Richtung, die
zur Kenntnis der Provinz Brandenburg einschließlich der
Stadt Berlin beitragen kann, großenteils zusammenge-
bracht von dem Berliner Stadtrat lernst Friedel, der
dafür den Spitznamen ».-Vnnexander der Große< erhalten
350
??m DAS MARKISCHE MUSEUM ZU BERLIN ma
MALEREIEN DER KIRCHE ZU GACHENBACH
ij P,esl,ytenu,„. Nach d,r Res/aiiri.-rung. Vgl.
hat. Xur ein kleiner Teil der S.ininiluna wird dem Publi-
kum t;ezeigt; Jas übrige bleibt für Studienzwecke m.itja-
ziniert.
Die Unterbringung der Scliatze in den verschieden-
artigen Räumen, mit äußerst interessanter Verteilung
beispielsweise von Reliefs in den Wänden, geht ersicht-
lich auf jahrelange Mühen zurück und düri'te beinahe
ein Unikum in der Museumstechnik bedeuten. Natürlicli
übergehen wir hier alle die mehr äußerhchen Angaben
über das Museum. Uns interessiert hier hauptsächlich
nur das Christlich-Künstlerische. Das Museum ist natür-
lich mehr Kultur- als Kunstmuseum; trotzdem wird die
künstlerische Ausbeute nicht gering. Auf unserem Gebiete
tällt ein reichliches Streben nach einem guten Realismus der
Darstellungen auf, das aber doch ungefähr in de m Maße
hinter der Vollkommenheit zurückbleibt, wie wir es eben
mit einem künstleriscli nicht günstigen Landesboden zu
tun haben.
Die Vorhalle enthält eine vielleicht nahezu als einzig
zu betrachtende hl. Anna selbdritt, umrahmt von einem
Hirschgeweih; wohl aus dem i6. oder 17. Jahrhundert.
Eine große Malle birgt fast lediglich Idrchliche Kunst.
Aus dem 13. und i4, Jahrhundert stammen Figuren der
Madonna (buntbemalter Stein) usw.; dazu Aitarflügel
von etwa 1500, ein Sakramenthäus'chen von 13 16, u.
dgl. m.
Wie die Metallkunst der Grabkreuze, der Gitter (zum
Teil in den Durchgängen angebracht) usw. wohl das
künstlerisch Bedeutendste der Sammlung überhaupt aus-
machen dürtte, so werden wir bereits hier vor Proben
dieser Kunst gestellt. Auf einem solchen Kreuze stehen
die Worte: »Heute mir. Morgen Dir«; und: >In mein
Lebensjahren Dacht ich an die Totenbahren«. — Aus
der Empirezeit stammt ein Grabrehef in Stein.
Die ausgedehnte prähistorische Sammlung schließt
in Raum 9 mit der Wendenzeit, 6. bis 12. Jahrhundert.
Wir erinnern uns, daß seit 927 König Heinrich I. die
Mark deutscli und christlich gemacht hat, daß sie aber
seh 9S5 uns wieder veiloren ging, bis erst 1 1 54 .Mbrecht
der Bär das Verlorene zurückgewann. So ■
fehlen denn auch in den abschließenden
Gruppen dieser Sammlung, z. B. in den
>' Hacksilberfunden« , Erinnerungen an
Christhches. Lediglich ein paar Kreuze aus
Filigran, der zweiten Hälfte des ii.Jahr-
liunderts angehörig,mögen hier eine solche
Spur bedeuten.
Wir beginnen, die Kulturgeschichtliche
Abteilung zu durchwandern, und werden
in Raum 19 durch eine Gruppe von Werken
überrascht, wie sie uns in den Museen nicht
eben geläufig sind. Wir meinen Ofen-
platten, von 1542 an bis ins 18. Jahrhun-
dert hinein, in Berlin und der Mark an-
scheinend besonders gerne verwendet.
Diese Ofenplatten, »reich und trefflich
ornamentiert«, enthalten neben den be-
kannten pathetischen Formen der Wappen,
der mythologischen Figuren u. dgl. m. auch
^t^i^ zahlreiche biblische Darstellungen. Am
^hJi'^ interessantesten war uns eine des Abend-
~^* mahles, .anscheinend auf eine frühe Zeit
zurückgehend, in starker Zusammendrän-
gung der Figuren und mit einer deuthchen
Beimischung des Motives von der Hoch-
zeit zu Kana. Außerdem Szenen des ver-
lorenen Sohnes, der Krippe, der Heiligen
Drei Könige, der Taufe, der ^\'undertaten
(nach Matthäus 9 aus 1 587) u. dgl. m. Zu-
, 5. jj, gleich können wir der Formengeschichte
von der Renaissance an lolgen.
Durch graphische und andere Schätze
hindurcli, an zahlreichen Portrats vorüber, sowie unter
kirchlichen Kronleuchtern, betreten wir das oberste Stock-
werk und finden dort u. a. ein Spreewaldzimmer (35), bei
dem uns als Gegensatz gegen die süddeutschen Bauern-
stuben mit ihrem .Herrgottswinkel« usw. das fast völlige
Felilen cliristhcher Svmhole oder Kunstwerke und das
völlige Fehlen einer eingewurzelten Kunst solcher Art
auffallen.
In dem Räume für die Keramik (54) bemerken wir
unter mehreren Ofenkacheln aucli eine, welche eine
Christusfigur darstellt, anscheinend den Auferstandenen,
mit üppigem blondem Haar, in den Händen Kreuz und
Kelch. Als eine .Seltenheit wird uns hier ein tönernes
.\t]uamanile in Form eines Löwen gezeigt, während
zahlreiche Aquamanilien u. dgl. aus Metall keiner beson-
deren Erwähnung bedürfen.
Durch ein berlinisches Biedermeierzimmer von 1830
hindurch, mit treftlich gebauten Stühlen, dessen Ver-
ständnis u. a. auch durch einen Blick auf den Empire-
schrank von 1801 in Raum 47 ergänzt sei, gelangen
wir in die Räume 37 — 39, welche der eigentlichen kirch-
lichen Abteilung gewidmet sind. An Medaillen für kirch-
liche Ereignisse vorbei kommen wir in den kirchlichen
Hauptraum (38). Sein Hauptstück ist ein Hochaltar aus
Fehrbellin, um das Jahr 1500. Passionsszenen usw. in
bemalter Holzschnitzerei füllen das Mittelfeld und die
Flügel im Innern, während deren Außenseiten mit ähn-
lichen Szenen bemalt sind. Dazu eine geschnitzte Grab-
legung in der Predella. Mehrere andere .Altäre, Heiligen-
figuren, Kirchenleuchter und liturgische Geräte bereichern
das übrige des Raumes. Darunter soll sich auch der
Kelch befinden, aus welchem Kurfürst Joachim II. 1539
zum ersten Male das Abendmahl nahm und damit den
Protestantismus in der Mark einführte.
Durch einen Raum (39) mit viel kirchlicliem Klein-
werk, unter welchem Weihrauchgefaße romanischer und
gotischer Form hervorragen, gelangen wir in die Räume
der Metallkunst; hier erfreuen uns wiederum wertvolle
Grabkreuze und außerdem messingene Taufbecken. —
»^ WANDMALEREIEN IX DER KIRCHE ZL' GACHEXBACH »«SO
551
MALEREI AK DER LINKEN WAND DES PRESBYTERIUMS I\ DI;R KlRCHIi /U ÜAClll:NHACH
Xttch der Rfstaurifrung. Text unten
Der dem Innungswesen gewidmete Saal (46) zeigt dieses
Wesen noch bis ins 19. Jahrhundert hinein kuhurell und
einigermaßen l<ünstlerisch lebendig.
Soweit die Ausbeute für uns. Dazu noch die Er-
kenntnis, wie überaus viel sich auf dem Gebiete der
lokalen Museen tun läßt, wenn man nur wirklich so
energisch vorgeht, wie es dort geschehen ist. Wozu
allerdings auch ein Gefühl für nationale und speziell
heimische Tradition gehört, das vielleicht dort nicht am
geringsten ist, wo sich der Kulturboden muß als >sandig<
verrufen lassen.
WAND.MALEREIEX IX DER KIRCHE ZU
GACHEXBACH
In den Jahren 1905 bis 1907 wurden in der l'ilialkirche
zu Gachenbach, unweit Schrobenhausen in Hayern,
künstlerisch wertvolle Wandgemälde gefunden, bloßge-
legt und restauriert. Die Wiederherstellung, mit der
auch Neuarbeilen im Charakter des Vorhandenen ver-
bunden waren, lag in den Händen des Professors Jakob
Bradl in München. Herrn Pfarrer Karl Wunderer ver-
danken wir darüber folgende Mitteilungen und die von
uns S. 5.(9 — 5)1 reproduzierten .-Xbbildungcn. Die N'ord-
wand des Presbvteriums bedeckt ein ini frühgotischen
Charakter gehaltenes Jüngstes Gericht. Über die Ausma-
lung der Gewülbczwickcl dieses rechteckigen Raumes um
I4SO geben die Abbildungen S. 5.19 und jjO Aufschluß.
Jedes der vier Felder enthält ein j^vangclisicnsymbol unJ
daneben zwei Engel mit Leidenswerkzeugen und Anspie-
lungen auf das Leiden Jesu. Die Mitte nimmt das Antlitz
Christi ein. Abbildung S. 549 gibt eine gute Vorstellung
vom Zustand der Deckcnbilder vor der Restaurierung.
Außerdem wurden am romanischen Chorbogen alte
Malereien aufgedeckt, welche sich auf das Altarssakrament
bezogen und soweit es sich erkennen licß.ikonographischcs
Interesse boten, jedoch nicht gerettet werden konnten.
352 SONDERAUSSTELLUNG FÜR CHRISTLICHE KUNST — DER PIONIER
SONDERAUSSTELLUNG FÜR CHRIST-
LICHE KUNST IN REGENSBURG
l'"Tber Programm und Ausstellungsbestimmungen ver-
öffentlichen wir folgendes : Die Ausstellung fmdet
gleichzeitig mit der oberpfalzischen Kreis-Ausstellung für
Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft von Anfang Mai
bis Ende September 1910 siatt. Als Ausstellungsraum
dient die Kunsthalle. Zweck der Ausstellung ist es,
durch Vorführung hervorragender und mustergültiger
neuzeitlicher Schöpfungen ein Bild von dem dermaligen
Stand der christlichen Kunst zu geben, zu zeigen, daß
auch diese Kunst nicht stillstehen und in toten Formen
erstarren darf, sondern wie alle andere Kunst sich lebens-
voll weiter entwickeln muß, und dadurch alle Schaffen-
den zu weiterem Vorwärtsstreben anzuregen. Die Aus-
stellung soll umfassen die Gebiete der Architektur, der
Malerei, der Plastik, der graphischen Künste und der
angewandten Kunst. Die Anmeldungen werden bis zum
I. Oktober 1909 erbeten. Über die Zulassung der nicht
persönlich eingeladenen Künstler, für welche eine Na-
tionalität nicht vorgeschrieben ist, wie über die Auswahl
der auszustellenden Gegenstände entscheidet der geschäfts-
leitende Ausschuß im Einvernehmen mit den Delegierten
des Kunstausscliusses.
Alle auszustellenden Gegenstände müssen spätestens
bis zum I. April 1910 eingeliefert und bis zum 24. April,
abends 6 Uhr, aufgestellt sein. Für die ordnungsmäßige
Aufstellung der auszustellenden Gegenstände hat jeder
Aussteller selbst zu sorgen und ist verpflichtet, sich der
diesbezüglichen Anordnung der Geschättsleitung zu unter-
werfen. Die zur Ausstellung besonders Eingeladenen
genießen für die nach brieflicher Übereinkunft zuge-
lassenen Werke Frachifreiheit für Hin- und Rücktransport,
sowie Zollfreiheit. Alle anderen Einsendungen müssen
frachtfrei erfolgen.
Die Kosten der Feuerversicherung, Bewachung und
Reinigung der Ausstellungsräume tragt das Unternehmen
der Kreisausstellung. Die Versicherung der Kunstwerke
gegen Feuersgefahr erfolgt durch das Ausstellungsunter-
nehmen mit einer angemessenen Pauschalsumme. Für
die Kosten des Rücktransportes tritt das Ausstellungs-
unternehmen nur dann ein, wenn das Kunstwerk an
den Ort der Absendung zurückgeht. Die Transport-
versicherung hat der Aussteller zu tragen. Post- und
Eilgutsendungen werden nur frankiert angenommen;
Nachnahmen und Spesen werden nicht vergütet.
Werke der Architektur, Malerei und Plastik
zahlen keine Platzmiete.
Die Bewachung der Ausstellungsgegenstände geschieht
kostenfrei durch das Ausstellungspersonal. Das Aus-
stellungsunternehmen haftet jedoch für keinerlei Ver-
luste, Bescliädigungen und Transportschäden. Dem Aus-
steller muß es überlassen bleiben, sich hiergegen selbst
zu versichern. Vor Schluß der Ausstellung kann kein
aulgenommenes Kunstwerk zurückgezogen werden, es
sei denn mit Genehmigung des ausstellenden Künstlers
und der Geschäftsstelle, welche jedoch nur in ganz be-
sonderen Fällen erteilt werden kann.
Beim Verkauf von Kunstwerken, einschließlich der
Ankäufe für die Ausstellungslotterie, ist eine Abgabe
von 15% der Verkaufssumme an das Ausstellungsunter-
nehmen zu leisten. Verkäufe können nur durch Ver-
mittlung des Geschäftsführers der Kunstausstellung ab-
geschlossen werden. Die Abgabe von 15% ist auch
lür alle durch den Geschäftsführer vermittelten Aufträge
und Nachbestellungen zu entrichten. Es ist unstatthaft,
den angesetzten ^'erkaufspreis zu erhöhen. Wird ein
als verkäuflich bezeichnetes Kunstwerk während der
Ausstellung als verkäutlich erklärt, so hat der Aussteller
die Verkaufsabgabe an das .\usstellungsunternehmen zu
entrichten. Eine Prämiierung der Kunstwerke lindet nicht
statt.
Die Ausstellungsgegenstände sind spätestens vier
Wochen nach Schluß der Ausstellung wieder zu verpacken,
daß der Rücktransport erfolgen kann ; andernfalls werden sie
auf Kosten und Gefahr der Eigentümer einem Spediteur
zur Aufbewahrung übergeben und hat der Aussteller
selbst für den Rücktransport zu sorgen. Falls der .Xus-
steller seine Verpflichtungen gegen das .\usstellungs.
unternehmen nicht erfüllt hat, ist letzteres berechtigt,
die Ausstellungsgegenstände bis zur Erfüllung dieser
Verpflichtungen zurückzubehahen und auf Kosten und
Gefahr des Ausstellers in Verwahrung zu geben. Durch
die -Anmeldung zur .\usstellung erklärt sich der .Aus-
steller mit den Bestimmungen und deren Rechtsfolgen
einverstanden und verpfliclitet sich, den etwa zu erlas-
senden .-Aenderungen der Betriebsordnung und allenfalls
notwendig werdenden Programmänderungen Folge zu
leisten.
Im übrigen wollen sich die Künstler, welche sich an-
zumelden gedenken, an den geschäftsleitenden Ausschuß
der Oberpfalzischen Kreisausstellung im Jahre 1910 in
Regensburg wenden.
FK.\N'Z VON POCCI
GETUSCHTE /EICHS'UM
DER PIONIER
MONATSBLÄTTER FÜR CHRISTLICHE KUNST
Format und Ausstattung vorliegender Zeitschrift.
Jahresabonnement inkl. Frankozustellung M. 3. — .
Inhalt des 1 1. Heftes:
.\us der ehemaligen Nikolaikirche in München-Schwa-
hing. Von Architekt Theodor Dombart. — Unsere
Kunst und das Leben. — Zu den .Abbildungen dieses
Heftes. Von S. Staudhamer. — Kanontafeln. Von
Anton Wenig. — Ein gutes Wort für Verfehmte. —
Anregungen und Mitteilungen. — S .Abbildungen.
Für die Redakli
S. Siaudhamer (Pron
Druck von F. Brück.
enadepliU 3) ; Verlag dei
lann A..G. — Sämtliche
iesellschaft für christliclie Kunsi
München.
Bl;UKONEK KUNSTSCHULE
Sr. BENEDIKT (MONTE CASSIMO.l
Anssteltnng /iir christliche Kunst, Düssetdorf igog
SULPIZ BOISSERKE UND SEIN WERK
Von A. BI.UMl^RHARD
(ScliluG)
ps bleibt keineswegs bei dem sciiriftliclieii
'-^ Austausch. Der Wunsch, sich wiederzu-
sehen, ist beiderseits so stari<, daßsicii Goethe zu
einem Besuch in Heidelbarg entsciiließt. Die
Zeit vom 24. September bis zum 9. Oktober 1 814
verbringt der gefeierte Dichter bei Boisseree.
Er geht anders als er gekommen. Der »alte
Heide', wie ihn Boisseree nennt, bekehrt sich
zu der Schönheit und Einfalt und Gläubigkeit
altdeutscher Kunst und altdeutschen Wesens.
Stundenlang weilt er in Boisserees Bilder-
sälen. Stundenlang versenkt er Aug und Cje-
miit in diese schlichten lieblichen Anschau-
ungen. Er fühlt sich bereichert. Er erkennt
es als ein großes X'erdienst Boisserees, »jene
ersten herrlichen Anfänge, jenen schweren
Reichtum der \'orfahren zur Ansciiauung zu
bringen, aus dem die späteren, so viel be-
wunderten Meister nur zu schöpfen brauchten,
um verschwenden zu können,«')
Und in dem Auf und Ab jener kriegerischen
Tage, die Deutschlands Befreiung von Kapo-
') Brief Goethes vom i.(. II. 1814.
leons furchtbarer Geißel zur Folge hatten,
zittert Goethe für die »unsciiätzbaren Besitz-
tümer:< seines jungen Freundest)
Schon 181 5 erfolgte ein zweites Wieder-
sehen und Zusannnensein der beiden in Wies-
baden, Mainz und Frankfurt, wobei auch
Goethe's Geburtstag in köstlicher Weise ge-
feiert wurde. Sieben Wochen erfreuten sich
die Freunde ihrer Gegenwart in lebhaftem
Gedankenaustausch und als Abschluß gab es
gemeinsame Reise über Darmstadt und Besuch
in Heidelberg. Gerne erfüllte Goethe den
Wunsch des bescheidenen Freundes, mit
seinem gewichtigen Wort für dessen Be-
strebungen einzutreten.
Gewiß ist das vermehrte Interesse, das von
da ab der Sammlung entgegengebracht wurde,
auf Goethes Fürwort zurückzuleiten. Aber noch
fand sich kein Käufer dafür. I'ünfzehn Jahre
lang hatten die Brüder Boisseree und Freund
Bertram darauf verwendet, durch Reisen an den
Niederrhein, nach Holland, Brabant und Flan-
') Brief Goethes vom 2. \'I 1815.
Die christliche Kunst.
;54
52^ SULPIZ BOISSERRE »■^ßS
dern weitere bedeutendeErwerbungen gemacht.
Kraftund Vermögen stak in derSammlung, von
der sicii die Sammler nclit trennen wollten und
die doch gebieterisch einen Herrn verlangte, der
sie entsprechend unterbringen konnte und auch
die Freunde luit in den Kauf nahm. Nach
allen Seiten waren schon Verhandlungen ge-
pflogen undVerbindungen angeknüpft worden.
Preußen wollte sich die Schätze nicht entgehen
lassen, hatte aber kein Geld. Köln bekam die
erhoflte Universität nicht und mußte somit
zurücktreten. Auch mit Frankfurt kam es zu
keinem Ende.
Da bot der König von Württemberg, zwar
kein Geld — denn das verweigerten die Land-
stände — aber ein geräumiges Gebäude zur
Beherbergung für Sammler und Sammlung.
Im Jahre 1818 ward der Umzug vollzogen. End-
lich ein würdiges Heim ! Endlich ein sorgloser
Unterschlupf! Zwar Stuttgart war nicht Heidel-
berg — man sah sich getrennt von treuen viel-
bedeutenden Freunden. Aber eine Freude war
der Anteil der Bevölkerung. Man ging wall-
fahren zu den Heiligen- und Marienbildern der
alten Kölner Meister. Dicht gedrängt standen
die Leute, groß und klein, alt und jung, reich
und arm. In andächtiger Stille standen sie.
Ehrensache war es für jeden, dort gewesen
zu sein.
Weiter und weiter pflanzte sich der l^uf der
Sammlung. Fürsten und Könige scheuten nicht
den Umweg über Stuttgart, Eine heilige Neu-
gier war es, die jeden zwang. Ja, man kann
dreist behaupten : es hat keinen Menschen von
Bedeutung gegeben, der an Boisseree achtlos
vorübergegangen wäre. Mit den größten Gei-
stern seinerzeit ist erpersönlich und briellich in
Verkehr gestanden. Mit den beiden Schlegel,
mit Tieck, Arndt und Görres, mit Schinkel
und Dannecker verband ihn herzliche Freund-
schaft. Canova,Thorwaldsen und Rauch, Alexan-
der von Humboldt, Gneisenau und Stein haben
ihn ihre Wertschätzung fühlen lassen. Er steht
mit Cornelius und Overbeck in Verbindung,
er hat Gelegenheit, dem großen Goethe junge
Künstler, wie Kaulbach, und Dichter, wie
Schenkendort zu empfehlen. Von deiu letzteren
hndet sich aus dem Jahre 1814 ein hübsches
Gedicht, das er den altdeutschen Gemälden
der Boisserees widmet und in dem sich Andacht
und \'aterlandsliebe auls innigste verschmelzen.
Das Jahr 1824 führt Boisseree zum zweiten-
mal nach Paris, nach der Stadt, von der Görres,
der redliche Franzosenhasser, einmal an Sulpiz
schrieb: >/Wer nach Paris geht, verspielt dort
seine Zeit; er tauscht sie gegen allerlei bunte
l^indrücke und Schmuckstücke aus. Wer aber
bis ans Ende dort verharrt, wird sachte um
sein Leben betrogen .
Auch ohne diese Mahnung wäre Sulpiz
seinem Vaterlande nicht untreu geworden. Aber
er fand an der Seine, was ihm Deutschland
sciuddig blieb: das feinste Verständnis für die
Wiedergabe der Domzeichnunt/en und für die
BEURON'ER KUNSTSCHÜLF.
Ausstcllitni /„•■ dtriitlUhe Kumt, Dinsrldctr/ igog
Hr. SCHOLASTIKA (MONTE CASSINO)
R^ SUI.PIZ BOISSHRHI- ^^3
355
BHUROXKR KLN'SrSCHUI.E
Ausstellung /ur ihristlklic Kunst,
CHKISILS ^Al'SIS IN TLCACIIj
PusselihrJ igoq
lithographisclie Vervieltaltigung der Gemälde
die gescliicktesteii Künstler. Aufs herzlichste
hat der berühmte Humboldt ihn unterstützt.
Der Schluß dieses Jahres sah Sulpiz wiederum
aul Reisen, und zwar nahm erteil an der ersten
Dampfschiffahrt, die ein holländisches Schiff
zur Probe bis nahezu Mainz zurücklegte. Kr
benützte den »Seeländer., der trotz des Un-
geheuern Wasserstandes die Probe auls beste
bestand, um endlich und auf die bequemste
Weise nach Brabant und Flandern zukommen.
In Rotterdam erwarb er die »Anbetung der
drei Könige«, ein hübsches Bildchen von Mabuse.
\'on da ging erüberDelft, Haag, Scheveningen
nach Leyden, Haarlem, Amsterdam und Ut-
recht. In einem Brief an die Seinen von Brüssel
aus stellte er seine Rrfahrungen zusammen.
Sie sind zum Teil belremdend. Im Lande
selbst stand man völlig im Bann der Franzosen,
hatte keine Kenntnis von der alten nieder-
ländischen Schule, die man ungesehen ver-
dammte. Das in Deutschland entfachte Inter-
esse erregte an maßgebender Stelle sogar miß-
liebiges Staunen, umsomehr, weil die jüngere
Generation mit ihrer Vorliebe für die deutsche
Richtung in Kunst, Poesie und Musik stetig
gegen die franzosenfreundlichen Alten an-
kämpfte und diesen tüchtig zu schaffen machte.
Die Sammlungen, soweit sie überhaupt die
Werke heimischer Maler aufwiesen, besal.^en
last nur solche aus dem 17. Jahrhundert. Bin
Qiiinten .Massyserfreute in Antwerpen das Herz
des Reisenden; ein paar Bildnisse llolbeins
erregten sein Entzücken. In einem jüngsten
Gericht des B. v. Orley erkannte er die Hand
des Meisters, von dem auch er ein Werk be-
saß. Das johanncs-Spital in Brügge, Gent und
Brüssel wiesen erlesene Stücke auf. Was ihm
besondere Freude schuf, war die Bekanntschaft
mit Männern, die gleich ihm das Suchen und
Erhalten alter Bilder zu ihrem Lebenszweck
erkoren. Ihnen zeigte er sein lithographisches
!56
<??m SULPIZ BOISSERfiE i"^«
BliUROKER KUNSTSCHULE, HL. JOSEPH. DKTAII AUS IHR
ANBETUNG DER HL. DREI KÖNIGE IN EMMAUS-PKAG
Ausstellung f'<r christliche Kunst, Düsseldorf iqoq
und sein Donnverk. Und sie gestanden, d.iH
ererstiJTnen die Bel-;anntschaft mit ihren eigenen
alten Meistern vermittle. Denn das Beste sei
nach England gebracht, sodaß sie nur ärm-
liche Nachlese halten könnten.
Das Jahr 1826 brachte den entscheidenden
Wendepunkt in Boisserees Leben. Dillis, der
Galerie inspektor König Ludwigs L, kam nach
Stuttgart. Ihm, dem gewiegten Kenner, war
es sofort klar, daß Bayern sich diese «unschätz-
baren Juwelen?, nicht entgehen lassen dürfe,
umsomehr als gerade diese Sammlung eine
empfindliche Lücke der Münchner Galerie aus-
zufüllen bestimmt war. Man einigte sich und
schon im Juni 1827 kamen die Bilder nach
München. Es ist charakteristisch, daß der kunst-
liebende Fürst, der die angesetzte Summe ohne
Zaudern bewilligte, nicht wünschte, daß ihre
Höhe bekannt würde. »Wofür immer ich das
Geld ausgäbe," sagte er, »man würde es
verstehen. Daß ich es für Kunst anlege, würde
niemand begreifen.«
König Ludwig I. zahlte für die Sammlung,
die mehr als 200 Bilder umfaßte, 240000 fl.
Aber er wußte auch den zu würdigen, der
gesammelt, so ohne Eigennutz, bloß aus Be-
geisterung dies Lebenswerk zusammengestellt.
Sulpiz wurde zum Ehrenmitglied der Akademie
der bildenden Künste in München und zum
Oberbaurat ernannt. Beides reihte sich würdig
an die Ehrung, die ihm die Pariser Akademie
zuteil hatte werden lassen, und an das Doktor-
diplom, das ihm Heidelberg verliehen.
Aber das Beste, was der sichere Posten in
München für Sulpiz brachte, war seine Ver-
einigung mit der seit langem geliebten Tochter
Mathilde des Stuttgarter Bankdirektors Rapp.
Zunehmende Kränklichkeit zwang Boisseree
zu einem fast dreijährigen Aufenthalt in Süd-
frankreich und Italien, den seine treue Gefähr-
tin teilte. Gesünder und angeregt von den
Kunstschätzen des Südens kehrte er im Som-
mer 1859 nach München zurück.
Endlich, im Jahre 1845, verwirkHchte sich
ihm auch unter günstigen Bedingungen die
Rückkehr ins rheinische Land. Er ward nach
Bonn berufen, um seine Erfahrung und Für-
sorge dem fortschreitenden Ausbau des Kölner
Domes zu widmen.
Freilich nur für neun Jahre. Am 2. Mai 1854
folgte er dem Bruder und dem Freunde, die
bis zuletzt sein Leben, seine Bestrebungen ge-
teilt und an seinen Erfolgen neidlos sich gefreut
hatten, ins Grab.')
') duellen : Boisserees Aufzeichnungen und Brief-
weclisel.
BEUROXER KUNSTSCHULE, MADONNA, DETAIL AUS DER
ANBETUNG DER HL. DREI KÖNIGE IN EMMAUS-PRAG
Ausstellung /ür christliche Kunst, Düsseldorf igog
)57
AussUilung für christliche Kunst,
Düsstldorf tgog ooooooooo
« BELKONHK KUNSTSCHLLE
« « « MARIA HEIMSLCHL'NG
(KARTON, FÜR E.MMALS PRAG)
ns
»^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 »^ö
BEURON'ER KUNSTSCHULE
FLUCHT NACH ÄGYPTEN (KARTON, FÜR EMMAUS-PRAG)
Aussirlliitig /iir christlidie Kunst, DussrlJ^'r/ igog
DIE GROSSEN KUNSTAUSSTEL-
LUNGEN IN DÜSSELDORE 1909
Von Professor Dr. KARL BONE, Düsseldorf
(Fortsetzung)
Aut dringendes Ersuclien der Ausstellungs-
•'^ leitung richtete auch Beuron in einem
kleinen Kabinett eine sehr instrul<tive Aus-
stellung einiger Schöpfungen der Beuroner
Meister ein. So sieht man Kartons zum Marien-
leben des P. Desiderius (Abb S. 3 5 6 ff.) und zahl-
reiche kleinere Entwürfe, von denen nianclie
unausgeführt blieben. Feierlicher Ernst, dem
es nicht an Milde fehlt, tiete Religiosität zeichnet
die Arbeiten aus, welche ausnahmslos auf eine
klare Reliefwirkung komponiert sind. Man be-
grüßt es sehr, daß auch solche Arbeiten von
P. Desiderius Lenz und P. Gabriel Wüger der
Ausstellung einverleibt sind, die aus der Zeit
vor ihrem Eintritt in den Orden stammen.
Als Werke Düsseldorfer Künstler in der
christlichen Kunstausstellung wurden schon im
ersten Berichte die : Hl. Familie?, von L. Feld-
mann erwähnt, desgleichen die Zusammen-
stellung V. Gebhardt scher Werke. Hinzu-
zufüsen als Werke von Künstlern, die beson-
©5^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORl- 1909 »^a 359
BKL'KOSI-.K kCNslsCIU I.E
M;I:I/AH\AMMK iKAKIÜM, F( R EMMALS-PRAG)
Ausitellung für christliche Kunst, Dttsseldor/ igog
ders die cliristliche Kunst pflegen, ist einiges
von Br. Ehrich (Abb. S. 365) und H. Nütt-
gens Einige Weii<e von Düsseidoit'er Künstlern
sind mehr nur gelegentliciie Betätigungen
auf dem Gebiete der christlichen Kunst. So ver-
sucht E. Fohle die kräftigen verschmelzenden
Earbenwirkungen, die ihm eigen sind, mehr-
fach an christlichen StolTen (»Christus fallt unter
dem Kreuze«, »Der Zinsgroschen«), Fr. \'ezin
die Sauberkeit der Zeichnung imd De/cnz der
Farbcngebung an einer Pict.'i , R. Böniger
die Energie der dramatischen I3e\vegung an
einer • Auferweckung des Lazarus«, A. Ber-
trand die wirksame X'erwertung des priester-
lichen Kleides in seinem Kostiimbilde > Diener
des Herrn < usw. Weiter ab von der christ-
lichen Kunst — abgesehen von sonstigen \'or-
Zügen — stehen »Der zwüll jährige Jesus . von
Claus Meyer, das »Kircheninterieun von
A. Maennchen und die an Gebhardt an-
schließenden Arbeiten von Peter Janssen
(Abb. s. Beilage zu Heft 10); ihr näher da-
gegen steht N'.H.N Titcomb mit seiner 1 Kar-
woche« und dem Gemälde Christus aul dem
Meere ;der neblige Schleier, den der Künstler
über seine Szenen zittern zu lassen versteht,
ist manchmal recht am Platze, als Manier kann
er ermüdend werden. Neben diesem Bilde
hängt ein Aquarell von Mathilde Block
Niendor ff (Berlin), dessen Farbenkraft ein
360
©S« DIE KUNSTAUSSTELLUNGl-N IN DÜSSELDORF 1909 J^a
BEURO^JER SCHULE ENGEL (MONTE CASSIXO)
Aiisstt-lluug für christlUhe Kmist, Düsseldor/ tgoq
Olgeniiilde, und dessen Zartheit der Farben-
verschmelzung ein Pastellbild vortäuscht.
Nicht uninteressant ist das Porträt Pius X.
von Fr. Harnisch, wirksam aus dem tief-
roten, ins Schwarze sich verlierenden Hinter-
grunde herausgearbeitet. Gegenüber diesem
Bilde hängt >. Heilige Mutterliebe« von). Mogk
(Dresden), der in der Aufschrift genügsam an-
deutet, daß er nicht beansprucht, die Gottes-
mutter mit dem göttlichen Kinde dargestellt
zu haben, wohl aber den heihgen Schein, der
zwischen einer echten und rechten Mutter und
ihrem Kinde hin- und herstrahlt. Beachtens-
wert ist auch eine kleine Plastik von Iven
(Köln, Abb. s. Heft X S. 299). Von Arthur
Kampfs beiden Illustrationen zu A. Arndt
V Bibel in der Kunst« ist der »Einzug Christi«
die bessere; »Moses am Felsen« ist nicht nur
theatralisch aufgebaut, sondern Moses selber
erscheint als ein recht schlimmer alter Gesell,
der wohl schon mehr als einen, ja ganze Dörfer
getäuscht hat. An dem großen Querbilde »Der
tote Christus : von R.Müller interessiert neben
Wirkungen, die der Künstler besser für andere
Bilder aufgespart hätte (das Rosen-Stilleben,
das Marterwerkzeug-Stilleben, das täuschende
Fransentuch), der stark orientalische Typus des
Christuskopfes. Schlimm ist G. W i e t h ü c h t e r
(Barmen) mit den verunstalteten Schemen
menschlicher Körperstücke umgegangen, denen
er beischrieb, Heute noch wirst du mit mir
im Paradiese sein«.
Gehen wir der nächsten Raumgruppe zu,
deren Mittelsaal denNamen » D r e s d e n. K ü n s t-
lergenossenschaft Zunft« trägt. Der Aus-
druck Zunft will wohl auf eine Annäherung
an das Handwerk hindeuten. Vielfach ver-
mißt man die rechte Wärme; selbst die sil-
bernen und goldglänzenden Geräte in den
V'itrinen haben etwas Frostiges. Sehr tief emp-
lunden sind aber die Plastiken von dem zu
früh verstorbenen Hudler; bei seinem -Kruzi-
lixus < scheint allerdings die Wirkung der Kör-
perschwere allzusehrbetont. Nichtrechtmonu-
niental muten die tänzelnden Seligen und Ver-
dammten aus K. Rößlers Entwurf zurAus-
malung der Kirche in Zschopau an; die Akte
sind übrigens tüchtig gezeichnet. Erfreulicher,
wenn auch vielleicht etwas zu ärmlich, wirkt
das Waldkirchlein« von K. Rößler und
II. T s c h a r m a n n , wie es farbig in seiner
Waldlichtung dargestellt ist ; ebenso gerne sieht
man die Skizze zur Kirche für Zinwald« von
M. Lossow und M. Kühne. Die Kolossal-
statue Der gute Hirt« von G. Wrba, an sich
ein rühmenswertes Werk, ist doch wohl zu
derb-massig — man beachte z. B. die Unter-
schenkel — , um die Vorstellung des guten
Hirten zu erwecken ; es ist nichts Abstoßendes
in der Erscheinung, und einen getreuen Eckard,
auch allenfalls St. Christophorus, könnte man
darin suchen; aber die Güte, und zwar die
Güte des Hirten, der das verlorene Lämm-
lein sucht, führt kaum zu dieser Verkörpe-
rung; das Tragen eines Lammes macht nicht
den guten Hirten der christlichen Kunst aus.
Die Sonderausstellung Aachen ist
auf einen »Vorraum« (Nr. 17) und einen »Ka-
pellenraum« verteilt. Auch hier fehlt es nicht
an dem Hervortreten des Kühl-Technischen,
des Berechnet-Zweckmäßigen, wie es mit dem
ganzen System der technischen Hochschulen
und Kunstgewerbeschulen nur zu naturgemäß
verknüpft ist. Aber die Aachener haben es
liAI/niASAK SCHMU
MADONNA
©S^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DUSSELDORF 1909 »«sa 361
BONiFAZ LOCHER
LNTWLRl ILK llLMAl.LNG \ON' APilb UND tHOUWAND
Ausstellung für christliche Kunst, Diissetdor/ tqot)
verstanden, soviel Sinniges und niensclilicii
Ansprechendes zu verbinden, daß man gerne
in den beiden kleinen Räumen verweilt und
sich durch einzelnes minder Erwünschte nicht
allzusehr stören laßt. Zu einigen Bedenken
veranlaßt die ganz virtuos gearbeitete Por-
trätbüste im Grabmal des Pfarrers Roland
Ritzefeld (Stolberg) von C. Burg er; denn in
ihrer minutiösen, an Dennersche Bilder erin-
nernden Naturkopierung dürfte sie doch
viel zu weit gehen, und das um so mehr,
weil sie in Naturgröße erscheint. Die alten
kleinen Porträts in Wachsbossierungund natur-
getreuer Cbermalung haben nichts von diesem
»Unheimlichen ; ; ob einzig ihres Formates
willen "- oder ist auch hier Kunst etwas anderes
als Gewandtheit, Kopieren der Natur etwas
anderes als künstlerische Darstellung
der Natur? Bedeutend in ihren einfachen,
großen Linien ist die Eichenholzbüste von
J. Matar^ »Johannes«, eine bewundernswerte
Leistung in Wiedergabe inneren Reichtums
die Porträtbüste des Bruders Xieward, Propstes
in Marianhill (Südafrika) von .\I. Streiclier;
da spricht jeder Zug, jede Wendung Ge-
schichten, und man tühlt sich einem großen
Kunstwerke gegenüber. Die Ausstellung zeigt
noch eine Reihe anderer tüchtiger Werke
dieses Künstlers. Auch die Werke von J. Meu-
risse verdienen hervorgehoben zu werden.
Eine hohe Vorstellung von Aaciiens Gold-
schmiedekunst geben schon im >\'orraunn
die Arbeiten des Stiftsgoldschmiedes Aug.
Witte, die auf einem Tische in der Mitte des
Raumes zusammengestellt sind. Nur einzelne
Stücke davon sind im Kataloge mit > Eigener
Entwürfe bezeichnet, andere mit > Entwurf:
Kunstgewerheschule Düsseldorf* ; eines mit
»Entwurf: Benediktinerabtei Beuroiu ; hinter
anderen Stücken steckt aber, sollte man glauben,
ein wirklicher Künstler verborgen. Achtet man
übrigens bei all diesen Arbeiten zunächst nur
Dte chrisUlche Ku
362
©^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 >^53
auf die technische Seite, so nimmt man mit
Vergnügen die Sauberkeit und Sicherheit der
Ausführung, das Harmonische und darum
nirgends Aufdringliche der Farbenzusammen-
stellungen wahr.
Schlägt man die Vorhänge im Mittelgrunde
des Vorraums auseinander, so glaubt man in
ein magisch beleuchtetes nächtliches Strauch-
gewirre zu sehen ; es ist das grüne Geäder in
dem schwarzen Marmor, womit die Kapellen-
wände bekleidet sind; die Wirkung ist eigent-
lich zu stark, aber man läßt sie sich gefallen.
Der Kapellenraum selber ist ein wahres Muster
einer vornehmen und doch in ihrer Zierlich-
keit anheimelnden Privatkapelle. Um die
Entwürfe hat sich besonders Architekt Emil
F elix verdient gemacht, um die Ausführung
und Ausstattung verschiedene: den Altarauf-
satz und das Altarkreuz führte A. Witte aus;
das eigenartige, dem Marmor der Wände und
BEURüNKR KUNSTSCHULE BRONZETÜRE IN MONTE CASSINO
Ausstellung /ür christliche Kunst, Düsseldorf i^oQ
des Altars sich anpassende Antependium rührt
von H. K r a h f o r s t her, ebenso das Glasfenster
(Ausgef. von Derix). Die Metallarbeiten von
H. Steenaertss (für die Entwürfe ist die
Düsseldorfer Kunstgewerbeschule verantwort-
lich) haben etwas Nüchternes. Der »Christus-
kopf« von J. Matare mit dem windbewegten
Haupthaar erscheint etwas verwildert. Zu er-
wähnen sind noch die Arbeiten von C. Burger
( Kruzihxus«, »St. Barbara«). An den Vorraum
Aachen grenzt ein Kabinett, in dem allerlei
Entwürfe aus Hannover aufgehängt sind.
Die ganze Zusammenstellung macht zuerst
einen bunten und unruhigen Eindruck, aber
bedeutsam und ernst und sinnvolles Studium
verratend ist eigentlich alles, was darin ist.
Man erkennt den hebenden und anregenden
Einfluß Herm. Schapers im Sinne seines Vor-
gängers Schäfer. In die Augen fallen zunächst
die harmonischen Skizzen von O. Wichten-
dahl für verschiedene Kirchen und Ka-
pellen. Dann die tarbigen Darbietungen
von Herm. Schaper selber, den man
im Raum 47 aus großen Kartons (siehe
weiter unten) bequemer kennen lernt.
Die kleinen, zum Teil minutiösen Ent-
würfe, die bei Hannover vereinigt sind,
müssen mit zum Solidesten gerechnet
werden, was die Ausstellung bietet.
Wir gelangen zum Saale der jungen
und noch kleinen Düsseldorfer »Ver-
einigung für christliche Kunst«,
welche bis jetzt folgende Mitglieder um-
faßt: A. Diemke (Maler), J.Th. Hack en-
broich (Bildhauer), Fr. Schneider (Ar-
chitekt), |os. Schneider (Bildhauer), A.
T er n es' (Maler), J. Wahl (Maler), W.
Wellerdick (Architekt). Unter den hier
ausgestellten Werken tritt am meisten
hervor das große romanisierende Fami-
liengrab-Denkmal, das ]. Schneider
unter Beihilfe seines Bruders Franz
Schneider (Architekt) hervorgebracht
hat (Abb. S. 363). Leider konnte in der
.\usstellung nur ein getönter Gipsabguß
aufgestellt werden; so kommen manche
Einzelvorzüge, selbst der Ausdruck des
Christuskopfes, nicht hinlänglich zur Gel-
tung. Der Unterbau besteht aus einem
sehr schönen bräunlichgrauen Marmor,
das übrige (mit Ausnahme des Christus-
kopfes aus weißem Marmor) ist in zart-
gelblichem Marmor ausgeführt; so ent-
steht eine keineswegs aufdringliche Far-
bensteigerung nach dem Gekreuzigten
hin. Dieser ist, wie im frühen Mittelalter,
als der Triumphierende, in seinem Siege
die Menschheit mit den ausgebreiteten
Aussutlung /iir christliche
Kunst, DiisseUor/ igog
Ttxl S.j6l o o o o o o
JOSKl'll SCIINi;il)KK
GRABDKNKM.M. • •
364
ö^ DIE KUNSTAUSSTELLUNGEN IN DÜSSELDORF 1909 2*^0
Armen Umfassende gedacht; darum fehlt der
Ausdruck des Schmerzes und des Todes; statt
dessen liegteinekönigliche, milde, fastlächehide
Hoheit über dem Gesicht und der ganzen
Gestalt. Die Figuren zur Seite des Kreuzes
sind in strengstem Stile bei anspreciiendem
Adel des Ausdruckes hingestellt. Gemälde
von größerem Umfange brachten A. Ternes
(»Madonna mit Engeln ; und »St. Joseph und
der Jesuknabe?) und J. Wahl: »Rast auf
der Flucht« und »Die hl. Elisabeth in der
Kirche zu Eisenach < (Abb. Jg. 4, S. 35). Ohne
sich übertriebenem Naturalismus hinzugeben,
ohne aber auch sich von der Naturvvahr-
heit zu entfernen, suchen beide unabhängig
von einander das Neue auf dem bewährten
Alten fußen zu lassen. Die Architekten Fr.
Schneider und W. Wellerdick haben
eine Reihe von Kirchenentwürfen ausgestellt
und diese nicht nur in Grundrissen usw.,
sondern auch durch malerische Darstellung
als fertige Bauten in ihrer landschaftlichen
Umgebung gezeigt. Diese Darstellung ist be-
sonders bei den Dorfkirchen von großem
Werte. Denn neben der beherrschenden Stel-
lung, die im Dorf die Kirche unter den
übrigen Gebäuden einnimmt, bildet sie zu-
gleich ein charakteristisches Stück, ja oft
eine Art Zentralstück der Gesamtlandschaft.
Diesen Doppelwert kann sie ohne künstle-
rischen Wert nicht besitzen, und doch stehen
dem Künstler für die Dorfkirche meist nur
geringe Mittel zu Gebote. Der Künstler hat
daher hier eine erschwerte Aufgabe.- er soll
etwas Schönes, etwas Billiges, etwas Beherr-
schendes scharten ; er soll etwas schaffen, was
sich dem Ganzen der Landschaft harmonisch
einfügt. Diese vierteilige Aufgabe haben die
beiden Architekten mit gesundem Sinne und
künstlerischem Ernste ins Auge gefaßt. Man
gewahrt überall den engen Anschluß an die
organische Entwicklung der christlichen Kunst,
die allein festen Boden geben kann. Man
erinnert sich beim Anblick dieser landschaft-
lichen Harmonie sofort der zahlreichen Minia-
tur-S ta d tkirchen, die oft von großen Ar-
chitekten unorganisch und störend in eine Dorf-
landschaft hineingeflickt sind und ihrer Um-
gebung in Form, Farbe und Material wider-
sprechen, abgesehen davon, daß ihre Her-
stellung in der Regel die vorhandenen Mittel
eher übersteigt, als daß etwas für die Aus-
stattung des öden Innern übrig bliebe. Bei
den hier vorgestellten Kirchen ist das nicht
so. Übrigens haben die beiden Künstler über
dem Kleinen und Bescheidenen den Blick für
das Große nicht verloren; auch die größeren
Entwürfe, z. B. der Entwurf anläßlich eines
Wettbewerbs für eine Kirche in Hamburg,
der Entwurf einer großen Stadt-Barockkirche
sind reife Früchte ernsten Studiums.
(Fortsetzung folgt)
OSKAR POPP
HEILIGE NACHT
Ausstellung für christliche Kunst, Düsseldorf igog
365
Ausstellung für christliche
Kunst, Düsseldorf tgog
« BRUNO EHRICH
GEBLRT MARIENS
366 »^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN m>3
DIE X. INTERNATIONALE KUNST-
AUSSTELLUNG IN MÜNCHEN 1909
Von FRANZ WOLTER
(Fortsetzung)
Recht bedeutend ist die Secession diesmal nicht
vertreten. Ihre eigenthche Starke beruht
noch immer in den Persönhchkeiten der
Gründer, diese aber selbst haben entweder
gar nichts oder so ausgestellt, daß, von Al-
bert von Keller abgesehen, wir ihre Vertre-
tung nur als Visitenkarte betrachten können.
Wir haben früher schon Uhde, Zügel,
Habermann besser gesehen, obschon Uhdes
»Zwei Kinder« wieder beredtes Zeugnis seiner
tüchtigen Meisterschaft ablegt. Merkwürdig ist,
daß sich einige Künstler der Secession, die
Persönliches zu sagen hätten, immer mehr
in sklavischer Nachahmung Uhdes ergehen.
Es läßt sich freilich der persönliche Stil eines
Meisters schwer nachmachen, nur die Äußer-
lichkeit, die Manier wird übrig bleiben. Recht
tüchtige Leistungen sind die beiden größeren
Bilder von Angele Jank, von denen die
Jagdgesellschaft in ihrer Farbenfreudigkeit und
auch in der eminent tüchtigen Durchbildung
der Einzelheiten bis auf die gut studierten
lagdhunde, den Vorzug verdienen. Über A.
V. Keller und seine Kunst haben wir bei Ge-
legenheit seiner Ausstellung im Sezessions-
gebäude eingehender gesprochen, und die Ver-
mutung, die daran geknüpft wurde, daß wir
noch weitere Fortschritte dieses feinfühlenden
Meisters erwarten dürften, ist nicht nur in
Erfüllung gegangen, sondern noch durch die
neueren Arbeiten überboten worden. Ganz
abgesehen von der dramatischen Kreuzigungs-
gruppe fesseln doch zumeist die Damenbild-
nisse Kellers und unter diesen ist das Bildnis
einer eleganten Schönen mit Schleier ein Juwel.
Hier ist eine Symphonie in zartem Grün mit
helleren rötlichen Tonwerten gegeben, die
wie ein Gedicht anmutet. Mit wie scheinbar
geringstem Aufwand von Mitteln ist hier die
größte Wirkung erzielt! Dies allein kennzeich-
net den Meister.
Mit welchem Aufgebot technischer Mache
arbeitet dagegen M. Slevogt. Das Bildnis
einer Schauspielerin als Kleopatra ist schwer-
fällig und plump, trotz der kompositioneil ge-
zwungenen Beweglichkeit. Dazu hängt der
Künstler im Hintergrund seines Vorbildes
rätselhafte Dinge auf, die nicht begleitend und
untergeordnet erscheinen, sondern vordring-
lich. Es fehlt hier vor allem die L^bersicht des
Totaleindruckes und mit dieser zugleich die
Breite des Vortrags. Letztere Eigenschaften
besitzt wohl Richard Pietzsch, welcher
dieselben mit deutschem Naturgefühl stets zu
beseelen bestrebt ist. Auch seine diesjährigen
Bilder beweisen dies, nur geht er, wie in
seinem besten Bilde Vorfrühling in Grün-
wald •., nicht logisch vor. Manches ist doch
zu sehr aus der Tiefe des Gemütes geschöpft,
so daß das grüne Wasser nicht als Wasser
bei diesem tiefblauschwarzen Himmel über-
zeugend gegeben ist. Als treffliche Studien-
arbeit dürften die »Malschüler« von Herm.
Groeber zu betrachten sein.
Leo Samberger hat wieder einige seiner
bekannten trefflichen Schilderungen auf dem
Gebiete der Porträtkunst beigesteuert. Neben
der vornehmen Erscheinung Sr. Exzellenz des
Reichrats Ferdinand von Miller sehen wir u. a.
das charakteristische Bildnis Professor Bradls,
in einer humorvollen Situation gegeben, die
wir bei dem Dargestellten rühmlichst kennen.
R. Schramm-Zittau, der Vertreter des Ge-
flügelhofes, der plätschernden Enten und
schnatternden Gänse, bringt von der letz-
teren Sorte ein Monumentalgemälde, das
schon durch seine Größe auffällt. Es ist
ja in der Tat sehr schwierig , eine ganze
Gänseherde in ihrer eilenden Bewegung zu
malen und Schramm als tüchtiger Maler, der
sein »Metier« versteht, hat viel geleistet, aber
es ist zu viel Ausstellungskunst. Einladender
wirken Dinge, die ein stilles Versenken in das
Thema ermöglichen, wie die duftigen, in zar-
tem Silberton gemalten Frauen mit weißen
Blumen von Hans Borchardt, eine träume-
rische Landschaft von Toni Stadler, »Der
Sommertag« von Georg Flad, die äußerst
zart und prickelnd gemalten Stilleben und
Blumen von Th. Hummel oder gar die
blendenden Interieurs von Gotthardt Kuehl.
Über Herm. Pleuers Eisenbahnen und Ch.
Toobys großes Kuhbild ist nichts Neues zu
berichten, diese Maler können auf ihrem ein-
mal gewählten Stoffgebiete nichts hinzufügen.
Ernst Oppler dagegen schreitet im Bildnis-
fache gut vorwärts, ebenso A. Weißgerber
in seinem Selbstporträt; die Kreuzigungsskizze
jedoch muß sogar als Skizze abgelehnt werden.
Das ist zu brutal und roh in der Auffassung
sowohl als in der Mache. Vortrefflich wirken
Richard Kaisers »Vorfrühlingstag« und
der »Möhrenbach bei Treuchtlingen« ; Fr.
Eckenfelders »Schimmel« in der Schwemme
beweisen, wie nicht alles in Abhängigkeit von
derZügel-Schule gemalt zu werden braucht, um
dennoch Wirkung und Kraft zu haben. Gar zu
käsig und dabei zerflossen kommt der weib-
hche Akt von Max Feldbauer heraus. Dieser
Maler hat unzweifelhaft Talent, aber es fehlt
36^
G1;üRG BLi)Cll
L,lvABDENKMAL DES BISCHt)! S I'ALI. LEül'. HAKIM K 1\ MAINZ
AutstrliuKg für chrittlicht Kuntl, DüttlUcr/ igoq. TtAl S.JJJ
368 S!^ X. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN »^ö
an Geschmack und dann erscheint doch jedem
echten Künstler die Natur, hier der mensch-
liche Körper, als wundervoller Organismus,
ganz Rhythmus und Harmonie, dem man sich
in Andacht nähert. Diesen Mangel an innerer
Kultur besitzt auch Lovis Corinth, der recht
deutlich in den »Gefangenen« nackten Men-
schen zum Ausdruck gelangt. Kraft und Bruta-
lität sind zwei grundverschiedene Faktoren,
letztere steht mit einer charaktervollen Kunst
im Gegensatz. Innerliches und äußerliches Stil-
gefühl geht verloren, kommen dazu noch wie
hier naturwidrige Unmöglichkeiten, der weib-
liche Akt schwebt in der Luft anstatt zu liegen,
so verlöscht das anfänglich bewunderte Kratt-
meiertum derMalerei wie ein prasselndes Feuer-
werk. Zieht man ein ähnliches Thema wie den
»Ringkampf« von Ern s t Burm eister zum
Vergleich heran, so erkennt man bald, was
hier gesagt sein soll. Burmeister schildert auch
nackte Menschen, aber sie sind in einer Hand-
lung begriffen, um den Körper in verschiede-
ner Art der Bewegung erscheinen zu lassen.
Wenn Burmeister auch Fehler macht, die Ein-
heit und Geschlossenheit vermissen läßt, so
ist doch hier ein Maler am Werk, der Neu-
schöpferisches leisten will.
Man bedauert nur, daß so viel Arbeit auf
ein Nichts verwendet wurde. Durch den all-
zustarken Persönlichkeits -Kultus, durch die
Verhimmelung des Individualismus hat in un-
serer Epoche die Kunst nur gelitten. Immer
stärker zersplitterten demgemäß auch sonst
stark gefügte Korporationen und der Zerfall
hält noch an. Wie von der Genossen-
schaft die Secession, so trennten sich von
der Luitpoldgruppe die Bayern, um für sich
Siege zu feiern. Aber alle jene Gruppen
können sich ihrer Triumphe nicht so recht
erfreuen, es beginnt allmählich zu dämmern.
RUDOLF NISSL
X. biter?tationale KitnstaussleUu?tg lilUttcIte.
LESENDE )UN"GE FRAU
igog
©^ X. IXTERNATIONALH KUNSTAUSSTELLUNG IN MUNCIII-N KSa 369
WILHELM IMMFAKXMC
daß die übertriebene Wertschätzung der Per-
söniiciikeit nur zur weiteren Auflösung hin-
drängt. ÜberbHckt man von einem freien,
unabhängigen Standpunkte die ganze Situa-
tion, so wird CS dem Kunstfreund niciit recht
khir, weiche Qualitäten, welche Kunstanschau-
ungen eigentlich nocii die Gruppen der
Künstler trennen : hier wie dort gibt es kaum
ein Gemälde, das nicht gerade so gut in einen
anders benannten deutschen Saal hineinpassen
würde. Und gerade bei den Bayern fällt dies
auf, ob nun der Künstler G. Schuster-Wol-
dan, P. Kieth oder Fritz Kunz lieKk.
Letzterer Maler erinnert in seiner Kreuzigungs-
gruppe an die tief religiöse Stimmung romani-
scher Bilder und bekundet als Maler eine
stark persönliche Eigenart mit einem lyri-
schen Einschlag. Bei Georg Schuster-Wol-
dans 5, Mädchenbildnis X verspürt man leise
fremde Einflüsse, aber sie sind kaum merklich.
Was das Bildnis interessant und anziehend
macht, ist vor allem das Motiv und die leiciite,
duftige, koloristische Art, der Zusammenklang
des landschaftlichen, fast wie ein alter Gobelin
gehaltenen Hintergrundes, zu dem bräunlich
warmen Ton des Kleides. Um zu erkennen,
was nun echt deutsch im Charakter ist, selie
man sich Paul Rieths musizierende Eamilie
an. Schwer ist hier die I-arbe, ungesciiickt.
nein unbeholfen die Komposition, aber voll
und ganz steht der Künstler mit seiner Tecii-
nik und seinem malerisciien Ausdruck auf
heimatlichem Boden und unmittelbar vor der
Natur ist Zug um Zug entstanden. Der Maler
großen Stils iit wie stets, so auch in diesem
Jahre Herm. Urban, am liebsten möchte man
die »Gewitterstimmung bei Riola^ oder den
farbensatten Spätsommer < statt mit Goldrah-
men umsciilossen auf den Wänden eines 1-est-
saales sehen (Abb. S. 574 u. 375). Die dekorativ-
künstlerische Art Urbans weist auf die Wand-
malerei hin. Eine merkwürdig phantastische
Note schlug Karl v. Marr in seinem »De-
korationsmaler auf orangcgelbcr Luft an.
Welch tiefsinniger Gedanke zum Ausdruck
gelangen sollte, ist schwer zu linden, jeden-
falls als malerisch originelle Leistung eine
höchst beachtenswerte iNLalerei. Tüchtig wie
immer ist Hans v. Bartels in seinen Aqua
rellen, deren Motive dem Küstengebiet ent
IN« chrittliche Kunst. V.
S!^ KLEINPORTRÄTKUNST J^iS
HERMANN' I.ANi.
X. Interna.
MAK 1 1\ (,Ki:ir ^i'i Aivi m
hmale KunitaHülellung Miinchm JOuQ
nommen sind, desgleichen Carl Bios mit
Bildnis und Stilleben, Claus Bergen mit
einem wuchtig hingeschriebenen englischen
Fischerdorf, dann endlich Rud. Sieck mit
seinen zarten und dabei sinnig wiedergege-
benen Stimnmngslandschaften von der baye-
rischen Hochebene.
Die Abteilung der Architektur, der
Aquarelle, Zeichnungen und graphi-
schen Künste enthält eine große Fülle kost-
barer Arbeiten, von denen wir ebenfalls nur
weniges als ganz hervorragend erwähnen
können. Franz Brantzkys »Möhnetalsperre
in Westfalen« wird dem Nichtarchitekten
wenig beachtenswert erscheinen, aber gerade
in der überaus einfachen und umso ein-
drucksvolleren Lösung steckt eine nicht zu
unterschätzende Geistes- und Gedankenarbeit.
Fesselnd sind die architektonischen Entwürfe
russischer Kathedralen und Paläste von Georg
Kosiakow, die uns einen Hinblick in eine
fremdartige Kunst gewähren. Neubelebungen
der alten Formen zeigen die Modelle und
Aquarelle von Landhäusern und Wirtschaften
von Franz Zell, ebenso die Modelle zur
Wiederherstellung des Schlosses in Neuenstein
in Württemberg von Bodo Ebhardt. Nicht
zu vergessen seien hier die nach großzügiger
Monumentalmalerei hinneigenden, aber stark
von antikem Geiste belebten Schöpfungen,
Vorlagen für Mosaik von Wilh. Koppen.
Unter den graphischen Künsten fallen beson-
ders auf die feinen, liebenswürdigen Zeich-
nungen von Ludwig Bolgiano, Gino
Parin, Attilio Sacchetto, Paul Leuteritz,
die technisch mehr blendenden als über-
zeugenden Radierungen von V. Vigano, die
eminent geschickten Radierungen von Hans
am Ende, Otto Gampert, Rudolf Kö-
selitz. Das vortreft liehe Prinzregenten-Por-
trät von Walter Firle, das den hohen Herrn
von der menschlichen Seite so vorzüglich
charakterisiert, hat leider einen ungünstigen
Platz erhalten. (Schluß folgt)
KLEINPORTRÄTKUNST
Von Dr. O. DOERING- Dachau
P)en großen Berliner und Münchener Ausstellungen
von Kunstwelken des ausgehenden i8. und der
eisten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließt sich in diesem
Sommer eine überaus interessante Veranstaltung zu
Mannheim an. Sie beschränkt sich auf das Spezialgebiet
der Kleinporträtkunst, zieht von deren Leistungen im
wesentlichen nur süd- und südwestdeutsche Beispiele
heran, und erreicht durch diese Einschränkung, daß das
derart gestellte Thema durch überraschende Fülle des
Gebotenen nahezu erschöpfend behandelt werden kann.
Natürlich niclit in Bezug auf die Zahl der einzelnen Er-
zeugnisse, wohl aber auf Charakterisierung der für die
Kleinporträtkunst in Betracht kommenden Techniken,
und der meisten auf diesem Gebiete tätigen Künstler-
kräfte. Ins Werk gesetzt ist die interessante Ausstellung
von Seiten des Mannheimer Altertumsvereins, der damit
zu seinem heuer fünfzigjährigen Bestehen eine besonders
interessante Feier veranstaltet. Man muß dem rührigen
Vereine zu diesem Unternehmen Glück wünschen, das
seinen bisher erreichten Erfolgen einen neuen anreiht.
