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Full text of "Die composition des Hexateuchs und der historischen bücher des Alten Testaments"

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ii 


5? 


,1. 


'the  search  for  truth  even  unto  its  innermost  parts" 

In  Honor  of 

Dr.   Abram  Sachar 

Given  by 

A  Group  of  Friends 


Brandeis  University  National  Women's  Committee 

C-12/7-76/5M 


¥ 


^Uf^:        VV 


1 
DIE  COMPOSITION 

DES  l___^i 


HEXATEÜCHS  UND  DER  HISTORISCHEN  BÜCHER 
DES  ALTEN  TESTAMENTS. 


VON 


J.  WELLHAÜSEK 


DRITTE  AUFLAGE. 


BERLIN. 

DRÜCK  UND  VERLAG  VON  GEORG  REIMER. 

1899. 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

Boston  Library  Consortium  Member  Libraries 


http://www.archive.org/details/diecompositionde1484well 


WILLIAM  ROBERTSON  SMITH 

t  31.  MÄRZ  1894. 


GEWIDMET. 


718602 


Ich  stelle  hier  die  Untersuchungen  zusammen,  die  ich  1876.77 
in  den  Jalu'büchern  für  Deutsche  Theologie  XXI  392 — 450. 
531_602.  XXII  407—479  und  1878  in  der  vierten  Auflage  von 
Bleeks  Einleitung  181 — 267  zuerst  veröffentlicht  habe.  Um  die 
Diskussion  nicht  unverständlich  zu  machen,  die  sich  daran  geknüpft 
hat,  di'ucke  ich  sie  wörtlich  ab,  mit  Angabe  der  Seitenzalilen  der 
ursprünglichen  Publikationsstellen.  Es  soll  also  damit  nicht  gesagt 
sein,  dass  ich  nichts  zu  verändern  fände.  Nachträge  habe  ich  in 
einen  Anhang  verwiesen. 


Die  Composition  des  Hexateiichs. 

Das  Thema  bedarf  keines  Vorwortes,  nur  über  die  angewandte  XXI 
Signirung  der  Quellen  habe  ich  mich  zu  verantworten.  Ich  habe  392 
mich  nicht  an  Dillmann  angeschlossen,  denn  wenn  er  die  s.  g. 
Grundschiift  (älterer  Elohist,  Buch  der  Ursprünge)  mit  A,  den 
Elohisten  (s.  g.  jüngerer  E.)  mit  B,  den  Jahvisten  mit  C  bezeichnet, 
so  ist  darin  ein  stillschweigendes  Praejudiz  über  die  Altersfolge 
der  Quellen  eingeschlossen,  welches  diese  Bezeichnung  von  vorn- 
herein verhindert,  allgemein  gebraucht  zu  werden.  So  wie  Dill- 
mann selbst  sich  nicht  bei  den  Zeichen  seines  Vorgängers  Schultz 
beruhigt,  sondern  dessen  B  zu  C,  C  zu  B  macht,  so  wii'd  ein 
anderer  Dillmanns  C  zu  A  und  A  zu  C  machen  wollen;  dies 
Princip  ist  also  unpraktisch  und  richtet  Verwirrung  an.  Ich  habe 
für  die  s,  g.  Grundschrift  das  Zeichen  Q  gewählt,  als  Abküi'zung 
für  Vierbundesbuch  (quatuor),  welchen  Namen  ich  als  den 
passendsten    für    sie    vorschlage;    den    anderweitigen    vom    letzten 

Wellha Ilsen,    Comp.   d.   Hexateuchs.   3,    Aufl.  1 


2  Die  Genesis. 

Redactor  (R)  damit  vereinigten  Stoff  insgesamt  (=  das  jeliovistisclie 
Geschichtsbuch)  habe  ich  JE  bezeichnet  und  darin  den  Jahvisten 
und  Elohisten  als  J  und  E  unterschieden.  Mein  Verhältnis  zu  den 
Yorgängern  wii'd  aus  der  Abhandlung  selbst  sich  ergeben,  an  dieser 
Stelle  bemerke  ich  bloss,  dass  meine  Untersuchungen,  die  ich  für 
die  Genesis  im  Winter  1872/73  und  für  den  übrigen  Pentateuch 
im  Winter  1874/75  gefülu-t  habe,  abgeschlossen  vorlagen,  als  die 
sorgfältige  Scluift  Kaysers  über  das  vorexilische  Buch  der  israelitischen 
Urgeschichte  und  Dillmanns  gediegener  Commentar  über  die  Genesis 
erscliienen  und   mii*  zu  Gesicht  kamen. 

I.   Die  Genesis. 

Die  Urgeschichte  der  Menschheit.     Gen.  1 — 11. 

Die  Quelle  Q  wird  übereinstimmend  folgendermassen  aus- 
geschieden: a)  Geschichte  des  Himmels  und  der  Erde  1,  1  — 2,  4a. 
b)  Geschichte  Adams  Kap.  5  (ausg.  v.  29).  c)  Geschichte  Noahs  6, 
9—22.  7,  11—8,  5  (ausg.  7,  12.  16  c.  17.  22  s.  8,  2  b).  8,  13—19. 
9,  1—17.  9,  28  s.  d)  Geschichte  der  Söhne  Noahs  Kap.  10  (mit 
393  bedeutenden  Ausnahmen),  Geschichte  Sems  11,  10 — 26  und  Ge- 
schichte Therahs  11,  17 — 32  (ausg.  v.  29).  Dies  ist  ein  voll- 
ständiger, klarer  und  geschlossener  Zusammenhang,  erhalten  bis 
auf  die  Titel  der  einzelnen  Abschnitte. 

Was  übrig  bleibt  (JE),  das  darf  seit  Hupfeld  als  anerkannt 
gelten,  sind  nicht  einzelne  lose  Geschichten  und  Zusätze,  die  in 
den  Zusammenhang  von  Q  ergänzend  eingefügt  sind  und  erst  da- 
durch Halt  gewonnen  haben,  sondern  ein  anderAveitiger,  selbst- 
ständiger Erzählüngsfaden,  der  von  dritter  Hand  init  Q  zusammen- 
gearbeitet ist.  Aber  dieser  Faden  wird  einesteils  von  R  nicht  so 
intact  gelassen  wie  Q  und  ist  auf  der  anderen  Seite  an  sich  selbst 
nicht  so  glatt  und  einfach  wie  Q,  sondern  von  complicii'terer  Be- 
schaffenheit. 

1.  Die  Tätigkeit  des  Redactors  besteht  vornehmlich  in  der 
geschickten  Ineinanderschiebung  der  Quellen,  wobei  er  iln-en  Inlialt 
möglichst  unverküi'zt,  den  Wortlaut  und  die  Ordnung  der  Erzählung 
möglichst  unverändert  lässt.  Aber  nicht  immer  kann  er  so  ohne 
eigene  Eingriffe  verfahi-en.  Zuweilen  macht  er  Zusätze,  etwa  um 
einen  Widerspruch  zu  beseitigen  oder  einen  Spalt  zu  verdecken, 
z.  B.  Gen.  7,  6 — 9.     Ein  ander  Mal  nimmt  er  eine  Verstellung  in 


1-11.  3 

der  einen  Quelle  vor,  um  sie  dem  Zusammenhange  der  anderen 
anzupassen,  z.  B.  7,  16c:  und  Jahve  schloss  hinter  ihm  zu, 
was  in  JE  ursprünglich  etwa  hinter  7,  7  stand,  wegen  der  Zu- 
sammenarbeitung mit  Q  aber  unmöglich  vor  v.  13 ss.  gebracht 
werden  konnte.  Endlich  —  und  das  ist  die  Hauptsache  —  hat  R 
auch  allerlei  Verkürzungen  und  Auslassungen  vorgenommen.  Wie 
seine  Eingriffe  in  Gen.  1 — 11  überhaupt  auf  Kosten  von  JE 
geschehen  —  Q  wird  zu  Grunde  gelegt,  JE  ihi'  eingepasst  — ,  so 
betreffen  auch  die  Auslassungen  meist  diese  Quelle. 

Die  Hauptstücke  der  Erzälilung  folgen  Gen.  1—11  in  JE  eben 
so  auf  einander  wie  in  Q:  drei  Epochen  vermittelt  durch  zwei 
Übergangsperioden.  Also  a)  der  Anfang  der  Weltgeschichte,  b) 
von  Adam  bis  Noah,  c)  die  Sündflut,  d)  von  Noah  bis  Abraham, 
wozu  dann  als  dritte  Epoche,  die  aber  über  Kap.  1 — 11  schon 
hinaus  fällt,  die  Berufung  Abrahams  kommt.  Das  erste  Stück  nun 
ist  in  vollem  Umfang  aus  JE  mitgeteilt  2,  4b — 3,  24;  aber  bereits  im 
zweiten  fehlt  gegenwärtig  der  Übergang  auf  Noah,  der  doch 
in  JE  ebensowol  der  Held  der  Sündflut  ist  wie  in  Q.  Neben  der 
Genealogie  4,  16 — 22,  die  auf  Lamech  und  seine  drei  Söhne  aus- 
läuft, muss  noch  eine  andere  in  JE  gestanden  haben,  die  von  Adam 
auf  Noah  und  seine  drei  Söhne  fülute  und  durch  Kap.  5  (aus  Q)  394 
verdrängt  wurde.  Der  Schluss  derselben  ist  uns  in  5,  29,  ein- 
gesprengt in  Q,  erhalten,  der  Anfang  vielleicht  in  den  Versen  4,  25  s., 
die  man  gegenwärtig  dem  U  zuschi'eibt,  die  aber,  wenn  sie  auch 
von  anderer  Vorstellung  und  Sprache  ausgehn  als  4,  16 — 24,  doch 
sehr  wol  zu  JE  gehören  können.  Daraus  dass  R,  um  von  4,  24 
zu  5,  1  einen  Übergang  zu  gewinnen,  zu  einem  ähnlichen  Einsatz 
gezwungen  worden  wäre,  folgt  nicht,  dass  er  4,  25  s.  nicht  schon 
vorfand;  er  wüi'de  nicht  über  das  Notwendige  hinausgegangen 
sein,  nicht  die  Etymologie  und  nicht  das  merkwüi'dige  „iste  coepit 
invocare  nomen  Domini"  hinzugefügt  haben.  Bedeutende  Einbussen 
hat  der  Zusammenhang  von  JE  auch  im  di'itten  Stück  erlitten. 
Die  beiden  zunächst  auf  einander  folgenden  Abschnitte  aus  JE  6, 
1 — 8  und  7,  1 — 5  schliessen  nicht  zusammen;  ausgelassen  ist  in 
der  Mitte  die  Eröffnung  über  das  drohende  Strafgericht  an  Noah, 
wovon  6,  8  nur  noch  der  Ansatz  zu  erkennen  ist,  und  der  Bau 
der  Arche  —  natüi'lich  weil  beides  inzwischen  aus  Q  mitgeteilt 
worden  war  6,  9 — 22.  Nach  7,  1 — 5  trifft  man  erst  8,  6 — 12 
wieder  auf  ein  solides  Stück  von  JE,  dazwischen  sind  zwar  manche 


4  Die  Genesis. 

Fragmente  daraus  hie  und  da  eingestreut,  aus  denen  sich  aber 
schwerlich  das  Ganze  reconstruiren  lässt.  „Und  Noah  tat  ganz  wie 
ihm  Jahve  geboten  (7,  5),  und  Noah  ging  mit  seinen  Söhnen, 
seinem  Weibe  und  seiner  Söhne  Weibern  hinein  in  die  Arche  vor 
dem  Wasser  der  Flut  (v.  7),  und  Jahve  schloss  hinter  ihm  zu 
(v.  16  c).  Und  nach  sieben  Tagen  kam  das  Wasser  der  Flut  auf 
Erden  (v.  10),  und  der  Regen  trat  ein  auf  Erden  vierzig  Tage  und 
vierzig  Nächte  (v.  12),  und  die  Flut  war  vierzig  Tage  auf  Erden, 
und  das  Wasser  stieg  und  hob  die  Arche  auf,  dass  sie  vom  Boden 
sich  erhob  (v.  17).  Alles  was  Lebensodem  in  der  Nase  hatte,  von 
allen  Wesen  des  Festlandes,  kam  um  (v.  22).  Und  er  tilgte  alle 
Existenz  auf  dem  Lande  vom  Menschen  an  bis  zu  den  Tieren  und 
Wüi-mern  und  den  Vögeln  des  Himmels,  und  sie  wurden  von  der 
Erde  getilgt,  und  nur  Noah  blieb  übrig  mit  denen  in  der  Arche 
(v.  23).  Und  nach  vierzig  Tagen  (8,  6  a)  da  hörte  der  Regen  vom 
Himmel  auf  (v.  2b),  und  Noah  öffnete  u.  s.  w.  (v.  6ss.)^)"  Dies 
genügt  zwar  sachlich,  aber  nicht  formell,  z.  B.  hat  der  Satz  7,  23 
kein  Subject.  Zwischen  8,  6 — 12  und  dem  nächsten  jehovistischen 
395  Stück  8,  20 — 22  fehlt  jedenfalls  die  Nachi'icht  vom  Auszug  aus 
der  Arche,  die  aus  Q  gegeben  wird.  Zur  Annahme  aller  dieser 
Lücken  zwingt  der  Zusammenhang.  Es  gibt  aber  auch  episodische 
Züge,  die  unbeschadet  des  Zusammenhanges  felilen  können,  und 
auch  Auslassungen  von  dergleichen  Angaben  in  JE  werden,  in 
Collisionsfällen  mit  Q,  vorgekommen  sein;  sie  sind  nur  nicht  nach- 
weisbar. Wahi'scheinlich  ist  z.  B.,  dass  nicht  blos  in  Q,  sondern 
auch  in  JE,  einer  Schi'ift,  die  in  den  Localitäten  viel  genauer  ist, 
der  Ort  angegeben  war,  wo  die  Arche  landete. 

Dem  vierten  Hauptstück  von  Q,  den  Tholedoth  b'ne  Noah, 
entspricht  in  JE  zunächst  der  Abschnitt  9,  18 — 27,  der  nur,  weil 
Noah  hier  noch  am  Leben  ist,  vor  9,  28  s.  treten  und  also  in  dem 
Titel  Tholedoth  Noah  aufgenommen  werden  musste.  Weiter  aber 
gab  es,  wie  in  Q,  auch  in  JE  an  dieser  Stelle  eine  Völkertafel, 
aus  welcher  nicht  bloss  10,  8 — 12,  sondern  noch  manche  andere 
Bruchstücke  in  Kap.  10  erhalten  sind.  Ich  werde  das  etwas 
ausfüMicher  nachweisen  müssen. 

Folgendes  ist  das  sehr  hervortretende  Schema,  in  welches  Q 
den  ethnologischen  Stoff  im  Kap.  10  einordnet: 

^)  Allerlei  wird  hiervon  noch  dem  Redactor  zuzuschreiben  sein,  besonders 
in  V.  7.  10  b.  12  a.,  auch  Teile  von  v.  23,  vgl.  6,  7. 


Kap.  1-11.  5 

Dies  sind  die  Tholedoth  der  Söhne  Noahs,  Sem,  Harn  und 
Japlieth     .     .     .     V.  1. 

a.  Söhne  Japheths:  .  .  .  v.  2ss.  Dies  sind  die  Söhne 
Japheths*),  von  denen  die  Inseln  der  Völker  ausgebreitet  sind,  in 
ihi'en  Ländern,  je  nach  ihren  Sprachen,  nach  ihren  Arten,  in  ilii*en 
Völkern,     v.  5. 

b.  Söhne  Harns:  .  .  .  v.  6ss.  Dies  sind  die  Söhne  Harns, 
nach  ihren  Arten,  nach  ilu'en  Zungen,  in  ihren  Ländern,  in  ihren 
Völkern,    v.  20. 

c.  Söhne  Sems:  .  .  .  v.  22ss.  Dies  sind  die  Söhne  Sems, 
nach  ihi-en  Arten,  nach  iluen  Zungen,  in  ihren  Ländern,  nach 
ihi'en  Völkern,     v.  31. 

Dies  sind  die  Geschlechter  der  Söhne  Noahs,  nach   ihi'er 

Abstammung,  in  ihi'en  Völkern,  und  von  ihnen  sind  die 

Völker  auf  Erden  ausgebreitet  nach  der  Sündflut.     v.  32. 

In  dieses  Schema  von  Q  passt  nun,  auch  abgesehen  von  10, 

8 — 12,    nicht  ^  alles,    was    gegenwärtig    in  Kap.   10  enthalten  ist. 

Wenn  man  das  Übrige  vergleicht,  so  ist  v.  22  darauf  berechnet,  396 

die  di'itte  Abteilung  in  Q  zu  eröffnen,  und  duldet  den  v.  21  nicht 

vor  sich.     Es  sind  vielmehr  v.  21   und  v.   22  zwei  einander  aus- 

schliessende   Parallelen,    beides  Köpfe    des    folgenden  Abschnittes; 

man    darf  sie  nicht  hinter  einander,  sondern  nur  neben  einander 

stellen. 

In  V.  21  ist  Eber  so  sehr*  der  wichtigste  unter  den  Söhnen 
Sems,  dass  er  sogar  gleichbedeutend  mit  Sem  selber  ist  und  sich 
ähnlich  zu  ihm  verhält  wie  Machir  zu  Manasse.  Dagegen  v.  22. 
23  tritt  Eber  nicht  bloss  nicht  unter  den  übrigen  Söhnen  Sems 
hervor,  sondern  er  wii-d  nicht  einmal  dazu  gezählt;  nach  11,  14 
(Q)  ist  er  erst  sein  LTrenkel. 

Diese  Beobachtung  führt  weiter  dazu,  v.  21  unmittelbar  mit 
V.  25  SS.  zu  verbinden,  wo  Sem  eben  so  wie  dort  weiter  nichts  als 
die  Gesamtheit  der  Söhne  Ebers  ist.  „Sem  aber  hatte  auch  Nach- 
kommen, er  ist  der  Vater  aller  Söhne  Ebers,  der  ältere  Bruder 
Japheths.  Und  dem  Eber  wm^len  zwei  Söhne  geboren,  der  eine 
hiess  Phaleg  und  der  andere  Joktan  ....  (v.  21.  25 — 30)."  Nach 
Q  hat  Eber  hier  gar  nichts  zu  tun,   er  gehört  nicht  in  die  Genea- 


^)  Diese  Worte  sind  am  Anfang  von  v.  5  herzustellen,  sowol  nach  der 
Ähnlichkeit  des  Schemas,  als  um  das  Misverständnis  zu  verhüten,  dass  bloss 
von  den  zuletzt  aufgeführten  Söhnen  Javans  hier  die  Rede  sein  sollte. 


ß  Die  Genesis. 

logie  der  Gojim  (v.  5.  32),  sondern  als  Mittelglied  in  die  Israels. 
Zu  Q  gehört  nur  v.  22.  23;  v.  24  aber  ist  eine  Naht  des  R 
(materiell  aus  11,  14  entnommen),  welche  ihrerseits  auch  wieder 
die  Tatsache  zweier  verschiedenen  Lappen  beweist. 

Nunmehr  kann  ich  mich  auch  auf  den  Widerspruch  berufen, 
in  welchem  10,  25—30  imzweifelhaft  zu  v.  7  (=Q)  stehn:  hier 
werden  die  südarabischen  Stämme  von  Kus,  dort  von  Eber  abge- 
leitet. Weiter  auf  die  Differenz  der  Sprache.  Durch  "1^^  Dirb. 
ib^  "inV^  werden  v.  21.  25  eben  so  sehr  untereinander  verbunden, 
wie  von  Q  geschieden,  welche  Quelle  nie  diese  Ausdrücke  gebraucht, 
vielmelii'  stets  iJil  v.  2.  3.  6.  7.  20.  22.  23.  Ebenso  ist  ib'  (v.  26) 
zwar  wol  dem  R  zuzutrauen,  der  Vorstellungen  und  Ausdrücke 
beider  Quellen  kennt  und  verbindet,  aber  Q  gebraucht  beständig 
dafüi'  l^b)n.  Von  allen  Seiten  bestätigt  sich  das  Ergebnis,  dass 
im  Verzeichnis  der  Söhne  Sems  10,  22.  23  =  Q;  10,  21.  25—30  = 
JE;  10,  24  =  R. 

Nicht  anders  steht  die  Sache  bei  den  Söhnen  Hams  v.  6 — 20. 
Nur  V.  6.  7.  20  gehören  zu  Q,  v.  8 — 19  dagegen  zu  JE.  Von 
V.  8 — 12  wii'd  das  allgemein  zugegeben  —  in  welcher  Verbindung 
soll  aber  dies  Stück  gestanden  haben.^  Mit  11,  1 — 9  es  in  Zu- 
sammenhang zu  bringen,  ist  unmöglich.  Vielmehr  ist  10,  13 — 19 
397  die  formelle  Fortsetzung  von  10,  8—12;  vgl.  "ib"»  tnD)  v.  8, 
"ib^  Dni5?21  V.  13,  lb^  )l?iD1  V.  15,  gegen  •':m  v.  6.  7.  20  (Q). 
Beachtenswert  ist  auch  die  Parallele  des  Schlusses  v.  19  mit  v.  30, 
der  Ausdruck  IKD:  v.  18  (gegen  "i1£)J  10,  5.  32)  und  riDND.  v.  19. 
—  Nur  der  erste  Abschnitt  10,  2 — 4  ist  bloss  aus  Q  erhalten. 
Dass  aber  Japheth  auch  in  JE  nicht  fehlte,  erhellt  aus  v.  21  und 
besonders  aus  9,  18s.  Denn  diese  Averse,  die  in  den  Zusammenhang 
von  Q  nicht  passen  und  durch  die  Sprache  (vergl.  9,  19  mit 
10,  5.  32)  von  ihr  sich  scheiden,  sind  nicht  anders  zu  verstehn  wie 
als  Anfang  der  jehovist.  Völkertafel  ^),  an  sie  schloss  sich  möglicher- 
weise der  zweite  Teil  von  10,  1;  vergl.  10,  21.  25. 

Es  liegt  somit  in  Kap.  10  eine  Parallele  aus  Q  und  JE  vor. 
Q  ist  im  Schema  und  wol  auch  im  Inhalt  vollständig  erhalten, 
V.  1—5.  6.  7.  20.  22.  23.  31.  32.  Für  Sem  scheint  auch  JE 
vollständig  erhalten  v.  21.  25—30,  mit  Anfangs-  und  Schlussformel 
V.    21.   30;    bei  Ham    fehlt    der    Anfang,    der    ähnlich   wie  v.  21 


1)  Über  das  Verhältnis  von  9,  20—27  zu  9,  18  s.  s.  unten. 


Kap.  1—11.  7 

gelautet  haben  wird,  da  der  Scliluss  v.  19  dem  v.  30  analog  ist; 
Japheth  ist  gänzlich  fortgefallen.  Der  Redactor  hat  nicht  bloss  weg- 
geschnitten, sondern  auch  zugesetzt.  Wir  erkannten  bereits  v.  24 
als  Naht  von  seiner  Hand,  vielleicht  gehn  die  AVorte  v.  14  „de 
quibus  egressi  sunt  Philisthim"  auch  auf  ihn  zurück,  wenn  sie  nicht 
worauf  ihre  Stellung  führt,  blosse  Randglosse  sind.  Es  wäre  mög- 
lich, dass  R  z.  B.  v.  16 — 18  noch  diesen  oder  jenen  Namen 
zugesetzt  hätte,  um  die  Zahl  der  Namen  auf  siebzig  zu  bringen  — 
wenn  nur  das  Factum,  dass  hier  siebzig  Völker  aufgezählt  sind, 
sicher  wäre. 

Die  Genealogie  der  Heiden  Gen.  10  hat  die  der  Söhne  Abra- 
hams Gen.  11  zur  notwendigen  Ergänzung.  In  12,  1  setzt  JE 
voraus,  dass  man  wisse,  wer  Abraham  sei  und  woher  er  stamme, 
muss  also  zwischen  ihm  und  Eber  einen  Zusammenhang  hergestellt 
haben;  mit  anderen  Worten  —  ein  Analogen  von  11,  10 ss.  ist 
auch  füi'  JE  imentb ehrlich.  Eine  positive  Spur,  dass  ein  solches 
vorhanden  gewesen,  ist  in  10,  25  enthalten:  Eber  hat  zwei  Söhne, 
Phaleg  und  Joktan.  Phaleg  ist  der  wichtigere ;  wenn  nun  10,  26 — 30 
nur  Joktan  abgehandelt  wird,  so  erklärt  sich  das  nur  daraus,  dass 
eben  Phaleg  zur  Fortfühi'ung  der  Hauptlinie  (auf  Abraham)  auf- 
gehoben wii'd.  Will  man  Vermutungen  über  den  Inhalt  der  jehovist. 
Genealogie  aufstellen,  so  ist  jedenfalls  sicher,  dass  sie  von  Sem  auf 
Eber  Phaleg  überging  und  die  zwei  Glieder  Ai'paksad  Selah  nicht  398 
hatte.  Sie  scheint  siebengliedrig  gewesen  zu  sein;  in  diesem  Falle 
würde  Naher  der  Grossvater  zu  streichen  sein,  der  in  JE  unbekannt 
ist.  Ein  Rest  der  jehovist.  Nachrichten  über  Abrahams  Herkunft 
ist  wol  11,  29^). 

2.  Der  Zusammenhang,  der  auf  diese  Weise  füi-  JE  hergestellt; 
wii'd,  ist  zwar  wol  ein  lückenloser  und  vollständiger,  aber  kein 
gradläufiger  und  einfacher.  JE  ist  nicht  wie  Q  ein  Werk  einheit- 
licher Conception,  sondern  durch  mehr  als  eine  Phase  und  mehr- 
als  eine  Hand  gegangen,  ehe  es  seine  gegenwärtige  Gestalt  erlangte. 
An  sich  schliessen  allerdings  heterogene  Bestandteile  die  Einheit 
und   Ursprünglichkeit    eines    schriftlichen   Zusammenhanges    nicht 


0  Daraufführt  die  Redeweise  HjÖ''  ''^i^l  HD^D  "»^N  pH  H^?  ^gl-  10?  21. 
22,  21.  Milka  ist  für  JE  wichtig  und  wird  in  Q  nie  erwähnt.  Auch  Jiska 
kommt  jedenfalls  in  Q  nicht  vor,  während  man  das  für  JE  nicht  behaupten 
kann,  dessen  ursprüngliche  Bestandteile  uns  keineswegs  vollständig  mitgeteilt 
sind.    In  Q  folgte  ursp.  11,  28.  31s.;  v.  30  stand  vor  16,  3. 


3  Die  Genesis. 

aus;  es  ist  möglich,  class  schon  die  erste  Aufzeichnung  der  münd- 
lichen Tradition  allerlei  in  Verbindung  brachte,  was  in  keiner 
innerlichen  Verwandtschaft  stand.  Die  Überlieferung  im  Volks- 
mund kennt  nur  einzelne  Geschichten,  die  wol  aus  gleichem  Vor- 
stellungskreise erwachsen,  aber  doch  nicht  zum  Plan  eines  Ganzen 
geordnet  sind;  erst  wer  die  einzelnen  Erzählungen  aufschi*eibt, 
bringt  auch  Plan  und  Zusammenhang  hinein  —  es  ist  nun  denk- 
bar, dass  die  einzelnen  Stücke  der  Ordnung,  in  die  sie  gebracht 
werden,  sich  nicht  alle  auch  innerlich  fügen.  Aber  mit  dieser  Er- 
klärung kommt  man  füi'  die  inneren  Disharmonien  der  Erzählung 
in  JE  nicht  aus,  sie  betreffen  grossenteils  schon  Zusammenhänge, 
keine  einzelne  Geschichten. 

Es  lässt  sich  namentlich  eine  Schicht  in  JE  erkennen  und 
scheiden,  welche  von  der  Sündflut  und  von  Noah  nichts  weiss. 
Hierzu  gehört  jedenfalls  Gen.  2.  3.  Gen.  4,  16—24.  Gen.  11,  1—9, 
vielleicht  noch  weniges  Andere.  Ich  werde  zunächst  zu  zeigen  ver- 
suchen, dass  Gen.  2 — 4  ursprünglich  ohne  4,  1 — 16  a  und  ohne 
4,  26  s.  5,  29  existii-te. 

Wähi'end  4,  1 — 15^)  Kain  Ackermann  gewesen,  nun  aber 
399  wie  Adam  aus  dem  Garten  zum  Acker,  so  er  weiter  vom  Acker 
zur  Wüste  fortgeflucht  ist  (^D"i^<^  )D  miN*  v.  11,  trotz  v.  18  von 
Wenigen  ganz  verstanden)  und  dort  ein  wildes  Nomadenleben  fühi't, 
ist  und  bleibt  erv.  16  ss.,  was  er  nach  dem  Vorhergehenden  auf- 
hören soll  zu  sein,  wii*d  der  erste  Städtebauer  und  der  Vater  der 
sesshaften  Kultur.  Der  Widerspruch  ist  fundamental  und  betrifft 
die  ganze  Anschauung,  v.  16  ss.  hat  v.  1 — 15  nicht  zur  Voraus- 
setzung. Umgekehrt  hängt  v.  1—15  auf  allen  Punkten  von  v.  16  ss. 
ab  und  ist  aus  dort  gegebenen  Motiven  entsponnen,  namentlich 
aus  dem  Liede  Lamechs  von  der  Blutrache.  Kain  erschien  darin 
als  notorischer  Totschläger,  an  wem  anders  konnte  er  seinen  Blut- 
durst auslassen,  als  an  seinem  Bruder?  Abel  der  Hii*t  ist  eine  Re- 
miniscenz  an  Jabal  den  Hirten,  den  Bruder  Thubal-Kains  4,  20. 
Die  Strafe  des  Brudermordes  v.  11  s.  14  hat  ihi'en  Anhalt  teils  in 
der  bestimmten  Angabe,  dass  Kain  in  Nod  wohnt,  d.  i.  in  dem 
Lande,  wo  man  als  nad  lebt,  unstet  und  flüchtig,  teils  in  der  all- 


^)  Die  Abgrenzung  ist  an  beiden  Endpunkten  nicht  ganz  genau,  4,  16  a 
gehört  noch  zu  4,  1 — 15,  andererseits  sind  in  4,  1  Bestandteile  benutzt,  die 
ursprünglich  zu  4,  16—24  gehörten  und  nach  dem  Muster  von  4,  17  auszu- 
scheiden sind. 


Kap.  1—11.  9 

gemeinen  Vorstellung,  dass  der  Parricida  flüchtig  wii'd,  von  den 
Furien  verfolgt,  nirgends  vor  der  Blutrache  sicher  —  obwol  dann 
auch  seine  Tötung  wieder  gerächt  wird  (v.  13 — 15,  deutlich  Aus- 
legung von  V.  24  mit  irriger  passiver  Auffassung  des  Reflexivums 
Dp'*).  Der  eigentliche  Grundtrieb  der  ganzen  Neubildung  ist  viel- 
leicht, wie  Ewald  vermutet,  ein  gewisses  lokales  Misverständnis 
der  alten  Elemente.  In  4,  16  ss.  wohnt  Kain  im  fernen  Osten  in 
einer  Gegend,  die  offenbar  den  Israeliten  wildfremd  ist,  und  baut 
dort  eine  Stadt,  die  gleichfalls  über  den  geographischen  Horizont 
der  Hebräer  hinausliegt.  In  4,  1 — 15  ist  .die  Wüste,  welcher 
appellative  Begriff  dem  Eigennamen  Nod  untergelegt  wird,  gegen- 
wärtig Kains  Heimat,  ursprünglich  aber  wohnte  er  aber  im  Lande- 
Schon  aus  dem  allgemeinen  Gegensatz  merkt  man,  dass  dem  Er- 
zähler Verhältnisse  seiner  Zeit  vorschweben.  In  der  Adama  ist  es 
sicher,  ausserhalb  derselben,  d.  h.  in  der  von  Räubern  durchzogenen 
Wüste,  kann  einen  jeder  tot  schlagen;  nur  die  Blutrache,  zwar  an 
sich  grässlich  aber  doch  ein  göttliches  Institut  für*  die  Wüste, 
sichert  vor  gänzlicher  Ausrottung.  Aber  der  Gegensatz  ist  gar 
nicht  so  ganz  allgemein,  unwillküi'lich  schiebt  sich  dem  Begriffe 
der  Adama  das  heilige  Land  unter,  wo  Jahve  wohnt;  indem  Kain 
aus  dem  Lande  vertrieben  wird,  wii*d  er  auch  vom  Angesicht 
Jahves  vertrieben,  was  sich  nur  nach  Massgabe  von  1.  Sam.  26, 
19.  Gen.  46,  4  verstehn  lässt.  Wenn  nun  die  Adama  Palästina 
ist,  so  wü'd  dadurch  auch  die  Wüste  bestimmt,  es  ist  die  dem 
Alten  Testament  fast  allein  bekannte  im  Süden  Judäas.  Da  400 
wohnte  ein  alter  Nomadenstamm  Kain:  ohne  Frage  hat  der  Er- 
zähler von  4,  1 — 15  diesen  mit  dem  Urvater  der  Menscheit  zu- 
sammengeworfen; sehr  gegen  die  Meinung  der  älteren  Tradition'). 
Wie  zu  4,  16 — 24  verhält  sich  4,  1 — 15  auch  zu  Kap.  2  und 
3;  4,  1 — 15  hat  zwar  viel  mit  Kap.  2.  3  zu  tun,  aber  Kap.  2.  3 
nichts  mit  Kap.  4,  1 — 15.     Das  folgt  vor  allem  aus  4,  7  vgl.  mit 


1)  Ich  behaupte  nicht,  dass  der  Name  des  Nomadenstammes  mit  dem  des 
Urvaters  überhaupt  nichts  gemein  habe.  Die  Namen  Gen.  4.  5  kehren  mehr- 
fach in  späteren  Gentilicien  wieder,  ausser  Kain  noch  Jered  und  Henoch.  Ver- 
wandt sind  auch  Mehalelel  und  Jehalelel,  Methuselah  und  Suthela.  Am  leich- 
testen würde  sich  das  erklären,  wenn  Henoch  u.  s.  w.  verklungene  Gottesnamen 
wären.  Denn  häufig  tragen  Personen,  Völker  und  Städte  den  Namen  ihres 
Gottes.  Assur  ist  die  Stadt,  das  Volk  und  der  Gott.  Wie  die  Assurith  der 
Asera,  so  entspricht  Assur  dem  Äser.  Ein  anderer  israelitischer  Stamm,  der 
wie  ein  Gott  heisst,  ist  Gad.    Auch  Edom  ist  eine  Gottheit^  vgl.  Obed-Edom. 