Fast elfhundert solch zierlicher Porträtwerke lernen wir
hier kennen und freuen uns des Einblickes in ein Kunst-
37'
j/^
B®« KLEIN PORTRATKUNST J-^S
gebiet, das seiner äußerlichen Unscheinbarkeit halber
bisher allzu wenig jene Beachtung gefunden hat, die
es doch vollauf verdient. Wer diese kleinen Bildnisse
sorgfaltig durchmustert, wird überrascht sein ob der
Summe wahrhaft künstlerischer Leistung, die in ihnen
niedergelegt ist. Er wird auch sie als eine Erscheinung
der Kunstgeschichte würdigen und ihre Bedeutung um
so höher anschlagen, als einst mittelst dieser kleinen
Werke tüchtige Kunst in breite Kreise des Volkes ge-
tragen worden ist, die am lebendigen Wesen der großen
Kunst nicht durchweg persönlichen Anteil haben konnten.
Dazu kommt, um den günstigen Eindruck zu steigern,
das nahe Verhältnis, in dem wir selbst noch zu mehreren
jener Generationen stehen, das Verständnis und die
Ireundliche Vertrautheit, die wir den Großmüttern und
Großonkeln unserer Eltern immer noch entgegen zu
hl ingen imstande sind. Die Versammlung ihrer freund-
lich intimen Bilder mutet uns wohltuend an und dient
dazu, das Interesse für die Personen zu steigern, die
diese Bildchen geschafi'en, für die Techniken, deren sie
sich dabei bedient haben. Daß unsere heutigen Photo-
graphiealbums dereinst bei unsern Urenkeln gleiche
Interessen erwecken werden, läßt sich billig bezweifeln.
Mögen wohl auch jene zu ihrer Zeit der Alten freund-
lich und dankbar sich erinnern, dennoch können ihnen
unsere photographischen Porträts nimmer das bieten,
was uns jene kleinen Kunstwerke unserer Vergangenheit.
Denn die Photographie, selbst von der liehevollsten Hand
hergerichtet, bleibt ja doch Maschinenwerk. Die Klein-
porträts aber, für die jene in Maimheim T^'pen sind,
wurden mit künstlerischem Blick ersehen, mit eben-
solcliem Temperament festgehalten. Sie sind in ihren
besseren Beispielen Interpretationen menschlicher Charak-
tere, und somit nähert sich ihr Wert dem der Bildnisse
großen Umfanges, welch letzterer ja doch schließlich
mehr etwas .A.ußerliches ist.
Die Ausstellung ist in einem der umfangreichen Säle
im Obergeschosse des Großherzoglichen Schlosses zu
Mannheim untergebracht. Vor den vielen an den Wänden
und inmitten des Raumes aufgestellten Vitrinen, die mit
der gewaltigen Menge der .Ausstellungsgegenstände an-
LUU'. IG RÜLGI.WO
iitiotliile Kitnstaussti'UuJi^ München iQog
gefüllt sind, drängt sich die Schar der Besucher. Man
darf dem Mannheimer Altertunisvereine zum Ruhme
anrechnen, daß er verstanden hat, das Publikum einer
Industrie- und Handelsstadt für die Feinheiten einer
solchen auserlesenen Darbietung zu interessieren, und
zwar, wie ich mich überzeugen konnte, keineswegs nur
die obersten Scliichten.
Die Bildnisse stellen, wie es für Mannheim besonders
nahe liegt, zunächst Persönlichkeiten aus dem Kreise des
Kurfürsten Karl Theodor vor, auch den Fürsten selbst,
alle in recht offizieller Auffassung, nicht immer mit
sonderlicher Hervorhebung ihres innerlichen Lebens.
So sehen wir ein in Biskuit ausgeführtes Brustbild des
Koadjutors, späteren Fürstprimas Karl von Dalberg in
antiker Gewandung, eine Anzahl von Bildnissen Friedrichs
des Großen, General Laudon, Rousseau, Voltaire, Ferdi-
nand von Braunschweig, den Bischof von Spe\er, Franz
Christoph von Hütten. Im weiteren Verlaufe des 1 8. Jahr-
hunderts gilt die Darstellung nicht minder den Kreisen
des Hofes, doch auch jenen des Bürgertums. Wir lernen
Personen kennen, die zur Geschichte unserer großen
Dichter in Beziehung standen, wie Margarete Schwan,
Scliillers Freundin, die 1796 starb und hier etwa sechs
Jahre vor ihrem Tode porträtiert ist. Wir sehen Lavater,
Winckelmann, Wieland, Herder, die Baronin von Dal-
berg, Papst Pius VI. Allmählich weicht von den Per-
sönHchkeiten der Ausdruck schwärmerischer Empfind-
samkeit, es kommen die herben Männertypen, wir sehen
die in griechischem Gewände schreitenden Frauen der
Revolutionszeit. Zahlreich sind die Bilder Napoleons,
wir finden Hortense Beauharnais, Scharnhorst, Blüclier,
Ludwig XVI. und Marie Antoinette, Oliverius, den letzten
Kapuzinerpater in Baden. Endlich freuen wir uns der
solid bürgerlichen Figuren vom Anfange des 19. |ahi-
hunderts und bis in dessen Mitte hinein. Zwisclien
ihnen hindurch verstreut Bildnisse der leitenden Persön-
lichkeiten. So erscheint wiederholt König Max Joseph I.
von Bayern, Louis Philipp, Robert Blum, die Könige
Friedrich Wilhelm 111. und IV., Königin Luise, Franzi.
von Oesterreich, Papst Pius VII. und Gregor XVI. Das
sind hier wie bei allen vorgenannten Perioden nur einige
wenige, aufs Geratewohl heraus-
gegrifi'ene Beispiele. Mehr ins ein-
zelne zu gehen, verbietet der Raum.
Gänzlich unmöglich und auch ent-
behrlich sind nähere Angaben über
die die Hauptmasse bildenden Per-
sonen des Mittelstandes, zumal
wenn sie, wie zumeist, dauern-
den Ruf nicht erworben hahen.
Die Durclmiusterung in der an-
gedeuteten Reihenfolge, die übri-
gens der der Ausstellungsnum-
niern keineswegs entspricht, ist
von hohem Interesse für die Beo-
bachtung der Wandlung nicht
allein der Trachten , für deren
Kenntnis die Ausstellung von gros-
ser Bedeutung ist, sondern vor
allem iur die Veränderung der all-
gemein menschlichenErscheinung,
des Gesichtsschnittes, des Blickes
und Ausdruckes unter dem Ein-
flüsse verschiedenartiger histori-
scher Verhältnisse.
Die Reilienfolge der AussteL
lung ist nach Gruppen der Tech-
nik erfolgt. Ist doch das Miniatur-
bild des 18. und 19. Jalirhunderts
keineswegs ausschließlich Erzeug-
nis der Malerei, und ist doch auch
diese in ihren Mitteln und Mate-
WIiVTEKSONNE
©^ KLEINPORTRATKUXST m..
rialien für den vorliegeiuien Zweck
höchst mannigfaltig. Obenan stellt
bei ihr die Feinheit der Malerei
mit Wasserfarben auf Elfenbein,
die in einer reichen Menge kost-
barer Erzeugnisse vertreten ist.
Unter ihnen finden sich zwei Werke
— Bildnisse Ludwigs XVIII. und
Kapoleons — von lean Bapiiste
Isabey, eins von dem ausgezeich-
neten Wiener Miniaturmaler Rob.
Theer. Ein Bildnis Karl Theo-
dors ist 1795 von dem Münchner
Joseph Kaltner gemalt und stellt
den Kurfürsten im Hermelinmamel
mit Kurhut und Reichsapfel dar,
der Hintergrund ist blau. Die übri-
gen Malereien dieser Art sind von
weniger bekannten Meistern, bean-
spruchen aber gleichwohl ihrer
tüchtigen künstlerischenQualitäten
halber Beachtung. Danach folgen
-Miniaturhildnissc auf Porzellan, das
geeignet schien, das Elfenbein zu
ersetzen, ohne daß doch die Bil-
der den feinen Reiz jener errei-
chen konnten. Gleichwohl sind
tüchtige Arbeiten dabei, wie das
Bildnis einer Frau Louise Christ,
gemalt von dem Karlsruher]. Spel-
ter, von dem wir hier vielen Ar-
beiten begegnen. Es folgen Ma-
lereien auf Leinwand, Pergament,
Papier, Metall, in Email und an-
deren Techniken. Den Schluß
dieser Gruppen bilden endlicli
einige Stücke, die eine Zwischen-
stellung zwischen Miniaturmalerei
und Photographie einnehmen, in-
sofern das Lichtbild vom Maler
farbig ausgeführt wurde. Die be-
treffenden Blätter sind von dem
1800 im Koburgischen geborenen,
1859 in Mannheim gestorbenen
Porträtmaler Johann Martin .Mor-
genroth. Hierbei sei noch einiger
Miniaturmaler gedacht, deren Tüchtigkeit besonders her-
vorlrilt So nenne ich Heinrich Karl Brandt (1724 — 1787),
der in Wien geboren wurde, es zum Mainzischen und
KurpLilzischen Hofmaler brachte, 1784 nach München
kam, und dort elend zugrunde ging. Zu München
hatten weiter Beziehungen u. a. .Marie Ellenrieder aus
Konstanz (1791 — 1863), die besonders religiöse Gegen-
stände malte; der um 1850 lebende Erdmannsdörfer ;
Franziska Schöpfer (1770 bis nach 1826 . Andere be-
deutende Miniaturm.iler dieser Ausstellung sind der
Lotliringer J. B. J. Auguslin, der königlicher Hofmaler
in Paris war; Jakob Fürchtegott Dielmann aus Sachsen-
haiisen (I809— 1885 , der Milbegründer der Frankfurt-
Cronberger .Malschule. Weiter der tüchtige .Maler von
Kinderbildern Seb. Heimle, der gleich dem vorigen in
Frankfurt ansässig war. Ebendaselbst lebte seit 1806
auch Jos. Nie. Peroux (i 771 — 1849), der Lehrer Fr.
Dverbecks. Im höfischen Dienst zu .Mannheim stand
in der Mitie des 18. Jahrhunderts Fr. Jos. Kisling. Noch
erwähne ich Karl Kuntz (1770 — 1850), der in Karlsruhe
Hofmalerund Galeriedirektor war. Zur Karlsruher Gruppe
gehörte auch Heinr. Fr. Schalck (1791 — 1855), den ein
Sclilagtluß töteie, während er die Großherzogin von
Baden malte Die gewaltige Schar anderer .Miniatur-
maler muß hier unerwähnt bleiben.
Denn noch ist von anderen Erzeugnissen der Klcin-
-V. Iittt-niationttit Ktmstausstetlung Miinc/un iqoif
porträtkunst zu reden. Zunächst von den plastischen.
Auf diesem Gebiete kommen namentlich die Wachs-
bossierungen in Betracht. Sie sind größtenteils poly-
clironiiert und von überaus feiner .-Xusführung. Eine
Kindergruppe mit Ausblick in die Rheinlandschaft, ein
um 181 ) entstandenes Stück, gehört zum Reizendsien,
was man sehen kann. Wahrscheinlich stammt es von
dem Mannheimer Ign. Ilinel, dessen Tätigkeit zwischen
i8txi und 1825 fällt. .Vusgezeichnet ist das ovale Brust-
bild eines auf der Kanzel predigenden katholischen Geist-
lichen vom Ende des 18. Jahrhunderts.
Dann kommt die Fülle der Bildnisse in Porzellan und
Fayence, zu allcrnicist Reliefs, vereinzelt auch rund ge-
arbeitet. Unter erstcren d.is schon genannte Bild v. Dal-
bergs. Sehr wertvoll ist u. a. auch eine rund gearbeitete
Biskuitbüste von Jerome Napoleon, ein Produkt der
Fürstenberger Manufaktur, von der hier überhaupt zahl-
reiche Werke ausgestellt sind. Unter den Bildnissen
in .\labaster ragt durch Kunstwert das Reliefporträt
des .Münchner Malers und Galeriedirektors Georg Dillis
hervor. Das Werk stammt von dem vorzüglichen Pla-
stikcr Job. Pet. Melchior, der 1741 in Lintorf geboren,
von 1770 an in den Porzcllanfabriken von Höchst und
Frankcnthal tägig war, bis er die endgültige Stätte seines
Berufes in Nymphenburg fand Dort starb er 1825.
Noch ist zu gedenken der vielen feinen Reliefporträts
374
©^ BERLINER KUNSTBRIEF J^ö
in Marmor, Stein, verschiedenen Metallen, in Elfenbein,
Holz, Kristall, Muscheln, Lava, Ton, Gips und anderen
Materialien, auf die unmöglich im einzelnen eingegangen
werden kann. Von Künstlern dieser Richtung seien noch
erwälint der Mannheimer Fried. Brechter (1800 — 1890),
der Durlacher Hofmedailleur Joh. Marc. Buckle (1742
bis 181 1), der Wiener Manufakturdirektor und Professor
Ant.Grassi(i75 5 — 1807), der römische Gemmenschneider
Gis. Girometti (1780 — 185 1). Gleichf^üls in Rom wirkte
der Karlsruher Joh. Clir. Lotsch (1780 — 1873), der Thor-
w.xldscn bei der Herstellung der Aginetischen Skulpturen
half. Italienischer Herkunft war der badische Hof bildhauer
M.Jos. Pozzi (1770— 1842). Auch hei den Plastikern kann
ich mich nur auf diese wenigen Namen beschränken.
Denn immer noch ist von der Ausstellung zu sprechen.
Von ihrer großen Gruppe der Silhouetten in Papier und
Glas, beide reich an bedeutenden und interessanten
Stücken. Zu gedenken ist der Bildnisse auf Gebrauchs-
gegenständen, die als Geschenke der Freundschalt dienten.
Hierunter sind besonders viele Dosen. Sie sind aus
Holz, Schildpatt, Elfenbein, Porzellan, Eisen, Lack, Perl-
mutter und andern! Material. Die Bildnisse sind darauf
geraalt, geschnitten, eingelassen, aufgelegt. Ähnlich ist
es mit jenen, die wir auf Gläsern, Tassen, Pfeifenkopfen,
auf Ringen, Anhängern, Armbändern, Broschen, Uhren,
Petschaften, Löfieln, Lichtschirmen, ja auf Kanapee-
tlügeln tinden. Man sieht, daß die Mannheimer Aus-
stellung Abwechslung in Menge bietet. Sie ist bedeutsam
wegen des von ihr gegebenen außerordentlichen Studien-
materials, erfreulich wegen der feinen ästhetischen Ge-
nüsse, die sie vermittelt.
BERLINER KUNSTBRIEF
VY7egen der damit verbundenen bleibenden Anre-
gungen weisen wir auf die im letzten Winter ab-
gehaltene Internationale Volkskunst- Ausstel-
lung hin, veranstaltet vom Deutschen Lj'ceum-
Club. Doch hat dieser einen >Führer« herausgegeben,
in ersichtlicher Eile verfaßt von Marie v. Bunsen,
der zwar durch die etwas kunterbunte Ausstellung selbst
ungenügend leitete, als Leistung für sich aber noch in
alle Zukunft Wert behält.
Bisher wußten wohl nur wenig, welch reicher Schatz
von Tradition nicht nur in der spontanen Volkskunst
steckt, sondern auch von ihrer jüngst in mehreren Ländern
planvoll durchgeführten Neubetebung wieder aufge-
nommen worden ist, zumal durch die Wiederbelebung
der gegen Ende des Mittel.ilters so reich blühenden
Stickerei. Aber auch angesichts des jetzt Vorgeführten
merken die meisten vielleicht gar nicht, wie breit und
intim die christliche und speziell die kirchliche L'ber-
lieferung in Volkskunst und Hausleben gewirkt hat.
Unsicherer sind deren Zusammenhänge mit Vorchrist-
lichem.
Und nun die neuvermittelten Kenntnisse einzelner
Länder! Schaumburg-Lippe verblüfi't geradezu, nament-
lich durch Nachwirkungen alter Kirchentraditionen. Das
heimische Motiv zweier Vögel auf einem Lorbeerzweige
mit einem Herzen soll auf ein frülichristliches Katakomben-
symbol, die Ornamentik von Hemdspangen einerseits
auf Heidnisches, anderseits auf Kirchengeräte deuten.
»Die Brautkronen« gehen unzweifelhaft auf die alten
HERMANN URBAN
GEWITTERSTI.MMUNG BEI RIOLA
.\'. Internationale Kunstausstellung lilünclien tqop, Text S, s^Q
OB4 BERI.INRR ku\'S'i-brii-:f »«sa
375
Hi;HMANN' LKHAN'
ii ai.so.\imi:r
.V. Internationale Kunstttusstetlniig Mriitelten iqog. Text S j6g
Muttergottes- und Heiligenkronen zurücl;. Bei einigen
finden sich Bestandteile aus Reliquiarkronen des 12. Jahr-
luinderts.
TeNtilien mit biblischen Szenen, Symbolen usw. sind
namentlich in Norddeutschland so häufig, daß sie ein
Verweilen verdienen würden. Westfälische Kreuze und
Motivplatten, bayerische Wachsopfer u. dgl., süddeutsche
Wandtafel-Stickereien usw. kennzeichnen ein heimisches
Religionsleben. Reicli an einer mehr inhaltlicli als sinn-
lich markanten Religionskunst sind unsere Küstenlande
von Sclileswig bis Friesland. Die schleswigsche >Beider-
wand« aus Wolle und Leinen, für Bettvorhänge u. dgl.
mit Sprüchen, Bibelstellen u. dgl. versehen, ist eine jetzt
besonders beliebte Entdeckung (vgl. die Veröffentlichung
von E. Sauermann, Frankfurt a. M., bei H. Keller); und
die Vierlande mit ihren von der Zimmerdecke herab-
liangenden Taufkronen usw. sind seit längerem ein
Liebling der -Museen.
Die »biblischen Wandteppiche« lassen sich durch
Dänemark hindurch in den skandinavischen und britan-
nischen Norden hinein verfolgen — auch durch sonstige
Ausstellungen dieser Zeit. Schwedens reiche Spitren-
technik erinnert an Birgittas Kloster von 1546: die neuen
Bestrebungen in England und besonders in Irland wer-
den durch dortige Klöster unterstützt; Südamerika scheint
nocli von den früheren Jesuitenklöstern zu zehren.
Neben Osterreich, dessen neue staatliche Spitzen-
industrie seit einem Jahrzehnt vielbewundert ist, hat
Ungarn, besonders das obere, das alte Werkstältenwerk
der Königin Gisela wieder aufgenommen und seine
mittelalterlichen Kirchengewänder usw. neu verwertet.
Frankreich benutzt seine volkstümlichen Schätze, zumal
die bretonischen, anscheinend nur erst in vereinzelter
Weise; Italien dagegen hebt sich durch .systematische
Vereinstätigkeit, und in Assisi geben (Chorhemden und
Altardecken neue feine Arbeit. Griechenland scheint sein
Altertum und byzantinisches Mittelalter mit Hilfe einer
königlichen Scliule besonders zu ornamentalen Stilisie-
rungen zu verwerten, die erträglicher sind als viele
andere. Bulgariens und Rumäniens Förderung des Haus-
tleißeswird aufs neue bekannt; bulgarische Kreuze u. dgl.
fallen gut auf. Doch vielleicht d.is llauptereignis
der iXusslellung bedeutet abermals Rußland. Seine sehr
alte, speziell kirchliche Stickerei, mit Tendenz zu byzan-
tinischer Pracht, wird staatlich und privat neu gefördert,
und das Ergebnis scheint hier überhaupt zum ersten
Male deutlich erkennbar zu sein. Eine >Muttergoites-
Spitze« zeigt Pfauen in Strahlenschein; Bilder von Christi
Grablegung u. dgl. zeigen sich auf Textilien; LötVel ent-
halten in ihrem breiten durchbrochenen Stiel Ileiligen-
szenen; und am beneidenswertesten dürften gegenüber
abendlandischer Kirchenstickerci die russischen Popen-
mäntel sein. —
Haben wir zugunsten einer auch für christliche Kultur
überhaupt so lehrreichen F-xposition eine Ausnahme von
unserer sonstigen Beschrankung auf »hohe« Kunst ge-
macht, so kehren wir zu dieser zurück durch ein paar
Blicke auf die ständigen Ausstellungen des Kupier-
stich ka b in ettes und bed.\uern, nicht langer verweilen
zu können bei den Buchmalereien und Minialuren, die
im I I.Jahrhundert mit deutschen livangcliarien beginnen
und ins 14., 1 >. Jahrliundett hinein einen gewaltigen
376
^ms ALTES BAYERISCHES l'C^RZl-I.LAN »^a
JULIUS SCHRÄG
VLAMISCHES IXl'ERIEUR
,V. Init'vtiaiion.iU- Kunslr.itistelluni; Mnncltcn IQcQ
Aufbclnvung nehmen. Neu-Erwerbunoen der alten Ab-
teilung zeigen, von des Meisters E. Entwurf zu einer
gotischen Monstranz angefangen, besonders neutestament-
liche Szenen auf Holzschnitten und Kupferstichen (her-
vorragend eine >Auferstehung<i des vordürerschen J. van
Meclcenem, eine unvollendete Gruppe aus einer Hirten-
anbetung des virtuosen H. Goltzius, ein Christus und
eine Madonna des J. Morin in seiner Portratradierungs-
manier); darunter manche von den typischen Nach-
ahmungsgraphikern des 16. Jahrhunderts. — Die neue
Kabinettsahteilung brachte zuletzt französische Radie-
rungen und Grabstichelarbeiten des 19. Jahrhunderts,
leider wiederum mit geringer Ausbeute für christliche
Kunst. Doch konnte man sich dafür interessieren, wie
von der mehr linearen Tendenz eines J. A. D. Ingres
(Portrat des Erzbischofs von Rennes 1816) zu der mehr
llächigen eines E. Manet gegangen wird, die dann A.
Besnard wieder etwas ins Lineare zieht; oder wie E.
Burnand das Gedicht Mistrals »Mireio'i illustriert; oder
für die Bretonierinnen von Ch. Cottet. Dagegen wur-
den jetzt kirchlich-künstlerische Interessen befriedigt durch
Kupferstiche von Ferd. Gaillard (1834 — 1S87). Seine
Linienfeinheit zeigt sich in der Reproduktion seines ei-
genen Sebastiangemäldes, seine Porträtkunst in mehreren
Bildnissen von Kirchenfürsten u. dgl. Das Porträt des
Liturgie- und Musikforschers P. Gueranger ist in drei
von den 1 3 Zuständen vorhanden, durch welche hin-
durch der Künstler eine Vollendung erreicht hat, der
vielleicht manche Moderne den fleckigen dritten Zustand
vorziellen würden. Dr. H.ins Schmidkunz
ALTES BAYERISCHES PORZELLAN
InNo. 10 wurde bereits mitgeteilt, daß das Bayerische
Kationalmuseum von Endejuli bis Mitte September d. J.
eine Ausstellung alten bayerischen Porzellans veranstal-
ten wird. Die Ausstellung ist nunmehr eröffnet. Der
offizielle Katalog derselben wurde von dem Kg!. Konser-
vator Dr. Fr. FL Hofmann mustergültig verfaßt. Er gibt
ein klares übersichtliches Bild von der Ausstellung und
ermöglicht eine rasche Orientierung. Der Text ist knapp,
frei von unnötigem Ballast, dabei vollständig und an-
schaulich. 24 vorzügliche gut gewählte ganzseitige Ab-
bildungen führen die markantesten Typen der Fabrika-
tion verschiedener Manufakturen vor, wodurch der Kata-
log eine wertvolle, künstlerische Bereicherung erfährt
und eine eriiöhte Bedeutung erlangt. Der Aufbau des
Ganzen ist sehr glücklicli. Direktor Dr. Hans Stegmann
leitet den Katalog mit einem kurzen Vorwort ein. Daran
schließt sich ein Verzeichnis der .Kussteller. Diesem lolgt
ein geschichtlicher Abriß der Manufakturen nebst Er-
klärung des Markenwesens der einzelnen Fabriken und
ihrer Künstler. Hierauf gibt uns ein Verzeichnis über
die bis jetzt erschienene Literatur Aufschluß. Daran reiht
sich die Beschreibung der ausgestellten 21 51 Gegen-
stände. Mit den Abbildungen schließt der Katalog ab.
Herrn Dr. Fr. H. Hofmann" gebührt für seine Leistung
volle Anerkennung. Der Preis des Kataloges ist niedrig ge-
halten, er beträgt nur M. 1.50. Die Ausstellungsbesucher
werden dies den Veranstaltern besonders danken.
Für die Kedaklio
; S. Slaudha
Drack von
enadeplatz 3) ; Verlag de
Gesellschaft für ehr
in München.
itliche Kunst, G. 1
BEILAGE
WETTBEWERB FÜR EINEN ZIERBRUNNEN
WETTBEWERB FÜR EINEN ZIER-
BRUNNEN
r^as moderne München hat von dem Erbe Ludwigs I.
Besitz genommen; es setzt alles daran, das herrliche
Stadtbild immer reicher und mannigfaltiger auszugestalten.
Man findet bald keinen größeren Platz oder keine An-
lage mehr ohne eine Bildsäule oder einen Brunnen.
In all diesen Denkmalen tritt die Plastik als rautnschmük-
kende Kunst auf. Sie hat infolge dieser mannigfaltigen
Anwendung in München eine vorzügliche Förderung
erfahren. Den Künstlern bietet .sich durch Anteilnahme
an Wettbewerben, die zur Eilanj^ung von Entwürfen für
öffentliche Denkmale, Brunnen u. dgl. dienen, reichlich
Gelegenheit zur Entfaltung ihres Könnens. Denn nichts
ist besser geeignet, die Phantasie zu fruchtbarem Schaffen
anzuregen, als Ideen für ganz bestimmte Zwecke und
positive Aufgaben. Man veranstaltet Ideenkonkurrenzen,
um Vorschläge und Pläne für einen ganz bestimmten
Zweck zu gewinnen. Wenn es sich dabei um die Aus-
schmückung eines Platzes durch einen Brunnen handelt,
so soU die Ideenkonkurrenz Pläne und Skizzen für die
räumliche Ausgestaltung der üblichen Situation zutage
fördern; sie soll ferner die künstlerische Idee des gegen-
ständlichen Motives klarlegen, ein anschauliches Bild der
räumlichen Anordnung desselben und der Gröüenver-
hältnisse geben. Die Skizze soll noch außerdem das
Material und den Stoff andeuten, aus dem das künst-
lerische Gebilde erstehen soll. Skizzen zu Wettbewerben
sollen vor allem die örtliche Situierung, die räumliche
Ausgestaltung und die gegenständliche Bedeutung des
Motives in einem klar durchdachten, anschaulich gezeich-
neten Bilde vorführen. Die Münchener Wettbewerbe
zeichnen sich im allgemeinen durch derartig künstlerische
Qualitäten aus. Aber nicht alle Wettbewerbe stehen
auf derselben Stufe. Der letzte Wettbewerb zur Er-
langung von Entwürfen für einen Zierbrunnen am Josefs-
filatz wirkte mehr durch die Quantität als die Qualität.
Über 90 Modelle waren dazu eingelaufen') und man
durfte eine ziemliche Anzahl interessanter Lösungen er
warten. Statt dessen gewahrte man vielfach Nachah-
mungen bekannter, bereits ausgeführter Denkmale und
daher wenig Originalität in der Erfindung. Zwar fehlte
es nicht an Phantasieprojekten: wie z. B. eine ins Riesen
hafte gehende und vielleicht das zehnfache des Kosten-
Voranschlags überschreitende Platzgestaltung oder der
Elefantenbrunnen und dergleichen. Mehrfach wurde die
Idee, die Flucht nach Ägypten plastisch darzustellen und
monumental zu verwerten, variiert. Die Aufgabe eines
Zierbrunnens zur Ausschmückung des Josephsplatzes bot
eben für einen erfinderischen Kopf eine Fülle von Mög-
lichkeiten dar.
Die Lage des Platzes ist derErrichtung eines schmucken
Brunnens günstig; der Platz wird von Häusern um-
schlossen, die ziemlich einheitliche Größenverhältnisse
und einen ziemlich einheitlichen architektonischen Cha-
rakter aufweisen. An einer Seite des Platzes tritt die
Kirche stark hervor; sie bildet gleichsam die architek-
tonische und gegenständliche Dominante; sie übt natürlich
auch auf die Größenverlialtnisse, den formalen Charakter
und das gegenständliche Motiv des Brunnens ihren Ein-
lluü, wenn dieser, was sehr nalieliegt, der Kirche gegen-
über aufgestellt wird. Der Platz erhält aber auch eine
ganz besondere Ansicht durch ausgedehnte gärtnerische
Anlagen, die gerade l'ür eine offene Brunnenanlage weilen
Spielraum bieten. Die meisten Projekte fassen auch
diese beiden Gestaltungsmöglichkeiten ins Auge; ihre
Urheber dachten sich die Aufstellung des Brunnens ent-
weder der Kirche gegenüber oder in die Mitte der Anlage.
Das Preisgericht hatte fünf Projekte ausgewälilt und
als gleichwertig begutachtet. Von diesen fünf befassen
sich vier eingehender mit der Platzgestaltung. Drexler
und Koppel denken sich eine offene Brunnenanlage
an das Ende des Platzes gestellt; Alberts hofer und
Bestelmeyer verlegen den Brunnen in die Mitte des
Platzes, wobei eine gärtnerische und künstlerische Aus-
gestaltung der Anlagen vorgesehen ist. Das Projekt von
Prof Erwin Kurz und Otho Orlando Kurz faßt
den Platz gegenüber der Kirche ins Auge und gestaltet
ihn durch einen offenen, sich dem Terrain und der An-
lage anschmiegenden Brunnen, der mit einer Gruppe
von Adam und Eva geschmückt ist; ebenso Henimes-
d orfer, der einen Brunnen mit einer Steingruppe, die
Flucht nach Ägypten darstellend, mit einer leicht an-
steigenden Terrasse und Sitzbänken verbindet. Netzers
Projekt könnte an irgend einer Stelle des Platzes zur
Ausführung gebracht werden.
Außer diesen fünf Entwürfen hätte das Preisgericht
vielleicht noch weitere fünf Skizzen begutachten und
mit einer lobenden Erwähnung auszeichnen können.
Vielleicht wäre dieser Weg auch einmal einzuschlagen.
Man zeichnet eine oder zwei Arbeiten mit Geldprämien
aus und verteilt an die Urheber weiterer guter Entwürfe
Diplome, die von den Preisriclitern unterzeichnet werden.
Sciiließlich kann doch immer nur eine Arbeit zur Aus-
führung kommen. Dabei wäre es wünschenswert, daß
auch immer das Preisgericht seinen künstlerischen Ein-
fluß geltend macht. Nicht selten ist es so: das Preis-
gericht denkt und der Besteller lenkt, und tut was er
mag. A. H.
■) Da! Ergebni!
irde bereits im 10. Hefl milgeieill. D R.
OTTO ZF.HENTBAfER TOSSKI/ZE ZL' KIKI-M KPITAPH
KUNSTBRIEF i-AUS BARMEN
W. GÖHRING
GRABSTEINSKIZZE
deraltbergischen Innenkunst und umfaßt dabei denZeitraum
von 1700 — 1850. Eigenarten der bergischen Kunst lassen
sich aus den dargebotenen Werl<en wohl erkennen. Neben
der Truhe bildet der Schrank das wichtigste Möbel und
zwar der Glasschrank, der, gerade dem bergischen Lande
eigen, fast in keinem Hause fehlen durfte. Seine Ent-
wicklung vom alten >Shap< zum Rokoko-Schrank läßt
sich an den ausgestellten Stücken verfolgen. Im Aufbau
mischen sich holländische Einflüsse mit heimischen Ele-
menten, während das Rahmenwerk zuweilen stark an
Bretzel-Backwerk erinnert. Das prächtigste Stück der Aus-
stellung sowie des ganzen Landes wohl stellt der große
Prachtschrank aus dem Besitze des Dr. Deubel-Barmen
dar. Das Empire bietet weniger dem bergischen Lande
Charakteristisches. Das Schwanenmotiv scheint eine
solche Eigenheit darzustellen, und manche Tische zeigen
eine sehr aparte Form der Träger. Der Biedermeierstil,
der jetzt erst wieder beginnt beachtet zu werden — •
pflegen doch meistens 70 — 80 Jahre zu vergehen, ehe ein
Stil historisch wird — ist auf der Ausstellung durch eine
reizende Einrichtung vertreten in Kirschbaumholz, das
jener Stil besonders liebte. Biedermeier und Empire sind
die Epochen, von denen der moderne Stil ausgeht. Es
ist gut, daß das Publikum durch eine solche Ausstellung
auf diese Quellen hingewiesen wird und daß so auch
dem unberechtigten Vorurteile gegen jene Zeit, dem man
so häufig begegnet, gesteuert wird.
Und nun noch ein Wort über die Abteilung, die die
modernen Kunstwerke aus Barmer Privatbesitz vereint.
Den glänzendsten und größten Beitrag haben die Samm-
lungen des Hugo Toelle und der Frau Carl Toelle
geliefert. Lauter erste Namen, lauter Meisterwerke bieten
KUNSTBRIEF AUS BARMEN
P)ie gegenwärtige Ausstellung altbergischer In-
nenkunst und moderner Kunstwerke aus
Barmer Privatbesitz, aus Anlaß der Jahrhundert-
feier der Stadt veranstaltet, ist wohl das erste
größere Ereignis, das Barmens Ruf als moderne
Kunststadt in weitere Kreise dringen läßt. Sicher-
lich glaubten die Einwohner auch vorher schon,
auf einen solchen Ruf Anspruch machen zu
können. Aber was bot denn Barmen in künst-
lerischer Beziehung? Ein Kunstverein, 1866 ge-
gründet, suchte unter seinen Mitgliedern die
künstlerische Kultur zu heben, veranstaltete perio-
disch wechselnde Ausstellungen, in denen er die
Besucher mit modernen Meistern bekannt machte.
Aber der Barmer Kunstverein bot, wie mancher
seiner Genossen, in seinen Ausstellungen ein
willkommenes und stark beanspruchtes Refugium.
Von größter Wichtigkeit für den Verein ward
die Errichtung der RuhmeshaUe, 1895 — 1 900 nach
Planen von Hartig erbaut. Der Verein erhielt nun
eine dauernde Heimstätte für seine Ausstellungen
und, was wichtiger war, für die Gemäldesamm-
lung, die im Laufe der Jahre erworben, lange
Zeit jedoch infolge Raummangels geschlossen
war. Die Sammlung weist manch gutes Stück
auf und nur die besten Namen seien hier genannt.
Ferdinand Brütt ist mit zwei Bildern ver-
treten, ihm schließt sich an Fritz Erler mit
dem »Mädchen in Weiß«, Otto von Faber
du Faur mit einem großen Geschichtsbild, C.
Becker und G. Wendung mit dem gemein-
samen Bilde »Hamburger Hafen « , ferner Charles
Hoguet, Fr. v. Lenbach (Bismarckporträt),
H.WillemMesdag, Claus Meyer, Ludwig
Munthe, Ludwig Neuhoff, Adelsteen
Normann, Georg Oeder, Hans Thoma
(Wiese mit Pappeln) und Fritz von Uhde.
Die gegenwärtige Ausstellung nun gilt zunächst
CHR. UNTERPIERINGER
GRABSTEINSKIZZE
sie dar. Von Courbet ist eine Landschaft und eine
durch ihre feinen Übergänge ausgezeichnete Marine zu
sehen. Ihm schließt sich an Böcklin mit einer Land-
schaft vom Jahre 1853, die in der Komposition noch
unter Schirmers Einfluß, in der Farbe doch schon eine
stark persönliche Sprache redet. Von demselben Meister
zeigt die Ausstellung den durch eine unheimliche Stim-
mung ausgezeichneten »Hüter des Geheimnisses« und
das Bild »Gottvater zeigt Adam das Paradies«. Von Leibl
besitzen die Sammlungen drei Kabinettstücke. Von den Se-
cessionisten ist L i e b e r m a n n durch seine »Korbflechterin « ,
den »Waisenhausgarten in Amsterdam« (Kreidezeichnung)
und das Bild »In der Düne« vertreten. Ihm schließt sich
Corinth mit einem seiner besten Werke an: »Rudolf
Rittner als Florian Gej'er.« Von Zügel ist ein inter-
essantes Frühwerk, zwei prächtige Schaf köpfe, ausgestellt,
bei dem man noch nichts ahnt von des Meisters späterem
Stil. Neben Stucks außerordentlich weichem »Pastell-
bildnis der Frau Professor Braun« und dem dekorativen
farbigen »Bacchantenzug« sind einige Bildnisse von Len-
bach zu nennen. Daß H engeler, von dem das köst-
liche »Idyll« und andere lustige Bildchen ausgestellt sind,
auch einen so ernsten, schwermütigen Abendfrieden malen
konnte, wird manchem neu sein. Die Düsseldorfer sind
durch ihre ersten Meister vertreten. Interessant ist das
Frühbild des M. Ciarenbach, sowie Seh reuers
»Bauernhof«, von seltener Farbigkeit und höchstem male-
rischem Werte. Von G. v. Bochmann, E. V. Gebhardt,
E. und A. Kampf sieht man Meisterwerke; die Worps-
weder Modersohn und Hans am Ende, außerdem
Zuloaga und Herkomer sind mit ebenso vorzüglichen
wie charakteristischen Bildern vertreten. Dr. Heribert Reiners
BERLINER KUNSTBRIEF
BERLINER KUNSTBRIEF
A dolf V. Menzels Assistent, sozusagen, war Fritz
Werner. Geboren 1827, dann im Besitze fran-
zösischer Eindrücke, die ihn bereits damals gegenüber
der Romantik auf Seite eines Realismus stellten, wurde
er der bekannte graphische Interpret jenes Meisters.
Eine Gesaratausstellung in der Berliner Akademie der
Künste faßte sein Lebenswerk zusammen, und gleich-
zeitig (16. April 1908) starb der hochgeehrte, aber längst
nicht mehr allgemein interessierende Grenadiermaler.
Die Graphik verläßt uns auf unseren Kunstwande-
rungen gerade jetzt am wenigsten. Caspers Kunst-
salon stellte moderne Meislerzeichnungen aus. Weib-
liche Studienköpfe des Franzosen N. Diaz und unseres
L. Knaus hoben sich besonders hervor; von dem
Radierer W. Unger überraschte die Sepiamalerei einer
gotischen Halle.
Die Kunstausstellung Wert heim setzt nach wie vor
große Truppen junger Landschafter in Bewegung. Den
bereits durch Bilder aus Kirchengeschichte u. dgl. gut
bekannten Berliner Adolf Schlabitz begrüßen wir
wieder bei einem Gemälde >An der Klosterpforte«.
Unter anderen Landschaften interessiert ein in drei Zeiten
verschieden erscheinender >Malerwinkel< (schon der
Japaner Hokusai und der Franzose Monet hatten derlei
Variationen gemalt). Der Uthographische Charakter
moderner Malerei ist bei diesem Künstler ebenfalls zu
merken. Wir nehmen von ihm gleich auch das gut
monumentale Wandbild auf der jetzigen »Großen« an-
erkennend vorweg: »Martin Rückarts Bittgottesdienst in
größter Kriegsnot am 24. Februar 1659 zu Eilenburg«.
Um noch wenigstens zwei Namen bei Wertheira zu
nennen, verweisen wir auf einen »Sonnigen Altar« des
Dresdeners Max Kowarzik und auf eine »Abend-
sonne« des Düsseldorfers Willi Kukuk.
Wiederum den Vorrang des Graphischen in der
modernen Kunst zeigen die, im übrigen etwas einför-
migen Landschaften von Paul Baum bei P. Cassirer,
dessen Salon weiterhin in ziemHch gleichmäßiger Weise
bei seinen französischen und deutschen Franzosen bleibt.
Doch sei hier Philipp Klein j ob anmutiger einheit-
licher Farbenlichter gerühmt.
Einen direkten Erfolg hatte die Schwarz-Weiß-Kunst
besonders durch die .Ausstellung von Originalen der
Berliner Illustrierten Zeitung in der Galerie Schulte.
Es liegt in ihnen mehr gute Phantastik, als man von
moderner JoumalreaHstik erwarten möchte ; in diesem
Sinne verdienen z. B. der Münchener Robert Engels
und der Magdeburger .\lois Kolb Erwähnung.
In derselben Galerie nötigten uns besonders Medail-
len und Plaketten von Rudolf Mayer Achtung ab.
Sie sind ziemHch malerisch weich gehalten. Neben
Porträts (z. B. der sehr breitflächigen Eisenplakette »Meine
Mutter«) liebt der Künstler Themen wie »Moles cura-
rum«. Weniger als dieses gefiel uns ein Christus mit
Dornenkrone und das sehr virtuose, aber äußerliche
Stück >In Precibus«.
Margarete v. Kurowski, Münchnerin, starb vor
zwei Jahren, wohl noch unausgereift. Mehrere ihrer
weichdunklen Mutterbilder sahen wir jetzt bei Schulte.
Der Brand der Berhner Gamisonskirche mußte die
Beteiligten auch in Rücksicht auf die von frommer Ge-
schichte gesättigte Stimmung dieses traditionsreichen
Gotteshauses schmerzen. Georg Schöbel malte
mehrere der wirklich ergreifenden Eindrücke nach dem
Brande; neben diesen Bildern war eines von F. Skar-
bina ausgestellt, das die Gruft darstellte.
Eine GesamtaussteUung von H. Zügel zwingt jeden
malerisch Interessierten zu längerem Verweilen. Der
Künstler bekundet namentlich durch sein Hineinarbeiten
der Tierbewegungen in die Landschaft eine hohe Kunst-
gewandtheit. Auch die friesischen Mädchen u. dergl.
von O. H. Engel mit ihrem feuchtfrischen Zuge sieht
man immer gerne. Duftige Landschaften eines anschei-
nend noch Jungen, Max Fritz, schheßen sich an. Unter
Porträts interessieren die flottspielenden Kinder u. dergl.
von F. Menshausen-Labriola, anscheinend von
Engländern (Romnev?) beeinflußt.
K.H.K.Steffeck(i8i8— 1890) erschien bei Schulte
jahrhundertlich. Interessanter als seine allgemein ge-
rühmten Tiere schienen uns einige Porträts von ihm
zu sein. Sie erzielen eine zum Teil mächtige Wirkung
durch etwas, das gerade heute so sehr fehlt : wir möchten
von »Sachtreue« sprechen.
In das Gegenteil, in eine Phantastik mit sehr weit-
OTTO ZEHENTBAÜER
SKIZZE Zu EIKEM CRABDENKUAI,
BERLINER KUNSTBRIEF
gehender Vereinfachung, führt uns die Sonderausstel-
lung für Carl Leipold im Künstlerhause. Wir hatten
ihn bereits hervorgehoben, als noch wenig von ihm zu
sehen war. Jetzt bestätigt sich uns der Eindrucli, daß
wir es mit einer nicht nur darstellerischen, sondern
auch schöpferischen Kraft zu tun haben, deren Stim-
mungssüßigkeit (etwa ein ins Malerisclie übersetztes
Harmoniumspiel) allerdings nicht jedermanns Sache sein
wird. Aber sein »Es werde Licht< und namentlich
seine Meeresbilder aus der tropischen Welt bleiben in
der Erinnerung. — Das Künstlerhaus pflegt weiterhin
die Geschicidichkeit der speziellen Landes-Landschaft.
Unter den neueren von diesen Heimatkünstlern mag
der Berliner Heinrich Krauel genannt sein.
Aus Florenz kam A. v. Suckow mit einer eigenen
Sonderausstellung. Er schafft namentlich eigenartige
Szenerien auf dem Meere. So seine aVision«, in welcher
den wogenkämpfenden Schiffern weit rückwärts in kleiner
Figur Christus erscheint. Auch »Fhrtende Minnesängerc
erscheinen auf dem Meere; ein »Seeraub« setzt diese
Themenwahl fort. Eine nächtHche Prozession in Taor-
mina und ein S. Sebastiano (Aktstudie in altitalienischem
Stil) zeigen des Malers Anlage für kirchliche Themen
und für Verwertung der Tradition. Gerne würden wir
diesem seelisch begabten Landschafter bald wieder be-
gegnen, sei es auch nur mit^Stücken wie seinem »Grab-
mal im OHvenhain«.
Eine kurze Reverenz sei der Ausstellung von Nürn-
berger Stadtbildern gewidmet, welche der seit dem vierten
Lebensjahre taubstumme Paul Ritter (1829 — 1907) mit
viel Hingebung gemalt hat. Der Salon K e 1 1 e r & R ei n e r
macht sich mit solchen Kollektionen sehr verdient. In
Hans Unger (den wir auf der Berliner Großen 1908
mit einigen der folgenden Stücke wiederfinden) zeigt
er uns einen Meister von sibyllenhaft großzügigen, wenn-
gleich auch etwas gekünstelten Frauenköpfen. In einer
der farbig sehr einheitlichen Landschaften des Malers
HEINRICH EBERLE
Stehen eindrucksvoll »Mutter und Kind«. — Im Vorüber-
gehen interessieren wir uns noch für die Originalradie-
rungen (zum Teil leise farbig) des Kopenhageners Ernst
Krause, bei denen namentlich der Wechsel von paral-
lelen und rechtwinkelig gekreuzten Strichen auffällt.
Den Bann, den unsere Salons gewöhnlich über der
religiösen Kunst halten, brechen noch am ehesten Keller
& Reiner. Der in Cincinnati und Berlin lebende Maler
Arthur Johnson nähert sich solcher Kunst wenigstens
durch sein großes Triptychon »Und der Herr sprach«.
In einer hübsch geformten Umrahmung sehen wir auf
düsterem Grün und Blau die erschreckten ersten Men-
schen ; daneben auf schmalen Seitenflügeln etwas kit-
schige Nebenfiguren.
Die umfangreichste Sammlung von einer wenigstens
dem Thema nach religiösen Kunst, die uns seit langem
untergekommen, brachte jener Salon Mitte April. Merk-
würdigerweise war gerade diese Ausstellung recht sehr
vernachlässigt: nur kurz ließ man ihr Zeit, und keine
Spur eines Verzeichnisses unterrichtete uns über die
gerade hier nicht leicht auseinanderzuhaltenden Tech-
niken der Bilder. Auch das Kunstgewerbemuseum, das
zur Erinnerung an seinen verstorbenen Direktor Lessing
eine Ausstellungsehrung veranstaltete, heß seine sonstige
Geschicklichkeit in derartigen Vorführungen so sehr bei
Seite, daß der Beschauer mit wenig freundlichen Ge-
danken alles Weitere den Literaturstudien überlassen
konnte.
Jene religiösen Bilder wurden im Mai 1908 in Amster-
dam versteigert. Es sind Zeichnungen und Malereien
teils in Pastell, Blei, Kohle, Feder, teils in Aquarell,
Sepia, Tusch. Dieselben hatten einem illustrierten
Bibelwerk als Vorlagen gedient. Das Interesse der Künst-
ler und ihrer Zusammenstellung liegt allerdings nicht
im Glaubensinhalt, sondern in der biblischen Geschichte ;
das unserige namentlich darin, daß wir viele sonst an-
dersartige Franzosen hier wiederfinden. Unser Raum
läßt über Aufzählungen und Hervorhebungen
nicht hinauskommen. Wir stellen folgende
Namen voran, die uns am wenigsten bekannt
sind: Frank Dicksee; Albert Edelfelt
(»Fußwaschung« und »Anbetung der Könige«
wertvoll, im letzteren bei viel Lichtwirkung auch
inniger Ausdruck); Domenico Morelli
(u. a. »Wahrlich ich sage euch«, d. i. ein Lie-
bespaar in Gras und Blumen) ; J o h n M. S w a n ;
Jose Villegas. Bekannter sind: der ameri-
kanische und dann Londoner Graphiker E. A.
Abbey, geb. 1852, den späteren Neupräraffae-
liten anzuschließen ; hier trefflich »Jesus er-
scheint der knienden Frau«. Vom altbekannten
Alma Tadema ist ein >op. 364« da. Der
sonst durch Odaliskenbilder u. dergl. bewährte
I. 1. Benjamin-Constant hat eine vorzüg-
liche »Auferstehung des Lazarus« und einen
beachtenswerten »Jesus im Tempel«. Von'dem
vielleicht zu sehr vergessenen Tschechen V. d e
Brozik gab es mehrere kleine alttestament-
liche Aquarelle. Von jenen späteren Neu-
präraffaelitcn begegneten uns E Burne -Jones
und W. Crane, jener mit einer packenden
Kreuzabnahme, dieser mit einer Versuchung
der Eva. Weiterhin der Niederländer I Israels,
der Deutsche Arthur Kampf mit gut monu-
mentalen Sepiamalereien, daneben M. Lieber-
mann, dann der Franzose Puvis de Chavan-
nes, der Russe 11 ja Repin, der Italiener G.
Segantini, der Franzose I. Tissot, unser F.
V. U h d e mit geringerer Innigkeit, als sonst
zum Ersätze des Religiösen bei ihm vorkommt,
und endlich der Niederländer Julian de
SKIZZE ZU EINEM GRABDENKMAL Vriendt, Bruder des bekannteren Namens
BERLINER KUNSTBRIEF — VERMISCHTE NACHRICHTEN
HEINRICH EBERLE
Wägers; namentlich eine würdige Li-
nienführung erfreut an seiner >Grab-
legung Christi« u. dergl.
Am schwersten wird uns der ab-
kürzende Telegrammstil bei Melchior
Lechter, dem der Salon Gurlitt
1896 die erste und jetzt wiederum eine
Ausstellung gewidmet hat (ejne Sonder-
ausgabe der >Berliner Architekturwelt«
von 1904 unterrichtet näher über den
Künstler, und sein Pallenbergsaal von
1899 im Kölner Kunstgewerbemuseum
kann allgemein bekannt und geschätzt
sein). Geboren 1865 in Münster, ge-
sättigt mit der dortigen Tradition kirch-
licher Kunst und gut gebildet im Hand-
werke der Glasmalerei, tritt er uns na-
mentlich durch eine Vereinigung ältester
und modernster Mystik entgegen, auch
in mannigfaltigem Buchschmuck. Daß
sich in seine Werke vieles hineindrängt,
was ein Zuviel sein mag, können wir
nicht leugnen; gesunde Augen muß
man allerdings haben, wie sie wahr-
scheinlich auch der Künstler selbst be-
sitzt, dessen_reichhaltige Linienführung
ebenso auf ein normales oder weitsich-
tiges Auge deutet, wie sezessionistischer
Impressionismus auf ein kurzsichtiges.
Es ist Flächen- und noch mehr Linien-
kunst von üppig rhythmischer Art und
mit ausgesprochen lotrechter Tendenz,
was uns hier entgegentritt und, von den
bloßen Zeichnungen abgesehen, eine wundervolle Farben-
leuchtkraft entfaltet, mit Bevorzugung des Gold, Lichtbraun,
Violettblau. Am besten gefiel dem Referenten: »Panis
Angelorum. Ein Mysterium (ursprünglich für eine
Antependium-Stickerei gedacht) <. Es stammt aus dem
Jahre igo6 und zeichnet sich ganz besonders durch eine
ruhige Klarheit aus.
Besonders kräftig wirkte ein Glasgemälde-Triptychon
für das Sanktuarium einer Dame. Die Großartigkeit des
Werkes wird wieder etwas gestört durch eine auch den
Inschriften eigene Unruhe und schwierige Verständlich-
keit, wird aber jedenfalls bedeutend bewährt durch die
für dieses sowie für ein anderes Werk ausgestellten
Studien, die teils einen ahmählichen geraden Fortschritt
von mehr Indifferentem zum echt \'isionären und dergl.
?.uigen, teils auch wieder manches Wertvolle zugunsten
andersartiger Ausführung fallen lassen. So lernen wir
namentlich die Entstehung des (in Kartonphotographie
gezeigten) Glasgemälde-Triptvchons kennen, das sich be-
titelt: »Ars Coelestina — In Fönte Sacro — Ars Hu-
mana«. Die Figuren (die mit Vorliebe aus Grals-
schüsseln oder dgl. trinken) erinnern etwas an die gleich-
förmigen Knocliengerüste und Kleiderbehänge der Neu-
PrärafTaeliten, die auf Melchior Lechter offenbar ein-
wirkten. Ein Zuviel aucli hier!
Endlich gab es noch ein >Mysterium Christi (Entwurf
eines Wandgemäldes für den Chorraum der Neustädti-
schen Kirche in Bielefeld)« — wieder etwas durch Un-
ruhe und Reichlichkeit der Formen den Genuß er-
■sclnverend. Als Hausaltärchen wird uns vorgestellt ein
kleines Gemälde in hoch-schmalem Aufbau, goldge-
.sthmückt, mit dem Namen »L' .Vngelo ed i Fiori« (1906).
Bcrlni-Halcnsec Dr. Hans Scbmidkunz
\'ERMISCHTE NACHRICHTEN
Professor Gebhard Fugel hat Ende Juli die letzte
Station seines monumentalen Kreuzweges in der St.
Josephs-Kirche zu München nach vierjähriger Arbeit voU-
SKIZZE zu EINEM GRABDENKMAL
endet. Zu dieser Schöpfung ist der Meister warm zu
beglückwünschen. Aber auch jenen, welche die Aus-
führung des Werkes ermöglichten, den P. P. Kapuzinern
von St. Joseph gebührt der Dank wie der Kirchenbesucher,
so der christhchen Kunstfreunde. Selbstverständlich wer-
den wir auf die Bilder zu geeigneter Zeit ausführlich
zurückkommen.
Waldemar Kolmsperger — Hans Kögl. Für
die Pfarrkirche in Großaitingen bei Augsburg malte Pro-
fessor Waldemar Kolmsperger i. J. 1907 ein Altar-
bild, das Maria als die »Hilfe der Christen« darstellt.
Papst Pius V., der in die lauretanische Litanei den Titel
>auxilium Christianorum« einfügte, hebt seine Hände
vertrauensvoll zu Maria empor, die mit dem Jesuskind
über den Wolken thront. Im Hintergrund sieht man die
Peterskirche. — Für die Emporen derselben Kirche fer-
tigte Hans Kögl die vier großen Propheten nebst
Johannes Baptista und in sechs Bildern eine Darstellung
des Sechstagewerkes. Auch in der Kirche zu Matingen
war Kögl 1907 tätig.
Valentin Kraus. Bei dem engeren Wettbewerb
um das Grabdenkmal für den K. Rat Ludwig Jung wurde
dem Bildhauer Valentin Kraus (München) die Ausführung
übertragen. Das Denkmal wird von den bayerischen
Feuerwehren gestiftet und kommt in den Münchener
Waldfriedhof.
Der angesehene Landschaftsmaler Walter Leisti-
kow starb am 24. Juli im 45. Lebensjahre nach schwerem
Leiden. Er war am 25. Oktober 1865 geboren; seine
Kunststudien m.ichte er in Berlin bei Gude. Die Berliner
Sezession verliert an ihm ein hervorragendes .Mitglied.
Professor Dr. Karl Frey an der Universität Berlin,
ein Schüler und Mitarbeiter Hermann Grimms, feiene
am 19. Juli sein 25 jähriges Dozentenjubiläum. Er ist
der Herausgeber eines groß angelegten Werkes; >Michel-
VERMISCHTE NACHRICHTEN - ZU UNSEREN BILDERN
agniolo Buonarroti, sein Leben und seine Werke«, wo-
von der erste Band (über des Künstlers Jugendjahre)
vorliegt.
Ausstellung für christliche Kunst in Düssel-
dorf i 909. Die ursprünglich für das heurige Jahr ge-
plante Ausstellung findet Vom 15. Mai bis i. Oktober
nächsten Jahres im Städtischen Kunstpalast statt. Über
die Tendenz derselben berichteten wir bereits wieder-
liolt. Vorsitzender des Kunstausschusses ist Professor
Dr. Hans Board, stellvertretender Vorsitzender ist Al-
fred Graf von Bruehl, Maler. Die Ausstellung wird
international sein.
Düsseldorf. Zum Direktor der hiesigen Akademie
wurde Professor Fritz Roeber ernannt.
Architekt Theodor Fischer nahm die ihm an-
gebotene Professur am Polytechnikum in München an
und ist somit für München wieder zurückgewonnen.
Der Tiermaler J. H. de Haas starb in Königs-
winter, wo er Erholung gesucht hatte. Er war am
23. März 1832 geboren und lebte in Brüssel.
Einen Wettbewerb für ein Grabdenkmal
schrieb der Magistrat München aus. Das Grabmal ist
für die verstorbene Großhändlers- und Kommerzienrats-
gattin Frau Apollonia Wolf bestimmt und soll auf der
Grabstätte Sekt. 60, Reihe IX, Nr. 6 im östlichen Fried-
hof zu München errichtet werden. Die Entwürfe bezw.
Modelle sind in der Größe 1:5 zu halten und bis
15. Oktober lfd. Js. einzusenden. Der mit dem ersten
Preis bedachte Entwurf gelangt zur Ausführung. Außer-
dem sollen zwei Geldpreise zu 1000 M. bezw. 500 M.
zuerkannt und gegebenenfalls zwei weitere Entwürfe um
je 250 M. angekauft werden. Die nälieren Bedingungen
sind vom Magistrat München — Zimmer Nr. 297/II —
unentgeltlich zu beziehen.
Erledigter Wettbewerb. Vom Konkurrenzaus-
schreiben für HersteDung eines Valentin Ostertag-Denk-
nials wurde im 7. Heft (Beil. S. 71) berichtet. Das Resultat
ist folgendes. Es liefen 38 Entwürfe ein. Das Preisgericht
schlug den mit dem Kennwort »Ostertag-Terrasse« be-
zeichneten Entwurf zur Ausführung vor; er stammt von
den Bildhauern Heinrich Düll und Georg Pezold.
Drei weitere Entwürfe wurden mit der für Preise verfüg-
baren Summe von 2500 M. prämiiert und zwar so, daß
auf Motto >K< des Bildhauers Bruno Diamant und des
Architekten Diplomingenieur Heinrich Bergthold ein
Preis von 1200 M entfällt, dann auf Motto »Park« des
Bildhauers Hans Parzinger und des Architekten Eugen
Drei seh ein Preis von 800 M., ferner auf Motto »Bayern
und Pfalz« des Bildhauers Jakob Hofmann ein Preis
von 500 M. Die genannten Künstler sind sämtlich in
München. Die Modelle der Konkurrenz waren vom 3. bis
7. Juh ausgestellt.
Preisausschreiben. Ende Juni schrieb das Schle-
sische Museum für Kunstgewerbe und Altertümer einen
Wettbewerb für ein Umschlagblatt der Zeitschrift des
Kunstgewerhevereins für Breslau und die Provinz Schle-
sien aus. Berechtigt zur Teilnahme sind Künstler, die in
der Provinz Schlesien tälig oder geboren sind. Die Ein-
sendungen haben bis 5. August im Bureau des Schlesi-
schen Museums für Kunstgewerbe und Altertümer, Bres-
lau I, Graupenstr. 14, zu erfolgen. An Preisen sind aus-
gesetzt ein I. Preis von 300 M. und drei weitere von
]e 50 M.
Karlsruhe. Zurzeit wird an einem Anbau zur Kunst-
halle gearbeitet, dessen erster Stock als gesondertes Hans
Thoma-Museum gedacht ist.
Der Verein für Deutsches Kunstgewerbe e.V.
zu Berlin erriclatet eine Vermittlungsstelle zwisclien Er-
findenden und .ausführenden auf den verschiedensten Ge-
bieten des Kunstgewerbes. Adresse; Berlin W.9, Belle-
vuestr. 3 (Künstlerhaus).
Diese soll dem Erfindenden Gelegenheit geben, seine
Arbeit anzubieten, und dem Ausführenden, sich die ihm
zusagenden Kräfte auszusuchen. Zu diesem Zwecke soll
in der Vermittlungsstelle eine Auswahl von Entwürfen
der auf die Vermittlung reflektierenden Erfinder aufliegen,
nachdem sie einen Aufnahme-.\usschuß passiert haben.
Die Vermittlungsstelle empfiehlt dem Erfinder; nur solche
Aufträge zu übernehmen, deren Ausführung er mit seinem
Namen decken kann; dem Ausiülirenden ; den Namen
des Erfinders überall, wo es angängig, mitzunennen, sei
es bei Schaustellung, VerötTentlichung oder Verkauf des
Gegenstandes, und erhält das Recht, Erfindende wie Aus-
führende von der Benutzung der Vermittlungsstelle aus-
zuschließen, sofern ihr Verhalten dem Zweclie derselben
widerstreitet. Auskünfte über Erfindende oder Ausfüh-
rende erteilt die Vermittlungsstelle nicht, auch überläßt
sie die Honorarnormierung der freien Vereinbarung der
Parteien.
Internationale Kunstausstellung der Münch-
ner Secession. Seine K. Hoheit der Prinzregent Luit-
pold erwarb das Ölgemälde »Mooslandschaft« von Wil-
helm Ludwig Lehmann in München. — Vom bayerischen
Staat wurden für die K. Pinakothek angekauft das Ölge-
mälde »Saal aus Versailles« von Professor .\lbert von Kel-
ler in München und das Ölgemälde »Kühe im Moor
(.\bendstimmung)« von Professor Heinrich von Zügel in
München.
Das Triptychon von A. Böcklin »Venus genitrix«
vom Jahre 1895 wurde kürzlich für 80000 M. von der
Modernen Galerie in Wien angekauft. Geheimrat Prof
Dr. Neisser in Breslau, in dessen Besitz sich das Bild be-
fand, kaufte es seinerzeit von der Staffelei weg für 60 000 M.
ZU UNSEREN BILDERN
P)ie farbige Sonderbeilage ist eine Reproduktion der
sogenannten Madonna del Granduca im Pa-
lazzo Pitti zu Florenz, die Raffael um 1505 in Florenz
malte. Seine Bezeichnung soU das Bild vom Großherzog
Ferdinand III. von Toskana haben, der es besaß und
außerordentlich liebte. Es ist auf Holz gemalt und hat
eine Größe von 0,86 m X 0,56 m. Betrachten wir das
fromme, seelenvolle Bild von der formalen Seite, so
erkennen wir in dieser Komposition die einfachste in
der langen Reihe der meisterlichen Madonnenschöpfungen
Raflfaels (1483 — 1520). Wenn wir die Komposition in
Gedanken mit einer Linie einfassen, welche die .lußersten
Punkte und Umrißlinien der Silhouette begleitet, so
weist dieselbe eine große Ruhe und auf den beiden Bild-
seiten nur unerhebliche Verschiedenheiten auf. Als Richt-
hnie herrscht die reine Vertikale, in der auch das Ge-
sicht des Kindes steht ; nur der liebliche Kopf der Ma-
donna weicht davon sanft durch eine wirkungsvolle
seitliche Neigung ab. Die Bewegung von Mutter und
Kind und der hiedurch bedingte Rhythmus der Linien
ist zurückhaltend, um nicht zu sagen schüchtern. Typus
und Art des Pietro Perugino herrscht in diesem Früh-
werk noch vor, das den Übergang in Raffaels florenti-
nische Periode bildet und künstlerisch als Vorstufe zur
liebenswürdigen und in der Komposition schon reicheren
Madonna vom Hause Tempi zu betrachten ist.
zu UNSEREN BILDERN — BUCHERSCHAU
Eine reich illustrierte Fortsetzung des Artikels über
moderne religiöse Plastik wird in einem der nächsten
Hefte folgen und einem unserer angesehensten Bildhauer
gewidmet sein.
Über die S. 19 — 27 nach Kartons reproduzierten Ge-
mälde, mit denen Fritz Kunz die Universitätskapelle
Ste. Croix zu Freiburg in der Schweiz schmückte, wird
sich in Bälde ein eigener Artikel im Zusammenhang mit
der Veröft'entlichung einer anderen großen Schöpfung
des Künstlers verbreiten.
An dem schönen Gemälde von Hermann Groeber,
das S. 31 abgebildet ist, läßt sich das künstlerische Ziel
jener modernen Maler deutlich erkennen, die man als
Impressionisten bezeichnet. Hier darf man kein Linien-
spiel, keine mit dem Empfinden des Plastikers durch-
raodellierten Details an Gesicht, Händen, Gewandung
usw., keinen Rhythmus der Formen und keine Körper-
haftigkeit derselben suchen ; was der Künstler festhalten
will und darstellt, das ist ein rein malerischer Eindruck,
bewirkt vom freien Sonnenlicht, vom zufälligen Spiel
der Schatten, von den mannigfachen Brechungen der
Farben, von der warmen Luft, bewirkt an einer schein-
bar zufällig und regellos, in Wirklichkeit aber wohlbe-
rechnet im Bild zusammengefaßten Gruppe von Menschen,
die sich in ein idyllisches Plätzchen geflüchtet haben.
Bei der Unbestimmtheit der Details wird der Phantasie
viel Spielraum gelassen.
In der Beilage beginnen wir S. i — 5 die Veröffent-
lichung einer Reihe tüchtiger Entwürfe zu Grabmälern.
Diese Skizzen verdanken ihr Entstehen einem Kompo-
nierabend der jungen Künstler des Albrechi Dürer-Ver-
eins zu München. Es wäre zu wünschen, daß sie aus-
geführt werden könnten. Die Gesellschaft für christliche
Kunst in München (Karlstr. 6) wird den Interessenten
gern die Adressen der Künstler mitteilen. Mißbräuch-
; liehe Ausbeutung ist selbstverständhch nicht gestattet.
BÜCHERSCHAU
Stiehl, O.: Das deutsche Rathaus im Mittel-
alter. Mit 187 Abbildungen. Leipzig, E. A. See-
mann, 1905. Preis M. 10.50.
Autor und Verleger haben sich um die Veröffentlich-
ung dieser wertvollen Studie ein anerkennenswertes Ver-
dienst erworben. Sie ist, wie man deutlich herausfühlt,
nach gründlicher Sammlung und Sichtung des umfang-
reichen Materials mit großer Liebe zur Sache geschrieben
und hält den deutschen Kunsthistorikern die ernste Mah-
nung vor .-\ugen, welch' weite Strecken deutscher
Kultur und Kunst seit Lübke bisher geringschätzig über-
sehen worden sind. Es ist nachgerade an der Zeit,
von der seit Vasaris Vorgang von Burckhardt und Ge-
nossen gepredigten einseitigen Verherrlichung der
italienischen Renaissanse abzulassen und sich auf die
Tatsache zu besinnen, eine wie herrliche Kunst doch
eigentlich unsere von den Italienern so vielgeschmähte
deutsche >Barbarenkun.st< des Mittelalters gewesen ist.
Über dieses eminent wichtige Thema gedenkt Referent
demnächst an anderer Stelle eingehender, und zwar
nach entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten zu
handeln, was Stiehl in seiner Schrift aber eben aus
Mangel an grundlegenden Vorarbeiten noch außer acht
lassen mußte. Immerhin wird kein Kunstforscher, der
sich die deutsche Baukunst des Mittelalters als Studien-
feld erkoren hat, diese wegweisende Arbeit umgehen
können. Der denken und sehen kann, wird reiche
Anregung aus ihr schöpfen. Druck und Ausstattung
macht dem bekannten Verlage alle Ehre.
Breslau Dr. B. Patük
Künstlerworte, gesammelt und herausgegeben von
Karl Eugen Schmidt. Leipzig, E. A. Seemann, ge-
bunden M. 4. — .
Der in Paris lebende Kunstschriftsteller Karl Eugen
Schmidt gibt uns da eine .\nthologie von Aussprüchen
bildender Künstler; selbe umfaßt das ganze 19. Jahr-
hundert und geht von David, Koch, Schinkel bis zu
W'histler, Poynter, Lenbach, Rodin und Klinger. Das
Werk ist ein Summarium von Geistesblitzen bekannter
und unbekannter Künstler. Anregend im höchsten Grade,
da sich lauter >Fachleute<; äußern, sowohl über die
Kunst selbst wie auch über ihre mehr oder weniger
glücklichen Kollegen. Über den Wert der Kritik, über
das Wesen der Kunst, über das Schöne, über Kunst,
Staat, Gesellschaft, Realismus, IdeaHsmus, Impressionis-
mus, Technik, Genre, Licht, Originalität, Ausstellungen
und Kunstschulen sind viele hunderte Aussprüche zu-
sammengetragen. Beherzigenswert für jeden Künstler aber
ist das Kapitel »Kunst und Natur«. Ein seltsames Buch
und eine merkwürdige Sammlung, umsomehrals manches
hart dissoniert und die Gegensätze oft scharf anein-
ander stoßen. Das Ganze sieht sich an wie ein kleiner
Racheakt an den Künstlern, die nicht selten auf die
voneinander schroff abweichenden Urteile der Ästhetiker
hinweisen. Doch wäre es für die .-Vsthetiker nicht so
schwer, wie für die schaffenden Künstler, zu einem ver-
hältnismäßig objektiven Urteil zu gelangen. Möge das
Buch der Kritik eine Mahnung sein, schroffe Urteile sich
zehnmal zu überlegen, ehe man sie in die Welt hin-
ausruft.
Wien Karl Hirtmatin
Kaiser Maximilians 1. Gebetbuch. Mit Zeich-
nungen von Albrecht Dürer und andern Künstlern.
Photographischer Faksimiledruck in 4 — 11 Farben, her-
gestellt in der Kunstanstalt Albert Berger in Wien. Mit
Unterstützung des K. K. Ministeriums für Kultus und Unter-
richt in Wien und des Kgl. Ministeriums der geistlichen,
Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten in Berlin her-
ausgegeben von Karl Giehlow. Wien, Selbstverlag des
Herausgebers; im Buchhandel durch die Verlagsanstalt
F. Bruckmann A.-G. in München. 1907.
Auf diese großartige Publikation sei hiermit wärmstens
hingewiesen. Angesichts der vorzüglichen Faksimiledrucke
derselben wird man sich der Mängel der früheren Aus-
gaben des künstlerisch wertvollen Gebetbuches, die auch
unvollständig waren, recht klar bewußt. Bekanntlich wird
der mit dem Namen >Gebetbuch Kaiser Maximilians 1.«
bezeichnete Pergamentdruck zum einen Teil in der Kgl.
Staatsbibliothek zu München und zum andern Teil in
Besani;on aufbewahn. .\us dem Fragment zu Besan^on
gingen einzelne Bogen verloren; doch läßt sich wenigstens
ihr Text aus den noch erhaltenen nicht illustrierten Exem-
plaren ergänzen. Früher war man der Meinung, daß das
illustrierte Exemplar des Gebetbuches ausschließlich für
den persönhchen Gebrauch des Kaisers Maximilian be-
stimmt war. Dagegen führt Karl Gielilow den Nach-
weis, daß Maximilian I. die Absicht hatte, ein besonderes
Gebetbuch für den St. Georgsorden zu schaffen, dessen
Druck der Augsburger Buchdrucker Johannes Schön-
sperger d. Ä. in einer Folioausgabe auf Pergament und
einer -Ausgabe in Quart auf Papier herstellen sollte. In
folge des zu frühen Todes des Kaisers wurde der Plan
nicht durchgeführt. Die erhaltenen Randzeichnungen
waren — zu diesem Schluß führt die neugewonnene Kennt-
nis über die Vorgeschichte des Gebetbuches — Vorlagen
für den Holzschneider und bestimmt, als Randleisten den
gedruckten Text zu verzieren gleich den Umrahmungen
in den livres d'heures. — Die vorliegende .\usgabe um-
faßt außer einem Geleitworte 52.1 Photolithographien im
Format von 27,8 x 19 cm Bildgröße, die in einer soliden
Kassette liegen. Für den Handel sind 3 50 in der Presse
numerierte Exemplare bestimmt. Das Werk kostet 500 M.
BÜCHERSCHAU
für das in Bogenlagen geheftete Exemplar in Kassette und
600 M. für das gebundene Exemplar. r.
Deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts. Ein-
hundert farbige Faksimilereproduktionen nach Gemälden
deutscherKünstlerdes verflossenenjahrhunderts. 20 Hefte,
Preis des Heftes (5 Blätter) im Abonnement 2 M. E. A.
Seemann in Leipzig.
■ ' [Die Jahrhundertausstellung deutscher Kunst in Berlin
hat der Kunstgeschichte des letzten Jahrhunderts neue
Perspektiven eröffnet und manche Korrekturen in der
Einschätzung der Künstler jener Zeit mit sich gebracht.
Allein höher schätzen wir einen anderen Gewinn jenes
Unternehmens, das ist die Tatsache, daß man über die
Malerei des vorigen Jahrhunderts besonnener und gerechter
zu urteilen beginnt und für die ihr eigentümlichen, aller-
dings vielfach bescheidenen Schönheiten wieder ein Auge
hat. Das vorstehende Sammelwerk mit seinen schönen
Reproduktionen trägt ohne Zweifel dazu bei, dieser Wir-
kung Nachdruck und Dauer zu verleihen. Im 4. Heft
sind vertreten: Eduard von Gebhardt (Die Klosterschüler),
Eugen Dücker (Am Strand von Göhren), Benjamin Vau-
tier (Nähschule), Georg Öder (Herbstwald), Carl Sohn
(Donna Diana). Heft 5 enthält: Steinle (Der Großpöni-
tentiar), Louis Eysen (Wiesengrund), Hans Thoma (Reli-
gionsunterricht), Otto Scholderer (Damenbildnis), Schmit-
son (Ungarische Pferde), Menzel (Bildnis), Karl Blechen
(Park), Max Liebermann (Die Konservenmacherinnen),
Walter Leistikow (Ziegeleien am Wasser), Daniel Chodo-
wiecki (Gesellschaft im Tiergarten zu Berlin).
Baumeister Engelbert, Rokoko-Kirchen
Oberbayerns (Studien zur Deutschen Kunstgeschichte,
Heft 92). Straßburg, Heitz, 1907. 8°, 75 S. Mit 31 Tafeln
in Lichtdruck. 10 M.
Gut gelungen ist der Abschnitt »Dekoration«, der mit
scharfem Blick der Entwicklung der Stuckdekoration
im 18. Jahrhundert nachgeht, ihre Phasen prägnant charak-
terisiert und selbst die Besonderheiten einzelner hervor-
ragender Meister festzustellen sucht. Diesem Abschnitt
dient auch vorzugsweise das reiche und geschickt aus-
gewählte Abbildungsmaterial. Sonst findet sich neben
wenigem Neuen manches Schiefe in dem Buch. Es
kann nur Verwirrung stiften, wenn die ganze oberbaye-
rische Kirchenbaukunst des 1 8. Jahrhunderts als Rokoko
bezeichnet wird; ist es doch noch gar nicht lange her,
daß man dem Rokoko als Baustil die Selbständigkeit
absprach und die Baukunst des 18. Jahrhunderts dem
Barock vindizierte. Die feinen Grenzlinien, die Schmar-
sow gezogen hat, bahnten ein richtigeres Verständnis
und eine klare Scheidung der beiden Architekturstile an.
Bei Baumeister erscheint alles wieder verwischt und man
kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Name
Rokoko für die hier zusammengefaßten Kirchenbauten
willkürlich gewählt ist; nirgends wird versucht, den Ar-
chitekturstil des Rokoko gegenüber dem des Barock ab-
zugrenzen; nur einmal ist — höchst unglücklich — die
»Richtung der strengen Formalität«, wie sie von fran-
zösischen Akademikern vertreten wurde, als Charakte-
ristikum des bayerischen Rokoko hervorgehoben. Da
fallen dann freilich Bauten wie die Wieskirche Domin.
Zimmermanns aus dem Rahmen heraus, während sie
doch die Tendenzen des bayerischen Rokoko am freiesten
und genialsten verwirklichen. Baumeisters Arbeit fußt
auf dem Inventarisierungswerk und verleugnet ihre Basis
nicht. Aber so schätzenswert die Inventare sind, so
überheben sie doch die kunstgeschichthche Forschung
keineswegs der Aufgabe, die entwicklungsgeschichtlichen
Richtlinien, die bei dem vorwiegend beschreibenden und
die Einzelobjekte als solche behandelnden Verfahren der
Inventarisierung selbstverständlich in den Hintergrund
treten, aus der zusammenfassenden Betrichtung der Ob-
jekte zu gewinnen und klar herauszustellen. — Der Stil
des Verfassers bessert sich merklich in der zweiten Hälfte
der Abhandlung. Schröder.
Max Sauerlandt, Griechische Bildwerke.
9 Bogen größtes Lexikonformat. Mit 140 Abbildungen,
davon 50 ganzseitigen. 2 Bogen Text. — In Leinen ge-
bunden M. 3, kartoniert M. 1,80. Verlag Karl Robert
Langewiesche in Düsseldorf.
Wir können dem ersten, nicht etwa bloß auf die
Kunst bezügHchen, sondern allgemein lautenden Satz
des in die Bilder einführenden Textes nicht zustimmen,
wo der Verfasser sagt, daß wir nie aufhören können,
auf das griechische Altertum als auf das goldene Zeit-
alter zurückzubhcken. Doch das ist richtig, daß wir nie
aufhören können, die griechische Plastik zu bewundern
und zu studieren. Vorliegende Sammlung von Reproduk-
tionen griechischer Plastiken ist gut gewählt, gibt eine
Übersicht über die Entwicklungsstadien der griechischen
Kunst und hat auch den Vorzug der Billigkeit. Der
Text gibt manchen wertvollen Wink zum tieferen Er-
fassen der Gesetze der Bildhauerkunst. Aigner
Rembrandt. Von Dr. Paul Schubring, Professor
an der Technischen Hochschule Cliarlottenburg. Mit
einem Titelbild und 49 Textabbildungen. 8. (>Aus
Natur und Geisteswelt.« Sammlung wissenschaftlich-
gemeinverständhcher Darstellungen aus allen Gebieten
des Wissens. 158. Bändchen.) Verlag von B. G. Teubner
in Leipzig [VIII u. 82 S.] 1907. Geh. M. i. — , in Lein-
wand geb. M. 1.25.
Das Büchlein will, wie der Verfasser im Vorwort
sagt, nur zusammenfassen, was den Fachgenossen längst
bekannt ist, was zu wissen und zu besitzen aber viele
Menschen wünschen, denen in Rembrandt der Licht-
magus der nordischen Kunst erschienen ist. Diese Auf-
gabe hat der Verfasser trefflich gelöst. Auch wer sich
schon eingehender mit Rembrandt befaßte, wird diese
knappe und frische Abhandlung mit Nutzen lesen. R.
Die Ausbildung des Künstlers. Von Dr. Hans
Schmidkunz. VlI. Bändchen der »Führer zur Kunst«.
Preis M. i — , Paul Neff in Eßlingen.
Dr. H. Schmidkunz befaßt sich nicht mit der Behandlung
jener Punkte, -welche in den Bereich der Ausbildung
z u m Künstler gehören, wie etwa Paul Schultze-Naum-
burg in >Der Studiengang des modernen Malers« oder
Franz Schmid-Breilenbach in »Stil- und Kompositions-
lehre für Maler«. Seine Abhandlung will vielmehr sich
im allgemeinen über alles verbreiten, was irgendwie
zum Bildungswesen des jungen und zur Fortentwick-
lung des reifen Künstlers gehört. Es werden jene die
künstlerische Ausbildung betreffenden Fragen im Zu-
sammenhang behandelt, welche sonst von der Kunst-
kritik vielfach gelegentlich angeschnitten werden, wie
über das Verhältnis von Technik und Kunst, Werk- -i
statt- oder Klassenschulbildung, Charakter- und allge-
meine Geistesbildung, Akademien und Kunstgewerbe-
schulen. Bei dem Umfange von 47 Seiten muß sich
der Verfasser selbstverständlich zum großen Teil auf
Anregungen und Andeutungen beschränken. R.
Maltechnische Winke und Erfahrungen. Von
G. Gussow. München, Ernst Reinhardt. Preis M. 1.60.
Ein Buch eines Künstlers für Künstler. In klarer Form
legt Gussow seine Ansichten dar über die Herstel-
lung einer guten Grundierung für Oel- und Tempera-
malerei, er charakterisiert dann die Farben und ihre Binde-
mittel, äußert sich über Farbenauftrag, Harze und Firnisse.
Redaktionsschluß: 16. .August.
BEILAGE
GROSSE BERLINER AUSSTELLUNG 1908
GROSSE
BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1908
Von Dr. HANS SCHMIDKUNZ (Berlin-Halensee)
[/■aum eine Ausstellung, die so wenig einheitliche Züge
feststellen läßt, wie diese, und darum so anspruchs-
voll dem Verschiedenartigen in ihren mindestens 2175
Nummern nachgehen heißt! An »Schlagern« fehlt es
dieser nicht eben vielgerühmten Darbietung Iteineswegs;
an Überflüssigstem am wenigsten. Landschaftliche
Künstlergruppen und mehrere Einerkollektionen steigern
den Anspruch an unsere Aufmerksamkeit umsomehr, als
sie nicht immer deutlich genug markiert sind. Im übrigen
zeigt unsere Ausstellung (veranstaltet von der Akademie
der Künste und vom Verein Berliner Künstler) eine leid-
hche, zum Teil freundUche Überwindung des Wüsten-
baues, wie man die hohen Innenräume des Gebäudes
nennen mag; man kann sich sogar in einigen Winkeln
gemütlich fühlen und sich mancher Beispiele von guter
farbiger > Hängewirkung« freuen.
Eine Freude an einheitlichen Farbenstimmungen
kommt deutlich zur Geltung; weniger deutlich zeigt
sich das heute jedenfalls vorhandene Wiedererwachen
des Interesses am Geistigen, statt bloß am Optischen,
sowie des Interesses am Schöpferischen, statt bloß am
Abbildnerischen. So lohnt sich insbesondere das Durch-
wandern der Räume für die Malereien; für uns soll es
zugleich ein Rundgang durch die deutschen Kunstpro-
vinzen sein.
Unter den Berliner Einzelkollektionen überrascht vor
allem die des (jüngeren) Ernst Pfannschmidt, nach-
dem er bisher hauptsächlich nur aus Spezialitäten, wie
z. B. Mosaik-Entwürfen, kennen zu lernen war. Christ-
liche, zumal biblische Stoffe stehen voran; neben den
auch durch Würde hervorragenden Stücken (»Grabes-
ruhe«, »Speisung der jooo«) zeigen manche (z. B.
»Christus in Gethsemane«, »Christus und Xikodemus«)
eine zur Unruhe verführende Virtuosität der Linien.
Abbildungen von Interieurs und anderes Weltliche
schließt sich an.
Rudolf Dammeier bringt unter verschiedenen
»Ansichten« (»Straße am Bach« u. dgl.) auch mehrere
Kircheninterieurs aus Tirol usw. — Beispiele von typi-
scher Gebirgsmalerei stellt Georg Hermann Engel-
hardt aus. — Otto H. Engel zeigt sich zwar nicht
in geschlossenem Zug, erfreut aber an mehreren Stellen
durch seine friesischen .Mädchen u. dgl.; eine »Junge
Mutter« ragt hervor.
Seit Rudolf Hellgrewe im Jahre 1886 nach Ostafrika
gegangen war und von dort mehrfache Gemäldestudien
mitgebracht hatte, ist die »Kolonialpolitik« auch in die
Kunst eingezogen. Jetzt vertritt sie für uns Wilhelm
Kühnen. Er stellt neben einem »Gottesdienst in einer
Missionskirche Deutsch-Ostafrikas« und Expeditionsszenen
zahlreiche Tierbilder aus; der Kritik jedoch, daß sie mehr
Illustration als Künstlertum seien, können wir nicht wi-
dersprechen. Zeigen doch ein .\Itbekannter wie Paul
Meyerheini und Jüngere wie Hans Schmidt und
Richard Friese, was da zu machen ist! Der letztere
verbindet damit noch eine Kunst der Stimmung seiner
ostpreußischen Heimat.
Daß der .Mensch mit seinen geistigen .\ktionen und
Zuständen sowie seinem eigenen Leib das würdigste
Objekt künstlerischer Betätigung bildet, läßt uns diese
Ausstellung nicht vergessen. Die große Komposition,
zumal die für architektonische .Malerei, ist allerdings noch
nicht zurückerobert. Sebastian Lucius setzt hier seine
dekorativ angelegten Schöpfungen, die wir von Dresden
her kennen, hauptsächlich durch sein Friesfragment
»Lebenslauf« fort. Was daneben zwei andere Maler
»hodlem« und »erlern«, bleibt besser ungenannt. Da-
gegen stecken in Adolf Schlabitz' »Eilenburger Bitt-
gottesdienst von 1639« trotz luftloser Flachheit seiner
Gestalten eine geschickte Raumbehandlung und ein wür-
diger Gehalt; wozu noch sinnige Landschaften kommen.
Von Staffeleibildern begrüßen wir zwei besonders
wertvolle Schaffensstücke mit vorwiegend guter Durch-
führung. Rudolf Eichstaedt, längst durch Derartiges
anerkannt, malt »Vor dem Ausmarsch« : Freiheitskämpfer
empfangen mit den Ihrigen den kirchlichen Segen. Der
inhaltlichen Vornehmheit ist die formale aufs glück-
lichste angepaßt. — Ein »Golgatha«, bei dem Christus
noch ungekreuzigt vor den Schachern steht, begleitet
von den verzweifelten Frauen usw., hat Hermann
Clementz ausgestellt, ein noch zwischen wahrhaftem
und theatralischem Ausdruck Ringender. — Künstlich
»gestellt« sind ungezählte Bilder; wohl nicht am unge-
schicktesten das mehr auf Heiterkeit berechnete »Ein'
feste Burg ist unser Gott« von Herbert Arnold, der
mit seiner geheimnisvollen »Som.mernacht« glücklicher
ist, als mit menschhchen Geschichten.
Dem »Nikodemusj-Thema hat Ferdinand Graf
Harrach die ergreifende neue Wendung abgewonnen,
daß er den in der Überzeugung Gefestigten sinnend
aus seinem Hause hervortreten laßt; und dem »Maria«-
Thema gewinnt C.Erich Brunkal eine Fassung ab,
die das Kindhafte sympathisch betont.
Christhche Kunst ist hier sonst nur äußerlich ver-
treten; neben Ernst Hausmanns »Die Jünger von San
Francesco« kommen noch Kircheninterieurs u. dgl. von
demselben, von Karl Oenicke, William Pape,
Paul Paeschke, Felix Possart und hervorragend
von Martin Wilberg. Unter dem Titel »Der Herr
ist mein Hirte« malt Paul E. Hildebrandt ein Wohn-
interieur, das zu den lichtvollsten Kabinettstücken ge-
hört. Fürs freie Grün leistet Hermann Seeger mit
»Rosenzeit« und iDer Blumenkranz« ähnliches.
Im Porträt zeigt sich bei den Berlinern Friedrich
Harnisch mit »Papst Pius X.«. Dann nennen wir
Georg Ludwig Meyns »Familie des Künstlers«, das
die Geschichte des deutschen Porträts, wie sie zumal
über Gustav Richter leitet, würdig fortführt, ergänzt
durch Porträtskizzen. Neben einem der Bewährtesten
wie Rudolf Schulte im Hofe und neben Porträtisten,
die mehr nur äußerlich vorgehen, begrüßen wir wie-
derum Sabine Reicke, Rudolf Thienhaus und
Fritz Genutat, letzteren auch mit traulichen Land-
schafts-Gemälden und -Graphiken.
Manche dem Porträt nahestehende Kunst kann uns
noch locken, zumal die Hans Looschens mit seinem
»."Mten Mann«, der sich am Feuer wärrat, oder die
»Balladen«, »Konzerte« u. dgl., sowie die anM. v.Schwind
erinnernde Illustration »Bergeinsanikeit« von Franz
Müller-Münster. Genre u. dgl. ist bei den Berlinern
sonst spärlich; Julius Ehrentraut, Paul Halke
und Otto Seeck, dann mit malerischen Künsten
M. Coschell und Berthold Genzmer, mit eigen-
sprachiger Zeichnung von Schnittern Elisabeth Rich-
ter und mit Hafenbildern Leonhard Sandrock in-
teressieren uns. Auch Stilleben und Interieur sind nur
gering vertreten.
Gegenüber unseren Landschaftern hält es am schwer-
sten, eine Auswahl zu treffen. Bei Ernst Kolbe ergeben
die flotten Rundungen seiner Flächenelemente und wohl
auch die Vereinigung von Braun und Grün Neuartiges;
in ähnlicher Weise scheint A. Norman n mit Recht
gerüliml zu werden. Jedenfalls erfreut ein Streben nach
guter Farbenharmonie z. B. bei Max Schlichting,
Max Uth und Karl Wendel.
Rückkehr zu Bekannten lohnt bei Carl Lang-
hammer, bei Carl .\lexan der Brendel, bei Willy
Hamacher, bei Hans Hartig mit Dorfbildern u. dgl.,
sowie bei früher genannten Malern der Mark oder ahn-
AUSSTELLUNG BERLIN - KUNSTVEREIN MÜNCHEN
licher Gaue. Ungern läßt man neben Hugo Köckes
gut vertieftem »Herbstmorgen an der Ostsee« oder
Max Hoenows »Waldteich« manches wertvolle Stücl<
unerwähnt; doch von dein verstorbenen Gustav
Pflugradt darf auf die inhaltsvolle »Landschaft mit
einem alten Jagdschloß« aufmerksam gemacht werden.
Friedrich Kall morgen, der gewandte Darsteller
von Wind und Wetter, erscheint nicht nur in einem
eigenen Räume, sondern auch innerhalb der Vereinigung
nordwestdeutscher Künstler. Heimatsfreunde können sich
freuen über deren Bestreben, aus der gegebenen Natur
neue Reichtümer herauszuholen. Voran die Worpswcder,
mit einer Verschärfung der Grün-Künste Heinrich
Vogelers. Alfred Mohrbutter und Karl Leipold
sind bekannt, Paul Müller-K empff wird es jetzt;
Carl Arp hat sein nach der Alpen weit des oberenga-
dinischen Samaden gehendes Interesse vor kurzem breiter
hei Schulte dargelegt. — Zwischen Berlinern bringt der
Hannoveraner Hermann Schaper ein Doppelbildnis.
Die Aufmerksamkeit, welche auf den letzten Aus-
stellungen die Königsberger Künstler erweckt haben,
bleibt wenigstens noch wach. Vor allem bei Otto
Heichert, und zwar weniger durch ein neues Heils-
armeebild sowie durch ein als »Ostpreußischer Früh-
ling« bezeichnetes M.idchenbild, als vielmehr durch sein
Porträt eines dortigen Pfarrers, ein Schlager im besten
Sinne des Wortes. Ludwig Dettinann erfreut durch
seine »Rast« und durch eine Darstellung von Glocken-
geläute: »Morgen ist Feiertag«. Vom Schwarz- Weiß
nehmen wir Heinrich Wolff vorweg.
Posen ist vertreten durch Theodor Ziegler mit
eineiTi Porträt und Danzig durch August vonBrandis
mit Interieurs.
Hamburg hat seine vorjährige Vertretung nicht wie-
derholt, ausgenommen Wasservögelbilder von Fritz
Lissmann.
Doch ohne Düsseldorf keine »Große«. Robert
Seuffert kennen wir jetzt aus IV/ii. Gleich diesen
Bildern zeiclmet sich sein »Christus im Grab« durch
das Einhalten einer guten Mitte zwischen lebhafter Be-
wegung und hieratischer Ruhe, nicht jedoch durch Raum-
vertiefung aus. Heinricli Hermanns und Rudolf
Hut h Steiner malen Kirchenbilder, bei denen jener
mehr auf Einheit, dieser mehr auf Einzeltreue ausgeht.
»Kevelaerpilger « malt Max Stern. Beachtenswerte
Po'träts staminen von Fritz Reusing und Adolf
Schönnenbeck. Robert Böning'ers hübsche Kinder-
köpfe fangen zu langweilen an. Mit dem Bildnisse des
Malers Ciarenbach, wie er in kalter Schneelandschaft
arbeitet, hat Wilhelm Schmurr eine fein durchge-
führte, doch auch zur Diskussion herausfordernde Kom-
bination von Porträt und Landschaft gegeben. Die
letztere allein ist reiclilich vertreten, nicht zuletzt durch
Stadt- und Dorfansichten von Otto Ackermann, Carl
Jutz jun., Eugen Kampf, Erich Nikutowski,
Fritz Westendorp. Im übrigen wieder die guten
Farbenharnionien aus der Eifel (z. 13. »Die blaue Blume«
von Fritz v. Wille), sowie aus anderen Gegenden von
Wilhelm Ham buchen, Hubert Ritzenhofen usw.
Besonders Eigenartiges leistet wieder H. Liesegang,
zumal durch seine erfolgreichen getönten Radierungen.
Frankfurt am Main hat seine frühere kunstgeschicht-
liche Stellung noch nicht zurückerobert. Nur Einen
können wir von dort nennen — es ist Wilhelm Stein-
hausen. Sein »Christus und die Jünger in Emmaus
steigert zwar des Künstlers geringe Kunst des physio-
gnomischen Ausdruckes nur wenig, und sein Streben
nach lockerer Malerei führt auch zu dem Eindrucke des
Unfertigen; sonst jedoch kann man in Berlin froh sein,
von ihm überhaupt ein Gemälde zu sehen, und noch
dazu eines von so ergreifender Gesamthaltung. Eduard
Gebhardts neues Gemälde »Der verlorene Sohn«
(Abb. Jg. IV, S. 211 — 213) reicht seelisch daran trotz
aller Durcharbeitung nicht heran, läßt uns aber an das
Glück denken, das der religiösen Kunst widerfahren
würde, wenn Steinhausens Vergeistigung und Gebhardts
Naturtreue in einem Künstler vereinigt wären. — Adolf
Luntz' »Weiden am Alt-Rhein« zeigen Anschluß an
Steinhausens Malweise.
über Cassel, das uns ein »Heidemoor« von Carl
Holzapfel sendet, setzen wir unsere Wanderung fort
zu den F.lsässern. Sie waren noch nicht so nahe kennen
zu lernen, wie diesmal. Koloristisches ist ihr Ruhm
nicht, Luministisches viel mehr, Landesheimatstimmung
am meisten. Natürlich gehören dazu Straßburger
Münsterblicke u. dgl. von Heinrich Beecke und
Lucien Blum er. Am günstigsten tritt Heinrich
Ebel hervor; seiner Familienszene »Bei der Lampe«
und anderen Gemälden reihen sich Zeichnungen an, die
trotz ihrer etwas starren Physiognomien einen Rang in
der Schilderung des häuslichen Lebens einnehmen.
KUN.STVEREIN MÜNCHEN
In gewissem Sinne gehört auch die hervorragende
Landschaftsmalerin Tina- Blau- Lang zur Münchner
Kunst, da sie lange Jahre an der Seite des geschätzten
und hochverdienten Schlachtenmalers H.Lang hier weilte
und nun öfters, von Wien aus, tüchtige Proben ihres
Könnens sendet. Ihre umfangreiche Kollektion von Mo
tiven aus Wien und Umgebung, namentlich den Prater-
auen, dann aus Holland, Italien etc. berührte den Kunst-
freund anheimelnd und wahrhaft erfrischend. Ein reines,
glücklich beschaulich veranlagtes Gefühl für die intimen
Reize der Natur spricht aus all den überaus liebevoll
durchgeführten Bildern, die auch, was heute betont
werden muß, wirkliche Bilder und keine Naturausschnitte
sind. Die Künstlerin vergreift sich auch nie, im Gegen-
satze zu so vielen anderen malenden Genossen und Ge-
nossinnen, im Format der Bilder, sie weiß ihren Gegen-
stand geschickt und geschmackvoll der Raumbedingung
anzupassen. Vor allem aber strömt uns selbst aus dem
unscheinbarsten Motiv eine Poesie entgegen von Innig-
keit, wie sie nur ein deutsches Gemüt besitzen kann,
das beseelt und mit sich zieht. Am prächtigsten ist das
in der ernsten, fast schwermütigen Landschaft aus der
Donaugegend wiedergegeben, in den herrlichen, feinst
durchgeführten Stimmungsbildern bei Amsterdam, Vollen-
dam, Verre, und in den Motiven alter Baumriesen oder
einsamer Birken bei verlassenen Hütten, aus den fern
liegenden Partien des Wiener Prater, in ihrer eigentüm-
lichen Melancholie; der Künstlerin Spezialität.
Unter der reichen Fülle von Landschaften, die ja stets
allwöchentlich die Ausstellung zieren, verdienen noch
eine besondere Beachtung die Münchener Ansichten bei
Tag und Nacht von Karl Bössenroth. Dieser Maler
hat sich in der letzten Zeit seines Schaffens mehr zu der
Art Palmies hingeneigt, von dem auch einige Proben
seiner aufs äußerste getriebenen pointillistischen Art zu
sehen waren. Nur arbeitet Bössenroth mit schlichteren,
weniger auffallenden Mitteln und erreicht denselben Zweck,
denselben EiTekt. — .\Is ein gewissenhafter und gediegener
Zeichner stellte sich im Parterresaale Philipp Schu-
maclier vor und zeigte in einer großen Fülle von
Blättern, Entwürfen, Karten, Titel zu Büchern etc. sein
tüchtiges Können , das sich an die Art der Nazarener
oder etwa Führichs anschließt, bei Wahrung vollkom-
mener Eigenart. Man erkennt aus all den reizvollen,
liebevoll ausgeführten Zeichnungen und .Aquarellen aus
dem Leben Jesu und seiner Apostel, wie der Künstler
bestrebt ist, allem der Würde des Gegenstandes ent-
sprechend Stil und charaktervolle Form zu verleihen,
und wenn dabei manches an Altes erinnert, so muß man
VERMISCHTE NACHRICHTEN
stets im Auge behalten, daß das künstlerische Eigentum,
wie es Schumacher zeigt, in der künstlerischen Form be-
ruht, die er den religiösen Ideen y.u geben weiß. Unter
diesem Gesichtspunkte betrachtet, hat Ph. Schumacher
vielleicht mehr erreicht als so manclier, der auf moder-
nem Gebiet gedankenlos ausgetretene moderne Wege
wandelt und, weil dieselben momentan modern, biUigen
Erfolg erzielt. I-Vanz Woller
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Münster (W'estf). Am 19. August ist die neue
Kirche des Klosters >Zum guten Hirten« in der Vor-
stadt St. Mauritz vollendet und eingeweiht worden. Der
Bau, von dem Regierungsbaumeister Moritz-Köln ent-
worfen, bietet hinsichtlich seiner Gestaltung und des
verwendeten Materials viel Neues und Interessantes. Es
galt, innerhalb eines bestehenden giößeren Häuserkom-
plexes eine Kirche zu errichten, die gemäß ihrer höhe-
ren Bestimmung die übrigen Gebäude beherrschen, außer-
dem fünf getrennte Räume mit dem Blick auf einen
Altar gewähren mußte. Beides ist ausgezeichnet gelun-
gen. Von den übrigen, sehr haßlichen Gebäuden durch
einen schmucken profanen Neubau abgesondert, liegen
strahlenförmig im Halbkreise fünf gedrungene Schiffe.
Über ihrem Schnittpunkte erhebt sich ein mächtiger,
quadratischer Kuppelbau, überragt von einem hohen
pyramidenförmigen Schieferdache. Vier schlanke Eck-
türme schmiegen sich ganz eng an. Eine um den ganzen
Mittelbau herumlaufende Galerie, die alle Teile fest zu-
sammenschnürt, die unten eingezogene Linie des Daches,
die auf drei wuchtigen Bögen ruhende Vorhalle, die den
Blick kräftig hinaufleitet, alles erweckt den Eindruck voll-
ständiger Konzentration und sichert dem ganzen Bau —
trotz seiner geringen Höhe von 40 Metern — das not-
wendige Übergewicht über die herumliegenden Häuser.
Als Material ist in der Hauptsache stark gebrannter Ziegel-
stein gebraucht worden, der sehr gut von Farbe ist und
in den weiten Fensterbögen geradezu monumental wirkt.
Die Front der Vorhalle ist aus Basalt, ebenso ihr pla-
stischer Schmuck — der einzige an der ganzen Kirche — ,
Christus als guten Hirten darstellend. Entsprechend dem
Material ist die ganze Figur einfach und ernst gehalten,
etwas archaisch steif stehen die Schäflein, symmetrisch
geordnet, daneben. Für die Fenstereinfassungen, für die
ganze Galerie und sonstige Verzierungen ist sogenann-
ter Kunststein verwendet worden Dieser ist in der
Farbe des Basalts gehalten und erscheint künstlerisch
durchaus einwandfrei. Seine Natur zwang zu einer
möglichst schlichten, unserem modernen Empfinden sehr
zusagenden, leise an das Romanische anklingenden Form-
gebung. Die Fenster sind aus grünem Opalescentglas.
Dieses läßt das Licht sehr gut durch und erscheint von
draußen nicht so tot wie ein Glasgemälde. In jedem
Fenster ist nur ein kleiner Raum für ein Medaillonbild
ausgespart, eine Zurückhaltung, die gegenüber der ge-
bräuchlichen Überladung sehr vornehm wirkt. Elektri-
sches Licht, von einfachen eisernen Rahmen herunter-
strahlend, Zentralheizung sowie Linoleumbelag fehlen
nicht. Abgesehen von einigen kleineren Mängeln — so
fehlt z. B. den sehr schönen, stark gerippten Widerlagern
ein guter Abschluß — ist hier ein Werk geschafl'en, das
durch und durch modern, dabei volkstümlich und billig ist.
Ludwig Glötzle veranstaltete im Oktober eine
Sonderausstellung im Ausstellungsraum der Gesellschaft
für christliche Kunst zu München (Karlstr. 6). Er be-
schränkte sich hierbei zumeist auf Entwürfe zu kirch-
lichen Wandmalereien. Die Ausstellung solcher Ar-
beiten pflegt zwar keine so große Anziehungskraft
auszuüben, wie durchgearbeitete Stafieleibilder; doch ist
sie nicht minder iilteressant, weil das Studium der aus-
geführten Wandmalereien an Ort und Stelle nur
wenigen gegönnt ist. Auch haben Studien und Ent-
würfe regelmäßig den Vorzug besonderer Frische und
Unmittelbarkeit. Der Kollektion sind zwei erst heuer
entstandene Altarbilder einverleibt; »Die hl. Familie«
und tMargaretha Alacoque«.
Rom. Einen schmerzlichen Verlust eilitten die hie-
sigen Kunstkreise am 11. September durcli das plötz-
liche Ableben des Professors Ludwig Seitz. Der
namentlich durch seine Fresken in der Kathedrale zu
Diakovar, in der deutschen Nationalkapelle der Wall-
fahrtskirche in Loreto und in der Antoniuskirche zu
Padua berühmt gewordene Meister, der im Vatikan
hohes Ansehen genoß, wurde 1843 in Rom geboren
und stand in einem engeren Schülerverhältnis zu Overbeck.
Joseph Maria Olbrich, einer der Führer im mo-
dernen Kunstgewerbe und in der modernen Architektur,
ist im August gestorben. Er war 1867 zu Troppau
geboren, besuchte die Wiener Akademie und wurde
Mitbegründer der Wiener Secession, deren Ausstellungs-
gebäude sein Werk ist. Später nahm er einen Ruf
nach Darmstadt an, wo er auch verblieb. Bei seinen
Schöpfungen ließ er sich nicht so fast von Grundsätzen
logischer Konstruktion, als von der auf schmückende
Wirkung abzielenden Phantasie leiten.
Wettbewerb für einen Brunnen am Josephs-
platz in München. Im 10. Heft des vorigen Jahrgangs
wurde das Ergebnis dieses Wettbewerbs mitgeteilt. In
einem ausführlicheren Bericht des vorigen Heftes wurde
versehentlich nicht mehr aufgeführt, daß unter den
preisgekrönten Projekten auch der Christophsbrunnen
von Ludwig Engler in München war, was wir hier-
mit nachholen.
Ergebnis eines engeren Wettbewerbes. Mit
der Herstellung eines Altargemäldes in der prot. Kirche
zu Külsheim bei Uflfenheim wurde Hermann Stock-
mann (Dachau) betraut.
Barmen. Die Galerie des Kunstvereins erhielt an
Geschenken von Aug. Frlir. von der Heydi, Elberfeld,
die beiden Bronzen »Die Badende« und »Salome« von
Max Klinger, von Herrn Hugo Toelle, Barmen, das
Gemälde »Pfauen im Schnee« von Rudolf Schramm-
Zittau und vom Verein der Kunstfreunde in Barmen
ein »Stilleben« von Charles Sc buch.
Köln. Zum Direktor am Wallraf-Richartz-Museum
wurde Dr. Alfred Hagclstange ernannt. Der neue
Direktor war früher Museumsbeamter am Germanischen
Museum zu Nürnberg, dann wirkte er in Magdeburg.
In seinem neuen Wirkungskreis obliegt ihm die Leitung
der Bildergalerie und des Kupferstichkabinetts. Zweiter
Direktor wurde Dr. Poppelreuter, dem die Plastik
und die römischen Altertümer zugeteilt sind,
Bildhauer Franz Cleve (.München) vollendete aii-
fangs Oktober eine Kreuzigungsgruppe in lebensgroßen
Figuren für die Kirche zu Neuhaus in der Oberpfalz.
Dem Heiland, der soeben seinen Geist in die Hände
des Vaters zurückgegeben, kniet Magdalena zu Füßen ;
rechts stehen die schmerzhafte Mutter und Maria Kleophä,
links Johannes. Ein besonderer Vorzug der von tiefer
Frömmigkeit durchdrungenen Gruppe ist die glückliche
Lösung des künstlerischen Zusammenschlusses mehrerer
Personen zu einheitlicher und doch in sich abwechs-
lungsreicher Wirkung. Das Material ist franzosischer
Kalkstein.
VERMISCHTE NACHRICHTEN — BÜCHERSCHAU — DER PIONIER
August Müller-Warth malte für einen neuen,
von Architekt Micliael Kurz (z. Z. in Göggingen) ent-
worfenen Altar der Hauskapelle der Englischen Fräulein
in Krumbach ein Altarbild. Es stellt das Christkind bei
der Arbeit an der Seite des hl. Joseph dar.
München. Das von Baurat Hans Grässel erbaute
Hl. Geislspital erhielt durch den genannten Künstlei
eine schöne Kirche mit Heizung. Das Hochaltarbild
stammt von Professor R. v. Seitz, die Deckenbilder
wurden von Professor Waldemar Kolmsperger
gemalt.
Berlin. In der Galerie Eduard Schulte fand
im September eine hervorragende Carl Spitzweg f-
Ausstellung statt, die über 200 Werke enthielt. Auch
Jie Sammlung von Werken August Seidls f, eines
unbekannt gebliebenen Schülers voii Rottmann, bot
manche Überraschungen. — Im November veranstaltet
Eduard Schulte zu Ehren des 60. Geburtstages Uhdes
eine große Ausstellung von Werken Fritz v. Uhdes;
sie übertriftt die Veranstaltung vom vorigen Jahr in
München noch an Umfang.
Internat. Kunstausstellung der Münchener
»Secession«. Vom bayerischen Staat wurde noch
nachträglich für die Kgl. Glyptothek angekauft: die Por-
trätbüste Prol'essor Bildhauer Joseph Floßmann (Bronze)
von Professor Adolf von Hildebrand in München.
Verkauf einer Sammlung. Professor Dr. von
Weißenbach in Leipzig (Brommestr. 2) gedenkt, wie
uns mitgeteilt wurde, seine sehr umfangreiche Samm-
lung wegen vorgerückten Alters und in der Absicht,
.sie vor Verschleuderung zu sichern, zu verkaufen. Sie
umfaßt Handzeichnungen, Holzschnitte, Stiche, Ätzungen,
Lithographien, die größte Einzelblattsammlung zur Ge-
schichte der Buchdruckerkunst und Photographie usw.
Die Blatter sind nach Gegenständen geordnet. Die
kirchliche Kunst ist mit 16000 Blättern vertreten. Für
ein Diözesanmuseum oder die Bibliothek eines Lyzeums
oder Klerikalseminars dürfte die Sammlung viel Stoft'
zu Studium und Anregung bieten.
BÜCHERSCHAU
Der heilige Franz von A'ssisi. Von Heinrich
Federer. Mit 6 farbigen Tafeln und 1 1 Federzeichnungen
von Fritz Kunz. 52 Seiten im Format 28X25 cm. In
elegantem Umsclilag mit Deckelzeichnung M. 3. — , ge-
bunden in Leinwand mit Goldpressung M. 6. — , in
Prachtlederband mit Goldschnitt M. 10. — .
»Was dem heiligen Franz in unserer Zeit bei Hundert-
tausenden eine so große Volkstümlichkeit gibt, das ist
ganz gewiß nur seine Naturfreudigkeit, seine Kinder-
sprache, sein Sitzen am Waldbrünnlein, seine Reden
mit den Blumen und Wipfeln. Aber auch die unsäg-
liche Freiheit des Poverello, ohne gesichertes Domizil,
ohne Erwerb, ohne Geld.säckel zu leben, genau wie ein
unbesorgter nestloser Vogel, dünkt uns eingezwängte
und eingeengte Menschen des 20. Jahrhunderts köstlich.
Tiefer Denkende bewundern auch ein zwischen Welt-
tätigkeit und Weltfremde, zwischen Familiengeselligkeit
und totenstiller Einsamkeit sich so harmonisch bewe-
gendes Leben. Doch ist es alles das nicht, was diesem
Heiligen so tiefe Bedeutung verleiht. Das liegt viel-
mehr in der großen Liebe, die Franzen , beständig zu
Gott treibt.«
Diese Charakterisierung ist einer kurzen, aber inhalt-
reichen und formvollendeten Biographie entnommen,
welche der feinsinnige Dichter Heinrich Federer zu einer
Bilderserie des Schweizer Künstlers Fritz Kunz über den
heiligen Franziskus von Assisi schrieb. Die Gesellschaft
lür christliche Kunst schenkte soeben in dem obenbe-
zeichneten Werk mit den teils farbigen, teils in wirk-
samer Zeichnung entworfenen Bildern von Kunz und
dem Text von Federer der christlichen Welt eine
köstliche Gabe. Die Bilder sind vorzüglich ausgeführt,
die Ausstattung entspricht dem feinsten Geschmack.
Dabei ist aber das Buch nicht etwa bloß für die Fein-
schmecker in Kunst und Literatur, sondern ein Buch
für alle, ein Buch, das den mehr weltlich Gesinnten mit
sanfter Gewalt zur Einkehr in sein Innerstes anlockt und
das dem frommen Gemüt eine gesunde Nahrung und
eine Vertiefung seines inneren Lebens vermittelt. In
herrlichen Blättern gibt uns Kunz zunächst das äußere
Bild des heiligen Franziskus im Anschluß an das alte
Fresko zu Sacro Speco (Abbildung im III. Jahrgang,
S. 113); dann läßt er uns den Heiligen vor der Weih-
nachtskrippe schauen, schildert ihn im stillen Verkehr
mit der Natur auf den Höhen der Sabinerberge, in geist
liebem Gespräch mit seinen Brüdern, himmlischer Musik
lauschend, in der Ekstase der Stigmatisation, bei der
Rückkehr von der Stigmatisation, bei seinem Hinscheiden
und im Tod. Diese Schöpfungen voll Einfachheit und
Würde, voll religiösem Ernst und modernem Empfinden
sichern dem Künstler wohl auf lange den ersten Rang
in der heutigen Franziskusmalerei.
Studien zur deutschen Kunstgeschichte.
Georg Cornicelius, sein Leben und seine Werke von
Karl Siebert, Dr. med. et phil., mit 30 Tafeln, 196 Seiten.
10 M. Straßburg, J. H. Ed. Heitz 1905.
Zum erstenmal dürfte der Name Cornicelius den
meisten Kunstfreunden bekannt geworden sein durch
dessen seinerzeit in der »Christlichen Künste reproduzierte
Werke: »Christus«, »Glaubensstark«, namentlich durch
den lieblichen geigespielenden »Engeh. Nunmehr liegt
eine bei Heitz in Straßburg erschienene Monographie
des im Jahre 1898 verstorbenen Künstlers vor, die einen
Verwandten desselben zum Verfasser hat. Mit großer
Liebe und gestützt auf eine genaue Kenntnis des vor-
liegenden Materials zeichnet uns Dr. Siebert den Lebens-
und Entwicklungsgang von Cornicelius und gibt eine
ausführliche, m. E. zu breite Beschreibung seiner sämt-
lichen Gemälde. Seine Stellung in der Kunstgeschichte
wird dem Meister mit Recht bei der Gruppe von Piloty,
Feuerbach, Lindenschmit u a. zugewiesen. Dreißig
Autotypietafeln illustrieren die fleißige, gut orientierende
Arbeit und geben einen Begriff von dem Schaffen eines
Künstlers, der es verdiente, der Vergessenheit entrissen
zu werden. D
DER PIONIER
MONATSBLÄTTER FÜR CHRISTLICHE
KUNST. ZUGLEICH BEIBLATT DER VOR-
LIEGENDEN ZEITSCHRIFT
»DIE CHRISTLICHE KUNST«
I.JAHRGANG
Inhalt der bisher erschienenen Nummern:
Nr. I. Zur Einführung. — Woher der Name Vesper-
bild ? Von Dr. Andreas Schmid. — Seit wann sind
die Fenster verglast? Von Max Hasak, Grunewald bei
Berlin. — Zur Geschichte der liturgischen Gewandung.
Von S. Staudhamer. — Zum Kapitel »Volkskunst«.
Von Friedrich Hacker. — Reproduktionstechniken.
Nr. 2. Der Klerus als Förderer der christlichen Kunst.
Von S. Staudhamer. — Die Zinkographie. — Seit wann
sind die Fenster verglast? Von Max Hasak (Fortsetzung).
Redaktionsschluß: 12. Oktober
ENTWURFE ZU GRABMÄLERN
W. GüHRING
Text zu den AbbiUiuugen der Beilage S. 7 und jS
KARL KN'Ol.T
FRANZ CLEVE
Text s. Beilage S. 7 u»d 18
ENTWÜRFE ZU GRABMÄLERN
FRANZ CLEVE
ERNST LAURENTY
AN'GELO NEGRETTI
GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1908
GROSSE
BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1908
Von Dr. HANS SCHMIDKUNZ (Berlin-Halensee)
(Schluß)
^eben Ebel ist Lothar v. Seebach seit längerem gut
bekannt; unter seinen Zeichnungen nennen wir eine
• Klosterfrau mit Kindernt. — Der Plastiker Theodor
V. Gosen benutzt mannigfache Materialien zu seinen
Porträtbüsten und füllt mit Medaillen (in Silber) eine
Lücke der 1908 er Ausstellung aus. — Das Eigenartigste
bringt der Marketterist
Carl Spindler mit drei
Intarsien.
Eine •Sonderausstel-
lung von keramischen Ar-
beiten Elsässer Künstler,
Somnieri9o8< imHohen-
zollern - Kunstgevverbe-
haus ist hier anzuschlie-
ßen. Die Gegend von
Hagenau , speziell von
Sufflenheim, spielt in der
Geschichte der Keramik
längst eine beträchtliche
Rolle, an die auch Straß
burger Fayencen und Por-
zellane erinnern. Nach
allmählichem Rückgang
wurde die Landestradi-
tion 1903 durch eine Fa-
brik und 1907 durch den
Bildhauer August Her-
berth, keramischer Leh
rer an der Straßburger
Kunstgewerbeschule,
wieder aufgenommen.
Die verschiedenen Ton-
arten von Sufflenheim ei -
möglicliten ihm mannig-
faltige Verwertung. Von
porösenBlumentöpfen an,
mit ornamentalen Blau-
glasuren, geht es bis zu
hartem Steinzeug, und
dessen Verwendung zu
Grabmälern scheint die
wichtigste Neuheit dieser
Bestrebungen zu sein.
Dazu Refle.\- und Kristall-
glasuren, sowie der bekannte moderne Naturalismus in der
Glasurenzeichnung! Unter den Steinzeugfigürchen befin-
det sich auch ein Madonnenkopf von Charles Bastian.
Der Karlsruher Künstlerbund beginnt mit einer Kol-
lektion Ludwig Schmid-Reutte; Zeichnungen, vor-
wiegend von männlichen Akten, erinnern durch ihre
Zusammensetzung aus einfachen Vielecken an Entwürfe
für Glasmalerei. Im übrigen haben wir an Baden auch
ein landschaftliches Musterländle: neben Altbekannten
wie Gustav Schönleber und seinen Nachfolgern
Gustav Kamp mann und Hans v. Volkmann er-
scheinen z. B Paul V. Ravenstein und H. Sturzen-
egge r. Ebenso sehen wir neben HansThoma dessen
»Abels Opfer« verglichen mit M. Schiestls >Kain und
Abel« leer erscheint) als Phantasiebildner Hans A.
Bühler (»Dem unbekannten Gott). Als Porträtist
kommt Karl Otto Fritz in Betracht, und als Karls-
ruher außerhalb des Bundes Heinrich l'forr mit
einem etwas absichtsvollen »Winterabend in der Bauern-
stube«. — Bei den Stuttgartern fiel uns eine Ncckartal-
Landschaft von Karl Schickhardt auf
LUDWIG EBERLE
Die Münchener Künstler-Genossenschaft hat vier Säle
bekommen, die viel Gutes enthalten. So Arbeiten von
Piltz, Bachmann, Seiler, Simm, Erdtelt, Hans
V. Petersen, Willroider, Bolgiano, Plastiken von
Christ, Hemm esdorfer. Sehr eyögg, Wadere(der
prächtige Siegesbote).
Gleichzeitig stellte im Salon Schulte die Münchener
Gruppe der Genossenschaft; die »Achtundvierziger«, aus
und interessierte durch Interieurs usw. aus älteren Zeiten
bekannter Künstler. Wie dort, so würdigen %vir in 4er
»Großen« Alois Erdtelt als Porträtisten ; als solcher
macht sich noch Franz Pernat bemerkbar. In der
Landschaft fällt uns Al-
fred Bach mann durch
Mond- und Sonnenwir-
kungen auf; Meister wie
Josef W e n g 1 e i n und
dann der ältere, will
sagen jüngere Ludwig
Willroider mit einem
in gutem Sinn weichen
»Abend« von 1908 und
dessen jüngerer Bruder
Josef Willroider mit
im Charakter ähnlichen
Landschaftsmalereien
und -Zeichnungen stehen
neben dem anscheinend
neueren Paul Thiem
mit seinem »Abend in
Donauwörth«.
Schmäler ist der Künst-
lerbund »Die Bayern«.
Er bevorzugt Komposi-
tionsbilder. Die Brüder
Georg und Raffael
Schuster- Woldan
sind hier mit dekorativ-
idealisierenden Porträts
vertreten. Zu dieser
Gruppe gehören Phi-
lipp Otto Schäfer,
Hans V. Bartels und
Fritz Kunz, letzterer
mit dem Bilde »Der Gang
zum Brunnen«. Von den
Lichtstudien und Land-
schaften gefallen mit be-
sonderem Recht »Däm-
merung und Lampen-
Hcht« von Ernst Lie-
bermann, sowie in Zeichnung und Farbe zarte Land-
schaften von Rudolf Sieck.
Vereinzelt auftretende Münchener sind neben Walter
Firle zunächst Alfred Schwarzschild mit einer
an Dresdener Figurenphantasien von Unger und Zwint-
scher erinnernden »Dekoration für ein Musikzimmer«,
sodann Erich Kubierschky mit einer »Vorfrühlings-
landschaft«.
Und nun Dresden. PaulKiesslings ».Auferstanden«
ist um einer gutgemeinten Lichtwirkung willen gemalt.
»Die Elbier« sind stark vertreten; sie streben nach Vor-
nehmheit. Lassen wir tüchtige Bekannte ungenannt, so
verdient doch vor allem August Wilckens ob seiner
»Brautjungfern« Nennung. Leipzig bleibt aus; doch sei
aus den Illustratoren Richard Wcstphal vorwegge-
nommen, da seine bitter satirische Skizze »Der Heiland
und die Menge« schöpferisch hervorragt.
Einzelne Ausländer ändern an der national geschlosse-
nen Art unserer .\usstellung kaum etwas. Zwei von
den sieben Pariser Deutschen, die sich eingefunden, ver-
dienen ein Verweilen: vorerst .Max Silben mit seinem
GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1908
L
ERNST LAURENTY
CH. ÜNTERPIERINGER
vielseitig beachtenswerten »Tischgebet« und dann Wal-
ter Zeising mit seinen Radierungen, von denen »Notre
Dame« besonders auffällt. Die Niederlande sind durch
ein Segelbild von Hendrik Willem Mesdag und
durch einen »Winterabend« von Arnold Marc Gorter
günstig vertreten, Belgien durch einen »Stillen Abend
nach einem regnerischen Tag « von Richard Fehdmer.
Zwei christliche Bilder kommen von einem Englander
und einem Polen. Joseph Edward South alls kleines
Bild von 1901/02 »Die hl. Dorothea und ihre Schwestern
verweigern die Anbetung des Götzenbildes« läßt sich
wohl zu den Ausläufern des Präraffaelitismus rechnen;
es bemüht sich, Natur und Weihe zu vereinen, läßt aber
doch in Farbe und Gesichtersprache manches Steife übrig.
Josef v. Mencina-Krzesz malt als »Jesu Kindes-
traum« das in der Krippe schlafende Christkind, dem
die Eltern lauschen.
Wohl das beste Werk, das vom Auslande kam, und
das überhaupt weit und breit zu finden ist, sind »Die
Kunstrichter« des Dänen Michael Ancher. Wie da
vier Männer aus der Bildebene heraus das nicht sicht-
bare Werk so persönlicli verschieden beurteilen, läßt
wünschen, daß diese Leistung gleich den hervorgehobe-
nen von Eichstaedt, Reichert, Meyn und Steinhausen
im Hauptsale neben Harrach prange.
Japan unvermeidHch ! Die ausgestellten Plastiken und
Handmalereien (mit besonders ausgereiften Tierbildern)
lassen wieder den Gegensatz deutscher Darstellungstreue
und fremder Oberflächendekoration erkennen, doch auch
das Lehrreiche der abkürzenden Sprache primitiverer
Kunstübung. In der gleichzeitigen Sammlung älterer
ostasiatischer Kunstwerke, als Grundstock der künftigen
ostasiatischen Kunstsammlungen der Königlichen Museen
angekauft und im Kunstgewerbemuseum partiell ausge-
stellt, erinnern an letztere Erscheinung besonders japani-
sche Schauspielmasken, an erstere einerseits in günstiger
Weise Metall- und Lackarbeiten, anderseits in weniger
günstiger Weise Keramik (auch koreanische), deren eifrige
Verehrung doch ein Unrecht gegen die so entwickelungs-
reiche Geschichte der deutschen Töpferkunst bedeutet.