10  I^ie  Genesis. 

3,  16,  der  Vf.  von  3,  16  kann  nicht  sein  eigenes  Wort  in  ganz  anderem 
Sinne,  als  er  es  gemeint  hat,  citiren,  es  ist  geschmacklos  das  anzu- 
nehmen. Ausserdem  heisst  mn  in  Kap.  2.  3  vielmehi*  nt^'Nnamd 
es  bedurfte  einer  künstlichen  Klammer,  um  diese  Kapp,  mit  4, 
1 — 15  zu  verbinden,  nämlich  des  Einsatzes  3,  20.  Man  denkt  sich 
nach  3,  17 — 19  den  Menschen  betrübt  und  niedergeschmettert  da- 
stehn,  erwartend,  was  Gott  weiter  mit  ihm  handeln  werde  v.  21 — 24; 
statt  dessen  nimmt  er  inzwischen  Gelegenheit,  sein  Weib  Eva  zu 
nennen,  wozu  an  dieser  Stelle  wirklich  kein  Anlass  vorlag,  wenn 
es  nicht  eben  die  Absicht  eines  Bearbeiters  war,  das  Stück  4,  1 — 15 
vorzubereiten.  Also:  Kap.  2s.  4,  16b — 24  bestanden  ursprünglich 
ohne  4,  1 — 16a,  aber  dieses  Stück  setzt  seinerseits  die  beiden 
anderen  und  zwar  verbunden  voraus;  4,  16  ss.  ist  die  alte  Fort- 
setzung zu  Kap.  2.  3,  die  mit  dem  Sündenfall  begonnene  Kultur 
macht  hier  weitere  Fortscliiitte. 

Mit  4,  1 — 15  hängt  die  zweite  Genealogie  in  JE,  die  von 
Adam  auf  Noah  fülii-te  und  jetzt  nur  restweise  erhalten  ist,  genau 
zusammen;  Kain,  der  Brudermörder,  konnte  nicht  der  Stammvater 
Noahs  und  des  ganzen  gegenwärtigen  Menschengeschlechtes  werden, 
wenn  nicht  jedes  gesunde  Gefühl  tödlich  verletzt  werden  sollte. 
Dass  4,  25s.  und  5,  29  mit  4,  16 — 24  eigentlich  nichts  zu  schaffen 
hat,  ist  übrigens  ohnehin  klar  und  anerkannt:  letztere  Genealogie 
beabsichtigt  nicht  einen  Seitenzweig,  sondern  den  ganzen  Stamm 
dazustellen,  eben  so  wie  die  identische  in  Q  (Kap.  5). 
401  Wie  nun  damit  die  äussere  Brücke  abgebrochen  wird,  welche 

Gen.  4,  16 — 24  mit  der  Geschichte  von  Noah  und  der  grossen  Flut 
verbindet,  so  herrscht  auch  nicht  der  mindeste  innere  Zusammen- 
hang zwischen  den  beiden  Stücken.  Vielmehr  widerspricht  4,  16 — 24 
dem  Kap.  6ss.  Erzählten.  Statt  Noah:  Sem  Ham  Japheth  erscheint 
hier  Lamech:  Jabal  Jubal  Thubal.  Dabei  dann  noch  die 
höchst  charakteristische  Verschiedenheit,  dass  Sem  Ham  Japheth 
die  Menschen  nach  Völkern,  Jabal  Jubal  Thubal  nach  Ständen 
einteilt.  Und  unstreitig  ist  in  Kap.  4,  16  ss.  die  Meinung,  die  Genesis 
der  gegenwärtigen  Kultur  zu  erzählen,  nicht  der  verschollenen, 
die  durch  die  Sündflut  begraben  wurde.  Thubal -Kain  ist  der 
Vater  der  gegenwärtigen  Schmiede,  nicht  der  vorsündflutlichen , 
Jubal  der  der  gegenwärtigen  Hirten:  darum  stehn  sie  auch  am 
Ende  der  Genealogie  und  eröffnen  die  zweite  Periode,  die  mit  der 
Sem  Ham  Japheths  parallel  ist. 


Kap.  1—11.  11 

Auf  das  schönste  wird  das  Gefundene  betsätigt  durch  11,  1 — 9. 
Diese  Erzählung  hat  zwar  ähnliche  Absicht  und  Bedeutung  wie 
Kap.  10,  ist  aber  nicht  die  Fortsetzung  dieses  Kapitels  und  hängt  vor 
allem  mit  Kap.  6 — 9  auf  keine  Weise  zusammen.  Nach  Kap.  10  sind 
wir,  wenn  wir  die  oben  füi*  JE  angesprochenen  Stücke  in  Betracht 
ziehen^),  schon  so  weit,  dass  die  Erde  von  sekr  verschiedenen 
Völkern  und  Zungen  eingenommen  wird;  nun  werden  wir  plötzlich 
11, 1  in  eine  Zeit  zurückversetzt,  wo  alle  Welt  Eine  Sprache  und  Eine 
Zunge  war.  War  das  etwa  die  Zeit,  als  Noahs  Familie  noch  die  ein- 
zige Bevölkerung  der  Erde  ausmachte?  mit  anderen  Worten:  geht 
Kap.  11,  1 — 9  hinter  Kap.  10  zurück  und  schliesst  an  Kap.  6 — 9? 
Offenbar  nicht,  alle  Welt  11,  1  ist  nicht  Sem  Ham  und  Japheth, 
und  die  Menschenmenge,  die,  um  sich  durch  künstliche  Mittel  zu 
concentriren,  eine  Stadt  baut  und  einen  Turm,  und  die  dann  in 
verschiedene  Yölker  gespalten  wird,  besteht  aus  melir  als  einer 
Familie.  Es  liegt  eine  ganz  andere  Anschauungsweise  vor,  als  sich 
aus  den  Prämissen  von  Kap.  6 — 9  ergeben  würde;  der  Erzähler  weiss 
nichts  von  der  Sündflut,  die  von  aller  Welt  nur  die  Familie 
Noahs  übrig  gelassen  hat.  Oder  hat  man  11,  1  an  einen  Zeitpunkt 
zu  setzen,  der  so  weit  nach  der  Flut  fällt,  dass  inzwischen  aus  der 
Familie  wieder  ein  grosses  Volk  erwachsen  ist?  Anschluss  an  die  402 
Vorstellung  von  Noah  und  seinen  drei  Söhnen  wird  dadurch  doch 
nicht  erreicht.  Denn  wenn  die  letzteren  sich  hinterdrein  zu  einer 
Familie  vereinigen  und  daraus  weiter  ein  einheitliches  Volk  ent- 
steht, welches  dann  durch  höhere  Gewalt  plötzlich  in  mehi^ere 
Sprachen  geklüftet  wii-d,  so  ist  die  ganze  Bedeutung  von  Sem  Ham 
und  Japheth,  als  Teilungsprincip  der  Völkerwelt,  aufgehoben.  Die 
Teilung  der  Völker  geht  Gen.  6 — 10  auf  genealogischem,  natüi'- 
lichem  Wege  vor,  Gen.  11  auf  übernatüi'lichem  Wege  durch  un- 
mittelbares Eingreifen  Gottes. 

Die  Fortsetzung  von  Kap.  6 — 10  kann  Gen.  11,  1 — 9  nicht  sein, 
dagegen  selii'  wol  die  von  Gen.  2 — 4,  und  mit  der  Möglichkeit  ist 
in  diesem  Fall,  da  Kap.  11,  1 — 9  jedenfalls  in  einem  grösseren 
Zusammenhang  gestanden  hat,  auch  die  Tatsächlichkeit  erwiesen. 
An  Gen.  2.  3  erinnert  der  ganze  den  Stoff  beherrschende  Gedanke; 
die  Verse,    die    die  Pointe    aussprechen,    11,  6    und    3,  22    haben 

0  Aber  auch,  wenn  man  bloss  10,  8 — 12  zu  JE  weist,  stellt  sich  die 
Sache  nicht  anders.  Man  muss  mehr  als  ein  Auge  zudrücken,  um  11,  1 — 9 
als  Fortsetzung  von  10,  8 — 12  betrachten  zu  können. 


12  Die  Genesis. 

in  Inhalt  und  Form  ein  unverkennbar  gleiches  Gepräge^).  Mit 
Gen.  4,  16 — 24  hat  11,  1 — 9  vor  allem  das  fehlende  Wissen  um 
die  Sündflut  gemein.  Ausserdem  ist  bereits  bemerkt,  das  Lamechs 
drei  Söhne  nicht  drei  verschiedene  Völker  oder  Rassen,  sondern 
drei  verschiedene  Stände  darstellen,  notwendigerweise  des  selben 
Volkes,  denn  kein  Volk  besteht  aus  lauter  Musikern  oder  Schmie- 
den —  dies  liefert  die  Prämisse  zu  11,  1:  siehe  Ein  Volk,  und 
alle  haben  Eine  Sprache.  Endlich  mache  ich  aufmerksam  auf  die 
Worte  11,  2  da  sie  aufbrachen  aus  Osten;  denn  anders  kann 
man  CHpD  DiJt'jÜ  nicht  verstehn.  Der  Schauplatz  von  Kap.  6 — 9 
ist  jedenfalls  nicht  östlich  von  Babylon.  Dagegen  ist  Eden  im 
fernen  Osten  gedacht,  das  Land  Nod  mit  der  Stadt  Henoch  in  nächster 
Nähe  davon;  von  diesem  Osten  aufbrechend  kommen  die  Men- 
schen 11,  2  nach  der  babylonischen  Ebene. 

Dass  auch  ohne  die  Flut  eine  gute  Folge  zwischen  den  drei 
Stücken  Kap.  2.  3,  Kap.  4,  16—24,  Kap.  11,  1—9  herrscht,  braucht 
403  kaum  nachgewiesen  zu  werden.  Es  sind  die  drei  Stationen  auf  dem 
Wege,  den  das  Menschengeschlecht  in  der  Kultur  vorwärts  und  in 
der  Gottesfurcht  rückwärts  schreitet  ^).  Dem  entspricht  ein  lokaler 
Fortschi'itt  von  Osten  nach  Westen,  Eden  Nod  Babel  sind  die  drei 
Urheimaten  ^der  idealen,  vorgeschichtlichen,  und  urgeschichtlichen 
Menschheit.  —  Es  wäre  möglich,  dass  das  gegenwärtig  nur  als 
stark  überarbeitetes  Fragment  erhaltene  Stück  6,  1 — 4  einst  vor 
11,  1 — 9  und  im  Zusammenhang  damit  gestanden  hätte;  ebenso 
ist  es  auch  denkbar,  dass  Teile  von  Kap.  10  ursprünglich  hinter 
11,  1 — 9  gefolgt  wären,  aber  nachweisen  lässt  sich  beides  nicht. 

3.  In  der  Sündflutgeschichte  selber  (Kap.  6 — 10)  scheint  eine 
zweite  Hand  von  der  ersten  unterschieden  werden  zu  können.  Ein 
Nachtrag  in  JE  ist  jedenfalls  die  Geschichte  9,  20^ — 27.  Vergleicht 
man   v.    25  ss.    mit   v.    24,  so    sind   hier   die   drei    Söhne   Noahs: 


1)  Siehe,  der  Mensch  ist  wie  unser  einer  geworden  zu  wissen  Gutes  und 
Böses,  und  nun,  dass  er  nicht  seine  Hand  ausstrecke  und  nehme  auch  vom 
Baume  des  Lebens  und  esse  und  lebe  ewiglich  3,  22.  Siehe,  Ein  Volk  und 
alle  haben  sie  Eine  Sprache,  und  dies  ist  nur  der  Anfang  ihres  Tuns,  und 
nun,  es  wird  ihnen  nichts  zu  schwer  sein,  was  sie  sich  unterfangen;  auf, 
lasst  uns  herniederfahren  und  ihre  Sprache  verwirren  11,  6.  T6  OeTov  ttöEv 
^axi  cp^ovepdv. 

2)  Ganz  anders  Gen.  4,  2 — 15.  Hier  geht  die  Sünde  nicht  mit  steigender 
Kultur  Hand  in  Hand,  sondern  Kain  sinkt  zurück  in  die  Unkultur.  Auch 
Habel  der  Hirt,  vor  Jabal,  dem  Vater  der  Hirten,  befremdet. 


1-11.  13 

Sem  Japheth' Kanaan,  in  dieser  Reihenfolge.  Das  ist  eine  cleut- 
siclie  Differenz  gegen  9,  18s.  und  den  Tenor  von  JE.  Dass  v.  22 
"•UN  cn  und  V.  18  jy^D  ""ÜN  N'IH  cm  eingesetzt  ist,  kann  zur  Ver- 
selbigung  Kanaans  und  Harns  nichts  helfen;  es  bleibt  dabei,  dass 
V.  24 — 27  Kanaan  der  Bruder  Sems  und  Japheths  und  der  jüngste 
Sohn  Noahs  ^st,  und  dass  darnach  auch  v.  22  s.  von  ihm  und  nicht 
von  Harn  die  Rede  ist.  Die  Abweichung  von  der  herrschenden 
Vorstellung  beruht  übrigens  nicht  bloss  auf  dem  verschiedenen  Na- 
men des  einen  Sohnes.  Wie  es  scheint,  wohnen  in  9,  20 — 27  die 
drei  Noachiden  alle  in  Palästina;  Kanaan  ist  die  vorisraelitische 
Bevölkerung,  Sem^),  der  Herr  Kanaans  und  Verehrer  Jahves,  ist 
Israel  selber,  Japheth,  gleiclifalls  Herr  Kanaans  und  inmitten  Sems 
wohnend,  kann  eigentlich  nur  die  Philister  bezeichnen  —  womit 
natürlich  ilii'em  pelasgischen  oder  indoeuropäischen  Ursprung  nicht 
das  Wort  geredet  sein  soll.  —  Ein  fernerer  Nachtrag  scheint  in 
10,  16 — 18  a  anerkannt  werden  zu  müssen.  Die  Grenze  des  Ka- 
naaniters  wird  v.  19  so  angegeben:  von  Sidon  bis  Gaza,  von  da 
bis  zum  Toten  Meere,  von  da  bis  nach  Dan,  der  bekannten  Grenz- 
stadt im  Norden  (statt  V^b  Hess  nz*b  oder  D^^.,  wie  die  Con- 
sonanten  Dl^^  richtig  auszusprechen  sind,  Lokalformen  von  t^*lb).  404 
Die  sämtlichen  Völker  nun  in  v.  17  und  v.  18  a  fallen  nördlich 
über  diese  Grenze  hinaus  und  stehn  hier  also  schwerlich  von 
Haus  aus;  durch  v.  17  und  v.  18a  wird  aber  auch  dem  v.  16 
präjudicirt.  —  Ebenfalls  ein  ursprünglich  fremdes  Element,  aber 
ganz  anderer  Natur,  gleichsam  ein  unverdauter  Brocken  ist  6,  1 — 4, 
am  Schluss  stark  glossirt  (v.  3b.  v.  4).  Nicht  das  sündliche  Ver- 
derben der  Menschheit,  sondern  eine  Verrückung  der  Weltordnung 
und  ihi'er  Grenzen,  welche  Schuld  der  Dämonen  ist,  veranlasst  hier 
das  göttliche  Strafgericht.  Noch  andere  Spuren  ungleichartiger  Be- 
standteile kommen  in  der  Flutgeschichte  von  JE  vor,  z.  B.  der 
Rabe  neben  der  Taube.  Ursprünglich  waren  das  jedenfalls  sich 
ausschliessende  Variationen  der  selben  Erzälilung,  es  ist  aber  mög- 
lich, dass  sie  schon  bei  der  ersten  Aufzeichnung  der  mündlichen 
Überlieferung  zusammengestellt  wurden. 

Das  Endergebnis  ist:  JE  hat  eine  in  mehi-eren  Stadien  verlau- 
fene Geschichte   hinter   sich   und   ist    das  Product  eines   länojeren 


^)  Vielleicht  bedeutet  Qi^  ij^  eigentlich  nichts  weiteres  als  die  herr- 
schende Klasse  im  Gegensatz  zu  den  Ureinwohnern,  welche  lob.  30,  8  1^21  ^j^ 
Q]i;  genannt  werden.     Vgl.  den  Namen  der  Arier. 


14  Die  Genesis. 

scliriftlichen  Processes.  Als  ursprünglicher  Kern  lässt  sich  Kap.  2.  3'. 
Kap.  4,  16 — 24.  Kap.  11,  1 — 9  ansehen.  Hiermit  ward  dann  die 
Erzählung  von  der  Flut  verbunden  Kap.  6 — 10,  von  einem  Bearbeiter, 
der  sie  wol  schon  schriftlich  vorfand,  möglicher-,  jedoch  nicht 
walii'scheinlicher  weise  im  Zusammenhange  eines  grösseren  Ge- 
schichtswerkes. Diesem  Bearbeiter  wii'd  man  zugleich  die  Ein- 
setzung einiger  von  den  kleineren  Stücken  zuschreiben  müssen,  die 
nie  literarisch  selbständig,  sondern  immer  nur  wie  Parasiten  auf 
fremdem  Stamm  existirt  haben,  jedenfalls  von  4,  25  s.  5,  29.  4, 
1 — 15.  10,  16 — 18  a.  Andere  „Ergänzungen"  hat  man  keinen 
Grund,  ihm  ab-  oder  zuzusprechen;  sie  mögen  zu  anderen  Zeiten 
von  anderer  Hand  eingetragen  sein.  Das  Einzelne  lässt  sich  nicht 
ausmachen,  aber  die  Hauptsache  steht  fest:  es  hat  nicht  bloss  ein 
Zusammenarbeiten  grosser  Zusammenhänge  stattgefunden,  sondern 
in  diese  Zusammenhänge,  sei  es  vor,  oder  mit,  oder  nach  ihi-er 
Vereinigung,  sind  vielfach  kleinere  unselbständige  Stücke  auf- 
genommen worden,  teils  melir  gelehrten  und  theoretischen,  teils 
auch  volkstümlichen  Ursprungs.  Denn  die  mündliche  Überliefe- 
rung, nachdem  sie  einmal  auf  Scliiift  gebracht  war,  stand  doch 
nicht  plötzlich  still,  sondern  entwickelte  sich,  nunmehr  in  Wechsel- 
wirkung mit  der  Schrift,  noch  weiter  und  nahm  auch  ganz  neue 
Stoffe  von  aussen  auf,  die  dann  demnächst  wiederum  literarisch 
fixirt  wurden. 

Aber  festhalten  muss  man,  dass  die  Schrift  JE  bereits  den  literarischen 
Process,  aus  dem  sie  hervorging,  hinter  sich  hatte  und  abgeschlossen 
405  vorlag,  als  sie  durch  den  letzten  Redactor  (R)  mit  Q  verbunden 
wurde.  Im  Vergleich  zu  Q  ist  JE  als  ein  Ganzes,  als  eine  Einheit 
zu  behandeln,  Q  ward  nicht  mit  einer  der  früheren  Ausgaben  oder 
gar  den  ursprünglichen  Quellen  von  JE  zusammengearbeitet,  sondern 
mit  der  Ausgabe  letzter  Hand.  Alle  Teile  von  JE,  so  verschiedener 
Herkunft  sie  sind,  haften  doch  viel  fester  unter  sich  zusammen, 
als  mit  Q,  sind  durch  Vorstellungen  Ausdrücke  und  Stil  unter 
sich  verwandt  und  von  Q  geschieden.  Darum  ist  es  auch  in  der 
Natur  der  Sache  begründet,  dass  man  zuerst  nur  zwei  Fäden  der 
Erzählung  in  Gen.  1 — 11  erkannt  hat,  Q  und  JE,  und  erst  all- 
mählich auch  in  JE  selbst  ein  complicirtes  Gespinnst  zu  erkennen 
beginnt.  Man  hat  alle  Ursache,  diese  Zwieteilung  festzuhalten, 
auch  nachdem  sich  ergeben  hat,  dass  JE  nicht  in  dem  Sinne  wie 
Q  ein  einheitliches  Werk  ist. 


Kap.  12—26.  15 

Abraham  und  Isaak.     Gen.  12 — 26. 

Der  Urgeschichte  der  Menschheit  würde  genau  genommen  die  Erz- 
vätersage als  Ganzes  zur  Seite  gesetzt  werden  müssen,  aber  dadurch 
entstünde  eine  zu  ungleichmässige  Verteilung  des  Stoffs.  Abraham 
alleine  zu  behandeln  empfiehlt  sich  nicht,  weil  sich  die  Kritik  der 
Yei'^leichung  des  Kap.  26  mit  Kap.  21  und  Kap.  12  nicht  entschlagen 
kann;  doch  kommt  Isaak  hier  nur  als  kinderloser  Mann  in  Betracht, 
die  Geschichte  von  Esau  und  Jakob  gehört  in  das  nächste  Kapitel. 

1.  In  Q  wird  die  Patriarchengeschichte  im  Vergleich  zu  der 
Urgeschichte  sehr  stiefmütterlich  behandelt.  Am  meisten  wii'd 
noch  über  Abraham  erzählt,  als  den  eigentlichen  Repräsentanten 
der  Periode  und  Contrahenten  des  ihr  entsprechenden  Bundes, 
aber  im  Vergleich  zu  JE  ist  auch  das  nur  recht  düiitig.  Es  ver- 
bot sich  daher  für  den  Redactor  ganz  von  selbst,  die  Quelle  Q 
liier  eben  so  zu  Grunde  zu  legen  wie  Kap.  1 — 11,  doch  scheint  er 
sie  fast  ganz  unverkürzt,  wenn  auch  mit  z.  T.  etwas  verrenkten 
Gliedern,  mitgeteilt  zu  haben.  Zu  Anfang  felilt  die  Überschrift  dies 
sind  die  Tholedoth  Abrahams  und  darnach  vielleicht  der  Befehl 
auszuwandern,  der  aus  JE  12,  1 — 4a  gegeben  wird.  Dann  folgen  12, 
4b.  5.  13,  6.  IIb.  12. 19,  29. 11,  30. 16,  3.  15.  16.  17,  1—27.  21,  2b. 
3—5.  23, 1—20.  25,  7— IIa.  12—17.  Nöldeke  macht  auf  eine  Lücke 
aufmerksam,  Q  habe  ohne  Zweifel  anLot,  der  ja  anundfüi'sich  keineBe- 
deutung  habe,  auch  die  beiden  Völker  Mo  ab  und  Ammon  angeschlossen. 

Früher  wies  man  dem  Vierbundsbuche  noch  mehrere  grosse  406 
Stücke  aus  der  Geschichte  Abrahams  zu,  namentlich  Kap.  20 — 22, 
weil  darin  der  Gottesname  Elohim  vorherrscht.  Aber  abgesehen 
hiervon  haben  sie,  wie  Hupfeld  zur  Anerkennung  gebracht  hat, 
nichts  mit  Q  gemein.  Nach  Q  ist  Ismael  |bei  Isaaks  Geburt  14  Jalii* 
alt,  bei  seiner  Entwöhnung  also,  die  di'ei  Jaln-  später  anzusetzen 
ist,  17  Jalu'  —  nun  denke  man  sich  in  21,  9ss  den  Ismael  als 
17jährigen  Menschen!  Er  ist  vielmehr  ein  spielendes  Kind  (pr\)iD 
V.  9,  meist  misverstanden) ,  wii'd  seiner  Mutter  auf  die  Schulter 
gelegt  (v.  14:  r\üD^  bv  GK^  ib^n  HNI),  und  in  der  Verzweiflung 
von  ihr  abgeworfen  (v.  15)  kann  er  sich  selbst  gar  nicht  helfen. 
Gleiche  Unzuträglichkeiten,  die  bereits  Isaak  Peyrerius  bemerkt 
hat,  ergeben  sich,  wenn  man  versucht  Kap.  20  in  den  Zusammen- 
hang von  Q  aufzunehmen.  Hat  man  nun  ein  Recht,  diese  Kapitel 
zu  JE  zu  rechnen?  In  Stoff,  Vorstellungen  und  Sprache  sind  sie 
jedenfalls    dieser  Traditionsschicht    durchaus  homogen,    wie   schon 


16  Die  Genesis. 

ein  oberflächlicher  Vergleich  zwischen  Kap.  20.  21  und  Kap.  26.  16 
lehi't.  Aber  wie  allseitig  zugestanden  wird,  kann  der  Haupterzähler 
in  JE,  dem  Kap.  12. 13. 16. 18. 19.  24.  26  a  potiori  angehören,  die  Ka- 
pitel 20 — 22  nicht  verfasst  haben;  er  kann  sie  auch  nicht,  wie 
Nöldeke  meint  (a.  0.  p.  23)  vorgefunden  und  benutzt,  in  sein  Werk  auf- 
genommen haben.  Denn  er  hätte  dann  doch  seine  eigene  Erzählung, 
die  er  ja  als  Autor  und  Concipient  frei  zu  gestalten  die  Macht  hatte,  mit 
Rücksicht  auf  die  aufzunehmenden  fremden  Stücke  eimichten  müssen, 
so  dass  diese  hineinpassten;  aber  ganz  das  Gegenteil  ist  der  Fall.  Ein 
schlechterer  Platz  Hesse  sich  für  Kap.  20,  um  es  dem  Faden  von  JE 
einzufügen,  kaum  ausfindig  machen  als  seine  jetzige  Stelle  hinter 
Kap.  18s.;  ärger  können  sich  keine  Pendants  stossen  und  im  Wege 
stehn,  als  Kap.  21,  9ss.  und  Kap.  16;  seltsamer  könnte  der  jeho- 
vistische  Haupterzäliler  nicht  verfahi'en,  als  dass  er  beinah  alle 
Geschichten,  die  er  einem  fremden  Werke  entlehnt,  vorher  oder 
nachher  noch  einmal  in  ausführlichster  Weise  frei  mit  seinen 
eigenen  Worten  berichtet^).  Aber  doch  hat  Nöldeke  im  Grunde 
nicht  so  unrecht.  Die  Kapitel  20 — 22  sind  in  der  Tat  zunächst 
in  den  Zusammenhang  der  durch  Kap.  16.  18s.  24.  26  re- 
präsentirten  Quelle  aufgenommen  und  damit,  bereits  ehe  Q  hin- 
407  zutrat,  zu  einem  Werke  verbunden  worden,  freilieh  nicht  von  dem 
ursprünglichen  Erzähler  von  Kap.  16 ss.  selber,  sondern  von  der 
Hand  eines  Dritten,  der  auf  diese  Weise  der  Compilator  von  JE 
wurde.  JE  ist  hier  aus  zwei  parallelen  und  von  einander  un- 
abhängigen Erzählern  zusammengewirkt,  die  man  nach  den  von 
ihnen  gebrauchten  Gottesnamen  passend  den  Elohisten  (Kap.  20 — 22) 
und  den  Jahvisten  (z.  B.  Kap.  16.  18  s.)  nennen  und  mit  E  und  J 
bezeichnen  kann.  Wie  wir  die  Composition  mit  JE  signiren,  so 
können  wir  den  Componenten  als  den  Jehovisten  bezeichnen,  da 
ja  Jehovi  die  Consonanten  von  Jahve  mit  den  Vocalen  von  Elohim 
vereinigt.  Der  Name  passt  auch  darum,  weil  der  Jahvist  (J)  von 
dem  Zusammenarbeiter  zu  Grunde  gelegt,  der  Elohist  (E)  ein- 
gearbeitet ist.  Indem  ich  mich  anschicke,  diese  Behauptungen  näher 
zu  begründen,  werde  ich  zunächst  versuchen,  sowol  in  E  als  in  J 
Spuren  von  Überarbeitung  nachzuweisen,  die  z.  T.  direct  dem  Zwecke 
dienen,  eine  Zusammenstellung  der  beiden  Quellen  zu  ermöglichen. 

1)  Nur  die  Geburt  Isaaks  berichtet  er  allerdings  nicht,  aber  da  wider- 
spricht der  von  anderweit  hergenommene  Bericht  mehrfach  seiner  eigenen  An- 
kündigung. 


Kap.  12-26.  17 

2.  Die  bisher  für  den  Elohisten  angesprochenen  Stücke  sind 
Kap.  20.  21.  22,  mit  Ausnahme  der  zu  Q  gehörigen  Reste  21, 
2  b — 5 ').  Dass  diese  Kapitel  sui  generis  sind,  geht  einesteils 
daraus  hervor,  dass  sie  weder  dem  Vierbundesbuche,  noch  dem 
Jahvisten,  der  Hauptquelle  von  JE,  angehören;  andererseits  werden 
sie  auch  durch  gemeinschaftliche  positive  Eigenschaften  verbunden. 
Ausser  dem  Namen  Elohim  füi-  Jahve  und  Ama  für  Schiphcha 
kommt  in  dieser  Hinsicht  Folgendes  vorzugsweise  in  Betracht. 
Gott  erscheint  des  Nachts  im  Traume,  um  Befehl  zu  geben  20,  3. 
6.  21,  12  (wegen  v.  14).  22,  1  (wegen  v.  3);  der  den  Befehl 
erhalten  hat,  steht  des  Morgens  früh  auf,  ihn  auszurichten  20,  8. 
21,  14.  22,  3.  Der  Engel  Gottes  begegnet  dem  Menschen  nicht, 
wie  beim  Jahvisten,  sondern  er  ruft  vom  Himmel  21,  17.  22,  11. 
Die  Scene,  d.  i.  der  Ort  wo  Abraham  wolmt,  ist  nicht  Hebron, 
sondern  Beerseba;  schon  Kap.  20,  obwol  da  der  Name  noch  nicht 
genannt  werden  kann,  der  erst  21,  31  gegeben  wii'd,  und  auch 
Kap.  22.  Die  einzelnen  Abschnitte  der  Erzählung  werden 
durch   ziemlich   lockere    Verbindungsformeln    an  einander   gereiht, 

N\in  ny:i  ^n^)  21,  22  und  nb^n  Dn3."in  nn^s  %t'i  22,  l.  20  vgl. 

15,  1.  39,  7.  40,  1.  48,  1,  sonst  recht  selten.  Obwol  allerdings 
jetzt  hinter  Kap.  20  der  Faden  abreisst,  indem  Kap.  21  Voraus-  495 
Setzungen  macht,  die  zwischen  Kap.  20  und  21  (d.  h.  aus  E) 
nicht  mitgeteilt  sind,  ist  es  doch  nicht  zweifelhaft,  dass  E 
ursprünglich  einen  füi'  sich  bestehenden  Zusammenhang  dargestellt 
und  nur  durch  den  Bearbeiter  verschiedene  Glieder  desselben  ein- 
gebüsst  hat.  Es  gibt  keinen  anderen  Grund,  warum  der  Bearbeiter 
Kap.  20  und  Kap.  21.  22  so  zusammenstellt,  als  weil  er  sie  eben 
in  einer  eigenen,  selbständigen  Scln^ift  zusammen  vorfand. 

Ein  positives  Eingreifen  des  Compilators  in  diese  Stücke  zeigt 
sich  zunächst  20,  18,  in  einem  glossatorischen  Zusatz,  der  sich 
durch  den  Namen  mn'»  verrät.  Dieser  Gottesname  lässt  auch  21,  1 
die  fremde  Hand  erkennen.  Dem  Jahvisten,  d.  i.  dem  Verfasser 
von  Kap.  18s.,  gehört  der  Vers  schwerlich  an,  er  hat  mit  dem 
ganzen  Bericht  über  Isaaks  Geburt  nichts  zu  tun,  da  nach  seiner 
Ankündigung  18,  14  dabei  ein  abermaliger  Besuch  Jahves  und 
zwar  in  Hebron,  nicht  in  Beerseba,  zu  erwarten  ist.  Man  wird 
also  21,  1  besser  der  driten  Hand  zuschreiben,  welche  den  von  iln: 

^)  21,  2  a  gehört  wegen  T>Jpl^  (v.  7)  schwerlich  zu  Q;  wenigstens  sind 
dann  Bestandteile  von  E  und  Q  darin  verschmolzen. 

Well  hausen.    Comp.    d.   Hexateuchs.    3.   Aufl.  2 


18  Die  Genesis. 

verschuldeten  Riss  zwischen  Kap.  20  und  Kap.  21  an  den  Rändern 
(20,  18.  21,  1)  etwas  ausputzt:  möglicherweise  mit  Benutzung  elo- 
histischen  Materials,  vgl.  21,  1  mit  30,  22.  Ex.  2,  27  s.  Der  Name ''^^ 
mn^  erscheint  wieder  21,  33;  auch  hier  hilft  er  uns  auf  die  Spur 
einer  Überarbeitung.  In  v.  32  heisst  es  am  Schluss:  „Abimelech 
und  sein  Hauptmann  Phichol  standen  auf  und  kehi'ten  um  in  das 
Land  der  Philister."  Aber  der  Elohist  lässt  Abraham  und  Abi- 
melech in  Kap.  20  an  dem  selben  Orte  wohnen,  dem  nachmaligen 
Beerseba,  und  auch  21,  22  ist  dies  die  Meinung;  hier  dagegen 
scheint  es,  als  ob  sie  nicht  einmal  in  dem  selben  Lande  wohnten. 
Auch  fällt  der  Ausdi'uck  Land  der  Philister  an  sich  auf,  bis 
dahin  ist  er  nirgends  gebraucht.  Vergleichen  wir  dagegen  die 
Parallele  aus  J  Kap.  26,  so  heisst  dort  Abimelech  von  vornlierein 
der  König  der  Philister,  und  da  26,  23  erzählt  wird,  dass  er  von 
anderswoher  zu  Abraham  gekommen  sei,  so  versteht  es  sich,  dass 
er  26,  26  wieder  fortgeht;  in  Kap.  26  wohnen  sie  eben  nicht  am 
selben  Orte.  Also  geht  21,  32b  auf  einen  Bearbeiter  zurück,  der 
von  Kap.  26  entnommene  Voraussetzungen  auf  Kap.  21  übertrug. 
Die  Probe  für  die  Richtigkeit  dieser  Beobachtung  ist,  dass  erst 
nach  dem  Wegfall  von  v.  32  b  der  folgende  Vers  sein  notwendiges 
Subjekt  bekommt.  „Darum  nannte  er  den  Namen  des  Ortes  Beer- 
seba, weil  sie  dort  geschworen  und  einen  Bund  geschlossen  hatten 
in  Beerseba.  Und  er  pflanzte  eine  Tamariske  in  Beerseba  und  rief 
409  dort  den  Namen  Eis  des  Alten  an."  Der  Ausdruck  Land  der  Philister 
macht  auch  v.  34  verdächtig,  der  sonst  gleichgiltigen  Inhalts  ist. 
Sehr  deutlich  zeigt  sich  die  überarbeitende  Hand  des  Jeho- 
visten  in  22,  1 — 19,  wie  u.  a.  Nöldeke  gesehen  hat.  Vor  allem 
ist  V.  15 — 18  sein  Zusatz,  ohne  Originalität,  voll  von  Reminiscenzen 
(sogar  '•''  DNi),  erkenntlich  schon  an  dem  P'Jli'  v.  15,  welches  an 
Jos.  5,  2  n^:tJ'  und  an  1.  Sam.  11,  14  ^m^  erinnert.  Der  Jeho- 
vist  ist  auch  v.  11 — 14  tätig  gewesen,  aber  nur  in'  geringfügigen 
Änderungen.  Denn  der  Inhalt  ist  ganz  elohistisch,  vgl.  v.  11  mit 
21,  17  und  dagegen  16,  7.  18,  Iss.  19,  Iss.  aus  J,  ferner  v.  14  mit 
V.  8,  wo  der  Name  durch  nN*T>  D^"lb^*  vorbereitet  wird.  Die  wich- 
tigste Änderung  ist  durch  sehr  zarte  Mittel  bewii'kt  und  lässt  sich 
nur  ahnen.  Sie  besteht  in  dem  Verwischen  der  Lokalität,  wo  die 
Scene  spielt,  deren  genaue  Bezeichnung  sonst  bei  den  Patriarchen- 
geschichten eine  Hauptsache  ist.  Nach  der  jüdischen  Tradition 
soll  es  Jerusalem  gewesen  sein,  aber  das  ist  wegen  v.  4  nicht  die 


Kap.  12-26.  19 

ursprüngliche  Meinung.  Nach  der  samaritanischen  der  Garizim. 
Das  wüi'de  passen,  Sichern  ist  etwa  drei  Tagereisen  von  Beerseba 
entfernt,  die  hohen  Berge,  zwischen  denen  es  liegt,  kann  man  von 
weitem  sehen,  nach  einer  jahvistischen  Parallele  baut  Abraham  zu 
Sichern  einen  Altar  vb^  nxijn  "'"'b  12,  7.  Jedoch  hat  vermutlich 
schon  der  Bearbeiter  Jerusalem  zum  Schauplatz  machen  wollen; 
in  V.  14b  scheint  diese  Meinung  zu  Grunde  zu  liegen  und  eben  so 
in  der  Erweiterung  v.  15 — 18:  handelte  es  sich  um  die  Inau- 
gurirung  des  heiligsten  Ortes,  so  war  es  billig  die  Yerheissung  hier 
in  feierlicher  Weise  zu  wiederholen.  Mit  dieser  Tendenz  hängt 
dann  auch  wol  der  Name  rTi^lcn  zusammen.  Zwar  ist  das  keine 
du'ekte  Bezeichnung  des  Tempelberges,  denn  der  hat  in  der  alten 
Zeit  nie  so  geheissen,  und  wenn  die  Späteren  ihn  Moria  nannten, 
so  geschah  das  auf  Grund  der  traditionellen  Deutung  unserer  Stelle. 
Aber  schon  um  die  Entstehung  dieser  ziemlich  alten  Deutung 
(2.  Chr.  3,  1)  zu  erklären,  wird  man  doch  annehmen  müssen,  dass 
ein  indii'ekter  Hinweis  auf  die  Tenne  Araunas,  wo  auch  David  den 
Engel  sah,  mit  nnr^n  gegeben  werden  sollte.  Der  Elohist  hat 
sicher  nicht  rT'n^n  gescliiieben,  er  muss  v.  2  einen  Landesnamen 
genannt  haben,  denn  er  will  nicht  den  bestimmten  Punkt  angeben, 
den  Gott  ^delmehr  näherer  Bestimmung  vorbehält,  sondern  die 
allgemeine  Sphäre  zur  vorläufigen  Orientirung  Abrahams  —  es 
muss  also  auch  eine  bekannte  Gegend  gewesen  sein,  vielleicht 
Cl^n  |**1X,  wo  Sichem  lag^).  Die  Lesung  rmcn  machte  vor  410 
allem  das  Nomen  proprium  unkenntlich  und  gestattete  eine  auf 
V.  14  n^^T'  mn'»  bezügliche  appellative  Auffassung  des  Wortes, 
welche  die  Deutung  auf  Jerusalem  zwar  nicht  forderte,  aber  offen 
hielt.  Die  Rücksicht  auf  diese  Etymologie  von  Moria  scheint  auch 
der  Grund  sein,  warum  der  Bearbeiter  den  Gottesnamen  in 
V.  11 — 13  beharrlich  in  Jahve  corrigirte. 