Wieder eine des Referates spottende Fülle birgt der
Ausstellungsteil Schwarz-Weiß. Einiges ist Reproduktion,
das meiste Original. Hans Me3'er bringt (neben Land-
schaftsradierungen) Bleistiftszeichnungen neuer Entwürfe
zu seinen schönen »Totentanz «-Radierungen. Christliches
in mehr oder minder weitem Wortsinn findet sich in
Radierungen von Heinrich Eick mann (eine »Ruhe auf
der Flucht« und eine »Verkündigung«), in einer Radie-
rung von Bruno Goldschmidt (ein erinnerungswür-
diger »Kinderglaube vom Himmelreich«), in einer Litho-
GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1908
graphie von Fritz Greve (»Christi Geburt<) und in
Radierungen von Wilhelm Thielmann, einem der
wenigen hier erschienenen Hessen — seine eindrucks-
vollen Trauerhilder u. dgl. kennen wir aus Dresden.
Porträt u. dgl. steht günstig, zumal in Erich Wolfs-
felds Radierungen. In der Interieurradierung zeichnet
sich Alex Eckener aus, in der Landschaftsradierung
durch Fein-Zartes Hanns Bastanier und durch Duf
tiges (wohl an Reproduktionen nach Corot geschult)
Fritz Krostewitz; zu diesen kommen noch als Alt-
meister (besonders mit Gebirgsbildern) Gustav Eilers,
als Jungmeister Richard Kaiser (auch mit Gemälden)
und Wilhelm Legier sowie Ernst Jacob, dessen
»Stadtmauer« aus einer Mappe »Frankfurt a. O. und das
Oderbruch« stammt.
Technische Spezialinteressen kommen nicht zu kurz.
Gerne vergleicht man Wilhelm Müller-Schoene-
felds Gemälde »Am Strande« mit der abgekürzt-schär-
feren Originalradierung des nämlichen Themas. Ungern
vermißt man den guten alten, Geduld fordernden Kupfer-
stich; der »Originalstich« »iMutterglück« von Otto Reim
sollte weniger an Stahlstich erinnern. Ein anderes Mutter-
bild, Franz Grefs »Frau und Kind«, führt uns zum
Steindruck. Er ist besonders durch Mondlicht-Stimmun-
gen u. dgl. von Berthold Clauss vertreten, farbig
durch J.Jacques Waltz' »Mondaufgang«.
Farbige Radierungen, z. B. von Georg Fritz, sind
häufig. Neben gewöhnlicher Schabkunst, z.B. von Otto
Protzen, bringt farbige Heinrich Jakesch. Darüber
hinaus scheint ein eigentümliches Verfahren des bereits
als technisch rührig bekannten Carl Kappstein zu
führen, das er Mezzotinto nennt und für Landschaften
und Tiere verwendet. Es hat mit Schabkunst nichts zu
tun, setzt vielmehr das Herkomersche Umdruckverfahren
fort. Ahnlich rührig ist Arthur II li es; neben farbigen
Radierungen zeigt er ein hübsch getöntes Hafenbild in
»Linoleumschnitt«, einem nicht mehr neuen Verwandten
des Holzschnittes — so weich, wie dieser hart. Die Al-
graphie, d. i. Zeichnung mit Fettkreide auf gekörnter
Aluminiumplatte, scheint nur einmal (bei H. Wolff)
wiederzukehren. Farbige Holzschnitte (Alt-Rostock) bringt
Erich Stahl, farbige Aquatinta Alexander Liels-
mann.
Die eigentliche Zeichnung kommt in einzelnen Bei-
spielen vor, tritt aber in unserer »malerischen« Zeit zu-
rück. Auch innerhalb der Radierung weicht sie anderen
Interessen; doch interessieren wir uns für die groß ge-
führten Striche bei August Kaul und für das Dunkel
dick geführter Striche bei dem Schweden Carl Emile
Zoir.
Weniger technisches Interesse regt der wiederum
reichhch vertretene Verband Deutscher Illustratoren an,
es sei denn die Spritztechnik der Vignetten von Rudolf
Kohtz. Die Illustration ist eben zunächst Inhaltskunst.
Man findet hier in einer Erinnerungskollektion an Paul
Thumannf auch sieben Kartons »Vater unser« (viel-
mehr Christus-Szenen). Eine ebensolche Kollektion für
Alexander Zick f bringt u. a. neben einem ernst
sprechenden »Schlachtfeld« u. dgl. »Die letzten Mensclien«
(von zwei Engeln geführt), ein wertvolles »Mutterglück«
und eine »Weihnachtsmesse« (im Freien ; wohl als Ent-
wurf für ein Wandstück). Franz Stassen hat außer
anderem eine farbige Radierung von Mutter und Kind
in Landschaft, als »Madonna«. »Drei Kirchenlieder im
Bild«, sinnig mehr in der Absicht als im Gelingen, zeigt
Gerhard Hänisch; Ansichten von Jerusalem E. M.
Lilien.
Gegenüber dem in doppehemSinn eisigen Totentanzbild
»Schnelläufer« von Friedrich Wittig führt Alexan-
der R o t h a u g in die anspruchslose Vergangenheit eines
»Liebesfrühlings« u. dgl., Hermann Stockmann in
die Heiterkeit von anno dazumal zurück. Des Dichters
Grabbe »Scherz« usw. illustriert Paul Scheurich.
Für die Landschaft nennt man auch hier gerne wieder
Fritz Douzette d.J. Unter den mehrfachen Schiffs-
bildern von Alfred Liedtke verdient auch hier eines
oder das andere Beachtung. Stadtbilder haben illustrativ
besonders Max E. Giese und Otto Hundt gebracht.
Die Tierkomik ist gut vertreten durch »Die Vogel-
hochzeit« von Carl Mickelait. Daran fügen wir un-
seren Eintritt in die Plastik deshalb an, weil diese merk-
würdigerweise viel und gute Tierbildnerei enthält.
August Gauls Vorbild scheint gewirkt zu haben, wie
man z. B. aus dem »Klukenbrunnen« von Walter
Hauschild merkt. Im übrigen dürfte hier Joseph
Pallenberg voranstehen; Johann Vierthaler fällt
ebenfalls (auch durch Mädchenfiguren) gut auf. Hans
Behrens überträgt das Mutterthema in ein »Mutter-
glück« der Tiere.
Darstellung von Menschen und zumal von gewich-
tigerem menschlichem Seelenleben mißlingt allerdings
leichter. Es ist traurig, zu sehen, wie selbst beste Kräfte
durch ein konventionelles Streben nach Pomp sich ver-
hauen, während sie in schlichteren .Aufgaben auf ihre
Höhe zurückkehren. So besonders der Bildner eines
»Memento mori«. Grabmäler lassen das sehr fühlen;
ein paar bessere kommen doch nicht dem nach, was
die heutige Renaissance der Grabkunst verlangt.
Eigentlich Christliches ist spärlich. Doch kann Wil-
helm Haverkamps iPietä« getrost in die Kunstge-
schichte eingereiht werden; die von Hubert Men-
nicken kommt ihr mindestens nahe; und die äußer-
lich moderne, aber lief gefühlte »Maria« von Wilhelm
Boehme verlangt gleich der von Brunkal einen Sonder-
platz in der Ikonographie des Marienthemas. Hermann
I oachim Pageis, dem wir in Kunstsalons häufig und
gerne begegnen, bringt einen Jesusknaben und variiert
das Mutterthema. Eine solche Variation, »Mutter und
Kind« mit Nimben, ist von Adolf Rehm in Holz ge-
arbeitet.
Wir nennen noch die Kleinbronzen »Vor Rom« und
(mit Bedauern über geringe Durcharbeitung dieses sym-
pathischen Stückes) »Hl. Elisabeth« von Gottlieb
Elster und »Gebete auf dem Felde« von Emile
Maniguet, der die moderne Vereinfachung der Flächen
verwertet; dann den »Johannes« von Fritz Behn (Abb.
Jg. IV, S. 6), dessen Portratkopf günstiger wirkt; endlich
die »Madonna« mit Kind von Josef Limburg — die
gut gedachte Arbeit leidet an etwas Primitivem in den
Gesichtern, gleich Bildnissen, die wir im Künstlerhause
sahen , und unter denen die Medaille mit dem Ehe-
paare Ballestrem hervorragt.
Am eriVeulichsten sind weltliche Bildwerke mit be-
sonderen Bewegungsmotiven. Rein hold Boeltzig
zeigt in seiner »Fruchtsammlerin« und noch mehr in
seiner trefflich durchgearbeiteten »Reifen werferin« eine
echt künstlerisch besonnene Mitte zwischen Extremen.
In der Bewältigung einer weitgreifenden Bewegungs-
aufgabe hat Denkwürdiges Hermann Hosaeus ge-
leistet durch den Reigen der drei Frauengestalten, welche
die Mittelgruppe seines Dresdener .Mozandenknials bil-
den. Ein kleines, einheitlich durchgeführtes Brunnen-
model!, »Märchen vom Hans« usw , ist von Paula
Fandrev da. Wie die zweimal vorhandene »Bogen-
spannerin« eines bekannten Künstlers imstand ist, eine
starke Spannung zu bewirken, ohne daß dies in Stellung
und Muskelspiel zum Vorscheine kommt, mag er mit
der .\natomie ausmachen. Um so ateliergerechter ist
dieser in mehreren Ringern und Ringergruppen gehul-
digt; mehr Interesse gewinnen wir der »Verwundeten
Amazone« Ernst Segers ab.
Die »Zwei Menschen« werden immer wieder variiert
und jetzt häufig familiär vermehrt. Für das Liebesthema
erwähnen wir neben Oscar Garvens' »Liebe« und
BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1908 — VERMISCHTE NACHRICHTEN
Adele Paasch' »Sein Weib« das Bronzerelief »Junge
Liebe« von Wilhelm Lehmbruck, das zwei Kinder
darstellt. Für das Mutterthema fügen wir Frühergesagtem
und Späterem an, was geleistet ist von Paul Aichele
(Fragment »Sintflut«), vonFerdinandFrick(» Fischerin
am Strand«), von Georg Lehmann-Wienbrack
(Relief für ein Kinder-Erholungsheim), von Arthur
LewinFuncke und nicht zuletzt von Hermann
Möller, zumal wenn man sich wieder mit den ver-
einfachten Flächen dieses und anderer seiner Werke be-
freundet. Karl Janssens Marmor weckt Erinnerung
an den historischen Namen » Ohrenstil*. Die »Drei
Menschen«, d. h. Eltern und Kind, sind dargestellt als
»Neues Leben« von George Morin und als »Heim-
kehr« von Müller- Heinz (der außerdem »Mutter und
Kind« vorführt).
Das Porträt zeigt recht gemischte Gesellschaft. Zu-
meist befriedigen Wal ter Lobach, Martin Schauß,
Otto Beyer, Johannes Boese, Heinrich Splieth,
Fritz Heinemann und besonders Meister Gerhard
Janensch.
Cipri Adolf Bermann war in Dresden (und nach
dem Berichte IV/ii, S. 264, in der Münchener Seces-
sion) günstiger vertreten als hier. Adolf Brütt fügt
seinen langen Erfahrungen im BegasSinne nunmehr
durch seine »Nacht« etwas Rodin hinzu und scheint
mit dieser Wandlung von härterem zu weicherem Um-
riß Erfolg zu haben. Was man den gegenwärtigen Mün-
chener Stil nennen kann, das partielle Herausarbeiten
der Plastik aus dem Stein, erscheint hier außer bei jenem
Brütt noch bei einem »Donar« von Hans Bauer und
ein wenig bei einer »Fütterung« von Paul Oesten,
der außerdem eine der innigsten Darstellungen von
»Mutter und lünd« zeigt.
Der Rest schließt trotz allem noch manches Wert-
volle ein, zumal in Kleinbronze. Fritz Christ und
Bernhard Sehe wen mögen als Jüngstverstorbene
hervorgehoben sein. Neu erscheinen uns neben Be-
kannten die heiteren Figürchen von Hermann Baldin,
zwei Gestalten deutscher Sage von Albert Hußmann,
der von Bescheidenheit und zugleich Selbstbewußtsein
sprechende »Junge Sieger« von Josef Lock und etwa
die »Genoveva« von Otto Riesch, Frauenseele sucht
Otto Stichling sprechen zu machen.
Das Interesse an Material und Materialbehandlung
kommt nicht zu kurz. Das Holz wird meistens sehr
glatt vorgeführt: aus gewachstem Ahornholz ist »Mutter
und Kind« von Max Nieruck (der diesen zweien
wiederum dreie in seiner »Uhr« aus Bronze mit Emaille
hinzufügt); auch sonst gibt es glatten Ahorn u. dgl.,
und einmal wird sogar (von Hans Bauer) Edelholz ge-
nannt. Nicht glatt, sondern mit fleckenartigen Vertiefun-
gen arbeitet Sandor Jaray (mehr noch und mit Recht
in einer r-Phryne« als in einer Porträtbüste). Marmor
und Holz kombiniert Gotthard Sonnenfeld; und
zu Porträts oder Ähnlichem werden auch Alabaster,
Kalkstein und Muschelkalk verwendet.
Die Architektur-Abteilung bringt keinen Wandel, doch
manches Lehrreiche. Der Kirchenbau kommt manchmal
über Schulproben hinaus. Wilhelm Brurein kenn-
zeichnet seine eine Kirche mit dem Spruch: »In meine
Heimat, Mein Bergisches Land<', und seine andere mit
»Omnia instaurare in Christo«; beide gut gruppiert und
gut proportioniert. Sonstige Kirchen lassen die Namen
Theodor Astfalck und Heinrich Straumer für
Berliner Bauten, und für andere Orte die des Architek-
tenpaares Peter Jürgensen und Jürgens Bach-
mann hervortreten, denen gute Farbenstimmungen nach-
zurühmen sind. Eine Geschichte und Restaurierung des
Breslauer Domes zeichnet auf instruktive, jedoch wohl
ängstlich historische Weise Ewald Frhr. v. Rechen-
berg, die Wiederherstellung des Wimpfener Domini-
kanerklosters als Realschule Adolf Zeller. Noch ver-
dienen Vorlagen für Glasmalerei von Becker-Tem-
pelburg und eine solche für Wandmalerei »Stählung
des Leibes« von Max Seliger, sowie eine neue Kölner
Dombrücke von Franz Schwechten Hervorhebung.
Mehr als die Gedächtnisausstellung Hermann Ende,
u. a. mit ihren geschickten Archaisierungen für öffent-
liche Gebäude in Tokio, führt uns in das Gewicht der
kunstgeschichtlichen Tradition der Umstand ein, daß
weltliche Neubauten von Albert Froelich in ihrer
schmalhohen Lineatur an Ähnliches erinnern, das aus
altem Kirchenbau Norddeutschland.s wiedergegeben ist.
Das Interieur wesen zeigt diesmal vor allem »Woh-
nung und Galerie eines Kunstfreundes«, von dem be-
reits routinierten Wilhelm Kim bei hergestellt. Der
genannte Innenarchitekt ornamentiert im Wohnzimmer
des Herrn und in dem der Dame hauptsächlich mit In-
tarsien ; sie zeigen in üppiger, obschon etwas gleich-
mäßiger Weise pflanzlichen Dekor und sind auch auf
gekrümmten Flächen gearbeitet. Die Möbelformen prä-
sentieren dort ein durch die Folgestile gemildertes und
nuanciertes Barock, hier mehr Biedermeierisches.
Unter den übrigen Räumen stellen wir ein Arbeits-
zimmer des Herrn, von Arno Koernig, voran, zu-
mal wegen seiner schlichten Natürlichkeit und doch
reichhaltigen Künstlerschaft. Daran reihen wir ein Vor-
zimmer und Arbeitszimmer von Else Oppler-Leg-
band, weiterhin einen Gartensalon von Ernst Fried-
mann, ein Gartenvestibul von Alfred J. Balcke,
endlich einen Speisesaal usw. von Max Salz mann.
Dazu kommen noch ein Raumteil mit zwei von Frie-
drich Wilhelm Mayer entworfenen, nach größerer
Qualität strebenden Gemäldefenstern, deren eines »Musik«
heißt, deren anderes und wohlgelungeneres eine Nibe-
lungenszene darstellt.
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Grabmalentwürfe. Die Abbildungen S.15 — 16 der
Beilage bilden die Fortsetzung der aufS. i — 5 der Bei-
lage (Heft I) begonnenen Publikation von Grabmal-
skizzen, welche von jungen Studierenden der Akademie
zu München anläßlich eines Komponierabends des Al-
brecht-Dürer-Vereins entworfen wurden. Wir verweisen
auf unsere Notiz in der Rubrik »Zu unsein Bildern«
(auf S. 7 der Beilage) und wünschen den jungen Künst-
lern guten Erfolg der Publikation.
Ergebnis eines Wettbewerbes für einenLuit-
poldbrunnen in Dillingen. Es liefen 49 Entwürfe
ein, von denen vier prämiiert wurden. Das Preisgericht
beschloß, einen ersten Preis nicht zu verteilen, da keiner
der Entwürfe ohne Änderung zur .Ausführung empfohlen
werden könne. Einen zweiten Preis zu 200 M. erhielt
das Projekt von Professor Jakob Bradl; drei gleiche
Preise zu je 100 M. erhielten Entwürfe von Bildhauer
Simon Liebl — von Bildhauer Alberts hofer und
Architekt Bestelmeyer — und von Bildhauer Hans
An germa.i er, sämtliche in München. Die eingelaufenen
Entwürfe wurden im alten Ratliaussaal zu München aus-
gestellt.
Aus der Deutschen Südsee. Ein Abonnent
in Palan (Deutsche Südsee), ein deutscher Missionär,
schrieb uns vor einigen Monaten, daß »Die christliche
Kunst« dort ein gern gesehener Gast ist, »der jedesmal
mit Sehnsucht erwartet wird«. Dem Brief lag eine
erstaunlich gut und temperamentvoll aufgefaßte Zeich-
nung nach dem Hl. Lukas von Schiestl (dem Titelblatt
des letzten Jahrganges) bei. Verfertiger war der »kleine
Franz«, ein 13 jähriger Junge, der seit drei Jahren die
VERMISCHTE NACHRICHTEN — BÜCHERSCHAU
Schule besucht und vom hochwürdigen Herrn Missionär
seit ca. einem halben Jahre etwas Zeichenunterricht erhalt.
Letzterer erzahlt: »Neulich fand er (der genannte Knabe)
bei mir >Die christliche Kunst« — flugs zeichnete et das
Titelblatt in sein Zeichenheft. Ich tat an der Zeichnung
keinen Strich. Sie werden sich wie ich über die Anlagen
des kleinen Kanakajungen wohl wundern. Wie dieser
Junge, so haben auch viele andere Kinder der Schule
sehr viel Talent zum Zeichnen. Der Zeichenunterricht
ist jetzt eine Etholungsstunde l'ür mich, den Lehrer, wie
für die Kinder.«
AI brecht- Dürer-Verein. Am lo November fand
die Antrittskneipe des Albrecht-Dürer- Vereins, der eine
größere Anzahl Studierender an der Kgl. .\kadeniie der
bildenden Künste zu München umfaßt, in Gegenwart
von Philistern und Freunden des Vereins statt. Die Feier
nahm einen prächtigen Verlauf.
Ribot-Ausstellung. Anfangs November eröffnete
die Galerie Heinemann eine umfangreiche Ausstellung
son Gemälden des 1891 verstorbenen Pariser Künstlers
Theodule Ribot. Der Künstler stand, namentlich in
seinen früheren Jahren, unter dem Einfluß Riberas. Auch
Rembrandt und Velasquez wirkten auf ihn.
Ansbach. Am 11. Oktober erfolgte die Enthüllung
des Luitpoldbrunnens von Bildhauer Fritz Behn in
München.
Die Bismarckbüste, welche am 1 8. Oktober in der
Walhalla bei Regensburg .Aufstellung fand, stammt von
Professor Erwin Kurz in München.
Ravensburg. Die hiesige Stadtpfarrkirche erhält
einen hervorragenden künstlerischen Wandschmuck durch
Professor Gebhard Fugel in München. Im Chor der
Kirche wird nämhch ein Zyklus von sechs Bildern : Dar-
stellungen nach Texten der hl. Schrift aus dem Leben
des hl. Andreas und ein Votivbild angebracht. Der
Künstler hat letzten Herbst bereits zwei dieser Bilder
vollendet. Das eine derselben stellt Johannes den Täufer
mit Andreas am Jordan dar, in dem Moment, da Chri-
stus naht; das andere schildert, wie Andreas dem Hei-
land den Simon zuführt. Für die weiteren Bilder fer-
tigt Fugel gegenwärtig die Vorarbeiten.
Bildhauer Harro .Magnussen hat sich in der
Nacht vom 5. auf 4. Oktober im Alter von .jy Jahren
das Leben genommen. Er war besonders als Porträtist
tätig. Seine Büste AUmers ist auf S. 276 des vorigen
Jahrgangs abgebildet.
Aachen. Wiederum ist die Skulpturensammlung
des Stadt. Suermondt-.Museums um ein wertvolles Stück
vermehrt worden. Es handelt sich um einen aus Nan-
deln (Fürstentum Liechtenstein^ stammenden Altar von
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, der eine charak-
teristische Schöpfung kraftvollen süddeutschen Barocks
ist. Um das leider stark beschädigte .-Mtarbild mit einer
Krönung Maria gruppieren sich die Figuren der heiligen
Bischöfe .Martin und Pirmin, sowie des hl. Stephanus
und des hl. Jakobus d. A., die von reichem Schnitzwerk
umrahmt sind. Darüber erscheint in einem Rundmedail-
lon die hl. Dreifaltigkeit in Relief, von Engeln flankiert.
Das Sakranienthäuschen mit dem hl. Franziskus und der
hl. Clara von Assisi in Nischen ist der Predella vor-
gebaut. .Mit .Ausnahme des Fleischtons an Gesichtern
und Händen beschränkt sich die Bemalung auf Schwarz
und Gold. Das Ganze ist bei allem Formenreichtum
übersichtlich gegliedert. E. v.
BÜCHERSCHAU
DieGemäldesammlungen .\1 ünchens. Ein kunst-
geschichtlicher Führer durch die Kgl. ältere Pinakothek,
das Kgl. Maximilianeum, die Sammlung des Freiherrn
von Lotzbeck, die Schackgalerie, die Kgl. neuere Pinako-
thek. Von Otto Grautoff'. Verlag von Khnkhardt & Bier-
mann, Leipzig. Preis 5 M. in biegsamem Kahko, 4,50 M.
in Halbfranz mit Leder.
Die meisten Kunstfreunde haben zu umständlichen
kunstgeschichtlichen Studien w-eder Zeit noch Neigung,
möchten aber doch einen allgemeinen historischen Über-
blick über ihre Lieblinge in den Galerien gewinnen.
Hierbei tun knappe Führer, welche nur die besten Werke
hervorheben, gute Dienste, besonders wenn sie mehr
die Kunst als die Geschichte betonen. GrautoHs Führer
enthält in lobenswerter Kürze treft'liche Bemerkungen
und liest sich nicht unangenehm. .Auf Einzelheiten einzu-
gehen, fehlt hier der Raum. Das »christliche Dogma«
hat niemals die Künstler gehindert, nach Dingen zu
greifen, die diese Welt erfüllen, Genremaler, Landschafter
oder Stillebenmaler zu werden, es hat nie die Lebens-
freude verhindert; auch ist uns kein Dogma bekannt,
das den Künstlern verbietet, die Schönheit des Menschen-
leibes zu preisen. Ferner vernimmt man nicht ohne Über-
raschung von Grautoft' die Kunde von einer katholischen
Sinnlichkeit des 18. Jahrhunderts. Kann es denn selbst
im kleinsten Büchlein nicht ohne einige .Anrempelungen
des christlichen Glaubens abgehen? Bei der Beurteilung
des 19. Jahrhunderts nimmt der Verfasser die neueren
französischen Landschafter zum Maßstab für die deutsche
Kunst des gesamten Jahrhunderts, weshalb die Deutschen
und besonders die Münchener nicht gut wegkommen.
Die neueren Künstler werden zumeist nicht als ge-
schlossene künstlerische Persönlichkeiten, sondern ein-
seitig nur nach ihren Qualitäten als Maler bewertet,
wofür der Verfasser ein gutes .Auge besitzt.
Meister der Farbe. Europäische Kunst der Gegen-
wart. V.Jg. 1908. Abonnementspreis für : 2 Monatshefte
M. 24. — Heft 4 und 5.
Über die drei ersten Lieferungen wurde im achten Heft
berichtet. Die vierte Lieferung bringt zunächst den Schluß
eines .Aufsatzes über Eduard Meverlieim und die Seinen.
Dann folgt ein von tiefer Herzenswarme durchdrungener
Brief des Peter Cornelius an Joseph von Görres, aus
Rom. Er trägt das Datum vom 5. November 1814, mutet
uns aber an den hauptsächlichsten Stellen an, wie wenn
er heute für unsere Verhältnisse geschrieben wäre. Mit
schönen Blättern sind vertreten : Kroyer, Wilhelm Nagel,
Opsomer, Delaunois, Moreau-NOlaton und Zücken. Im
fünften Heft finden wir einen Aufsatz über die Kunst-
vereine, die, wie der Verfasser eingangs bemerkt, im
Laufe der bald 90 Jahre, die sie in Deutschland bestehen,
»bewundert viel und viel gescholten«, vielleicht aber doch
mehr gescholten worden sind. Ferner wird ein Brief
Overbecks vom 19. Juli 1810 abgedruckt, der die ersten
Eindrücke schildert, welche der junge Künstler im Vati-
kan gewonnen. Treflliche Reproduktionen enthält die
Nummer von August Roth, Vincenzo Migliaro, Giuseppe
Giardi, Friedrich Fehr, John Muirhead und Spitzweg.
Hand Zeichnungen alter .Meisterim Besitze des
.Museums Wallraf Richartz zu Köln. 25 Lichtdrucktafeln
mit Text. Herausgegeben von Dr. .Arthur Lindner.
Köln, Wilhelm Abels.
Schon vor einigen Jahren wies ich in dieser Zeitschrift
bei Gelegenheit einer Ausstellung von Handzeichnungen,
die der Leiter des Kupferstichkabinetts des Museums
Wallraf-Richartz zu Köln, Dr. A. Lindner, veranstaltet
hatte, auf die vielen, unbekannten Schätze hin, die jene
Galerie birgt und machte bereits auf das Verdienst des
BUCHERSCHAU — DER PIONIER
genannten Herrn um die Ordnung und Ehrung dieser
Schatze aufmerl<sam. Dr. Lindner hat nun 40 dieser
Handzeichnungen auf 25 Tafeln publiziert und mit kurzen,
vielleicht allzukurzen Erläuterungen begleitet. Nach
welchen Gesichtspunkten diese Auswahl gesehen, hätte
man gerne vom Herausgeber gehört. Die Reproduktionen
sind durchweg ausgezeichnet, und mit wenigen Aus-
nahmen konnte die Originalgröße der Vorlagen beibe-
halten werden, ohne dem Werke dadurch ein unhand-
liches Format geben zu müssen.
Außer den Niederländern: Rogier van der Weyden (i),
Wallerant Vaillant (i), J. de Koncheron (i) sind besonders
den Deutschen und Italienern die Blätter gewidmet. Von
Dürer sehen wir eine knieende, weibliche Heilige als
Studie zu einer Verlobung der Hl. Katharina. Ihm
schließen sich an H. L. Schäufelein mit einem hl. Se-
bastian und hl. Christophorus, Erhard Schön mit 10
Blättern, ferner Tobias Stimmer, H. C. Lang und Dan.
Lindtmayer mit je einer Zeichnung. Als letzter folgt
Anton de Peters, der bedeutendste Rokoko Künstler, den
Köln aufzuweisen hat, und dem man erst in letzter Zeit
die gebührende Beachtung schenkt. Mehrere hundert
Handzeichnungen bewahrt das Kölner Kupferstich-Kabi-
nett. 1 1 charakteristische Blätter seiner Hand, die seine
Vielseitigkeit und sein großes Talent recht gut kennen
lehren, sind in die Publikation aufgenommen.
Ebenso interessantes Material bieten die Italiener, zu-
nächst Lionardo da Vinci mit einem wichtigen Studien-
blatt zu dem Anbetungsbild der Ufficien, das 1 1 männ-
liche Akte zeigt. Die beiden Zeichnungen des Andrea
del Sarto als »unzweifelhafte-« Studien zum Fanziskus
der Madonna dell' Arpie zu bezeichnen, scheint mir sehr
gewagt. RafTael, nach einigen dessen Schule, entstammt
die Federzeichnung eines fliegenden Merkur und zweier
Amoretten aus den Fresken der Farnesina. Außerdem
finden sich noch ein Blatt eines umbrischen Meisters
des XVI. Jahrhunderts und zwei treff'liche Zeichnungen
des Francesco Guardi. H. Reiners
Die römischen Katakomben. Von Geistl. Rat
Dr. G.A.Weber, Professor am Kgl. Lyceum in Regens-
burg. Mit 225 Abb. Dritte, vermehrte und verbesserte
Auflage 1906 Regensburg, Pustet, 200 Seiten, brosch. 2 M.
Ein Beweis für die Brauchbarkeit des Weberschen
Katakonibenbuches liegt schon in der 1903 erschienenen
franz. Übersetzung desselben, sowie in der dritten Auf
läge, welche die deutsche Ausgabe zu verzeichnen hat.
Bekanntlich sind es weniger gelehrte Detailuntersuch-
ungen, welche den Schwerpunkt des Buches ausmachen,
als vielmehr die ühersichtUche, populär gehaltene Zusam-
menstellung der gesicherten Forschungsergebnisse auf
diesem Gebiete, da und dort mit stark apologetischem
Einschlag. Aus einem Vortrag herausgewachsen, wird das
Schriftchen für ähnliche Zwecke, sowie zur Orientierung
für Rompilger »und solche die es werden wollen« vielen
Nutzen stiften. In den 225 Abbildungen trifft man fast
ausnahmlos lauter alte Bekannte. d
DerBetrieb des Zeichenunterrichts, die Zei-
chenraaterialien und Lehrmittel sowie die Ein-
richtung der Zeichensäle. Ein Handbuch für Zei-
chenlehrer, Schulbehörden und zum Selbstunterricht.
Mit Unterstützung des Großh. Bad. Oberschulrats her-
ausgegeben von Otto Haßlinger, Professor, und Emil
Bender, Zeichenlehrer in Karlsruhe. Mit 206 Figuren
und 21 Tafeln. In Leinwand gebunden M. 8. — .
Lehrer, die keine genügend künstlerische und päda-
gogische Ausbildung im Zeichnen erhielten, werden
dieses Buch sehr willkommen heißen, da es ihnen
Fingerzeige in vielen Fällen gibt, in welchen sie sich
nicht zu raten noch zu helfen wissen. Aber auch Fach-
lehrer werden hierin über manchen Punkt klar werden.
für den sie bis jetzt keine befriedigende Lösung ge-
funden. Sollte jemand während seiner Schulzeit im
Zeichenunterricht keinen Erfolg gehabt haben, weil der
mit diesem Fache beauftragte Lehrer es nicht verstan-
den, seinen Zögling für seinen Unterricht zu interes-
sieren, sa kann er an der Hand dieses Buches das Ver-
säumte nachholen. Die Verfasser, namentlich der er-
stere, welchem seit 10 Jahren die Inspektion an den
badischen Mittelschulen anvertraut ist, hat seine viel-
fachen Erfalirungen in dieser Schrift niedergelegt. Ein
großer Teil der Illustrationen sind Faksimiles von Schü-
lerzeichnungen der verschiedenen badischen Mittelschu-
len. Die Ausstattung ist vornehm. Auf Anordnung
der Oberschulbehörde fand Mitte Juli bis Mitte August
1907 in Karlsruhe eine Ausstellung von Schülerarbeiten
der badischen Mittelschulen statt. g. Barth
Meisterwerke religiöser Kunst. Noch recht-
zeitig vor Weihnachten erscheint ein neues Werk der
Gesellschaft für christliche Kunst »Meisterwerke religiöser
Kunst«, sechs farbige Blätter in Aquarellgravüre mit Text
von Dr. Joh. Dararich. In eleganter Mappe (Format
69X5i'/2cm). Preis M. 25. — . Einzelpreis eines Blattes
M. 6.— . Inhalt: Nr. i Martin Schongauer, Heilige Familie
(Madonna mit der Traube, Wien, k. k. Gemäldegalerie).
Nr. 2 Martin Schongauer, Geburt Christi (Kaiser-Fried-
rich Museum, Berlin). Nr. 3 Raftael Santi, Madonna
del Granduca (Florenz, Galerie Pitti). Nr. 4 Gerard
David, Die Vermählung der hl. Katharina (München,
Kgl. Pinakothek). Nr. 5 Pietro Perugino, Vision des
hl. Bernhard (München, Kgl. Pinakothek). Nr. 6 Jan
van Eyck, Maria mit Kind (Städelsche Galerie, Frank-
furt). Die Herausgabe solcher Blätter zu mäßigem
Preise dürfte von allen Kunstfreunden auf das lebhafteste
begrüßt werden.
DER PIONIER
MONATSBLÄTTER FÜR CHRISTLICHE
KUNST. ZUGLEICH BEIBLATT DER VOR-
LIEGENDEN ZEITSCHRIFT
»DIE CHRISTLICHE KUNST«
Preis für den Jahrgang inkl. Frankozustellung M. 5. —
Probenummern gratis.
I. JAHRGANG
Inhalt der bisher erschienenen Nummern:
Nr. I. Zur Einführung. — Woher der Name Vesper-
bild ? Von Dr. Andreas Schmid. — Seit wann sind
die Fenster verglast? Von Max Hasak, Grunewald bei
Berlin. — Zur Geschichte der liturgischen Gewandung.
Von S. Staudhamer. — Zum Kapitel »Volkskunst«.
Von Friedrich Hacker. — Reproduktionstechniken.
Nr. 2. Der Klerus als Förderer der christlichen Kunst.
Von S. Staudhamer. — Die Zinkographie. — Seit wann
sind die Fenster verglast? Von Max Hasak (Fortsetzung).
Nr. 3. Die Kunst auf dem letzten Katholikentag. —
Altarleuchter. Von A. Wenig. — Seit wann sind die
Fenster verglast? Von Max Hasak (Fortsetzung). —
Vereinsgabe der Deutschen Gesellschaft für christliche
Kunst pro 1908.
Redaktionsschluß: 15. November.
BEILAGE
DÜSSELDORFER KUNSTBRIEF
DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT
(P. Janssen-Ausstellung u. a.)
r\ie Reihe der Sommerdarbietungen 1908 wurde eröffnet
durch eine reiche Nachlaßausslellung des am 19. Fe-
bruar d. J verstorbenen Aliademieprofessors P.Janssen
in der Kunsthalle;') angemessenerweise aber war sie be-
stimmt, zugleich einen Überblick über die wichtigsten
Schöpfungen des Meisters zu geben, der nur selten mit
Einzelwerken auf Ausstellungen erschien, und dessen
Hauptwerke, die großen Bilderzyklen, nur zum geringsten
Teile von sehr vielen Kunstfreunden gesehen oder gar
genauer kennen gelernt werden; ja der einzelnen Vor-
handensein kann nicht einmal als hinlänglich und allge-
mein bekannt vorausgesetzt werden. Diese Hauptwerke
konnten nur in Reproduktionen, einzelnen Kartons und
zahlreichen Vorarbeiten, Zeichnungen und Farbenstudien,
gezeigt werden. Es sind — der Katalog gibt dankens-
wert eine »zeitliche Folge« derselben — die Wandge-
mälde im Rathaussaale zu Crefeld (1871—73), in
neun Bildern Hermann den Cherusker feiernd, das Wand-
gemälde im untern Börsensaale zu Bremen (1872)
(.Kolonisierung"), die Wandgemälde im zweiten Cor-
nelius-Saale der Berliner National- Galerie, elf
Bilder aus der Prometheus-Sage (1874 76), die drei
Wandgemälde in der Feldherrnhalle des Berliner
Zeughauses (1884— go), den Schlachten bei Fehrbellin
(1675), bei Torgau(i766) und bei Hohenfriedberg (1745)
gewidmet, dann Fries- und Deckengemälde für die Aula
der Kunstakademie zu Düsseldorf (1886 — 96),
erstere das Menschenleben in seinen verschiedenen Phasen
als Gegenstand der künstlerischen Phantasie darstellend,
im Deckengemälde »Natur, Schönheit und Phantasie«,
Wandgemälde in der Aula der Universität zu
M a r b u r g (i 887 — 1 902), ortsgeschichtliche Darstellungen
und Darstellung der Sage von »Otto der Schütz«, acht
Bilder, weiter das Wandgemälde im Sitzungssaale
des Rathauses zuElberfeld (1903') »Brotverteilung
beim Brande in Elberfeld«, endlich der große Zyklus
von neunzehn Wandgemälden in der Kemenate des
Schlosses Burg a. d. Wupper(i904 — 1907),^) lauter
') Peter Janssen wurde am 12. Dezember 1844 Su Düsseldorf ge-
boren; sein Vater, F. M. Theodor J.. war Kupferstecher und stammte
aus Ost-Fricsland; ein jüngerer Bruder ist der Bildhauer Karl I., Pro-
fessor an der Akademie zu Düsseldorf. Peter J. besuchte von 1860 ab
die Düsseldorfer Akademie in engerem Anschluß an E. Bendemann.
Von vorübergehendem Besuche .Münchens, Dresdens und Hollands ab-
gesehen, hat er sein ganzes Leben lang der Vaterstadt angehört und
insbesondere der Akademie als Schüler, später als Professor und zuletzt
bis zu seinem Tode als Direktor.
sj Schloß Burg a. d. Wupper bei Solingen, um 1118 vom Grafen
Adolf vom Berge errichtet, Stammburg und bis ins 14. Jahrh. ständiger
Sitz der Herren von Berg, aber auch später noch bei den Herzogen in hohen
Ehren, vereinsamte um die Milte de» 16. Jahrh. und erlitt dann mehr-
f.iche Zerstörungen bis noch in das Jahr 1S49. 1887 begann Kommer-
zienrat Julius Schumacher zu Werraelskirchen den Wiederaufbau eifrig
zu betreiben und unter vielseitiger Beteiligung wurde dieser zu Ende
geführt. Die Ausstattung der Burg machte sie zu einer Art Bergischen
Museums, aber auch zu einem Stück Düsseldorfer Kunstgeschichte durch
die Mitwirkung Düsseldorfer Künstler. Die Ausmalung des Ritter-
saales wurde Prof Claus Meyer übertragen, der hier (i8.;9 — 1905) in
zehn hochbedeutenden Wandgemälden die Geschichte des bergi-
schen Landes von der Erbauung der liurg bis zur Zeit der Freiheits-
kriege darstellte Prof Peter Janssen schmückte die Kemenate,
das eigentliche Famibengemach der liurg, mit den Szenen aus dem
Rittericben. Prof. Willy Spatz besorgte (1S99— 1901) die Aus-
malung der Schio ßka pcl le und nahm zum Gegenstande l. die
Grundlegung des Christentums in des Menschen Seele (Predigt des
hl. Suitbertus). 2. die Entwicklung des christlichen Gedankens im
Menschen {drei Bilder a) Sehnsucht nach dem Christentum, b) die
Hüterin der christlichen Wahrheit, c) Brautzug, }. (Altarwand) des
Christen Lohn. An der Ausführung der Malereien beteiligten sich noch
einige jüngere Düsseldorfer Künstler; den Schloßbruniien schuf der
Düsseldorfer Bildhauer Coubi liier (t J. Oktober d I); Walther
Petersen malte ein Porträt des Kommerzienrats J. Schumacher für
einen Raum nebjn dem Rittersaale (das heutige Sitzungszimmer). Neuer-
dings ist noch ein von Prof. A. Schill höchst künstlerisch kompo-
nierter Stammbaum »Aus bergischem Stamme erblüht« dnrch den Maler
Osten in einem Vorsaale des Rittersaales als Wandgemälde ausge-
führt worden.
Szenen aus dem Ritterleben, ein Tummelfeld für des
Meisters Geist, Laune und Vielseitigkeit. Zu allen diesen
Werken bot die Ausstellung in reichem Maße Kartons,
Farbenskizzen, Zeichnungen und Studien in Stift, Kohle
und Farben, daneben zahlreiche Photographien; in Repro-
duktionen waren sämtliche genannten Werke vorgestellt
Die einzelnen zu würdigen gehört nicht in den Rahmen
dieses Berichtes. Wie die großen Wandgemälde, so waren
auch die Staffeleibilder meist nur durch Skizzen, Vor-
zeichnungen und Studien vertreten; selbst die vier Ge-
mälde, die der Städtischen Galerie gehören, hatte
man an ihrem Platze in den oberen Räumen der Kunst-
halle zu lassen vorgezogen. Das gewaltigste unter ihnen
ist zur Erinnerung an die Feier des sechshundertjährigen
Bestehens Düsseldorfs als Stadt (1888) gemalt worden
und stellt den Mönch Walther Dodde und die Bergi-
schen Bauern vor ihrem entscheidenden Eingreifen in
die Schlacht bei Worringen, iRomryke Berge U im
Jahre 1288 dar. Als Porträtmaler zeigt den Meister das
Porträt des Düsseldorfer Altmeisters Andreas Achen-
bach. Ein Gedenkbild ist auch die genreartig gegebene
Porträtgruppe zur Erinnerung an die Ausstellung
1904. Von seiner späteren Hinwendung zur v. Gebhardt-
schen Art zeugt das Bild »Sie alle folgten dem
Stern», in welches die greifbare Nähe des Sternes der
hl. Dreikönige unklar, ja verwirrend hineinspielt, ohne
selber zu angemessener Darstellung darin zu kommen.
Von den nicht gerade zahlreichen Tafelbildern der Aus-
stellung selber seien genannt »Die Verspottung der
Helffensteinerin«, »Gebet der Schweizer vor der Schlacht
bei Sempach«, »Jephtas Tochter«, »Morgenrot«, »Kom-
met her zu mir«. Eine Besonderheit bilden die Gemälde
nebst zahlreichen Studien und Skizzen aus den Kreisen
des heiteren Bacchus (des ernsten Bacchus gedenkt
die neuere Kunst viel zu wenig, da er doch unerschöpf-
lich genannt werden kann) und des Faunenlebens,
Kreise die dem Launigen sowohl als dem Nachleben
Rubenscher Nacktheit und Üppigkeit eine verständliche
Unterlage geben. Wie eng das Launige mit schnellem,
zusammenfassendem Blicke für naive ungekünstelte Wirk-
lichkeiten verknüpft ist, zeigen unter anderem ganz be-
sonders eine Reihe kleinerer, teilweise — und nicht zu
ihrem Schaden — skizzenartiger Aquarelle und Ölbild-
chen aus Spanien und Italien usw. »Blumenmarkt in
Barcelona«, »Zigeunerin aus Sevilla«, »Zechpreller«,
»Sonntagsschule in der Kirche zu Taormina« (Kohle-
zeichnung). Das bereits Erwähnte genügt, P. Janssen
auch auf dem Gebiete des Porträts und zwar des Por-
träts im großen Stil zu suchen; genannt ist bereits das
Porträt Andreas Achenbachs; ihm stellen sich in der
Ausstellung zur Seite das Porträt des Berliner Akademie-
inspektors Holthausen und des Düsseldorfer Landschafts-
malers Professor Eugen Dücker. Viele der genannten
Bilder konnten durch Skizzen, Studienköpfen usw. auch
in ihrem Werden studiert werden ; andere seiner be-
kannteren Bilder waren nur durch Vorarbeiten vertreten.
P. Janssen ragt als Historienmaler zu weit in das vorige
Jahrhundert, um nicht — auch abgesehen von den Fällen,
wo ein größerer Zyklus es mit sich brachte — Werke
der christlichen Kunst sich zur Aufgabe zu stellen; ja
es gehörte eigentümlicherweise sein erstes größeres Werk
»Verleugnung Petri« (1865, im Besitz der Universität
Philadelphia) — in der Ausstellung Karton (Nr. i) und
Farbenskizze dazu (Nr. 210) — und sein letztes, unvoll-
endetes und nicht über eine große Ülstudie hinausge-
kommenes »Lasset die Kindlein zu mir kommen« in den
Kreis der christlichen Kunst. Wie ihn anfangs Zeit und
Schule in dieses Gebiet führte, so dürfte der bei noch
so großer Verschiedenheit enge Zusammenschluß mit
Prolessor E. v. Gebhardt, eine Freundschaft voll gegen-
seitiger Hochschätzung und lebhaften Gefühles wach-
sender oder vielmehr schärfer hervortretender Geistes-
DÜSSELDORFER KUNSTBERICHT — VERMISCHTE NACHRICHTEN
verwandtscliaft, mehr als alles andere ihn zu biblischen
Stoffen zurückgedrängt haben. Verwandte Züge reichen
bei P. Janssen schon ziemlich weit zurück; in dem Bilde
»Sie alle folgten dem Stern« werden sie nocli durch man-
ches stark übertönt, aber das große Figurenbild »Kommet
her zu mir!< — viele Studien dazu in der Ausstellung —
zeigt durchaus mehr Anschluß als Kongenialität; es ist
Janssen nicht gelungen, bei den sich drängenden Kreuz-
trägern das zum Ausdruck zu bringen, was v. Gebhardt
aus der Tiefe religiöser Empfindung, wie sie der Spruch
voraussetzt, in die Sichtbarkeit hervorgeholt haben würde :
ein solch innerliches Mühselig- und beladensein ist etwas
ganz wesentlich anderes, als Unzufriedenheit mit dem
zufällig so oder so Gewordenen oder Trieb nach Ver-
änderung und Abwechslung. Seine letzte Studie »Lasset
die Kindlein zu mir kommen« läßt noch nicht beuiteilen,
ob sie wirklich zu einem Bilde religiöser Art geworden
sein würde: was davon vorliegt, mutet an, aber der
Stört' liegt dem Akademischen wie dem Reahstischen
gleich ferne, wenn er die Worte des Heilandes vor Augen
stellen soll.
Vierhunderteinundreißig Werke waren in den unteren
Sälen der Kunsthalle vereinigt, um, wie nie zuvor, die
zeitliche Aufeinanderfolge in örthchem Nebeneinander
zu einem Einbhck in die Entwicklung und die Arbeit
des Meisters während seiner mehr als vierzigjährigen Tätig-
keit geeignet werden zu lassen. Drei von den ausge-
stellten Werken zeigten den Mann selber, wie drei Meister
der Kunst seine äußere Erscheinung und den ihr inne-
wohnenden Geist und Charakter festzuhalten versucht
haben; vor vielen Jahren H. Crola, neuerdings Prof.
Ludwig Keller und in Medaillon aus weißem Mar-
mor der Bruder des Verstorbenen, Prof. Karl Janssen.
Ein besonders tiefer Einblick in den umfassenden Geist
und brüderlich vertraute wahrhafte Auffassung seines
("har.ikters ist naturgemäß bei dem Bruder vorauszu-
setzen, und was dessen Werk ausspricht, findet in den
Werken des Dargestellten seine bestätigende Antwort.
Peter Janssen war eine regierende Natur, hingegeben dem
Dienste der Schönheit in der Kunst; »ich herrsch'« und
»ich dien'« konnten ihm Devisen sein, die miteinander
nicht in Widerspruch zu treten brauchten. Drückten
seine Vorgänger, wenngleich milderer Formen sich viel-
fach bedienend, der Akademie, soweit sie vermochten,
den Stempel ihrer mehr oder minder persönlichen Auf-
fassung auf, so daß wiederholt eine förmliche Flucht der
Kunst aus der Akademie in die Privatatehers eintrat, wie
aus Fesseln in die Freiheit, so ward mit ihm das Grund-
gesetz, daß die Kunst keine Fesseln erträgt als die eignen,
zur praktischen Verv,'irklichung zugelassen, und das zweite,
aus dem ersten sich ergebende, daß der Künstler aus
seiner eigenen Natur heraus werden und in diesem
Werden durch weise Leitung gefördert werden müßte,
schien ihm nicht disziplinwidrig zu sein Trotz vorauf-
gegangener vieljähriger, direktorloser Zeit zerschmolz
erst mit seiner Übernahme der Leitung das »Akade-
mische« im alten und üblen Sinne des Wortes. Nicht
dieses, sondern andere weit höhere Imponderabilien be-
gannen das zarte Gewebe der Eigenart Düsseldorfer
Kunst gegenüber anderen Kunstrichtungen zu spinnen.
Und es ward weit genug gesponnen; denn innerhalb
desselben konnten sich sclion in der Schülerschaft Gegen-
sätze und Verschiedenheiten entwickeln, die unvereinbar
schienen und auch tatsächlich iVeinde Geister in die
Fremde führten; hierauf näher einzugehen, verlohnt sich
nicht; jede größere Ausstellung in Düsseldort und ander-
wärts ist sichtbarer Beweis; wer da mit einigem künst-
lerischem BUck in die Düsseldorfer Säle tritt, tritt dort
ein wie in die Intimität eines Privathauses ; er empfindet
die einheitliche Luft, bis die Stärke der Einzelwirkungen
sich vordrängt. Und diese weit- und zartgesponnene
Einheitlichkeit ward durch P. Janssens direkten und in-
direkten Einfluß schon bei den Kunstschülern entwickelt
und gelördert. Gleichwohl war P. Janssen Akademiker
durch und durch und nicht zum wenigsten in seinen
eigenen Werken. Freilich war er es nicht im Sinne des
nörgelnden Schahionendieners, der, bei aller Selbsthoch-
schätzung nicht etwa seine Person, sondern, die ihm
überlieferte und von ihm nuancierte Schablone für In-
begriff der Kunst ansehend, diese Schablone weiter auf-
zwängt. Janssen wurde und blieb Akademiker vielmehr
und vor allem durch ein starkes Stilgefühl; es muß
ihm ursprünghch innegewohnt haben; denn er konnte
bis in sein späteres Alter Einflüsse vertragen, ohne un-
selbständig zu werden. Wo immer er nicht Manier,
sondern Stil fand, näherte er sich gerne, selbst auf die
Gefahr hin, weniger originell zu erscheinen. So mag
es kommen, daß gewisse bedeutende Stilrichtungen,
wie Bendemann, Alfred Rethel u. a. wie eine Etappen-
geschichle der Düsseldorfer Kunst sich in ihm wider-
spiegeln. Mit dieser Stärke des Stilgefühls hängt es
innig zusammen, daß ihm das Momentane in der Kunst,
so sehr er es zu schätzen wußte, eigentlich fremd blieb.
Jeder Strich sozusagen trägt die repräsentierende
Dauer einer dargestellten Idee an sich. Selbst
seine faunischen Gemälde, vor allem das bei aller Ein-
fachheit der Erfindung großartige Bild »Am Meeres-
strande« von der Deutschnationalen Ausstellung 1907,
zeigen das. Auch wo seine Darstellungen noch so be-
wegt erscheinen, ist dem Augenblick Dauer verliehen;
hier ist der heut so viel mißbrauchte Ausdruck »monu-
mental« zutreffend. Mit dem Stilgefühl endlich ist enge
verknüpft die Vornehmheit, die von den Heutigen
als unvereinbar mit naturwüchsiger Originalität in die
Rumpelkammer akademischer Maskeraden geworfen ist,
aber doch auch schon wieder schüchtern hervorgesucht
wird. Und Vornehmheit kommt den Janssenschen Wer-
ken vorherrschend in hohem Grade zu und weiclit selbst
hei ausgelassener Laune nicht. Wenn aber Janssen einer
der wenigen Hervorragenden ist, die starkes Stil-
gefühl, Dauer des Augenblicks, repräsentie-
rende Vornehmheit durch das Stürmen und Drän-
gen der letzten Jahrzehnte hindurch hochgehalten haben,
und zwar der Gegenwart nicht fremd gegenüber,
sondern mitten in ihr stehend, die vielfach krausen Ge-
wächse nicht schulmeisternd oder ausrottend, sondern
gewähren lassend und, soweit es anging, leitend, so
dürfte das alles hinreichender Beweis für die nachhal-
tige Bedeutung des Mannes sein, aber auch hinreichende
Erklärung dafür, daß dem heutigen Beschauer Unter-
schätzung und der Vorwurf mangelnder Originalität näher
hegt, als das Gefühl für die Mahnung daran, daß Kunst
nur dann Kunst sei, wenn sie dem Augenblick
Dauer verleiht um einer Idee willen. So gewiß
der Satz zwar vorübergehend aus den Augen verloren
werden kann, aber unerschütterlich feststeht, ebenso
gewiß mögen Träger desselben zeitweise und um dieser
oder jener Einzelheit willen unterschätzt werden, aber
ihr Verdienst bleibt dadurch unberührt ; und ein solcher
standfester Träger des Banners hoher Kunst ist Peter
Janssen gewesen. Bonc
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Wettbewerb. Die K. Bayerischen Staatsministerien
des Innern und der Finanzen schreiben unterm 3. De-
zember einen Wettbewerb zur Erlangung von
Entwürfen für den Neubau eines Polizeige-
bäudes in Münclren aus, an dem sich die deut-
schen Architekten beteiligen können. Die Unter-
lagen sind gegen Einsendung von 10 M. vom Geheimen
Expedilionsamte des K. Staatsministeriums des Innern
(Theatinerstraße 21 in München) zu beziehen. Dieser
VERMISCHTE NACHRICHTEN — BÜCHERSCHAU
Betrag wird bei Ablieferung eines Entwurfes zurüclc-
erstattet. Die Entwürfe sind bis zum 15. Mai 1909,
abends 6 Ulir an die vorbezeichnete Adresse postfrei
einzusenden. Als Preise stehen zur Verfügung: ein
erster Preis im Betrage von 12000 M. ; ein zweiter
Preis im Betrage von 9000 M. ; zwei dritte Preise im
Betrage von je 6000 M.; zwei vierte Preise im Betrage
von je 5000 M. Weitere Entwürfe können zum Preise
bis zu je 5000 M. erworben werden. Das Preisgericht
besteht aus den Herren ; Coluzzi, Ministerialrat im K.
Staatsministerium der Finanzen in München; Dr. Englert,
Ministerialrat im K. Staatsministerium des Innern in
München ; Frhr. von der Heydte, K. Regierungs- und
Polizeidirektor in München ; von Hildebrand, K. Professor
und Bildhauer in München; Dr. ing. Hoffmann, Geh.
Baurat und Stadtbaurat in Berlin ; Hofmann, Geheimer
Oberbaurat, Professor in Darmstadt; Littmann, K. Pro-
fessor, • .Architekt in München; Ohmann, K. K. Ober-
baurat, Professor in Wien; Reuter, Oberbaurat im K.
Staatsministerium des Innern in .München ; Schachner,
Stadt. Bauamtmann in München ; Alb. Schmidt, K. Pro-
fessor, Architekt in München ; Frhr. von Schmidt, K. Pro-
fessor an der Technischen Hochschule in München ;
Schmitz, K. Professor, Architekt in Nürnberg; Dr. ing.
G. von Seidl; K. Professor, .Architekt in München; Dr.
Wallot, Geheimer Baurat, Geheimer Hofrat und Pro-
fessor in Dresden.
Frankfurt a. M. Das Preußische Kultusministerium
hat den Maler Paul Beckert (Frankfurt a. M.) beauftragt,
für den Staat ein Porträt der Kaiserin .Auguste Viktoria
zu malen, nachdem der- Kaiser die hierzu vorgelegten
Skizzen genehmigt hat.
-Aachen. Die niederrheinischen Bildwerke des städti-
schen Suermondt-Museums haben durch die Erwerbung
eines Kalkarer Schnitzaltars aus der Zeit um 1 500 einen
glänzenden Mittelpunkt erhalten. Der dreiteilige, in der
Mitte überhöhte Schrein enthält figurenreiche, dramatisch
bewegte Szenen aus dem Leben des heiligen Petrus, die,
ohne scharfe Trennung, in zwei Reihen übereinander
angeordnet sind. Im Mittelfeld sieht man Petrus in
Cathedra, von Kirchenfürsten umgeben, darüber die Hei-
lung eines Besessenen, links davon Petrus als Prediger
und die Auferweckung der Tabitha, rechts die Kreuzi-
gung Petri, sowie seine Verfolgung und Begegnung mit
Jesus. Die Figuren sind mit großem Naturalismus dar-
gestellt und erinnern sehr an die bekannten Werke in
der Nikolaikirche zu Kaikar; wie diese sind sie aucli nicht
bemalt. Reich geschnitzte Baldachine schließen oben
die Gruppen ab, während ein schön durchbrochener
Rankenfries seitlich und oben herumläuft. Große halbe
Kleeblattbogen vermitteln den Übergang zwischen Seiten-
und Mittelteil. Für das Museum hat der .Altar, abgesehen
von seinem hohen künstlerischen Wert, als Erzeugnis der
niederrheinischen Kunst des .Mittelalters noch besondere
Bedeutung.
Bildhauer Valentin Kraus (München) wurde vom
bayerischen Staat mit zwei kirchlichen Aufgaben für die
Sc'hottenkirche in Würzburg betraut. Wie wir frülier be-
richteten, war seine Marmorfigur »Unsere Erlösungt
hinter einem Seitenaltar jener Kirche aufgestellt worden.
Dieses edle Werk wurde am 27. Oktober in die neue
St. Adalberokirche überführt, wofür in der Schottenkirche
an ihre Stelle die Madonna mit dem Christkind kommen
.soll, während der andere Seitenaltar von Kraus eine
Statue des .Apostels Jakobus major, des Patrons der
Kirche, erhalten wird. Beide Plastiken werden in Jura-
kalkstein ausgeführt.
Bildhau er Joseph Faß nacht (München) vollendete
Ende November eine Statuette der hl. Barbara, der Pa-
tronin der Artillerie. Die Figur ist in Birnbaumholz
ausgeführt und bildet ein Geschenk der Offiziere des
3. Feldartillerie-Regiments zum 50jährigen Militär-Dienst-
jubiläum S. K. H. des Prinzen Leopold von Bayern.
München. Die Galerie Heinemann eröffnete anfangs
Dezember eine Ausstellung von Gemälden der Barbizon-
Schule; sie umfaßt 72 Gemälde von Corot, Daubigny,
Diaz, Isabey, Rousseau, Troyon u. a.
München. Nächsten Sommer findet vom i. Juni
bis 51. Oktober im Kgl. Glaspalast zu München die
X. Internationale Kunstausstellung statt.
Für die kath. Pfarrkirche iSt. Bartholomä« in
Friesenried (Allgäu) hat Professor Kaspar Schleibner
zwei Deckengemälde vollendet. — Im Langschiff der
Kirche ist die »Krönung Mariens< mit der hl. Dreifaltig-
keit und den Schutzheiligen der Landbevölkerung. Der
hl. Bartholomäus als Patron der Kirche kniet zu den
Füßen der hl. Dreifaltigkeit, um den Segen für die
seinem Schutze anvertraute Gemeinde zu erbitten. —
Das Bild im Chor stellt den »Er denpil ge r< dar,
vom Kinde bis zum Greisenaher. Am Fuße des Bildes
lauert der »Versucher«, den vorüberziehenden Wanderern
den Reichtum und die Freuden der Welt anpreisend.
In der Mitte des Bildes schreitet ein Ehepaar, gemein-
sam das Kreuz des Lebens tragend, während oben in
der Glorie ein Pilger bereits sein Ziel erreicht hat und
aus der Hand des Herrn die Krone der ewigen Beloh-
nung empfängt.
Professor Becker-Gundahl vollendete am 27. No-
vember ein großes Freskogemälde an der Vorderwand
des linken Armes des Q.uerschirtes der neuen St. Anna-
Kirche zu München. Es ist das Seitenstück zu dem im vori-
gen Jahr von ihm fertiggestellten Fresko der Kommunion
der Apostel und stellt das Wunder der Verwandlung
von Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kana neu-
artig dar. Das Gemälde bildet einen Schmuck des Gottes-
hauses. Darüber sieht man »Die flinimelspforte«. In
den vier Feldern des Gewölbes schweben vier Engel,
von einem Sternenkranz einheitlich verbunden.
Dr. Gabriel von Seidl beging unter hohen und
wohlverdienten Ehrungen am 9. Dezember seinen 60. Ge-
burtstag. Der Künstler übte seit mehr als einem Vier-
ttljahrhundert einen entscheidenden Einffuß auf die
Richtung der Münchener Archhektur. Von seinen Haupt-
werken nennen wir nur das neue Nationalmuseum, das
Künstlerhaus, das Lenbachhaus, die St. Annakirche (.Abb.
in der III. Jahresmappe, 1895, der D. Ges. f. christliche
Kunst), sämthchc in München, dann Schloß Neubeuern,
Schloß Steinach, die V'illa von Hcyl in Darmstadt. —
Außerdem scheut der liebenswürdige Meister keine
Mühe, wenn es gilt, dem edlen und Schönen zu dienen.
BÜCHERSCHAU
Klassiker der Kunst. Band XII. Fritz von
Uhde. Des Meisters Gemälde in 285 Abbildungen.
Herausgegeben von Hans Rosenhagen. Deutsche Ver-
lagsanstalt, Stuttgart. Preis gebunden M. 10. — .
Der vorstehende prächtige und gediegene Band er-
schien zum 60. Geburtstag (22. Mai 1908) des Meisters.
Lange Zeit waren die Schöpfungen Uhdes ein Ziel des
Widerstreits der Meinungen ; besonders jene Genrebilder,
welche Religiöses und Profanes verknüpfen, und die
eigentlichen religiösen Darstellungen erregten bei man-
BUCHERSCHAU
STARK VERKLEINERTE WIEDERGABE DER GROSSEN AQUARELL-
GRAVÜRE NACH JAN VAN EYCK .MARIA MIT DEM KINDE. AUS
DER I. LIEFERUNG .MEISTERWERKE RELIGIÖSER KUNST.
cliem keine rechte Befriedigung, bei anderen Ablehnung.