Spuren  dieser  selben  überarbeitenden  Hand  lassen  sich  nun 
auch  in  J  erkennen;  insbesondere  lässt  es  sich  wahrscheinlich 
machen,  dass  in  Kap.  16  und  26,  13 ss.  Zusätze  angebracht  sind 
in  der  Absicht,  diese  Erzählungen  mit  den  Parallelen  aus  E 
(Kap.  21)  einigermassen  verträglich  zu  machen.  In  Kap.  16 
rühi-en  v.  8 — 10  vom  Jehovisten  her.    Der  10.  Vers  ist  von  Einem 


^  Die  Correktur  nmDn  würde  sich  schon  deshalb  in  einer  ganz  ver- 
kehrten Richtung  bewegen,  weil  kein  Ort,  sondern  ein  Land  hier  angegeben 
werden  soll. 

2* 


20  I)ie  Genesis, 

gesclu'ieben,  der  den  Vers  11  bereits  kannte;  diese  Ordnung  ist  ganz 
unnatüi'lich  und  schwerlich  aus  der  ursprünglichen  Conception  ent- 
sprungen. Der  9.  Vers  giebt  der  Magd  den  Rat:  i::;nn,  dagegen 
V.  11  heisst  es:  Jahve  hat  auf  dein  ""JV  gehört,  d.  h.  er  will  dich 
davon  befreien.  Nach  v.  8 — 10  soll  Hagar  zu  Hause  gehn,  also 
auch  dort  gebären  und  ihr  Kind  aufziehen;  aber  v.  11.  12  gehn 
von  der  Anschauung  aus,  dass  Ismael  in  der  Wüste  und  fern  von 
Abraham  aufwächst.  Es  wäre  doch  der  Mühe  wert  gewesen  zu 
berichten,  dass  Hagar,  dem  Befehl  v.  8 — 10  folgend,  wirklich  zu 
iln-er  Herrin  zurückgekehi't  sei  —  das  geschieht  indes  v.  llss. 
keineswegs.  Dazu  erwäge  man  die  stilistische  Form:  und  er 
sprach,  v.  8,  und  der  Engel  des  Herrn  sprach  zu  ihr,  v.  9, 
und  der  Engel  des  Herrn  sprach  zu  ihr,  v.  10,  und  der 
Engel  des  Herrn  sprach  zu  ihr,  v.  11.  So  hat  der  Jahvist, 
der  beste  Erzähler  in  der  ganzen  Bibel,  nicht  geschrieben.  Ich 
glaube  also:  nach  J  blieb  Hagar  in  der  Wüste  und  genas  bei  dem 
Brunnen  Lachai  Roi  eines  Knaben,  des  Wüstensohnes  Ismael.  Den 
Schluss  machte  vielleicht  25,  18  „und  er  wohnte  von  Havila 
(im  0.)  bis  nach  Sur  (im  W.^)".  Die  Verse  16,  8—10  aber  sind 
vom  Jehovisten  eingesetzt,  um  die  späterhin  aus  E  zu  erzählende 
Austreibung  Ismaels  aus  dem  Vaterhause  (21,  9ss.)  zu  ermöglichen. 
—  In  Kap.  26  zeigt  sich  Rücksichtnahme  auf  die  elohistische 
Parallele  21,  22  ss.  in  v.  18  und  v.  15.  Beide  Verse  unterbrechen 
411  den  originalen  Zusammenhang  und  widersprechen  ihm.  Denn  26, 
19 SS.  nennt  Isaak  die  Brunnen  zum  ersten  Male,  nach  Ver- 
anlassungen die  sich  eben  in  dem  Augenblicke  darboten;  er  gräbt 
sie  also  auch  zum  ersten  Male;  seine  Knechte  „entdecken"  das  Wasser 
V.  19.  Es  steht  nicht  im  Einklänge  damit,  wenn  es  v.  18  heisst: 
„Isaak  grub  die  Wasserbrunnen  wieder  auf,  die  man  in  seines 
Vaters  Abraham  Tagen  gegraben  hatte  und  die  die  Philister  nach 
Abrahams  Tode  verschüttet  hatten,  und  er  legte  ihnen  die  selben 
Namen  bei,  wie  sein  Vater  sie  genannt  hatte."  Besonders  beim 
Schluss,  der  von  dem  Brunnen  bei  Beerseba  handelt  v.  23 — 33, 
ist  es  klar,  dass  der  Erzäliler  gar  keine  Ahnung  davon  hat,  dass 
diese  ganze  Geschichte  sich  auch  schon  an  dem  selben  Orte 
zwischen  Abraham  und  dem  Philisterfürsten  abgespielt  habe. 
Auch  bemerke  man,  dass  es  im  Gegensatz  zu  v.  18  den  Geraritern 


'Js  bv  miCK  n3Na  / 


Kap.  12—26.  21 

in  V.  19  SS.  gar  nicht  einfällt,  die  Brunnen  Isaaks  zu  verschütten, 
sondern  sie  wollen  sie  selber  haben.  Nach  alle  dem  ist  der 
18.  Vers  ein  auf  21,  22  s.  bezugnehmender  harmonistischer  Ein- 
satz, der  auf  eine  ziemlich  kindliche  Weise  die  Brunnen  Abrahams 
durch  Zuschütten  aus  der  Welt  schaffen  will,  damit  sie  Isaak  noch 
einmal  graben  kann.  Mit  v.  18  fällt  natürlich  auch  v.  15,  dieser 
Vers  scheint  noch  später  eingesetzt  zu  sein,  da  v.  18  ihn  nicht 
voraussetzt,  sondern  seinen  Inhalt  wiederholt. 

Zu  diesen  Spuren,  welche  beweisen,  dass  E  und  J  gemein- 
schaftlich von  dritter  Hand  zusammengefügt  und  überarbeitet  sind, 
füge  ich  ein  letztes  Beispiel  hinzu,  wo  möglicherweise  ein  gewisses 
Ineinander  von  E  und  J  zu  constatiren  ist,  nämlich  Kap.  15.  Der 
Zusammenhang  dieses  Kapitels  ist  brüchig  und  zwar  lässt  sich  eine 
Hauptfuge  wahi'nehmen  zwischen  v.  1 — 6  und  v.  7 — 21.  In 
V.  1 — 6  ist  es  Nacht  —  vgl.  die  Sterne  v.  5,  das  Gesicht  v.  1, 
wenn  auch  die  Form  des  Traumes  sich  wenig  fühlbar  macht;  da- 
gegen ist  es  V.  7  SS.  zuerst  Tag,  dann  wird  es  dunkel  v.  12  und 
endlich  tritt  die  Nacht  ein  v.  17.  Während  man  bei  v.  1 — 6  zur 
Not  noch  die  Form  der  Vision  (v.  1)  festhalten  kann,  ist  das 
V.  7 — 21  völlig  unmöglich.  Damit  hängt  ein  Unterschied  der 
Offenbarungsweise  zusammen,  v.  1 — 6  ist  sie  ziemlich  vermittelt, 
V.  16.  18  von  handgreiflicher  Unmittelbarkeit.  Am  stärksten  fällt 
die  Discrepanz  auf  beim  Übergänge  v.  6:  v.  7.  8.  Nachdem  in 
V.  6  Abrahams  Glaube  belobt  und  ihm  hoch  angerechnet  worden 
ist,  lässt  er  sich  v.  8,  auf  eine  weitere  Verheissung  Gottes,  also 
vernehmen:  „Woran  soll  ich  das  merken,  dass  ich  das  Land  in 
Besitz  nehmen  werde?"  Dabei  ist  auch  auf  den  verschiedenen 
Gebrauch  von  1^*1''  v.  7s.  und  v.  3s.  Gewicht  zu  legen.  Es  scheint,  412 
dass  in  v.  1 — 6  ein  durch  den  Jehovisten  überarbeitetes  Stück  von 
E  vorliege.  Dafür  spricht  negativ,  dass  der  Jahvist,  Kap.  24,  den 
Namen  des  Eliezer  nicht  kennt,  so  wenig  wie  den  der  Amme 
Rebekkas,  den  gleichfalls  der  Elohist  nennt;  positiv,  dass  die  Offen- 
barung durch  ein  Nachtgesicht  geschieht  und  dass  die  Ubergangs- 
formel  nb^H  D''*l^"in  "^n^  gebraucht  wird.  Weitergehend  könnte 
man  versuchen,  v.  7 — 21  füi'  J  in  Anspruch  zu  nehmen.  Jedoch 
ist  das  nur  mit  starken  Einschi'änkungen  möglich.  V.  7  müsste 
stark  überarbeitet  sein,  "»^N  und  Ur  Kasdim  sind  nicht  jahvistisch. 
V.  13 — 16  ist  eine  Art  Incubation,  die  auf  alle  Fälle  dem  ur- 
sprünglichen Zusammenhang   fremd  ist.     Es  ist  eine  Clausel,    die 


22  Die  Genesis. 

eigentlich  nur  nach  v.  17.  18  Sinn  hat  und  die  dort  gegebene 
bestimmte  Verheissung  des  Landes  Kanaan  antecipirt.  Zunächst 
muss  doch,  auch  nach  v.  8,  das  Versprechen  selbst  gewähi'leistet 
werden,  darnach  versteht  sich  erst  der  Zusatz,  dass  es  aber  nicht 
sehr  bald,  sondern  erst  nach  langer  Zeit  in  Erfüllung  gehn  werde, 
wenn  nämlich  die  Schuld  der  gegenwärtigen  Bewohner  des  Landes 
reif  sei.  Die  Ausleger  haben  denn  auch  gewöhnlich  den  Sinn  der 
Worte  V.  13  bis  16  gar  nicht  recht  verstanden  und  nicht  gemerkt, 
dass  hier  eine  Einschränkung  zu  v.  17  s.  gegeben  werden  solle. 
Zusatz  wird  ebenfalls  v.  19 — 21  sein,  aber  gleichgiltiger  und 
unschuldiger  Natur.  Was  übrig  bleibt,  könnte-  dem  Jahvisten  an- 
gehören (vgl.  15,  18  mit  24,  7)  und  wüixle  sich  in  diesem  Fall 
an  13,  18  anschliessend).  Nachdem  Abraham  in  Hebron  das  Ziel 
seiner  Wanderschaft  erreicht  und  dort  einen  Altar  gebaut  hat, 
wüitIo  ganz  passend  diese  Hauptstätte  durch  eine  göttliche  Er- 
scheinung eingeweiht  werden,  die  ihm  den  einstigen  Besitz  des 
ganzen  heiligen  Landes,  in  dem  er  eben  festen  Fuss  gefasst  hat, 
gewähideistet.  Diese  Yerheissung  wüi'de  zugleich  die  in  Kap,  16. 
18s.  nachfolgende  bedingen  und  veranlassen,  so  dass  15,  7  ss.  auch 
nach  der  Seite  hin  ausgezeichneten  Anschluss  in  J  hätte.  Mit 
völliger  Zuversicht  wüi'de  ich  die  beiden  Hälften  von  Kap.  15  an 
E  und  J  verteilen,  wenn  ich  in  der  überarbeitenden  Hand  den 
Jehovisten  erkennen  könnte.  Aber  v.  13 — 16  und  v.  7  verrät  in 
Sprachgebrauch  (ti^on,  n^-lIO  nrL''li^)  und  Vorstellung  (Ur  Kasdim) 
Verwandtschaft  mit  dem  Vierbundesbuch. 
413  3.     In    der  Hauptsache    ist  JE    eine  Composition    aus    diesen 

beiden  parallelen  Geschichtsbüchern.  Dabei  ist  J  zu  Grunde  gelegt 
und  aus  E  das  mitgeteilt,  was  sich  in  J  entweder  überhaupt  nicht 
oder  nicht  so  fand.  Die  Stücke  Kap.  20 — 22,  die  zum  grossen  Teile 
in  J  wiederkehi'en,  verdanken  ihre  vollständige  Aufnahme  haupt- 
sächlich dem  Umstände,  dass  sie  in  E  von  Abraham  statt  wie  in 
J  von  Isaak  erzählt  wurden  —  zum  Glück  für  uns,  denn  nament- 
lich aus  diesen  Erzählungen  ersehen  wir,  wie  ungemein  ähnlich 
die  beiden  Geschichtsbücher  gewesen  sein  müssen.  Mit  diesen 
beiden  einfachen  Factoren  kommt  man    aber  auch   hier  nicht   zur 


^)  Nur  der  tiefe  Schlaf  v.  12  passt  nicht  zu  v.  17.  18,  aber  auch  nicht 
einmal  recht  zu  v.  12  b,  dagegen  wol  zu  v.  13 — 16.  Übrigens  spricht  für  J 
auch  die  genaue  Angabe  der  Tageszeit,  die  eins  der  charakteristischen  Merk- 
male ist. 


Kap.  12—26.  23 

Erklärung  von  JE  aus;  man  muss  auch  hier  jenen  Trieb  der  Wuche- 
rung zu  Hilfe  nehmen,  vermöge  dessen  der  Stamm,  oder  besser  ein 
Stamm,  in  verschiedenen  Phasen  einzelne  neue  Schösse  trieb.  Ich 
werde  dies  zu  erweisen  suchen,  indem  ich  die  einzelnen  Kap.  von 
Gen.  12  an  der  Reihe  nach  durchgehe.  Dabei  werde  ich  zugleich 
Anlass  nehmen,  auf  Lücken  des  Zusammenhanges  in  JE  aufmerksam 
zu  machen,  die  sich  am  Schlüsse  des  Abschnittes  fühlbar  machen. 

In  Kap.  12  ist  die  Erzählung  von  der  Wanderung  nach  Ägypten, 
V.  10 — 20,  ein  späterer  Einsatz.  Ich  schliesse  das  zunächst  daraus, 
dass  die  Bezugnahme  darauf  in  26,  1 — 5  nicht  vom  Jahvisten 
selbst  herrührt,  sondern  wie  auch  z.  B.  Delitzsch  anerkennt,  dort 
von  späterer  Hand  nachgetragen  ist.  Es  folgt  aber  auch  aus  inneren 
Gründen.  In  12,  10 — 20  ist  Abraham  allein,  im  Zusammenhang 
des  Jahvisten  aber  ist  Lot  noch  bei  ihm.  Schon  in  alter  Zeit  ist 
diese  Unebenheit  empfunden  worden,  und  ein  grosser  Teil  der 
griechischen  Bibelhandschriften  setzt  darum  v.  20  die  Worte  zu: 
xal  AwT  [ist'  ccüTou.  Wichtiger  ist  Folgendes.  Wie  vor  12,  10 — 20, 
so  befinden  wii*  uns  auch  hinterher  in  Kap.  13  in  Bethel,  und  dort 
in  Bethel  trennen  sich  Abraham  und  Lot.  Hätte  12,  10 — 20  ur- 
sprünglich hier  gestanden,  so  wäre  gar  kein  Grund  gewesen,  den 
Abraham  statt  nach  seinem  dauernden  Aufenthaltsorte  in  Hebron 
wieder  nach  Bethel  zurückwandern  zu  lassen;  die  Trennung  von 
Lot  konnte  eben  so  gut  hier  wie  dort  vor  sich  gehn.  Bloss  um 
Anschluss  an  die  Erzählung  des  Jahvisten  zu  erreichen,  der  zwischen 
12,  8  und  13,  4  den  Schauplatz  nicht  verändert,  muss  Abraham 
wieder  zurück  nach  Bethel  und  sich  dort  von  seinem  Bruder 
scheiden.  In  13,  4  sind  wir  genau  so  weit  wie  in  12,  8,  und  selbst 
die  Worte  von  12,  8  werden  13,  4  wiederholt.  Der  Jahvist  liess 
Abraham  gradeswegs  über  Sichern  und  Bethel  nach  Hebron  wandern, 
er  hatte  auch  in  diesem  Fall  keine  Dublette,  sondern  erzählte  die  414 
Gefähi'dung  der  Stammmutter  nur  einmal  und  zwar  von  Isaaks  Weib, 
Kap.  26.  In  den  Yersen  12,  9.  13,  1.  3.  4  ist  die  Naht  zu  erkennen, 
wodui'ch  der  Einsatz  dem  ursprünglichen  Bestände  aufgeheftet  wurde. 

Gründe,  die,  von  einer  allgemeinen  Anschauung  hergenommen, 
Wenige  überzeugen  werden,  bewegen  mich,  auch  13,  14 — 17  für 
einen  späteren  Nachtrag  anzusehen.  Es  ist  durchaus  nicht  Sitte 
des  echten  Jahvisten,  Gott  so  ohne  weiteres  zu  den  Erzvätern  reden 
zu  lassen,  er  erzählt  stets  bestimmt  eine  Theophanie  an  einem  ge- 
nau   angegebenen  Orte,    der  aber  durch  die  Erscheinung  dann  füi' 


24  Die  Genesis. 

alle  Zeiten  geheiligt  wird.  Dagegen  haben  wir  ein  Analogen  zu 
13, 14 — 17  in  22, 15 — 18  von  der  Hand  des  Jehovisten,  der  solche 
Reden  Gottes  aus  dem  Stegreif  einstreut  und  dabei  alles  Gewicht 
auf  den  Inhalt  legt,  ohne  die  Form  und  den  Ort  der  Erscheinung 
besonders  hervorzuheben.  Ferner  hegt  der  Jahvist  gar  nicht  die 
Vorstellung,  dass  Abraham  halb  nomadisch  das  heilige  Land  durch- 
wandert; er  lässt  ihn  vielmehr  auf  dem  nächsten  Wege  über  Sichem 
und  Bethel  nach  Hebron  gelangen.  In  Hebron  bleibt  er  bis  an 
seinen  Tod,  dort  wohnt  er  Kap.  16  und  Kap.  18s.,  dort  wohnt  er  auch 
Kap.  24  —  erst  Isaak  verlegt  24,62.25,11b  seinen  Sitz  nach  dem 
Negeb.  Nur  wenn  man  den  Jahvisten  mit  dem  Elohisten  combinirt, 
der  Beerseba  an  Stelle  Hebrons  setzt,  erscheint  Abrahams  Wohnort 
schwankend;  man  wird  es  also  13, 14 — 17  mit  dem  Zusammenarbeiter 
von  J  und  E  zu  tun  haben,  der  wol  12,  10 — 20  gleichfalls  schon  vor 
Augen  hatte.  Yielleicht  ist  endlich  noch  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  dass  man  von  Bethel  aus  wol  die  Aussicht  auf  die  Jordansaue 
hat  13,  10,  aber  kein  Panorama  über  das  ganze  Land  v.  14 — 17. 
Kapitel  14  steht  zwar  ohne  Frage  nach  13, 18  und  vor  Kap.  15 — 19 
an  seinem  notwendigen  Platze  und  kann  nirgend  anders  eingeordnet 
werden.  Aber  im  Zusammenhang  einer  fortlaufenden  Quelle  steht 
es  nicht,  es  gehört  weder  zu  Q  noch  zu  J  oder  zu  E.  Mit  E  hat 
man  es  wol  in  Verbindung  bringen  wollen,  aber  gerade  für  diese 
Quelle  ist  Abraham  am  wenigsten  Kriegsmann,  vielmehr  „Muslim" 
(Kap.  22. 15,  6)  und  Prophet  (Kap.  20).  Auch  steht  dem  Elohisten  die 
Verherrlichung  Jerusalems  14  17 — 24  ganz  und  gar  nicht  an.  Es 
wird  freilich  trotz  Ps.  76,  3  und  trotzdem  dass  das  mi^  pDV  v.  17 
in  der  Nähe  Jerusalems  lag  (2.  Sam.  18, 18),  behauptet,  Salem  sei 
nicht  Jerusalem,  sondern  ein  beliebiger  obscurer  Ort.  Aber  die 
415  Zehntenabgabe  Abrahams  an  Salem  ist  doch  gewiss  analog  zu  be- 
urteilen, wie  die  Zehntenabgabe  Jakobs  an  Bethel;  wie  Jakob  dort 
den  an  den  Reichstempel  von  Bethel  steuernden  Israeliten  das 
Vorbild  giebt,  so  Abraham  hier  den  an  das  salomonische  Heiligtum 
steuernden  Judäern.  Melchisedek,  der  Vorgänger  Adonisedeks 
Jos.  10, 1,  ist  König  und  Priester  des  höchsten  Gottes  zu  Jerusalem; 
wo  nicht,  so  hat  das  Zehnten  Abrahams  überhaupt  keinen  Sinn. 
Da  nun  aber  der  Elohist,  wie  vorläufig  als  anerkannt  gelten  mag, 
kein  Judäer  ist,  so  wird  ihm,  wie  gesagt,  der  Bericht  nicht  zu- 
zutrauen sein,  dass  der  älteste  Erzvater  dem  judäischen  Central- 
heiligtum  die  heiligen  Abgaben  entrichtet  habe.      Allem  Anschein 


Kap.  12-26.  25 

nach  ist  Kap.  14  erst  in  die  letzte  Ausgabe  der  Genesis  eingeschoben 
worden.  Denn  auch  dem  Jehovisten,  dem  Yerarbeiter  von  J  und 
E,  kann  es  nicht  zugewiesen  werden,  weil  dieser  seine  Ergänzungen 
immer  recht  fest  mit  dem  Zusammenhang  verkittet  und  sich 
ausserdem  von  der  Anschauungsweise  seiner  Quellen  niemals  weit 
entfernt.  Dazu  kommt,  dass  das  fragliche  Stück  einige  Bekannt- 
schaft mit  der  Sprache  von  Q  verrät,  vgl.  I^IDI  und  t^'^J  v.  21. 
Am  meisten  Wahi'scheinlichkeit  hat  es  darum  für  sich,  dass  der 
Endredactor  der  Genesis,  der  JE  und  Q  zusammenfügte,  diese  nach 
vorn  und  hinten  verbindungslose  Erzählung  aufgenommen  habe, 
auf  die  man  das  von  Melchisedek  gesagte  Wort:  aTraimp  ajirjtüip 
a^EvsaXo^Tixo?  mit  gleichem  Recht  anwenden  kann. 

Über  Kap.  15  und  16  ist  bereits  gehandelt,  über  Kap.  17  nichts 
zu  bemerken.  In  Kap.  18  und  19  lassen  sich  wiederum  Spuren  einer 
vermehrten  Ausgabe  von  J  entdecken.  Ich  denke  wenigstens,  dass 
ursprünglich  18,  22  a  und  18,  33  b  an  einander  schlössen,  in  folgender 
Weise:  „und  die  Männer  wendeten  sich  von  dannen  und  gingen 
nach  Sodom,  und  Abraham  kehrte  zurück  an  seinen  Ort".  Was 
zwischen  diesen  beiden  Sätzen  steht,  zeigt  am  Anfang  und  am  Ende 
die  Fuge.  Nach  v.  22  a  gehn  die  Männer  fort  nach  Sodom,  die 
Männer,  die  nach  v.  2.  3  Jahve  selbst  sind,  unter  denen  er  mindestens 
inbegriffen  ist.  Nach  v.  22b.  23 ss.  aber  ist  Jahve  doch  nicht  fort- 
gegangen, während  hinwiederum  andi-erseits  gar  nicht  ausdrücklich 
gesagt  worden,  er  sei  dageblieben  —  was  doch  der  Mühe  wert  war, 
zu  bemerken.  In  19,  Iss.  wii'd  allerdings  von  den  zwei  Engeln 
geredet,  die  nach  Sodom  gekommen  seien,  es  ist  also  die  Meinung, 
Gott  selbst  sei  zurückgeblieben.  Aber  diese  beiden  Engel  stimmen 
sehr  wenig  zum  Ganzen.  Vielleicht  kennt  der  Jahvist  überhaupt 
keine  pluralischen  COxb^j  jedenfalls  aber  steht  der  Artunterschied  416 
Jahve  selbst,  zwei  Engel  in  auffallendem  Kontrast  zu  der  un- 
unterschiedenen  Verschwommenheit,  in  welcher  das  Verhältnis  der 
Männer  (sie)  zu  Jahve  nicht  bloss  18,  Iss.,  sondern  auch  19,  17 ss. 
erscheint.  Und  was  das  Wichtigste  ist,  so  sagt  nicht  bloss  18,  21 
Jahve:  ich  will  hinab  nach  Sodom,  sondern  offenbar  ist  er  auch 
19,  17 ss.  wirklich  selbst  mit  unter  „den  Männern",  obwol  sein 
nachträgliches  Hinzukommen  zu  den  zwei  Engeln  von  19,  1  nirgend 
berichtet  wird.  Die  Worte  19,  21  kann  nur  Jahve  sagen,  in  dem 
Gespräch  19,  17 ss.  tritt  eben  so  wie  in  dem  18,  Iss.  stets  wieder 
eine  singularische   Hauptperson   als  allein  redend   und   allein    an- 


26  Die  Genesis. 

geredet  aus  dem  scheinbaren  Plural  der  Männer  hervor.  Aus  alle 
dem  folgt,  dass  die  beiden  Engel  in  Kap.  19  später  eingetragen  sind, 
und  da  sich  kein  anderer  Grund  hiezu  denken  lässt,  als  die  nach 

18,  22b — 33a  zu  machenden  Voraussetzungen,  so  folgt  weiter,  dass 
die  Voraussetzungen  dieses  Stückes  dem  echten  Zusammenhang 
widersprechen,  dasselbe  also  die  Zutat  einer  späteren  Hand  ist. 
Man  bemerke,  dass  Jahve  den  Beschluss,  die  sündigen  Städte  zu 
verderben,  der  18,  23  ss.  bereits  als  gefasst  gilt  und  den  Anlass  der 
Verhandlung  bildet,  in  18,  20s.  überhaupt  gar  noch  nicht  ausge- 
sprochen, sondern  nur  gesagt  hat:  „es  ist  ein  Gerücht  über  Sodom 
und  Gomorrha,  dass  ihre  Sünde  gross,  dass  sie  sehr  schwer  sei^); 
ich  will  doch  hinabgehn  und  sehen,  ob  sie  wii'klich,  wie  das  Ge- 
rücht, das  zu  mir  gelangt  ist,  sagt,  ganz  so  getan  haben,  oder 
erkennen  ob  es  nicht  so  ist"  —  so  vorsichtig  und  unanstössig  wie 
möglich.  Ich  wage  auch  darauf  hinzuweisen,  dass  der  sonst  über- 
all in  Kap.  18.  19  herrschende  sein*  naive  Verkekr  der  Erzväter  mit 
Gott  in  18,  22 — 33  plötzlich  aufhört;  während  Abraham  18,  8  dem 
Jahve  ein  Kalb  schlachtet  und  ihm  Käse  und  Milch  vorsetzt,  fühlt 
er  18,  23  ss.  mit  einem  Mal  den  Abstand  der  Kreatur  von  dem 
Schöpfer:  ach  siehe,  ich  habe  mich  unterwunden  mit  Jahve  zu 
reden,  wiewol  ich  Staub  und  Asche  bin. 

Ist  das  fragliche  Stück  ein  Einsatz,  so  lässt  sich  ein  Motiv 
dafür  leicht  finden.  Es  ist  aus  einer  Stimmung  erwachsen ,  die 
schweren  Anstoss  daran  nahm,  dass  eine  ganze  Stadt  oder  Gegend 
mit  einem  Male  untergegangen  war:  da  musste  doch  Gott  auch  Un- 
schuldige unter  der  Masse  mit  fortgerafft  haben.  Bekanntlich  be- 
herrschte diese  Stimmung  das  jüdische  Volk  in  der  Zeit,  als  Jeremias 
417  und  Ezechiel  weissagten  und  das  Buch  lob  entstand  —  aus  dieser 
Zeit  scheint  somit  18,  22b — 33a  zu  stammen.     Vergl.  Hier.  5,  1. 

Es  scheint,  dass  der  Text  des  Jahvisten  in  Kap.  18.  19  noch 
durch    einzelne    kleinere   Eingriffe    alterirt    worden   sei,   z.  B.    ist 

19,  23 — 26  schwerlich  im  Fluss  der  ursprünglichen  Conception  so 
geschi'ieben.  Die  Verse  18,  17 — 19  weisen  in  "»JX  und  jV^';)  myr» 
"ILJ'N  verdächtigen  Sprachgebrauch  auf  und  sind  im  Inhalt  verwandt 
mit  13,  14 — 17.  22,  15 — 18;  vor  dem  neuen  Ansatz  18,  20  entbehrt 
man  sie  nicht.  Dagegen  hat  man  keinen  Grund,  das  Stück 
19,  30 — 38  dem  Jahvisten  abzusprechen.     Er  kann  doch  unmöglich 


^)  Streich  das  )  vor  DPlNtSrij  sprich  v.  21  ^^j 


i 


Kap.  12—26.  27 

den  Lot  in  Zoar  lassen;  die  Flucht  nach  Zoar  ist  ja  nur  eine  Di- 
gression,  die  erklären  soll,  wie  es  komme,  dass  jene  kleine  Land- 
zunge, die  eigentlich  auch  zum  Gebiet  der  Hapheka  gehört,  vom 
Untergange  ausgenommen  sei;  das  Endziel  fiii'  Lot  ist  notwen- 
digerweise das  Gebii'ge  Moab  19,  30.  Ferner  würden  die  Töchter 
Lots  nicht  so  viel  vorher  erwähnt  sein,  wenn  hinterdrein  nichts 
von  ihnen  zu  erzählen  gewesen  wäre;  und  auch  der  Tod  des  Wei- 
bes bereitet  die  Geschichte  19,  30 ss  vor.  Moralische  Bedenken 
sind  keine  kritischen. 

Demnächst  folgen  die  elohistischen  Stücke  Kap.  20 — 22.  Zu  E 
rechne  ich  auch  das  Verzeichnis  der  Nahoriden  22,  20 — 24.  Von 
Q  wii'd  es  durch  Vorstellung  (Kemuel,  Vater  Arams)  und  Sprache 
(IT)  ausgeschlossen;  wenn  nicht  bestimmt  zu  E,  gehört  es  doch 
jedenfalls  zu  JE,  als  Vorbereitung  für  Isaaks  Heirat  mit  der  Re- 
bekka  Kap.  24.  Im  Folgenden  ist  der  Zusammenhang  von  JE  durch 
R  mehrfach  unterbrochen  und  verrenkt.  Da  Kap.  24  Saras  Tod 
zum  notwendigen  Motiv  hat,  so  muss  JE  jedenfalls  eine  Erzählung 
darüber  enthalten  haben,  die  gegenwärtig  durch  Q  Kap.  23  ver- 
di'ängt  ist.  Darnach  wird  25,  1 — 6  gefolgt  sein,  ein  Stück,  das  so 
wenig  wie  22,  20 — 24  aus  Q  stammen  kann,  sowol  wegen  Seba 
und  Dedan,  als  auch  wegen  "lb''0-  Es  scheint,  dass  24,  36  auf 
25,  5s.  zurückblickt.  An  25,  5  schloss  sich  möglicherweise  25,  IIb, 
vielleicht  aber  auch  an  24,  67.  Hinter  25,  1 — 6  hat  Kap.  24  in  JE 
seine  richtige  Stelle.  Hier  vermisst  man  die  Nachricht  von  Abra- 
hams Tode.  Natüiiich  hat  JE  sie  enthalten,  natüiiich  aber  musste 
R  sie  streichen,  wenn  er  sie  aus  Q  geben  wollte.  Es  fi'agt  sich 
nur:  wo  stand  die  betreffende  Angabe  in  JE?  Ohne  Zweifel  in  418 
Kap.  24.  Der  Knecht  verlässt  Abraham  offenbar  auf  dem  Toten- 
bette, er  kommt  zurück  und  von  Abraham  ist  keine  Rede  mehr. 
Er  muss  inzwischen  gestorben  und  dies  auch  dem  Leser  irgendwo 
mitgeteilt  sein,  am  besten  hinter  v.  62,  um  zu  motiviren,  dass 
der  Knecht  nicht  zu  seinem  Auftraggeber  znrückkehi't,  sondern 
dii'ekt  zu  Isaak  geht^  nicht  nach  Hebron,  sondern  nach  Lachai  Roi. 
Die  Angabe  v.  62  hätte  kaum  einen  Sinn,  wenn  Isaak  an  seines 
Vaters  Ort  geblieben  wäre,   wenn    damit    nicht    eine  Verlegung 


')  Dass  Abraham  nach  Saras  Tode  (?)  noch  eine  Frau  nimmt,  ist  in  JE 
durchaus  nicht  weniger  auffallend  als  in  Q.  Ursprünglich  freilich  ist  Ketura 
wol  nur  eine  andere  Version  der  mündlichen  Überlieferung  für  Hagar.  — 
Über  25,  18  s.  vgl.  p.  20. 