Größe historischer Auffassung darf man bei Uhde nicht
suchen, hierfür ist er nicht veranlagt. Doch seinen Bil-
dern fehlt es nicht an Gemüt und menschlicher Teil-
nahme an dem, was er zum Objel<t seiner Malerei macht.
Unbestritten aliier bleibt Uhdes Meisterschaft als Maler
im engeren Sinne und wir stimmen Rosenhagen bei,
wenn er ihn als eine der eigenartigsten Erscheinungen
der Gegenwart bezeichnet und wenn er sagt, daß seine
stattliche Zahl der Leistungen Uhdes in ihrer Art, als
Werke der Malerei wie als Persönlichkeitsäußerungen,
Höhepunkte im künstlerischen Schaffen der
Zeit vorstellen«. Deshalb muß sich jeder mit diesem
Künstler beschäftigen, der in die neue Kunst eindringen
will. Diese Zeitschrift hat denn auch wiederholt Auf-
sätze über ihn veröffentlicht. R.s.
Deutsche Malerei des 19. Jahrhunderts. Ein-
hundert farbige Faksimile-Reproduktionen nach Gemälden
deutscher Künstler des verflossenen Jahrhunderts. 20 Hefte
zu je 5 Blättern. Preis des Heftes im Abonnement 2 M.
Verlag E. A. Seemann in Leipzig. Heft 7 — 14.
Bis in die jüngste Zeit herrschte in unserer Gene-
neration eine beschämende Unkenntnis der Kunst der
ersten drei Viertel des vorigen Jahrhunderts. Die Lob-
redner der Vergangenheit pflegten nur mit ein paar
Meisternamen aufzuwarten ; aber gerade diese Namen
galten der »modernen« Kritik als Inbegriff der Zurücli-
gebliebenheit oder Verirrung. Ein tieferes Eindringen
in die mannigfaltigen Lebensäußerungen der deutschen
Malerei ersparten sich die einen wie die anderen und
namentlich den Bewunderern der französischen
Landschaftsmalerei der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts stand es fest, daß die deutsche Malerei
ganz rückständig war. Ein genaueres Studium läßt
jene Epoche in besserem Licht erscheinen. Auch
dämmert jetzt die Erkenntnis auf, daß jede Kunst-
epoche aus ihr selbst heraus beurteilt werden muß.
Die Vorzüge der Gegenwart bleiben bestehen, um
ihretwillen brauchen wir gegen die Vergangenheit
nicht ungerecht zu sein.
Die vorstehend angezeigte Publikation erleichtert
es dem Kunstfreund, über Entwicklung und Wert
der Malerei des 19. Jahrhunderts sich nicht zu orien-
tieren. Bis jetzt schien sie darauf auszugehen, von
den älteren Meistern des 19. Jahrhunderts nament-
lich jene Künstler zu berücksichtigen, die bislang
wenig bekannt, wo nicht vergessen waren, und
unter ihnen wieder besonders die Landschafter.
Die religiösen Meister und die Vertreter der Histo-
rienmalerei sind noch zu Wort gekommen. — Heft
7 — 14 bieten schöne farbige Blätter nach Olde,
Hagen, Brendel, Buchholz,Thed3', 01dach,Wasmann,
Runge, Seibels, Friedrich, Kaulbach, Zügel, Uhde,
Spitzweg, Defregger, Rayski, Richter, Dreher usw.
Die Galerien Europas. Gemälde alter
Meister in farbiger Wiedergabe. Neue
Folge. Zwanzig Lieferungen mit je fünf farbig
reproduzierten Bildern. Abonnementspreis des Hef-
tes 2 M. ; einzelne Hefte 3 M. E. A. Seemann in
Leipzig.
Seit unserer Besprechung der ersten vier Liefe-
rungen schritt das begrüßenswerte Unternehmen
rasch vorwärts und es liegen uns nunmehr die
Lieferungen 5 — 14 vor. Die Hefte 5 — 10 enthalten
Reproduktionen aus der Eremitage und der Aka-
demie zu St. Petersburg; die Bilder des 11. bis
14. Heftes sind der Alten Pinakothek zu München
entnommen; später folgen die Mailänder Kunst-
schätze. Jedem Bild ist ein kurzer einführender
Text beigegeben. Die Auswahl der Kunstwerke ist
eine glückliche. Mehrfach sind die in St. Petersburg
befindUchen Werke französischer Künstler berücksichtigt:
so Bilder von Couture, Diaz, Dupre, Jacque, Troyon,
Corot, Meissonier.
Der Pionier. Monatsblätter für christliche Kunst.
Jahresabonnement inklus. Frankozustellung M. 3. — .
Inhalt des 4. Heftes (i. Jan. 1909): Seit wann
sind die Fenster verglast? (Schluß.) Von Max Hasak.
Grunewald bei Berlin. — Die Bilder in unseren Schulen.
Von E. Gutensohn. — Reinigung metallener Kirchen-
geräte. — Entwürfe auf Vorrat?
Zehn Abbildungen (moderne Altarleuchter).
Für die ländliche Wohnung!
Farbige Originallithographien von Georg Winkler.
Blattgröße ca. 65X45 cm, Preis eines Blattes M. 1.50.
Bis jetzt erschienen :
Der heihge Leonhard,
Der heilige Isidor,
Der heilige Nikolaus und
Der heihge Florian.
Diese Bilder muten in ihrer kernhaften und zugleich
gemütvollen deutschen Art sofort traulich an und sind
so recht geeignet, das ländliche Heim in volkstümlicher
Weise künstlerisch zu schmücken. Die Verbreitung dieser
biUigen echten »Volkskunst« sollte sich besonders der
hochwürdige Klerus angelegen sein lassen.
Redaktionsschluß: 12. Dezember.
BEILAGE
WETTBEWF.RB
WETTBEWERB
für eine neue katholische Pfarrkirche mit Pfarrhaus in
Uerdingen am Niederrhein
Tn Uerdingen am Kiederrhein, Erzdiözese Köln, soll
eine zweite Pfarrkirche und in Verbindung damit ein
Pfarrhaus erbaut werden Zur Erlangung künstlerischer
Entwürfe hierfür schreibt die »Deutsche Gesellschaft
für christliche Kunst < in München im Namen des Kir-
chenbauvereins in der katholischen Gemeinde zu Uer-
dingen um Niederrhein unter den Architekten deutscher
Zunge einen Skizzenwettbewerb aus und zwar unter
folgenden Bedingungen:
I. Kirche. Lage des Bauplatzes. Über die Bau-
stelle der zu errichtenden neuen Kirche gibt der Lage-
plan-Ausschnitt aus dem von Professor Geheimen Rat
Hennerici zu Aachen aufgestelhen Bebauungsplan Auf-
schluß. Das Grundstück ist groß 2 ha K5 a 30 m=,
hochwasserfrei und bisher Ackerland. Das ganze Stadt-
viertel ist eben, das Grundstück liegt etwas höher wie
die Umgebung. Bebaut ist in der Gegend noch wenig.
Achsenrichtung. Die Längsachse sollte möglichst
von Osten nach Westen gehen.
Raumbedarf und Raumverteilung. Die neue Kirche
soll Raum für etwa 1500 Besucher bieten. Es sind
drei -Altäre vorzusehen. Im übrigen wird die Raum-
verteilung freiem Ermessen überlassen, so jedoch, daß
der Hauptaltar möglichst von allen Plätzen zu sehen ist.
Eine Heizungsanlage ist vorzusehen, desgleichen Raum
für allerlei Sachen, die in der Kirche für Dekoration etc.
gebraucht werden
Stil und Material. Der Stil bleibt dem Ermessen
des Architekten überlassen ; streng gotischer ist nicht
erwünscht. Als Baumaterial für den Rohbau sollen
Backsteine verwendet werden. Ein Blendsieinbau in Back-
steinen ist nicht beabsichtigt. Werksteine sind in der Gegend
nicht vorhanden und werden deshalb nur in größter
Beschränkung verwendet werden können. Es wird im
wesentlichen Putzbau werden müssen. Die Baukosten
dürfen ca. 200000 M. betragen. Die Umgebung der
Kirche ist so zu gestalten, daß kirchliche Umzüge und
Prozessionen rund um die Kirche auf eigenem Boden
abgehalten werden können.
II. Pfarrhaus. Bemerkungen für den Neubau des
Pfarrhauses. Es bleibt dem Archhekten vorbehalten,
die Lage des Pfarrhauses zu bestimmen und dasselbe
organisch mit der Kirche zu verbinden oder auch nicht.
Die Grundfläche soll 150 bis 180 m^ betragen. Das
Wohnhaus ist ganz zu unterkellern und mit Zentral-
heizung zu versehen. Außer dem Parterre wird eine
Etage gefordert. Die Wohnung ist nur für den Pfarrer,
nicht auch für die Hilfsgeistlichen bestimmt. Für den
Neubau sollen M. 150. — für den überbauten Quadrat-
meter vorgesehen werden. Zentralkeizung ist hierin
nicht einbegriffen.
III. Allgemeine Bedingungen. Vorzulegende
Skizzen und Kostennachweise. Es sind im Maßstabe
1:200 vorzulegen: a) von der Kirche: ein Grundriß,
ein Längenschnitt, ein Querschnitt, ferner drei Ansichten,
deren eine das Pfarrhaus mit enthahcn soll (Vorder-,
Seiten- und Choransicht), und eine Perspektive mit der
zuvorderst liegenden Gebäudekante in der Bildebene
im Maßstab i : 100. b) Vom Pfarrhause zwei Grund-
risse und eine weitere Ansicht. Außerdem ist beizu-
legen ein Kostennachweis nach Kubikmeter des Bau-
körpers, vom Kirchenfußboden bis Hauptgesims-Ober-
kante gerechnet.
Einlieferungsfrist. Die Projektskizzen sind längstens
bis 19. April 1909, abends 6 Uhr, an die Geschäfts-
stelle der «Deutschen Gesellschaft für christliche KunsK,
München, Karlstraße 6, einzusenden; für auswärtige
Einsender gilt das Datum des Aufgabestempels. Den
mit einem Kennwort versehenen Entwürfen ist im ver-
schlossenen Umschlage, der außen das gleiche Kenn-
wort tragen muß, Name und Wohnung des Verfassers
beizufügen.
Preise. Für Preise ist eine Gesamtsumme von M. 1 500
ausgesetzt, und zwar sind drei Preise zu folgenden Be-
trägen in Aussicht genommen: I.Preis M. 700, II. Preis
M. 500, 111. Preis M. 300. Es bleibt dem Preisgerichte
auf einstimmigen Beschluß unbenommen, die Preise
gegebenenfalls aucli anders zu verteilen.
Preisgericht. Das Preisgericht wird gebildet von der
ijury« der »Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst«,
welche aus den Architekten Peter Danzer, Assistent an
der technischen Hochschule in München, und Heinrich
Freiherrn von Schmidt, Professor an der technisclien
Hochschule in München, den Bildhauern Balthasar Schmitt,
Professor an der Akademie der bildenden Künste in
München, und Heinrich Wadere, Professor an der Kunst-
gewerbeschule in München, den .Malern Feli.\ Baumhauer
und Joseph Huber-Feldkirch in .München, dann den Kunst-
freunden Dr. Ludwig Baur, Universitätsprofessor in Tü-
bingen und Dr. August Knecht, Lyzealprofessor in Bam-
berg, besteht ; ferner gehören ihr an die .Architekten
Kaspar Pickel in Düsseldorf und Stephan Mattar in Köln,
sowie drei Vertreter für Uerdingen, und zwar die .Mit-
glieder des katholischen Kirchenvorstandes Oberpfarrer
Hülstet, Kaufmann Heinrich Theissen und Fabrikbesitzer
Franz Schwengers. Im Falle der Verhinderung eines
der genannten Juroren behält sich die Jury das Recht
der Kooptierung eines Ersatzmannes vor. — Ersatzmann
für die Vertretung aus L'erdingen ist das Kirchenvor-
standsmitglied Kaufmann Carl van Beers. Der Kirchen-
vorstand, bezw. Kirchenbauvereins- Vorstand, wird bezüg-
lich der Ausführung eines von der Jury ausgewählten
Entwurfes mit dem Preisgerichte in Verbindung bleiben,
behält sich jedoch die Entscheidung bezüglich der Aus-
führung vor.
Ausstellung der Entwürfe. Sämtliche Entwürfe wer-
den nach dem Schiedsspruch etwa 14 Tage lang in
einem noch zu bestimmenden Lokale in München öffent-
lich ausgestellt.
Die Projekte bleiben Eigentum der Verfasser.
Die Rücksendung der nicht preisgekrönten Entwürfe.
Etwaige Reklamationen müssen bis i. Juli 1909 ange-
meldet sein Von denjenigen niclit preisgekrönteil Ent-
würfen, welche 14 Tage nach Schluß der .Ausstellung
nicht allgeholt sind, werden die Briefumschl.ige geöffnet,
um die Rücksendung zu ermöglichen, welche nach diesem
Termine kostenfrei erfolgt.
DIE WINTER AUSSTELLUNG
SECESSIOX MÜNCHEN
HANS VON MAREES
DER
W
eun die Kunst vom Wollen anstatt vom Können ab-
zuleiten wäre, so würde nun gewiß Hans von
Marees als den größten deutschen .Maler bezeichnen
müssen, wie dies von vielen Verehrern seiner Kunst
schon jetzt getan wird. Überblickt man das gesamte
Schaffen dieses eigenartigen Künstlers, das in so reich-
haltiger Fülle in sämtlichen Sälen der Secession aus-
gebreitet ist, so erkennt man von den Anfangsstudien
an bis zum Schlüsse seiner Lebensarbeit ein fortwäh-
rendes Tasten, Suchen und Ringen nach Ausdrucks-
möglichkeiten der Kunst und diese selbst, sein Ziel, ist
dann stets das jeweilig Höchste, was bisher die mensch-
liche Kultur hervorgebracht hat. Bei diesem Suchen
und Ringen liel dem für alles Hohe Begeisterten manches
zu, namentlich in den Jahren des Lernens und des Ver-
kehrs mit den talentvollen Jungen der sechziger Jahre
WINTERAUSSTELLUNG DER SECESSION — VERMISCHTE NACHRICHTEN
IB\1\1 KN I W I Hl
und entstanden insbesondere Bildnisse, die mit zu dem
Besten gehören, das jene Zeit überhaupt hervorgebracht
hat. Ganz abgesehen von der psychologischen Erfassung
des menschlichen Wesens, wußte der Maler einen
Schmelz und eine Zauberkraft der Farbe hervorzubringen,
die einzig sind. Stets aber erkennt man den Drang,
ein großes Vorbild zu ergreifen. Denkt man bei dem
zarten, weich modellierten Porträt der Frau R. Lier an
Holbein, so bei dem Bildnis eines Fräuleins von 1863
an Leibl, bei seinem Selbstbildnis von 1862 an Rem-
brandt, bei anderen wieder an die verschiedensten Ita-
liener und die strahlende Hoheit venezianischer Größen.
Tizian, vor allem der geheimnisvolle und rätselhafte
Giorgione zogen den Künstler ganz in den Bann, aber
diesem deutschen, ernst melancholischen Temperament
gelingt es zuerst nicht, die fremde Sprache ins Ger-
manische zu übersetzen. Der Geist dieser Künstler
wird erfaßt, aber die Formengebung, die Verkörperung
der eigenen Idee im fremden Kleide gelingt nur zag-
haft und stammelnd. Es ist hochinteressant, zu ver-
folgen, wie Maries sich abmüht in Skizzen und Ent-
würfen, und fast glaubt man, daß er in der römischen
Landschaft die Art und Weise Giorgiones erkannt hat
und in der >Abendlichen Waldszene« zu dem Resultate
eigener großer Naturanschauung auf dem Umwege über
Itahen gelangte. Am reinsten und schönsten drückt
sich in diesem und noch einigen ähnlichen kleineren
Gemälden seine Kunst aus und man bedauert nur, daß
der eifrig forschende Künstler späterhin andere Wege
aufsuchte und dieses einmal aufgegrifiene Problem
preisgab. Mit den wenigsten Mitteln der Regie, wenn
man dies Wort des näheren Verständnisses wegen ein-
mal brauchen will, baute er sein Thema auf, stets von
großer dekorativer Flächenwirkung ausgehend.
Hierher gehören auch die mit technischer Meister-
schaft gegebenen Studien zu den Fresken der zoolo-
gischen Station in Neapel. Manet, der vielgerühmte
und vielgepriesene Franzose, hat kaum Besseres gemacht,
aber wieviel näher liegt uns diese weniger »chic« betonte
Mache. Es ist der Höhepunkt Mareesscher Kunst; denn
bald beginnt der Zurückgang d. h. die Umwandlung.
Eine andere Kunstart, die der Antike, übernimmt nun
die Führerrolle in der Anschauungsweise Marees'.' Die
Hoheit jener althellenischen, unvergängliclicn Gestalten
nimmt sein ganzes Denken und Fühlen ein und nun
sehen wir ein vergebliches, aufreibendes Ringen um
die Form und die malerische Erscheinung. Was Ma-
rees wollte, das konnte er ebensowenig erreichen, wie
.lUe jene vor ihm, welche die Antike für ihre Welt
umbildeten. Jeder scheiterte noch, der sich dem Helle-
nismus unterwarf, denn wer könnte ihn beherrschen r
Wer hätte es vermocht, eine ganze Welt uns wesens-
fremder Anschauungen, Ideen, Gedanken, die zwischen
uns und ihr liegen, hinwegzuräumen ? Auch Maries
scheiterte. Trotzdem lassen uns die Schleißheimer
Bilder »Die Hesperiden«, »Das goldene Zeitalter« und
endlich das religiöse Dreiflügelbild »St. Georg, St. Martin
und St. Hubertus« nicht gleichgültig, weil sie uns von
den schweren Kämpfen erzählen und uns vorgeschwebte
hohe Schönheit in nebelhaftem Schleier verhüllen, aber
schließhch ziehen wir dennoch unbefriedigt von dannen,
weil die Kunst erlösende, befreiende Worte sagen und
nicht abgequälte todesmüde Seufzer vorlispeln soll.
Hans von Marees starb in Rom 1887, noch nicht
;o Jahre alt. Als er starb, war seine Welt ausgelebt,
über diese letzten Schritte hinaus wäre er nicht mehr
i,'ekoramen. Ob er im Grunde seiner Veranlagung ein
Maler war, wie etwa Rubens, Velasquez, wer ver-
möchte dies zu sagen ? — ich glaube nicht. Ein viel-
seitiges Talent, ein Forscher, ein großer Kenner alter
Kunst, ein heißer Freund der Natur, der, in richtige
Bahnen geleitet, sicher Großes und Wertvolles für die
.Menschheit geschaffen hätte, war er gewiß.
Franz Wolter
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Eine neue Serie kleiner Heiligenbilder wird
soeben von der Gesellschaft für christliche Kunst aus-
gegeben. Die Bildchen sind mit größter Sorgfalt in
schönem Farbendruck auf starkem Papier hergestellt und
feine Reproduktionen von Werken zum Teil alter, größten-
teils aber neuer Meister. Sie werden nicht bloß dem
Volke zur Erbauung, Freude und Geschmacksbildung
gereichen, was ihr eigentlicher Zweck ist, sondern auch
einen verwöhnten Geschmack befriedigen. Von den
lebenden Künstlern sind u. a. vertreten: Jos. Albrecht,
Emonds-Alt, Feuerstein, Franz Fuchs, Gebh. Fugel, Fritz
Kunz, Nüttgens, Heinrich Told, Georg Winkler.
Die »Freie Vereinigung der Graphiker zu
Berlin« zeigte sich November 1908 im Künstlerhause.
Sehen wir von vielen Namen, sowie von den typi-
schen Landschaftsradieruugen usw. ab, so verdient
doch vor allem wieder Professor Hans Meyer
Ehrung. Sie ergibt sich nicht aur aus seinen Zeich-
VERMISCHTE NACHRICHTEN
KARL KCnl.I
;ahmai i.srw i i:i
des ersteren Instituts wurde Dr. Georg Hager ernannt
und nunmehr erfolgte auch die Besetzung der Direktor-
stelle des Nationjlmuseums; zum DirektorwurdeDr.H ans
Steg mann ernannt, bisher zweiter Direktor des Ger-
manischen Museums in Nürnberg.
Pleystein (Opf.). Die neue Pfarrkirche erhielt letzte
Weihnachten einen gotischen FlQgelaltar von Bildhauer
Schreiner in Regensburg. Der Schrein enthält Relief-
darstellungcn. Für die Flügel malte J. Alt heim er in
Regensburg zwei Bilder mit Darstellungen des Kirchen-
patrons.
München. Die Winterausstellung der Secession, die
von Weihnachten bis lo. Februar dauert, bietet in einer
bisher nie gesehenen Vollständigkeit einen Überblick über
das gesamte Lebenswerk Hans von Marces. Sie enthält
gegen 200 Nummern.
Berlin. Durch die Kunsthandlung Paul Cassirer
wird in diesem Winter die Nachlaßausstellung W. Lei-
stikows in Frankfurt a. M., Dresden, Hamburg und
München gezeigt werden.
Berlin. Die Gesellschaft für deutsche Kunst im Aus-
nungen (darunter eine lichtreiche
.'\nbetung der Hirten von 1905),
sondern auch aus Radierungen sei-
nes Schülers Ludwig Schaefer.
An des Meisters Zeichnung von der
Gestalt, die über einen Dichter den
Todesschleier breitet (1907), erin-
nern mit gesteigerter Kompositions-
kraft die lebhaft bewegten Gestal-
ten aus dem Paradies, aus der Wil-
den Jagd usw. in den gegensatz-
reichen großen Blättern Schaefers,
die wohl nur noch mehr Klarheit
und Einfachheit wün.schen lassen.
Das eine widmet er >dem, der nim-
mermüde mir den Pfad gewiesen,
der aus des Alltags Dämmerschein
ins Sonnenland der ewigen Schön-
heit führt«. M. v.Eyken radiert u. a.
einen Joh. Seb. Bach in Architektur-
rahmen, dessen Unterteil eine Kreuz-
tragung enthält ; H.Eickmannu.a.
einen Frauenkopf mit madonnenhaf-
tem Schraerzausdruck; O. F. Probst
wirksame Stadtbilder (u. a. die alte
Augustinerkirche zu München).
Mehrlarbige Radierungen wetteifern
kolloristisch mit anderen Techni-
ken; ein interressanter Versuch gilt
einer Landschaft mit schlichter Kreu
zigungsgruppe, von .Max H e i 1 -
mann. Das Porträt ist mehrfach
vertreten — besonders günstig von
G. Jahn und von R. Schulte im
Hofe. Unter dessen technischen
Bemühungen sei hervorgehoben ein
Porträt von Bodelschwinghs, be-
zeichnet als »Tief- und Flachdruck
vom Stein von einer Platte«.
Eerlin-Halenscc Dr. Hans Schroidkuiu
München. Das Generalkonser-
vatorium der Kunstdenkmale und
.Mtertümer Bayerns und die Leitung
des Kgl. Nationalmuscums, die bis-
her vereinigt waren, wurden vori-
ges Jahr getrennt. Zum Direktor
lande (eingetr. Verein) hielt am 12. Dezember ihre erste
ordentliche Mitgliederversammlung dahier ab, auf welcher
die Satzungen genehmigt wurden. Die Gesellschaft hat
ihren Sitz in Berlin. Die Mitglieder haben einen Jahres-
beitrag nach Selbsteinschätzung zu entrichten; der Min-
destbeitrag beträgt 1 2 M. jährlich.
Düsseldorf, Ausstellung für christliche
Kunst 1909. .'Vnmeldetermin ist der 10. März, Einliefe-
rungstermin der 10. April, Eröffnungstag der 15. Mai,
Schluß der 30. September.
Der .Münchener Verein für christliche Kunst
hielt am 16. Dezember eine größere Versammlung ab, in
welcher Professor Dr. Karl Voll einen sehr instruktiven
Vortrag über die Malerei Altbayerns im 15. und 16. Jahr-
hundert hielt.
Bildhauer Seb. Ostcrrieder in München erhielt
vorigen Sommer anläßlich der Überreichung einer Büste
des P. Denirte Privataudienz beim hl. Vater und eine große
goldene Medaille mit dem Bild des Papstes.
Aquarelle von Turner. Vor einiger Zeit wurde
eine größere Anzahl bisher nicht bekannter Aquarelle
ENTWÜRFE ZU GRABDENKMÄLpRN — ßÜCHERSCHAU
von Turner in den Depotniumen der Londoner National-
galerie gelundcn. Diese Bilder und Skizzen sind jetzt im
Turnerzinimer der Galerie untergebracht. Turner (1775
bis 1851) vermachte seinen gesamten Nachlaß, über 100
Ölgemälde und Tausende von Aquarellen, Zeichnungen
usw., der Nationalgalerie in London.
Bildhauer Georg Sc hrevögg (München) wurde zum
Professor an der Kunstgewcrheschule in Karlsruhe be-
rufen.
Berichtigung. Zum Schlußsalz der Besprechung
über die Große Berliner Kunstausstellung 1908 ist zu be-
merken (Heft lil, S. 18 der Beil.), daß das Glasgemälde
der Nibelungen nicht von F. W. Mayer, sondern von
Joseph GoUer, Glasmaler und Lehrer der Kgl. Kunst-
gewerbeschule in Dresden, entworfen wurde.
ENTWÜRFE ZU GRABDENKMÄLERN
A uf Seite 26 und 27 der Beilage setzen wir die Publi-
kation der aus einem Komponierabend des Albrecht
Dürer- Vereins in Münclicn hervorgegangenen Grabmal-
Entwürfe fort. Bei dieser Gelegenheit machen wir auf
zwei Versehen aufmerksam, die sich im dritten Heft
einschlichen. Seite 1 5 der Beilage muß nämlich die
Unterschrift des unteren linken Entwurfes lauten: Kuolt,
nicht Knolt; ferner ist zu bemerken, daß der Entwurf
Seite 14 unten nicht von Negretti, sondern von Sertl
stammt.
BÜCHERSCHAU
In stattlichem Gewände, wie immer, tritt uns auch
in diesem Jahre der >Kalender Bayrischer und
Schwäbischer Kunst« entgegen (Herausgeber Kgl.
Lycealprofessor Dr. I. Schlecht in Freysing, Verlag der
Gesellschaft für christliche Kunst G, m. b. H. in München).
Das Titelblatt schmückt die Wiedergabe eines Altdorl'er-
schen Clairobscur Holzschnittes von 15 12, die Geburt
Christi darstellend. Das Schlußblatt zeigt eine thronende
.Madonna in lavierter Federzeichnung, die aus dem
Peuschelschen Sammelbande der Münchener Staats-
bibliothek herrührt und angeblich demselben Meister
angehören soll. Die interessante Erläuterung zu beiden
Blättern stammt vom Herausgeber. In die übrigen
Beiträge teilen sich die Herren Dr. H. Buchheit, Dr.
Ph. M. Palm, Dr. R. Hoffmann und Dr. F. Mader, alle
vom K. B. Nationalmuseum in München, die Professoren
Dr. l. A. Endres in Regensburg und Dr. A. Schröder in
DiUingen, sowie der Herr Domkapitular F. X. Herb in
Eichstätt. Abgesehen von der großen Tafelmalerei sind
alle wichtigen Zweige älterer bildender Kunst in erle-
senen Beispielen vertreten. Dabei ist soweit als mög-
lich für Vielseitigkeit gesorgt. So finden wir von
.Architekturwerken den herrlichen Domkreuzgang von
Regensburg, der baugeschichtlich so interessant, histo-
risch durch die Fülle seiner Grabdenkmäler so überaus
wichtig ist. Kaum einen grösseren Gegensatz kann es
geben als den zwischen diesem Bauwerk und dem
Schlosse Hirschberg bei Beilngries. Zwar stammt dies
Gebäude schon aus mittelalterlichen Zeiten, aber seinen
Hauptreiz verdankt es den köstlichen Rokokobauten des
fürstbischöflichen Architekten Pedetti, des Stukkateurs
Berg und des Malers Franz. Gleichfalls ein Rokokobau
und doch von ganz anderem Charakter, ein Meisterwerk
des Enrico Zuccali ist die Kirche des Klosters Ettal.
Sehr dankenswert ist die Veröffentlichung der berühm-
ten italienischen Madonnenstatuette, die den größten
Schatz des Klosters bildet. Sie leitet uns zur Plastik,
die in dem Kalender gleichfalls aufs vorzüglichste ver-
treten ist. Eine hl. Katharina und ein hl König, beide
in Schwaben im 14. Jahrhundert entstanden, und die
berühmten Augsburger Straßenbrunnen geben den denk-
bar stärksten Kontrast, während eine hl. Anna Selbdritt
von 1 5 1 3 die Plastik von Ingolstadt vertritt, und eine
ungefähr gleichaltrige Marienstatue von ebendort zu
interessanten Beobachtungen über die vorbildliche Be-
deutung Dürerscher Kupferstiche für die gleichzeitige
Skulptur Anlaß gibt. Die angewandte Kunst unserer
maßgeblichen älteren Epochen ist diesmal durch die
Schmuckgegenstände aus der Lauinger Fürstengruft ver-
treten, jene wunderbaren Stücke deutscher Hochrenais-
sance, die aus den Särgen wichtiger Mitglieder der
pfalzgräflichen Familie auf Befehl des Kurfürsten Karl
Theodor entnommen sind und heute zu den größten
Kostbarkeiten des Müncliener Nationalmuseums gehören.
Wunderbar reizvoll ist die Verschiedenheit in der Stili-
sierung dieser Stücke, die teils einfach teils prunkvoll,
durchweg von höchster Vornehmheit und edelster
Schönheit sind. Das bildliche Material ist sehr reich-
haltig und vorzüglich in der Ausführung. Der Kalender
wird eine Zierde jedes Hauses sein (Preis i M.). Seine
praktische Verwertbarkeit wäre wohl durch Beigabe
einigen leeren Raumes für Notizen in nützlicher Weise
künftig noch zu steigern. Dr. O. Doering-ü.-ichau
Philipp Maria Halm. Stephan Rottaler, Ein
Bildhauer der Frührenaissance in Altbavern.
Verlag von Georg Callwev, München 1908. Preis 8 M.
Die Geschiclite der .dtbayerisclien Plastik erfährt mit
der vorliegenden Monographie eine wertvolle Bereiche-
rung. Auf den Namen des Stephan Rottaler vereinigt
Halm ein interressantes Opus. Wie es bei ähnlichen
kunstgeschichtlichen Forschungen leider mehrfach vor-
kommt, ist es auch Halm nicht geglückt, urkundliche
Zuweisungen für eines der Werke zu finden. Man muß
demnach mit der Wahrscheinlichkeit zufrieden sein, daß
die mit S. R. signierten Werke und die auf stilkritischem
Wege dazu gefundenen nicht signierten Opera dem Ste-
phan Rottaler angehören. Diese Wahrscheinlichkeit wird
vielleicht in alle Zukunl't nie zur Gewißheit, die mit
Urkunden zu belegen wäre, erhoben werden, wenn nicht
ein besonderer Glücksstern leuchtet. Deswegen bleibt
aber das Interesse an dem durch Stilkritik eruieiten Opus
ungeschmälert bestehen. Das besprochene Lebenswerk,
in dem uns eine stattliche Zahl bisher nicht bekannter
Kunstwerke entgegentriit, geholt der Frühzeit des 16. Jahr-
hunderts an, also der Übergangsphase von der Gotik
zur Renaissance. Die Sprache des altbayrischen Meisters
ist anders nuanciert als die des fränkischen oder schwä-
bischen Künstlers. Halms Monographie führt in die .Art
und Ausdrucksweise der altba^■erischen Renaissance in
dankenswertester Weise ein. Von besonderem Interesse
sind die Nachweise über die Benützung graphischer
Werke, die unser Meister wie andere seiner Zunftge-
nossen in umfänglicher Weise sich gestattete. Der Ver-
fasser konnte ein paar ganz seltene Exemplare konsta-
tieren, wertvolle Fingerzeige für verwandte Forschungen.
F. M.iJtr
DER PIONIER
MONATSBLÄTTER FÜR CHRISTLICHE KUNST.
Jahresabonnement inkl. Frankozustellung M. 3. — .
Inhalt des 5. Heftes (i. Februar 1909): Über Glocken-
zier. Von A. Wenig. — Durchforschung der Landkirchen
auf ihre künstlerischen und kunstgeschichtlichen Werte.
Von P. Bretschneider. — Was gehört zu einem kirch-
lichen Kunstwerk? 5 Abbildungen.
Redaktionsschluß: 15. Januar.
BEILAGE
KOLNER KUNSTBERICHT — VERMISCHTE NACHRICHTEN
29
KÖLNER KUNSTBERICHT
Mcben bedeuleiideii Werken bekannter Maler hat ein
junger, in Köln bisher fremder Kiinstler zum ersten
Male eine Kollektion von 21 Arbeiten bei Scluilte aus-
gestellt. Ernst Isselmann stammt vom Niederrhein,
aus Rees. Seine Farben, seine Kompositionsweise ist
durch die gedampften Töne, durch das im Nebel ver-
schwimmende Licht der niederrheinischen Landschaft
bestimmt. Isselmann liebt diese fahlen verblassenden
Töne Große, gleichwertige Flächen setzt er neben-
einander. L'nd ein weiter Himmel, der bisweilen drei-
viertel des Bildes einnimmt, wölbt sich über die ein-
tönige Ebene, die durch keinen Hügel, keine Boden-
welle unterbrochen ist. Diese Art der Komposition ver-
laugt einen sicheren Blick für die Charaliteristik der
Linie. Denn die Belebung der Landschaft ist abhängig
von der Hindrucksfähigkeit der Konturen der Felder,
Bäume, Tiere und Menschen, die in die Ebene hinein-
gestellt sind. Es ist daher verständlicli, daß Isselmann
gleichzeitig im Porträt Bedeutendes gescliaffen hat. Die
Grundlagen seines ästhetischen Gelühles sprechen sich
in der Kompositionsweise der Bildnisse nach derselben
Seite hin überzeugend aus. Denn die Wirkung seiner
Bildnisse legt er in die sensitive Linienführung. Daher
komponiert er möglichst in einem reliefartigen Stil. Auf
eine gleichmäßige Fläche des Hintergrundes setzt er
das Porträt; dadurch erhält die Silhouette einen starken
Anteil an der Wirkung. Durch irgend einen Gegenstand
des Vordergrundes, durch eine Tischplatte, einen Stuhl
oder ähnliches preßt er die Gestalt eng an den Hinter-
grund, so daß eigentlich ein Mittelgrund — wenigstens
in der räumlichen Ausdehnung — fehlt. Dadurch ist
das Porträt wie ein Relief allein auf die Eindrucksfähig-
keit der Linien gestellt.
Doch hier wie in der Landschaft wird die letzte
künstlerische Abrundung durcli die Farbe gegeben. Daß
Isselmann Maler ist, d. h. daß er einen überaus feinen
F'arbengeschmack besitzt, zeigen seine Stilleben, vor
allem das eine, in denen er aus dem Gelb einiger Aepfel,
einem blauen Tuche und einem dickbauchigen grauen
Kruge einen überraschend starken Farbenakkord her-
vorbringt.
Neben Isselmann ist eine Kollektion von 45 Arbeiten,
meist Studien von spezifisch malerischen Qualitäten von
Gotthard Kuehl, Dresden, ausgestellt. Kuehls Eigen-
art, überall Farben, nicht aber scharfe Linien und Kon-
turen zu geben, heterogene Farbenwerte nebeneinander
zu stellen und doch eine Einlieit des Tones zu erzielen,
seine Vorliebe für leuchtendes Gelb und Blau spiegelt
sich in den Stücken ausgezeichnet wieder. Für seine
Art, auf eine stark dominierende Lokalfarbe die Kom-
position aufzubauen, ist seine »alte Diele mit einer blauen
Tür«, sowie sein »Interieur in Weiß« (wohl das reifste
Werk) charakteristisch. Ueberraschend ist die Intensität
der leuchtenden Farben in dem Ausschnitt eines Gartens
mit einer den Hintergrund abschließenden sonnenbe-
schienenen Architektur.
Im Kunstsalon Lenobel sind eine Anzahl Werke von
Ludwig von Hofmann ausgestellt. Wie er nach
Form ui'id l'arbe das wirkliche 'Abbild der Dinge ver-
einfacht, und dadurch die \\'irkung in der Riclitung, in
der er den Stimmungsgclialt auslösen will, steigert, wie
er, vielleicht unter Böcklins Einfluß, durch menschliche
Gestalten das innere Wesen von Xaturformen und Land-
schaften zu erschließen sucht, spricht sich in dieser
Folge seiner Werke klar aus.
Das Kunstgewerbe -Museum zeigt eine Ausstellung
graphischer Arbeiten von E. Orlik, Berlin, die wegen
der sorgfältigen Auswahl der Werke einen klaren Ueber-
blick über die Schafi'ensart des Künstlers gibt. Von
den Radierungen fesseln vor allem das Porträt von Mahler,
ein Herrenporträt und ein weiblicher Kopf nach Rogier
V. d. Weyden. Bei den farbigen Flolzschnitten und den
Lithographien liegt trotz der Prägnanz der Strichfüh-
rung und der Charakteristik der Umrißlinien die Haupt-
wirkung in dem malerischen Gesamtton. Nur bei einigen
Blättern, die der Art Vallotons n.ahe stehen, geht der
Künstler darauf aus, allein durcli den großzügigen, aus-
drucksvollen Umriß den Stimmungsgelult zu erzeugen.
Dr. E. Eugen Lüihgcn
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Eine religiöse Kleinplastik. Ein sinniges klei-
nes Kunstwerk veranschaulichen, z. T. w-enigstens, die
Abb. S. 30 und 31 der Beilage. Es ist eine Holzschnit-
zerei von 7,5 cm Höhe und 5,8 cm Breite, also kleiner
als unsere Reproduktionen, und aus einem Stück gear-
beitet. Man sieht zunächst die Vertreibung aus dem
Paradies, gegenüber aber Christus am Olberg und die
schlafenden Jünger, sowie Judas mit Soldaten. Dazwi-
schen sind genreartige Tierdarstellungen. Da der jetzige
Besitzer nicht möchte, daß das niedliclie Werk in un-
rechte Hände komme oder zugrunde gehe, so beabsich-
tigt er, es zu verkaufen ; seine Adresse teilen wir Inter-
essenten gerne mit.
.\R.\ILEUCIITER AUS L)LK.\N'A.ME TAI.L
UnlUHrf. Üllw Orlando Kurz — Aut/üArung . Jos. hrdinsitck,
Ih/kuHStschtossfr
>o
VERMISCHTE NACHRICHTEN — ZEITSCHRIFTENSCHAU
.'l.l!i;[;(,i,RUPPE (HOLZ)
Text Beil, S. zg
Ein neues Kommunionandenlien ist liürzlicli
von der Gesellscliaft für christliciie Kunst in sehr scliöner
farbiger Reproduktion nach dem Originale von Emonds-
Alt herausgegeben worden. Es ist mit den schon früher
erschienenen Kommunionandenken in einem interessanten
Heftchen abgebildet, das gratis vom Verlag (Karlstr. 6
in München) bezogen werden kann.
Kurse für kirchliche Kunst. An der Kgl. Kunst-
akademie in Düsseldorf wird von April d. J. ab eine
besondere Einrichtung für die Ausbildung von Malern
und Bildhauern getroffen, die sich der kirchliclien Kunst
widmen wollen. Auch soll durch das neue Institut
Kirchen- und Dekorationsmalern sowie Bildhauern und
Kunstgewerblern, die bereits in der Praxis stehen, eine
Weiterbildung auf dem Gebiete der kirchlichen Kunst
ermöglicht werden. Die Akademie richtet deshalb mehr-
wöchige Kurse ein, die künftig von den Lehrern der
kirchlichen Abteilung abgehalten werden.
El her fei d. Der Direktor des städtischen Museums,
Dr. Fries, hatte eine Ausstellung der sogenannten Neu-
Klassizisten veranstaltet, einer Künstlergruppe, die
unabhängig voneinander, als Reaktion gegen den Im-
pressionismus, besonders die Linie und Form, die Zeich-
nung wieder zu Achtung und Bedeutung in der moder-
nen Kunst bringen will. An Stelle der expressiven Kunst,
als welche man den Impressionismus wohl bezeichnen
darf, setzen sie die dekorativen Werte. Von den Malern
waren auf der Ausstellung vertreten K. Hofer (beson-
ders zu nennen das durch Linienführung und dezente
Farbengebung bedeutende Bild »Umarmung«), der monu-
mentale A. H. Bühlmann, der meisterhaft als Akt-
maler, der wuchtige und dekorative W.Corde, ferner
O. Friesz, ebenfalls ein Meister der Linie und endlich
als unbedeutendste Frau O. Moder söhn In der Plastik
hatte außer Maillol (vorzügliche Bronzestatuette eines
zusammengekauerten Weibes) nur Höttger das Wort,
ein unpersönlicher Geselle, der zuerst bei Rodin, in
seiner jüngsten Phase bei den altorientahschen Werken
die Anregung für seine Kunst sucht.
München. Im hiesigen Verein für christliche Kunst
hielt Stadtpfarrkooperator Michael Hartig einen mit
Lichtbildern erläuterten Vortrag über »Die Kunstdenk-
male zweier Jahrtausende an der ostadriatischen Küste«.
Professor Leo Samberger vollendete kürzlich
ein vorzügliches Porträt des Erzbischofs Dr. von Albert
in Bamberg.
Berlin. In der Galerie Eduard Schulte eröffnete
die Berliner Künstlcrgruppe »Jagd und Sport«, wie
alljährlich zum Geburtstage des Kaisers, ihre Sonderaus-
stellung, welche diesmal besonders reich beschickt ist.
— Professor Walter Firle-München veranstaltet eine
Kollektivausstellung von 40 Ölbildern. — Professor Hans
Bohr dt- Berlin brachte 20 Gouachebilder von einer Reise
und zwölf Brandungsbilder von Sylt. — Der bekannte
Pariser Porträtist Antonio de La Gandara sendete
zwölf elegante Damenbildnisse. Weitere Kollektionen und
Werke stellten aus: Alfr. Bachmann, Rieh. Bern-
hardt, Helene Buch mann, Carl Bublitz, Bene-
dicta Caesar, Margarete Fritze, Helen Iversen,
Karl Kappstein, Alfred Mailick, Oskar Mi-
chaelis, Karl Pracht, E. Riche-Bu tler, Mar-
garete Simrock-Michael.Hed deStoff regen usw.
Berlin. Am 26. Januar wurde in der Akademie eine
Schadow-Ausstellung eröffnet. Der Katalog führt 2 5 o Num-
mern auf.
Kolossalmonument. Ein über 18 Meter hohes
Denkmal zur Erinnerung an die Vereinigung der Staaten
Venezuela, Ecuador und Kolumbien geht im Atelier des
Bildhauers Palacios (Gern) seiner Vollendung entgegen.
Am Fuße einer riesigen, noch in Kupfer zu treibenden
Palme vereinigen sich die drei Staaten unter dem Bilde
weiblicher, Wappenschilder tragender Idealfiguren, die
den spanischen Typus zeigen. Vier mächtige Vögel (Kon-
doren) sind an den vier Ecken des unteren Aufbaues
postiert, deren zwischenliegende Felder Szenen aus den
Freiheitskämpfen dieser Staaten schildern. Als Bekrö-
nung der äußersten Spitze der Palme sehen wir einen
überlebensgroßen Genius mit der Fahne der Freiheit und
der leuchtenden, Zukunft verheißenden Fackel in den
hoch erhobenen Händen. Die mehr als doppelte Lebens-
größe der Figuren läßt in der Werkstatt des Künstlers
nicht voll und ganz die beabsichtigte Wirkung erkennen,
da der verfügbare Raum die ganze Aufstellung unmög-
licli macht. Der figürliche Teil, ebenso die Vögel, wird
in der von Millerschen Gießerei (München) in Bronze
hergestellt, während das umfangreiche Steinmaterial zum
größten Teil von Deutschland aus nach Venezuela gelie-
feit wird, all wo das große Monument Aufstellung finden
soll, wenn möglich am Gedenktag der Gründung der
Republik (24. Juni).
Eine von Bildhauer Georg Schreyögg im Auf-
trage der Stadtgemeinde München für den Waldfried-
hof geschaffene Kreuzigungsgruppe (Jesus, Maria und
Johannes) wurde auf Allerheiligen aufgestellt.
ZEITSCHRIFTENSCHAU
Schön und praktisch. Eine Einführung in die
Ästhetik der angewandten Künste. Von Prof. Dr. Kon-
rad Lange. (Führer zur Kunst. Herausgeg. Dr. Herrn.
ZEITSCHRIFTENSCHAU
Popp-München. 16/17. Bändchen. Paul Neff Verlag, Eß-
lingen 1908).
In seinem größeren Werke »Das Wesen der
Kunst« (2. Aull. 1907) hat K. Lange sein ästhetisches
System niedergelegt. Er steht zwischen den Formalisten
und den Gehaltsästhetikern, insofern ihm nicht die Form
als solche das Kunstschöne repräsentiert, sondern nur
als Mittel des Ausdrucks erscheint. Das Kunstschöne
liegt im Verhältnis der Form zum Inhalt. In vorliegen-
der Schrift baut Lange dieses System für die dekorative,
überhaupt die angewandte K uns t weiter aus. Nicht
in der beim sog. modernen Stil häulig auftretenden
Zweckmäßigkeit und materialgerechten Konstruktion be-
ruht die Schönheit. Das hieße die Kunst zum Hand-
werk degradieren. Darum tritt Verfasser zunächst der
Zweck- und Materialtheorie Sempers entgegen. Er ver-
langt die organische Belebung, welche zur »Nutzform«
erst die »Kunstform« fügt und damit das Kunstgewerbe
schafft. Also auch der Phantasie und dem Divinations-
vermögen fällt ihre .\ufgabe zu. Es ist ein Kompromiß
notwendig: zum technisch Notwendigen muß eine Ana-
logie der Natur in Form der Stilisierung treten. So ist
ihm die ästhetische Illusion das Prinzip des
Schönen. Daß nun aber diese Belebung nicht Selbst-
zweck, sondern nur ein Hinzutretendes ist, wenn ein
Kunstzweck entstehen soll, so müssen auch Formen da
sein, die uns wiederum von den organischen abziehen.
Das sind die illusionsstörenden Elemente. Die Propor-
tion, die er nicht als ästhetische Norm, sondern als
organischen Faktor erldärt, tritt ebenfalls in den Dienst
der Illusion, insofern gewisse Proportionen nur in ihrer
Beziehung zur Natur ästhetisch wirken. Die besonderen
Formen der Regelmäßigkeit, die R e i h u n g und die
Symmetrie finden innerhalb seines Systems eine vor-
zügliche, trotz der scheinbaren Abstraktheit wohlver-
ständliche Erklärung.
Aus dieser summ.arischen Herausstellung des Systems
darf ja nicht etwa auf eine Unver wendbarkeit des Buches für
Praktiker gefolgert werden. Das wäre unrecht. Hundert
wohlgewählte Beispiele aus den verschiedenen Arten
kunsttechnischer Betätigung erläutern die Leitsätze in
liinreichendem Maße. Das Berechtigte und Wahre der
Illusionsästhetik Langes besteht darin, daß er den Duahs-
mus der abstrakten Linie und der organischen Belebung
als gleichberechtigt anerkennt und ihre Verbindung nach-
drückhchst verlangt. Dazu kommt die Anpassung an
das Terrain und die Umgebung, wofür ihm das Mittel-
alter die klassische Zeit ist. So bedeutet das Buch eine
streng logische Einführung in das weite Reich der
-Ästhetik im besonderen der angewandten Künste, und
vermittelt in hervorragendem Maße dem Praktiker wie
dem Kunstliebhaber das Verständnis dieser grundlegen-
den Fragen. Max Schcrmann
Jahrbuch der Zeit- und Kulturgeschichte.
1907. Erster Jahrgang. Herausgegeben von Dr. Franz
Schnürer. Lex.-8° (VIII u. 480) Freiburg 1908, Herder-
sche Verlagshandlung. Geb. in Orig.- Leinwandband
7.50 M.
Der Herausgeber gewann für dieses begrüßenswerte
Unternehmen hervorragende Kräfte, welche das kirch-
liche, politische und wirtschaftliche Leben behandeln
und über die wissenschafthchen, literarischen und künst-
lerischen Leistungen des Jahres 1907 Umschau halten.
Wir müssen uns hier auf den Abschnitt über die bil-
dende Kunst beschränken, den Professor Dr. Fr. Leit-
schuh ruhig und objektiv bearbeitete. Es war nicht
leicht, die großen Ausstellungen in Berlin, München,
Wien, Mannheim, Köln, Düsseldorf, Paris, \'enedig mit
wenigen Sätzen zutreffend zu charakterisieren. Die her-
vorragendsten Denkmäler, die bedeutendsten kunstwis-
senschaftlichen Publikationen werden gewürdigt, alle
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öl. BERGGRUPPE (HOLZ)
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tüchtigen Bestrebungen anerkannt. Der gelehrte Ver-
fasser-konstatiert eine erfreuliche Regsamkeit auf den
Gebieten der Kunstübung wie der Kunstforschung, der
Kunsterziehung wie der Kunstpflege.
Jacobi, Dr. Franz, Studien zur Geschichte
der bayerischen Miniatur des 14. Jahrhunderts.
Mit 14 Abbildungen auf 7 Lichtdrucktafeln. Straßburg.
J. H. Ed. Heitz. 64 S.
Der Kunsthistoriker Dr. B. Riehl, bekannt durch seine
Forschungen auf dem Gebiete der bayerischen Kunst
geschichte, erwirbt sich um die Erforschung dieses Ge-
bietes auch dadurch Verdienste, daß er Herren aus
seinem Zuhörerkreis anleitet, speziell auf diesem Gebiete
zu arbeiten. Obige Arbeit Jacobis, eines jungen Prie-
sters der Münchner Erzdiözese, ist auch aus Riehls
Schule hervorgegangen. Sie ist ein interessanter und
lehrreicher Beitrag zur Kenntnis der Entwicklung der
bayerischen Miniaturmalerei. Der Zweck, den der Ver-
fasser im Anschluß an Riehls Schule verfolgt, ist nicht
Aufzählung und Beschreibung der vorhandenen Schätze
aus alter Zeit; vielmehr will er an der Hand des in
der Münchner Staatsbibliothek' vorhandenen Materials,
aus dem er eine geschickte Auswahl zu treffen wußte
den Entwicklungsgang der .Miniaturmalerei
sowohl des farbigen Buchschmuckes als der einfachen
Federzeichnung im 14. Jahrhundert aufzeigen. Er ver
folgt und erreicht auch diesen Zweck, indem er zu
nächst aus den geistlichen Handschriftenillustrationen
besonders der Biblia pauperum, die Darstellung Daniels
in der Löwengrubc, dann aus den weltlichen Minia
turen wie besonders der Weltchronik die des Turmbaus
von Babel auswählt und in demselben Zusammenhang
und Fortschritt die zeitlich einander folgenden Minia-
turen darlegt. Ist so das Induktionsmaterial zwar nicht
besonders reich, so genügt es doch, um ein klares und
sicheres Bild des Entwicklungsganges, der sich als ein
selbständiger und durchweg kontinuierlicher darstellt,
zu geben. Höchstens könnte es fraglich gelassen sein,
BUCHERSCHAU
ob die Glanzleistung, die in der Mettener Armenbibel
von 1414 vorliegt, entwicklungsgeschichtlich hinlänglich
erklärt ist. Wir wünschen dem VerHisser zu seinem gut
gelungenen Erstlingsversuch Glück !
Freising. Huber
H. Bogner, Die Grundrißdispositionen der zwei-
schiffigen Zentralbauten von der ältesten Zeit bis zur
Mitte des IX. Jahrhunderts, Studien zur Deutschen Kunst-
geschichte Heft 72. Straßburg. J. H. Ed. Heitz (Heitz
& Mündel) 1906. 36 Seiten. Mit 7 Tafeln. Preis 3 M.
Diese Arbeit kommt einem aktuellen Interesse entgegen.
Zwar tritt der Bau, um den sich in den letzten Jahren eine
literarische Fehde entsponnen hat, die Aachener Pfalz-
kapelle, äußerlich ziemlich in den Hintergrund; dennoch
wurde ihm bei der Behandlung der Frage eine hervorra-
gende Beachtung zuteil. Die bekannte These von den orien-
talischen (klcinasiatisch-syrischen) Vorbildern des Aachener
Zentralbaues, welche ihren bedeutendsten Vertreter in
los. Strzygowski (Graz) hat,verlangte eine Prüfung, welche
ßogner in sachlicher und wohlgelungener Weise in
Beziehung auf ein Kriterium, die Grundrißdispositionen,
durchführte. Er stellt hier sämtliche bekannte, in Zeich-
nungen vorhandene oder noch existierende Tempel und
Gebäude der ersten neun christlichen Jahrhunderte zu-
sammen, welche im Zentralstil erbaut einen inneren
Portikus haben.
Die äußeren Säulenreihen wurden in das Innere ver-
legt, so daß ein MhtelschifT und ein Umgang entstand.
Dabei muß betont werden, daß es auch antike Zentral-
bauten mit innerer Säulenstellung gibt. Bogner scheidet
seine Beispiele von zweischifUgen Zentralanlagen in drei
Klassen, solche mit kreisförmiger, mit vieleckiger und
mit gemischtliniger Hauptanlage. Jeweils werden die
Bauten des Orients mit lokaler Scheidung der wich-
tigsten Stätten, Kleinasiens, Zentral- und VVestsvriens,
Armeniens, Konstanlinopels, besprochen und aufgezählt.
Was nun die Grundrißdispositionen der Aachener Pfalz-
kapelle anlangt, so findet er verwandte Züge ebensowohl
in italienischen Kirchen wie in den schon verglichenen
orientalischen von Etschmiadsin, in dem großen Oktogon
von Antiocheia, und in S. Vitale in Ravenna. Jedenfalls
gibt er auf die Frage nach dem orientalischen Ursprung
des AachenerOktogons kein entschiedenes Ja zur Antwort;
ebensowenig auf die Frage nach dem Prioritätsverhältnis
der Kapelle auf dem Valkhofe zu Nymwegen gegenüber
dem lange Zeit als Kopie betrachteten Aachener Bau.
Tlicodor Schermann
Die Glasmalerei im alten Frankenlande. Von
Dr. Heinrich Oidtmann, Leiter der Glasmalerei- Werkstätte
zu Linnich. Leipzig, AI. Dunker, 1907.
Nach kaum zweijähriger Pause tritt der unermüdliche
Forscher wieder mit einer für Kunstgelehrte, Künstler
itnd Kunsthebhaber gleich interessanten Arbeit an die
Öffentlichkeit, mit einer Beschreibung der Glasmalerei
im alten Frankenlande. Was wir von seiner Bearbeitung
der »Geschichte der Schweizer Glasmalerei« gesagt haben
(vgl. 2.Jahrg., I. Heft VII dieser Zeitschr.), gilt in ei'höhtem
Maße von dem neuesten Werke des Verfassers. Derselbe
bespticht sein Thema in geschichtlicher und technischer
Beziehung mit Objektivität, Gründlichkeit und Klarheit.
Er ist ebenso vertraut mit der seinen Gegenstand aucli
nur entfernt berührenden Literatur, wie mit den Denk-
mälern seiner Kunst selbst, von denen auf Nürnberg der
Löwenanteil entfällt. V/as Oidtmann über die Zeichner
und Glasmaler, über die Arbeitsteilung in den alten Werk-
stätten, über das Verhältnis der alten Glasmaler zum
Zunl'twesen sagt, gewährt einen vollständigen Einblick
in die Technik und den Betrieb der Glasmalerei im
Mittelalter. Möge das lehrreiche Buch, welches über
einen von sehen der Kunstgeschichte bis in die neueste
Zeit herein so stiefmütterlich behandelten Kunstzweig
Licht verbreitet, einen recht großen Leserkreis finden.
Die Meister der Malerei und ihre Werke.
Fünf Jahrhunderte Malkunst in Deutschland, Italien,
Spanien, Frankreich, England und den Niederlanden.
1400— 1800. Von Max Rooses. Mit etwa 450 Abbil-
dungen und 13 Farbendrucktafeln. Vollständig in zwölf
Liel'erungen zu je i M. Verlag von Wilhelm Weicher,
Leipzig.
Das Werk bietet um den mäßigen Preis viel. Der
Text führt den Anfänger angenehm und zwanglos be-
lehrend in die reiche Fülle des Kunstlebens von 1400
bis 1800 ein. Das Bildmaterial ist gut gewählt und auch
schön ausgeführt. Wir hätten es begrüßt, wenn das
Werk bis in die Gegenwart fortgeführt worden wäre.
DER PIONIER
MONATSBLÄTTER FÜR CHRISTLICHE KUNST.
Jahresabonnement inkl. Frankozustellung M. 3. — .
Inhalt des 5. Heftes (i. März 1909); Künstlerischer Buch-
schmuck im Mittelalter. Von Dr. Seb. Huber (Freising).
Mit 4 -Abbildungen. — Bewertung der Kunstwerke.
Von S. Staudhamer. — Anregungen und Mitteilungen.
Redaktionsschluß: 15. Februar.
Verlagsbuchhandlung Qeorg D.W.Callwey, München
Jesus unddasBrautpaarvonEana
Ein Hochzeitsblatt nach dem Gemälde von
Edaard von Gebhardt
herausgegeben vom Christlichen Kunstblatt.
Das Blatt ei'scheint in drei verschiedenen Ausgaben:
1 . Eine Volksausgabe in Vierfarbendruck, Bildgröße
43 : 32 cm, Blatrgröße 55 : 43 cm. Preis M. 3. —
2. Dieselbe Volksausgabe in Vierfarbendruck, auf
Karton aufgezogen, Preis M, 4. — .
^. Eine farbige Gravüre, Bildgi'öße 58:46, Blatt-
größc 95 : 73 cm, Preis M. 30.—
BEILAGE
AUGUSTINERKIRCHE IN MÜNCHEN
DIE ZUKUNFT DER AUGUSTINER-
KIRCHE IN MÜNCHEN.
P\as ehemalige Augustiner Gotteshaus, eine Stätte des
Friedens, ist seit Jahren ein Streitobjekt, um das ein
liartnäckiger Kampf geführt wird. Hie der Ruf: »Hinweg
mit ihm'« hie die Antwort: >\\ahret eure heiligsten
(iüter'« Es hat lange genug gedauert, bis der Streit sicli
seinem Ende zuneigte dadurch, daß eine Konkurrenz aus-
geschrieben wurde. Das wäre beinah eine Salomonische
Entscheidung gewesen ; leider nur beinali, denn das Er-
gebnis der Konkurrenz ist noch nicht ausschlaggebend,
wie der Satz des Konkurrenzausschreibens beweist, die
Staatsregierung sei nicht verpflichtet, eines der prämiierten
Projekte zur Ausführung zu bringen. So war es aber
auch jetzt, zwei Monate vor Schluß der Konkurrenz, noch
einmal möglich, ohne Beeinträchtigung der Konkurrenz
-ils solcher, demonstrativ eine Lanze für die Erhaltung
des Kirchengebäudes zu brechen. Geheimer Hofrat, Prof
Dr. Friedrich von Thiersch war es, der dies unternahm.
Am Abend des 2. .März hielt er im .Münchner Kunst-
gewerbeverein vor einem ebenso zahlreichen wie erlesenen
Publikum einen durch Bildermatenal und Projektionen
reich illustrierten Vortrag über die Verwendung der ehe-
maligen Augustinerkirche, .-\usgehend von den histori-
schen Schicksalen der Kirche und des dabei befindlichen
Klosters, von der Gründung im Jahr 1291 über die bau-
lichen Eingriffe und Veränderungen der Jahre 1 327, 14)M,
1620 bis zur Zeit der Säkularisation, wo sie 1805 ihrer
geistlichen Würde entkleidet und seitdem als Mauthalle
verwendet wurde, plädierte der Vortragende in warmen
Worten für die Erhaltung dieses altehrwürdigen Bauwerks,
das nicht nur äußerlich von unübertretTlicher Wirkung
sei in dem Stadtbild an der Neuhauserstraße, sondern
dessen Innenraum auch von solcher Hoheit sei, daß man
ihn entschieden als solchen ebenfalls erhalten solle. Die
.Möglichkeit einer Erhaltung biete der Gedanke, die Kirche
zu einem Museum für christliche Kunst zu verwenden.
Wie dieser Gedanke praktisch Gestalt gewinne, erläuteite
v. Thiersch an der Hand eines eigenen Projektes, das
zeigte, wie sich die Kirche etwa als M u s e u m von
Nachbildungen mustergültiger Werke kirch-
licher Kunst ausnehmen und dazu eignen würde.
Wohl mancher, der den Gedanken an sich für eine ideale
Phantasterei gehalten hatte, dem ebensoviele technische
wie künstlerische Bedenken entgegentreten müßten, war
sicher überrascht, wie scheinbar spielend sich solch
theoretische Hindernisse gleichsam von selbst behoben
.Mit einer Selbstverständlichkeit waren da Kunstwerke der
verschiedensten Zeiten und Meister nebeneinander grup-
piert zu einem derartig weihevollen und künstlerisch
einheitlichen Gesamtbild, daß jedenfalls auch solclie, die
dem Gedanken schon sympathisch gegenüberstanden,
überrascht waren. Und manchen gingen wohl endlicli
die .■Xugen auf über die Schönheit des kathedralartigen
Innenraums der Kirche."