28  Die  Genesis. 

seines  Wohnsitzes  nach  dem  Tode  Abrahams  ausgedrückt  sein 
sollte,  die  in  des  Knechtes  Abwesenheit  erfolgt  ist.  Vielleicht 
darf  man  zu  behaupten  wagen,  dass  1?0N  v.  67  eine  Korrektur  des 
R  für  ursprüngliches  VHN*  ist.  Das  ist  klar:  stand  T^ÜN  da,  so  war 
R,  der  den  Tod  Abrahams  erst  25,  8  aus  Q  erzählen  wollte,  ge- 
zwungen, es  wegzuschaffen.  Dass  aber  in  der  Tat  in  24,  67  eine 
spätere  Hand  bestrebt  gewesen  ist,  Isaaks  Mutter  Sara  einzu- 
schmuggeln, folgt  evident  aus  ICN  D^'t^'  nbn^ri.  Die  Form  nbnxn 
verträgt  keinen  Genitiv  hinter  sich,  1DN*  n*lt^  ist  hier  jedenfalls 
nachgetragen.  Dies  giebt  aber  zugleich  eine  Präjudiz  gegen  1CN 
am  Schluss  ab.  Auf  Kap.  24  ist  nach  der  ursprünglichen  Ordnung 
von  JE  Kap.  26  (excl.  34s.  aus  Q)  gefolgt.  Denn  die  Geschichte 
26,  1 — ^,11,  wo  Isaak  sein  Weib  für  seine  Schwester  ausgiebt,  wird 
gradezu  absurd,  wenn  Rebekka  bereits  Mutter  zweier  Söhne  ist 
und  noch  dazu  erwachsener  Männer;  sie  ist  nur  vor  25,  19 — 34 
verständlich.  Weist  man  ihr  und  ihrer  Fortsetzung  bis  26,  33 
diesen  Platz  an,  so  fällt  auch  Licht  auf  die  „Befragung  Jahves" 
25,  22s.  Dann  ist  nämlich  eben  vorher  (26,  23 — 33)  die  durch 
eine  Theophanie  veranlasste  Stiftung  des  Heiligtums  von  Beerseba 
durch  Isaak  erzählt;  nun  können  die  Leser,  für  die  der  Erzähler 
schi'eibt,  die  häufig  genug  selbst  in  Beerseba  das  Orakel  befragt 
haben  werden,  wissen,  wo  Rebekka  den  göttlichen  Bescheid  holte. 
Andererseits  tritt  auch  Kap.  27  in  die  ihm  angemessene  Verbindung, 
es  ist  die  unmittelbare  Fortsetzung  von  25,  19 — 34  und  hat  mit 
dem  jetzt  zunächst  vorhergehenden  Stück  gar  nichts  zu  tun.  Auf 
diese  Weise  an  den  richtigen  Ort  versetzt^)  bildet  Kap.  26  den 
wahren  Abschluss  des  Lebens  Isaaks  in  JE,  von  nun  ab  treten 
seine  Söhne  an  seine  Stelle.  Was  die  Herkunft  der  Bestandteile 
419  in  JE  betrifft,  so  stammt  Kap.  24  und  Kap.  26^),  anerkannter- 
massen  aus  J.  Das  Verzeichnis  22,  20 — 24  wird  man  wegen  der 
Übergangsformel  22,  20  wol  zu  E  zu  rechnen  haben,  über  25,  1 — 6 
lässt  sich  nichts  entscheiden. 

Fassen  wir  am  Ende  noch  einmal  zusammen,  was  die  Unter- 


^)  R  war  gezwungen,  Kap.  26  umzustellen ,  weil  er  die  Angaben  aus  Q 
25,  19  s.  26  an  der  Spitze  des  Abschnitts  Isaak  mitteilen  und  diesen  die  ent- 
sprechenden Notizen  aus  JE  an  die  Seite  setzen  musste. 

2)  Über  26,  2-5  und  '-^n  'in  lIl'PD  v.  1  s.  oben  p.  23,  über  v.  15 
und  V.  18  p.  20.  Wie  man  trotz  Kap.  21  hier  Bestandteile  aus  E  vermuten 
kann,  ist  nicht  recht  begreiflich. 


Kap.  12-26.  29 

suchung  des  zweiten  Abschnitts  der  Genesis  gelehrt  hat,  so  ist  das 
Ergebnis  entsprechend  dem  für  Kap.  1 — 11  gefundenen,  aber  nicht 
genau  das  selbe.  Denn  man  hat  gar  keine  positiven  Gründe, 
irgend  ein  Stück  von  Kap.  1 — 11  aus  E  herzuleiten.  Obwol  JE 
auch  dort  noch  anderweitige  Bestandteile  neben  J  enthält,  so  ist 
doch  E  in  keinem  derselben  zu  erkennen,  sondern  tritt  erst  seit 
der  Geschichte  Abrahams  als  neuer  und  von  da  ab  ununterbroche- 
ner Zufluss  ein.  Dieser  Unterschied  hebt  indessen  die  wesentliche 
Gleichartigkeit  von  JE  in  den  beiden  Abschnitten  nicht  auf.  Na- 
mentlich hat  auch  in  Gen.  12 ss.  noch,  wie  wir  gesehen  haben, 
der  Wucherungstrieb  gewaltet  und  allerlei  Neubildungen  angesetzt. 
Einer  dieser  Zusätze  (Kap.  14)  kann  freilich  erst  in  die  letzte  Aus- 
gabe der  Genesis  hineingeraten  sein,  die  meisten  werden  jedoch 
vom  Jehovisten  herstammen,  der  J  und  E  zu  JE  verwob.  Ein 
Nachtrag  ist  sogar  wol  schon  in  J  eingesetzt,  ehe  diese  Quelle 
mit  E  verwoben  wurde,  nämlich  12,  lOss.  Denn  warum  nimmt 
der  Interpolator  A^on  26,  2 — 5  nicht  auf  das  näher  liegende  und 
sehr  viel  stärkere  Analogon  Kap.  20  Bezug,  sondern  auf  Kap.  12, 
10 SS?  Es  kann  kaum  einen  anderen  Grund  dafüi*  geben,  als  weil 
er  zwar  wol  schon  12,  10 ss,  aber  noch  nicht  Kap.  20  mit  J  ver- 
bunden vorfand.  Es  scheint  darnach,  dess  ehe  E  in  extenso  auf- 
genommen wurde,  eine  oder  die  andere  Geschichte  aus  dieser  Quelle 
oder  aus  der  ihr  entsprechenden  Yolkstradition  einzeln  ihren  Weg 
in  eine  Ausgabe  von  J  fand,  und  dass  12,  10  ss.  hiervon  ein  Bei- 
spiel ist.  Nicht  unmöglich  ist  es,  dass  auch  E  dem  Jehovisten 
nicht  melir  in  der  primären  Ausgabe  vorgelegen  hat,  z.  B.  scheint 
Kap.  20  Spuren  von  Überarbeitung  zu  tragen,  die  gleichwol  dem 
Verf.  von  v.  18  bereits  bekannt  waren. 

Dass  JE  gegenüber  Q  eine  Einheit  bildet,  und  dass  der  Jeho- 
vist  von  dem  letzten  Redaktor  der  Genesis,  der  die  Compilation 
des  Jehovisten  mit  dem  Vierbundesbuche  vereinigte,  zu  unterschei- 
den ist,  habe  ich  zwar  nicht  direkt,  aber  indirekt,  wie  mich  dünkt,  420 
hinlänglich  gezeigt.  Der  strikte  Beweis  wird  im  nächsten  Ab- 
sclmitte  geliefert  werden. 

Jakob  und  Esau.     Gen.  27 — 36. 
Unter  diesem  Titel  fasse  ich  die  folgenden  Erzählungen  bis  Kap. 
36  und  38  zusammen,  zerlege  aber  das  Ganze  in  fünf  Abschnitte, 
die  ich  einzeln  auf  ihre  literarische  Beschaffenheit  untersuche: 


30  Die  Genesis. 

1.  Jakobs  Jugend  im  Elternhause  25,  19 — 28,  22;  excl. 
26,  1 — 33.  Der  skelettartige  Bericht  von  Q  ist  folgendermassen 
auszuscheiden:  25,  19.  20  ...  v.  26c.  26,  34.  35.  27,  46.  28,  1—9. 
Zwischen  25,  19  und  v.  20  hat  Q  möglicherweise  die  Heirat  Isaaks 
mit  Rebekka  erzählt,  zwischen  25,  20  und  v.  26  c  jedenfalls  die 
Geburt  der  Söhne,  nach  20jähriger  Unfruchtbarkeit  der  Mutter. 

Die  beiden  Fäden,  aus  denen  JE  zusammengewirkt  ist,  reissen 
hier  nicht  ab,  sondern  setzen  sich  fort,  aber  in  so  enger  Verschlin- 
gung, dass  an  eine  reinliche  Sonderung  durchweg  nicht  zu  denken 
ist.  Am  besten  gelingt  die  Scheidung  in  28,  10 — 22.  Im  Ganzen 
heisst  Gott  hier  Elohim,  nur  in  v.  13 — 16  Jahve.  Dadurch  auf- 
merksam gemacht  hat  bereits  Hupfeld  erkannt,  dass  v.  13 — 16 
auch  sachlich  den  Zusammenhang  des  Elohisten  unterbrechen. 
Wozu  sind  Engel  und  Leiter  überhaupt  da,  wenn,  wie  es  v.  13 
heisst,  Jahve  vbv  steht  und  direkt  zu  Jakob  spricht?  Die  Engel 
sollen  doch  nicht  bloss  tanzen,  sondern  die  Offenbarung  vermit- 
teln —  das  tun  sie  aber  v.  13 — 16  eben  nicht.  Lässt  man  die 
Yerse  aus  und  verbindet  v.  12  mit  v.  17,  so  gewinnen  Leiter  und 
Engel  auf  der  Stelle  eine  Bedeutung  und  zwar  eine  höchst  ori- 
ginelle. „Ihn  träumte,  da  war  eine  Leiter,  die  stand  auf  der 
Erde  und  ihi'e  Spitze  rührte  an  den  Himmel,  und  siehe,  die  Engel 
Gottes  stiegen  daran  auf  und  nieder.  Und  er  füi'chtete  sich^)  und 
sprach:  wie  schauerlich  ist  diese  Stätte,  dies  ist  nichts  anderes 
als  ein  Haus  Gottes  und  dies  ist  das  Tor  des  Himmels."  Nicht 
eine  hinzukommende  inhaltliche  Offenbarung,  sondern  die  Leiter 
selbst  ist  jetzt  das  Wichtige.  Sie  steht  an  dieser  Stätte  nicht  bloss 
in  diesem  Augenblick,  sondern  immer  und  gleichsam  von  Natur; 
Bethel  —  das  erkennt  Jakob  daraus  —  ist  ein  Ort,  wo  Himmel 
und  Erde  sich  berühren,  wo  die  Engel  auf-  und  niedersteigen,  um 
den  an  diesem  Tore  von  Gott  gestifteten  Verkelu'  zwischen  Him- 
421  mel  und  Erde  zu  vermitteln.  Hingegen  ist  v.  13 — 16  von  einer 
einzelnen  Theophanie  bestimmten  Inhalts  die  Rede,  wodurch  der 
heilige  Ort  ein  für  allemal  eingeweiht  wird,  vgl.  12,  7.  26,  24ss. 
Jos.  5,  13—15.  2.  Sam.  24,  16—18.  Das  vbv  v.  .13  bezieht  sich 
■Buf  Jakob,  wie  die  Sprache  rät,  denn  auf  der  Leiter  müsste 
"lli'N"]  hv  heissen,  und  wie  der  Sinn  fordert,  denn  im  Himmel  oben 
auf  der  Leiter  stehend  müsste  Jahve  laut  rufen,  wie  es  sonst  beim 

^  Vp"»iT  hat  man  auch  für  E  zu  ergänzen,  es  konnte  nicht  zweimal  ge- 
geben werden. 


Kap.  27—36.  31 

Elohisten  auch  geschieht  21,  17.  22,  11.  Es  unterscheidet  den 
Jahvisten,  dass  er  Gott  nicht  vom  Himmel  aus  und  durch  aller- 
hand Vermittlungen  mit  den  Menschen  verkehren,  sondern  ihn 
dii'ekt  zur  Erde  herniederfahren  lässt.  Ein  sprachliches  Kenn- 
zeichen: CN  "lt^^X  IV  v.  15  vgl.  mit  DN  IV  24,  19.  Das  J  auch 
hier  durchaus  selbständig  erzählt,  nicht  etwa  E  ergänzt,  sondern 
von  dritter  Hand  damit  zusammengearbeitet  ist,  brauche  ich  wol 
kaum  zu  zeigen;  gegen  Nöldekes  Annahme  sprechen  in  der  Tat 
ganz  die  gleichen  Gründe,  welche  die  Tuchsche  Ergänzungshypo- 
these unmöglich  machen.  Aber  ich  will  auf  ein  paar  formelle 
Unterscliiede  des  Jahvisten  28,  13 — 16  und  des  Jeho^dsten  auf- 
merksam machen.  Der  Jehovist  zählt  die  Himmelsgegenden  13,  14 
in  folgender  Ordnung  auf:  Norden  Süden  Osten  Westen,  der  Jah- 
vist  28,14:  Westen  Osten  Norden  Süden.  Zum  Subjekt  von  "I21:1j 
macht  der  Jehovist  pwXn  '•''i:  bj  22,  18.  18,  18,  der  Jah\äst  bj 
HDINH  mnDlJ^D  28,  14.  12,  3:  vielleicht  ein  nicht  bloss  formeller, 
sondern  ein  höchst  bedeutender  sachlicher  Unterschied.  Der  Jeho- 
vist scheint  ferner  zu  verstehn:  durch  Israel  (den  Samen  Abra- 
hams) sollen  alle  Völker  der  Erde  gesegnet  werden  ^),  während  der 
Jahvist  meint:  mit  Abraham  sollen  sich  segnen  alle  Geschlechter 
des  Landes.  Man  muss  allerdings  dann  annehmen,  dass  "jy"lT:i"l 
28,  14  eine  jehovistische  Zutat  sei,  aber  diese  Annahme  hat  nichts 
Schwieriges.  Denn  einerseits  wird  auf  alle  Fälle  der,  welcher  J 
und  E  hier  zusammensetzte,  auch  von  seinem  Eigenen  etwas  daran 
gegeben  haben,  und  andererseits  macht  wirklich  "]y*n:n  28,  14  an 
dieser  Stelle  ganz  den  Eindruck  des  Nachtrags. 

Es  scheint,  dass  auch  in  v.  17 — 22  E  nicht  ganz  rein  vor- 
liegt. V.  19  ist  im  Vergleich  zu  v.  22  eine  Dublette,  und  da 
V.  22  jedenfalls  elohistisch  ist,  so  stammt  v.  19  wol  aus  anderer  422 
Quelle,  und  zwar  ist  v.  19  a  aus  J,  dagegen  v.  19  b  Glosse,  vielleicht 
des  Jehovisten.  Olme  Zweifel  hat  endlich  der  Jehovist  in  v.  21 
die  Worte  0^17X7  '•'p  mn''  eingeschoben,  der  ursprüngliche  Text  von 
E  lautet:  „wenn  .  .  .  ich  wolhehalten  in  meines  Vaters  Haus 
zurückkehre,  so  soll  dieser  Stein,  den  ich  als  Malstein  aufgerichtet 
habe,  ein  Gotteshaus  werden."  Er  bestinmit  durch  das  Mal  vor- 
läufig die  Stelle,  wo  später  das  Haus  errichtet  werden  soll. 

^)  Nach  Analogie  von  22,  18  wird  man  auch  18,  18  das  ^^  nicht  auf 
Abraham,  sondern  auf  ^))^))  "»i;  beziehen  und  dann  jedenfalls  das  Verbum 
passivisch  nehmen  müssen. 


32 


Die  Genesis. 


Wir  haben  also  in  28,  10 — 22  ein  fast  vollständiges  Stück 
aus  E,  zugleicli  ein  grosses  Fragment  aus  J,  welches  beweist,  dass 
J  die  selbe  Erzählung  enthalten  hat  und  zwar  an  der  selben  Stelle, 
vgl.  V.  15  mit  V.  20s.  Yon  hier  aber  folgt  durch  Rückschluss, 
dass  sowol  E  wie  J  auch  die  Veranlassung  der  Flucht  Jakobs 
berichtet  haben,  ohne  die  sie  selbst  ja  unmotivirt  und  unverständ- 
lich wäre.  In  beiden  Quellen  muss  notwendiger  weise  eine  Geschichte 
wie  Kap.  27  gestanden  haben,  auch  wegen  Kap.  32.  Freilich  ist 
es  darum  nicht  nötig,  dass  der  Jehovist  Teile  von  beiden  aufge- 
nommen und  in  Kap.  27  mitgeteilt  habe;  wegen  der  grossen  Ähn- 
lichkeit von  E  und  J  kann  denkbarer  weise  eine  Prämisse  füi-  J 
aus  E  und  für  E  aus  J  gegeben  werden.  Aber  es  finden  sich  in 
der  Tat  Spuren  eines  doppelten  Fadens  in  Kap.  27,  die  sich  nur 
deshalb  schwer  erkennen  lassen,  weil  der  Gottesname  sehr  selten 
vorkommt  und  so  das  Hauptkriterium  mangelt.  V.  44s.:  „bis  dass 
der  Grimm  deines  Bruders  sich  wendet,  bis  der  Zorn  deines  Bruders 
sich  von  dir  wendet"  ist  unmöglich  weder  Glosse  noch  Erweiterung 
eines  Bearbeiters,  sondern  Dublette.  Eine  grössere  liegt  v.  33 — 38 
vor  und  zwar  nach  den  Worten  und  Isaak  bekam  einen  grossen 
Schrecken. 


V.  33.  34. 
und  sprach:  wer  ist 
denn  der,  der  dasWild- 
pret  gejagt  und  es  mir 
gebracht  hat,  und  ich 
ass  von  allem,  ehe  du 
kamst,  und  segnete  ihn 
auch?  Und  es  geschah 
da  Esau  die  Worte 
seines  Vaters  hörte, 
weinte  er  laut  und 
423  bitterlich  und  sprach: 
segne  auch  mich 
mein  Vater. 


Wer  diese  beiden 


V.  36—38. 
und  sprach:  dein  Bruder  ist  mit  List  ge- 
kommen und  hat  deinen  Segen  genommen. 
Da  sprach  Esau:  hat  man  ihn  doch  Jakob 
genannt,  und  er  hat  mich  nun  zweimal 
betrogen!  meine  Erstgeburt  hat  er  genom- 
men und  nun  auch  meinen  Segen.  Und 
er  sprach:  hast  du  mir  nicht  einen  Segen 
vorbehalten?  Und  Isaak  sprach:  siehe  ich 
habe  ihn  dir  zum  Herrn  gesetzt,  und  alle 
seine  Brüder  habe  ich  ihm  zu  Knechten 
gegeben  und  ihn  mit  Korn  und  Wein  ge- 
stärkt —  was  soll  ich  dir  tun,  mein 
Sohn?  Und  Esau  sprach  zu  seinem  Vater: 
hast  du  denn  nur  einen  Segen?  segne 
auch  mich  mein  Vater!  Und  er  hub 
seine  Stimme  auf  und  weinte. 
Stellen  aufmerksam  vergleicht,  wird  finden, 


Kap.  27-36.  33 

dass  sie  nicht  hinter  einander,  sondern  neben  einander  gehören. 
Insonderheit  ist  v.  35  und  36  nicht  ein  Schritt  vorwärts  ül^er  v.  34 
hinaus,  sondern  ein  Schritt  rückwärts  hinter  v.  34  zurück;  v.  34 
steht  mit  v.  38  auf  gleicher  Stufe.  Unverändert  hat  der  Jehovist 
allerdings  den  zwiefachen  Text  hier  nicht  mitgeteilt,  sondern  zwischen 
V.  33  und  V.  34  etwas  ausgelassen,  was  er  vollständiger  aus  der 
andern  Quelle  geben  wollte.  Einiges  mag  er  auch  von  dem  Sei- 
nigen hinzugefügt  haben. 

In  V.  20 — 30  ist  zwar  eine  reinliche  Scheidung  der  zwei  zu 
vermutenden  Quellen  nicht  durchzuführen,  aber  es  lässt  sich  auch 
hier  die  Brüchigkeit  des  Zusammenhangs  aufzeigen.  Man  ist  nämlich 
V.  23  schon  ebenso  weit  wie  v.  27  a  (vgl.  das  in^l^""!  als  Schiuss- 
resultat^)  hier  wie  dort),  wälu'end  v.  24  keineswegs  da  fortfährt 
wo  V.  23  aufgehört  hat,  sondern  hinter  v.  21  zurückspringt.  „Ein 
ungeübter  Erzähler  kann  wol  falsch  anlegen,  einzelnen  Teilen  eine 
unrechte  Stelle  anweisen,  er  kann  das  was  vorausgehn  sollte 
nachbringen,  er  kann  Nebenumstände  w^eitläufig  und  mit  einem 
grossen  Aufwand  von  Worten  erzählen  und  Hauptsachen  nur  bei- 
läufig erwähnen  und  nur  anwinken,  er  kann  Kleinigkeiten  als 
wichtig  und  wichtige  Dinge  als  unbedeutend  darstellen,  aber  den 
Leser,  wenn  er  ihn  ein  Stück  vorwärts  gefülu't  hat,  wieder  rück- 
wärts führen,  wieder  an  den  ersten  Standpunkt  stellen  und  von 
neuem  ausgehn  lassen  —  dies  kann  auch  der  unwissendste  und 
ungeübteste  nicht."  Um  das  Verhältnis  von  27,  23  zu  27,27a 
näher  zu  erkennen,  beachte  man,  dass  nach  27,  23  v.  21s.  Isaak 
den]  Jakob  betastet  und  sich  durch  die  mit  Fell  überzogenen  Arme 
trügen  lässt,  dagegen  27,  27a  v.  26  ihn  küsst  um  ihn  zu  riechen,  424 
und  durch  den  Duft  der  Kleider  getäuscht  wird.  Endlich  ist  auf 
V.  30  zu  verweisen: 


Und  es  geschah,  da  Isaak 
vollendet  hatte  zu  segnen  den 
Jakob 


Und  es  geschah,  da  Jakob 
kaum  von  Isaak  fortgegangen 
war 


kam  Esau  heim  von  der  Jagd, 


Es  hat  keinen  Wert  die  Sache  weiter  zu  verfolgen.  Das  Dass 
der  Zusammensetzung  ist  klar,  das  Wie  nicht  zu  ermitteln.  Nicht 
einmal,  ob   der  Zusammenhang  vorwiegend  aus  J  und  E  gegeben 


')  Ewald,  Composition  der  Genesis  p.  157. 

Wellhausen,    Comp.   d.   Hexateuchs.      3.   Aufl. 


34  I>ie  Genesis. 

wird,  lässt  sich  mit  Sicherheit  erkennen.  Dass  auf  E  nichts  führe, 
ist,  auch  wenn  man  von  sprachlicher  Beobachtung  des  Einzelnen 
ausgeht,  unrichtig.  Es  kommen  mehrere  nicht  jahvistische  Ausdrücke 
vor,  ausserdem  vgl.  D^■lvN^  27,  36  (mn''  v.  20.  27)  and  besonders 
die  Art  der  Anrede  27,  1:  „und  er  sprach  zu  ihm:  mein  Sohn! 
und  er  sprach  zu  ihm:  hier  bin  ich!  und  er  sprach  zu  ihm  so 
und  so",  wovon  sich  in  J  kein  Beispiel  findet,  wol  aber  in  E 
22,  2.  7.  11.  31,  11. 

Unsere  rückwärts  schi-eitende  Untersuchung  endigt  bei  der 
Pericope  25  19 — 34,  welche  mit  Ausnahme  von  v.  19  s.  v.  26  c 
zu  JE  gehört.  Sie  kann  in  zwei  Hälften  zerlegt  werden,  die  Geburt 
und  das  Erwachsen  der  Zwillinge  (bis  v.  28) ,  und  Esaus  Preisgabe 
der  Erstgeburt  an  Jakob  v.  29 — 34.  Man  hat  geglaubt,  diese 
letztere  Geschichte  einem  anderen  Erzähler  zuweisen  zu  müssen 
als  dem,  der  die  Erlistung  des  Segens  in  Kap.  27  berichtet;  man 
hat  gesagt,  Kap.  27  stamme  aus  J,  also  25,  29 — 34  aus  E.  Aber 
wenn  dem  wirklich  so  wäre,  so  käme  man  doch  mit  25,  29 — 34 
als  Vorbereitung  für  28,  10 ss.  nicht  aus;  es  müsste  nun  doch 
noch  auch  in  E  ursprünglich  eine  Geschichte  gefolgt  sein,  welche 
wie  Kap.  27  den  Ausbruch  der  Feindschaft  zwischen  den  Brüdern 
enthielt  und  damit  die  Flucht  Jakobs  motivirte.  Natüi'lich  liegt 
die  Sache  genau  eben  so,  wenn  man  umgekehrt  25,  29 — 34  an  J 
und  Kap.  27  an  E  verteilen  wollte:  ersteres  Stück,  so  wie  es  ge- 
schi'ieben  vorliegt,  ist  in  keinem  Falle  ein  Ersatz,  sondern  immer 
nur  eine  Vorstufe  des  letzteren,  und  wenn  auch  Kap.  27  vielleicht 
für  sich  bestehn  kann,  so  hat  doch  jedenfalls  der,  welcher  Kap.  25 
die  beginnende  Spannung  zwischen  den  Brüdern  andeutet,  hinterher 
auch  die  Entzweiung  selber  berichtet,  ohne  welche  alles  Folgende 
in  der  Luft  schwebt.  Es  ist  also  das  Princip  unrichtig,  dass,  wenn 
Kap.  27  aus  einer  Quelle  stamme,  dann  25,  29 — 34  aus  der  an- 
deren stammen  müsse.  Richtig  ist  nur,  dass  in  der  mündlichen 
425  Überlieferung  die  Erlistung  der  HID:!  und  die  Erlistung  der 
nD*]'2.  ursprünglich  blosse  Varianten  gewesen  sind. 

Mir  scheint,  dass  25,  30 — 34  aus  J  herrühre,  wegen  iDJN 
V.  30.  32  und  '•JtO^y^n  v.  30  vgl.  TX''D:in  24^  17.  Das  Vorangehende 
wird  dem  Inhalte  nach  sowol  von  J  als  auch  von  E  vorausgesetzt, 
ohne  dass  daraus  folgt,  dass  der  Jehovist  auch  seine  beiden  Quellen 
hier  reden  lässt.  Jedenfalls  rührt  v.  21 — 23  aus  J  her,  dagegen 
V.   24s.    vielleicht    aus    E,   wenigstens   wol   nicht   aus   der  Quelle, 


Kap.  27—36.  35 

die  in  v.  30  den  Namen  Edom  anders,  als  es  v.  25  (''JD"X)  ge- 
schieht, erklärt  und  ebenso  27,  36  den  Namen  Jakob  mit  Rücksicht 
auf  25,  31 — 34  anders,  als  wie  er  25,  26  gedeutet  wird. 

Das  Endergebnis  ist,  dass  JE  zwar  auch  in  diesem  Abschnitt 
aus  J  und  E  bestehn  muss,  dass  aber  eine  durchgeführte  Scheidung 
unmöglich  ist.  Positiv  ausgedrückt  besagt  dies,  dass  J  und  E  fast 
unauflöslich  eng  mit  einander  verbunden  sind,  zu  einem  Werke 
von  wirklich  beinah  einheitlichem  Charakter.  Nur  wo  die  ver- 
scliiedenen  Gottesnamen  ein  auffallendes  Kriterium  an  die  Hand 
geben,  gelingt  es  die  doppelte  Strömung  klarer  zu  erkennen. 
Darnach  ist  es  nun  aber  vollkommen  unwidersprechlich  —  und 
insofern  sind  unsere  Kapitel  besonders  lehrreich  — ,  dass  J  und  E 
in  ganz  anderer  Weise  mit  einander  verbunden  sind  als  mit  Q, 
folglich  auch  von  anderer  Hand  und  in  früherer  Zeit.  Erst  ward 
durch  den  Jehovisten  JE  componirt,  darnach  entstand  durch  die 
Zusammenfügung  von  JE  und  Q  von  Seiten  eines  späteren  Redaktors 
die  Genesis  in  iln-er  gegenwärtigen  Gestalt. 

2.  Jakob  bei  Laban  29,  1 — 30,  24.  Eine  Naclnicht  über 
Jakobs  Doppelehe  und  Kindersegen  in  Mesopotamien  wird  zwar 
auch  in  Q  gestanden  haben,  ist  uns  aber  von  R  nicht  mitgeteilt. 
Höchstens  könnten  29,  24  und  v.  29  Spuren  von  Q  sein,  diese 
Yerse  sind  wenigstens  dem  Zusammenhange  sein*  lose  an  wenig 
schicklicher  Stelle  aufgetragen,  und  30,  3ss.  30,  9ss.  verstehn  sich 
eben  so  gut  ohne  sie.  Stilistisch  erinnern  sie  an  Q  16,  3  c,  freilich 
ist  das  selbe  auch  bei  29,  28b  der  Fall. 

In  JE  ist  der  Bericht  über  Jakobs  Aufnahme  bei  Laban  nur 
aus  einer  Quelle  mitgeteilt  29,  1 — 14  a.  Es  scheint  der  Eloliist  zu 
sein.  Gewiss  hat  auch  der  Jahvist  die  Ankunft  in  Mesopotamien 
erzählt,  aber  schwerlich  hat  er  dabei  die  Brunnenscene ,  die  er 
ja  eben  erst  an  dem  selben  Orte  bei  einer  ähnlichen  Gelegenheit 
hatte  spielen  lassen  (Kap.  24),  hier  schon  so  ausführlich  wieder- 
holt. Der  Brunnen  wird  auch  Kap.  24  anders  beschi'ieben  als  426 
Kap.  29,  hier  liegt  ein  schwerer  Stein  darauf,  dort  offenbar  nicht, 
und  dadurch  ändert  sich  die  Scenerie  überhaupt  etwas.  Ebenso 
zeigt  der  Sprachgebrauch  29,  1 — 14  zwar  im  Ganzen  grosse  Ver- 
wandtschaft mit  J,  aber  daneben  Fremdartiges.  J  sagt  nicht  Harran, 
sondern  Stadt  Nahors,  nicht  D"ip  ''JD.  pX,  sondern  Dnn:  D^S* 
und  der  wundersame  Ausdruck  er  hub  seine  Füsse  auf  ist 
gleichfalls  nicht  jahvistisch. 

3* 


36  Die  Genesis. 

Auch  29,  14b— 30^)  stammt  hauptsächlich  aus  E  (p-irti'D), 
doch  fliesst  gegen  den  Schluss  J  ein,  denn  n"T'2D.  niiy^  v.  26  ist 
jahvistisch  (19,  31,  ss.),  elohistisch  rÖTj^  nriOp  v.  16—18.  Dann 
aber  folgt  in  der  Geburtgeschichte  der  Kinder  Jakobs  (29,  30  bis 
30,  24)  ein  ganz  merkwürdiges  Stück  Mosaik  aus  J  und  E.  Der 
Wechsel  der  Gottesnamen  in  diesem  Stücke  hat  sogar  Keil  Sorge 
gemacht,  doch  erklärt  er  ihn  nicht  aus  dem  Wechsel  der  Quellen, 
sondern  aus  dem  besseren  oder  schlechteren  Zustande  der  beiden 
Frauen;  Elohim  sei  nur  der  Gott  der  Vorsehung,  Jahve  der  Ver- 
heissung  —  wogegen  schon  Delitzsch  eingewandt  hat,  dass  die  Gottes- 
namen nicht  bloss  im  Munde  der  Frauen,  sondern  auch  des  Er- 
zählers alterniren  29,  31.  30,  18.  22.  Ausser  den  doppelten 
Gottesnamen  sind  die  doppelten  Etymologien  ein  auffallender 
Beweis  für  die  Duplicität  der  Quellen.  Bei  Joseph  treffen  beide 
Merkmale  zusammen:  „fortgenommen  hat  (^tJ^s)  Elohim  meine 
Schmach!  gebe  mir  (PiO^)  Jahve  noch  einen  Sohn!"  —  30,  23 
aus  E,  V.  24  aus  J.  Konsequenterweise  werden  dann  auch  die 
übrigen  doppelten  Etymologien  an  J  und  E  zu  verteilen  sein.  Bei 
Zebuion  30,  20:  „geschenkt  hat  ("IUI)  mir  Elohim  ein  schönes 
Geschenk"  —  aus  E;  „nun  wohnt  (^3.1)  mein  Mann  mir  bei" 
—  aus  J.  Bei  Issachar:  ich  habe  dich  gedungen  (l^i^  mit  Objekt 
l^'\s)  für  die  Alraunen  meines  Sohnes"  —  30,  16  aus  J;  „Elohim  hat 
mir  Lohn  ("^^ti')  gegeben,  dafür  dass  ich  meinen  Mann  (p'*i\)  meiner 
Magd  gegeben  hatte"  —  v.  18  aus  E;  zwei  ganz  verschiedene 
Deutungen,  obschon  mit  Benutzung  der  gleichen  Elemente  t^\S 
und  IDli'.  Bei  den  übrigen  Kindern  finden  sich  keine  doppelten 
Etymologien,  nur  bei  Buben  könnte  die  Sache  zweifelhaft  sein.  — 
Durchzuführen  ist  die  Trennung  in  folgender  Weise: 

29,  31—35  aus  J. 

30,  1—8  wesentlich  aus  E,  vgl.  wrib^  v.  2.     Der  Inhalt  von 
427  29,  31 — 35  wird  hier  vorausgesetzt,  muss  also  ganz  ähnlich  auch 

in  E  erzählt  sein  —  wie  ja  von  vornherein  zu  vermuten  ist,  dass 
beide  Quellen  die  Geburtsgeschichte  vollständig  werden  berichtet 
haben.  Nicht  elohistisch  ist  HJQD  n:rLNl  v.  3,  vgl.  16,  2;  ferner 
scheint  vPll  PHDii^  r\rh'2.  in  v.  7  Nachtrag  zu  sein. 

30,  9—16  aus  J.  Vgl.  nibü  niüV  V.  9  mit  29,  35  und  das 
regelmässige  nriDl^  v.  9.  10.  12,  nie  n^N.  Insonderheit  muss  v.  14 — 16 


^)  V.  14b  ist  schlecht  mit  v.  14a  zu  einem  Verse  verbunden;  er  eröffnet 
den  folgenden  Absatz.     Übrigens  nehme  ich  v.  24  und  v.  29  hier  aus. 