Um den Gedanken nocli plausibler zu machen, wies
V. Thiersch in Wort und Bild auf verschiedene Beispiele
in andern Städten hin, wo profanierte Kirchen zu
Museumszwecken äußerst glücklich verwendet worden
seien, so durch Gedon die ehemalige Paulskirche in Worms
zu einem historischen Museuin, die ehemalige Barfüßer-
kirche in Basel zu einem Museum für mittelalterliche
Kunst, ebenso wie bei dem Hotel de Cluny in Paris
und beim Germanischen Museum in Nürnberg.
SchließUch ging v. Thiersch noch auf die Münchner
.Museumsfrage im allgemeinen ein, um zu zeigen, daß
weder durch bestellende] noch durch zu erhoffende
Museen in München das' vom Redner gedachte Projekt
in der ehemaligen Augustinerkirche überflüssig werde,
>) Wir «röffentlichen hierüber im nächsten Hefte eioeo lehon liogcr
vürliependen Anikel mil mehreren Abbildungen. D. R.
sondern daß es für die andern Museen eine Entlastung
sei. Zudem ließe sich von einem Museum, wie es das
gedachte würde, erwarten, daß dadurch die kirchliche
Kunst, die mit der Profankunst nicht ganz Scliritt ge-
halten habe, neu und ersprießlicli befruchtet werde, d.iß
auch auf diesem Gebiet der Kunst Münclien obenan
stehen könne. Auch werde siclier solch eine Sammlung,
die wegen ihres immerhin beschränkten Raumes nur
das Beste aufnehmen könne, erzieherisdi wirken und
Verständnis wecken, besonders auch bei der Geistlicli-
keit, daß sie mit Liebe und Pietät die ihr unterstellten
Kunstwerke bewahre und wohlgemeinte aber bedauer-
liche Renovierungen nicht zulasse. Wenn geschäfts-
mäßig rechnende Leute nicht begreifen wollten, wie
man einen so wertvollen Grund, wie der ist, auf dem
die Kirche steht, nicht gewinnreicher ausnützen wolle,
so sei dem entgegenzuhalten, daß der ethische und
OSK.AR ZRCII GKXKI'KSKMAl.
AuttlrlluHg Mumhtn iQoS
AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN
künstlerische Wert, der aus der gedachten äußeren und
inneren Erhahung und Verwertung der Kirche resultiere,
viel größer sei durch seine weittragenden Wirkungen
und Konsequenzen. Darum sei es auch der Staats-
regierung, die doch sonst für die Erhaltung historisch
und künstlerisch bedeutungsvoller Bauten eintrete, ent-
schieden ans Herz gelegt, die Erhaltung der Kirche zu
erstreben, schon um niclit mit den eigenen Grundsätzen
in Konilikt zu kommen. Und auch die Zuhörerschaft
möge an ihrem Teil dazu beitragen, daß das Verständnis
tür den Wert der Erhaltung der Kirche in immer breitere
Schichten dringe. — Das Publikum, unter dem sich
Vertreter von Hof, Staat, Kammern, Kirche und Stadt
befanden sowie zahlreiche Künstler, spendete ostentativen
Beifall. Th. Dombart
AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN
pinzelwerke kommen durch die große Anzahl von Kol-
lektiv-Ausstellungen, die in unabsehbarer Reihenfolge
sich im Kunstverein ablösen, kaum mehr recht zur Gel-
tung. Es muß schon eine starke Eigenart in dem Künstler
stecken, der sich heute in den großen Malerkämpfen her-
vorzudrängen vermag. Von solch eindringlicher Natur
ist Walter Geffken, dessen in einfach großzügiger
Schlichtheit aufgefaßtes Bauernehepaar von jener weichen
und vollsaftigen Malerei ist, wie wir sie nur in den Werken
der älteren Münchner Schule wiederfinden. Noch nicht
abgeklärt und teilweise noch tastend in den allzu leicht-
fertigen Problemen zeigte sich ein nicht unsympathisches
Talent, Otto Voll mann, dem man nur ein ernsteres,
mehr auf das Intime gerichtete Studium wünschen möchte.
Es geht ja überhaupt in unserer allzuraschlebigen Zeit
ein nervöses Drängen, so schnell wie möglich mit allem
fertig zu werden. In der Kunst kommt auch diese Ner-
vosität allzustark zum Ausdruck, aber gerade jenes mit
Wuchthinschmettern, mit brutalen Pinselhieben hinsetzen
der Farben zeigt nicht die Meisterschaft, die echt und ge-
sund ist. Noch jeder große Künstler mußte erst lernen,
langsam und bedächtig die Formen zu erfassen und wieder-
zugeben, meist erst am Sclilusse des Lebens gelangte er
zu der Freiheit, die heute die .iVnfänger schon im Schul-
ateher erobern möchten. Hieher gehören Arbeiten von
Lucy Pelling-Hall, die nebenbei noch die Art van
Gogh's nachzuahmen bestrebt ist. Recht fein und liebe-
voll durchgeführt waren die Bilder von Lüdke; der
Maler sielit last mikroskopisch genau und bei der Manier,
jedes Pflänzchen und jedes Blättchen des Baumes wieder-
geben zu wollen, liegt die Gefahr nahe, das große Ganze,
das Organische zu vernachlässigen. Trotzdem ist letztere
nicht so groß als die erstere Art, die alles summarisch
zusammenstreichen möchte.
Über den trefflichen Heinrich Rasch, den stets
neue Versuche aufnehmenden, geschickten F. Guillery,
ferner über Runge und Rieper, Meyer-Basel und
Robert Curry war schon des öfteren an dieser Stelle
die Rede. Curry hat als Landschafter in den frischen
und heiteren Winterbildern bedeutende Fortschritte ge-
macht und auch allmählich die Schultradition P. P. Mül-
lers abzulegen sich bemüht ; hochinteressant waren die
Pläne Aug. v. T hier seh s zu einer neuen Friedhofs-
anlage, zu der Maler Max Bieber die Idee gegeben.
Der Gedanke, die Begräbnisstätte unter die Erde zu ver-
legen und gleichsam wie in den Katakomben die Toten-
feier über den Gräbern der Verstorbenen zu halten, ist
sehr schön. Eine große Anzahl von Stufen soll hinab-
führen ins Totenreich zu den Grabkammern, mächtige
Eingangspforten trennen den unterirdischen Teil vom
oberen, der als prunkvolle Tempelstadt gedacht ist. Die
Kolossalstatuen der Evangelisten und des Moses sollen
hier ihre Aufstellung finden, Säulenhallen umschließen
die stille Stadt und ein breiter, mit Cypressen bewachsener
Weg führt zur Einsegnungshalle. Vorstellungen antiker
Begräbnisstätten, verbunden mit christlichen Gedanken
haben hier einen Entwurf entstehen lassen, der, wenn
zur Ausführung irgendwie die Möglichkeit haben könnte,
gerade dem campo santo jene feierliche Stimmung ver-
leihen würde, die er durch seine Bestimmung gewiß ver-
dient und nach dem man sich schon längst sehnt, da
die Fülle des angehäuften Steinmaterials, genannt Denk-
mäler, auf unseren Friedhöfen längst überdrüssig uns ge-
worden ist. Da hier gerade vom Denkmal die Rede ist,
so möge auf eine überlebensgroße, in Stein gemeißelte
Kreuzigungsgruppe hingewiesen werden.welche der talent-
volle junge Bildhauer Franz Cleve für die Kirche Neu-
haus-Windisch-Eschenbach in der Oberpfalz geschaff'en
hat. In wirkungsvoller würdiger Art hat der Künstler
es verstanden, dem so alten und doch stets neuen Thema
eigenartiges Leben zu verleihen. Wir sehen Christus am
Kreuzesstamm, schmerzgebeugt sich hinneigend zur gram-
erfüllten Mutter Gottes, die, gestützt durch eine ältere
Frau, den Blick zum Sohne erhebt während auf der
rechten Seite Johannes seinen Herrn und Meister hände-
ringend betrachtet und aufgelöst in Leid und Kummer,
Magdalena den Kreuzesstamm umfaßt. Die ganze künst-
lerisch fein gelöste Gruppe zeichnet sich nicht allein durch
edlen Fluß der Linien aus, sondern zeigt namentlich in
dem Corpus Christi ein gutes Verständnis für die tra-
ditionelle, .iltchristhche Auffassung, wie auch für eine ge-
schulte, den modernen Verhältnissen entsprechende Durch-
führung der Körperpartien im organischen Aufbau. Der
innere seelische Gehalt, die Wärme der Empfindung aber
ist es, die hier in erster Linie zum Beschauer spricht und
die auch am Ort der Bestimmung einen tiefen Eindruck
nicht verfehlt.
i\ls ein Ereignis von nicht ungewöhnlicher Bedeutung
konnte und mußte die Karl Schuch- Ausstellung an-
gesehen werden. Vielen war ja der Maler bekannt, dessen
Bildern man hier und dort begegnete, aber zur vollen und
aufrichtigen Wertschätzung ist Schuch in seinem Leben
nicht gekommen. Erst nach seinem Tode ist es wieder
der Kunsthandel, der den Künstler nach jeder Richtung
hin für sich in Anspruch nimmt. Bedauerlich ! Und dies
um so mehr, als solche Erscheinungen nicht vereinzelt
stehen. Was Schuch anstrebte und namentlich in seinen
Stilleben auch erreichte, war große und edle Kunst. Man
brauchte in der Zeit seiner Ausstellung nur, aus seinem Saale
herauskommend, das Andere betrachten und es gefiel einem
kaum noch etwas. W.is so starke Bewunderung lier-
vorrief, war die prächtige Qualität der Malerei an sich,
die an Leibl im besten Sinne erinnerte, die feintonige
Schönheit der saftigen Malerei ohne saucige Lasuren. Ja
an Leuchtkraft der Farben übertraf er selbst Leibl. Jedes
der vielen Stilleben war überaus geschmackvoll in Ar-
rangement, in der Disposition und vor allem in der Far-
benharmonie. Wenn Schuch Apfel mähe, so waren es
Äpfel, die nicht wie man sonst öfters zu malen pflegt,
• gemacht« aussehen, etwa wie aus Seife. Wirkliche
-Apfel, genießbare; dann wirkliches Zinn, Metall, Stoff
und Tücher, die nichts anderes vorstellen wollen. Dies
sichere Erfassen der Natur unter einer vornehmen Ge-
schmacksrichtung, ghch hier einem Erlebnis : Der Künstler
war mit seinen Gegenständen, mit denen er Kunst schuf,
innigst vertraut und es khngt wahrhaftig und aufrichtig,
wenn von ihm gesagt wurde, daß jedes Bild, das er
schuf, für ihn einen seelischen Prozeß bedeutete. Als
ganz prächtige Stücke müssen hier das große Stilleben
mit dem Totenkopf, die Äpfel auf weißem Tuch, der
Gladiolenstrauß, vor allem das Bündel breiten Lauches,
erwähnt werden. Denkt man daran, daß für ein ge-
maltes Spargelbündel von Manet, das wir im vorigen
Jahre bei Heinemann sahen, 40000 Mark der Preis war,
so müßte man die Summe für dieses Stilleben minde-
stens dreifach höher bewerten.
AUS DEM KUNSTVERRIN MÜNCHEN
Mit einer recht wackeren Kollektion farbenheiterer
Landschaften erschien Franz Hoch, hieran schloß sich
Alex. Fuks, der talentvolle Bildnismaler der Münchner
Gesellschaft, mit ungemein lebendig aufgefaßten Porträts,
die nicht allein eine vornehme Konzeption aufweisen,
sondern auch vom rein technischen Standpunkte aus
einwandfrei sind. Von sprechender Ähnlichkeit waren
die Bildnisse des Prinz-Regenten und des Prinzen Lud-
wig. Am schönsten offenbarte sicli jedoch seine Kunst
in der Wiedergabe einiger Frauenbildnisse, unter denen
das feinsinnig empfundene Porträt der Gattin des Künst-
lers am wertvollsten erschien. — Corneille Max neigt
immer mehr zu einer Stilistik, die wohltuend wirkt, und
ihn auf bessere Ziele führt, wie ehedem. Leop. Schön-
chen vertrat das Marinegebiet wieder mit altgewohnter
I'üchtigkeit. Besonders hervorzulieben sind noch die In-
terieurstudien von Fritz Mühlbrecht und die famosen,
an die Zügelschule erinnernden Tier- und Landschafts-
niotive von Willy Tiedjen.
Bildnisse, die über das Durchschnittsmaß des Alltäg-
lichen hinausgingen, waren gesandt von Karl Bios,
Leonh. Blum und Karl Hörn. Das Streben, die
Natur im persönlichen Sinne zu stihsieren , veranlaßt
mehr und mehr auch die jüngere Künstlerschaft, Ge-
wicht auf Zeichnung und Form zu legen. Als charak-
teristisches Beispiel galten die leicht improvisierten, aber
mit vielem Raffmement erdachten Landsdiaften, teils
svmbolischen Inhalts, von Johannes Martini. Dieser
Künstler geht von der dekorativ schmückenden Flächen-
wirkung aus und versucht, durch gleichwertige Vertei-
lung der Farbflecke einfachen und harmonischen Klang
zu erzielen- Eine solclic mehr linear-rhvthmiscli ver-
anlagte Kunst, die ja in der alten stets vorhanden ist,
kaim zukunftverheißend sein, wenn sie sich dazu noch
den modernen Raumprinzipien anzuschmiegen versteht.
— Weniger geistreich waren die in die sonst stofflich
gezeichneten Landschaften hineingesetzten pikanten Da-
men, welche durch ihre unschickliclien Bewegungen den
köstlichen Duft und den Reiz der Landschaft direkt verder-
ben.— Als ein noch^\'erdender, mit großem TalentV'eran-
lagter, stellte sich F r i t z F a b e r mit einer größeren Serie von
Stilleben und Landschaften vor. Die breite, flüssige Ma-
lerei, der ein gesundes Naturstudium zugrunde lag, dürfte
nur festeren Gehalt durch die Zeichnung erhalten. Fast
dasselbe möchte man von der Kollektion ManiaKacers
sagen, hier ließ schließlich die Zeichnung so stark aus,
daß selbst der brillanteste Pinselstrich über die Unzu-
länglichkeit der .Vnfangsgründe der Kunst nicht mehr
hinwegtäuschte. Über J ulius Hxter, den Vielgewandten
und -gewanderten, den Mitbegründer der alten Sezession
und den Bahnbrecher neuer, schon längst wieder alt ge-
wordener Ideen, haben wir bei Gelegenheit der großen
Ausstellungen berichtet, so daß Neues zu sagen fast nichts
mehr übrig bleibt. Es sind auch meist altbekannte Ar-
beiten, deren wir uns längst erfreuten, doch von Zeit zu
Zeit »sieht man auch die Alten wieder gerne«. Durch-
probiert, studiert, gezeichnet, modelliert und gemalt hat
Exter wohl alles. Vom religiö.-jen Thema zum Bühnen-
stück, >Märchenzauber< bis zur nüchternen Ackerscholle;
Derbes und Zartes, Grobes und Feines, Menschen und
Tiere, Militär und Zivilpersonen, Interieurs, Blumen und
Fruchtstücke, Porträts, Allegorien, kurz, was es überhaupt
an Möglichkeiten in derMalerei gibt und doch, mit all diesem
liat er noch immer nicht einen eigenen Stil, noch immer
nicht seine Person gefunden. Alles geschickt und tem-
peramentvoll, kräftig, tüchtig gemalt, ja, wie bei dem
weiblichen Akt im Freien, sogar virtuos, aber Gefühl,
Sinnigkeit, etwas, was zu Herz imd Gemüt führen könnte,
das darf man nicht suchen. Es ist merkwürdig und zu-
gleich bezeichnend lür einen großen Teil der jetzt malen-
den Generation, daß allzuvieles Können die Gefahr in
sich birgt, In \'irtuosität auszuarten. Wenn diese aber
in den Werken der
Künstler als Haupt-
sache zum Ausdruck
gelangt, wird stets der
Mangel an Empfin-
dung und Intimität
vorlierrschen. Genau
nach derselben Rich-
timg hin bewegt sich
der früher hier ansäs-
sige Friedr. Fehr.
Auch er schwankt von
einem Extrem zum
anderen und bei aller
Tüchtigkeit des Kön-
nens ist auch nirgends
klar, was der Künst-
ler erstreben will. Auf
die Kunstabsichten
kommt es an und die
müssen erkeimbar
sein. Über die ge-
wöhnlichen Leistun-
gen von Kopistenar-
beit ragten die neun
Kopien von Eda
Metger hinaus, Ru-
bens und Velasi]uez
gab die Malerin am
besten wieder.
Hugo von Ha-
bermann zeigte seit
längerer Zeit wieder
einige seiner überaus
kapriziösen Damen, in
ebensolchen, von er-
lesenem echt Haber-
mannschem Ge-
schmack zeigenden
Toiletten. Der Extrakt
des Könnens und
Wollens ist wie stets,
so hier, mit den eben
noch ausreichenden
Mitteln gegeben. Eine
Kunst für Künstler,
lür Kenner. Bekannt von den »Fliegenden< her sind die
liebenswürdigen Zeichnungen von Hermann Stock-
mann. Alle diese reizenden Blätter atmen jenen golde-
nen echten Humor, der nie verletzend, mit dem Münch-
ner Leben verwachsen ist. Auch als Maler zeigte sich
Stockmann in den prächtigen Herbststudien, deren Motive
Dachaus Umgebung entnommen, von der besten Seite.
A. Oberlander, den wir gleichfalls von den »Flie-
genden Blättern« her als altbewährten Meister keiinen,
erfreute den Kunstliebhaber mit zwei kleineren ülge-
gemälden, die von dem ewig frischen Humor des Künst-
lers ein prächtiges Zeugnis ablegten. Von der gegen-
überliegenden Wand sah Sambergers vollsaftig und
mit größter Sicherheit gemaltes Bildnis Erzbischofs Abert
von Bamberg herab. \\ie überall, so fand auch hier
der Künstler den knappsten Ausdruck für seine Darstel-
lung. — Interessant war eine weitere Folge von Zeich-
nungen, Studien und Malereien von Moritz Bauern-
feind. Die satirische Begabung tritt nunmehr stärker
hervor. — Cäsar Ku n wald, ein noch jüngerer Künst-
ler, debütierte mit einem ganzen Saal voll Arbeiten. Es
ist stets gefährlich, wenn man kein großes, starkes Talent
hat, viel auf einmal zu bringen, weil der Maler allzuleicht
unfreiwilligen Aufschluß über das gibt, was er nicht
kann. So auch Kunwald. Unverkennbar ist ein ehr-
liches Wollen und Streben ausgedrückt, aber auch das
.S(:iiMii;i)i.isi;i;\KK .^ltarlkucm-
riiH, KNTVVORI-EN VON IIHIN'RICH
KIRSCH, .\USGEF0HRT VON REIN-
llOLU KIRSCH
ALOIS HAUSER — VERMISCHTE NACHRICHTEN
Rezept, das der Anfänger aufgenommen. Französischer
Einschlag ist ebenfalls stark mit eigenem vermischt, man
Ijann sogar den Meister nennen, auf den sich Kunwald
stützt. Dies alles hindert nicht, ihm eine Zuljunft zu pro
phezeien, die Besseres erhoffen läßt. Das Porträt be
herrscht der Maler am besten, wenigstens sind die Bild
nisse einiger nicht gerade geistreich aufgefaßter Schrift
steller. Dichter, von guter (Qualität der Mache. Das Stre
ben, auch die Hände zur Charakterisierung der Person
als wichtige Beigabe individuell zu beherrschen, ist sehr
löblich, jedoch darf solche >Beseelung« nicht so weit
gehen, daß sie schließlich aus der Gesamtheit heraus-
fallen und vom Kopfe ablenken. Ein großer Abstand
lag zwischen Kunwalds jugendlichen, kühnen Leistun-
gen und den Bildnissen Hans Schadows, für die
>Unzulänglichkeit« wohl der mildeste Ausdruck ist.
Eine Serie kräftig im Strich gehaltener Landschaften,
trauter Winkel, alter, freundhcher Städtchen brachte Frau
Baur-Ising, nur ist die Darstellungsweise eine schon
zu abgebrauchte und vergriffene; die eigene Sprache ist
in der Malerei und Zeichnung von wahrhaftig nicht un-
wesentlicher Bedeutung. Franz Wolter
ALOIS HAUSER
Tn der Nacht vom 6. auf 7. März ist der Konservator
der bayerischen Zentralgemäldegalerie Professor Alois
Hauser gestorben. Hauser war ein hochberühmter Bilder-
restaurator, in den Kunstkreisen des In- und Auslandes
hochgeschätzt und vielgesucht, aber auch wegen seiner
persönlichen Eigenschaften allgemein verehrt. Geboren
am 17. Februar 183 1 zu Burladingen in HohenzoUern-
Hechingen, kam er 1847 zu dem Bilderrestaurator Deschler
in Augsburg, wo er die Gelegenheiten zu weiterer Aus-
bildung benützte und bis 1854 bheb. Hierauf wurde er
Konservator der Gemäldegalerie in Schloß Löwenberg
in Schlesien. Später siedelte er nach Bamberg über.
Dort wurde er 1869 Konservator der neu errichteten
Stadtischen Gemäldegalerie, von wo er 1875 an die
Kgl. Alte Pinakotliek in München als Restaurator kam.
Den Titel eines Kgl. Professors erhielt der persönlich
höchst bescheidene Künstler 1889. Auf vieles Drängen
von Freunden ließ sich Hauser auch herbei, aus dem
reichen Schatze seiner Kenntnisse einiges in dem Büch-
lein >Anleitung zur Technik der Oelmalerei< niederzu-
legen. Sein Sohn Alois Hauser bekleidet die Stelle
eines Kgl, Konservators in Berlin.
VERMISCHTE NACHRICHTEN
München. Verflossenen Februar wurden in der von
Professor Heinrich Freiherrn von Schmidt erbauten Kirche
St. Maxirnilian die drei ersten Stationsbilder aufgestellt.
Sie sind von Franz Hofstötter gemalt und stellen dar:
Jesus auf dem Olberg, Dornenkrönung, Jesus nimmt das
Kreuz auf sich.
G e b h a r d t - A u s s t e 11 u n g. Die Galerie Eduard Schulte
in Berlin veranstaltet im November d. J. zur Feier des
70. Geburtstages des Künstlers und im Einverständnis
mit ihm eine große Eduard von Gebhardt-Ausstellung,
welche nach Möglichkeit das ganze Lebenswerk des be-
rühmten Düsseldorfer Meisters umfassen soll.
Ein neuer Altar. Herr Graf Geldern-Thurnstein stiftete
für eine Kirche Niederbayerns einen Altar, dessen archi-
tektonischer Aufbau nach Angaben des Architekten Jak.
.^ngermair verfertigt wird. Das Mittelstück, ein Reliei",
ist ein Werk des Bildhauers Valentin Kraus. Es zeigt
niederbayerische Landleute imGebet vor demGekreuzigten.
Der Architekt Otto Schultz in Nürnberg wurde
zum Professor der Kunstgewerbeschule in Nürnberg in
etatsmäßiger Eigenscliaft ernannt.
Bildhauer Johann Ev. Frey ist am S. März zu Mün-
chen im Alter von 68 Jahren gestorben. Er war auf
dem Gebiete der kirchlichen Kunst tätig.
Köln. Aus dem Kunstlebeu der letzten Monate sind
nur zwei Ausstellungen bei Schulte zu nennen. Die eine
von Werken Spitzwegs, die andere eine Kollektivaus-
stellung des Dresdener Malers Gotthard Kuehl. Aus der
letzteren erwarb das Wallral-Richartz-Museum das Bild
der »lachenden Köchin«, in gelber Bluse über einen
grün gestrichenen Koffer sich lehnend, farbig ein Meister-
stückchen. Manchen glücklichen Zuwachs hat das Museum
unter dem neuen Regime zu verzeichnen. Auf der letzten
Weihnachtsausstellung Kölner Künstler wurde der »Be-
guinenhof in Brügge < von Fr. Westendorp angekauft,
eine charakteristische Schöpfung des im Rheinland ge-
schätzten Künstlers. Aus Lenobels Kunstsalon erwarb
man ein vorzügliches Werk von L. von Hofmann, außer-
ordentlicli dekorativ in Farbe und Zeichnung. Ferner
kamen zu den alten Beständen ein stimmungsvolles Bild
des jungen Düsseldorfer M. Bretz, ein Sonnenbild erster
Güte von M. Stern, das in Komposition und Tongebung
gleich hochstehende >Bergfest< von Schinnerer und
endhch noch zwei interessante Werke von E. te Peerdt.
Angesichts der schönen Neuerwerbungen freut man sicli
mit Recht, daß die Museumskommission in den letzten
Jahren so energisch den Säckel zugehalten, um ihn jetzt
um so eifriger zu öffnen. Im Kreuzgang des Oberge-
schosses, der in die Ausstellungsräume einbezogen, ist
die moderne Abteilung mit gutem Geschick untergebracht.
Bildhauer Georg Schreyögg wurde Professor der
Kunstgewerbeschule in Karlsruhe.
BUCHERSCHAU
Kirclilich figurale Bildhauerarbeiten. Meister-
werke christlicher Kunst des Mittelalters in Frankreich.
Gesammelt und herausgegeben von E. Walsdorf. 1907.
Bruno Heßling, Berlin, Paris, Newyork. Preis 48 M.
Die Sammlung des Musce de Cluny in Paris ist in
dem köstlichen spätgotischen Hotel de Cluny, dem Pariser
Wohnsitz der Abte von Cluny untergebracht und enthält
eine außerordentliche Fülle alter künstlerischer und kunst-
gewerblicher Arbeiten, namentlich solcher der mittel-
alterlichen Plastik. Bekanntlich bergen aucli die Samm-
lungen des Louvre viele Meisterwerke der Bildnerkunst
des Mittelalters. Aus diesen Schätzen nun traf E. Wals-
dorf eine Auswahl von Darstellungen Gott Vaters, des
Heilandes, Mariens, der Engel und einiger Heiliger, um
sie in 60 schönen Lichtdrucktafeln den Kunstfreunden
zu Studium und Genuß zu bieten. Es sind Werke aus
dem 12. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, zum Teil
Arbeiten von entzückender Schönheit. Darunter befinden
sich auf fünf Tafeln die berühmten Apostel der S'= Chapelle.
Der Text beschränkt sich auf kurze sachliche Mitteilungen.
— Der Verlag von Bruno Heßhng gab auch andere
größere Publikationen über alte kirchliche Kunst heraus,
SO: Romanische Baukunst und Ornamentik in Deutsch-
land (von Th. Kutschmann); Alt Paris (von Egon
Heßling).
Redaktionsschluß: is. März
BEILAGE
ANTON HESS - PORZELLANMANUFAKTUR — BERLINER KUNSTBRIEF
ANTON HESS t-
Tn der Nacht vom ii. auf 12. April starb Bild-
^ liauerAnton Heß, kgl. Professor an derTech-
nischen Hochschule zu München, nach kurzer
Krankheit. Anton Heß, derSohn des berühmten
Historienmalers Heinrich von Heß, stand im
71. Lebensjahre. Am 20. August vor. Jrs. be-
ging er unter warmer Teilnahme in Kunst-
kreisen seinen 70. Geburtstag. Zu diesem An-
laß veröffentlichten wir im vor. Jg. S. 109 der
Beilage einen Aufsatz über den trefflichen Künst-
ler. Heß gehörte der Deutschen Gesellschaft
für christliche Kunst seit ihrer Gründung an.
R.I P.
DIE NEUEN GESCHÄFTSRÄUME DER
K. BAYERISCHEN PORZELLAN-MANU-
FAKTUR NYMPHENBURG
Wor Jahren hatte ich in »Kunst und Handwerk«, im
> Profanbau« und verschiedenen anderen Organen
meine Anschauungen niedergelegt darüber, wie ich mir
moderne Läden und Geschäfte durchgeführt dächte,
was in dieser Sparte der Innenarchiteiitur zu erstreben
und was zu verwerfen sei. Diese meine Arbeiten er-
regten Aufsehen und sie wurden nachgedruclit — übri-
gens nahm auch Lux in der »Hohen Warte« zu dem
Thema Stellung — und es scheinen meine Anregungen
auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Beispielsweise
haben wir nun auch in München so manchen Laden,
der sich sehen lassen kann, manches Geschäft, das ele-
gant und reich nur durch sein Material und die abwä-
gende Ausgestaltung des Architekten wirkt, und dessen
Grundriß nicht verwirrt, und das sich lieber blank und
rank gibt, als mit Malerateliers entlehntem Detail zu
prunken. Denn ein Geschäft soll sich einfach darbieten,
in jedem Falle, soll hübsch, aber nie protzig wirken,
soll bequem im Verkehr sein und durchaus nur Ob-
jekt und niemals Individualität. Auf gut Glück
greife ich im Anschlüsse an diese Zeilen einige neuere
Münchner Läden auf: Modes-Salon L. Borst; Modes-
Salon Hinzelmann; Hof blumenfabrik J. von Heckel; Hof-
molkerei Dallmayr; Mode Warenhaus M. Schneider; von
Banken und größeren Betrieben ganz zu schweigen.
Die Tat, von der wir aber heute berichten, datiert
jedoch aus ganz letzter Zeit: Ich meine die von Pro-
fessor Emanuel von Seidl glänzend gegebenen neuen
Geschäftsräume der Nymphenburger Porzelkin-.Manutak-
tur. Jetzt hat der Meister seine ganze Höhe erklommen.
Denn in diesen Interieurs gibt es weder Schlacken noch
Schoten : Seidl hat Vollendetes geschaffen. Er hat aber
nicht etwa nur geschmückt, angeordnet, ausgeteilt, ab-
gerundet und zusammengeschlossen, nein, er hat auch
intensiv gedacht. . . So stehen wir in mehr als in einer
Hinsicht vor neuen Lösungen. Aber geradezu genial
ist's, wie er das Motiv »Auslage« behandelt; eine alte
N'otwendigkeit hat er da zu einer ganz neuen graziösen,
flüssigen Plauderei umgewandelt. Die Auslagen sind
nämlich abwechslungsweise nach innen und außen ver-
legt ; von feinem architektonischem Rhythmus getragen,
zeigt sich Schau auf Schau — ein goldin Kettlein von
Schönheit scheint gleichs.im um die Porzellanniederlage
geschlungen. Herinnen die prächtigsten Auslagen und
zierlichsten Arrangements, draußen die verlockendsten
Artikel und schönsten Waren. . . Die ganze Disposition
gefällt sich eben in einer starken Eigenart — und daß
es Architekt Emanuel von Seidl ernstlich zu tun war,
eine ungewöhnlich schöne Raumwirkung aus der An-
lage des Ganzen zu gewinnen und zu lösen, glaubt man
ihm aufs Wort. Der Grundriß ist von der nobelsten
Einfachheit, das Licht aber als Schmuckfaktor ersten Ranges
in Berechnung gezogen worden. Die fort- bezw. um-
laufenden Strophen der großen Auslagen — lies Licht-
öffnungen — bitten den Tag von der Gasse herein —
und so ist's herinnen stets genau so hell oder gedämpft als
draußen. Der Künstler hat auch in den Farben einen glück-
hchen Zusammenklang geschaffen in Weiß und Grau.
Das Weiß dominiert im Räume. Denn Decken, Wände,
Pfeiler sind weiß, die Hölzer der Möbel, der Glasschränke,
der Vitrinen aber dunkel, braunrot, mahagonitönig, und
fliesenverkleidete Pfeiler grün und blaugrün gehalten,
die Heizanlagen in Grün und Fraisrot durchgeführt.
Dem Haupteingang gegenüber ist das Lokal im Halb-
kreise durchgebildet. Gewissermaßen ein Nymphenbur-
ger Motiv im kleinen. . . Zwei Tische mit 'Vasen —
reclits und hnks vom Beschauer — fanden davor Auf-
stellung; im Hintergrunde zeigt sich ein Brunnen. Ober
dem rondellartigen Abschluß schauen aus weißen Nischen
kluge, bunte Papageien auf uns nieder — eine durchaus
stilechte Idee! Sonst sind noch die Kasse und die Vi-
trinen besonders erwähnenswert.
Die ganze Manufaktur erscheint als eine intime, sehr
vornehme Ausstellung oder Sammlung eines Sammlers
und Liebhabers von edlem Porzellan und gar kostbarer
Keramik.
Zum Schlüsse ist eine Andeutung darüber, welche
Richtungen die alte und so bekannte Nymphenburger
Porzellanmanufaktur jetzt pflegt und pflegen wird, sicher
am Platze. Die Manufaktur liebt das moderne und antike
Genre ziemlich gleichmäßig — der Kenner muß den
Darbietungen jeder Sparte lobende Worte zollen.
Moritz Otto Baron von Lasstr-Münchcn
BERLINER KUNSTBRIEF
Winter 1908/ 1909
Von Dr. HANS SCHMIDKUNZ, Berhn-Halensee
Je mehr sich dem Berichterstatter der Stoff aus den
typischen Kunstsalons, zumal in Gemälden, anhäuft,
desto banger drängt sich ihm die Frage auf, wie viel
davon überhaupt ein Recht hat, von der Atelierwand
in die Öff'entlichkeit hinaus und zum Range von voll-
wertigen Kunstwerken zu kommen. Was vordem als
Skizze oder Studie zur unteren Ecke eines Gemäldes
gelten konnte, wird uns jetzt in Masse als reifste Kunst
aufgedrängt.
Irrtümlich möchte mancher an ängstlich glatte Malerei
Gewöhnte zu solcher Skizzenkunst auch die Porträts von
Leo Samberger rechnen. An Lenbachs Kraft des
Andeutens und zugleich an modernste Primitivheit er-
innert seine Verwendung großer Striche und breiter
Schattenmassen ; und äußerlich genommen scheint manch-
mal die Grenze zwischen Skizze und fertigem Werk
verwischt. Das eine aber kann man bald vor jedem
Bilde wissen, daß man vor einer »Kunst des Wesent-
lichen« steht. Die langen rundlichen Linien, von denen
wenige so viel sagen, kommen besonders in medaillon-
ähnlichen Kohlezeichnungen, und die Herausarbeitung
der entscheidenden hellen aus den dunklen Partien be-
sonders in den Gemälden zur Geltung; in beiden aber
die Kunst, das Optische in den Dienst des Geistigen zu
stellen. Dort wie hier zeigt namentlich ein hl. Paulus
die Wirkungen innerer Kämpfe auf die Gesichtszüge.
Sambergers Bildnisse zahlreicher Maler, zumal aus Mün-
chen, sind sozusagen kunstgeschichtliche .\kten; Priester-
porträts (Erzbischof von Ahert, P. Gietmann) reihen sich
an; seine Frauenporträts zeigen Schlichtheit und Indivi-
BERLINER KUNSTBRIEF
dualität nicht in dem reinen Maße, wie die männlichen.
So lernten wir den Meister in der März-Ausstellung
des Salons Schulte kennen, sehr zu Ungunsten des
berühmten Aristokratenmalers Philipp A. Läszlö (aus
Budapest, in London) und noch mehr von Ferd.
Dorsch, die beide daneben Portrats zeigten. Der letztere
kommt in Betracht für .^rchitekturbilder und tülirt uns
mit seinen Interieurstimmungen zur Derbheitsmode. Sie
wirkt günstiger in den kräftigen Lichtern, die Hans
V.Bartels auf seinen Landmädchen glänzen läßt, und
in den prunkenden Stilleben von L. Adam Kunz.
Weniger forciert als der > Rauch und Dunst < oder dgl. von
Rudolf Hellwag erscheinen die sinnigen Landschafts-
stimmungen des früher in Worpswede und jetzt bei
Bremen schaffenden Fritz O verbeck, der z.B. dyrch
Hineinstimmung von Blau in Grün erfreut. Ob des
guten Arrangements von Gouachebildern sei Hans
Bohr dt genannt. Dagegen kehren wir zu einer intimen
Porträtkunst zurück vor den Büsten von Ferd. See-
böck, unter denen neben der Doppelstatue des badi-
schen Großherzogspaares die von Pius X. und von Ge-
lehrten wie Schell hervorgehoben seien.
Unter den bei Schulte vorher veranstalteten Aus-
stellungen war die Kollektion Fritz v. Uhde gegen-
über der Münchener um einige Gemälde vermehrt. Das
Vorwort des Kataloges sagte, der Künstler habe im Rahmen
der jüngsten Evolution >fast als einziger die Idee hoch-
gehalten, daß die Kunst sich nicht nur an die Augen,
sondern auch an die Seelen zu wenden habe« usw.;
wobei wir überdies erfaliren, daß die »geistige Persön-
lichkeit des Begründers der christlichen Religion und
Weltanschauung« »im Streite der Meinungen ganz in
den Hintergrund gedrängt« sei. Doch auch wer nicht
in diesem Sinne die jetzige Pflege der christlichen Kunst
von Uhde abhängig sieht, konnte sich an mancher
innigen Weltlichkeit seiner Gemälde erfreuen, am meisten
etwa an den schlichten Darstellungen aus der Tobias-
legende.
Vielleicht um eine Spur weniger weltlich sind einige
Gemälde religiösen Inhaltes aus einer Kollektion Walter
Firle: so Maria mit Engeln, ein über das Interesse an
Licht und an Farben sowie an Süßigkeit ein wenig
hinausreichendes Bild; so auch eine Kreuzabnahme mit
einem tiefergehenden, menschlichen Schmerzausdruck,
deren Virtuosität in den Verkürzungen u. dgl. nicht eben po-
siert ist. Einen Eindruck aus der vorjahrigen »Großen«
hat R. Seuffert günstig fortgesetzt durch zwei Kreuz-
wegstationen : die Begegnung Christi| mit den Frauen
und mit seiner Mutter. Mit einem modernisierten Alt-
deutsch malt der zu Hamburg geborene Münchener
Walter Geffcken u. a. eine Madonna im Rosenhag
und einen hl. Lukas.
Jüngstverstorbene, denen bei Schulte die Ehre einer
Nachlaßausstellung zuteil wurde, waren G H.Kotschen-
reiter, der wohl nur wegen einiger Interieurbilder zu
nennen ist, und der bekannte Bildhauer H. Magnussen.
Mitten in gegenwärtiges Leben, zumal Englands, führte
H. Herkomer; neben Porträts kam die »Jury der Royal
Academy«, deren virtuose Darstellung aber wenigstens in
der Erinnerung an die Kunstrichter des Dänen Ancher
einen etwas künstlichen Eindruck machte. Sonstige
Porträtisten sind kaum aufzuzählen, zumal ihre Aufnahme
gerade in diesen Salon sehr vom Modellinteresse abhängt;
uns mag dieses nahelegen, das Porträt der Äbtissin des
Trinitarierordens von Hedda Stauffregen zu nennen.
Landschaften mit viel Vereinfachungsflächen und Grün-
Spielerei u. dgl., dann Interieurs mit virtuosen Durch-
blicken sind hier so zahlreich wie anderswo. Unter den
Kleinplastiken erwähnen wir die Marmorgruppe von
Alfred Reichel »Gebet dem Kaiser. . .«.
In dem besonders der lokalen Kunst dienenden
Künstlerhaus überraschte vor allem Fritz Kunz.
In die stark flächig- dekorative Art seiner meisten Bilder
muß man sich erst hineingewöhnen; dann aber fühlt
man, welche außerordentliche seelische Kraft z. B. in
seinem als »Der Morgen« bezeichneten Jünglingsakte
steckt, der mit geschlossenen Augen die Arme dem
Licht entgegenbreitet, und freut sich auch solcher Dar-
stellungen wie »St. Johannes«, -Die Krämerin«, »Brunnenc,
Die übrigen »Wanderer«, mit denen er zusammen aus
München kam, verdienen wenigstens eine Gesamt-Er-
wähnung.
Gleichzeitig gab es von Fritz Ruppert eine Pietd zu
sehen. Sie zeigt in einer Felsengrotte, die den düsteren
Himmel durchblicken läßt, mit grünlich blauer Gesamt-
stimmung den ausgestreckten Leichnam im Profil, den
Brustkorb stark vorgewölbt, und an seiner Seite Maria mit
tief schmerzhaftem, an die Hände gelehntem Gesicht.
Vorher sahen wir von G. Ad Closs kleine Gemälde,
die in gut gestimmter Landschaft die Heiligen Hubertus,
Martin und (vor einem Heere) Michael zeigen. Daneben
wieder mancherlei Porträts und Landschaften, deren
Urhebernamen in unseren engen Zeilen nicht mehr den
verdienten Platz finden. Anderseits verdiente eine noch-
malige Nennung der bekannte Dresdener Richard
Müller ob seiner Graphica, deren Virtuosität mit Vorliebe
ruinösen Objekten zugute kommt.
Auch zwei Jüngstverstorbene wurden in Kollektionen
vorgeführt. Alexander Zick fand eine Fortsetzung des
ihm auf der »Großen« 1908 bereiteten Gedenkens. Neben
seinen ausgeführten Gemälden, die mehr Hell und Dunkel
zeigen, als Farbe, interessieren seine lebhaft gehaltenen
Skizzen, die zum Teil dekorativer Vorhangskunst u. dgl.
gelten. Gloria-Engel an der Krippe verdienen Voran-
stellung. Dazu kamen mancherlei Engel, Mütter, Kinder,
ein Tod beim Nachtwächter, liebliche Märchenstimmungen
— insgesamt mit einiger Süßlichkeit. Alexander
Seh midt-M icheisen scheint bereits viel Beliebtheit
erreicht zu haben, wie die Herkunft vieler ausgestellter
Bilder aus den verschiedensten Galerien zeigte. In fleckiger
Malweise suchen sie Schloßlandschaften u. dgl. darzu-
stellen. Seine letzte Arbeit war ein sonniges Bild aus
Ueberlingen.
Bereits 1891 gestorben, verdiente doch der Franzose
A. Theodule Ribot eine Art Nachlaßkollektion. Von
seinen religiösen Gemälden bekamen wir hier nur eine
kleine Kreuzabnahme, die kaum über eine Beleuchtungs-
skizze hinausgeht ; dagegen zahlreiche Porträts, äußerlich
an Riberas Schule erinnernd. Gleichzeitig (Februar)
stellte sich ein neuer »Club Berliner Landschafter«
vor. SieHebenmeist(H. Klohss' Aquarelle ausgenommen)
eine derbpinselige Behandlung von Hafengrau u. dgl.
Neben den Bekannteren H. Hart ig, A, Liedtke und
L- Sandrock nennen wir Ernst Kolbes Darstel-
lungen von Interieurs und von der Kirche auf Sylt, die
sozusagen den Lichtinhalt der Objekte forcieren, und
freudiger Karl Wendel, dessen »Fliegende Netze im
Abendwind« eine hübsche Verarbeitung von Braun und
Lila sind.
Zuletzt kamen nochmal zwei Nachlaß-Ausstellungen:
Gust. Pflugradts zarte, farbenweiche Landschaften
und Georg Barlösius' illustrativ-graphische Stücke,
die mit ihren Stadt- und Kircheninterieurs sowie mit
ihren tableauähnlichen Kompositionen so gut in alt-
deutsche Stimmung hineinführen. Daneben der bekannte
Reiz von Landschaften Ludw. Dills und endlich die so
recht das eine im Mannigfaltigen darstellenden Land-
schaften des Dachauers Ad. Hölzel. Der Künstler
brachte auch eine »Anbetung«, die mit hieratischer, doch
etwas derb dekorativer Neigung Maria samt dem Kind
und zwei Engeln vorführt, und stellte auch »farbige
Entwürfe für dekorativeZwecke« aus, die eine Beweinung,
eine Bekehrung und mehrere Anbetungen in einer noch
undeutlichen Skizzenhaftigkeit zeigen. (Schluß folgt)
LICHTBILDERVORTRÄGE — KATALOGE DES BAYERISCHEN NATIONALMUSEUMS
LICHTBILD VORTRÄGE ÜBER
CHRISTLICHE KUNST
An guten Leistungen christlicherKunstauchinneuererZeit
fehlt es nicht; de.sto mehr an ihrer Kenntnis in weiteren
Kreisen. Längst ist das Lichtbild und der dieses erläu-
ternde Vortrag in den Dienst der Kunstbelehrung gestellt
worden, meist ledoch nur zugunsten der Prol'ankunst.
Doch haben sich auch einige Kenner und Freunde der
christhchen Kunst der Propaganda für sie gewidmet.
Seit einiger Zeit hat sich ihnen unser Berliner Slitarbeiter
Dr. Hans Sclimidkunz zugesellt.
Dem Vortragenden kommt es hauptsächlich darauf
an, e i n e r s e i t s den Gegensatz einer im eigentlichen Sinne
religiösen gegen sonstige Kunst, sowie gegen eine nur
scheinbar religiöse Kunst, anderseits den Gegensatz
einer wahrhaft künstlerischen religiösen Kunst gegen die
vielbeklagte teils süßliche, teils rohe Richtung zu betonen.
Dabei soll gewöhnlich eine Beschränkung auf die Zeit
seit Beginn des 19. Jahrhunderts, also seit dem
den Indifferentismus des 18. Jahrhunderts überwinden-
den .\ufschwunge des religiösen Lebens, stattfinden,
mit Umfassung sämtlicher bildenden Künste und mit
besonderem Nachdruck auf die noch wenig bekannten
neuesten Bestrebungen.
Der \'ortragende bevorzugt Zyklen von mehreren Vor-
trägen, entsprechend dem großen Umfange selbst nur
der neueren religiösen Kunst, und ist auf Wunsch auch
zu einer Erweiterung des Gebietes auf frühere, nament-
lich deutsche Kunst, bereit. Örtliche und landschaft-
liche Besonderheiten mit jeweiliger .■\npassung an den
Hörerkreis sollen berücksichtigt werden.
Die Vorträge befleißen sich, wo nicht reine Fach-
interessen in Betracht kommen, einer gemeinverständ-
lichen Fassung; sie bemühen sich, in Gehalt und Sprache
der Kunstwerke bildend einzuführen. — Für die hohen
Festzeiten werden eigene Bilderreihen zusammenge-
stellt, so für I.Weihnachten (samt Neujahr und Epiphanie),
2. Ostern, 3. Pfingsten samt anschließenden Festen).
Gegebenenfalls kommen auch sonstige, namentlich >ikono-
graphische«, Spezialthemen zur Behandlung; beispiels-
weise »Die Gottesmutter in der neueren Kunst«.
Ein Verzeichnis der vorzuführenden neueren Künstler
und Auskunft über alles Nähere gibt Dr. Hans Schmid-
kunz (Postadresse : Berlin-Halensee).
Ist die ältere reUgiöse Kunst als Hauptbestandteil der
älteren Kunst überhaupt verhältnismäßig gut bekannt
und auch leicht zugänglich, so handelt es sich dagegen
hier um einen neuen und für die christliche Kunst der
Gegenwart nicht unwichtigen Versuch, dessen Schwierig-
keit und Kosten zugleich den Wunsch rechtfertigen,
diesen Bemühungen sowohl im Interesse der Sache selbst
wie auch der verschiedenen Vortragsvereine u. dgl. ent-
sprechend entgegenzukommen.
DIE KATALOGE DES BAYERISCHEN
NATIONALMUSEUMS
Won dem Gedanken ausgehend, daß das Bayerische
Nationalmuseum keine tote Ausstellung sein soll, die
von Tausenden oberflächhch betrachtet wird, sondern
eine lebensvolle VVerkstatte des Studiums, der Bildung
und geistigen Anregung, hat schon der bekannte Kultur-
historiker Wilhelm Heinrich von Riehl es als eine der
wichtigsten Aulgaben dieses vaterländischen Instituts er-
kannt, die reichen Sammlungsschätze durch Kataloge
den Forschem, Künstlern, Kunst- und Geschichtsfreun-
den zu erschließen.
Im Laufe von rund 20 Jahren sind zehn Bände des
Kataloges erschienen. Band I (1887), bearbeitet von
Josef Alois Mayer, bildet den Katalog der Büchersamm-
lung; Band II (1887), ebenfalls von J. A. Mayer verfaßt,
behandelt die » .-Abbildungen und Handzeichnungen zur
Kultur- und Kunstgeschichte Baverns«; Band III (1896),
von demselben Verfasser >Die Abbildungen und Hand-
zeichnungen zur Allgemeinen Kultur- und Kunstge-
schichte; Band IV, die vorgeschichtlichen, römischen
und merovingischen Altertümer, wurde bearbeitet von
Dr. Georg Hager und J. A. Maver. Er zeichnete sich
durch die für seine Zeit besonders reiche bildliche Aus-
stattung durch 27 Tafeln mit mehr als 550 Abbildungen
aus. Mit Band V (1890) und Band VI (1896) setzte die
Bearbeitung der reichen Bestände der Sammlung an
mittelalterUchen Kunstwerken ein. Band V, welcher die
»Romanischen Altertümer« umfaßt, wurde herausgegeben
von Dr. Hugo Graf Seine illustrative .\usstattung mit
112 .\bbildungen auf i; Tafeln gibt ein gutes Bild von
dem Werte und dem Reichtum des .Museums an früh-
mittelalterlichen Architekturteilen, figürlichen Bildwerken
und Kleingeräten, namentlich Metallarbeiten.
Die Saramlungsschätze an gotischen Altertümern, die
zu dem stolzesten Besitz des Museums zählen, sind so
außerordentlich zahlreich, daß eine Teilung des Materials
sich als notwendig ergab.
Band VI umfaßt nur die »Gotischen Altertümer der
Baukunst und Bildnerei«. Er wurde bearbeitet von Dr. Hugo
Graf, Dr. Georg Hager und J. A. Mayer. Auf 29 Licht-
drucktafeln sind rund 350 Abbildungen, also etwa ein
\'iertel der Bildwerke in größtenteifs genügend großen
Reproduktionen gegeben. Die Veröffentlichung der übri-
gen gotischen .■Mtertümer, .Möbel, Geräte und Klein-
kunst ist einem eigenen Kataloge zugedacht.
Durch die Schaffung des Neubaues, die Xeuaufstel-
lung der Sammlungen und die damit zusammenhängen-
den Verwaltungsgeschäfte trat ein mehrjähriger Stillstand
in den Katalogsärbeiten ein.
Erst 1907 wurde unter dem stellvertretenden Direktor
Dr. Georg Hager die Pubhkation der Kataloge wieder
energisch betrieben. Im Frühjahr 1908 konnten zwei
Bände erscheinen: Band \'1I, die Altertümer des bürger-
lichen und Strafrechts behandelnd, noch unter der früheren
Direktion vorbereitet, verfaßt von Dr. W. .M. Schniid, mit
86 Textabbildungen ausgestattet; Band VIII, den Ge-
mäldekatalog bildend, bearbeitet von Professor D. K.
Voll, Dr. Buchheit und Dr. H. Braune, mit 85 Abbil-
dungen mit 75 Tafeln. Im Juli 1908 wurde als Band IX
der »Katalog der Glasgemälde« ausgegeben, verfaßt von
Dr. Johannes Schinnerer, ausgestattet mit 40 Kunstdruck-
tafeln. Im Oktober 1908 endlich folgte Band X, wel-
cher das europäische Porzellan enthält. Bearbeitet von
Dr. Friedrich H. Hofmann, gibt dieser neue Prachtband
ein anschauliches Bild von dem reichen Bestand der Por-
zellanfachsammlung des Museums; 72 .Abbildungstafeln,
100 Textabbildungen und fünf Markentafeln illustrieren
den Text. Unter der Presse ist Band XI, ein Reper-
torium der Wittelsbacensis, d. h. eine Übersicht über
alle im Museum befindlichen Denkmäler und Erinne-
rungen des wittelsbachisclien Herrscherhauses, geordnet
nach den Linien des Fürstenhauses und innerhalb dieser
nach den regierenden Fürsten. In Vorbereitung ist ferner
ein Katalog der Miniaturen des 16. — 18. Jahrhunderts.
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Bildhauer Karl Fuchs in .München vollendete vor
den Kartagen ein »heiliges Grab« : Christus im Grab,
darüber zur .\ussetzung des Allerheiligsten in der auf
dem versiegelten Buch ruhenden Monstranz ein Strahlen-
kranz mit Fngelköpfchen, ferner zu beiden Seiten je ein
kniender Engel in betender Haltung. Die Figuren sind
vollrund in Holz. Das Werk fand beim Besteller, Stadt-
VERMISCHTE NACHRICHTEN — BUCHERSCHAU — PIONIER
pfarrer Dr. Leitner an Maria-Ramersdorf (München) und
bei der Gemeinde vollen Beifall.
Vatikanische Pinakothek. Die Gemälde des
Vatikans wurden im März in einer neueingerichteten
Pinakothek übersichtlich und wirksam untergebracht.
Die überaus kostbare Sammlung füllt sieben Säle im
Cortile del Belvedere ; sie ist leicht erreichbar.
Baden-Baden. Die Eröffnung der neuen Kunsthalle
erfolgte am 5. April mit der Eröffnung einer deutschen
Kunstausstellung.
Die Bildhauerschule Hans Sc hwegerle in
München beginnt am i.Mai und endigt am i. August.
Es soll in diesem Semester auch das Studium von Tieren,
wie Pferde usw. ermöglicht werden.
Medaillenkunst. Das Kgl. Münzkabinett in Mün-
chen erwarb jüngst sieben Originalarbeiten (Schaumün-
zen, Medaillen) von Hans Schwegerle.
Frühjahrausstellung der Münchener Sezes-
sion im Kgl. Kunstausstellungsgebäude am
Königsplatze. — Aus der Kollektion Rudolf Wilke f
(München) wurden für die Königliche National-Galerie
in Berlin folgende Handzeichnungen erworben: »Das
Verhör«, >Spiesser<, >Sittlichkeitsvergehen«, >Zum Preise
des Höchsten«, »Ein Pensionat«, »Naturschwärmer«,
»Ein Entschluß«. — Für die Sezessionsgalerie wurde
angekauft die Handzeichnung: »Betonarbeiter« von Hans
von Hayek in Dachau. — Verkäufe an Private ; Angerer,
Max, Schwaz (Tirol), »Tiroler Bauernhaus«, Ölgemälde;
Grom-Rottmayer, Hermann, Wien, »Aktstudie«, Ölge-
mälde; Habermann, Hugo Freiherr von, München, »Weib-
liche Zeichnung auf schwarzem Grund« ; Meyer-Basel,
Carl Theodor, Münclien, »Dämmerung«, Radierung und
»Ein Rahmen mit zwei Radierungen« ; l^iegel, Theodor J.,
München, »Die große Traube vom Lande Kanaan«,
Tempera; Schwedeier, Constance, Paris, »Nationalfest
in der Bretagne«, Ölgemälde; Wieland, Hans Beat, Mün-
chen, »Bach im Schnee«, Ölgemälde; Wolff, Eugen,
München, »Interieur D«, Ölgemälde und aus der Kollek-
tion H. Braun t (Karlsruhe) weitere vier Handzeichnungen:
»Alte Gasse in Hamburg«, »Zwei alte Häuser«, »Bi-
bliothek«, »Hinterhäuser«.
BUCHERSCHAU
Meister der Farbe. Europäische Kunst der Gegen-
wart in farbigen Reproduktionen. Abonnementspreis
für 12 Monatshefte 24 M. Einzelheft 3 M. Verlag E. A.
Seemann, Leipzig. Nr. 54 - 60 (Heft VI — XII des Jahr-
gangs 1908).
In den Galerien kann man die Kunst der Gegenwart
nicht annähernd vollständig studieren; will man sie richtig
verfolgen, so bedarf es vieler Ausstellungs- und Atelier-
besuche. Hierzu haben die wenigsten Kunstfreunde Zeit
und Gelegenheit, alle übrigen müssen sich vielfach mit
dem Studium von Reproduktionen begnügen. Für die
Profankunst der Gegenwart tut obige Publikation mit
ihren schönen Blättern gute Dienste. Wir finden je zwei
Bilder von Schwind und Uhde, Landschaften von Rüdis-
ühli, Paul Thiem, Koväcs, Kasparides, Benno Becker,
Bröl<er, Calame, Brände), Menzel, Thoma u. a., ein Strand-
bild von Lavery, ein Genre von Mac Even. Heft X ist
dem Neoimpressionismus gewidmet, den der Verfasser
des einführenden Textes jals ein quasi erstes Wort, als den
Anfang einer fruchtbaren Entwicklungsreihe c betrachtet.
Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben.
13. Band: Van Dyck. Des Meisters Gemälde in 557 Ab-
bildungen. Herausgegeben von Emil Schaeffer. Gebunden
M. 15. — (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt).
Das Lebenswerk Van Dycks lockt, ja nötigt zu Ver-
gleichen mit seinem gewaltigen Lehrer und dem größten
Meister Venedigs, auch mit der Bildniskunst des Velasquez.
Der Vergleich zeigt so recht augenscheinlich, daß, wie
Emil Schäffer bemerkt, »die geistige Potenz eines Künstlers
bei der Gestaltung eines Vorwurfs doch schwerer ins Ge-
wicht fällt, als die Ästhetiker des Tages zugeben«. Als
»Maler« im engeren Sinn stets bewunderungswürdig,
bleibt van Dyck hinter Rubens und Tizian um so weiter
zurück, je höher die Anforderungen gehen, die ein Thema
an das innerste Empfinden und an erhabenen Seelenflug
stellt. In den meisten seiner religiösen Darstellungen
bleibt die innere Empfindung hinter äußeren Gebärden
und einer sinnlich wohlgefälligen Malerei zurück und
auch seine glänzend gemalten, stets eleganten Porträts
dringen nicht über die äußere Erscheinung der Darge-
stellten in die Tiefen des Charakters vor. Den Höhe-
punkt seiner Bildniskunst bilden die in Italien gemalten
Porträts. Zu den Großen wird übrigens Van Dyck immer
zählen und sein Einfluß war in der englischen und
französischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts
groß. Man wird immer wieder gern in der oben an-
gezeigten Publikation blättern. Aigner
Fritz von Uhde. Eine Kunstgabe für das deutsche
Volk. Mit einem Geleitwort von Alexander Troll.
Herausgegeben von der Freien Lehrervereinigung für
Kunstpflege. Preis geheftet i M. — Verlag von Jos.
Scholz in Mainz.
Das Heftchen enthält 16 Vollbilder nach Werken
Fritz von Uhdes und zwei Skizzen. Es bezweckt, den
Künstler anläßlich seines 60. Geburtstages zu ehren und
seine Bilder im Volk bekannt zu machen. Die Repro-
duktionen lassen größtenteils zu wünschen übrig. So
lobenswert das Streben ist, die Kunst ins Volk zu bringen,
so darf doch der Wunsch, recht billige Publikationen
herzustellen, nicht von der noch wichtigeren Absicht ab-
lenken, lieber weniger, aber nur ganz Gutes zu bieten. S.
Die Katakombenheiligen der Schweiz. Ein
Beitrag zur Kultur- und Kirchengeschichte der letzten
drei Jahrhunderte. Von E. A. Stückelberg, Professor an
der Universität Basel. Jos. Kösel, Kempten und Mün-
chen. Preis brosch. 2.50 M.
Der gelehrte Verfasser hat sich schon mehrfach um
die Hagiographie verdient gemacht. In vorliegender
Arbeit (Oktav IV und 20 S.), die ein Titelkupfer und
sieben Tafeln .\bbildungen zieren, bietet er eine Zu-
sammenstellung der vielen Katakombenheihgen, deren
Leiber und Reliquien seit dem 17. Jahrhundert in der
Schweiz verehrt wurden. Kulturhistoriker und Hagio-
graphen finden hier manch wertvollen Fingerzeig.
DER PIONIER
MONATSBLATTER FÜR CHRISTLICHE KUNST.
Jahresabonnement inkl. Frankozustellung M. 3. — .
Inhalt des 8. Heftes:
Meine Bemuliungen um moderne Grabdenkmäler.
Von Anton Wenig. — Wie man Kunstsammlungen be-
sucht. Von Dr. Hans Schmidkunz. — Zur kirchlichen
Denkmalkunde. — Künstlerisches Sehen. — Anregungen
und Mitteilungen: Statisrik der Neuerwerbungen für Kir-
chen; Restaurieren; Wanderausstellungen — 6 Abb.
Redaktionsschluß: 15. April.
BEILAGE
VERMISCHTE NACHRICHTEN
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Der Verfasser des Artikels über den Zyklus von Wand-
gemälden aus dem Leben des hl. Thomas von Aquin
in der Dominikanerkirche zu Regensburg, kgl. Lyzeal-
professor Dr. J. A. Endres, daselbst, wäre für den Hin-
weis auf bestehende Thomaszyklen dankbar.
Mit den in dieser Beilage reproduzierten Arbeiten
schließen wir die im ersten Heft (Text s. S. 7 der Beil.)
begonnene Serie von Grabmalentwürfen junger Künst-
ler ab. Wir werden eine andere Serie zu gelegener
Zeit veröffentlichen.
Köln. Der Kunstverein gab im März neben anderem
Unbedeutenden mehrere Bilder von J. Bretz (Düsseldorf),
großzügig vereinfacht, und zwei sehr feine Winterstim-
mungen von M. Ciarenbach, von denen das Wallraf-
Richartz-Museum eine erwarb. Ferner kaufte es dort
aus einer Kollektion Trübner das Selbstbildnis des Künst-
lers als Einjähriger, und aus einer Sonderausstellung von
K. Weiss (Berlin) ein farbenprächtiges Stilleben und ein
zweites, dekorativ nicht minder hervorragendes Werk, das
Bild der Tochter des Malers. — Schulte hatte zunächst eine
Sammlung von MaxThedv, tvpischeMünchnerBilder, und
um deren wenig erfreulichen Eindruck wieder wett zu
machen, fügte er noch eine Anzahl Werke R. Siecks hinzu.
Nicht höher anzusetzen war die Ausstellung, die in der
zweiten Hälfte des Monats auf eine Kollektion geschmack-
voller Kostümbilder des Parisers A. de la Gandara folgte,
manche ganz lustige Bilder A. Hengelers, leider zum großen
Teile etwas sehr fabrikmäßig hergestellt, dann mehrere
Landschaften R.Kaisers und endhch einige Bilder von
Tbeod. Winter. Dr. H. Reioers
Barmen. Der Kunstverein versendet soeben
Jahresbericht, der uns beweist, welchen erfreu-
hchen Aufschwung auch im letzten Jahre der
Verein unter dem neuen Regime genom-
men hat. Von den Ausstellungen war die
interessanteste jene, die uns die altbergische
Innenkunst kennen lehrte und bekannt machte
mit den modernen Kunstwerken aus Barmer
Privatbesitz. Über die Ausstellung wurde
bereits ausführlich berichtet (Jg. 1909, Nr. i).
In Sonderausstellungen waren außerdem im
Laufe des Jahres vertreten Charles Palmie-
München, Eugen Kampf- Düsseldorf, Oskar
Zwintscher-Dresden, S. Moulyn-Laren, Eduard
Jakobs-Laren, Walter Ophey-Düsseldorf, Ernst
te Peerdt-Düsseldorf, Martin Brandenberg und
Hans Baluscheck-Berlin, H. von Zügel, ferner
die Düsseldorfer Künstlerverbindung Xiedcr-
rhein und die Freie Vereinigung Darmstädter
Künstler. Als neue Werke wurden für die
Galerie erworben: Oskar Zwintschers »Me-
lodie«, ein Stilleben von Charles .Schuch,
>Stille Mondnacht« von J. G. DrcydürfT, »Pfau-
en im Schnee« von R. Schramm-Zittau und
die beiden Bronzen Max KUngers »Salome«
und »DieBadende«. Die Besucherzahl der Aus-
stellungen ist von 6085 des Vorjahres auf
20867 gestiegen, gewiß ein glänzender Er-
folg. Die Mitgliederzahl des Vereins betrug
Ende 1908 1 149.
Dan zig. In den Räumen des ehemali-
gen Franziskanerklosters (heute Stadt-.Museuni)
ist die 39. Kunstausstellung veranstaltet,
welche dort bis zum 16. Mai verbleibt. Der
Katalog weist drei Gruppen auf: Ölgemälde,
Lithographien, Plastiken. Träger der Ausstel-
lung ist der Kunstverein zu Danzig. der außer zeitweiligen
Samnielausstellungen jedes zweite Jahr eine größere Aus-
stellung von Werken erster Meister veranstaltet. In diesem
Jahre haben nicht weniger als 500 Künstler ihre Bild-
werke zur Ausstellung gesandt, so daß die Leitung der-
selben keine geringe Mühe hatte, alles am geeigneten
Platze unterzubringen. Der Impressionismus tritt selbst-
bewußt auf und sticht ganz auffällig von den Erzeug-
nissen älterer Meister ab. Aufzahlreichen Flächen machen
sich lebhafte . ja grelle Farbentöne bemerkbar , und
naturgemäß überwiegen Landschafts- und Stimmungs-
bilder. Einige Künstler haben aber auch Motive gewählt,
mit denen dem Kunstsinn wenig gedient ist. Es sei nur
an Corinths Gemälde: »Geschlachtete Schweine« erin-
nert. Man sieht zwar an einem Querholze einen geöfi-
neten Tierleib hängen; aber er scheint von einem Kalbe
oder jungen Rinde herzurühren. Mögen auch die Farben-
töne der Muskeln und namentlich des dunkeln Blutes
gut getroffen sein ; zu einer Studie eignet sich der Vor-
wurf wie jeder andere, aber als Bild wird er einen gebil-
deten Menschen abstoßen, und darüber hilft auch die
vollendetste Technik nicht hinweg. Es fehlt nicht an
bedeutenden Werken auf der Ausstellung, aber auch nicht
an schüchternen Versuchen, deren weniger glückliche
\\'iedergabe auch dem ungeübten und weniger scharfen
Blicke auffällt. Religiöse Darstellungen fehlen fast ganz.
Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen, und so
findet auch die Danziger Kunstausstellung Verehrer und
Liebhaber, wie die an vielen Gemälden vorhandenen
Zettel mit der Aufschrift: »Verkauft« beweisen. In der
zweiten Abteilung (Lithographien, Radierungen, Holz-
schnitte, Hand- und farbige Zeichnungen) sind insgesamt
216 Werke ausgestellt, w-ährend die Plastiken 107 Gegen-
stände umfassen. Alle bedeutenderen Kunststätten haben
ihre Erzeugnisse hergesandt: Dresden, Berlin, München,
Düsseldorf, Charlottenburg, Breslau. Selbstredend fehlt
LUDWIG EBERLE
GRABUALSKIZZE
Das Figürlickt als Maltrti ^idacht
VERMISCHTE NACHRICHTEN
LUDWIG EBERLE
F.imilirttcral,
GRABMALENTWURF
Koloidt' s;c dacht
LUDWIG EBERLE
GRABMALENTWURF
Danzig nicht, und auch Ost- und Westpreußen haben
ihr Bestes zur Ausstellung geschickt, die sich eines be-
friedigenden Besuches erfreut. Der Kunstverein Danzig
kann mit der diesmaligen Ausstellung zufrieden sein und
wird hoffentlich die großen Unkosten, welche nun ein-
mal damit verbunden sind, aus dem Eintrittsgelde decken
können. H. Minkowski
München. Professor Martin Feuerstein voll-
endete im März für den Antoniusaltar der neuen Kirche
zu Haslach, einem Vorort von Freiburg i. Br., ein Altar-
gemälde. Es schildert den hl. Antonius voti Padua, wie
er Brot an die Armen verteilt. Der Altar wird aus Bei-
trägen von Wohltätern errichtet, die selbst der Klasse
der mit irdischen Gütern nicht Gesegneten angehören.
— Zu gleicher Zeit lühnc der Künstler das erste Gemälde
eines Zyklus von sechs Bildern für Villingen in Baden, die
Vermählung der hl. Jungfrau, der Vollendung entgegen.
Plakatkonkurrenz. In dem Wettbewerb für ein
Plakat zur Großen Deutschen Kunstausstellung in Wien
1909 erhielt M.üer Friedricli Wirnhier den I.Preis,
Heinrich Rettig den IL, KonstantinKorzendörfer
den III., sämtliche in München.
Kgl. Akademie der bildenden Künste in Mün-
chen. In München wuide 1781 eine kurlürstlii;lic Schule
für Malerei, Bildhauerei und Zeichnen gegründet. Sie
wurde am 13. Mai 1808 zur >K. Akademie der bildenden
Künste« erhoben, doch mußten größere Räume geschafien
werden und deshalb wurde die Lehrtätigkeit der'Al;ademie
erst im folgenden Jahre aufgenommen. Jüngst — am
13. Mai — beging die Akademie die Feier ihres hundert-
jährigen Bestehens. Dem Festakt im Kgl. Odeon wohnte
S. K. H. der Prinzregent mit den Mitghedern des Kgl.
Hauses bei. Anläßlich dieser Feier wurde der Akademie
als Lehr- und Bildungsanstalt die Eigenschaft einer Hoch-
schule verliehen; auch erfolgte eine Reihe von Ordens-
auszeichnungen.
Neue Kronleuchter. Für die Kirche in Kneut-
tingen i. Eis. (bei Metz) fertigte die Kunstschlosserei von
Jos. Frohnsbeck (Franz Frohnsbeck) zwei schmiedeiserne
Kronleuchter für Gasbeleuchtung. Sie sind im Barock-
stil sehr reich ornamentiert und haben einen Durchmesser
von 5,50 m.
Historienmaler Ludwig Thiersch starb in der
Nacht auf den 11. Mai zu München im 85. Lebensjahre.
Thiersch studierte an der Münchner Akademie zuerst
Bildhauerei unter Schwanthaler, ging aber später zur
Malerei über und war Schüler von H. Heß, Schnorr
von Carolsfeld und Schorn.
Eine neue Serie von Andachtsbildchen nach
Gemälden hauptsächlich neuerer Meister ver-
öffentlicht soeben die Gesellschalt für christhche Kunst.
Zusammen mit den erst unlängst erschienenen 25 Dar-
stellungen sind nunmehr 50 Nummern in künstlerischem
Vierfarbendruck zur Ausgabe gelangt. Preis pro Serie
(25 Stück) Mk. I. — , pro Hundert Mk. 2.50. In Bezug
auf technische Wiedergabe stellen die Bilder der letzten
Serie mustergültige Leistungen dar. -Ebenso dürfte die
Wahl allseits gebilligt werden.
T r a u e r - A n d e n k e n an den verstorbenen Erz-
BUCHERSCHAU
45
bischof Dr. Frz. Jos. von Stein hat die Gesellschaft
für christliche Kunst herausgegeben, mit denen sie zweifel-
los die hohe Würde des Münchner Oberhirten geehrt
hat. Diese Bilder sind eine völlige Neuerung auf dem
Gebiete der Trauer-Andenken, da bei deren Herstellung
die neuesten Fortschritte der Autotyp-Reproduktionstech-
nik Verwertung fanden. Preis pro Stück lo Pfennig,
pro Hundert i\lk. 5. — .
Köln. Das Beste der letzten Wochen bietet augen-
blicklich Lenobel, nämlich eine vorzügliche Kollektion
von Karl-Hofer-Paris. Sie zeigt uns den jüngsten Stil
dieses außerordentlich interessanten und eigenwilligen
Künstlers, den Stil, den er in Frankreich im letzten Jahre
unter dem Einfluß des Cezanne und Rodin ausbildete.
Seinem Streben nach Dekorativem kam es sehr zu statten,
daß er den Wert der Farbe kennen lernte. Aber da-
neben vernachlässigte er nicht die Linie und hat sich
immer großzügiger entwickelt, ist dabei aber nicht von
Gewalttätigkeiten frei geblieben. Namentlich die Richtig-
keit der Zeichnung scheint ihm wenig wichtig zu sein.
Außer dieser Kollektion bietet der Salon mehrere inter-
essante und feintonige Frühbilder von W. Leistikow,
eine Anzahl Landschaften von R. Dumler (Frankfurt) und
vorzügliche graphische Sammlungen von R. Fischer,
W. Zeising und G. Erler, sämtlich aus Dresden. — Der
Kunstverein hat in Dr. A. Fortlage einen neuen Leiter
erhalten, der an Stelle des verstorbenen J. Winkel ge-
treten ist.
Marienlüster. Auf Veranlassung des kunstsinni-
gen Pfarrers Schilling erliick die Pl'arrkirche zu Bösen-
rc'utin am Bodensee einen in Messing getriebenen Lüster,
dessen Mittelpunkt die Stehfigur der Madonna einnimmt.
Das Prachtstück ist entworlen und ausgeführt von
Rudolf Harr.ich (Firma Harraclr Sc Sohn) in Mün-
chen; das Modell zur Madonna schuf Bildhauer Kuo lt.
BUCHERSCHAU
Von Kunst und Christentum. Plastik und Selbst-
gefühl. Von antikem und christlichem Raumgefühl.
Raumbildung und Perspektive. Historisch-ästhetische
Abhandlungen von Felix Witt ing. Straßburgi.E. 1903
(J. H. Ed. Heitz & Mündel.) 8°. 100 S. M. 2.50.
Jede Arbeit, die die christliche Kunst tiefer als bloß
ikonographisch definiert, muß uns heute willkommen
sein. Das Ikonographische, in dem ja schon Beträcln-
hches geleistet ist, konnte uns nur das Material her.iii-
schaffen und es dann im g.anzen sichten; das Wesen,
die »Psyche« der christlichen Kunst liegt feiner im Innern
versteckt; die christliche Kunst ist das Kind einer ganz
neuen Zeit und was diese zu sagen hat, sagt sie nur
am wenigsten durch ihre neuen Themata, am meisten
durch ihre neuen Proportionen, in denen sich aucli
hier wie in jeder ganzen Kirnst das Auf und Ab des Zeit-
geistes mit mathematischer Genauigkeit widerspiegelt.
Von dieser sehr richtigen Überlegung ist auch der
Verlasser ausgegangen; daß er die christliche Kunst
nicht oberflächhch aufgefaßt hat, beweisen schon die
Titel der drei Abhandlungen. Hs ist durcliaus passend,
von dem an .sich »Unplastischen" der christlichen Kunst
meinetwegen im Gegensatze zu der »geformten« (n.VaoiKOJj
Kunst des griechischen 4. Jahrhunderts (Polyklet —
Parthenon) zu reden. Aber der Verfasser ist darin ein-
seitig, daß er das Ewige, aus sich Verfließende gegen-
über dem antiken »Quadraten«, in sich Geschlossenen
nur im Relief sehen will, aus dem sich die (Jcstalt nie-
mals herauslöst, weniger im »StotV«, im allgemeinen.
So kommt er gleich in seiner mit der modernen Kunst
sich abgebenden Einleitung zu dem so schiefen Begriffe
der »StofTnegierung« bei Rodin. Überhaupt ist Ver-
fasser in viel zu starkem Grade ein Schüler von dem
das Relief bevorzugenden »Problem der Form« Adolf
Hildebrands, mit dem er die ganze christliche Plastik
und die Architektur erklären will. Daher ist auch der
Kontrast zwischen »Antike« und »christhcher Kunst«
aufs schrecklichste schematisiert; zur »Antike« gehört
ihm auch Ägypten, das doch in seiner »L-ngeformtheit«
schon ganz ähnlichen Stilprinzipien, wie die christhchc
Kunst, nachging und das wir als den »Romantiker« des
Ahertums kennen; anderseits ist ihm die itahenische
Renaissance wieder ganz »romantisch« in ihrer Stil-
sprache, da sie zufällig in ein christliches Säkulum fällt;
so wird die prinzipielle Antithese von »Antike« und
»christlicher Kunst« viel zu schnurgerade durch die
Jahrhunderte lieruntergehetzt; immer gleichmäßig kon-
statiert der Verfasser nur diesen einen Gegensatz, ohne
der Entwicklung auch nur irgendwo weder in der
klassischen noch in der romantischen Kunst gerecht zu
werden.
Auf diese Weise bringt es Verfasser zu der doch recht
unhistorischen Absurdität, jede Bande zwischen christ-
licher und antiker Kunst stracks zu leugnen; er will
damit in der Kunstgeschichte eine Revolution, keine
Evolution.
Zu diesem sonderbaren Resultate kommt er auch
noch durch seine verfehlte Detailniethode. Obwohl er
psychologisch-stilistisch untersuchen will, bedient er sich
des Rüstzeuges der theologischen Ikonographie. Witting
GU.\B.\1.\I.SKI/ZE
BUCHERSCHAU — DER PIONIER
FRANZ GUNTERMANN GRABDENKMAL
niinnit ein Dogma, einen Ritus und leitet Javon den
neuen Raum oder die neue Plastilc ab ; diese Art wäre
selir angebracht, die theologisch- dogmatischen Bezieh-
ungen eines Mosaikbildes zum Baptisterium , das prak-
tische Verhältnis von Zeremoniell und Architektur usf.
zu erörtern; doch bei einer stilpsychologischen Unter-
suchung ist solche detailisierende Methode durchaus
verl'ehlt. Diesen kleinen Einzelschlüssen fehlt die
zwingende Notwendigkeit ; sie lassen sich leichthch so
und so wenden.
Man darf doch nicht vergessen, daß künstlerische
und religiöse Bildung im Christentume nicht nach-,
sondern nebeneinander hergingen 1 Ein Dogma,
d. h. eine konsolidierte Glaubenserkenntnis oder ein
Ritus, d. h. eine konsolidierte Lebenserkenntnis haben
noch niemals eine neue Kunstanschauung gezeitigt.
Diese ist genau so wie jene ein Kind der neuen Zeit-
Stimmung. Abendmahl und Taufe, mit deren ver-
meintHchem stilistischenEinflusseWitting') so entscheidend
operiert, stammen aus dem Neuen Testamente, eben-
dorther die allgemeineren Oberbegriffe Ewigkeit und
UnendHchkeit, die in der Kunst jetzt das entscheidende
Wort haben. Abstrakte Definitionen dogmatischer Natur
können direkt als überhaupt einer ganz anderen Begriffs-
kategorie angehörig niemals etwas mit der Kunst als
formales Gestalten gemein haben.
Es bleibt also doch noch eine >Psychologie der christ-
lichen Kunst« zu schreiben; sie müßte denn vor allem
auch in universalerem Maßstabe gehalten sein, als es
der Wittingsche Essay wollte: als Vorarbeit wäre vor
allem die ganze Antike (einbegriffen der orientalischen
Kunst) auf ihre psychologischen Wellen zu prüfen : es
würde sich dann u. a. z. B. herausstellen, daß wir ganz
der christliclien Kunst ähnliche Tendenzen in Ä.gypten,
im Hellenismus (Lysipp — Pergamon) u. s. f. vor uns haben,
wälirend anderseits kurz vor dem definitiven Siege der
neuen Weltanschauung noch einmal unter Augustus der
Idassische Formalismus seine Renaissance feiert. Dann
müßten womöglich mit genauen Messungen die Propor-
tionen der Plastik und Architektur, auf dem Reißbrette
die Fluchthnien der Perspektive, welch letzteres aller-
dings Witting erfreulicherweise auch schon, getan hat, in
den verschiedenen Jahrhunderten festgestellt werden u.s.f
Wenn auch Witting noch nicht wissenschaftlich uns
um dies oben angedeutete große Stück vorgebracht hat,
so kann man ihm doch nur dankbar sein für das doch
auch recht oft Tüchtige (was besonders in dem letzten
Abschnitte über die Perspektive usw. hervortritt) seiner
Anregung; und sein Essay, als was sich ja das Büchlein
schon in der Form erweist, will ja auch nicht mehr
sein, und damit hat es seinen Zweck eri'üUt. hce.
Der Kaiser-Dom zu Frankfurt am Main. Mit
76 Illustrationen. Frankfurt a. M., Druck und Verlag
von Peter K reuer. Preis M. i. —
Bei der historischen Bedeutung, welche dem Frank-
furter Dome eigen ist, wird jeder Kunst- und Geschichts-
freund, der die anziehende Mainstadt besucht, gerne des
vorliegenden Büchleins sich bedienen, das nach eigener
Angabe niclits weiteres beansprucht, als ein brauchbarer
Führer durch das ehrwürdige Gotteshaus zu sein. Dieser
Aufgabe entsprechend, werden all die alten und neuen
Kunstwerke des Domes, der nach dem Brande d. J. 1867
eine gründliche Restaurierung erhielt, verzeichnet und
kurz geschildert. Die ursprünghchen Denkmäler sind
leider nicht sehr zahlreich; viele der gotischen Altäre
wurden auswärts erworben und stehen demnach mit
Frankfurts früherer Kunst in keinem Verbände. Dafür
zeigt der neue, reiche Wandbilderschmuck (nach den
Entwürfen von Ed. v. Steinle) um so enger mit Frank-
furts Geschichte und Kunstleben rühmlich sich verknüpft.
Wer eingehender mit der Baugeschichte sich vertraut
machen will, greife nach den Publikationen von K. Wolf
und A. M. Benevolus, die auch dem vorliegenden Dom-
Führer zur verlässigen Grundlage gedient haben, m. f.
Eastlake, Charles Lock. Beiträge zur Ge-
schichte der Ölmalerei. Ins Deutsche übertragen
von Dr. Julius Hesse. Wien und Leipzig, A. Hartleben.
21 Bogen, Groß- Okt. In Farbendruck-Umschlag geh.
7.30 M., eleg. geb. 9 M.
Der Zweck des Buches ist, die Tatsachen und Quellen
so weit wie möglich bekannt zu machen, so daß man
sich eine richtige Vorstellung von Ursprung und Zweck
der beschriebenen Verfahren bilden und den Einfluß
selbst einer primitiven Technik beurteilen kann. Die
Übersetzung ist leider an einigen nicht unwichtigen
Stellen nicht getreu genug. k. h.
*) Witting entwickelt hicrüb«
recht sonderbare .^nsciiauungen,
chelhaft sind. Die Redaktion.
insbesondere über da
e für das Chr
.Abendmal
nicht sehn
DER PIONIER
MONATSBLÄTTER FÜR CHRISTLICHE KUNST
Jahresabonnement inkl. Frankozustellung M. 5. — .
Inhalt des 9. Heftes:
Über Glockenstühle und Türme. Von Hugo Steffen.
— Von den .Ausstellungen dieses Jahres. — Anregungen
und Mitteilungen. — 6 Abbildungen.
Redaktionsschluß; 15. Mai.
BEILAGE
AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN
AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN
Mehr als je wecfiseln die großen Serienausstellungen
einander ab, su daß nur für ganz vereinzelt vor-
trerl'liche WerUe die Aufmerksamkeit geweckt wird.
Karl Bios füllte einen ganzen Saal mit seinen Bildern
aus allen Zeiten seines Schafiens. Wir kennen ja
schon die meisten seiner Schöpfungen von den großen
Ausstellungen her; immerhin ist es erfreulich, an der
Hand des einzelnen den Werdegang des nunmehr
völlig gereiften Künstlers kennen zu lernen. Eine ab-
geklärte Ruhe und gewisse kühle Vornehmheit liegt als
zarter Hauch über allen diesen Interieurs, Studienköpfen
und Porträts, die bravourmäßigc Behandlung der Tech-
nik, das wilde Draufgängertum ist hier nirgends zu
linden ; da schützt den Künstler seine heilige Scheu
vor der Zeichnung und dieses gewissenhafte testhalten
der Form, das Bestreben, in zielbewußten Linien den
Dingen Verkörperung zu geben und dies alles sogar
der -Malerei mehr oder weniger unterzuordnen, gibt
den Bildern und Studien Bios etwas Klassisches, das
an die alten Meister erinnert. Köstlich sind das
liübsche Schwarzwaldmädchen, der Wanderer, die
Geigenspielerin, vor allem einige Bildnisse, unter denen
sein Selbstporträt mit am feinsten gelungen iii.
Von Otto Strützels feinsinniger Auffassung der
oberbayerischen Landschaft ist an dieser Stelle schon
mehrfach dieRede gewesen, das Isartal, dann Dachau und
.Schleißheim ist seine Domäne, und hier wieder vertieft
er siv.h gern in den Zauber vormärzlicher Tage, wenn
das Grün eben zu sprossen und zu keimen beginnt.
Eine solche großzügige Landschaft war wieder unter
den zahlreichen sonstigen Motiven mit das Beste und
Ergreifendste.
Auch eine Erinnerung an die Diez-Schule bedeutete
die umfangreiche Ausstellung des bisherigen Lebens-
werkes W. Räubers. Er ist heute als Sechziger zum
erstenmal in dieser Weise aufgetreten und das mit
einem vollen Erfolg. Welch ungeheurer Reichtum
von Können steckt doch in diesen Porträts, die Räuber
schon als Akademiker gemalt, an Reifheit und Abge-
schlossenheit sind sie alten Meistern gleichzustellen.
Wir haben schlechterdings heute wenige Künstler, die
ein Bildnis von solcher l-einheit der Zeichnung, der
Farbe und des Tones zu malen verstehen, wie etwa
das Bildnis der Mutter des Künstlers, oder dasjenige
seines Bruders, das des Studenten in gesticktem Cerevis,
dann das Porträt des Kommerzienrates Schichau, die
vornehmen, eleganten Frauenbildnisse, u. a. die Gattin
Heinrich Knotes. Auf historischem Gebiete, dem heule
längst verpönten, bewundert man mit Fug und Recht
>Die Einnahme von Magdeburg durch den großen
Kurfürsten« ein der Berhner Xationalgalerie gehörendes
Bild, das trotz seiner unendlich vielen Einzelheiten im
Gesamtton als ein einheitliches Ganzes erscheint. Wer
würde heute sich noch die Zeit nehmen, ein solches
Werk zu beginnen? Unsere rasch fertigen Maler
nehmen sich überhaupt keine Zeit mehr, ein Bild aus-
reifen zu lassen. Diesem Historienbilde schließen sich
noch mehrere an, wie »Der Tod (iustav .\dolfs«, dann
die reisenden »Kaufleute aus alter Zeit« etc. .-Ulbekannt
ist ja ein Hauptwerk des Künstlers, »der hl. Hubertus«,
das ihn auch von einer freien, unabhängigen Seite
zeigt und die (Qualitäten der Diez-Schule ohne Schaden
vermissen läßt.
Max Gaisser brachte eine reiche Ausbeute von
reizenden Motiven und Studien aus Brügge und Um-
gebung, die so recht erkennen lassen, welche Fülle
von Schönheiten in den idyllischen Städtchen Alt-
flanderns verborgen sind. Mit überraschender Sicher-
heit hat Gaisser d.is Gute und Schönste hervorgeholt
und in liebevoller Beobachtung, durchdrungen von
poesievollem Geiste, kleine Perlen delikater Malerei
geschaffen.
Damit auch der Patriotismus in der Kunst zum Aus-
druck gelange, stellte man die zehn Schlachtenbilder
aus, die vom Prinzregenten dem Armeemuseum ge-
stiftet wurden. Es sind dargestellt die Heldentaten der
Max-]oseph-Ritter im letzten Kriege, ferner diejenigen
des Prinzen Leopold und des Generals von Nagel.
Mit gewissem illustrativen Geschick, das liier nicht zu
umgehen ist, wurden die Ereignisse geschildert, viel-
mehr erzählt und keiner der Verfertiger konnte den
Dingen einen größeren monumentalen Gehalt, der
auch im kleinen Maßstab möghch ist, verleihen. Gerade
solche Themata könnten durch hohe Auffassung nicht
allein gerettet, sondern für unser heutiges Kunstgefühl
genießbar gemacht werden. Als .Maler der Bilder sind
zu nennen: Ludwig Putz, Karl Becker und
Anton Ho f f m a n n.
In den anderen Sälen erfreuten in gleicher Woche
ein großes Bild aus dem Moos von Josef Wenglein,
Landschaften von Hans Klatt, Tiedjen und
Fei ix Eisengrä ber.
Im Zusammenhang mit der Propaganda für die
Gründung eines zoologischen Gartens in München wurde
auch eine Ausstellung veranstaltet mit dem Motiv:
„Das Tier in der bildenden Kunst". Es sollte in
erster Linie die große Bedeutung der Errichtung eines
Tiergartens für die Kunst der Tierbildnerei festgelegt
werden. Und in der Tat, es gibt heute eine umfang-
reiche Zahl Künstler, die sich ausschließlich dem
Studium des Tieres widmen und auch Freunde für
ihre Arbeiten finden, man denke nur allein an
H. v. Zügel und seinen großen Kreis der Nachahmer.
Die Ausstellung war recht mannigfaltig und frisch, es
war unendlich viel zusammengetragen, ja sogar zu
viel, so daß eine klare Übersicht über die einzelnen
Kunstziele auf diesem Gebiete nicht recht ersichtlich
war. Neben der reinen Öl- und Aquarellmalerei
kam auch die Zeichnung, der Holzschnitt, der Stein-
druck, vor allem auch die Plastik zu Wort, bis zur
Porzellan- und Fayencegruppe. Unter den Malereien
ragte selbstverständlich H. v. Zügel hervor, mit
Löwen, Tiger und Geflügel, die gewissermaßen als
Programmbilder zu betrachten waren. Über die Kunst
dieses Meisters noch heute sich zu äußern, ist über-
flü.ssig, wir kennen ihn alle und wissen auch, daß
seine jetzige Manier nicht gerade im günstigen Sinne
seine frühere Art des Sehens und Malens übenritlt.
Charles Tooby, ein sehr gewandter und ge-
schikter Vertreter des Tierfaches, haben wir an einer
anderen Stelle dieser Zeitschrift schon eingehender er-
wähnt. Wilhelm Kuhnert und Richard Friese
waren als Berliner Gäste mit Löwen- und Llefanten-
bildern vertreten. Von Bruno Liljefors, den wir
ebenfalls schon bei Gelegenheit seiner Kollektivaus-
stellung würdigten, sahen wir aus der Galerie
Th. Knorr: »Jagende Hunde im Schnee« und einevor-
trefiliche »Auerhenne«. Diesem ausländischen Künstler
folgten dann der ganze Stab der Zügel-Schüler, lerner
Schranim-Zi ttau, Tiedjen, Thomann, Otto
Strützel, Kersch ensteiner, P. Neuenborn,
A. Bachmann, H. Urban, F. Oßwald, l.B.Neu-
haus, H.v. Ha veck, D. Holz, H.Gräßel, V.Mal I ei ,
H.Linde, M. Feldbauer, C. Thal! n: aier, B.Will-
niann, P. Leuteritz usw., die alle mit hervorragen-
den Leistungen da waren.
Neben einer trelTlichen Kollektion idyllisch liebens-
würdiger Landschaften von Rudolf Sie ck, die in
ihren zarten Tönen etwas Traumverlorenes haben,
trat als Gegensatz der norddeutsche Landschalter
Karl Heßmert auf. Eine kraftvolle, mehr heibe als
derbe Art bekundet alles, was unter seinen Händen
46
DANZIGER KUNSTBRIEF
entsteht, namentlich sind die Winterbilder von einer
Frische und Unmittelbarkeit, wie wir sie nur bei
eini<ren hervorragenden Schweden wiederfinden. Nur
die "Fülle des Gleichmäßigen ließ nicht die volle
Freude in diesen prächtigen Stücken aufkommen.
Zwei Nachlässe ließen erkennen, daß die Welt in
der Schät7ung der Werte manchmal ungerecht ist. So-
wohl bei M. Schaltegger als auch bei A. Marcks
fmden sich Arbeiten, die auf ein hohes künstlerisches
Niveau hinweisen. So manches Bildnis des ersteren,
wie so manche wundervoll gezeichnete Landschaft des
letzteren dürfte einer Galerie zur Zierde gereichen und
doch waren beide Künstler trotz ihrer Fähigkeiten
wenig bekannt und begehrt, weil beide auch im Leben
bescheiden vornehme und ruhige Naturen waren, die
sich im Wettkampfe nicht vordrängen wollten noch
konnten. . , ,. ,
Auch der Nachlaß V. Carstens zeigte deuthch, wie
viel echtes und schönes Künstlertum hier verborgen
ruht. Carstens war ja wohl von den Ausstellungen her
nur als Stillebenmaler gekannt, ein Gebiet, das ihn
nicht vollständig charakterisiert. Weit höheres Können
und edleren Geschmack offenbarte er in den feingetönten
Innenräumen alter Schlösser, Klöster oder Edelsitze,
die einen an wahre Kostbarkeiten gemahnenden Schmelz
besitzen und nicht für heute, sondern für alle Zeiten
sichere Werte genannt werden können.
Edmund Steppes, dessen stilistische Technik uns
schon länger vertraut ist, erscheint seit langem wieder
einmal mit einer größeren Anzahl von Gemälden, die
seine im Gegensatz zur modernen Kunst gerichtete Art
wieder deutlich zeigt und sagt, daß eine Vertiefung des
seelischen Gedankens oder die Versymbolisierung der
Realität uns mehr bedeutet als eine Naturahschrift, wenn
sie auch noch so geschickt ist. Freilich liegt die Gefahr
nahe und Steppes entgeht ihr nicht immer, daß ein
Mangel des Wahrscheinlichkeitseindruckes sich hier und
da bemerkbar macht, zumal dort, wo der Maler inmitten
der Natur mit Hilfe nackter weiblicher Schönheit Sym-
bolisches auszudrücken versucht. Man hat hier das Ge-
fühl, daß der organische Zusammenhang fehlt. Die
Landschaften für sich allein sind dagegen einheitlicher
und von höherem Schwung, von der Art des Hans
Thoma, O. Lang und Lugo, mit welcher die seine
verwandtschaftliche Züge aufweist.
Von weiteren drei größeren Kollektiv-Ausstellungen
der Maler Karl Reiser, Arnold Bauer und M. E.
Giese interessierte letztere am meisten. Karl Reiser
ist zwar ein starkes Talent, das manch gute, ja vor-
treffliche Ansätze zeigt, aber sich allmählich in bilhge
Wiederholungen verliert, die schließlich auf ein einmal
geglückles Rezept hinauskommen. A. Bauer arbeitet
zu'^sehr auf rein dekorativ künstlerische Wirkung hin
und ist nicht imstande, viel Innerliches zu geben.
Giese als der stärkere Könner jedoch vereinigt beides.
Seine prächtigen, großzügigen Aquarelle, die mit einer
unglaublichen Sicherheit gemalt sind, verraten ein inneres,
heißes, temperamentvolles Leben. Alles wird unter seiner
Hand lebendig, da prickelt und sprudelt die Farbe nicht
allein, sondern sie versetzt hier in tiefernste, dort in
heitere Stimmung, die fesselt und mit sich zieht. Von
gewaltiger Kraft sind einige Motive von der bayerischen
Hochebene und aus dem so malerisch entzücken-
den WoUin. Auch die großen Ölgemälde, Schneeland-
schaften, sind von ungewöhnUcher Schönheit, nament-
lich gehört das Hafenbild mit der dunklen Luft nicht
nur zu dem Besten, was Giese gemalt, sondern über-
haupt zu dem Besten der modernen Malerei, wenn
man den monumentalen Ausdruck in der Landschaft
in Betracht zieht. F"nz Woher
A
DANZIGER KUNSTBRIEF
n der diesjährigen Sammelausstellung im Stadtmuseum
■ waren wiederum Vertreter aller Gegenden und Rich-
tungen Deutschlands beteiligt, vor allem naturgemäß
die Berliner Secession in ihren Häuptern, aber auch
München, Dresden u a. Da deren Werke meist schon
auf anderen großen Ausstellungen gewesen sind und
in der >Christl. Kunst« von dorther Besprechung gefun
den haben, erübrigt sich eine solche an dieser Stelle
Nur auf Werke hiesiger Herkunft, die einen großen 1 eil
der Ausstellung einnahmen, sei kurz eingegangen.
A. von Brandis ist mit mehreren Werken, beson-
ders Interieurs, vertreten. Die meisten sind in Charakter
und Ton der von früher her bekannten gehalten. Als
Meister dieser Gattung zeigt er sich von neuem in einem
.Rokokogartenhaus«, das auf einen originellen und sehr
wohltuenden Farbenakzent, ein leuchtendes Grau, ab-
gestimmt ist. Durch Brandis sind die Interieurs letzt
in Danzig stark in Übung gekommen. Seine Schule
versuchte .sich in denselben mit verschiedenem brtolg.
Darunter verdient GeorgMuttrav genannt zu werden,
ein verheißungsvolles Talent. Wenn seine anderen
Arbeiten noch den Stempel des Suchens, des Unfertigen
an sich tragen, so ist das .Innere der Marienkirche«
eine sehr beachtenswerte Leistung. Sie beweist, daß
der junge Künstler den Erscheinungen mit eigenem
Blick gegenübersteht. Dasselbe gilt in landschaftlicher
Hinsicht in etwa auch von Th. Urtnowski. Wie
ein echter Künstler über den Stoff sich zu erheben
ist so manchen von den hiesigen Landschaftern und
Landschafterinnen nicht gegeben. Einen großen Zug
dagegen sieht man bei dem Berliner R. Hellgrewe,
einem Westpreußen von Geburt, der sich seine Motive
aus der in dieser Beziehung noch gar nicht ausgenutzten
Tucheier Heide holt. Seine Landschaften sind malerisch
tüchtig, dabei Bilder, die man ihres vorzüglichen
Stimniungsgehahes wegen liebgewinnt Gute Veran-
la<Tung zum Porträt spricht aus einem Damenbildnis
von Wob es er, dasjenige des Geheimrats Doehn von
Laasner erreicht kaum einen wohl zu verlangenden
Durchschnitt. W. Stryowski, der Repräsentant der
alten Danziger Künstlerschaft, bleibt in seinem •Alt-
weibersommer« und »Peter dem Großen in Danzig'i
seinen alten Idealen treu, hat sich jedoch den Errungen-
schaften der neuen Weise in der Form nicht ganz und
gar verschlossen.
Religiöse Malerei ist auf der Ausstellung fast
aar nicht vorhanden. Unter mehr als 500 Gernal-
den sind drei, die überhaupt einen religiösen Vor-
wurf haben. Davon kann man noch eins getrost aus-
nehmen, denn H. Lie t z m ann, der Maler des »hedigen
Sebastian« hat schwerlich ein Heiligenbild, vielmehr
einen männlichen Akt malen wollen. >Simeon im
Tempel« von Ernst Pfannschmidt zeigt m Kom-
position, Gewandung und Beleuchtung direkte An eh-
nung an ein gleichnamiges Werk Rembrandts, ohne
jedoch den Ehrgeiz zu haben, ihm an Feinheit des Kolo-
rits usw. auch nur entfernt nahe zu kommen. Her-
mann Pohles betender Einsiedler- Aszet fällt auf durch
sein intensives gelb-rotes Kolorit, ist aber eine tief emp-
fundene Arbeit. Zu dieser kleinen Gruppe der reli-
giösen Kunst — wohl der kleinsten von allen auf den
bisherigen 39 Danziger Sammelausstellungen — gehört
noch ein Christuskopf von Boeltzig aus der plastischen
Abteilung. „ r , •
Ziemlich gleichzeitig mit dieser Ausstellung fand eine
solche von alten kunstgewerblichen Gegen-
ständen aus Danziger Privatbesitz statt. Sie
wurde veranstaltet vom Verein zur Erhaltung der Bau-
und Kunstdenkmäler in Gemeinschaft mit der Danziger
Goldschmiedeinnung, die zu dieser Zeit (Mai 1909) ihr
VERiMlSCHTE NACHRICHTEN
47
fünfhundertjähriges Jubiläum beging. Die Danziger
Privat-Aktien-Bank stellte hierzu eine Etage ihres Hauses
zur Verfügung. Als späteste Zeitgrenze wurde das
Jahr 1850 festgesetzt. Wenn die Veranstaltung, zu der
übrigens kunstgewerblicher Besitz von hiesigen Kirchen
zugezogen wurde, auch auf Vollständigkeit keinen An-
spruch machen konnte — die Vorbereitungen waren
etwas überhastet — und auch nichts Neues bot, so war
es doch für weitere Kunstkreise von Interesse, zu sehen,
was die hiesigen Privathäuser aus früherem Reichtum
an kunstgewerblichen Gegenständen in die Gegenwart
hinübergerettet haben. Auch wird, den Intentionen
der Aussteller entsprechend, der Sinn für Wertschätzung,
Schonung und Erhaltung derselben neue Anregung er-
halten haben.
Es drängt sich hierbei eine sehr naheliegende Frage
auf. Sollte es einem von unseren Kunstvereinen nicht
möglich sein, auch alte Malerei aus dem Privatbesitz
auf einer Ausstellung zu vereinigen? Freilich wären
dabei ungleich größere Schwierigkeiten zu überwinden.
Aber ein solches Unternehmen würde auch noch
größerem Interesse begegnen und wahrscheinlich zur
Erweiterung unserer recht mangelhaften Kenntnis der
alten. Danziger Maler führen.') B. .Makowski
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Ausstellung ba\'erischen Porzellans des
18. Jahrhunderts. Das Bayerische Xationalrauseum
beabsichtigt — in Verbindung mit dem Bayer. Verein
der Kunstfreunde (Museumsverein) — in der Zeit von
Ende Juli bis Mitte September ds. Jrs. eine Ausstellung
bayerischen Porzellans des 18. Jahrhunderts zu veran-
stalten. In Betracht kommen also in erster Linie die
Manufakturen Xymphenburg, Frankenthal, Zweibrücken,
sowie Ansbach. Wenn auch im wesentlichen nur Er-
zeugnisse des 18. Jahrhunderts zur Ausstellung gelangen
sollen, so kann bei Nymphenburg die Grenze weiter
— etwa bis 1850 — gesteckt werden. Dabei soll die
figürliche Plastik besonders bevorzugt werden. Der Kgl.
Hof in München, verschiedene namhafte Museen außer-
halb Baverns und zahlreiche Privatsammler haben bereits
ihre Unterstützung zugesagt. Sammler, die noch keine
Einladung erhielten und auszustellen bereit wären, werden
von der Direktion des Bayer. Nationalmuseums um direkte
Anmeldung ersucht. Das Museum trägt sämtliche Fracht-
und Versicherungskosten. Für die Sicherheit der Objekte
in den dem Museum angegliederten Ausstellungsräumen
gegen Beschädigung, dann gegen Diebs- und Feuersge-
fahr ist in weitestgehendem Umfange Fürsorge getroffen.
Die für die Ausstellung bestimmten Stücke sollen bis
spätestens Mitte Juli lfd. Jrs. an das Bayerische National-
museum abgeschickt werden.
X. Internationale Kunstausstellung im Kgl,
GlaspalastezuMünchen. Das internationale Preis-
gericht hat seine Tätigkeit beendet. Dasselbe setzte sich
zusammen wie folgt : Vorsitzender • Prof. Albert \ on
Keller, Maler; Schriftführer: Franz Wolter, Maler. Ver-
treter fremder Nationen: Belgien : Graf Jacques de Lalaing,
Maler und Bildhauer; Bulgarien: Prof. von Petersen,
Maler; Dänemark: CM. Soya Jensen, Maler; Italien:
Prof. Comm. Gerolamo Cairati, Maler; Niederlande:
A. M. Gorter, Maler; Rußland : Emil von Wiesel, Maler;
Schweden : Emil Österman, Maler ; Schweiz : Prof. Wil-
helm L. Lehmann, Maler; Charles Giron, Maler; Spanien:
Joseph Michael Holzapfl, Maler und Radierer; Türkei:
Richard Groß, Maler, Ungarn: Fritz Strobentz, Maler;
Münchener Künstler-Genossenschaft: Hofbaurat Eugen
■) Vgl. H. ,, Beil.
Drollinger, Architekt; Prof. .\do!f Echtler, Maler; Oswald
Gottfried, Maler; Prof. Eugen Honig, Architekt; Hermann
Knopf, Maler ; Georg Lindner, Architekt; Alois Mayer,
Bildhauer; Wilhelm Menzler, Maler; Georg Mühlberg,
Maler und Graphiker; Heinrich Rettig, Maler; Ludwig
Sand, Bildhauer ; Konrad Strobel, Xylograph ; Hans
Stubenrauch, Maler und Graphiker. Münchener Secession:
Prof. Cipri Adolf Bermann, Bildhauer; Hans Borchardt,
Maler; .■\kademieprofessor Angelo Jank, Maler; Richard
Winternitz, Maler. Luitpoldgruppe : Prof. Fritz Baer,
Maler; Karl Küstner, Maler. Künstlerbund >Bavern«:
Prof. Karl Bios, Maler. Berlin : Prof. Hans Hermann,
Maler. Es wurden 29 goldene Medaillen I. Klasse und
1 55 goldene Medaillen IL Klasse zuerkannt. Außer Wett-
bewerb standen Frankreich und Osterreich. Goldene
Medaillen 1. Klasse erhielten : Münchener Künstler-Ge-
nossenschaft mit Deutschland: Malerei: Max Gaisser,
Otto Strützel, Alois Erdtelt, Franz Grässel, Eugen Bracht.
Secession: Malerei: Rudolf Schramm-Zittau, Max Slevogt,
Hermann Gröber. Bildhauerei : Hermann Hahn, Hugo
Lederer. Luitpoldgruppe: Malerei: WaherThor. Künstler-
bund vBavern« : Malerei: Georg Schuster-Woldan. Künst-
lervereinigung iScholle« : Malerei: Fritz Erler. Rußland:
-Malerei : .Michael Nesterow, Stephan Kolesnikow. Italien :
Malerei: Umberto Coromaldi, Leonardo Bazzaro. Bild-
hauerei: Gaetano Cellini. Belgien: Malerei: Alexander
Struijs. Bildhauerei: Viktor Rousseau. Schweiz: Malerei :
Albert Welti. Dänemark: Malerei: Vilhelm Hammershoi,
Viggo Johansen. Schweden: Malerei: CarlLarsson. Anders
Zorn. Holland : Malerei : Marius Bauer. Ungarn: .Malerei:
Izsäk Perlmutter. Spanien : Malerei : Manuel Benedito-
Vives, Enrique Martinez-Cubells v Ruiz. Goldene Me-
daillen IL Klasse erhielten Münchener Künstler-Genossen-
schaft mit Deutschland: Malerei: Frank Kirchbach, Ale-
xander Fuks, Georg Schildknecht, Oskar Freiwirth-Lützow,
.\ugust Kühles, Georg M. Meinzolt, Fritz Baverlein, Leo-
pold Schmutzler, Juhus Schräg, Franz Multerer, Max
Hartwig, Rudolf Schulte im Hofe, Hermann Fenner-
Behmer. Wilhelm Claudius, Ferdinand Dorsch, Andreas
Dirks, Karl Kayser-Eichberg, Arthur Schüler, Hans Loo-
schen, Paul W. Ehrhardt, Rudolf Weber. Bildhauerei :
Kduard Bevrer, Wilhelm Haverkamp, Walter Mettler,
Franz Prittel, Christian Plattner. Vervielfältigende Künste :
Joseph Neumann, Dr. Otto Gampert, Paul Leuteritz,
Franz August Börner, Johann Karl Becker Gundahl,
Ludwig Bolgiano. Architektur: Franz Brantzkv. Secession:
Malerei: Paul Crodel, Theodor Hummel, Hermann Eich-
feld, Karl Piepho, Charles Tooby, Ernst Oppler, .-Mhert
Weißgerber, Hermann Pleuer, Joseph Oppenheimer,
Joseph Damberger, Ernst Burmester, Friedrich Ecken-
felder, Fritz Burger, Max Feldbauer; Bildhauerei: Erwin
Kurz, Alexander Oppler, Ulfert Janssen, Theodor von
Gosen, Bernhard Bleeker, Eduard Zimmermann, Heinrich
Jobst. Luitpoldgruppe: Malerei: Joseph Andreas Sailer,
Rudolf Bernard Willmann, Wenzel Wirkner, Heinrich
Brüne, Wilhelm Löwitli, Ernst Gerhard. Künstlerbund
»Bayern«: Malerei: Fritz Rabending, Fritz Kunz, Klaus
Bergen, Rudolf Sieck. Künstlervereinigung »Scholle« :
Malerei: Gustav Bechler, Erich Erler. Rußland: .Malerei:
Abram Archipow, Witold Bialgnitzky-Birulia, Sergei
Winogradow, Gabriel Goreloff, Stanislaus Jukowsky,
Constantin Krijitzki, Wladimir Makowski, Nicolaus Petrow,
Nicolaus Feschin, Nicolaus Chimona, Ale.xander Mu-
raschko, Georg Bobrcw^'sky, Gerassim Golowkoff. Italien:
Malerei : Giuseppe Giusti, Giuseppe Casciaro, Giuseppe
Carozzi, Pietro Chiesa, Cesare Maggi, Salvatore .Mar-
chesi, Ulisse Caputo, Giorgi Belloni. Vervielfältigende
Künste: Vico Vigano. Bildhauerei: Arturo Dazzi, Elen-
teris Riccardi, Ginsseppe Romagnoli, Bassano Danielli.
Belgien : Malerei : Alfred Napoleon Delaunois, Franz van
Holder, Henry Cassiers, Richard Baseleer; Bildhauerei:
Josue Dupon. Schweiz : Malerei : Edmond Vallet, Gu-
AUSSTELLUNG KIRCHLICHER KUNST — DER PIONIER
stave Jeanneret, Adolf Thomann, Ernst Würtenberger,
Alfred Rehfous, Giovanni Giacometti, Paul Perrelet. Bild-
hauerei; Charles Amgst, August Heer. Dänemark:
Malerei: Hermann Albert Vedel, Fritz Syberg, Michael
Therkildsen. Bildhauerei: Rasmus Harboe. Schweden:
Malerei: Gustaf Adolf Fjaestad, Wilhelm Behm, Emerik
Stenberg, Karl Johansson, Bildhauerei: Gottfrid Larsson.
Holland: Malerei: Derk Wiggers, Johannes Akkeringa,
Martin Monickendam, Hendrik Havernian, Theodor van
Hoytema, Jan Hoynck van Papendrecht. Bildhauerei :
Charles van Wyk. Bulgai'ien: Malerei: Jaroslav Vesin.
Ungarn : Malerei : Tivadar Zemplenyi, Lajos Mark, Ander
Boruth, Aladar Edvi-IUes. Bildhauerei : Ödön Szamo-
volszky. Türkei : Malerei: Üsman Hamdi Bey, Chewket
Bey. Spanien: Malerei: Jose Maria Lopez-Mezquita,
Jose Maria RodriquezAcosta, Antonio Ortiz-Echagiie,
Salvador S. Barbudo, Valentin Zubiaurre.
München. Am 33. Mai wurde das Denkmal für
Max von Pettenkofer in den Anlagen des Maximilians-
platzes, gegenüber dem Denkmal Liebigs, feierlich ent-
hüllt. Der Entwurf stammt von Rümann, nach dessen
Tod es Alois Mayer vollendete.
München. Geheimrat Dr. Franz Ritter von
Reber dahier tritt mit Wirkung vom i. Juli in den Ruhe-
stand. Bei diesem Anlaß wurde ihm in Würdigung
seiner vorzüglichen Dienstleistung der Verdienstorden vom
hl. Michael 2. Klasse mit Stern verliehen. Geheimrat von
Reber ist ein ausgezeichneter Fachmann, der sich um die
Kunstwissenschaft und in seiner mehr als dreißigjährigen
Wirksamkeit als Vorstand der staatlichen Gemäldesamm-
lungen auch um diese hohe Verdienste erwarb. — Zum
Direktor der staatlichen Galerien wurde der frühere
Direktor der Nationalgalerie in Berlin, Geheimer Re-
gierungsrat Dr. Hugo von Tschudi ernannt.
Der Landschaftsmaler Fritz Overbeck ist am
8. Juni in Brocken unweit Worpswede gestorben. Er war
am 15. Sept. 1869 in Bremen geboren.
Professor Gebhard Fugel malte für die Stadtpfarr-
kirche St. Moriz in Augsburg ein Brustbild des hl. Jo-
hannes Nepomuk.
In der Hofglasmalerei C. de Bouche zu München
wurde kürzlich eine romanische Fenstergruppe vollendet,
welche der Deutsche Kaiser für die neuerbaute Kirche zu
Haiesund in Norwegen stiftet. C. de Bouche erhielt vor
einigen Monaten auch den Auftrag, das Kolossal-West-
fenster des Domes zu Metz zu rekonstruieren, das um
1375 von Hermann von Münster gefertigt wurde.
Berlin. Der Wettbewerb für Möbelgruppen, den der
Verein für Deutsches Kunstgewerbe in Berlin erlassen
hatte, hat sechs Preise zu insgesamt 1200 M und 29 An-
käufe im Betrage von 1740 M., im ganzen also eine Ver-
teilung von 2940 M. an''die Bewerber ergeben. Einge-
gangen waren im ganzen 361 Entwürfe.
Paderborn. Hier soll der Dichterin Luise Hensel
ein einfaches, würdiges Denkmal errichtet werden.
Wien. Anläßlich der 3 5 . Jahreäausstellung im Künst-
lerhaus erhielt Franz Wille (Düsseldorf) die große
goldene Staatsmedaille, Joseph Faßnacht (München)
für seine Marmorgruppe > Mutterglück < die kleine gol-
dene Staatsmedaille.
Maler Joseph Huber-Feldkirch wurde nach
Düsseldorf berufen, um einen wichtigen Posten zu
übernehmen.
AUSSTELLUNG
IN
KIRCHLICHER KUNST
BRESLAU
F)ie Direktion des Schlesischen Museums für Kunst-
gewerbe und Altertümer (Prof. Dr. K. Masner) ver-
sendet zugleich mit .'\nmeldeformularen folgendes:
Das Schlesische Museum für Kunstgewerbe und Alter-
tümer veranstaltet aus Anlaß der in Breslau am 29. August
bis 2. September tagenden 56. Generalversammlung der
Katholiken Deutschlands und im Einverständnis mit der
Leitung dieser Tagung vom 22. August bis 12. September
eine Ausstellung kirchlicher Kunst. Sie gliedert sich in
zwei Abteilungen: A. Beispiele alter kirchlicher Kunst
aus Schlesien, B. Beispiele heutiger kirchlicher Kunst.
Für die Abteilung A ist von Goldschmiedearbeiten
die Ausstellung des sonst nur kleineren Gruppen von
Besuchern zug.inglichen Breslauer Domschatzes in Aus-
sicht genommen, da das Museum im Jahre 190J in einer
großen Goldschmiedekunstausstellung last den gesamten
alten kirchhchen Besitz unserer Provinz an diesen Ar-
beiten vorgeführt hat. Doch sollen einige wenige der
wichtigsten dieser Arbeiten auch diesmal wieder heran-
gezogen werden. Außer dem großen Saal des Museums,
der eine ständige Ausstellung kirchlicher Kunst an- sich
bedeutet, werden wertvolle kirchliche Gemälde, Para-
mente, Schnitzereien, Miniaturen, Bucheinbände usw. die
Ausstellung des Domsch;itzes ergänzen. Vielleicht ge-
lingt es auch in einer besonderen kleinen Abteilung
durch eine Zusammenstellung von »Beispielen und Gegen-
spielen« auf die Fehler hinzuweisen, die leider noch
immer bei der Restaurierung alter kirchlicher Kunst-
werke gemacht werden.
Angebote von wirklich wertvollen künstlerischen
Leistungen für diese Abteilung sind uns bis spätestens
den 8. August sehr willkommen. Hin- und Rücktrans-
portkosten trägt das Museum, ebenso die Versicherung
während der Ausstellung.
.Abteilung B will sich nicht auf die kirchlichen Kunst-
schöpfungen der Neuzeit in Schlesien beschränken, son-
dern auch auswärtige Künstler und Kunstanstalten heran-
ziehen, deren Arbeiten auf die Produktion unserer Provinz
auf diesem Gebiete anregend und befruchtend wirken
können. Denn entscheidend für die ,\ufnahme in diese
.\bteilung sind nur die künstlerischen Q.ualitäten der
Arbeiten. Die Weite des Gebietes im einzelnen hier zu
charakterisieren, erübrigt sich.
Mit Rücksicht auf den sehr beschränkten Raum, der
dem Museum für die Ausstellung zur Verfügung steht,
werden in diese Abteilung nur .\rbeiten von .Ausstellern
aufgenommen, die von der Direktion des Museums dazu
aufgefordert worden sind.
Diese Aussteller zahlen keine Platzmiete, tragen aber,
wenn nicht anders vereinbart wird, die Transport- und
Versicherungskosten und zahlen von Verkäufen während
der Ausstellung io°/o an das Museum.
DER PIONIER
MONATSBLÄTTER FÜR CHRISTLICHE KUNST
Jahresabonnement inkl. Frankozustellung M. 3. — .
Format und Ausstattung vorliegender Zeitschrift, zu der
er eine willkommene Erweiterung bildet.
Inhalt des 10. Heftes:
Kirchenheizung, ein Erfordernis unserer Zeit. Von
Architekt Hugo Steffen. — Maueranstridie. — Wichtige
.•\ufg;iben. — 4 Abbildungen.
Redaktionsschluß: 15. Juni.
BEILAGE
WETTBEWERB FÜR MEMMINGEN
49
WETTBEWERB
für eine neue katholische Kirche mit Turm und Pfarr-
haus in Memmingen
2ur Erlangung von Entwürfen für den Neubau einer
katholischen Kirche mit Turm und eines kathohschen
Pfarrhauses in Memmingen (Bayern) erölTnet die Deutsche
Gesellschaft für christliche Kunst in München im Namen
des katholischen Kirchenbauvereins Memraingen unter
den ihr angehörigen Architekten einen Skizzenwettbe-
werb, und zwar unter folgenden Bedingungen :
I. Lage des Bauplatzes für Kirche und Pfarr-
haus: Die für den Zweck erworbenen Grundstücke
liegen im Westen der Stadt und sind im Lageplan kolo-
riert. i,Zu beziehen von der Geschäftstelle der Deutschen
Gesellschaft für christliche Kunst in München, Karlstr. 6.)
Die Kirche soll in die Straßenlängsachse des verlänger-
ten Schweizerberges situien werden und einen östlichen
Haupteingang erhalten ; wie sich die Straßenführung um
die Kirche dann vollzieht und wie hiernach Bau- und
Vorgartenlinien zweckentsprechend abzuändern wären,
wird dem Architekten überlassen. Die Situierung des
Pfarrhauses wird derart gewünscht, daß die ständigen
Wohnräume an den sonnigen Seiten, der Haupteingang
gegenüber der Sakristeitüre, also in unmittelbarster Nähe
der Kirche zu hegen käme.
2. Bodenbeschaffenheit. Auf ungefähr V2bis3/4m
Humus folgt eine zwischen 2 bis 4 m schwankende Lehm-
schichte und hierauf fester tragfähiger Lehmkies. Bei dem
in der Nähe befindlichen Rentamtsneubau wurde bereits
aut 2 ra Tiefe tragfähiger Boden vorgefunden. Das
Grundwasser liegt mehr wie 10 m tief, das ganze Ter-
rain außerhalb der Hochwassergefahr.
3. Bau programm für die Kirche. Die Kirche soll
räumhch bequem so beschaffen sein, daß in derselben
ein Hauptaltar und vier Nebenaltäre, 4 bis 6 Beichtstühle,
1000 Sitzplätze für Erwachsene und 500 Stehplätze unter-
gebracht werden können. Die Gänge sollen eine Innen-
prozession zulassen. Ob eine oder zwei Emporen errich-
tet werden, bleibt dem Arckitekten überlassen. Oratorien
werden freigestellt. Ferner wird gewünscht eine Tauf
kapelle, eine GruftkapcUe für das hl. Grab, ein Para-
mentenraum, eine größere und eine kleinere Sakristei
und an letzterer ein Abort. Auf Kinderstühle ist nicht
Rücksicht zu nehmen, dagegen auf Chorgestühl. Elek-
trische Beleuchtung kommt zunächst nicht in Betracht;
für eine Zentralheizung sind geeignete Kellerräume vor-
zusehen einschließhch einer Kaminführung.
4. Bauprogramm für das Pfarrhaus. Offene
Bauweise; im übrigen gilt die Bauordnung für das
Königreich Bayern. Das Gebäude ist ganz zu unterkel-
lern; im Keller sind Wasch- und Schatfräume, von außen
zugäriglich und von den übrigen Kellerräumen voll-
ständig getrennt unterzubringen; ferner sind Vorrats-,
Holz- und Kohlenkeller vorzusehen. Im Hochparterre
sind ein heizbares Arbeitszimmer und eine Registratur
(je 20 — 24 qm), ein heizbares Speisezimmer (ca. 3 5 qm),
zwei heizbare Dienstbotenräume (ca. 15 — 20 qm), ein
heizbares Haushaltungszimmer (ca. 25 qm), dann Küche,
Speisekammer und Abort mit Toilette vorzusehen. Über
dem Hochparterre in einem oder zwei Stockwerken (der
Dacliraum darf zur Hälfte ausgebaut werden) ist unter-
zubringen : Die Wohnung des Pfarrers, bestehend aus
Studierzimmer, Schlafzimmer, Empfangszimmer, ca. 20
bis 30 qm groß, heizbar und an sonniger Seite. Er-
wünscht wäre, dem Studierzimmer einen Blick auf die
Kirche zu gestatten. Die Wohnung des Bischofs im
Anschluß an das Empfangszimmer der Pfarrwohnung
mit einem Schlal'zimmer , Zimmer des Sekretärs und
Dienerzimmer (ca. 20—30 qm) und sämtlich heizbar;
ferner ein Badezimmer und ein Abort. Drei Kaplan-
wohnungen mit je einem heizbaren Wohnzimmer und
einem nicht heizbaren Schlafzimmer, 15 — 20 qm groß,
und endlich zwei heizbare Gastzimmer, ca. je 20 qm
groß. Kaplanwohnung und Gastzimmer können nach
Belieben angeordnet werden. Für die Bischofswohnung
kann eine nicht sonnige Seite gewählt werden, da sie
nur selten benützt wird. Hofraum und Garten sowie Ein-
friedung ist vorzusehen.
5. Stil, Bauart. Kirche und Pfarrhaus sind dem
Charakter der Stadt anzupassen. Als Hauptbaumaterialien
kommen nur Beton und Backsteine in Betracht. Sand-
oder Kalksteine existieren in der Gegend nicht und
entsprechen auch der heimischen Bauweise nicht.
6. Baukosten. Die Gesamtbaukosten für Kirche mit
Turm und Pfarrhaus dürfen ohne innere Einrichtung
2)0000 M. nicht überschreiten. Die Kostenveranschla-
gung ist nach Kubikmeter des umbauten Raumes auf-
zustellen, gemessen von Kellerfußboden bezw. Terrain-
oberkante bis Hauptgesimsoberkante, und soll bei ein-
fachster Ausstattung der Einheitspreis für die Kirche
M. 16.—, für das Pfarrhaus M. 14, — betragen. Die
Platzfrage der Ivirche ist so zu lösen, daß einer künf-
tigen Erweiterung Rechnung getragen werden kann.
7. Anzahl und Maßstab der vorzulegenden
Zeichnungen. Für die Kirche sind Grundrisse unter
und über der Empore bezw. über denselben, ein Quer-
und ein Längenschnitt, sowie zwei Hauptansichten im
Maßstab i : 200; für das Pfarrhaus die sämtlichen Grund-
risse, ein duer- und ein Längenschnitt, sowie zwei
Hauptansichten im Maßstab i : 200, ferner ein Gesamt-
lageplan Maßstab i ; 1000 und eine beliebige Gesamt-
perspektive vorgeschrieben. Auch ist ein Kostennach-
weis nach Nr. 6 des vorliegenden Ausschreibens bei-
zufügen.