Kap.  27—36.  37 

deshalb  zu  J  gehören,  weil  v.  17  s.  aus  E  stammt.  Der  Verfolg 
des  jahvistischen  Fadens  30,  14 — 16  wird  nicht  mitgeteilt,  lässt 
sich  aber  nach  den  Prämissen  erraten.  In  J  muss  gestanden  haben, 
])  dass  Lea  in  Folge  des  erkauften  Concubitus  ein  Kind  bekam, 
welches  sie  nach  dem  v.  16  angegebenen  Anlass  („ich  habe  meinen 
Mann  gedungen")  Is-sachar  nannte,  2)  dass  Rahel  in  Folge  der  ihr 
abgetretenen  Alraunen  fruchtbar  wurde. 

30,  17 — 24  wesentlich  aus  E.  Aus  J  nur  die  zweite  Etymo- 
logie Zebuions  und  Josephs,  v.  20  b  und  v.  24.  Zu  v.  20b  vgl. 
die  sehr  ähnliche  Wendung  29,  34  aus  J.  Fast  alle  Etymologien 
des  Jahvisten   sind  von   der  Eifersucht   der  Weiber  hergenommen. 

Es  zeigt  sich  hier,  wie  ungemein  ähnlich  die  beiden  in  JE 
verquickten  Geschichtsbücher  gewesen  sein  müssen.  Jahvist,  Elohist, 
Jahvist,  Elohist  —  und  dennoch  keine  auffallende  Fuge,  sondern 
ganz  erträglicher  Schluss,  und  das  bei  einer  offenbar  gar  nicht 
notwendig  durch  die  Sache  gegebenen  Anordnung  des  Stoffes;  denn 
es  liesse  sich  wol  denken,  dass  z.  B.  einer  den  Joseph  zum  Erst- 
geborenen gemacht  hätte.  Auch  die  Namensdeutungen,  so  künstlich 
sie  sind,  scheinen  meist  die  selben  in  J  und  E  gewesen  zu  sein; 
denn  sonst  wüi'de  der  Jehovist  wol  nicht  bloss  für  die  drei  letzten 
Fälle  eine  doppelte  Etymologie  mitgeteilt  haben.  Diese  enge  Ver- 
wandtschaft, die  es  in  den  meisten  Fällen  erlaubte,  die  eine  Quelle 
die  Stelle  der  anderen  vertreten  zu  lassen,  ist  offenbar  füi*  den 
Jehovisten  der  Anlass  gewesen,  J  und  E  zu  einem  einheitlichen 
Werk  zu  verschmelzen,  wie  sie  denn  auf  der  anderen  Seite  auch 
die  Glätte  des  Gusses  erklärt. 

3.  Jakobs  Rückkehr  30,  25—31,  54.  Ein  Rest  von  Q  ist 
13,  18  (mit  Ausnahme  von  in^pD-bD'PN  :n3^l),  sonst  JE. 

Auch  hier  ist  JE  wieder  aus  J  und  E  zusammengesetzt.  Dies 
zeigt  sich  zunächst  bei  dem  ersten  Stück  über  den  Heerdenreichtum 
Jakobs  30,  25 — 31,  16.  Hauptsächlich  aus  E  stammt  31,  1 — 16, 
vgl.  Elohim  v.  7.  9.  11.  13.  16,  die  Offenbarung  im  Traume  v.  11, 
die  vorläufige  Anrede  ebendort.  Nur  einiges  wenige  ist  dem 
elohistischen  Zusammenhange  fremd.  V.  1  ist  ein  Pendant  zu  v.  2,  428 
worauf  der  Elohist  v.  4s.  keine  Rücksicht  nimmt.  V.  3  ist  nicht 
aus  E,  vgl.  V.  13,  bes.  mbvj  und  mbiD  px-  Endlich  ist  v.  12 
ein  nachträgliches  Einschiebsel.  Die  Worte  ^NH"'!!  b^n  ""DiX  v.  13 
müssen,  wie  immer,  die  Rede  Gottes  eröffnen  und  dulden  v.  12 
nicht  vor  sich,  der  sich  auch  durch  seinen  Inhalt  hier  unmöglich 


38  Die  Genesis. 

macht.  Denn  wie  können  zwei  so  gänzlich  ungleichartige  Offen- 
barungen in  dieser  Weise  zusammen  gekuppelt  werden?  zumal  da 
es  kaum  denkbar  ist,  dass  sie  gleichzeitig  ergangen  sind,  vielmehr 
wenigstens  einige  Monate,  nach  der  Darstellung  des  Elohisten 
31,  41  sogar  Jahre  dazwischen  liegen.  Mit  v.  12  fällt  natürlich 
V.  10  ebenfalls,  womit  übrigens  nur  ein  Stein  des  Anstosses  be- 
seitigt wird.  Yon  diesen  nicht  zu  E  gehörigen  Bestandteilen  kann 
31,  1  und  V.  3  (vgl.  32,  10)  zu  J  gerechnet  werden;  v.  10  und 
12  sind  unsicheren  Ursprungs. 

Das  eben  behandelte  Stück  aus  E  setzt  eine  Erzählung  voraus, 
wonach  Laban  dem  Jakob  zuerst  einen  Lohn  festsetzte  und  ihn 
dann  immer  wieder  änderte,  ohne  dadurch  jedoch  dem  Eidam 
Schaden  tun  zu  können.  Denn  wenn  er  sprach:  die  gespren- 
kelten sollten  dein  Lohn  sein,  so  warfen  alle  Tiere  gesprenkelte 
Lämmer,  und  wenn  er  sagte:  die  gestreiften  sollen  dein  Lohn  sein, 
so  wm'den  lauter  gestreifte  geworfen,  31,  7s.  Diese  Prämissen 
werden  von  der  gegenwärtig  voraufgehenden  Erzählung  nicht  ge- 
liefert; von  einer  zehnmaligen  Umänderung  des  ausgemachten 
Lohnes  ist  30,  25 — 43  nicht  die  Rede,  und  z.  B.  30,  35.  39,  wo 
die  gesprenkelten  und  gestreiften  Lämmer  zusammengefasst  werden, 
lässt  sich  mit  31,  8,  wo  sie  unterschieden  werden,  durchaus  nicht 
in  Verhältnis  bringen.  Daraus  hat  bereits  Hupfeld  geschlossen, 
dass  in  30,  25 ss.  der  Jahvist  erzähle,  vgl.  den  Gottesnamen 
V.  27.  30.  Indes  ist  der  Tenor  des  Jahvisten  hier  vielfach  durch 
eingeschobene  Fragmente  aus  E  unterbrochen,  die  namentlich  in 
der  zweiten  Hälfte  des  Stückes  leicht  erkennbar  sind.  Obwol 
kein  Ausleger  es  bemerkt,  ist  es  doch  klar,  dass  v.  32 — 34  dem 
Zusammenhange,  in  den  sie  gezwängt  sind,  total  widersprechen. 
Nachdem  Jakob  30,  31  gegen  eine  zukünftige  Bedingung  für  den 
Augenblick  auf  jeden  Lohn  verzichtet  hat,  heisst  es  v.  32s. 
weiter,  alle  schwarzen  Schafe  und  bunten  Ziegen,  die  heute  unter 
der  Heerde  vorhanden  seien,  sollen  Jakobs  Lohn  sein,  morgen 
möge  Laban  selbst  unter  den  auf  diese  Weise  ausgeschiedenen 
Tieren  Jakobs  nachsehen,  ob  das  geringste  andersfarbige  Stück 
mit  dazwischen  gekommen.  Darauf  geht  Laban  v.  34  ein  —  aber 
429  dann  reisst  der  angesponnene  Faden  plötzlich  wieder  ab.  Denn 
V.  35  ist  es  nicht  Jakob,  der,  wie  vorhin  ausgemacht,  seinen  auf 
der  Stelle  zu  zahlenden  Lohn  aus  der  Heerde  absondert,  sondern 
Laban  sucht  die  Schafe  aus,  die  nach  v.  32s.  dem  Jakob  gehören 


Kap.  27-36.  39 

sollen,  nicht  etwa  um  sie  seinem  Eidam  zu  geben,  sondern  damit 
seine  Söhne  sie  weiden  sollen.  Die  einfarbigen  Tiere  bleiben  unter 
der  Hut  Jakobs,  und  was  nun  von  ihnen  bunt  fallen  würde,  das 
soll  Jakobs  Lohn  sein:  damit  das  aber  auf  keine  Weine  möglich 
wird,  lässt  Laban  einen  Zwischenraum  von  drei  Tagereisen  zwischen 
den  bunten  Tieren  seiner  Söhne  und  den  einfarbigen  Jakobs.  Der 
Widerspruch  der  Verse  32 — 34  zu  Vorhergehendem  und  Folgendem 
ist  somit  ein  ganz  completer;  er  hat  es  verschuldet,  dass  die  Aus- 
leger die  ganze  Stelle  nicht  recht  verstanden  haben.  Darf  man 
den  Einschub  zu  E  rechnen,  so  würde  sich  unter  Benutzung  von 
31,  7  s.  Folgendes  als  die  elohistische  Darstellung  ergeben.  Zuerst 
bedingt  sich  Jakob  die  gegenwärtig  in  der  Heerde  vorhandenen 
schwarzen  Schafe  und  bunten  Ziegen  aus.  Laban  bewilligt  ihm 
diesen  Lohn;  als  er  aber  am  anderen  Morgen  nachsieht,  da  ist  es 
ihm  zu  viel  und  er  hält  nicht  Wort.  Statt  dessen  wird  ausgemacht: 
was  künftig  von  einfarbigen  Tieren  gesprenkelt  ("ip:i)  fällt,  soll 
Jakob  haben.  Es  fallen  lauter  gesprenkelte  Lämmer  —  Laban 
ändert  seinen  Kontrakt  wieder:  nur  die  gestreiften  Lämmer  (ClpJ^) 
sollen  Jakob  gehören.  Da  werden  lauter  gestreifte  Junge  geworfen: 
Laban  sieht,  mit  wem  er  es  zu  tun  hat,  er  ist  nicht  mehr  gegen 
Jakob  wie  vordem.  Diese  Vorstellung  muss  man  sich  nach  30, 
32 — 34,  37,  7.  8  von  der  Erzählung  in  E  machen. 

Die  in  J  ist  einfacher.  Der  Jehovist  lässt  den  Lohn  nicht 
„zehnmal"  verändern,  sondern  von  vornherein  wird  ausgemacht: 
alle  bunten  Lämmer,  die  von  einfarbigen  Tieren  fallen,  soll  Jakob 
haben.  Zu  dem  Zweck  scheidet  Laban  alle  bunten  Tiere  aus  und 
hält  sie  von  den  einfarbigen  möglichst  fern.  Aber  Jakob  wirkt  so 
auf  die  Imagination  der  Muttertiere,  dass  sie  glauben,  von  bunten 
Böcken  besprungen  zu  werden.  Er  lässt  nämlich  die  Böcke  zu, 
während  die  Schafe  trinken,  so.  dass  sie  sich  im  Wasser  spiegeln. 
Das  Wasser  aber  giebt  ihr  Bild  nicht  getreu,  sondern  durch  die 
darin  liegenden  geschälten  Stäbe  gestreift  und  bunt;  so  sehen  also 
die  Mutterschafe  und  trinken  sie  das  bunte  Bild.  Den  neueren 
Auslegern  ist  der  Sachverhalt  nicht  klar  geworden,  übrigens  finden 
sich  auch  einzelne  störende  Glossen  in  dem  jahvistischen  Texte. 
Folgendes  ist  der  ursprüngliche  Wortlaut:  „LTnd  er  legte  die  ab- 
geschälten Stäbe  in  die  Tränkrinnen '),  den  Schafen  in  den  Blick,  430 


0  mnt^6  jxiin  i^nn  nii'x  c^n  mnpii^D.  v.  38  ist  Glosse  zu 

ClOniÜj  die  7XHn  nD^ib  von  seiner  Verbindung  losreisst.   —   j^x^n  IDPiil 


40  I^ie  Genesis. 

und  sie  wurden  besprungen  wenn  sie  zur  Tränke  kamen.  Und 
sie  warfen  gestreifte,  gefleckte  und  gesprenkelte  Lämmer,  und  diese 
Lämmer  sonderte  Jakob  ab  und  legte  sich  selbst  Heerden  an 
und  tat  sie  nicht  zu  dem  Vieh  Labans.  L^nd  immer,  wenn^die 
Schafe,  die  Frühlingslämmer  warfen,  besprungen  wurden,  dann*  tat 
Jakob  die  Stäbe  vor  den  Blick  der  Schafe  in  die  Rinnen,  dass  sie 
über  den  Stäben  besprungen  wurden;  wenn  sie  aber  Spätlinge 
warfen,  dann  tat  er  sie  nicht  hinein,  und  so  bekam  Laban  alle 
Herbstlämmer  und  Jakob  alle  Frühlingslämmer."  V.  38 — 42. 

Ganz  schier  ist  der  Text  von  J  auch  in  30,  25 — 31  nicht;  als 
AViederholungen  fallen  auf  v.  28 :  „bestimme  mir  deinen  Lohn,  ich 
will  ihn  geben"  vgl.  v.  31 :  „was  soll  ich  dir  geben",  ferner  v.  26 

-j'imny  '^t^'N  ^mD.y-ni<  nv'^  nn.s  und  v.  29  "j\n-!2.y  ^^i<  nvT  npN*. 

Wie  beide  Quellen  des  Jehovisten  berichtet  haben,  auf  welche 
Weise  Jakob  zu  einem  Herdem-eichtum  kam,  so  haben  sie  auch 
beide  seine  heimliche  Flucht  von  Laban  und  das  feindliche  Zu- 
sammentreffen und  den  friedlichen  Abschied  von  Eidam  und  Schwäher 
auf  dem  Gebirge  Gilead  erzählt  31,  17 — 54.  In  der  Hauptsache  setzt 
sich  hier  der  elohistische  Zusammenhang  von  31,  2 — 16  her  fort;  vgl. 
C^'^bN  V.  24.  42,  den  Traum  v.  24,  zugleich  die  stilistische  Ähnlichkeit 
dieses  Yerses  mit  20,  3,  ferner  die  nicht  jahvistischen  Ausdrücke: 

nnDx  V.  33,  ^j^yn  nn^  v.  35s.,  c^v;:  ^-n  v.  35  gegen  18,  li. 

Aber  namentlich  gegen  Ende  finden  sich  sehr  bedeutende 
Stücke  von  J  eingesprengt.  „Die  Erzählung  über  die  Bund- 
schliessung V.  45 — 54",  sagt  Dillmann  mit  Recht,  „in  sich  unzu- 
sammenhängend und  voll  von  Doppelangaben,  ist  sicher  das  Er- 
gebnis einer  Zusammenarbeitung  mehrerer  Berichte."  Ehe  jedoch 
die  beiden  Fäden,  die  hier  mutmasslich  verschlungen  sind,  ent- 
wirrt werden  können,  bedarf  es  der  Reinigung  des  Textes  von 
431  einigen  Zusätzen  und  Glossen,  die  weder  aus  E  noch  aus  J,  eher 
vielleicht,  wenigstens  zum  Teil,  von  dem  Jehovisten  stammen 
können.     In  v.   45   und  v.  46  ist  ÜpJ?''  als  falsches  Explicitum^) 

m /pOn"bN  V-  39  ist  nach  nint^'b  1ND.D.  Hj^n""!  V.  38  nicht  mehr  möglich, 
vielleicht  Dublette  aus  E.  —  In  v.  40  trennt  der  mittlere  Satz  die  zusammen- 
gehörigen äusseren  Glieder  und  bringt  eine  fremde  Vorstellung  in  das  Ganze: 
„er  richtet  den  Blick  der  Tiere  (der  weissen,  die  er  hütete)  auf  alle  bunten 
und  schwarzen  Tiere  unter  der  (davon  getrennten)  Herde  Labans"  —  eine 
einfachere  Analogie  des  vom  Jahvisten  erzählten  Kunstgriffs,  vielleicht  aus  E. 
1)  Wellhausen,  Text  der  Bb.  Samuelis  p.  22.  Vgl.  Astruc,  conjectures 
p.  365,  und  Ilgen,  Urkunden  p.  189. 


Kap.  27—36.  41 

zu  streichen,  denn  Laban  ist  das  Subjekt.  Sowol  v.  48  als  v.  51 
erklärt  Laban  die  Bedeutung  des  Walles,  bez.  des  Males,  was 
voraussetzt,  dass  er  sie  gemacht  hat  und  also  weiss,  was  er  damit 
will;  V.  51  sagt  Laban  sogar  ausdrücklich  Tl''"!''  "lli'N*-  Weiter  ist 
der  ganze  v.  47  eine  Glosse  und  Produkt  einer  sein*  überflüssigen 
Gelehrsamkeit.  Er  greift  dem  v.  48  vor  und  steht  in  der  Sept. 
an  anderer  Stelle,  ausserdem  ist  es  gerade  Laban  und  nicht  Jakob, 
der  nach  dem  Contexte  dem  Gebirge  den  Namen  Gilead  gibt,  und 
dem  unwillküi'lichen  Eindi'uck,  den  man  aus  der  ganzen  Genesis 
gewinnt,  widerspricht  es  total,  dass  Nahors  und  Abrahams  Enkel, 
beides  Söhne  Ebers,  eine  verschiedene  Sprache  sollten  geredet 
haben  —  vgl.  die  Namen  der  Kinder  Kap.  30s.,  welche  in  J  und 
E  gleichmässig  von  den  Müttern,  den  Töchtern  Labans,  und  im 
Lande  Mesopotamien  gegeben  werden  und  doch  gut  hebräisch  sind. 
Am  stärksten  sind  wahrscheinlich  v.  48 — 50  glossirt.  Die  paren- 
thetischen Einsätze  lassen  sich  leicht  aus  der  ursprünglichen  Kon- 
struktion erkennen:  „dieser  Wall  sei  Zeuge  zwischen  mii'  und  dir 
(darum  nannte  er  ihn  Gilead)  und  die  Warte  (weil  er  sprach: 
Jahve  halte  Wache  zwischen  uns  beiden,  wenn  wir  einander  ver- 
borgen sind),  dass  du  meine  Töchter  nicht  bedrücken  und  keine 
fremden  Weiber  zu  ihnen  hinzunehmen  wollest  (kein  Mensch  ist 
bei  uns,  Gott  sei  Zeuge  zwischen  mii'  und  dir)."  Dass  die  beiden 
die  Konstruktion  verwirrenden  Deutungen  von  Gilead  und  Mispha 
interpolirt  sind,  ist  deutlich;  bei  dem  diitten  von  mir  in  Klam- 
mern gesetzten  Satz  könnte  man  zweifeln,  mir  scheint  er  indessen 
nicht  von  dem  herzurühren,  der  schrieb:  „dieser  Wall  sei  Zeuge", 
sondern  ein  Kind  des  selben  oder  eines  verwandten  Geistes  zu  sein, 
wie  dessen,  der  v.  49  Mispha  erklärt  hat.  Endlich  ist  v.  53  \lbvS 
DH^ÜX  ein  sehr  überflüssiger  und  wolfeiler  Nachtrag. 

Für  die  Scheidung  des  doppelten  Berichtes,  der  nach  dieser 
Säuberung  des  Textes  übrig  bleibt,  kommen  zunächst  in  Betracht 
die  identischen  Angaben  v.  46:  sie  assen  dort  auf  dem  Wall, 
V.  44:  sie  assen  auf  dem  Berge.  Das  sind  natüi'lich  nicht  zwei 
verschiedene  Mahlzeiten  aus  der  selben  Quelle,  sondern  die  selbe 
Mahlzeit  aus  zwei  verschiedenen  Quellen.  Zu  jeder  Mahlzeit  ge- 
hört eine  Bundschliessung  ^) :    in  der  Tat  haben   wir    deren  zwei,  432 


^)  Dass  der  Inhalt  des  Bundes  v.  48—50  erst  nach  der  Bundesmahlzeit 
T.  46  angegeben  wird,  ist  für  die  hebräische  Erzählungsweise  gar  nichts  be- 
sonders Auffallendes. 


42  Die  Genesis. 

und  wenn  offenbar  v.  51 — 53  mit  v.  54  zu  verbinden  ist,  so  ge- 
hört V.  48 — 50  zu  V.  46.  Hier  verpflichtet  Laban  den  Eidam, 
seine  Weiber  in  Ehren  zu  halten  und  keine  fremden  hinzuzunehmen; 
dort  verpflichten  sie  sich  gegenseitig,  den  Gebirgswall  als  Grenze 
zwischen  Aram  und  Israel  zu  respektiren.  Eine  weitere  sachliche 
Differenz  wage  ich  durch  die  Vermutung  zu  statuiren,  dass  wie 
V.  46  jedenfalls  die  Prämisse  zu  v.  48 — 50  ist,  so  v.  45  die  Prä- 
misse zu  V.  51 — 54.  Daraus  wüi'de  folgen,  dass  in  v.  48 — 50 
ursprünglich  bloss  von  dem  Wall,  in  v.  51 — 54  bloss  von  dem 
Malstein  als  Zeugen  die  Rede  war,  und  dass  erst  der  Jehovist  die 
beiden  „Zeugen"  vereinigt  und  zusammen  geworfen  hat.  Dass 
HDliCm  (=  n-^-^iün^)  v.  49  dem  Satze  v.  48a,  wo  nur  b:n  als 
Zeuge  erscheint,  übel  nachhinkt,  ist  zweifellos.  Dass  umgekehrt 
der  Wall  in  v.  51  eingetragen  ist,  ist  allerdings  bloss  eine  kühne 
Vermutung,  doch  ich  wag^  sie.  Der  Malstein  und  der  Wall  haben 
V.  51s.,  wie  mir  scheint,  nicht  einerlei  Bedeutung,  jener  wird  neu 
errichtet  und  ist  Zeuge,  dieser  ist  längst  vorhanden  und  ist  Grenze. 
Ich  glaube  sonach,  dass  der  ursprüngliche  Text  vor  der  Bearbei- 
tung durch  den  Jehovist en  also  lautete:  „siehe  der  Malstein,  den 
ich  gelegt  habe,  ist  zwischen  mir  und  dir  Zeuge,  dass  ich  diesen 
Wall  nicht  nach  dir  zu  überschreiten  will,  und  dass  du  nicht 
diesen  Wall  nach  mir  zu  überschreiten  wollest."  Ich  streiche  ZAveimal 
nin  'p:»"!  und  am  Schlüsse  nN*]n  HD-li^n  und  verweise  noch  auf  die 
auffällige  Ungleichheit   mit    v.  51 :    Hin  bjH,   aber   nicht    HIlliDn 

433  Der    ausführlichere   Bericht    v.   45.   51 — 54  stammt    wol    aus 

E,  die  kürzere  Variante  v.  46.  48  a.  50  a.  aus  J.  Auch  im  Vorher- 
gehenden finden  sich  hie  und  da  Varianten  aus  J  eingetragen. 
Vgl.  V.  23b  mit  v.  25a  und  dabei  die  sprachliche  Differenz  p:i"T'l 
und  j'l^*''!  (J);  ferner  v.  26  mit  v.  27  und  dabei  die  Differenz  nj;im 
^:iD.b  n.S  (E  V.  20)  und  "»n.S  :i::im;  endlich  V.  38—40  mit  v.  41  ss. 


^)  HDliDn  tQuss  nach  dem  Vorangehenden  bekannt  sein;  da  dort  nur 
von  einer  HD-iiD  die  Rede  ist,  so  muss  HDi^On  als  gleichwertig  mit  HÜiiDn 
gelten.  Nun  erklärt  sich  die  merkwürdige  Aussprache  MacaTjtfa  in  der  Sept.  als 
Kombination  der  Konsonanten  des  einen  mit  den  Vokalen  des  anderen  Wortes 
Die  Stadt  in  Gilead,  deren  Heiligkeit  (Dt.  4,  43.  Jos.  20,  8.  21,  38.  Jud.  11,  11) 
Jakob  hier  begründet,  hiess  ursprünglich  nD-l^^rij  und  erst  als  dieser  Name  in 
Übeln  Geruch  kam,  änderte  man  ihn  in  der  Bibel  in  nCi^^n?  ohne  jedoch 
die  alte  Ausspsache  aus  dem  Volksmunde  (Maaarjcpct)  verdrängen  zu  können. 
Der  Samaritaner  liesst  übrigens  noch  an  unserer  Stelle  HIliiDn- 


Kap.  27—36.  43 

(E).     Man  könnte   vielleicht    noch    mehreres  auftreiben,    doch    es 
frommt  zu  nichts. 

4.  Begegnung  mit  Esau  B2,  1 — 33,  17.  Von  Q  keine 
Spur.  JE  erscheint  überall  als  enger  Zusammenhang,  man  hat  den 
Eindruck,  als  ob  der  Jehovist  hier  nur  einer  einzigen  Quelle  folge. 
Man  wird  sich  darum  wol  über  den  müssigen  Scharfsinn  wundern, 
dem  es  dennoch  gelingt,  hier  J  und  E  zu  scheiden.  Mii*  fällt  zu- 
nächst auf,  dass  die  Worte  v.  14a  und  er  blieb  dort  in  jener 
Nacht  am  Schlussvon  v.  22  zurückkehi-en  und  er  blieb  in  jener 
Nacht  in  Mahane,  die  Erzählung  langt  hier  wieder  auf  dem 
Punkte  an,  den  sie  bereits  dort  erreicht  hatte:  sollte  etwa  v.  14b 
bis  22  mit  v.  4 — 14a  in  Parallele  zu  setzen  sein?  Weiter  bemerke 
ich  Folgendes.  In  v.  1 — 3  wird  Mahanaim  nicht  als  Dual  aufge- 
fasst;  dem  Jakob  begegnet  das  Heer  Gottes,  nicht  etwa  zwei 
Abteilungen  desselben^).  Anders  32,  8s.  11  —  da  gilt  der  Name 
offenbar  als  Dual  und  wird  davon  abgeleitet,  dass  Jakob  sein  Lager 
an  dieser  Stelle  in  zwei  Hälften  geteilt  habe.  Diese  abweichende 
Etymologie  wird  zwar  gegenwärtig  nur  angedeutet,  aber  da  das  Dl!^ 
in  V.  14  eine  nahe  liegende  Beziehung  vermissen  lässt,  so  wii'd 
wol  eine  ursprünglich  vorhandene  Angabe  darum  bekam  der 
Ort  den  Namen  Mahanaim,  worauf  D*^  zurück  geht,  von  dem 
Jehovisten  ausgelassen  sein  als  unverträglich  mit  v.  3.  Dahingegen 
bildet  nun  der  selbe  Punkt,  in  dem  v.  1 — 3  und  v.  4 — 14a  sich 
scheiden,  das  Band  zwischen  v.  1 — 3  und  v.  14b — 22;  denn  wie 
n^n^n  in  der  bereits  erwähnten  Doppelangabe  beweist,  ist  hier  die 
dualische  Auffassung  ganz  unbekannt.  Es  scheint  sich  also  zu  be-  434 
stätigen,  dass  v.  15b — 22,  zusammenhängend  mit  v.  1 — 3,  von 
anderer  Hand  herrühi'en  als  v.  4 — 14a,  und  dass  folgende  Varianten 
vorliegen : 


^)  Grammatisch  ist  diese  Auffassung  (nicht  als  Dual)  ohne  Zweifel  die 
richtige,  weil  n^nO  ßiit  D''J^^D  abwechselt  v.  22.  2.  Sam.  2,  8;  vgl.  ähnlich 
nO*j  (DD"!)  uiid  DinDI-  Die  Endung  aim  ist  in  solchen  Fällen  eine  ara- 
maisirende  Lokalendung,  gleichbedeutend  mit  am;  die  moab.  Städte,  die  in 
der  Bibel  auf  aim  auslauten,  sind  auf  der  Mesainschrift  mit  am  auszusprechen. 
Vgl.  Ephraim,  Misraim,  Jeruschalaim,  Schomrain,  Bahrain,  die 
aram.  Partikel  ]^^^^;  und  andere  Beispiele  in  meiner  Diss.  de  gentibus  et  fam. 
Judaeis.  Gott.  1870.  p.  37. 


44 


Die  Genesis. 


32,  4— 14a. 

Nach  der  Trennung  von  sei- 
nem Schwäher  nimmt  Jakob  Be- 
dacht auf  die  Begegnung  mit 
Esaii  und  schickt  Boten  ins  Land 
Seil",  um  sich  bei  ihm  anzu- 
melden. Die  Boten  kehren 
zurück  mit  dem  schlimmen  Be- 
scheid, Esau  komme  ihm  mit 
400Mann  entgegen.  Gegen  nächt- 
lichen Überfall  des  Ganzen  si- 
chert sich  darauf  Jakob  durch 
Zwieteilung  seines  Heeres  und 
übernachtet  so :  darum  nennt  man 
die  Stätte  Mahanaim. 


32, 1—3.  14b— 22. 
Nach  der  Trennung  von  sei- 
nem Schwäher  begegnet  Jakob 
den  Engeln  Gottes,  einem  ganzen 
Heere,  und  nennt  darnach  den 
Ort  Mahane.  Von  hier  schickt 
er  dem  Esau  Boten  entgegen 
ins  Feld  Edom,  mit  reichen 
Geschenken,  um  ihn  zu  be- 
sänftigen und  für  sich  zu  gewin- 
nen. Die  Geschenke  gehn  ein- 
zeln in  verschiedenen  Abteilun- 
gen vor  ihm  auf;  er  selbst  bleibt 
die  Nacht  in  Mahane. 


Was  aus  J  und  was  aus  E  stamme,  ist  leicht  zu  sehen,  vgl. 
insbesondere  die  Engel  Gottes  v.  2  mit  28,  12.  Zu  welcher 
Quelle  gehört  nun  aber  die  Fortsetzung  32,  23 — 33?  Gott  wird 
V,  29  und  V.  31  Elohim  genannt,  aber,  wie  Hupfeld  richtig  erinnert, 
tut  dieser  Name  hier  nichts  zur  Sache,  da  er  nicht  vom  Erzähler 
selbst,  sondern  von  „dem  Manne"  und  nach  dessen  Beispiel  von 
Jakob  gebraucht  wird,  und  zwar  rein  appellativisch  und  unbestimmt; 
denn  „der  Mann"  will  nicht  sagen,  wie  er  heisst,  und  w^endet  v.  29 
D\"l/N*  nur  im  generellen  Gegensatze  zu  DIN  auf  sich  an  (=  mit 
Göttern  und  Menschen  hast  du  gekämpft).  Auf  J  weist  der  ganze 
Charakter  der  Erzählung;  der  Elohist,  der  Gott  im  Traum  erscheinen 
und  aus  dem  Himmel  rufen  lässt  und  auch  dann  etwa  noch  den 
Engel  oder  die  Engel  als  Mittler  einschiebt,  kann  eine  solche  leib- 
haftige Theophanie  nicht  berichtet  haben,  dagegen  Avird  man  an 
15, 17s.  und  an  Kap.  18.  19  erinnert,  auch  durch  den  Ausdi'uck 
l^^iN*  (Kap.  18s.  D''l^*JN)  und  durch  die  öftere  Angabe  der  Tages- 
zeit (15,  12.  17.  18,  1.  19,  1.  15.  23.  43,  IIb.  44,  3).  Dazu  kommt, 
dass  der  frühe  Aufbruch,  noch  vor  Ende  der  Nacht,  nur  durch 
V.  4 — 14a  (J)  motivirt  ist;  nach  v.  14b-^22  (E)  braucht  sich 
Jakob  gar  nicht  vor  dem  nächtlichen  Überfall  Esaus  zu  fürchten. 
Wir  werden  denn  auch  im  Verfolg  sehen,  dass  der  Elohist  den 
Namen  Phanuel  in  der  Tat  ganz  anders  und  seinem  Charakter  ent- 
435  sprechender    deutet,    und    dass,    sobald    es    aus  Redaktionsgründen 


Kap.  27—36.  45 

angellt,  nämlich  nach  35,  10,  nicht  in  E,  sondern  in  J  der  Name 
Israel  für  Jakob  erscheint. 

Auch  in  33,  1 — 17  ist  noch  der  Jahvist  am  Worte.  Sprachliche 
Merkmale  sind  mriDl^  (nie  mnOvS*),  "inpnn  v.  4  gegen  ib  p'2.n  aus 
E  29,  3,  bes.  mpt^-"!  im  Kai  mit  Akk.  gegen  )b  pr^'J"'!  im  Fiel  mit 
b  bei  E  29,  13.  31,  28.  32,  1.  Ein  sachliches  Merkmal:  die  400 
Mann  aus  32,  7  erscheinen  hier  wieder^).  Aber  in  den  Tenor  von 
J  sind  einzelne  Züge  aus  E  eingesprengt,  erkennbar  an  CHvN* 
V.  5.  10.  11.  Da  n3n?2n  vD  v.  9  nach  v.  6s.  notwendig  dies  grosse 
Heer  ist,  das  dem  erstaunten  Esau  jetzt  in  drei  Haufen  entgegen- 
kommt, so  nähme,  wenn  v.  10s.  die  Fortsetzung  von  v.  9  wäre, 
Esau  dem  Bruder  seinen  ganzen  Besitz  ab.  Da  dies  aber  nicht 
die  Meinung  ist,  so  hat  v.  10  s.  seine  Främissen  anderswo  als  in 
dem  Zusammenhange,  in  dem  es  jetzt  steht,  nämlich  in  32,  14  bis 
22,  wonach  Jakob  seinem  Bruder  einen  Teil  seiner  Herde  als  Ge- 
schenk entgegen  gesandt  hat.  Bemerkenswert  ist  noch,  dass  mit 
D^rh^  ^J5  nvN"12  33,  10  offenbar  eine  Etymologie  von  SnIJ^-)  beab- 
sichtigt ist;  unsre  beiden  Verse  bestätigen  also  nachträglich  das 
l^ereits  gefundene  Resultat,  dass  32,  14 — 22  aus  E,  dagegen  32, 
23 — 33  nicht  aus  E  herrühren. 

Jakobs  Reise  durch  das  Land  Kanaan  33,  18—35,  29. 
Aus  Q  stammt  35,  9—15  (my  v.  9  von  R)  v.  22c— 29.  Fraglich 
ist  die  Abkunft  von  Kap.  34.  Zunächst  indes  ist  zu  constatiren, 
dass  auch  hier  kein  einfacher  Bericht  vorliegt,  wie  namentlich  am 
Schluss  erhellt.  In  v.  26  ist  erzählt  worden,  dass  Simeon  und 
Le^d,  nachdem  sie  Hamor  und  "Sichem  ermordet  hatten,  mit  Dina 
abgezogen  seien.  Nachdem  sie  nun  aber  abgezogen  sind,  kommen 
sie  V.  27  über  die  Erschlagenen  und  plündern  die  Stadt  —  das 
ist  unmöglich  die  Fortsetzung  von  INii""!-  Dabei  fällt  noch  ein 
anderer  Widerspruch  auf.  In  v.  26  sind  Simeon  und  Levi  Subject, 
in  V.  27 — 29  alle  Söhne  Jakobs,  die  Kinder  Israels,  wie  wir  sagen 


')  Allerdings  wird  das  Lager  32,  4  ss.  in  zwei,  33,  1  ss.  in  drei  Teile  ge- 
teilt, aber  das  begründet  keine  Diiferenz.  Die  Etymologie  zwang,  in  Mahanaim 
zwei  Lager  zu  machen,  dann  aber  bricht  das  Heer  im  Ganzen  wieder  auf  über 
die  Furt  des  Jabbok  und  wird  nun  anders  eingeteilt. 