8. Kennzeichen der Arbeiten. Den mh einem
Kennwort versehenen Entwürfen ist im verschlossenen
Umschlage, der außen das gleiche Kennwort tragen
muß, Name und Wolmung des Verfassers beizufügen.
9. Termin. Die Projektskizzen sind an die Geschäfts-
stelle der 1 Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst«,
München, Karlstraße 6, einzusenden. Als Einlieferungs-
termin wird der i. Oktober 1909, abends 6 Uhr, be-
stimmt; für auswärtige Einsender gilt das Datum des
Aufgabestempels. (Es wird gebeten, die Entwürfe nicht
unter Glas zu senden.)
tiiPas Preisgericht fungiert in München.
10. Preise. Als Preise werden festgesetzt: I.Preis
M. 1200,—, IL Preis M. 900.—, III. Preis M. 700.—.
Dem Preisgericht bleibt es auf einstimmigen Beschluß
unbenommen, den Betrag von 2800 M. auf Preise
gegebenenfalls auch anders zu verteilen. Ferner soll es
dem Preisgerichte vorbehalten bleiben, eine weitere gute
Arbeit mit 500 M. zu erwerben. Die preisgekrönten
bezw. angekauften Entwürfe gehen in den Besitz des
Kirchenbauvereins über; das Urheberrecht bleibt den
Verfassern gewahrt.
11. Preisgericht. Das Preisgericht wird gebildet
von der »Jury« der Deutschen Gesellschaft für christ-
liche Kunst, welche aus dem Architekten Peter Danzer,
Assistent an der Technischen Hochschule in München^
den Bildhauern Balthasar Schmitt, Professor an der Aka-
demie der bildenden Künste in München, und Heinrich
Wadere, Professor an der Kunstgewerbeschule in Mün-
chen, den Malern Felix Baumhauer und Joseph Huber-
Feldkirch in .München, dann den Kunstfreunden Dr. Ludwig
Baur, Universitätsprofessor in Tübingen und Dr. August
Knecht, Lyzealprofessor in Bamberg, besteht; ferner
gehören dem Preisgericht an die Architekten Dr. Gabriel
von Seidl, kgl. Professor in .München, Stadtbaurat Hans
Grässel in München und Architekt Karl Bauer-Ulm in
München; dann Herr kgl Stadtpfarrer Max Rippler in
iMemmingen als Vorstand des kath. Kirchenbauvereins
daselbst, und Herr kgl. Bauführer und Landtagsabgeord-
VERMISCHTE NACHRICHTEN - BUCHERSCHAU
neter Heinrich Hofstädter in Memmingen. Im Falle der
Verhinderung eines der genannten Juroren behäh sich
die Jury das Hecht der Kooptierung eines Ersat?mannes
vor. — Ersatzmann für die Vertretung von Memmingen
ist Herr Kaufmann Joseph Eisele. Der Kirchenbau-
vereinsvorstand wird bezüglich der Ausführung eines
von der Jun' ausgewählten Entwurfes mit dem Preis-
gericht in Verbindung bleiben, behält sich jedoch die
Entscheidung bezüghch der Ausführung vor.
12. Ausstellung der Entwürfe. Nach der Ent-
scheidung des Preisgerichtes werden sämtliche Entwürfe
etwa 14 Tage lang in einem noch zu bestimmenden
Lokale in München öffentlich ausgestellt. Auch ist eine
Ausstellung sämtlicher Projekte in Memmingen, die sich
an jene zu München anschließen soll, ins Auge gefaßt.
Die Rücksendung der nicht preisgekrönten
und nicht honorierten Entwürfe. Etwaige Rekla-
mationen müssen bis ij. November 1909 angemeldet
sein. Von denjenigen Entwürfen, welche 14 Tagenach
Schluß der Ausstellung nicht abgeholt sind, werden die
Briefumschläge geöffnet, um die Rücksendung zu er-
möglichen, welche nach diesem Termine kostenfrei erfolgt.
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Erzabt Bonifatius Krug von Montecassino starb am
4. Juli in Montecassino im Alter von 7 1 Jahren. Er war
ein energischer Kunstförderer.
Oesterreichische Gesellschaft für christ-
liche Kunst. Bei dem Preisausschreiben für den Bau
einer Pfarrkirche in Rossitz erhielt Prof Architekt Vin-
cenz Bayer den ersten Preis, den zweiten Baurat Kier-
stein. Bei der Konkurrenz für ein Wegkreuz, ebenfalls
von der Gesellschaft ausgeschrieben, erhielt Bildhauer
Franz Kluge den ersten Preis von 1000 Kronen.
K. n,
München. Joseph Albrecht vollendete Ende Juni
drei große Gemälde für eine Kirche in Nordamerika ;
sie schildern die Erscheinung im brennenden Dornbusch,
die Parabel vom barmherzigen Samaritan und die Pre-
digt des heiligen Franz Xaver.
Regensburg. Im September wird die St. Blasius-
kirche drei große Chorfenster erhalten, entworfen und
ausgeführt von Carl de Bouche in München.
Ür dingen am Niederrhein. Der Kirchenbauverein
beschloß, das Projekt des Architekten R u m m e 1 in Frank-
furt a. M. ausführen zu lassen.
Über El Greco. In Toledo ist ein Museum er-
öffnet worden, das ausschließlich Werke des neuer-
dings in die erste Reihe aller spanischen Maler gerückten
Greco umfassen soll. Die Sammlung ist in einem Hause
untergebracht worden, das direkt neben dem liegt, wo
der Meister gelebt hat. Man geht mit der Absicht um,
auch die in dem städtischen Museum von Toledo auf
bewahrten Werke von der Hand des Theotokopoulos in
das neue Greco-Museum zu überführen. Wir veröffent-
lichten im III. Jahrgang eine längere Abhandlung über
diesen Meister und zahlreiche Gemälde desselben.
Breslau. Am 28. Juni starb der Kunstschriftsteller
Dr. Richard Muther, Professor der Kunstgeschichte,
im 50. Lebensjahre.
München. Ergebnis des Wettbewerbs zur Er-
langung von Entwürfen für ein Polizeigebäude auf dem
.\real des Augustinerstockes. Es gingen 80 Projekte ein;
von diesen sehen 54 die Erhahung des Baues der Augu-
stinerkirche vor und nur 26 projektierten an Stelle der
Kirche einen Neubau (vergl. Heft 7, Beilage, und Heft 8).
Von den 6 Preisen fielen 5 auf solche Projekte, welche
die Erhaltung der Kirche wollen. Den i. Preis (12000M.)
erhielt der Entwurf > Bischofstab« von den Architekten
Delisle und Ingwersen (München); den 2. Preis
(9000 M.) erhielt »Stadtbild I« von Hessemer und
Schmidt (München); ein 5. Preis (6000 M.) fiel auf
»Großer Hof« von Architekt Scholer und Professor
Bon atz (Stuttgart); ein weiterer 3. Preis fiel auf »Weite
Gasse« von Theodor Fischer (München); der 4. Preis
(5000 M.) wurde dem Projekt »St. Augustinus« von
Professor R. Bern dl (München) zuerkannt. Auch das
Projekt »Verschlungene Kreise« von Franz Kuhn
(Heidelberg) erzielte einen 4. Preis. Zum Ankaufe (je
2000 M.) wurden empfohlen Entwürfe von Oberin-
genieur B 1 ö ß n e r (München), Bauamtsassessor Buchen
(München), Professor Emanuel v on Seidl (München)
und Professor Pützer (Darmstadt).
BUCHERSCHAU
Braun Joseph S. J., Die Kirchenbauten der
deutschen Jesuiten. Ein Beitrag zur Kultur- und
Kunstgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Erster
Teil. Die Kirchen der ungeteilten rheinischen
und der niederrheinischen Ordensprovinz. Mit
13 Tafeln und 22 Abbildungen im Text. Freiburg i. B.,
Herder, 1908. 8°, XII und 276 S.
Wenn ein Ordensmann über die kirchliche Bautätig-
keit seines Ordens schreibt, wird man dem ^^'erk er-
höhtes Interesse entgegenbringen. In die Traditionen
des Ordens eingeführt und mit den Ordensgepflogen-
heiten vertraut, hat er den Vorteil eines tieferen Hin-
blickes in die Absichten im ganzen und die Zweckbe-
stimmungen im einzelnen. Die Jesuitenkirchen in ihrer
Gesamtheit sind zudem noch nie Gegenstand eingehen-
der Untersuchung gewesen, um so mehr der Tummel-
platz tendenziöser Charakteristik ; sie gehören ferner einer
Zeit an, deren architektonische Leistungen und Entwick-
lungslinien mehr als je Gegenstand eifriger Forschung
sind. Die Arcliive der Gesellschaft, Auswärtigen schwer zu-
gänglich, standen dem Ordensmitglied weit offen. Gründe
genug, dem Werke alle Beachtung zu schenken. Das
Buch umfaßt dem geographischen Umfang nach die bis
1626 ungeteilte rheinisclie und von da ab die nieder-
rheinische Ordensprovinz. Jene erstreckte sich etwa vom
5. — IG. Längen- und vom 48. — 55. Breitengrad. Der Ver-
fasser bietet im ersten Hauptteil eine eingehende
Topographie der Jesuitenkirchen und geht dabei
sehr solid zu Werke ; er schafft zunächst für jeden Bau
und seine Einrichtung die historische Grundlage
und hat hiefür keine Mühe in Aufspürung eines weit-
zerstreuten archivalischen Materials gespart, selbst nicht
in jenen vereinzelten Fällen, wo sorgsame Monographien
bereits vorlagen. Sodann gibt er eine ausführliche und
e.xakte Beschreibung der einzelnen Kirchen, ihres
Dekors und ihres Mobiliars ; diese Beschreibungen beruhen
durchwegs auf sorgfältiger, von scharfer Beobachtungs-
gabe getragener Eigenschau und werden unterstützt durch
81 Abbildungen, meist nach Photographien, die vom
Verfasser speziell für seine Arbeit aufgenommen wurden ;
sie bringen großenteils Neues und sind instruktiv aus-
gewählt. Den Bescliluß jeder Einzelabhandlung bildet
eine ästhetische Be urteilung der betreffenden Kirche.
So setzt sich dieser Hauptteil aus wohlgeordneten Mono-
graphien über die einschlägigen Jesuitenkirchen zusam-
men. Daran reiht sich als zweiter Hauptteil eine
Würdigung dieser Kirchenbauten. Zunächst nach ihien
stilistischen und architektonischen Eigentümlichkeiten, wo-
BUCHERSCHAU
bei zum erstenmal ein bedeutsamer Anlauf genommen
wird, das merkwürdige Knorpelornament in seinem
geschichtlichen Entstehen und Auftreten zu verfolgen.
Als architektonische Eigentümlichkeiten der Jesuitenkir-
chen bezeichnet der Verfasser die Weiträumigkeit des
Mittelschiffs (ist diese wirklich nur den Jesuitenkirchen
jenes Gebietes eigen ? i, die seitlichen Emporen mit Treppen-
türmen als Zugängen und die Oratorien. Speziell die
Langseitsem poren haben die Jesuiten zuerst in Köln
eingeführt, angeregt durch lokale, mittelalterliche Vor-
bilder. Sodann geht die \\'ürdigung über zu entwick-
lungsgeschichtlichen Fragen und sucht das Ver-
hältnis der Jesuitenkirchen zu einander und zu der zeit-
genössischen Kirchenbaukunst ihrer räumlichen Umge-
bung klarzustellen. Die wichtigen Ergebnisse dieses Ab-
schnittes sind einerseits ein Stammbaum der wich-
tigeren >gotischen< Jesuitenkirchen (Münster; Tochter:
Molsheim ; Töchter : Köln, Aachen ; Töchter von Köln :
Koesfeld, Paderborn ; Tochter von Koesfeld : Siegen),
anderseits das endgültige Begräbnis der Fabel vom Je-
s u i t e n s t i 1 für das behandelte Gebiet, nachdem schon
Gurlitt, dem in Deutschland allgemeine Zustimmung
hierin zuteil wurde, deren Unhaltbarkeit erkannt hatte:
>Je nach dem Lande der Erbauung wandeln die Ge-
staltungen. < Die Jesuiten verhielten sich indifferent gegen-
über der Snlfrage ; sie sclilossen sich der heimischen
Bauweise an, machten deren Wandlungen mit und rich-
teten ihr Augenmerk auf die praktische Frage, wie sich
mit den vorhandenen Stilformen das Ideal einer Volks-
kirche verwirklichen lasse. Sehr lehrreich ist in dieser
Hinsicht, was die Einleitung über die Betätigung der
Bauoberaufsicht durch die Zentralstelle, durch das Gene-
ralat in Rom, beibringt, wozu die Ausführungen Brauns
in dem Werke seines Ordensgenossen B. Duhr, Ge-
schichte der Jesuiten in den Ländern der deutschen
Zunge I, 603—607 ergänzungsweise heranzuziehen sind.
Darnach haben die Konstitutionen der Gesellschaft zur
Frage der Kunstbetätigung überhaupt nicht Stellung ge-
nommen, nicht einmal, wie einst der Relbrmorden der
Zisterzienser, in negativen Formulierungen. Dagegen
wurde durch die Generalkongregation von 1565 bestimmt,
daß die Pläne der neu zu errichtenden Bauten dem Gene-
ral zur Genehmigung vorzulegen seien. Dieser Verfü-
gung kam man auch gewissenhaft nach, jedoch be-
schränkte sich die in Rom vorgenommene Prüfung, nach
Ausweis sowohl der Antwortschreiben aus dem Gene-
ralat wie auch der erhahenen Pläne, auf Fragen der
Zweckmäßigkeit und Solidität ; in stilistischer und ästheti-
scher Hinsicht wurde den Bauherren (dem Kollegsrektor
und seinen Konsultoren) und den Baumeistern völlig freie
Hand gelassen. Der Versuch des Generals Mercurian
(um 1575), für den ganzen Orden bestimmte, in Rom
angefertigte Idealpläne als verbindliche Vorlagen bei Neu-
bauten vorzuschreiben, scheiterte an der Mannigfaltigkeit
der Verhältnisse in den vielen Ländern, über die sich
die Gesellschaft ausbreitete. Auch hatte speziell die rhei-
nische Provinz weder eine genügende Zahl von Archi-
tekten unter ihren eigenen Leuten, noch zogen die Je-
suiten nach Art der Zisterzienser einen Stamm von bau-
geübten Laienbrüdern heran, so daß also auch von den
Meistern und ihren Gehilfen keine festumschriebenen
Traditionen auch nur technischer Art überall hätten zur
Geltung gebracht werden können. — Der Verfasser hat
in der Topographie der Jesuitenkirchen die >gotischenc
und die • nichtgotischen« Kirchen zu je einem Abschnitt
vereinigt. Es mag ihm dabei die Absicht vorgeschwebt
haben, gegenüber dem tendenziösen Erbirrtum, als hätten
die Jesuiten geflissentlich und im Dienste der Bestrebun-
gen der katholischen Restauration den Barock begün-
stigt, nachdrücklichst die Wahrheit ans Licht zu rücken,
daß sie sich vielmehr der heimischen, bodenständigen
Bauweise bedient haben. In der Tat wirkt die statt-
liche Reihe der > gotischen« Kirchen wuchtig. Allein
nach meinem Empfinden ist diese Scheidung ri.icht glück-
lich; sie verwischt und verdunkelt die feinen Übergänge,
die fast unmerklich von der Gotik zur Renaissance hin-
überleiten. Svstematisierung ist gerade bei Schöpfungen
von Übergangszeiten eine mißliche Sache. Tatsächlich
trägt eben doch bereits die Kirche in Koblenz (löogff.)
und tragen seit dem Aachener Bau (161 8 ff.) alle
Kirchen, auch die >gotischen«, nur etwa Paderborn
und Bonn ausgenommen, überwiegend Renaissancecha-
rakter zur Schau, schon in der gewiß nicht durch einen
Zufall veranlaßten Betonung der Breitendimension (Koes-
feld, Höhe zur Breite = 10: 9!), ferner in der Verein-
heitlichung des Innenraumes durch Herabdrückung der
Seitenschiffe zur Bedeutungslosigkeit, sowie vor allem
hinsichtlich des Konstruktionssystems, in dem Abschwen-
ken vom Strebebau zum Mauerbau. Aber auch die for-
malen Einzelheiten sind nicht immer nur nebensäch-
licher Art; die konsequente Ersetzung des Spitzbogens
durch den Rundbogen, der Verzicht auf den Schlußstein
und den Strebepfeiler, die Einstellung der Arkadenstützen
in der Achsenrichtung der Kirche, die Ersetzung der
Dienstbündel durch toskanische Halbsäulen, all das sind
so bedeutsame Abweichungen vom gotischen Konstruk-
tionssystem, daß es schließhch gar nicht mehr als ein
Widerspruch erscheint, wenn man solchen Kirchen ba-
rocke Fassaden vorgesetzt und neben sie den Renaissance-
turm mit seinem Prinzip des Stockwerksbaues gestellt
hat; es ist eben da auch im Innern der Kirche von Gotik
fast nichts mehr zu finden als etwa das Rippengewölbe
und dieses nur in der Bedeutung eines rein formalen
Elementes, an dessen Stelle vom konstruktiven Stand-
punkt aus ebensogut, wie es da und don wirklich der
Fall ist, das Gratkreuzgewölbe oder das Tonnengewölbe
der Renaissance treten könnte. Freilich, Barockkirchen
im Sinne des römischen Barock wären sie auch dann
nicht. Eine solche entstand nur in Aschaffenburg (löigf.),
jedoch in ziemlich kleinen Dimensionen , während die
von dem kurkölnischen Baumeister Franz Heinr. Roth
erbaute Kollegskirche in Büren (1745 ff.) den süddeutschen
Barock glänzend vertritt und die Düsseldorfer Kirche
(1622 — 29) in der Bauanlage wie in der Stuckdekoration
bekanntlich die Hofkirche in Neuburg a. D. kopiert
(s. oben II, 2 14 f.). Mit Ausnahme der AschafTenburger
Kirche gehören alle vor dem iS. Jahrhunden entstan-
denen Jesuitenkirchen des Gebietes einem Mischstil an,
der sich nicht in einer kontinuierlich ansteigenden Linie,
sondern mit Hebungen und Senkungen dem Barockstil
nähert. Man könnte ihn rheinischen Barock nennen
und als seine Eigentümlichkeiten neben der Vorliehe für
Teilung des Hauptraumes in Schiffe und für Rippen-
gewölbe die Anordnung von Langseitsemporen bezeich-
nen. An der Dreiteilung des Hauptraumes scheint man
grundsätzlich festgehalten zu haben, wohl um sich von
der heimischen Bauweise — man wollte ja Volkskirchen
bauen , doch wolil auch in dem Sinne , daß sich das
Volk darin heimisch fühle — nicht zu weit entfernen;
denn es ist doch sehr auffallend , daß keiner der drei
aus Bayern stammenden Risse für Köln das einschiffige
Barocksystem wiedergibt, das doch damals in der ober-
deutschen Provinz schon mehrfach erprobt war. Gerade
die Teilung in Schiffe aber ist es, die, obwohl auch
dem Barockstil nicht fremd, die traditionelle, mittelalter-
liche Bauweise selbst da noch nachklingen läßt, wo die
Seitenschiffe im Sinne des Barock bereits den Charakter
von unselbständigen N'ebenräumen .ingenommen haben.
— Dem emsigen Fleiße des Verfassers verdankt die Kunst-
geschichte die Feststellung mehrerer bisher unbekannter
Baumeister; gerade die hervorragendsten Bauten des Or-
dens sind nunmehr mit bestimmten Namen verknüpft.
Sehr dankenswert ist auch das Eingehen auf die zum
Teil bedeutenden und stilistisch interessanten Einrieb-
ßUCHHRSCHAU
tungsgegenstände, die im 17. Jahrhundert regelmäßig in
den Kollegswerl<stätten hergestellt wurden, oft unter der
Leitung von kunsterfahrenen Laienbrüdern. Man möchte
wünschen, einzelne Altäre und Kanzeln in gesonderten
Abbildungen größeren Formates vor sich zu haben; so
wie sie hier geboten werden, sind sie zum Studium fast
unbrauchbar. Dringend zu empfehlen ist im Interesse
der Bequemlichlieit, Zeitersparnis und der übersichtlichen
Vergleichung die Vereinigung der Tafeln am Schluß
statt ihrer Einstreuung in den Text. Mit aufrichtigem
Dank das Gebotene hinnehmend, dürfen die Kreise der
Kunstforscher und Kunstfreunde mit Spannung der Fort-
setzung des gediegenen Werkes entgegensehen.
Prof. A. Schröder
Braun Joseph S. J., Die belgischen Jesuiten -
kirchen. Ein Beitrag zur Geschichte des Kampfes zwi-
schen Gotik und Renaissance. Mit 75 Abbildungen. Frei-
burg i. B., Herder, 1907- 8°, XII und 208 S.
Die Arbeitsmethode und die Darstellungsgrundsätze
sind die gleichen wie in der oben besprochenen Schrift
über die deutschen Jesuitenkirclien. In zwei Abschnitten
werden zuerst die gotischen Kirchen, dann die Barock-
kirchen vorgeführt. Im Gegensatz zur rheinischen Ordens-
provinz fanden sich in den belgischen Provinzen einige
hervorragende Architekten innerhalb des Ordens. Gleich-
wohl kam es auch hier nicht zur Ausbildung eines eige-
nen Jesuitenstiles. Vielmehr geht die Entwicklung von
der sehr mächtigen gotischen Bautradition des Landes
aus, hält an dieser, von der dem Gesü nachgebildeten
Kirche in Douai abgesehen, in der Teilung des Lang-
hauses in Schiffe durchaus und lange Zeit auch in der
Konstruktion fest , gibt allmählich den Gewölben und
im Zusammenhang damit der Konstruktion des Aufbaues,
vor allem aber dem Detail in zunehmendem Maße Re-
naissance- und Barockcharakter, so daß sich ein belgi-
scher Barock herausbildet, und zeigt sich im übrigen bei
aller Mannigfaltigkeit der Gestaltungen darin konsequent,
daß die Gesamtanlage durch die Tendenz, Volkskirchen
zu schaffen, bestimmt wird, weshalb durchweg Säulen
und diese in möglichst weiter Stellung zur Trennung
der Schifle Verwendung finden, während allerdings auf
Langseitsemporen fast überall verzichtet wird. Mit aller
Bestimmtheit und gestützt auf wichtige Q.uellen belege
tritt Braun der Tradition entgegen, daß der Entwurf zur
Profeßhauskirche in Antwerpen auf Rubens zurückgehe.
Beziehungen des belgischen Barocks zur genuesischen
Kirchenbaukunst des 16. Jahrhunderts werden in Abrede
gestellt. Es ist interessant, die ungemein rasche Ent-
wicklung von den ersten Bauten des Bruders Hoeimaker,
die in ihrer Zurückhaltung und konstruktiven Knappheit
an die Früharchitektur der Bettelorden erinnern, bis zu
den nur etwa 30 Jahre jüngeren glänzenden Bauten des
Bruders Huyssens zu verfolgen, der wegen seiner Nei-
gung zu Pracht und Luxus vom Ordensgeneral des Amtes
eines Architekten enthoben wurde und doch wieder un-
entbehrlich war. Von ihm stammt auch die Benedik-
tinerabteikirche St. Peter in Gent. Es sind sehr beach-
tenswerte Leistungen, die hier zum erstenmal in ihrer
Gesamtheit — mit Einschluß auch der zerstörten und
der nur geplanten Bauten — vorgeführt und auf ihren
Zusammenhang mit der heimischen Kunst geprüft werden.
Prof. A. Schröder
Dürer-Studien. Bemerkungen zu Dürers Leben,
Schaffen und Glauben von G. A. Weber, Regensburg,
Pustet, 59 Seiten.
Im dritten Jahrgange der Monatsschrift »Hochland«
(S. 296 ff.) hat der Kunsthistoriker Alfred Hagelstange
an dem Ijekannten Buche von Weber über Alb. Dürer
eine Kritik geübt, der man zwar im einzelnen nicht
jede Berechtigung wird absprechen können, an der je-
doch eine gewisse ätzende Schärfe des Tones zu be-
dauern war. In der vorliegenden kleinen Schrift nimmt
Weber den ihm hingeworfenen Fehdehandschuh auf.
In der Tat gelingt es ihm da und dort, seines Kritikers
Hiebe zu parieren oder wenigstens zu entkräften. In
anderen Punkten dürfte vor dem Urteil der Öffentlich-
keit Hagelstange recht behalten. So, um ein Beispiel
herauszugreifen in der Kontroverse über das »leider
nackte« Jesuskind auf Dürers »Rosenkranzbild«. Hiei
ist, falls man schon einmal diese Sache vorwiegend vom
seelsorglichen Standpunkt betrachten will, auch die Ent-
stehungszeit, sowie der Bestimmungsort des Werkes in
Betracht zu ziehen. Bei solcher Erwägung — jene Zeit
war in solchen Dingen überhaupt nicht so empfindhch
wie wir, zumal in Itahen — wird auch Weber davon
abkommen, nach dieser Seite einen Tadel gegen das
Dürersche Jesuskind auszusprechen.
Audi würde das Webersche Buch sicher an Abrun-
dung gewinnen, wenn den Erörterungen über den Lissa-
boner St. Hieronymus in einer Neuauflage ein verhältnis-
mäßig weniger breiter Platz eingeräumt, und nach Hagel-
stanges Vorschlag der kirchengeschichtliche zweite Teil
von dem rein kunstgeschichtlichen ersten überhaupt los-
gelöst würde. Ich muß mir versagen, auf die weiteren
Punkte des näheren einzugehen. Streitschriften lesen
sich unerquicklich und bleiben meist auch etwas Un-
fruchtbares. Möge der vorliegende Fall hierin eine Aus-
nahme machen, die Kritik sich auf den Standpunkt stellen,
daß durch Vermeidung aller verletzenden Schärfe der
Wissenschaft am besten gedient wird, anderseits Prof.
Weber die Ausstellungen und Vorschläge Hagelstanges
ohne Voreingenommenheit prüfen und »das Gute be-
halten« resp. die für nächste Auflage seines verdienstvollen
Dürer-Buches nutzbar machen. Damrich
Die ehemalige Kloster- und Wallfahrtskirche
zu Bergen bei Neuburg a. D., ihre Geschichte
und Beschreibung. Leben und Werke des
Meisters ihrer Fresken, des Augsburger Kunst- und
Historienmalers Joh. Wolfgang Baumgartner 1712 —
1761. Von Dr. Alois Hämmerle, K. Gymnasialprofessor.
Mit 22 Abbild, im Text in 1 3 Tafeln. Sammelblatt des
Historischen Vereins Eichstätt, XXI. Jahrgang 1906, Eich-
stätt. Ph. Brömersche Buchdruckerei (Peter Seitz).
Die vorliegende wertvolle Monographie besteht aus drei
Abschnitten. Der erste enthalt die Geschichte und Bau-
beschreibung der interessanten romanischen Klosterkirche
zu Bergen mit ihrer schönen Krypta, ihrem alleinstehen-
den bergfriedartigen Turm. Der Verfasser konnte den
Nachweis erbringen, daß die Bergener Kirche eine Hallen-
kirche war, ein für die kunstgeschichthche Forschung
seltenes Resultat.
Der zweite Abschnitt schildert eingehend die Bauge-
schichte der heutigen Rokokokirche, die mit Benützung
des romanischen Mauerwerks von 1756—59 entstand.
Auf Grund reichlich fließender archivaHscher Quellen
entfaltet sich vor den Augen des Lesers ein anziehendes
Bild mit vielen kunstgeschichthchen Details.
Der dritte Abschnitt ist dem Augsburger Maler Joh.
Wolfgang Baumgartner gewidmet, der die Fresken der
Bergener Rokokokirche geschaffen hat. Baumgartner,
einer der tüchtigsten Rokokomaler, war bisher sehr wenig
bekannt. Der Verfasser bietet eine erschöpfende Dar-
stellung seines Lebens und Wirkens, die durch zahl-
reiche Abbildungen der Fresken in Bergen und Baiten-
hausen illustriert wird. Diese vortrefflichen Abbildungen
bieten denn auch unseren Künstlern wertvolles Material
nach derkompositionellen wie ikonographischen Seite hin.
F. Mider
Redaktionsschluß: 12. Juli.
BEILAGE
AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN
AUS DEM KUNSTVEREIN MÜNCHEN
Neben der höchst bemerkenswenen Xachlaßausstellung
des verstorbenen Landschaftsmalers H. Kamiah, welche
von einer nicht alltäglichen Kunst beredtes Zeugnis ab-
legte, fesselte vor allem die reiche Darbietung von land-
schaftlichen Motiven, mit denen Fritz Rabending auf-
wartete. Die stillen, einsamen, verschwiegenen Hoch-
täler mit hinziehenden, rauschenden Gewässern, schnee-
bedeckten Gebirgsketten, Gletscherhöhen, kurz die von
jeder Kultur ausgeschlossenen, wie in einem L'rzustande
noch ruhenden Schluchten und Abgründe der Alpenwelt
sind seine Lieblingsmotive. Hier trägt er eine ganze
Welt von persönlichem Erlebnis hinein und vermittelt
Natureindrücke ganz seltsamer Art, die auch in einer
Technik gegeben sind, die auf eine stark sensible Natur
hinweist.
An die Zügel-Schule erinnerten die Arbeiten des treff-
lichen Wilh. Tiedjen, wie denn Alice Trübner
vollständig sich die Manier ihres Gatten zu eigen ge-
macht hat. Wir können über diese extravagante Art,
Stilleben in einseitigstem Geschmack zu stellen und sim-
pel abzumalen, nicht viel Worte verlieren, sie richtet
sich meist selbst und es will bedünken, daß wir eine
Malerei erkennen, die gezwungen und absichtlich ge-
macht, nach einem längst erprobten Rezept erreicht wird.
Viel wärmer, innerlicher, wenn man, was für die bil-
dende Kunst so wichtig ist, sagen will, »naivere waren
den vorerwähnten Arbeiten gegenüber die Studien von
Anna von Regne und Uta von Weech. In einer
überaus großen, vielleicht einer zu großen Kollektivaus-
stellung offenbarte der Holländer Henri He)- ligers
sein nicht unbedeutendes Können. Seine Landschaften
wollen weniger Studien, wie dies heute so üblich, als
vielmehr Bilder sein, Bilder, die eine geschmackvolle
Künstlerseele in der Natur selbst komponierte. Seine
meist überaus einfachen, schlichten Motive, ein Schäfer
mit der Herde, eine Brücke über einen Bach, eine Gänse-
hirtin auf dem Felde, dort heimkehrende Feldarbeiter,
hier die Mutter mit ihrem Liebling am Arm, all das
schildert der Künstler intim und hebevoll. Eine etwas
starke, meist warme Farbenskala durchzieht diese Bilder,
die eben durch die schon angedeutete Fülle monoton
wirkt, dem einzelnen Werk für sich dagegen vortrefflich
zu statten kommt. Unter den vielen Malerinnen, die
in der letzten Zeit die Kunstvereinsausstellung beschick-
ten, ragen besonders hervor K. Hoch-Wilsing und
Franziska Bleicher. Das Damenporträt der letzteren
ist eine Leistung von nicht zu unterschätzender An.
Nachdem schon in München von einheimischen Kräf-
ten so unendUch viel produziert wird, ist es kaum noch
möglich, andere, auswärtige Künstlerverbände mit ihren
Darbietungen zu würdigen, kommt dann noch hinzu,
wie bei dem »Mährischen Künstlerbund«, daß nicht et-
was Besonderes geboten wird, oder solches, was hier
in München gerade so gut oder besser gemacht wird,
so sind diese Veranstaltungen zwecklos. Wir gehen
dann Heber zu unseren einheimischen Künstlern über
und betrachten dann mit größerem Vergnügen die Ar-
beiten unseres Ludwig \Villroid er oder eines Bö s-
senroth, eines Fr o ben i u s, welcher wieder in seinen
prächtig dekorativen farbigen Landschaftsbildern alle
Register seines starken Könnens zieht und seine Werke
mit einer echten Poesie, der ein leiser Anklang Roman-
tik anhaftet, verklärt. Stammen solche Schöpfungen aus
einer tiefmnerlichen Gemütsstimmung, so erkannte man
bei den Arbeiten von Erna Bossi und Wolfgang
Merkel den starken Einfluß französischer Kunst, ge-
mischt mit einer Dosis Hodlerschen Manierismus. Einer-
seits bedingunsloser Naturalismus und anderseits skla-
vische Nachahmung fremder Kunst des Auslandes hat
der einheimischen viel geschadet. Allzu viele Künstler
sind, wie wir dies noch täglich erfahren können, von
der französischen Kunst verdorben worden. Diese hat
ihnen den äußerlichen Schick, den Wurf, den Schmiß
gelehrt und durch solche reine » Phrasen '< vom mensch-
lichen Fühlen abgezogen und vor allem den gött-
lichen Lebensodem der Poesie ausgeblasen. Hierzu
tragen vor allem Dinge bei, wie sie Edwin Scharff
gebracht hat, die vielfach von jungen begeisterungsfähigen
Literaten gelobt werden, aber mit dem Wesen der
Kunst nichts zu tun haben. Solche Stiergefecht- und
Tingeltangel-Szenen, wenn sie von einem falsch ver-
standenen Impressionismus aus gemacht werden, ver-
wirren nur den Sinn der ohnehin bereits zur Genüge
übersättigten Kunstfreunde.
Über die große Kunstauffassung Rieh. Pietzsch'
haben wir schon des öfteren berichtet. Seine neuer-
lichen Arbeiten beweisen das stetige Voranschreiten.
Kösthch ist das Bild des idyllisch gelegenen Klosters
Schäftlarn, köstlich auch der farbige Herbstabend mit
der weitgedehnten Wiese im Vordergrund. Das Gefühl
der ernsten, stillen Schönheit der Natur hat Pietzsch
hier trefflich zum Ausdruck gebracht. Über die großen
Reiterbildnisse von Ludwig Herterich, bestimmt für
den alten Rathaussaal in Neumarkt, gingen die Meinungen
der Künstler und Kunst\-erständigen stark auseinander.
Sicher ist, daß eine große moderne Farbenfreudigkeit
die beiden Bilder belebt, die weniger monumental oder
gar historisch aufgefaßt, sondern als dekorative Malereien
zu betrachten sind. Das eine stellt den Kurfürsten
Friedrich von der Pfalz dar, das andere seine Gattin.
Ausgerüstet zur Jagd, sprengen sie durch die weite
Landschaft.
Einer von den vielen, die vergebens nach Anerkennung
als Künstler rangen, einer der, durch Verwirrung der Ge-
danken hervorgerufen, sein Leben endete, war Otto
Seraph Peters. Was dieser Maler als Landschafter
schuf, war zwar nicht überwältigend und erschütternd,
aber von emem solch sicheren Können getragen und
beseelt von innerer Lebenswärme, daß wir wenig ähn-
liches finden. So manche Künstler, die durch ihre
Vordringhchkeit und durch äußerlich blendende Ge-
schicklichkeit sich Plätze an erster Stelle errungen haben,
können mit ihren Leistungen nicht an jene heran, die
der Kunstverein als einziger Vertreter in pietätvoller
Weise ausstellt. Es ist ein Jammer, immer und immer
wieder die Erfahrung machen zu müssen, wie viel Talent
mit Füßen getreten, wie viel direkt durch Ungunst der
Lebensverhältnisse und sonstiger Umstände vernichtet
wird. Was Peters hätte leisten können, wenn man ihn
in richtige Bahnen geleitet, beweist u. a. das Golgatha-
bild und die sturmdurchwühlte großzügige Landschaft,
die bis zu einer monumentalen Wucht gesteigert sind.
Das solcherlei unbeachtet blieb, läßt sich auch dadurch
erklären, daß Werke, die vielleicht momentan, da sie
dem modernen Geschmack huldigen oder aktuell er-
scheinen, als bedeutende angesehen, andere dagegen über-
sehen werden, weil sie entweder nicht aufdringlich genug
sind oder zu kostbar, seltsam und fein, dem Geschmack
der Allgemeinheit nicht entsprechen, oder endhch in
ihren Ideen der Zeitströmung weit vorausgeeilt und des-
halb nicht verstanden werden. Erst eine spätere Zeit,
die nicht mehr im Streite der Meinungen steht, wird
diesen letzteren Kunstwerken gegenüber gerecht werden,
wenn man sie mit ungetrübtem Blick zu betrachten ge-
lernt hat.
Wenden wir diesen Blick dem längst dahingeschie-
denen Eugen Napol. Neureuther zu. Wenn wir
erkennen wollen, wie mächtig die Zeit ihren Einfluß
auf den Künstler ausübt, sei er noch so eigenartig ver-
anlagt, so gewinnen wir hievon ein klares Bild in der
dem Andenken Neureuthers gewidmeten umfangreichen
Ausstellung. Er, der 1806 geboren wurde und 1882
NEUE GRABMÄLER — ZU UNSEREN BILDERN
starb, war ein Zeitgenosse Schwinds und wie dieser
ein Romantiker von echtem Blute.
Der Geist jener Zeit, den eine ganz stattliclie Anzahl
Künstler in ihren Werlsen zum Ausdruck brachte, hat
wohl selten eine solch prägnante Verkörperung erfahren
als in diesem von schlichtem Sinne erfüllten, von hei-
terem Gemüte beseelten Zeichner. Denn mehr Zeichner
als Maler war Neureuther und er konnte so auch sein
Talent in den Märchenillustrationen recht entfalten. Mit
staunenswerter Sicherheit baut er seine Kompositionen
zum Dornröschen oder Aschenbrödel etc., umgeben vom
zierhchsten Rankenwerk, auf und belebt sie mit einer
Gedankenfülle, die sich selbst in den untergeordnetsten
Dingen ausspricht. Die Erfindungsgabe ist bei ihm
scheinbar unerschöpflich, stets weiß er neue Geschichten
zu erzählen, stets neues Rankenwerk zu ersinnen und
das konnte er nur, weil er die Natur als Basis seines
Schaffens wählte. In ihr fand er, wie Dürer, alles.
Wir müssen da zum Vergleich die Studien heranziehen,
die uns eine ganze Welt von Schönheit offenbaren und
uns auch zeigen, daß wir heute noch weit davon ent-
fernt sind, im modernen Geiste solche Übersetzungen
aus der Natur zu schaffen, wie dies Neureuther in der
Zeit des »Biedermaier« so einzigartig verstand. Es würde
zu weit führen und schließlich auch wenig frucht-
bringend sein, die ganze Fülle der Erinnerungsblätter,
Festkarten, Diplome, Randzeichnungen zu Volkshedern,
Balladen und Epen aufzuzählen. Nur so viel sei gesagt,
daß wir einen überaus reichen Schatz eines fruchtbaren
Künstlerlebens zusammengetragen finden, der uns nicht
nur von dem Geiste der Bodenständigkeit eines echt
nationalen Deutschtums beredtes Zeugnis ablegt, sondern
auch Werte vermittelt, die von unvergänglicher Dauer
sind. Franz Wolter
NEUE GRABMALER VON JOSEF KOPP
IN MÜNCHEN
VV/ie sehr die Grabmalkunst im argen liegt, zeigt schon
ein flüchtiger Blick in die Musterbücher und Muster-
lager der Steinmetzen und der >Grabsteinbildhauer«.
Der materialistische Geist, die Konvention und der nüch-
terne Schematismus, welche die Produktion beherrschten,
erschienen unüberwindlich, und doch drängte die Zeit,
die Renaissance der modernen Plastik und der moder-
nen .Sachkunst auf eine Regeneration der Grabmalkunst
hin. Es ist ein Verdienst der Deutschen Gesellschaft für
christliche Kunst, diese Aufgabe in ihrem ganzen Umfange
in Angriff genommen zu haben. Sie wurde nicht müde,
auf eine Vertiefung der künstlerischen Probleme hinzu-
arbeiten und fruchtbare Anregungen zur Hebung und
Läuterung des Geschmackes auszustreuen. Praktisch
suchte sie diese Ziele zu erreichen durch Veranstaltungen
von Wettbewerben unter den Künstlern und durch Vor-
führung ihrer Arbeiten in Ausstellungen. Vor kurzem
führte sie uns neue Arbeiten des schon von den Wett-
bewerben her bekannten Bildhauers Josef Kopp in Mün-
chen vor. Wir sahen Entwürfe, Zeichnungen und plasti-
sche Modelle von projektierten und ausgeführten Grab-
mälern. Ein besonderes Merkmal seiner Kunst ist, daß
er an alte volkstümliche Formen anknüpft. Seine Ent-
würfe zu ausgeführten Holzkreuzen für den Münchener
Waldfriedhof sprechen in ihren einfachen schlichten
Formen zum Gemüt des Volkes. Ebenso treuherzig
und bieder muten seine an Bildstöckeln, Marterln und
Wegkreuze erinnernden, mit religiösen Bildern geschmück-
ten Grabsteine an. Es ist ihm gelungen, schon kon-
ventionell gewordene Formen künstlerisch neu zu be-
leben und dadurch ihre Erscheinung zu veredeln und
zu verfeinern. Ganz einfachen Holz-, Stein- und Eisen-
kreuzen verleiht er neue Reize und Schönheiten. Wir
sehen aber auch, wie ihn neue Bedürfnisse und persön-
liche Wünsche des Bestellers anregen. Neues zu gestalten.
Ort, Lage und Größe des Platzes wirken bestimmend
auf die Form des Grabes ein. Ein Einzelgrab fordert
natürlich eine ganz andere Gestalt als ein Familiengrab,
ein Mauergrab oder eine Gruft verlangen wieder eine
eigene Gestaltungsweise. Vielerlei Momente müssen
dabei berücksichtigt werden. Einige ausgeführte Arbeiten
von Kopp wie z. B. die Grabstätte in Kufstein, boten
künstlerisch interessante Lösungen solcher Aufgaben dar.
Hier sei auch auf die Steingruppe der »Pieta«, welche
den Marktplatz von Deutschkrone (W.-Pr.) ziert und auf
den Entwurf einer steinernen Kreuzigungsgruppe für
einen kleinen Friedhof hingewiesen. (Vgl. die Abb. S.
248—256 dieser Zeitschrift und S. 58—65 [Nr. 8] des
»Pionier«.)
Zahlreiche Entwürfe von Grabmälern, welche mit
Relief-Bildwerken geschmückt waren, ließen eine beson-
dere Vorliebe des Künstlers für diese plastische Aus-
drucksform erkennen. Diese Vorliebe und häufige Ver-
wendung des Reliefs gründet sich auf eine bestimmte
Erfahrung. Bei seiner künstlerischen Tätigkeit auf Fried-
höfen machte er die Wahrnehmung, daß freistehende
Bildwerke in dem vielstimmigen Konzert von Farben
und Formen auf Friedhöfen nicht recht zur Geltung ge-
langen und nicht selten ihre Wirkung einbüßen, wäh-
rend hingegen Flächenbilder in inniger Verbindung mit
der Architektur des Grabmales ihre Wirkung immer be-
haupten. Die Bildersprache des Reliefs bietet dem Bild-
hauer auch den Vorteil einer unerschöpflichen Mannig-
faltigkeit an Ausdrucksformen und Darstellungsmöglich-
keiten dar. Es läßt überdies eine mannigfaltige Ver-
wendung aller Materialien : Stein, Metall, Holz und
Terrakotta zu. Auch hiefür bot die Ausstellung zahl-
reiche Beispiele.
Josef Kopp beherrscht mit seinem Können alle diese
Stoffe, er formt und bildet sie ihrem Charakter gemäß
und aus seiner handwerklichen Tüchtigkeit, seinem künst-
lerischen Empfinden und der Liebe, die er an alle diese
Aufgaben wendet, erwachsen ihm neue Formen und
neue Schönheiten.
Die Ausstellung brachte wieder den Beweis, wie nur
durch die Mitarbeit künstlerisch geschulter Kräfte das
so arg vernachlässigte Feld der Grabmalskunst bebaut
und fruchtbar gemacht werden könne,
ZU UNSEREN BILDERN
Die zwei wichtigsten Ausstellungen dieses
Jahres sind die Ausstellung für christliche Kunst in Düs-
seldorf und die X. Internationale Kunstausstellung im
Glaspalast zu München. Von der ersteren brachten wir
in den Heften 10 — 12 nicht weniger als 71 Abbildungen
und die ersten Hefte des nächsten Jahrganges werden
noch eine lange Reihe von Reproduktionen nach Kunst-
werken aus derselben enthalten. Außerdem sind viele
in Düsseldorf ausgestellte Werke von uns bereits früher
publiziert worden. Unsere Leser werden also gewiß
hinlänglich über die christliche Kunstausstellung in Düssel-
dorf orientiert, insbesondere erhalten sie einen Einbhck
nicht allein in die z. Z. weit auseinandergehenden Strö-
mungen in der christlichen Kunst Deutschlands, sondern
auch in die christliche Kunst des Auslandes. Die Ver-
öffenthchung von Werken der X. Internationalen Kunst-
ausstellung in München beginnt im vorHegenden Heft
und wird in den folgenden fortgesetzt.
Unsere farbige Sonderbeilage ist eine Repro-
duktion eines Werkes von H. Holbein dem Älteren. Das
Original ist 1,42 m hoch und 0,85 m breit und gehört
zu den Flügelbildern des ehemahgen Hochaltars in der
Klosterkirche zu , Kaisheim (Bayern), der 1 502 im
VERMISCHTE NACHRICHTEN — BUCHERSCHAU
Auftrage des dortigen Abtes Georg Kastner aufgestellt
wurde. Diese Bilder, welche der Alten Pinakothek in
München einverleibt sind, stellen das Leiden Christi (an
den Außenseiten der zwei Flügel) und das Leben Maria
(an den innern, nur an Feiertagen sichtbaren Seiten) dar.
Wie es im mittelalterlichen Kunstbetrieb üblich war,
arbeiteten an den Bildern der Außenseite otTenbar
Schülerhände z. T. in weitgehendem Maße mit. Unsere
Darstellung ist besonders interessant durch den Versuch,
die Lichtwirkung des Sonnenaufganges zur Geltung zu
bringen.
VERMISCHTE NACHRICHTEN
Ergebnis des Wettbewerbes für eine neue
Pfarrkirche in Starnberg. Den I. Preis erhielten die
Architekten Grandy und Lang in Pasing, den II.
Architekt Kirchmaver in Augsburg, den 111. Architekt
Niedermever in München und den 1\'. Professor
Richard Berndl in München. Das letztere Projekt
soll vorbehaltlich einiger Änderungen ausgeführt werden.
Wettbewerb für ein Eichend orff-Denkm al
in Breslau. Die Modelle sind bis 15. November an das
Schlesische Museum der bildenden Künste in Breslau
(Museumsplatz) einzusenden. Preise: 1500 M., 1000 M.
und 500 M. Die näheren Bestimmungen sind vom Denk-
malskomitee zu beziehen. Im Preisgericht, das aus 26
Herren besteht, ist ein Künstler (Maler).
X.Internationale Kunstausstellung imKgl.
Glaspalast zu München 1909. Die französische
Abteilung erfuhr eine wertvolle Bereicherung und Er-
gänzung durch eine Anzahl neuester Werke französischer
Künstler, die nach Schluß des Salons hierher gesandt
wurden und nunmehr aufgestellt sind. Es befinden sich
darunter Gemälde von Luzien Simon, Rapha^l
Collin, Lucien Jonas, Marcel Baschet, Emile
Aug. Carolus-Duran, Gaston La Touche, Eu-
gene Morand u.a.m.
BUCHERSCHAU
Geschichte der Verehrung Marias in
Deutschland während des Mittelalters. Ein
Beitrag zur Religionswissenschaft und Kunstgeschichte.
Von Stephan Beißel S. J. Mit 292 Abbildungen.
8° (XII und 678) Freiburg 1909, Herdersche Verlags-
handlung. M. 15. — , geb. in Leinwand M. 17.50.
Mit dem vorliegenden Werk haben wir aus den
Händen des um die Geschichte der christlichen Kunst
hochverdienten Verfassers eine neue wertvolle Gabe
erhalten, die unzweifelhaft eine große Lücke in der
kunstgeschichtlichen Literatur auszufüllen geeignet ist.
Man kann nicht eigentlich sagen, daß die Lücke fühl-
bar war. Man hat den Mangel eines derartigen Werkes
kaum empfunden, weil die moderne Kunstgeschichte
und Kunstforschung fast durchaus ihre eigenen Wege
wandelte, die mehr der Behandlung des .Äußerlich-
Formalen am Kunstwerke zustrebten, die wichtigen
Faktoren der mannigfaltigen Quellenforschung für die
Entstehung und den inneren Gehalt der Werke aber
unbeachtet beiseite ließen. Wenige waren es— ich nenne
nur einen, F. X. Kraus, und damit zugleich den besten — ,
die erkannten, daß, wenn wir die Bedeutung der christ-
lichen Kunst ganz erlassen woUen, wir auch ihren
Grundlagen und deren wechselnden Verhältnissen nach-
gehen müssen. Diese Grundlagen aber wurzeln in der
Religionswissenschaft. Stephan Beißel hat mit der Ge-
schichte der Marienverehrung im Mittelalter eines der
wichtigsten Kapitel der christlichen Kunst behandelt
und — um es gleich vorweg zu nehmen — das Thema
bis zum Grunde erschöpft. Es hält schwer, über die
Fülle des Dargebotenen zu referieren. Zunächst gibt
der Verfasser einen aus der Literatur und Geschichte
gewonnenen tiefen Einblick in die Anfänge der Marien-
verehrung und die Wechselbeziehungen der Kunst und
Literatur. Ausführlich behandelt er dann die Marien-
kirchen der karolingischen und romanischen Epoche
und die Marienbilder dieser Zeit. Naturgemäß nimmt
die Darstellung der Marienverehrung bei dem Zister-
zienser- und Prämonstratenserorden einen bedeutenden
Raum in dem Buche ein, nicht weniger der Franzis-
kaner- und Dominikanerorden. Die innige Hingabe an
»Unsere Liebe Frau« wird uns hier in den entzückend-
sten Liedern geschildert oder es treten uns in poetischen
Predigten eines Thomas von Aquin, Meister Eckharts
oder Johannes Taulers jene kindlichfrommen Bilder vor
Augen, die in der bildenden Kunst der Zeit, zumal in
der Malerei, sich so anmutig widerspiegeln. Man
würde gerade angesichts dieser Kapitel dem Werke
unrecht tun, wollte man es nur als eine religionswissen-
schaftliche und kunstgeschichtliche Studie behandeln.
Es ist vielmehr auch als eine literargeschichtliche und
poetische Schöpfung anzuerkennen, die in ihrer ganzen
Anlage und in der feinen Diktion den anziehenden
Stoff zu voUem Genüsse bietet. AußerordentHch inter-
essantes Material ist für den Kunsthistoriker in den Ka-
piteln über »Mittelalterliche Rehquien und Reliquiare
der Gottesmutter«, dann über »Gotische Marienbilder«,
über »Maria in der Armenbibel« u. a. aufgespeichert.
Besonders wertvoll sind an diesen Kapiteln auch die
reichen .Abbildungen ikonographisch merkwürdiger und
wenig bekannter Kunstwerke. .Auch der Folklorist wird
manches Neue aus dem Buche gewinnen. Wir emp-
fehlen das Werk den weitesten Kreisen aufs wärmste.
Figurale Holzplastik, ausgewählt und heraus-
gegeben von Julius Leise hing, Direktor des Erz-
herzog-Raimer-Museums für Kunst und Gewerbe in
Brunn. Erster Band. Wiener Privatbesitz: Dr. Albert
Figdor, Eugen von Miller zu Aichholz, Hans Schwarz,
Graf Hans Wihzck. Kirchliche und profane Schnitz-
werke. Wien 1908, Kunstverlag Anton SchroU & Comp.
Vor uns liegt ein stattlicher Band von siebzig zum
größten Teil sehr guten Lichtdrucktafeln mit rund
anderthalbhundert holzplastischen Werken. Es darf
im voraus gesagt werden, daß das Werk allseits die
willkommenste Aufnahme finden wird, denn wer sich
je mit figuraler Holzplastik wissenschaftlich befaßte,
mußte den Mangel geeigneten Abbildungsmaterials d. h.
klare, große, zu stilistischen Vergleichen dienliche Re-
produktionen schmerzlich empfinden. Lassen doch mit
solchen selbst alle unsere großen Museen zurzeit noch
in Stich I Wie stiefmütterlich behandelt erscheint die
Plasrik in diesem Sinne überhaupt gegenüber der
Malerei. Leisching hat entschieden mit dem ersten
Bande einen guten Griff getan, indem er uns die oft
schwer zugänglichen Schätze Wiener Privatbesitzes
zum ersten Male erschloß. Nur wenig davon — irre
ich mich nicht, lediglich ein paar Stücke der Sammlung
.Albert Figdor — waren durch Ausstellungen bekannt
geworden, ein paar anderen Objekten begegnete man
da und dort in den verdienstvollen Untersuchungen
Hans Sempers über Tiroler Bildhauer. Von der Fülle
der Wiener Privatsammlungen gewann man aber bislang
kein richfiges Bild. In ihrer Gesamtheit füllen sie ge-
rade hinsichtlich der Holzbildnerei eine beträclitliche
Lücke in den ölTentlichen Museen der Kaiserstadt aus,
denn dort wird man — kleinplastische Objekte und einige
wenige größere Bildwerke ausgenommen — vergebens
BUCHERSCHAU
nach ähnlichem Reichtum mittelaherlicher und Renais-
sance-Werken ausschauen, wie sie Nürnberg, München
oder selbst Berlin aufweisen. Was diese Wiener Samm-
lungen aber ganz besonders wertvoll macht, ist die
absolute Qualität der Bestände, nicht nur in künstle-
rischer, sondern auch in kunstgeschichtlicher und ikono-
graphischer Hinsicht. Es häk schwer, nach Maßgabe
von Leischings Publikation dieser oder jener Sammlung
den Vorrang einzuräumen, denn schließlich haben alle
die persönlichen Neigungen der verschiedenen Besitzer,
die hier zur Geltung kommen, ihre Berechtigung.
Naturgemäß überwiegt in den Wiener Sammlungen
die österreichische und süddeutsche Holzplastik, docli
begegnen wir auch einigen leinen niederrheinischen und
burgundischen Arbeiten. Bedauerlich ist, daß, wie das
leider nur zu oft der Fall bei Holzfiguren ist, sich eine
sichere Provenienz bei vielen Stücken nicht mehr nach-
weisen läßt. Leischings kurze Textangaben treffen im
allgemeinen wohl stets das Richtige und bieten somit
auf den Irrwegen des weitverzweigten und noch viel-
fach im Dunkel liegenden Gebietes deutscher Holz-
plastik manch guten Wegweiser.
Den Zwecken unserer Zeitschrift entsprechend sei
die vorliegende Publikation besonders auch den schaffen-
den Künstlern empfohlen Nicht in dem Sinne, daß
den Bildhauern hier neues Material zum Nachahmen
und Nachbilden geboten würde. Das versteht sich ja
schließlich ganz von selbst. Wichtiger aber erscheint
uns der allgemein erzieherische Wert der Publikation
für den Schaffenden, wie er sich aus der eindringlichen
Betrachtung der Typen, der Stilwandlungen und der
mannigfachen Stimmungsfaktoren gewinnen läßt. An-
gesichts der trefflichen Gabe darf man mit großen Er-
wartungen den folgenden Bänden entgegensehen, zu
denen als Anhang ein resümierender Textband aus der
Hand Julius Leischings in Aussicht gestellt ist.
Philipp Maria Halm
Dr. Alois Wurm: Moral und bildende Kunst.
Münchener Volksschriftenverlag.
Schreiber folgender Zeilen ist weder Künstler noch
Kunstverständiger, aber er interessiert sich als Freund
lur die Kunst. Dank dieser Freundschalt hat er schon
oft das im obigen Buchtitel ausgesprochene Problem
peinlich empfunden. Er ist auch überzeugt, daß sehr
viele andere in derselben Lage sind. Diesen möchte er
nun das obige Büchlein aus persönlicher Erfahrung an-
gelegentlichstempfehlen. — Der bekannte Ernst um nicht
zu sagen die Stienge des Verfassers als Kunstschrift-
steller und Kritiker und seine Persönlichkeit bieten ja
von vorneherein die Sicherheit, daß man durch ihn gut
gelührt wird. Trotzdem nimmt man aber mit einer lei-
sen Beklemmung ein Buch in die Hand, das sich mit
dem Verhältnis der Moral zur Kunst beschäftigt. Greift
guten Mutes zu ! Wer die ersten Seiten zweimal gele-
sen hat — es wird bei jedem Gelehrten so sein müssen —
und die »grundlegenden Fragen« und ihre Beantwortung
verfolgt hat, bei dem bricht alsbald die Beklemmung
und er empfindet aus der Darlegung des Zweckes der
Kunst eine Erhebung und Befreiung, wie sie ein Kunst-
werk selbst bewirken soll. Man ist dem Verfasser dank
bar für seine Aufklärung und bedauert ihn nur, daß er
von »in sich bedenklichen Werken der Kunst< und
»dem praktischen Verhalten« letzteren gegenüber reden
muß. Aber die Beruhigung und Befriedigung dauert fort
bis zum Schlüsse. Man legt es weg mit dem Wunsche :
wenn doch auch die Künstler das Werk lesen und daraus
wieder lernen würden, was die Kunst der Mensch-
heit sein könnte und sein sollte! Sie würden nicht
so viele schöne Kraft vertändeln, sondern sie anwenden,
um das Beste und des Künstlers Würdigste zu schaffen.
Die Menschheit hat ein Recht darauf. Möchten aber
auch alle Freunde der Kunst, die etwa über das Ver-
hältnis derselben zur Moral im unklaren sind, das Büch-
lein mit Liebe lesen. Es ist trotz des geringen Umfanges
von 1 08 Seiten und trotz des billigen Preises von 50 Pfg.
ein gewichtiges Buch.
Westen Wcgliofer
> Ars Sacra • , Blätter heiliger Kunst mit begleitenden
Worten von Josef Bernhart. Gleichnisse des Herrn.
2. Serie. Jos. Kösel, KemptenMünchen. 3 M.
Als wir vor einem Jahre den ersten Teil der »Ars
Sacra« besprachen, da drückten wir die Hoffnung aus,
das Werk möchte nicht in den Händen Weniger liegen
bleiben. Inzwischen hat es seinen Weg und sein Gluck
gemacht und hat uns aufs neue in dem Glauben bestärkt,
daß auch christliche Kunst noch weithin offene Türen
findet und daß Worte des Glaubens aus warmer Seele
und mit Überzeugungskraft gesprochen die alte Gewalt
über die Menschenherzen nicht verloren haben. Der
Erfolg der »Ars Sacra« ist ein frohes, vorwärts winkendes
Zeichen für alle, welche in heiliger Kunst schaffen und
wirken. Das neue Werk wird keinen enttäuschen, der
zum ersten ein Verhältnis gewonnen und das zweite mit
großer Erwartung begrüßt hat. Es bietet wieder religiöse
Gedanken und Anregungen in reichster Fülle, in edelster
Form. Bei der Auswahl der Bilder ward noch mehr
als beim ersten Teil auf den religiösen Gehalt gesehen.
Es sind manche seltene Blätter darunter. Die Gleichnises
werden ja von Künstlern nicht allzu oft behandelt. Die
Blätter, die uns hier geboten sind, lassen uns die ganze
reiche und herrliche Poesie der Gleichnisreden aufs neue
erleben, die »begleitenden Worte« aber helfen uns dazu,
»die Geheimnisse Gottes zu verstehen«. p. Dörfler
Studien zur Entwicklungsgeschichte des
spätgotischen Kirchenbaues im Münchner
Gebiet. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktor-
würde einer hohen philosophischen Fakultät (Sektion I)
der K. B. Ludwig -Maximilians -Universität zu München
vorgelegt am 15. Mai 1908 von Hans Karlinger. Mün-
chen 1908. Anton Huber, Hoflithographie und Buch-
druckerei. 90 S. 8°.
In neun Kapiteln geht der gewissenhaft arbeitende
Verfasser der Lösung seiner Aufgabe nach. Nach ein-
leitenden Bemerkungen über die kulturgeschichtliche
Situation Altbaverns im 1 5. Jahrhundert schildert er die
Bautätigkeit im Münchner Gebiet, in den Gegenden
nördlich und südlich von München bis zur Erbauung
der Frauenkirche, dann diese selbst, des weiteren die
Entfaltung der Landshuter Schule an der nördlichen
Grenze des Münchner Gebietes, die Bautätigkeit der
Klöster und das Entstehen von Landkirchen seit der
Mitte des 15. Jahrhunderts, endlich die Gotik des
16. Jahrhunderts und Übergangsformen und Ausklänge.
Es ist auf verhältnismäßig wenig Raum eine bewunderns-
werte Stoffülle zusammengedrängt und die genaueste
Analyse der Bauformen, deren Vergleichung und die
darauf gestützte Erklärung der Zusammenhänge bietet
viele beachtenswerte Aufschlüsse in baugeschichtlicher
Hinsicht.
Freisin" Huber
DER PIONIER
Inhalt des 12. Heftes:
Über Bilderbesprechung in der Schule. Von E. Guten-
sohn. — Submissionseinladung. — Tünchungvon Barock-
kirchen.— Anregungenund Mitteilungen. — 3 Abbildungen.
Redaktionsschluß: 15. Augnst
1814
BINDING SECT. SEP2 1970
L-.^ ^^® Christliche Kunst
C4S
Jg. 5
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