^)  Vielleicht  ist  die  Tatsache  für  die  Religionsgeschichte  nicht  ganz 
gleichgiltig,  dass  der  Gott  in  J,  der  in  Phanuel  auf  Jakob  trifft,  in  E  Esau  ist, 
und  dass  nach  beiden  Quellen  in  Phanuel  die  Begegnung  mit  Esau  stattfindet. 
Nach  Obed-Edom  zu  schliessen,  könnte  Edom  ein  Gottesname  gewesen  sein. 


46  Die  Genesis. 

436  würden.  IlüOofxevoüC  oe  xai  tou?  Ixspou?  «iSsXcpoi)?  ttjv  Trpot^iv  «üiaiv 
sTTißorjö^aai  mi  ttjv  ttoXiv  IxTiop^^^ofai  erzählt  zwar  Theodotus,  aber 
im  Text  findet  sich  kein  solcher  Übergang.  Mit  v.  26  stimmt  wieder 
V.  30s.,  wo  Israel  in  corpore  nichts  zu  tun  haben  will  mit  der 
Tat  zweier  seiner  Glieder.  Dahingegen  tut  sich  eine  Spur  der 
in  V.  27 — 29  herrschenden  Vorstelluno-  in  v.  25  auf.  Denn  es 
ist  doch  eine  offenbare  Unvernunft,  dass  zwei  Individuen  eine 
Stadt  erobern  und  ilu'e  Bewohner  niedermachen;  vielmehr  sind  in 
diesem  Verse  die  zwei  Berichte  verschmolzen: 

Und  am  dritten  Tage  nach  der  Und  Simeon  und  Levi,  die 
Beschneidung  nahmen  die  Sölme  Brüder  der  Dina,  nahmen  jeder 
Jakobs  ihr  Schwert  und  dran-  sein  Schwert  und  kamen  in  die 
gen  in  die  Stadt  und  erwürgten  Stadt  und  (v.  26)  erwüi'gten 
alles  Männliche  und  (v.  27)  ka-  den  Hamor  und  seinen  Sohn 
men  über  die  Erschlagenen  u.  s.  w.     u.  s.  w. 

Nachdem  der  doppelte  Faden  in  v.  25 — 31  aufgedeckt  ist, 
lässt  er  sich  durch  das  ganze  Kapitel  verfolgen.  Der  eine  Erzähler 
hält  sich  streng  innerhalb  des  idyllischen  Rahmens  der  Familien- 
geschichte, in  der  sonstigen  Weise  der  Genesis:  Simeon  und  Levi 
nehmen  an  Sichem  Rache  für  die  ihrer  Schwester  angetane  Ge- 
walt, indem  sie  ihn  in  seines  Vaters  Hause  überfallen  und  töten. 
Der  andere  Erzähler  geht  zwar  von  der  selben  Geschichte  aus, 
greift  aber  alsbald  über  in  die  wirklichen  späteren  Verhältnisse,  die 
das  historische  Substrat  dieser  Geschichte  sein  mögen;  er  lässt  sehr 
deutlich  durchscheinen,  halb  und  halb  schon  v.  2  durch  VINH  N"":^! 
dass  es  sich  um  völkerrechtliche  Beziehungen  der  Bne  Israel  und 
der  Bne  Hamor  handelt,  deren  Hauptort  Sichem  ist.  Beachtens- 
wert ist  namentlich  nDl-^Ü  v.  13:  nicht  gegen  den  Willen  der 
Übrigen  begehen  Simeon  und  Levi  auf  eigene  Hand  den  Verrat, 
sondern  die  Gesamtheit  Jakobs  hat  gleich  beim  Abschluss  des  Ver- 
trags die  Tücke  im  Sinn,  sie  geben  sich  den  Schein,  auf  die  von 
Hamor  nachgesuchte  Volksgemeinschaft  einzugehn,  aber  von  vorn- 
herein in  trügerischer  Absicht,  nämlich  um  die  Beschnittenen  im 
Wundfieber  zu  überfallen  und  mit  leichter  Mühe  zu  bewältigen. 
Deshalb  kann  auch  der  Vater  hier  nicht  wie  v.  30s.  erklären,  er 
habe  mit  der  Sache  nichts  zu  tun,  von  dem  massgebenden  na- 
tionalen Gesichtspunkt  aus  gilt  sie  sogar  als  lobenswert.  Es  handelt 
sich  hier  eben  nicht  um  Sichem  und  Dina,  sondern  um  Gesamt- 
Israel  und  Gesamt-Hamor;  der  romantische  Anlass  ist  völlige  Neben- 


Kap.  27—36.  47 

Sache  und  wird  v.  9s.  v.  14 — 17  nur  berührt.  Dieser  zweite  Be- 
richt ist  der  Hauptbericht.  Der  andere  ist  bruchstückweise  ein-  437 
gearbeitet  v.  3.  11s.  19.  25s.  30s.  und  lässt  sich  annähernd, 
wie  folgt,  reconstruiren.  Sichern,  ein  Privatmann,  verliebt  sich 
in  Jakobs  Tochter,  verlockt  sie  v.  3  und  schwächt  sie.^)  Dann 
geht  er  zu  ihrem  Vater  und  ihren  Brüdern  mit  der  Bitte  um  nachträg- 
liche Sanction,  er  sei  erbötig  alles  für  das  Mädchen  zu  geben 
V.  11s.  Was  ihm  als  Kaufpreis  auferlegt  wird,  ist  nicht  zu  er- 
mitteln, jedenfalls  nicht  die  Beschneidung.  Der  Jüngling  zögert 
nicht,  das  Bedungene  zu  leisten;  als  nun  aber  niemand  an  etwas 
Arges  denkt,  dringen  Simeon  und  Levi  unvermutet  in  Sichems 
Haus,  erschlagen  ihn  und  führen  ihre  Schwester  fort  v.  25  s.  — 
zu  Jakobs  grossem  Unwillen  v.  30  s.  Man  achte  darauf,  dass 
V.  3  dem  v.  2  den  Platz  streitig  macht,  dass  in  v.  11s  nicht 
Hamor,  sondern  Sichern,  der  nach  v.  6  gar  nicht  mitgeht,  redet 
und  zwar  so,  dass  der  Inhalt  der  folgenden  Antwort  v.  13 — 17 
durchaus  nicht  auf  seine  ganz  specielle  Anfrage,  sondern  nur  auf 
den  Antrag  Hamors  v.  8 — 10  passt,  man  bemerke,  dass  in  v.  19 
allein  dem  Verliebten  eine  Bedingung  („Kaufpreis,  Geschenk  oder 
Gabe"  nach  v.  12)  auferlegt  ist,  die  demgemäss  auch  nur  er  allein 
und  nicht  das  ganze  Volk  Hamors  erfüllt.     Man  vergleiche  endlich 

vn-.x  rpn.  hzD  -in.D3  Nim  v.  19  mit  y\i<n  ^^\l^:  v.  2,  nnyj  v.  3. 12    ■ 
mit  mb''  V.  4,  ir^c:  paim  v.  3  mit  )W^:  np\^n  v.  8. 

Die  eingesprengte  Quelle,  zu  der  teilweise  auch  v.  7  gehört, 
ist  J  (vgl.  DD^rya  jn  wNlJOX  V.  11  mit  33,  10.  30,  27  und  49,  5) 
wo  Simeon  und  Levi  allein  und  gegen  den  Willen  Israels  die 
Schandtat  begehn;  die  andere  ^uf  keinen  Fall  Q,  aber  auch  viel- 
leicht nicht  E,  der  abweichenden  Sprache  wegen.  Indes  muss  E 
nach  48,  22  allerdings  die  Eroberung  Sichems  erzählt  und  sie  nicht 
zwei  Gliedern,  sondern  der  Gesamtheit  Israels  oder  Jakob  selber 
beigelegt  haben.  Aus  der  Lücke,  welche  sonst  zwischen  33,  20 
und  35,  1  entstehn  würde,  ist  ferner  zu  schliessen,  dass  E  eine 
Geschichte  wie  Kap.  34  eben  an  dieser  Stelle  hatte  und  damit 
den  Aufbruch  von  Sichem  motivirte,  vgl.  35,  5.  Nämlich  der 
Bericht    von    Jakobs    Reise    durchs    Land    Kanaan,    33,    18 — 20. 


^)  Ich  stelle  H^y^l  aus  v.  2  hinter  v.  3.  Denn  der  Haupterzähler  sagt 
NflDIO  und  verbraucht  das  Verbalsuffix  überhaupt  selten  und  gerade  in  v.  2 
nicht.  Stand  n^yi  ursprünglich  hinter  v.  3,  so  war  es  für  den  Redigenten 
eine  complete  Notwendigkeit  es  umzustellen. 


48  Die  Genesis. 

438  Kap.  35,  deren  Route  durch  die  heiligen  Stätten  bestimmt  wird, 
die  er  berühren  muss,  stammt  wesentlich  aus  E;  vgl.  insbes.  35, 
1_8,  ferner  El  33,  20.  35,  7  (21,  33)  und  die  charakteristischen 
Malsteine  33,  20^).  35,  20  (31,  45.  28,  18).  Nur  33,  19  (J)  wider- 
spricht der  Vorstellung  des  Elohisten  und  v.  18  scheint  -von  der 
Hand  des  letzten  Redaktors  beriilu"t  (35,  9).  Ebenso  finden  sich 
in  Kap.  35  eine  Anzahl  Überarbeitungen  und  Glossen,  z.  B.  in 
V.  2.  V.  19:  auch  v.  21  und  22  sind  wol  nicht  aus  E,  letzterer 
Vers  eine  historische  Erklärung  von  49,  4  (J),  erster  er  eine  An- 
spielung auf  Jerusalem  enthaltend,  für  welche  Stadt  nxbno 
"ny  b"i;iDb  ein  verschämter  Ausdi'uck  zu  sein  scheint.  Vgl.  auch 
Israel  und  dazu  das  p.  45  Bemerkte. 

5.  Judas  Blutschande  mit  der  Thamar.  Geschlechts- 
register Esaus  Kap.  38.  Kap.  36.  Da  Kap.  39  die  unmittelbare 
Fortsetzung  von  Kap.  37  ist,  so  kann  Kap.  38  erst  von  späterer 
Hand  hinter  Kap.  37  gestellt  sein,  vielleicht  mit  Rücksicht  darauf, 
dass  in  Kap.  37  Juda  noch  bei  seinen  Brüdern  ist,  in  Kap.  38  da- 
gegen sich  von  ihnen  geschieden  hat.  Einstimmig  sclii'eibt  man 
das  Kapitel  dem  Jahvisten  zu.  Freilich  steht  es  nicht  recht  im 
historischen  Zusammenhang;  die  Absonderung  Judas  von  seinen 
Brüdern,  die  der  ursprünglichen  Absicht  nach  doch  wol  als 
bleibend,  als  Vorbild  der  geschichtlichen  Separatstellung  des  Stam- 
mes zu  denken  ist,  hat  hinterher  gar  keine  Folge;  schon  Kap.  37 
und  weiter  Kap.  42  ss.  erscheint  Juda  in  J  beständig  als  das  Haupt 
und  der  Sprecher  seiner  Brüder.  An  sich  betrachtet  ist  die  Ge- 
schichte ein  Analogon  zu  der  von  Simeon  und  Levi  und  zu  der 
von  Rüben,  und  hat  neben  diesen  seine  erträglichste  Stelle.  Als- 
bald nach  Jakobs  Heimkehr  ist  nicht  mehr  von  ihm,  sondern  von 
seinen  Söhnen  die  Rede,  von  Rüben,   Simeon,   Levi,  Juda,  Joseph. 

Kap.  36^)  steht  an  seiner  richtigen  Stelle:  nach  Isaaks  Tode 
trennen  sich  seine  Söhne,  und  da  künftig  nur  von  Jakob  die  Rede 
ist,  so  ist  eine  Orientirung  darüber,  was  aus  Esau  geworden  sei, 
zum  Scliluss  durchaus  am  Platze.    Von  vornherein  ist  man  geneigt, 


0  nH]^  ist  hier  neben  ^j^iT  deutlich  Korrektur  von  n^liO^  wie  HDiiD 
31,  48.  Die  Verwandlung  der  Eiche  von  Mamre  (Gen.  18,  4  y^il,  Deut  21, 
30,  Sept.  überall)  in  die  Eichen  von  Mamre  hat  ähnliche  Gründe.  Ich  ver- 
mute, dass  auch  Gen.  21,  33  einst  der  Malstein  neben  der  Tamariske  nicht 
gefehlt  hat. 

2)  wozu  37,  1  (Q)  hinzuzurechnen. 


Kap.  27—36.  49 

das  ganze  Stück  zu  Q  zu  weisen,  vgl.  25,  12 ss.  nach  25,  8ss. 
Aber  keinesfalls  gehört  das  Verzeichnis  der  edoniit.  Könige  36,  439 
31  —  39  zu  Q,  denn  diese  Quelle  hält  viel  zu  streng  ihren 
archaistischen  Standpunkt  inne  und  hat  ausserdem  zu  wenig  ol:>- 
jectives  historisches  Interesse,  als  dass  man  ihr  die  unverholene 
Bezugnahme  auf  die  israel.  Königszeit  v.  31  und  z.  B.  die  Notiz 
„der  Midian  schlug  auf  dem  Felde  von  Moab"  v.  35  zutrauen 
könnte.  Weiter  sind  gewichtige  Zweifel  gegen  die  Herkunft  des 
Horiten-Registers  v.  20 — 30  aus  Q  erhoben  worden.  Solche  Züge 
wie  „das  ist  der  Ana,  der  die  warmen  Quellen  in  der  Wüste  fand, 
als  er  seines  Vaters  Esel  hütete"  halben  im  ganzen  Vierbundesbuch 
nicht  ihresgleichen,  wälii'end  sie  sich  dagegen  in  JE  überall  ein- 
gestreut finden. 

Nun  aber  ist  die  Form  des  Verzeichnisses  v.  20 — 28:  29.  30 
der  des  vorhergehenden  v.  9 — 14:  15 — 19  so  ähnlich,  dass  man 
sie  nicht  gut  aus  verschiedenen  Quellen  ableiten  kann.  Dazu 
kommt  noch  Folgendes.  Ist  zwischen  36,  40 — 43  und  v.  9 — 19 
zu  wählen,  so  fällt  es  schwer  sich  für  die  Zugehörigkeit  des  ersteren 
und    gegen    die    des  letzteren  Stücks  zu  Q  zu  entscheiden;    denn 

cnDt^n  cr^üpüb  Dnnsti'Db  v.  40  und  cnin.x  pN:i  Dnaii'ob  v.  43 

reden  zu  deutlich,  deutlicher  als  das  leicht  dem  Redaktor  zuzu- 
trauende nnbin  nb><^  v.  9.  Und  da  nun  V.  9 — 19  auf  v.  1^5 
fussen,  so  wüi'de,  wenn  mrklich  36,  40 — 43  in  mwersöhnlichem 
Streit  mit  v.  9 — 19  stehn,  auch  v.  1 — 5  Q  abzusprechen  sein. 
Zur  Gewissheit  gelangen  wii'  durch  Herbeiziehung  von  26,  34s. 
28,  8s.  Die  hier  gegebenen  Nachrichten  über  Esaus  Ehen  werden 
allgemein  aus  Q  hergeleitet;  wenn  aber  ein  Widerspruch  flagrant 
ist,  so  ist  es  der,  in  welchem  sie  zu  den  36,  1 — 5.  9 — 19  ent- 
haltenen Angaben  über  die  Weiber  Esaus  stehn.  „Zu  Fehlern 
der  Abschreiber  seine  Zuflucht  zu  nehmen,  wie  Einige  getan  haben, 
ist  ein  walii*es  Wagestück,  weil  man  nicht  einsieht,  wie  ein  Ab- 
schreiber Felller  dieser  Art  begelm  und  z.  B.  niV  füi*  nD'^'D. 
schreiben  konnte."  Nöldeke  meint,  der  Verfasser  von  Q  habe  hier 
verschiedene  Quellen  benutzt.  Leicht  gesagt;  aber  dieser  Verfasser 
war  kein  Kompilator,  und  wie  sollte  er  den  offensten  Widerspruch, 
der  in  der  ganzen  Genesis  vorliegt,  in  sein  sonst  so  streng  einheit- 
liches Werk  aufgenommen  haben?  Man  erwäge,  dass  in  Q  selbst 
die  unverträglichen  Angaben  dicht  auf  einander  gefolgt  sein  müssen, 
dass    ausserdem    sich    nicht    beiläufig    und  unwillküi'lich   den  drei 

Well  hausen,    Comp.    d.    Hexateuchs.      3.    Aufl.  4 


50  l^ie  Genesis. 

früheren  Namen  drei  andere  unterschieben,  sondern  dass  die 
Heiratsgeschichte  ausdrücklich  und  in  voller  Ausführlichkeit  wieder- 
holt  wird.  Schon  die  Wiederholung  an  sich  würde  bei  einer  erst 
440  eben  erwähnten  Tatsache  in  der  selben  Quelle  kaum  erklärlich 
sein,  geschweige  die  Wiederholung  mit  so  unverdeckten  Differenzen. 
Ich  scheue  mich  nicht  die  Alternative  auszusprechen:  entweder  ist 
die  ganze  Literarkritik  der  biblischen  Geschichtsbücher  bodenlos 
und  nichtig,  oder  Gen.  26,  34  s.  28,  8  s.  stammt  aus  anderer  Quelle 
als  Gen.  36,  1—5.  9—19. 

Füi-  intakte  Bestandteile  von  Q  kann  ich  ausser  36,  40 — 43 
nur  V.  6  ansehen.  Den  grössten  Teil  des  Stoffes  hat  der  Re- 
daktor anderswoher  entlehnt,  ihn  aber  in  eine  Form  gegossen,  die 
der  von  Q  nachgebildet  war,  wobei  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass 
auch  einzelne  stoffliche  Elemente  von  Q  mit  aufgenommen  wurden. 
'^  Nur  36,  31 — 39  scheint  unverändert  aus  JE  erhalten  zu  sein. 

Am  Schluss  des  dritten  Abschnittes  angelangt  brauche  ich 
wol  nicht  noch  besonders  hervorzuheben,  dass  es  eben  so  irrig  ist 
anzunehmen,  dass  der  Elohist  einen  Bestandteil  des  Jahvisten  bilde 
und  von  diesem  selbst  in  sein  Buch  recipirt  sei,  wie  zu  meinen, 
dass  der  Elohist  und  der  Jahvist  nicht  in  nähere  Verbindung  zu 
einander  gebracht  seien  als  zu  dem  Yierbundesbuche.  Es  ist  hier 
recht  deutlich  geworden,  dass  Dillmann  Recht  hat,  J  und  E  von 
einander  unabhängig  zu  machen,  aber  Unrecht,  J  und  E  und  Q 
gleichzeitig  von  dem  selben  Redaktor  zusammenarbeiten  zu  lassen, 
und  dass  auf  der  anderen  Seite  Nöldeke  Recht  hat,  E  -h  J  gegen- 
über von  Q  als  relative  Einheit  anzusehen,  aber  Unrecht,  den  Jah- 
visten selbst  zum  erweiternden  Bearbeiter  des  Elohisten  zu  machen. 
Auffallend  ist,  dass  die  kleineren  Zuflüsse,  die  ausser  den  beiden 
grossen  und  zusammenhängenden  Strömungen  in  JE  Gen.  1 — 26 
sich  nicht  selten  bemerklich  machten,  seitdem  aufzuhören  scheinen. 
Nur  bei  dem  Gebet  Gen.  32,  10 — 13  könnte  man  die  ursprüngliche 
Zugehörigkeit  zu  J  bezweifeln;  der  ganze  Ton  ist  vielmehr'  der  des 
Jehovisten,  dem  dann  auch  31,  3  zuzuschreiben  wäre;  ausserdem 
ist  die  Herkunft  von  Kap.  34.  36  und  38  nicht  in  jeder  Be- 
ziehung klar. 

Joseph  und  seine  Brüder.     Gen.  37 — 50. 
In    diesem    eng    zusammenhängenden    Abschnitte    (Kap.    37. 
Kap.  39 — 50)  sind  von  Q  ebenfalls  nur  einige  Reste  erhalten.    Zu- 


Kap.  37—50.  51 

erst  die  Überschrift  37,  2:  dies  sind  die  Tholedotli  Jakobs.  Die 
Angaben  über  Josephs  Alter  in  diesem  Verse  und  in  41,  46.  50,  26 
rechnen  manche  Kritiker  nicht  zu  Q.  Aber  die  Unvereinbarkeit 
derselben  mit  46,  8 — 27  trägt  nichts  aus,  da  dieses  Verzeichnis 
so  wie  so  den  historischen  Rahmen  der  Genesis  sprengt.  Gewiss 
scheint,  dass  die  Worte  „Joseph  war  siebzehn  Jahi-e  alt"  37,  2  441 
nicht  von  dem  Erzähler  herrühren,  welcher  hinterdrein  sagt,  „er 
war  aber  noch  jung" ;  etwas  Positives  wage  ich  nicht  zu  behaupten. 
Unzweifelhaft  ist  in  46,  6  s.  Q  zu  erkennen,  weniger  sicher  in 
V.  8 — 27.  Zwar  das  Material  zu  dieser  namentlichen  Aufzählung 
der  siebzig  Seelen  ist  aus  Q  entnommen,  aber  es  scheint  eine 
spätere  Hand  zu  sein,  welche  für  die  allgemeine  Angabe  Exod.  1 
an  dieser  Stelle  die  Einzelposten  nachgewiesen  hat,  nicht  ohne  sich 
dadurch  in  unauflösliche  Schwierigkeiten  zu  verwickeln.  Weiter 
setzt  sich  Q  fort  in  47,  5 — 11,  ausgen.  v.  6  b.  Der  vollständigere 
Text  ist  in  der  Sept.  erhalten,  welche  47,  5.  6  so  liest:  sTtts  6s 
Oapao)  T(5  'ItuarjCp  KaTor/sixcoactv  sv  -/-(j  r'sasjjf  si  8s  imax'q  oxt  siViv 
SV  auxoXg  avops?  ouvaiot,  xaiaair^Gov  auxou?  ap)(ovia?  twv  s[jlü)V 
xxr^vojv.  '  HXöov  ÖS  si?  AquiTTOV  TTpöi; 'Ia)a7]cp  'laxojß  xocl  oi  üiol  auioa* 
xal  tJxougs  Oapacb  ßacriXsu?  Ab(6r,zoo.  xal  sTtts  Oapao)  irpo?  'Ia)öy]cp 
Xs^wv  '0  TcatT^p  aou  xal  oi  dSsXcpoi  aou  -^xaai  Tipo?  ai-  i3oü  tj  -j'^ 
Ari'UTTTOu  svavTiov  aoü  saxiv,  sv  x"^  ßsXxicxTj  ^fj  xaxoixiaov  xov  Traxspa 
aou  xal  xou?  dSsXcpou?  aou.  Wie  man  sieht,  stellt  die  Sept.  den 
masorethischen  v.  6  b.  unmittelbar  hinter  v.  4,  mit  der  Einleitung 
P)t5rS  nV^.B  "ION""!.  Dann  folgt  in  ihr  ein  Plus:  bi<  HDnii^  IXÜ'»! 
'O  'O  nyiD  l?Dti^''1  ^"»JD-I  D.py^  f]t)V,  darauf  v.  5  und  6  a  wie  im 
MT.  Was  nun  zunächst  das  Plus  betrifft,  so  bringt  es  in  starken 
Konflikt  mit  dem  voraufgehenden  Bericht,  wonach  die  Söhne 
Jakobs  längst  in  Ägypten  angekommen  und  sogar  schon  dem 
Könige  vorgestellt  sind;  es  ist  darum  sehr  begreiflich,  dass  der 
MT.  es  ausliess,  dagegen  völlig  undenkbar,  dass  die  Sept.  es  will- 
kürlich zusetzte.  Was  ferner  die  Umstellung  von  v.  6  b  angeht, 
so  passt  nur  dieser  Vers  als  Antwort  auf  v.  4,  nicht  aber  v.  5.  6  a. 
Denn  wenn  die  Brüder  die  Steppe  Gosen  zur  Weide  füi'  ilu'  Vieh 
verlangen,  so  ist  es  töricht  von  Pharao  gehandelt,  ihnen  statt 
dessen  „das  beste  Land"  zu  geben;  VINfl  :itO"'Ound  (t^:i  V"]N  ist 
zweierlei.  Ausserdem  ist  der  nächstliegende  Sinn  von  v.  5:  ich 
höre,  dein  Vater  und  deine  Brüder  sind  zu  dir  gekommen  —  so 
aber  kann  der  König  nach  v.  4  nicht  sprechen.     Man  hat  also  zu 

4* 


52  T)ie  Genesis. 

urteilen,  dass  die  Sept.  hier  den  älteren  Text  bietet,  in  welchem 
das  Geschiebe  der  verschiedenen  historischen  Schichten  noch  deut- 
licher und  krasser  hervortritt,  und  dass  unser  jetziger  hebräischer 
Text  aus  einer  Applanirung  der  Unebenheiten  des  älteren  Wort- 
gefüges  entstanden  ist,  welche  sich  demnach  bis  in  ziemlich  späte 
442  Zeiten  (300  a.  Ch.)  fortsetzte^).  Dass  v.  6b  zum  Vorhergehenden, 
d.  i.  zu  JE  gehört,  dagegen  v.  5.  6  a  zum  Folgenden,  d.  i.  zu  Q, 
bedarf  dann  weiter  keines  Beweises.  An  47,  11  scheint  sich  v.  27  b 
und  V.  28  zu  schliessen.  Endlich  werden  noch  48,  3 — 7.  49,  29  bis 
33.  50,  12s.  einstimmig  dem  Yierbundesbuche  zugewiesen,  obwol 
man  über  48,  7  Zweifel  hegen  und  andererseits  auch  49,  28  hinzu- 
ziehen könnte. 

Die  Hauptquelle  ist  auch  für  diesen  letzten  Abschnitt  der  Ge- 
nesis JE.  Es  ist  zu  vermuten,  dass  dies  Werk  hier  wie  sonst  aus 
J  und  E  zusammengesetzt  sei;  unsere  früheren  Ergebnisse  drängen 
auf  diese  Annahme  und  würden  erschüttert  werden,  wäre  sie  nicht 
erweisbar.  Ich  halte  das  Beginnen,  „diese  fliessende  Erzählung 
von  Joseph  nach  Quellen  zerstückeln  zu  wollen",  nicht  füi*  ver- 
fehlt, sondern  füi'  so  notwendig,  wie  überhaupt  die  Dekomposition 
der  Genesis.     Vgl.  die  Wette  Beiträge  II  146 ss. 

Der  sachliche  Zusammenhang  des  37.  Kap.  wüi"de  allerdings 
kaum  Veranlassung  zur  Scheidung  zweier  Fäden  geben,  wäre  nicht 
der  Schluss  v.  25 — 36,  wozu  noch  39,  1  hinzuzunehmen  ist.  Da 
fallen  nämlich  folgende  Varianten  auf:  1)  37,  36  =  39,  1.  DassPoti- 
phar  der  Trabantenoberst  Einschub  des  Vorarbeiters  ist,  er- 
hellt aus  dem  folgenden  ""IKD  tS^''^^  was  als  Apposition  dazu  völlig 
sinnlos  ist.  Beim  Elohisten  kommt  Joseph  von  vornherein  zum 
Gefängnisvogt  37,  36,  beim  Jahvisten  zunächst  zu  einem  Privat- 
mann 39,  1.  2)  Da  37,  36  Midianiter,  39,  1  Ismaeliter  den  Joseph 
verkaufen,  so  führt  dies  Merkmal  weiter  darauf,  37,  25  =  v.  28a 
zu  setzen,  zumal  da  auch  die  indeterminirten  „midianitischen 
Männer"  v.  28  auf  die  vorher  bereits  erwähnten  Ismaeliter  gar 
keine  Rücksicht  nehmen.  3)  Die  Verse  29.  30  machen  ganz  an- 
dere Voraussetzungen,  als  wie  sie  im  Vorhergehenden  mitgeteilt 
sind.  Die  Brüder  haben  hier  den  Joseph  zwar  auch  in  die  Grube 
geworfen,    sind    dann    aber    weitergezogen,    und    ohne    ihr  Wissen 


■')  Vgl.   ausser  Geigers  Urschrift   und  Poppers  Stiftshütte:   Kuenen, 
Godsdienst  II  263  und  WeUh.,  Text  der  Bb.  Samuelis  p.  XL 


Kap.  37—50.  53 

haben  Midianiter  ihn  gestohlen;  Rüben  entdeckt  es,  keiner  weiss, 
wo  er  geblieben.  Nach  diesen  Merkmalen  haben  wir  in  37,  25  bis 
39,  1  in  der  Hauptsache  J  und  darin  eingesprengt  Bruchstücke  aus 
E,  nämlich  v.  28 — 30')  v.  36  und  einzelnes  andere  in  v.  32.  34. 
35.  Sachlich  ist  E  daran  zu  erkennen,  dass  die  Midianiter  den  44.- 
Joseph  stehlen  40,  15.'^Die  jahvistische  Sprachfarbe  des  Ganzen 
bezeugen  vor  allem  die  steten  Verbalsufüxe,  ferner  37,  25  vgl.  mit 
33,  1.  18,  2,  die  Doppelfrage  37,  32  vgl.  mit  18,  21,  und  das 
stehende  "imn  nach  Ägypten,  wofüi'  E   N"":!:!  sagt. 

Das  Stück  37,  12 — 24  enthält  die  Vorbereitung  zu  v.  25ss. 
und  ist  weder  für  E  noch  füi'  J  entbehi'lich.  Allerdings  lässt  sich 
allein  hieraus  noch  kein  sicherer  Schluss  auf  die  zusammengesetzte 
Natur  von  37,  12 — 24  machen;  es  ergiebt  sich  jedoch  ein  gewisses 
Vorurteil  dafür  und  dies  Vorurteil  wii'd  durch  faktische  Spuren 
der  Doppelheit  bestätigt.  Der  Schriftsteller,  dem  der  Zusammen- 
hang im  Ganzen  angehört,  erzählt  v.  13.  14:  „Da  sprach  Israel  zu 
Joseph:  weiden  nicht  deine  Brüder  in  Sichem?  wolan  ich  will 
dich  zu  ihnen  senden  ....  Und  er  sandte  ihn  vom  Tale  Hebron, 
und  er  kam  nach  Sichem."  Eingeschoben  ist:  „und  er  sprach  zu 
ihm:  hier  bin  ich;  und  er  sprach:  geh,  erkundige  dich  nach  dem 
Befinden  deiner  Brüder  und  der  Herde  und  bring  mir  Bescheid." 
Das  ""^Jn  )b  ^r2i<^)  V.  13  passt  nicht  auf  das  Voraufgegangene, 
sondern  setzt  voraus:  „und  Jakob  sprach  zu  Joseph:  mein 
Sohn,  und  er  sprach  zu  ihm:  hier  bin  ich."  22,2.7.11.  27,1. 
31,  11.  Der  Einschub  stammt  aus  E,  denn  nur  hier  findet  sich 
diese  weitläufige  Art  der  Am-ede;  also  ist  der  Haupterzäliler  der 
Jahvist,  den  auch  Israel,  Hebron  und  die  Verbalsuffixe  verraten. 
Ein  weiteres  Bruchstück  aus  E  ist  der  18.  Vers,  der  einerseits 
hinter  CNiiu)''!  v.  17  zurückgeht,  andererseits  über  v.  19s.  vorgreift 
und  sich  durch  das  doppelte  ^^^?  als  nicht  jahvistisch  zu  erkennen 
giebt.  Ferner  gehört  jedenfalls  v.  22  dem  Verf.  von  v.  29.  30  an, 
d.  h.  dem  Elohisten;  ob  auch  v.  21,  ist  fraglich  —  Rüben  spricht 
dafür,  anderes  dagegen.  Der  Schluss  von  v.  21  hat  keinen  Platz 
neben  dem  Anfang  von  V..22,  und  die  Sprache  ist  verschieden 
(IHN  V.  22).  Ausserdem  genügt  v.  20  nicht  als  Voraussetzung  zu 
V.  26,  denn  hier  liegt  Joseph  nicht  erschlagen,    sondern  lebendig 


^)  V.  28  indes   nur  teilweise:   und  es  zogen  Midianiter  vorbei,  Kaufleute, 
die  zogen  ,  ,  ,  den  Joseph  aus  der  Grube  .  .  .  und  brachten  ihn  nach  Ägypten. 


54  Die  Genesis. 

in  der  Cistcrne,  der  erste  Vorschlag  v.  20  muss  also  auch  in  J 
geändert  und  ein  milderer  acceptirt  sein.  Mich  dünkt  darnach, 
dass  V.  21  ein  unvollständiges  jahvistisches  Analogon  zu  v.  22 
und  möglicherweise  Rüben  Korrektur  füi'  Juda  ist.  Wahrscheinlich 
liegt  dann  dem  Vorschlage  v.  21  einfach  das  Motiv  zu  Grunde, 
das  Blut  zu  bedecken,  d.  h.  Joseph  ohne  Blutvergiessen  umzubringen, 
nicht  wie  v.  22  die  heimliche  Absicht,  ihn  zu  retten,  s.  v.  26. 
444  Es  lassen  sich  endlich  auch  in  v.  23.  24  Dubletten  entdecken,  die 
ich  indessen  nicht  erwähne.  Ich  bemerke  nur  noch,  dass  die  nach 
V.  29s.  in  E  enthaltene  Angabe,  dass  die  Brüder,  nachdem  sie 
den  Joseph  in  die  Grube  geworfen,  sich  von  dem  Schauplatz  des 
A^erbrechens  entfernten,  aus  Rücksicht  auf  J  v.  25 ss.  auf  jeden 
Fall  ausgelassen  werden  musste. 

Der  Anfang  des  Kapitels,  v.  2b — 11,  ist  hauptsächlich  dem 
Elohisten  entnommen,  weil  dieser  wol  die  Träume,  seine  Lieblings- 
materie, ausfühiiicher  behandelte  als  der  Jahvist,  der  sie  freilich 
nach  V.  19s.  auch  erzählt  haben  muss.  Vgl.  v.  3  CJp]  )D.  wie 
21,  2  gegen  ü^:p'l  lb^  44,  20  in  J,  ferner  D^b^  njPD  wie  v.  23.  32 
gegen  einfaches  HiHD  in  J,  vor  allem  das  stete  IHN  v.  4.  5.  8.  9, 
nie  ein  Verbalsuffix,  in  äusserst  auffallendem  Unterschiede  gegen 
V.  12 ss.      Einiges  Jahvistische  mag    eingestreut    sein,    doch    sehen 

i^D.iN  ""'^'j  n^b)  "i::!  nxi  nnb^  ^::i  pn*  v.  2  und  i^n.s  b^)  v^.^  ^n*  p^t)"»! 

V.  10  eher  wie  Zusätze  einer  späteren  Hand  aus. 

Josephs  Schicksale  in  Ägypten  bis  zu  seiner  Erhebung  hat 
der  Jehovist  vorwiegend  aus  E  gegeben.  Zwar  39, 1  stammt  aus 
J,  diese  Quelle  setzt  sich  weiter  bis  v.  5  fort  und  erscheint  wieder 
V.  20 — 23;  aber  die  Mitte  v.  6 — 19  ist  auch  in  Kap.  39  elohistisch. 

A"gl.  n^^D  n=}^i  ":xn  hd""  39,  6  mit  29, 17,  nb^n  c^n-^n  pas  \ti 
V.  7  mit  15,  1.  22,  1.  20.  39,  7.  40,  1.  48,  1,  D^nb^b  v.  9  und 
\S"1  V.  14.  Für  J  ist  charakteristisch,  dass  Joseph  zuerst  Sklave 
eines  gewöhnlichen  Ägypters  wird,  und  von  diesem  dem  königlichen 
Gefängnis  übergeben,  in  die  Gewalt  des  Kerkermeisters  übergeht, 
dessen  Name  nicht  genannt  wird,  so  wenig  wie  der  des  ersten 
Herrn.  Übrigens  mag  der  Jehovist  in  v.  2 — 5.  v.  20 — 23  ein- 
zelnes aus  E,  ebenso  in  v.  6 — 19  einzelnes  aus  J  haben  unterlaufen 
lassen.  Der  Ausdi'uck  in^nil  IHN*  l^pDH  v.  5  verrät  eine  andere 
Hand  als  IH^D.  bv  imps"'!  v.  4;  n^D.  jnj  ^'^  bj  v.  4  findet  sich 
wieder  v.  8;  H^b'i^ü  ist  v.  2  in  anderer  Weise  gebraucht  wie  v.  3 
und  V.  23.     Eine  deutliche  Dublette  findet  sich    am  Schlüsse    von 


Kap.  37-50.  55 

V.  10,  die  Reihenfolge  der  beiden  Infinitive  müsste  sonst  wenigstens 
umgekehrt  sein.  Endlich  scheint  der  Jehovist  in  v.  23  die  Aus- 
drücke beider  Quellen  zu  einem  ziemlich  unklaren  Satze  gemischt 
zu  haben,  nit'Nn.  ist  elohistisch  v.  9.  21,  17. 

Dass  Kap.  40  aus  E  stamme,  ist  allerseits  anerkannt.  Joseph 
ist  hier  nicht  an  die  arabischen  Händler  verkauft,  sondern  von 
ihnen  gestohlen  v.  15,  sein  Herr  ist  wie  37,  36  der  Trabantenoberst 
und  hat  selbst  das  Gefängnis  unter  sich  v.  3.  Vgl.  ausserdem 
die  geläuterte  religiöse  Vorstellung  v.  8  (41,  15s.),  die  C^t)''"lcJ  445 
V.  2  (37,  36),  C^nb^  V.  8,  n^NH  'in  'N  ^"l''^  v.  1,  die  Vermeidung 
des  Verbalsuffixes  v.  3.  4.  6.  8.  11.  15.  17.  19,  ^J^n  ^D^nn  v.  9.  16 
(41,  17.  22).  Einige  Spuren  von  J  finden  sich  indessen  auch  hier 
und  sind  leicht  erkennbar.  In  v.  1  sind  die  Worte  cn^C— \X'c:n 
nicht  bloss  vor  v.  2  überflüssig,  sondern  auch  vom  gewöhnlichen 
Sprachgebrauch  abweichend.  In  v.  2  heisst  es,  wie  in  der  Regel, 
'ün  "it^s  \xn  -1^'  und  nyic,  dagegen  v.  1  einfach  npiT^n,  HDNn 
und  CiJID  "]bD,  ebenso  wie  v.  5  b  in  einem  gleichfalls  ganz  über- 
flüssigen Satze').  Auch  v.  3b  ist  CtT  'N  ">  \N  'D  "intiH  nin  b^  ein 
dem  Zusammenhang  fremdes  Mmium  und  geht  von  der  Vorstellung 
aus,  dass  das  Gefängnis  nicht  im  Hause  von  Josephs  eigentlichem 
Herrn  sei;  vgl.  den  v.  5b  wiederkehrenden  Ausdruck  IHÖD  r)"":! 
mit  ^^:-tx  n'in.  ^.ü^'D  V.  4.  7.  Auch  durch  den  Vergleich  mit  39, 
20 — 23  bestätigt  es  sich,  dass  v.  1  (ausgen.  die  Überleitungsformel), 
V.  3  b  und  v.  5  b  aus  J  eingetragen  sind. 

Kap.  41  hängt  eng  mit  Kap.  40  zusammen,  vor  allem  sachlich, 
aber  auch  in  den  Ausdrücken  und  Vorstellungen.  Kein  Zweifel, 
dass  wii'  den  Elohisten  hier  vor  uns  haben,  der  sich  am  besten 
auf  Traumgeschichten  versteht.  Spuren  von  Überfüllung  finden 
sich  V.  30s.  V.  33—36.  v.  48s.  v.  54—57;  statt  cnn  nii'N*  v.  56 
ist  ein  von  l'^Z'  abzuleitendes  Wort,  welches  Kornmagazin  bedeutet, 
zu  lesen. 

In  dem  folgenden  Stück  über  die  Begegnung  Josephs  mit 
seinen  Brüdern  ist  Kap.  42  zunächst  noch  im  ganzen  Fortsetzung 
von  E,  wie  man  aus  v.  21ss.  v.  37  und  aus  den  Ausdrücken 
"lDl^'D  V.   17   int)  V.34   und  anderen  Merkmalen    erkennt.     Aber 


1)  Dagegen  hat  es  in  v.  13  mit  dem  nicht  als  Titel,  sondern  als  Satz- 
prädikat auftretenden  }r\p\^12  andere  Bewandtnis.  In  v.  14,  wo  der  Zusam- 
menhang brüchig  zu  sein  scheint,  wird  er  hergestellt  durch  "]X  statt  i^- 


56  Die  Genesis. 

von  Kap.  43  an  kommt  J  wieder  zu  Worte.  Die  unter  sich  über- 
einstimmenden Referate  43,  5 — 7.  44,  18  ss.  setzen  zwar  eine 
ähnliche  Geschichte  voraus,  wie  die  Kap.  42  erzählte,  aber  doch 
eine  ganz  andere  Version  derselben.  In  Kap.  42  will  Joseph  die 
Brüder  durch  Zurückbehaltung  Simeons  zwingen,  auf  alle  Fälle 
Aviederzukommen,  sei  es  mit,  sei  es  ohne  Benjamin;  nach  Kap.  43s. 
dagegen  verbietet  er  ihnen  die  Wiederkunft,  wenn  nicht  Benjamin 
dabei  sei.  Damit  hängt  zusammen,  dass  die  Brüder  Kap.  42  als 
Kundschafter  behandelt,  anfangs  sämtlich  gefangen  gesetzt  und 
dann  nur  auf  Kaution  zu  dem  Zwecke  freigegeben  werden,  um 
446  Benjamin  zu  holen  und  dadurch  die  Waliidieit  ihrer  Aussagen  zu 
bestätigen,. dass  sie  hinwiederum  Kap.  43s.  nicht  der  moralischen 
Verpflichtung  wegen,  um  sich  zu  legitimiren  und  den  Simeon  zu 
lösen,  nach  Ägypten  zurückgehn,  sondern  warten  bis  das  Korn 
alle  ist  und  der  Hunger  sie  zwingt^).  Der  Vorwurf,  sie  seien 
Kundschafter,  ist  den  Brüdern  nach  43,  5 — 7.  44,  18 ss.  gar  nicht 
gemacht  worden,  nicht  der  hat  sie  dazu  veranlasst,  dem  Joseph, 
so  wie  es  Kap.  42  geschieht,  auseinanderzusetzen,  wer  und  woher 
sie  wu'klich  seien  und  dabei  unwillkürlich  auch  Benjamins  Er- 
wähnung zu  tun,  sondern  Joseph  hat  sie  geradezu  gefragt:  lebt 
euer  Vater  noch,  habt  ihr  noch  einen  Bruder?  und  dann  ge- 
boten, dass  sie  nicht  ohne  diesen  ihm  unter  die  Augen  treten 
sollten;  sein  Verfahren,  Kap.  42  durchaus  motivh't,  ist  43,  7  Israel 
und  den  Brüdern  ziemlich   unbegreiflich. 

Kap.  43  s.  ist  also  nicht  die  Fortsetzung  von  E  Kap.  42, 
sondern  von  einem  Parallelbericht  aus  J,  der  mit  Hilfe  einiger 
Fragmente  in  Kap.  42  selbst  noch  ziemlich  gut  zu  reconstruiren 
ist.  Die  Brüder  kommen  vor  Joseph  und  kaufen  Korn,  sagend  sie 
seien  aus  Kanaan.  „Und  Joseph  fragte  sie:  lebt  euer  Vater  noch? 
habt  ihr  noch  einen  Bruder?  und  sie  sprachen  zu  ihm:  wir  haben 
noch  einen  alten  Vater  und  es  ist  noch  ein  unerwachsener  Alters- 
sohn da  und  sein  Bruder  ist  tot,  und  er  ist  allein  von  seiner  Mutter 
übrig  geblieben,  und  sein  Vater  hat  ihn  lieb.  Und  Joseph  sprach : 
bringt  ihn  her  zu  mir,  ich  will  meine  Augen  auf  ihn  richten.  Sie 
sagten:  nein  Herr,  der  Knabe  kann  seinen  Vater  nicht  verlassen? 
sonst  stirbt  der.  Er  aber  gab  ihnen  die  Versicherung:  wenn  euer 
jüngster  Bruder  nicht  mit   euch  herabkommt,   so  werdet  ihr  nicht 


')  Vgl.  de  Wette  II,  150  und  Ilgen  z.  d.  St. 


Kap.  37—50.  57 

vor  mich  gelassen  werden."  43,  7.  44,  20 — 2o.  43,  3.  Darauf 
entlässt  Joseph  die  sämtlichen  Brüder,  Simeon  eingeschlossen, 
mit  dem  Korn,  nachdem  er  ihnen  ihr  Geld  hat  in  die  Säcke  legen 
lassen.  Auf  dem  Heimwege  übernachten  sie  unterwegs  in  einer 
Herberge.  „Da  öffnete  einer  seinen  Sack,  um  seinem  Esel  Futter 
zu  geben,  und  er  sah  sein  Geld  olien  im  Sack  liegen  und  sprach 
zu  seinen  Brüdern:  mein  Geld  ist  wieder  da,  es  liegt  oben  in 
meinem  Sack!  Da  öffneten  auch  die  anderen  ihre  Säcke  und  siehe 
eines  jeden  Geld  lag  in  seinem  Sack,  ihrer  aller  Geld  vollwichtig. 
Und  sie  sahen  sich  erschreckt  einander  an  und  sagten:  was  hat 
uns  Gott  da  getan!"  43,  21s.  42,  27s.  Es  stand  in  42,  27s. 
ursprünglich  das,  was  43,  21  referirt  wdrd,  vergl.  die  Ausdiiicke 
nnn^vS,  jlba  und  NIDÖ.'O.  Der  Haupterzähler  in  Kap.  42  lässt  die  447 
Scene  erst  v.  35  spielen,  nachdem  die  Reisenden  nach  Hause  ge- 
kommen sind;  da  sie  v.  25  eine  besondere  mii  mit  auf  den  Weg 
bekommen  haben,  brauchen  sie  ihre  Säcke  nicht  früher  auf- 
zumachen. Um  nicht  in  offenen  Widerspruch  hiermit  zu  geraten, 
hat  der  Bearbeiter  den  43,  21  vorausgesetzten  Zug  fortgelassen, 
dass  nachdem  erst  der  eine  Bruder  die  beum-uhigende  Entdeckung 
gemacht,  nun  auch  die  anderen  gleich  in  der  Herberge  nachsehen. 
Aber  nur  so  erklärt  sich,  warum  sie  alle  entsetzt  einander  an- 
blicken, und  auch  ohne  dies  ist  es  recht  unnatüi-lich,  dass  sie 
trotz  der  Aufregung  mit  der  allgemeinen  Öffnung  der  Säcke 
w^arten  bis  sie  zu  Hause  sind,  zumal  da  wenn  der  eine  futtert, 
auch  die  andern  futtern  mussten.  Freilich  ist  in  das  jahvistische 
Sprachkolorit  der  beiden  Yerse  einzelnes  Fremdartige  hineingetragen, 
Avas  der  Bearbeiter  teils  aus  seinem  Eigenen  teils  aus  E  genommen 
hat.  Auf  42,  27.  28=43,  21s.  folgt  dann  die  Rückkeln*  zu 
Israel,  dem  Bericht  über  das  Vorgefallene  erstattet  wird  44,  24,  und 
daran  schliesst  sich  Kap.  43  und  44.  Doch  ist  nach  Massgabe  von 
44,  29  der  Vers  42,  38  mit  einer  aus  44,  26  zu  entlehnenden  vor- 
hergehenden Motivirung  zwischen  43,  1 .  2  und  43,  3  einzuschieben, 
etwa  so:  43,  1.  2.  44,  26.  42,  38.  43,  3.  Auf  42,  37  ist  v.  38  nicht 
die  Antwort,  denn  mit  42,  37  sind  wir  gerade  so  w^eit  wie  mit 
43,  8 — 10;  wie  hier  Juda,  so  übernimmt  dort  Rüben  die  Bürg- 
schaft, und  auf  seinen  Antrag  wird  ursprünglich  Jakob  in  E  un- 
gefähr ebenso  eingegangen  sein,  wie  43,  llss.  in  J  auf  den  Judas. 
Die  Scheidung  Kap.  42 =E,  Kap.  43.  44= J  versteht  sich  hier 
wie  sonst  nur  a  potiori.     Ich  habe  bereits   meine  Meinung  gesagt, 


58  Die  Genesis. 

dass  42,  27s.  v.  38  Bruchstücke  aus  J  seien;  ähnlich  finden  sich 
zu  Anfang  des  Kapitels  mehrfache  Einträge  aus  dieser  Quelle. 
Die  Ausdrücke  )1t)N  IJNnp''  ]£)  v.  4  (v.  38.  44,  29),  CDX  ^)n^\2^^^ 
Hiinx  V.  ()  (dagegen  48,  12)  sind  specifisch  jahvistisch.  In  Kap.  43 
stammt  v.  14  aus  E,  wegen  Simeons,  wegen  der  Beziehung  auf 
42,  36,  wegen  des  Gottesnamen  El  und  wegen  ""^N-  Ebenso  ist  der 
Schluss  von  43,  23  pr^l^TiN  cnbx  XH^I  ein  Zusatz  aus  E,  der  an 
dieser  Stelle  keineswegs  passend  steht;  denn  die  Brüder  stehn  hier 
ja  noch  ni^H  nPD  d.  h.  draussen  vor  dem  Hause  und  gehn  erst 
V.  24  hinein.  Dagegen  ist  allerdings  Kap.  44  rein  jahvistisch  und 
zeigt  überall  die  charakteristischen  Ausdrücke  und  Wendungen 
von  J.  In  V.  16  ist  rnin\  der  erst  v.  18  herantritt,  falsches 
Explicitum,  man  muss  lesen  TiDN""!;  in  v.  30  ist  das  erste  1tJ'^:i 
in  ili^DJ  zu  ändern. 
448  In  Kap.  45,  1 — 46,  5  hält  sich  der  Jehovist  wieder  vorzugs- 

Aveise  an  E.  Für  die  erste  Hälfte  des  Abschnittes  bis  45,  15  ist 
die  Sprache  der  Beweis,  vgl.  D%lbN  v.  5.  7.  8.  9,  DD^j""^:!  "IH''  v.  5 
wie  31,  35,  b  pii'J^l  v.  15  wie  32,  J.  29,  13.  Bei  der  zweiten 
Hälfte  treffen  sachliche  und  sprachliche  Gründe  zusammen.  Das 
jahvistische  Stück  46,  31  ss.  weiss  nichts  von  dem  Anerbieten 
Pharaos  45,  16 ss.;  dort  wird  die  Ankunft  der  Brüder  ihm  als 
etwas  ganz  Neues  gemeldet,  zu  welcher  er  hier  selbst  Veranlassung 
und  Befehl  gegeben  hat.  In  sprachlicher  Hinsicht  vgl.  ^^^  Ijyü 
CDliPD.  45,  17  mit  n?2n  hv  "OüV^)  44,  13,  ]11D  45.  23  mit  NiDtJD 
24,  25.  42,  27.  43,  24,  auch  die  -|1lb  n-llJ  45,  21.  42,  25. 

Doch  sind  auch  hier  dem  Zusammenhange  von  E  einzelne 
Züge  aus  J  beigemischt,  welche  namentlich  gegen  Schluss  des  Ab- 
schnittes kenntlicher  hervortreten.  Warum  setzt  sich  Israel  nicht 
gleich  beim  Aufbruch  von  Hebron  auf  den  Wagen,  warum  erst 
unterwegs  in  Beerseba?  Pharao  wollte  ihn  doch  wol  von  seinem 
Wohnorte  abholen  lassen?  Wahrscheinlich  lässt  der  Verfasser  von 
V.  5,  d.  i.  der  Erzähler  von  Kap.  45,  also  der  Elohist,  den  Jakob 
in  Beerseba  wohnen,  eben  so  wie  schon  den  Abraham  Kap.  20 
bis  22.  Dann  gehört  v.  1,  wo  Israel  anderswo,  vielleicht  in  Hebron 
(37,  14),  siedelt  und  Beerseba  vielmehr  als  die  besondere  Stätte 
Isaaks  gilt,  dem  Jahvisten  an,  der  nach  46,  31  ss.  von  dem  Ab- 
holen durch  Pharao  nichts  weiss.  Auch  durch  die  Sprache  verrät 
sich  hier  J,  denn  E  sagt  Jakob  und  nur  bi^^\^^^  ""^^.^  dagegen  J 
seit  35,  21  Israel.    Wenn  dieser  Name  auch  46,  2  in  einem  durchaus 


Kap.  37—50.  59 

elohistischen  Verse  erscheint,  so  ist  er  hier  wol  erst  durch  den 
Becarbeiter  hineingekommen;  denn  der  Satz:  Gott  sprach  zu  Israel: 
Jakob !  entstammt  keiner  einheitlichen  und  natüi'lichen  Konception. 
Zu  J  ist  ferner  45,  28  und  Einzelnes  aus  46,  3  s.  zu  weisen, 
ausserdem  im  Anfange  des  Abschnittes  pDxnn  45,  1  (43,  31), 
\-iN  cn-120  V.  4s.,  endlich  v.  10  (46,  28.  32)  und  v.  13s.  (46, 
29  inin). 

Auf  46,  5  folgt  in  JE  46,  28—47,  4  und  47,  6b.  Hier  ist 
J  nicht  zu  verkennen,  als  unterscheidende  Merkmale  hebe  ich  her- 
vor das  Ignoriren  des  in  45,  17  ss.  Berichteten,  die  Bedeutung 
Judas  und  im  Gegensatz  zu  dem  grossartigen  Anerbieten  45,  19 
das  bescheidene  Bittgesuch  um  das  Land  Gosen,  ausserdem  in  sprach- 
licher Hinsicht  bN1l^^  CV^n,  i:my:c,  inyrL-  in  46,  28  stört  der 
Satz  ]w:  ni»nN*  IND."»!»  er  ist  wol  zu  v.  29  zu  ziehen.  Für  n"l\"lb 
wii-d  nach  v.  29  l'heraot  zu  lesen  und  Joseph  als  vSubjekt  dieses 
Infinitivs  zu  denken  sein.  —  Das  eigentümliche  Stück  47,  13 — 26  449 
fügt  sich  an  dieser  Stelle  weder  in  den  Zusammenhang  von  E 
noch  von  J.  Man  könnte  annehmen,  dass  es  ursprünglich  in  einer 
Parallele  zu  Kap.  41  seinen  Platz  gehabt  hätte.  Der  jahvistische 
Faden  wird  von  v.  6  b  her  wieder  aufgenommen  in  v.  27  a  und 
setzt  sich  demnächst  in  47,   29 — 31    fort,    vgl.    besonders  v.   29: 

Die  Herkunft  von  v.  12  ist  ungewiss,  vgl.  50,  21  (E). 

Es  gibt  kaum  eine  Stelle  der  Genesis,  wo  die  Schichtung  der 
Quellen  handgreiflicher  walu'zunehmen  ist,  als  der  Schluss  des  47. 
und  der  Begimi  des  48.  Kapitels:  in  47,  28  ein  Anfang,  in  47,  29 
noch  einmal  ein  Anfang,  in  48,  1  zum  dritten  Male  ein  Anfang 
immer  der  selben  Geschichte.  Da  47,  28  =  Q,  47,  29 — 31  =  J, 
so  ist  48,  1  =  E,  was  durch  die  Einleitungsformel  rhi<n  '"H  'vS  TiiT 
bestätigt  wii'd.  Sieht  man  von  v.  3 — 7  (Q)  ab,  so  zeigt  Kap.  48 
auch  im  Verfolg  überall  die  Eigentümlichkeit  von  E ').  Schon  das 
könnte  man  dahin  rechnen,  dass  Joseph  den  Segen,  d.  h.  die  Erst- 
geburt, empfängt;  indessen  ist  es  nicht  so  sicher,  dass  in  J  nicht 
das  selbe  der  Fall  war,  denn  47,  29 — 31  ist  unvollständig,  und 
wenn  man  vielleicht  von  einer  Parteinahme  der  einen  Quelle  für 
Rüben,  der  anderen  für*  Juda  reden  kann,  so  ist  dabei  doch  Joseph 
stets  ausser   dem  Spiele  und  für  ihn  das  Interesse  beider  Quellen 


0  [Vgl.  aber  Karl  Budde  in  Stades  Ztschr.  1883  p.  56  ss.]. 


50  t)ie  Genesis. 

gleich  gross.  Unbedingt  aber  widerspricht  v.  22  der  jahvistischen 
Aversion  in  Kap.  34;  denn  darnach  ist  von  einer  Eroi)erung  der 
Stadt  Hamors  durch  Gesamtisrael  gar  nicht  die  Rede,  sondern 
nur  von  der  Ermordung  des  Mannes  der  Dina  durch  Simeon  und 
Jievi.  Dagegen  stimmt  v.  22  sachlich  zu  der  anderen  Aversion  in 
Kap.  34,  wonach  Gesamtisrael  die  Stadt  Sichem  überfällt  und 
ihre  Bevölkerung  niedermacht.  Als  sprachliche  Merkmale  von  E 
treten  hervor  DTI^N*  v.  9.  11.  15.  20.  21,  der  häufige  Gebrauch  von 
nx  statt  des  Verbalsufffxes  v.  10.  11.  12.  15.  16.  17.  21,  pii^»:  und 
p^n  mit  b  V.  10  wie  29,  13,  n^inx  VBi<b  innt^""  V.  12  statt  c:9X 
HHIkS-  Auffallend  ist  nur  der  durchgehende  Gebrauch  von  Israel; 
der  Bearbeiter  scheint  den  bisherigen  Unterschied  zwischen  J  und 
E  von  jetzt  ab  nicht  mehr  conservirt  zu  haben. 

Der  s.  g.  Segen  Jakobs  49,  1 — 27  —  wozu  v.  28  gehört,  ist 
zweifelhaft  —  stammt  zwar  sicher  aus  JE  und  sicher  nicht  aus 
E;  ob  aber  darum  aus  J,  ist  deshalb  nicht  so  ganz  gewiss,  weil 
der  Zusammenhang  ihn  nicht  stützt,  denn  Kap.  50  schliesst  eher  an 
450  Kap.  47  an.  Es  scheint  allerdings,  als  ob  der  Jahvist  in  Kap.  34 
und  35,  22  auf  49,  4 — 7  Bezug  nehme,  und  es  stimmt  zu  seiner 
anderweitigen  Tendenz,  dass  er  bei  Rüben  Simeon  und  Levi,  den 
drei  ältesten  Söhnen  Leas,  einen  Grund  findet,  weshalb  sie  das 
Erstgeburtsrecht  verwirkt  haben,  damit  es  dann  auf  Juda  übertragen 
Av erden  könne:  Juda  und  Joseph  sind  bei  ihm  die  Erstgeborenen 
der  beiden  Hälften  Israels.  Am  Ende  ist  es  bei  einem  solchen 
Liede  nicht  zu  verlangen,  dass  es  sich  strenge  in  den  Zusammen- 
hang füge,  zumal  wenn  der  Erzähler  es  nicht  selbst  gemacht, 
sondern  bereits  fertig  vorgefunden  hat. 

In  Kap.  50  gehört  v.  15 — 26  unwidersprechlich  zu  E,  vgl. 
V.  19  s.  24  s.  Ebenso  ist  es  klar,  dass  v.  4 — 11.  14  dem  Verfasser 
von  47,  29 — 31,  also  J,  angehören.  Freilich  stimmt  der  Inhalt 
von  50,  5  nicht  zu  cniüp^  ""jn^l^pl  47,  30,  man  wird  zu  der 
Annahme  gezwungen,  dass  der  ursprüngliche  Wortlaut  von  47,  30 
vom  Redaktor  der  Genesis  mit  Rücksicht  auf  Q  48,  7.  49,  30s. 
geändert  worden  ist,  vgl.  Kayser  a.  0.  p.  35.  Über  die  Herkunft 
der  Verse  50,  1 — 3,  wozu  noch  )r\^D'2.  ''D''  nnyi  v.  4  zu  rechnen 
ist,  lässt  sich  keine  so  bestimmte  Entscheidung  treffen. 

Die  Untersuchung  dieses  vierten  und  letzten  Teils  der  Genesis 
hat  die  bisher  gewonnenen  Resultate  der  Kritik  lediglich  bestätigt. 
J  und  E  sind  zuvörderst  eng  mit  einander,   darauf  JE  mit  Q  ver- 


Exod.  1—11.  •  61 

bunden.  Einen  Bestandteil  von  J  bildet  E  hier  so  wenig  wie 
sonst;  eher  Hesse  sich,  da  J  hier  vergleichsweise  trümmerhafter  als 
E  erhalten  ist,  das  Umgekehrte  denken,  obwol  auch  das  nicht 
richtig  ist,  denn  beide  Quellen  erzählen  selbständig  die  selbe  Ge- 
schichte in  verschiedenen  Aversionen.  Natürlich  ist  darum  nicht 
ausgeschlossen,  dass  der  ältere  der  beiden  Erzähler  den  jüngeren 
gekannt  und  benutzt  hat;  aber  die  Zusammenschiebung  der  zwei 
so  sehr  ähnlichen  Geschichtsbücher  ist  das  Werk  eines  Dritten, 
den  wir  den  Jehovisten  oenannt  haben. 


II.    Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

Dass  Q  und  JE  sich  über  die  Genesis  hinaus,  bis  ins  Buch  XXL 
Josua  fortsetzen,  ist  eine  ausgemachte  Sache ^).  Ebenso  steht  es  531 
fest,  dass  JE  auch  in  Exodus  und  den  folgenden  Büchern  ein 
durchaus  selbständiges  Geschichtswerk  und  nicht  etwa  eine  Ergän- 
zung von  Q  ist.  Dies  ist  hier  sogar  ungleich  deutlicher  als  in  der 
Genesis.  Das  jehovistische  Geschichtsbuch  wird  nicht  nur  nicht 
unvollständig  und  zusammenhanglos,  nachdem  Q  herausgenommen, 
sondern  erst  dadurch  schliessen  sich  die  total  auseinandergerissenen 
Glieder  seiner  Erzählung  zu  einem  schönen  Ganzen  an  einander; 
vgl.  Exod.  24.  Kap.  32—34.  Num.  10,  29  u.  s.  w.  Wäre  die 
literarische  Kritik  statt  von  der  Genesis  von  Exodus  und  Numeri 
ausgegangen,  so  hätte  die  s.  g.  Ergänzungshypothese  nie  entstehn 
können.  Schliesslich  wird  auch  die  Erwartung  berechtigt  sein, 
dass  sich  die  Composition  von  JE  von  Exod.  1  an  nicht  plötzlich 
ändern  werde,  zumal  jedenfalls  Gen.  50  weder  den  Abschluss  von 
J,  noch  von  E  bilden  kann.  Ob  sich  die  Erwartung  bestätigt, 
muss  die  Untersuchung  lelu'en. 

Israel  in  Ägypten.  Exodus  1 — 11. 
1.  Man  kann  diesen  Abschnitt  in  zwei  Hälften  zerlegen,  deren 
erste  wesentlich  die  Berufung  Moses  enthält  1,  1 — 7,  7,  die  zweite 
die  ägyptischen  Plagen  7,  8 — 11,  10.  In  der  ersten  Hälfte  gehört 
zu  Q:  aus  Kap.  1  die  Verse  1 — 5.  7  (mit  Ausnahme  von  IZLIi? 
IDiJi?-'!    vgl.    V.    9.    20)    13.   14    (mit    Ausnahme    der    2.    Hälfte  532 


^)  Ein  für  allemal  sei  bemerkt,  dass  ich  in  der  Bestimmung  von  Q  (Knobei 
und)  Nöldeke  folge. 


62  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

von  V.  14  a  und  Voranstellung  von  14  b);  aus  Kap.  2  die  Verse 
23 — 25  (von  in^N'"'!  23  an,  vgl.  zum  ersten  Teil  des  Verses  Sept. 
4,  18);  endlich  das  geschlossene  Stück  6,  2 — 7,  7.  Zwischen  2,  25 
und  6,  2  scheint  keine  Lücke  zu  sein,  denn  6,  4.  5  greift  auf  2,  24 
zurück,  und  ausserdem  deckt  sich  6,  2ss.  inhaltlich  so  vollkom- 
men mit  dem  jehovistischen  Stücke,  welches  gleich  auf  2,  25  folgt, 
dass  ihm  von  Rechts  wegen  durchaus  der  selbe  Platz  zukommt. 
Die  Erwartung,  den  Mose  erst  eingefülu't  zu  sehen,  ehe  er,  wie 
6,  2  geschieht,  als  bekannte  Person  auftritt,  ist  bei  Q  nicht  be- 
rechtig-t.  Doch  ist  es  möglich,  dass  die  Familiennachrichten  über 
Mose  und  Aharon,  welche  sich  gegenwärtig  6,  16ss.  finden,  in  Q 
ursprünglich  vor  6,  2  standen.  Jedenfalls  hat  Kayser  darin  Recht, 
dass  das  Stück  6,  13 — 28  an  seinem  jetzigen  Ort  und  in  seinem 
gegenwärtigen  Umfange  ein  ungeschickter  Nachtrag  ist,  eine  Er- 
weiterung von  Q  durch  spätere  Hand.  In  v.  29.  30  wird  der  Fa- 
den da  wieder  aufgenommen,  wo  er  v.  12.  13  fallen  gelassen  war. 
Aus  dem  zweiten  Teil  unseres  Abschnitts  ist  für  Q  in  An- 
spruch zu  nehmen  1)  7,  8 — 13  Verwandlung  von  Aharons  Stabe 
in  eine  Schlange,  2)  7,  19.  20a.  21c.  22.  23^)  Verwandlung  des 
Wassers  in  Blut,  3)8,  1—3.  IIb  Frösche,  4)8,12—15  Mücken, 
5)  9,  8 — 12  Pestbeulen  an  Menschen  und  Vieh.  Die  ägyptischen 
„Plagen"  fallen  in  Q  eigentlich  weniger  unter  den  Gesichtspunkt 
der  Strafen,  als  der  Zeichen  und  Machtbeweise,  in  denen  Jahve 
und  Pharao  durch  ihre  Vertreter  concurriren;  die  drei  ersten 
Wunder  machen  die  ägyptischen  Priester  nach,  das  vierte  über- 
steigt ihre  Kräfte,  das  fünfte  trifft  sie  selber.  Darum  fällt  auch 
die  Verwandlung  des  Stabes  in  die  Schlange,  die  in  JE  von  den 
Plagen  unterschieden  wird,  in  Q  völlig  damit  zusammen.  Sonst 
ist  in  sachlicher  Hinsicht  charakteristisch,  dass  die  Forderung  an 
Pharao  einfach  auf  völlige  Loslassung  Israels  aus  Ägypten  ge- 
richtet ist,  und  dass  der  göttliche  Befehl  durch  Mose  an  Aharon 
ergeht,  welcher  letztere  mit  seinem  Stabe  das  Zeichen  verrichtet: 
nur  das  letzte  und  höchste  wird  Mose  vorbehalten  9,  8 — 12.  In 
formeller  Hinsicht  macht  sich  das  Überwieo-en  des  Schemas  über 
den  besonderen  Inhalt  der  Erzählung  bemerklich.  „Jahve  sprach 
533  zu  Mose:  sprich  zu  Aharon:   streck  deinen  Stab   aus  und  tu  da- 


0  V.  20  b.  21a.  b.  =  v.  17.  18;  an  v.   21b  schHesst  immittelbar  v.   24, 
seinerseits  im  Widerspruch  zu  v.  19  befindlich. 


Exodus  1—11.  63 

mit    das  und   das,   damit  werde Und    sie   taten   so    (wie 

Jahve  befohlen)  und  Aharon  streckte  den  Stab  aus  und  tat  das 
und  das  und  es  ward.     Und  die  ägyptischen  Priester  taten  ebenso 

durch  ihre  Zauberei   und Aber   Pharaos   Herz   verstockte 

sich  und  er  hörte  nicht  auf  sie  so  wie  Jahve  gesagt  hatte."  Befehl 
und  Ausführung  werden  dabei  stets  in  gleicher  Umständlichkeit  und 
mit  den  selben  Worten  wiederholt.  An  Einzelheiten  bemerke  [""^n 
7,9,   l^n  und  p~!l  9,  8,   und  den   reichlichen   Gebrauch  von  b'D. 

2.  Die  Plagen  in  JE,  um  das  hier  gleich  anzuschliessen,  sind 
folgende:  1)  die  Verwandlung  des  Wassers  in  Blut  7,  14 — 18. 
20  b.  21  a.  b.  24.  2)  die  Frösche  7,  25—29.  8,  4—10.  IIa. 
3)  das  Geschmeiss  8,  16—28.  4)  die  Yiehpest  9,  1—7.  5)  der 
Hagel  9,  13 — 35.  6)  die  Heuschrecken  10,  1 — 20.  7)  die  Finsternis 
10,  21 — 29.  Die  ersten  vier  entsprechen  in  Inhalt  und  Reihen- 
folge den  Zeichen  in  Q  (nach  Abzug  des  Eiiileitungswunders,  wel- 
ches in  JE,  wie  gesagt,  nicht  in  eine  Reihe  mit  den  anderen  ge- 
stellt wird),  nur  tritt  an  die  Stelle  der  Mücken  das  Geschmeiss, 
und  an  die  Stelle  der  Pestbeulen  an  Mensch  und  Yieh  das  Vieh- 
sterben. Sachliche  Unterschiede:  vor  jeder  Plage  wird  immer  erst 
die  Forderung  an  Pharao  wiederholt,  und  zwar  darauf  beschränkt, 
dass  er  die  Hebräer  in  die  Wüste  ziehen  lasse,  um  dort  ein  Fest 
zu  feiern;  für  den  Weigerungsfall  wird  zugleich  die  neue  Plage  im 
voraus  angekündigt.  Mose  ist  der  Thaumaturg,  nicht  Aharon,  und 
wenn  von  einem  Wunderstabe  die  Rede  ist,  so  ist  es  der  Stab 
Moses.  Formell  ist  beachtenswert,  was  schon  dem  Samaritaner 
auffiel,  dass  immer  bloss  der  Befehl  Jahves  an  Mose,  den  Pharao 
zu  bedrohen,  berichtet,  die  Ausführung  desselben  aber  verschwie- 
gen und  als  selbstverständlich  vorausgesetzt  wird  —  vgl.  dagegen 
z.  B.  7,  9.  10.  Alle  diese  Merkmale  sind  der  Erzählung  von  Q 
fremd  und  vereinigen  sich  zur  Charakteristik  von  JE.  Sieht  man 
aber  näher  zu,  so  fügen  sie  sich  doch  nicht  zu  Zügen  eines  ein- 
heitlichen Bildes  zusammen,  sondern  lassen  noch  weiter  die  Phy- 
siognomie zweier  verschiedener  Quellen  erkennen,  aus  denen  JE 
auch  hier  ebenso  wie  in  der  Genesis  zusammengeflossen  ist. 

In  den  meisten  Stücken  hat  der  Jehovist  seine  beiden  Vor- 
lagen eng  mit  einander  verwoben,  eine  Ausnahme  bilden  jedoch 
Nr.  3  und  4  einerseits  und  Nr.  7  andererseits,  wahrscheinlich  weil 
hier  keine  Pendants  aus  der  parallelen  Quelle  vorhanden  waren. 
Der    wichtigste  Unterschied    ist    der,    dass  in    dem    einen  Bericht  534 


64  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

Mose  die  Plagen  mit  seinem  Stabe  lierwinkt,  dagegen  in  dem  an- 
deren vom  Stabe  Kloses  gar  nicht  die  Rede  ist,  sondern  Jalive 
allein  und  unmittelbar  die  Wunder  A^drkt^).  Damit  hängt  eng 
zusammen,  dass  dort  die  Ankündigung  der  Plagen  in  der  Regel 
fehlt,  die  hier  jedesmal  ihrem  wirklichen  Eintritt  A^orausgeht.  Denn 
wenn  Mose  sie  selbst  zu  Wege  bringt,  so  kann  kein  Zweifel  ent- 
stehn,  woher  sie  rülu'en;  wenn  sie  dagegen  ohne  sein  Zutun 
hereinbrechen,  so  muss  er  sie  vorher  ankündigen,  damit  man  sehe, 
sie  kommen  nicht  von  ungefähr,  sondern  von  Jahve.  Aus  dem 
selben  Grunde  wii-d  in  diesem  zweiten  Fall  gewöhnlich  ein  Termin 
füi*  die  Erfüllung  der  Drohung  gesetzt  und  hervorgehoben,  dass  die 
Plagen,  Avie  sie  auf  Moses  Ansage  kommen,  so  auf  sein  Gebet 
weichen.  Das  sind  lauter  Garantien  für  die  Urheberschaft  des 
Gottes,  in  dessen  Namen  Mose  auftritt  —  Garantien,  die  natürlich 
überflüssig  sind,  wenn  er  handgreiflich  die  Wunder  selbst  verrichtet. 
Der  Hauptbericht  ist  der  zuletzt  charakterisirte,  in  welchem 
Mose  die  Strafe  nicht  ausfülii't,  sondern  nur  androht.  Der  Anfang 
derselben  ist  fast  überall  heil  und  unvermischt  erhalten  und  darum 
das  wesentlichste  Kennzeichen,  A^gl.  7,  14 — 18.  7,  25 — 29.  8, 
16—19.  9,  1—5.  9,  13—19.  10,  1—6.  „Und  Jahve  sprach  zu 
Mose:  mach  dich  morgen  früh  auf  und  tritt  vor  Pharao,  siehe  er 
geht  hinaus  an  das  Wasser.  Und  sprich  zu  ihm:  so  spricht  Jahve 
der  Hebräer  Gott:  lass  mein  Yolk  ziehen,  dass  es  mir  diene;  denn 

wenn  du  dich  dessen  weigerst,  so "      Es  folgt   die   genaue 

Ansagung  des  kommenden  Ereignisses,  dabei  Avird  immer  Jalwe 
allein  als  handelnde  Person  in  Aussicht  genommen  und  vom  Stabe 
Moses  ist  keine  Rede.  Nur  7,  14 — 18  Avüi'de  eine  Ausnalmie 
machen.  Aber  liier  ist  in  v.  17  der  Stab  ohne  ZAveifel  von 
anderswo  eingetragen;  denn  nach  Analogie  A^on  7,  28  siehe  ich 
schlage,  8,  17  siehe  ich  lasse  los,  9,  3  siehe  die  Hand 
Jahves,  9,18  siehe  ich  lasse  regnen,  10,  4  siehe  ich  bringe 
muss  auch  7,  17  das  Subjekt  ^D3X  nach  n^n  A^on  Jahve  und  A^on 
keinem  andern  A^erstanden  werden,  um  so  mehr,  da  ja  Jahve  aus- 
drücklich als  die  redende  Person  bezeichnet  ist  und  das  kurz  vor- 
hergehende ^^N  sich  unmöglich  auf  Mose  beziehen  lässt.  Positiv 
535  wird    das  Ergebnis,    dass    "i:ii  HLOD^   nicht  die  ursprüngliche  Fort- 


^)  Nur  hier  sind  die  Plagen  eigentl.   Strafen,   dort  wie  in   Q  auch   mehr 
Wunder,  Beglaubigungszeichen  Moses  vor  Pharao. 


Exodus  1—11.  65 

Setzung  von    njü  ""DIS  n:n   sein  kann,  bestätigt  durch  die  Worte 
V.  25  1N\'n  DN  mn''  mDn  '•"inx-      Darnach  ist  man  nun  überhaupt 
berechtigt,    die  Abweichungen    von  7,  14—18    gegen    die    übrigen 
fünf  Parallelen  daraus  zu  erklären,  dass  in  diesem  ersten  Fall  der 
Hauptbericht    nicht  rein    vorliegt,  sondern  mit   dem  anderen    ver- 
schmolzen ist,    der  hier  zu  Anfang  gleichfalls  einen    ausfühiiichen 
Befelil  Jahves  an  Mose  der  Ausfülu*ung  vorhergehn  Hess.     Freilich 
darf  man  fi'agen,  ob  die  Worte  v.  17b  nicht  vielmehr  eigentlich  von 
Mose  an  Pharao  gesprochen  werden  und  nicht  von  Jahve  an  Mose. 
Die  Bestellung  des  göttlichen  Befehls  durch  Mose  zu  erzählen? 
wird  in  J  —  es  sei  erlaubt,   den  Hauptbericht  vorgreiflich  so  zu 
bezeichnen  —  nicht  für  nötig  gehalten^),  es  folgt  ^delmehr  sogleich 
der  wirkliche  Vollzug    der  Strafe.     Gemäss  der  Ankündigung  er- 
wartet man,  dass  Jahve  dii-ekt  und  mit  eigener  Hand  den  Schlag 
fühi-t.     Dies  gesclüeht  auch  wii'klich  in  Nr.  3  und  Nr.  4,  vgl.  8,  20 
und  9,  6.     In  Nr.  2  ist  J  an  der  betreffenden  Stelle  durch  Q  (8, 
1 — 3)  verdi'ängt,  in  Nr.  1,  wie  wir  gesehen  haben,  ausserdem  noch 
mit  der  zweiten  Quelle  des  Jeho^dsten  versetzt  (7,  20b.  21  ab.  24). 
Dies   letztere  ist  ebenso   der  Fall    in  Nr.   5  und  6.     Während  in 
der  Ansage   9,  13 — 21   der   Stab    Moses   nicht  erwähnt  wird,   er- 
scheint er  dagegen  in  der  Ausführung  v.   22 ss.      Man  sieht   aber 
hier  der  Erzählung  an,   dass  sie  überfüllt  und  in  Unordnung  ist. 
In  V.  23  heisst  es  erst,  „Jahve  gab  Hagel"  und  gleich  darauf  wieder 
„Jahve  Hess  Hagel  regnen,"  und  in  v.  24  unterbrechen  die  Worte 
"imn  "jinn  nnpbPD  '\l^^)  die  notwendige  Verbindung  zwischen  %"l''1 
1*0.  und  "IwXD  ":iD   auf  störende  Weise.     Nach   v.   18  ist  J  aus 
V.  ^2 — 24  folgendermassen  auszuschälen :   „und  am  folgenden  Tage, 
da  liess  Jahve  Hagel  regnen  über  alles  Ei-aut  des  Feldes  in  Agyp- 
tenland,    und  es  ward  ein  sehr  schwerer  Hagel,   desgleichen  nicht 
gewesen  war  in  Ägypten,    seit  es   einem  Volke    gehörte."   Ebenso 
ist  auch  in   Nr.   6  der  Stab    Moses    10,12ss.,    von    dem   in    der 
vorausgescliickten  Drohung  so  wenig  wie  sonst  die  Rede  ist,  in  J 
erst  von  anderswo  eingedi'ungen.     Denn  dem  erhobenen  Stabe  hat 
nicht  Jahve    Folge  zu  leisten,    sondern    die    Heuschrecken    (gegen  536 


^)  Nur  10,  1  SS.  macht  eine  Ausnahme,  aber  hier  ist  gewiss  nicht  das  Ur- 
sprüngliche bewahrt.  Denn  in  v.  1.2  hat  Jahve  noch  nichts  aufgetragen,  son- 
dern bloss  Vorbereitungen  dazu  gemacht,  es  fehlt  der  ganze  Inhalt  seines  Wortes. 

Wellhau3en,    Comp.   d.   Hexateuchs.    3.    Aufl.  5 


13.  Und  Jalive  führte  einen 
Ostwind  über  das  Land,  jenen 
ganzen  Tag  und  die  ganze  Nacht ; 
als  der  Morgen  kam,  hatte  der 
Ostwind  die  Heuschrecke  her- 
getragen. Und  sie  lagerte  in 
dem  ganzen  Gebiet  Ägyptens, 
in  schwerer  Menge,  wie  nie  zu- 
vor gewesen  und  künftig  nie  sein 
wird. 


66  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

V.  13'),  und  sie  dürfen  den  Mose  nicht  bis  zum  folgenden  Tage 
warten  lassen,  sondern  müssen  gleich  kommen.  Man  hat  dem- 
gemäss  zu  scheiden: 

12.  Und  Jahve  sprach  zu 
Mose:  streck  deine  Hand  aus 
über  Ägyptenland,  dass  die  Heu- 
schrecke heraufkomme  und  alles 
Kraut  des  Landes  fresse,  alles 
was  der  Hagel  übrig  gelassen  hat. 
13.  Da  streckte  Mose  seinen 
Stab  aus  über  Ägyptenland,  14. 
und  die  Heuschrecke  kam  herauf 
über  ganz  Ägyptenland. 

Auch  in  v.  15  ist  die  Doppelheit  in  den  Ausdrücken  kaum 
zu  verkennen,  vgl.  pvS*n  at^y  imd  hinterdrein  n^^Wn  D.!^y;  ^n  ns 
und  dann  "J^pD.  p"T'-  Endlich  ist  noch  die  unverhältnismässige  Länge 
von  Nr.  5  und  6  im  Vergleich  zu  den  übrigen  Stücken  von  JE 
hervorzuheben. 

Durch  einen  glücklichen  Umstand  trifft  es  sich,  dass  die  zweite 
Quelle  des  Jehovisten,  von  der  sich  bisher  nur  eben  die  Spur  ver- 
folgen Hess,  zuletzt  rein  und  nicht  mit  J  vermengt  erscheint,  näm- 
lich in  10,  21 — 27  (ägyptische  Finsternis).  Gänzlich  fehlt  liier  die 
Drohung,  die  in  J  Tags  zuvor  an  Pharao  ergeht  und  regelmässig 
die  ganze  erste  Hälfte  jedes  Stückes  einnimmt;  vielmehr  tritt, 
nachdem  die  vorhergehende  Plage  den  König  nicht  erweicht  hat, 
die  neue  gleich  wirklich  selber  ein,  vgl.  v.  21  zu  v.  20.  Mose 
erhebt  seinen  Stab,  dann  tritt  spontan  die  Finsternis  ein,  ohne  dass 
Jahve  als  handelndes  Subjekt  eingemischt  wird.  Sie  dauert  ihre  ge- 
messene Zeit,  w^eicht  nicht  auf  Moses  Füi'bitte.  Auch  scheint  es, 
dass  Pharao  hier  nicht  sein  in  der  Not  gegebenes  Versprechen 
hinterher  wieder  bricht,  sondern  niemals  die  Forderungen  Moses 
in  ihrem  vollen  Umfange  bewilligt.  Kurz,  der  regelmässige  und 
charakteristische  Bau  der  Stücke  in  J  wird  hier  vermisst,  wenn 
auch  die  sachliche  Ähnlichkeit  gross  genug  ist.  Ich  mache  noch 
aufmerksam  auf  die  Schlussformel  10,  27.  Es  gibt  nämlich  in  JE 
zwei  Varianten  derselben,  die  eine  lautet:  und  Pharao  T^DH  sein 


^)  9,  23  liegt  die  Sache  anders,  H^p  JH^  mn''  ist   so   verblasst  wie  Zsu? 
Ost,  vgl.  Gen.  19,  24.     Lam.  3,  66. 


Exodus  1—11.  67 

Herz  und  entliess  Dyn  nicht,  die  andere:  und  Jahve  pin  537 
das  Herz  Pharaos  (resp.  intrans.  Pharaos  Herz  pin)  und  er 
entliess  die  bx*i:^">  ij^  nicht.  Jene  erscheint  vollständig  in 
Nr.  3  und  4  (8,  28  und  9,  7),  also  in  den  beiden  rein  aus  J 
mitgeteilten  Stücken,  ferner  zum  Teil  in  Nr.  2  (8,11  mit  Q  zu- 
sammen) und  Nr.  5  (9,  34).  In  Nr  5  ist  die  zweite  Variante  da- 
mit verbunden  9,  35,  und  diese  erscheint  rein  in  10,  20.  27 
vgl.    11,  10. 

Ich  nenne  den  Hauptbericht  J,  setze  ihn  also  gleich  mit  dem 
Jalmsten  der  Genesis.  Zum  Teil  schon  deshalb,  weil  es  eben  der 
Hauptbericht  ist,  weiter  wegen  der  geschickten  Verumständung 
z.  B.  in  der  Angabe,  Pharao  sei  des  Morgens  am  Wasser  zu  treffen, 
wegen  der  lebendigen  dramatischen  Erzählung,  und  auch  darum, 
weil  hier  inclusive  der  Tötung  der  Erstgeburt  der  Plagen  sieben 
sind.  An  Einzelheiten  kommt  in  Betracht  das  Land  Gosen  8,  18. 
9,  26,  welches  in  der  Genesis  nur  in  J  vorkommt;  ferner  die  Zeit- 
angaben ^pD.^  7,  15.  8,  16,  namentlich  in  der  Konstruktion  10,  13 
Nl^i  Dnpn  nm  n^n  npD.n  vgl.  Gen.  19,  23  und  44,  3,  endlich  der 
Gebrauch  von  ITiyn,  HIl^H  ^.t^'i;  (gegen  pvXH  ']))  und  ^n:i  (=Land). 
Den  zweiten  Bericht  in  JE  wüi'de  man  dann  E  nennen  dürfen. 
Er  steht  sachlich  und  spraclilich  näher  zu  Q,  ein  Verhältnis, 
welches  sich  gleicherweise  in  der  Genesis  constatken  lässt. 

Auf  eine  genaue  Scheidung  von  J  und  E  in  Nr.  1.  2.  (?).  5.  6 
wird  man  besser  verzichten.  Der  Jehovist  hat,  wie  es  scheint, 
nicht  bloss  den  Bestand  von  E  sein-  stark  angetastet,  sondern  auch 
J  mit  eigenen  Zutaten  erweitert.  Es  ist  schon  bemerkt,  dass 
das  Ausfallen  des  Befehls  10,  1.  2,  statt  dessen  dann  gegen  die 
sonstige  Sitte  die  Ausführung  berichtet  wird  v.  3ss.,  schwerlich 
ursprünglich  ist;  J  wird  hier  in  v.  1 — 3  das  selbe  gehabt  haben 
wie  z.  B.  9,  1,  das  Übrige  ist  Zusatz  des  Jehovisten,  erkennbar 
auch  an  '»miLDn  ""Jli^  O  —  in  J  verstockt  immer  Pharao  selber  sein 
Herz  —  und  an  dem  gänzlich  schiefen  Du  in  v.  2.  Auch  9,  14 
ist  eine  Variation  des  Jehovisten  auf  Grund  von  9,  15,  sie  stört 
die  Konstruktion  und  verwischt  den  hypothetischen  Sinn  des 
Ganzen').      Noch    andere    Breiten,    Übergänge    der    Erzählung    in 


1)  9,  15  s.  „Denn  ich  hätte  schon  meine  Hand  ausgestreckt  und  dich 
und  dein  Volk  mit  der  Pest  geschlagen,  dass  du  verschwunden  wärest  vom 
Erdboden,  aber  um  deswillen  habe  ich  dich  gefristet  .  .  .  ."  nny  ""D  hat  hier 


ß3  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

538  Predigt  scheinen  mir  auf  die  überarbeitende  Hand  zumckzugehn, 
namentlich  auch  die  Formel  n)r\''  ""JX  "»D  JJin,  ""^ÜD  1\S*  ""D  'P»  worin 
das  vom  Sprachgebrauch  in  J  abweichende  iJX  häufig  ist.  Ich 
halte  es  endlich  nicht  für  unmöglich,  dass  Aharon  an  den  Stellen, 
wo  er  neben  Mose  in  J  auftritt,  erst  durch  den  Jehovisten  herein- 
gebracht ist.  Der  Befehl  Jahves,  vor  Pharao  zu  treten,  ergeht 
nämlich  in  J  immer  an  Mose  allein  7,  14.  26.  8,  16.  9,  1.  13.  10,  1; 
nur  im  weiteren  Verlauf  erscheint  daneben  viermal  Aharon,  nämlich 
immer  in  dem  Falle,  wenn  Pharao  in  der  Not  Mose  und  Aharon 
holen  lässt,  um  ihi'e  Füi-bitte  in  Anspruch  zu  nehmen.  Merkwüi-diger- 
weise  aber  wird  liinterher  wieder  Aharon  völlig  ignorirt,  Mose 
antwortet  allein,  redet  nur  in  seinem,  nicht  zugleich  in  Aharons 
Namen  (8,  5.  22.  25.  9,  29),  und  obwol  er  selbander  gekommen, 
geht  er  doch  im  Singular  wieder  fort  und  bittet  im  Singular 
8,  8.  26.  9,  33.  10,  18.  Unter  diesen  Umständen  ist  auch  der 
Wechsel  des  Numerus  nTi^m  •  •  •  N*J  N*'ti^  10,  17  verdächtig  genug. 
Es  scheint,  als  ob  der  Jehovist  grade  bei  der  Füi'bitte  die  Assistenz 
Aharons  für  angemessen  gehalten  habe. 

Das  Ende  der  Verhandlungen  mit  Pharao  ist  10,  28 — 11,  10. 
Da  10,  27  Schlussformel  ist,  so  ist  v.  28  s.  nicht  Fortsetzung  des 
unmittelbar  vorangehenden  Berichts,  sondern  stammt  aus  J,  vgl. 
Gen.  2,  17.  Die  beiden  Verse  sind  mit  dem  Stück  10,  1 — 20  zu 
verbinden,  dessen  jahvistischer  Abschluss  gegenwärtig  durch  v.  20 
verdi'ängt  ist.  Die  Fortsetzung  der  Rede  Moses  an  Pharao  10,  29 
ist  11,  4—8  (vgl.  10,  29  mit  11,  8);  sehr-  übel  drängt  sich  11, 
1 — 3  dazwischen,  wie  bereits  Knobel  empfunden  hat.  Vgl.  den 
jahvistischen  Sprachgebrauch  v.  6  (9,  18.  10,  14),  v.  7  (8,  18.  9, 
4).  Demgemäss  wäre  11,  1 — 3  =  E.  Die  letzten  beiden  Verse 
des  Kap.  11  rechnet  man  gewöhnlich  zu  Q,  und  allerdings  lassen 
DD^bx  yDl^"»  V.  9  und  jnnNI  Ht^C  v.  10  auf  diese  Quelle  schliessen. 
Man  versteht  nur  nicht  recht,  wie  der  9.  Vers  hierher  gehören  und 
mit  V.  10  verbunden  sein  kann;  denn  V^^^  ist  Futurum. 

3.  Wenden  wir  uns  nun  zu  JE  Kap.  1 — 5,  so  ist  die  Tat- 
sache, dass  hier  zwei  Quellen  benutzt  sind,  ziemlich  anerkannt, 
aber  über  ilu'e  Ausscheidung  ist  man  keineswegs  einig.  In  Kap.  1, 
wo  V.  6.  8 — 12.  15 — 22  und  einige  Worte  aus  v.  7   und  14a  zu 


den  selben  Sinn  wie  nach  y).  In  v.  14  ist  die  Auflösung  dieser  Partikel  in 
nj^in  DySÜ  ebenso  aus  Misverständnis  entsprungen,  wie  das  Participium 
rh\i/    statt  des  hypothet.  Perfectums. 


Exodus  1  —  11.  69 

JE  gehören,  ist  J  zu  erkennen  in  v.  6,  )r2)iV^i  irL^"""!  v.  7,  v.  8—10; 
vgl.  n^N^^pn  V.  10,  und  V.  9  mit  Gen.  11,  6  s.  Dahingegen  ist  der 
Sprachgebrauch  von  v.  11s.  eigentümlich  abweichend,  vgl.  die 
D^'öD  n::'  statt  der  Ct^::  und  das  Yerbum  y)p  in  der  Bedeutung  539 
Angst  haben.  Man  wird  diese  letzteren  beiden  Yerse  wol  zu  E 
rechnen  müssen,  ebenso  auch  v.  15 — 21,  wegen  C\"lb^<  und  weil 
die  Namen  der  Hebammen  genannt  werden.  Nur  der  zweite 
Teil  von  v.  20,  der  die  Verbindung  zwischen  v.  20  a  und  v.  21 
unterbricht,  wird  wegen  Oli^l  n:i*i  (v.  7.  9)  zu  J  gehören,  ebenso 
V.  22,  eine  Variante  zu  v.  15 — 21,  wahrscheinlich^^auch  die  in  Q 
eingesprengten  Worte  rnt^:i  mny  b^ni  C'':i:ibn.1  "l^nn,  da  die 
Vorstellung  in  E  v.  1 1  eine  etwas  andere  ist. 

In  Kap.  2,  welches  mit  Ausnahme  von  v.  23b.  c.  24s.  ganz 
zu  JE  gehört,  ist  die  Scheidung  nicht  durchzufüliren,  wenngleich 
die  Geburt  und  Flucht  Moses  sowol  in  J  als  in  E  erzählt  sein 
wird.  Der  Satz  v.  6  „und  sie  sah  den  Kleinen  und  siehe  es  war 
ein  weinender  Knabe"  ist  schwerlich  aus  Einer  Feder  geflossen. 
In  dem  selben  Verse  fallen  die  Worte  vbv  tenm  wegen  ihrer 
Stellung  vor  dem  folgenden  Satz  auf,  welcher  letztere  sich  am 
natürlichsten  an  "I^^ITN  i<"ir)1  ^)  anschliessen  wüi-de.  Vermutlich 
ist  ferner  die  Namengebung  2,  10  alsbald  nach  der  Rettung  erfolgt, 
nicht  erst,  nachdem  der  Knabe  gross  geworden,  wie  es  denn 
schwerlich  die  selbe  Hand  ist,  die  in  v.  11  nt^'D  b"n  und  in 
V.  10  "l^\1  bl^^)  geschrieben  hat.  Vielleicht  also  —  zumal  wenn 
nach  V.  Is.  Mose  als  erstes  Kind  der  Ehe  gilt  —  ist  in  den 
Hauptbericht  ein  anderer  eingearbeitet,  der  nichts  von  Moses 
Schwester  weiss,  sondern  einfach  erzählt :  „und  siehe  ein  weinender 
Knabe  und  sie  erbarmte  sich  seiner  v.  6  (und  nahm  ihn  auf),  und 
er  ward  ihr  Sohn  und  sie  nannte  ihn  Mose,  weil  sie  ihn  aus  dem 
Wasser  gezogen  hatte  v.  10."  Endlich  scheint  es,  dass  v.  15  eine 
andere  Motivii'ung  der  Flucht  Moses  enthält  als  v.  13s.,  und 
dass  in  dem  selben  Verse  die  beiden  Schlussätze  keinen  fort- 
laufenden Faden  darstellen.  V.  11 — 22  gehört  im  Ganzen  zu  J, 
vgl.  )D.S  V.  14  mit  Gen.  28,  16  und  C^tOHl  v.  16  mit  Gen.  30,  38; 
V.  1 — 10  im  Ganzen  zu  E  ("lb>  ^0^<).     Ob  der  Name  Reguel  aus  J 


^)   inx*im  ist  eine  Correctur,  um  n/\1"n^<  fortzuschaffen,  vergl.  Sept. 
Im  MT  blieb  beides  nebeneinander  stehn. 


70  I^ie  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

herkommt,  bezweifle  ich^).  J  nannte  ursprünglich  vielleicht  überhaupt 
keinen  Namen;  Jethro  scheint  erst  jehovistisch  zu  sein,  vgl.  zu  Kap.  18. 
540  In  Kap.    3  passt  der   mit  Q  6,   2ss.  parallele  Passus,    worin 

Gott  seinen  Namen  Jahve  offenbart,  nämlich  v.  10 — 15,  ohne 
Zweifel  nicht  für  J,  sondern  nur  für*  E.  Wirklich  erscheint  hier 
überall  im  Munde  des  Erzählers  D^rh^  v.  11.  12.  13.  14.  15, 
wähi'end  von  nun  ab  dies  Kriterium  füi*  längere  Zeit  aufhört, 
freilich  wol  mehr  durch  Schuld  des  Bearbeiters,  als  nach  der 
Absicht  des  Elohisten  selber,  der  nach  wie  vor  für  gewöhnlich  den 
allgemeinen  Namen  gebraucht  zu  haben  scheint^).  Auch  in  3,  1 — 9 
finden  sich  von  E  zerstreute  Spuren,  so  in  v.  4  der  Satz  nach 
dem  Athnach  mit  dem  charakteristischen  Am-uf  im  Vokativ  (vor 
der  eig.  Anrede)  und  mit  der  Antwort  "»jjn,  vgl.  ausserdem  Elohim 
nach  dem  kurz  vorhergehenden  Jahve.  Daran  schliesst  sich  v.  6 
(D%1  aNH)  und  V.  9.  Übrigens  liegt  hier  vorzugsweise  J  zu  Grunde 
(vgl.  V.  8),  ebenso  wieder  in  3,  16 — 4,  17,  obgleich  auch  da  Mo- 
tive aus  E  einfliessen,  z.  B.  3,  21s.  (11,  1 — 3).  4,  17.  Man  muss 
jedoch  beachten:  bei  solchen  Reden  Jahves  verfährt  der  Jehovist 
freier  als  sonst  und  componirt,  unter  Benutzung  seiner  Vorlagen, 
ziemlich  selbständig.  Bestimmt  auf  J  führen  3,  16 — 18  (vgl.  v.  18 
CV2^  m'^W  -|-n  mit  8,  23  und  Dnnyn  'N*  mit  7,  16.  9,  1.  13.  10,  3) 
und  namentlich  4,  1 — 9.  Denn  hier  werden  die  Zeichen,  die  Mose 
tut,  von  den  ägyptischen  Plagen  —  die  nachher  Jahve  allein  be- 
wirkt —  unterschieden;  sie  geschehen  nicht  vor  Pharao,  sondern 
vor  dem  israelitischen  Volke,  um  die  Gesandten  Jahves  bei  diesem 
zu  beglaubigen  (4,  30);  dabei  spielt  der  Stab  als  Medium 
überhaupt  keine  Rolle  und  fehlt  bei  den  beiden  letzten  Zeichen 
gänzlich.  Eine  ganz  andere  Vorstellung,  die  nach  dem,  was  wii' 
über  Kap.  7 — 10  erkannt  haben,  sicher  auf  E  fülu't,  findet  sich 
4,  21.  17.  Hier  sind  wie  in  Q  die  Zeichen,  die  Mose  verrichten 
soll,  eben  die  Plagen,  er  tut  sie  vor  Pharao,  nicht  vor  dem  Volke, 
der  Stab  ist  bei  allem  das  notwendige  Vehikel. 


^)  Schwerlich  ist  der  Vater  Hobabs  Num.  10,  29  der  Priester  von  Midian 
mit  seinen  sieben  Töchtern  Exod.  2,  16  ss. 

2)  In  V.  14  am  Schluss  ist  HTIN  eigentlich  nicht  mehr  passend,  Jahve 
selbst  nennt  sich  mit  Recht  6  wv  in  1.  Person,  für  andere  aber  ist  er  6  cov  in 
3.  Person,  also  niH"'-  Auf  die  Frage,  wie  sein  Name  sei,  antwortet  Gott:  „Bin 
—  sintemal  ich  bin.  So  sollst  du  zu  Israel  sagen:  Ist  hat  mich  zu  euch  ge- 
sandt."    So  nach  Ibn  Ezra. 


Exodus  1—11.  71 

Hat  man  bei  3,  1—4,  17  die  Empfindung,  ein  Stück  aus 
Einem  Guss  vor  sicli  zu  haben,  so  macht  sich  umgekehrt  bei 
4,  18 ss.  der  zusammengesetzte  Charakter  sehi-  bemerklich.  Offen- 
bar ist  weder  4,  19  die  Fortsetzung  von  4,  18,  noch  v.  21  von 
V.  20,  noch  V.  27  von  v.  24 — 26.  Sehen  wir  vorläufig  ab  von  541 
V.  27 — 29,  so  ist  für  J  in  Anspruch  zu  nehmen  v.  18.  20.  24.  25 
und  zwar  deshalb,  weil  Mose  hier  Weib  und  Kind  mit  nimmt  und 
nur  einen  Sohn  (1:33.  v.  20)  hat,  gegen  E  18,  2ss.  Zu  E  gehört 
dann  v.  19.  21 — 23  vgl.  bes.  v.  21.  Man  könnte  denken,  dies 
Stück  knüpfe,  alles  dazwischen  Liegende  überschlagend,  direkt  an 
JE  2,  23.  Bei  näherer  Überlegung  erhellt  aber,  dass  4,  19.  21 
doch  nicht  die  erste  Offenbarung  Jahves  an  Mose  sein  kann, 
sondern  eine  frühere  inhaltreichere  voraufgegangen  sein  muss.  Es 
scheint  also,  dass  in  E  der  Auftrag,  Israel  zu  befreien,  nicht  wie 
in  J  ohne  weiteres  zusammen  fiel  mit  dem  Befehl  nach  Ägypten 
zurückzukehi'en;  erst  etwas  später  bei  einem  bestimmten  näheren 
Anlass  wird  diese  praktische  Konsequenz  gezogen.  Darnach  ist  die 
Richtigkeit  der  gegenwärtigen  Stellung  des  ersten  Satzes  von  2,  23 
zu  beanstanden  (vgl.  Sept.  4,  19),  möglicherweise  hat  sich  der 
Jehovist  um  J's  willen  eine  Umstellung  erlaubt.  Die  Hand  des 
Jehovisten  ist  ebenfalls  bei  der  Placirung  des  letzten  Satzes  von 
4,  20  tätig  gewesen,  der  nicht  zu  J,  sondern  zu  E  gehört,  und 
desgleichen  vielleicht  bei  einigen  Redewendungen  von  v.  22  s.  — 
Was  4,  27 — 31  betrifft,  so  ist  der  pragmatische  Zusammenhang 
des  Stückes  in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  nicht  zu  leugnen. 
Deutlich  nun  stammt  v.  29 — 31  aus  J,  wegen  der  Rückbeziehung 
auf  3,  16  und  wegen  v.  30:  er  tat  die  Zeichen  vor  dem  Volk. 
Andererseits  steht  v.  27  nicht  in  Yerbinduno;  mit  J  v.  18.  20. 
24 — 26,  denn  in  diesen  Versen  ist  Mose  schon  weiter  als  am  Berge 
Gottes,  wo  Aharon  ihn  treffen  soll.  Wie  also?  soll  man  v.  27  zu 
E  weisen?  Dazu  sind  v.  27 — 31  zu  gleichartig  und  geschlossen. 
Ich  glaube,  dass  Aharon  hier  ebenso  wie  in  JE  Kap.  7 — 10  erst 
durch  den  Jehovisten  —  wenn  auch  vielleicht  auf  Grundlage  von 
E  —  eingefülii't  und  gleich  dem  Mose  einer  früheren  Anwesen- 
heit auf  dem  Horeb  gewürdigt  worden  ist.  In  J  hat  Mose  zu 
dem  Volk  geredet  und  die  Zeichen  getan  —  das  erheischt  4, 
1 — 9^).    Der  Jahvist  weiss  nichts  von  Moses  mangelnder  Redefähig- 


^)  vielleicht  besser  4,  1—12,  denn  streng  genommen  schHessen  v.  10—12 


72  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

keit,  er  lässt  ihn  sogar  vor  Pharao  in  Kap.  7 — 11  ausschliesslich 
das  Wort  führen.  Auch  in  5,  1  ss.  ist  das  pluralische  Subjekt  ur- 
542  sprünglich  nicht  Mose  und  Aharon,  sondern  nach  3,  18  vgl.  mit 
5,  3  notwendigerweise  Mose  und  die  Aeltesten. 

5,  1 — 6,  1  ist  wol  im  Ganzen  aus  J  entlehnt,  vgl.  v.  3  mit 
3,  18.  8,  23.  7,  16.  9,  1.  13.  10,  3  und  die  ü^'m:  (gegen  1,  11). 
Doch  fällt  n^rPTD  V.  8  gegen  pH  v.  18  auf  und  hie  und  da  eine 
Abundanz  der  Rede,  z.  B.  v.  4.  5. 

Man  sieht:  so  wenig  sich  in  JE  Ex.  1 — 11  die  Scheidung  ins 
Einzelne  hinein  durchfühi-en  lässt,  so  ist  doch  die  Tatsache  evi- 
dent, dass  dies  Geschichtswerk  auch  hier  wie  in  der  Genesis  aus 
J  und  E  zusammengesetzt  ist,  durch  die  Hand  eine  Bearbeiters, 
der  viel  freier  mit  seiner  Vorlage  verfuhi*  und  sie  dadurch  viel 
mehr  zu  einem  Ganzen  verschmolz,  als  es  der  letzte  Redaktor  toit 
Q  und  JE  getan  hat. 

Der  Auszug  und  die  Ankunft  am  Sinai.     Exod.  12 — 18. 

1.  Die  Paschanacht  12,  1—13,  16.  Aus  Q:  12,  1—21.  28. 
37a.  40s.  43—51.  13,  1.  2.  Nicht  v.  21—23,  denn  diese  Yerse 
sind  unabtrennbar  von  v.  24 — 27,  und  trotz  aller  Ähnlichkeit 
differiren  sie  von  Q  in  Sachen  und  Ausdrücken;  vgl.  v.  21  die 
Ältesten,  das  Zusammenfallen  von  Nehmen  und  Schlachten  des 
Opfers,  bei  dem  das  einjährige  Alter  nicht  hervorgehoben  wii-d 
(gegen  v.  3.  6),  v.  22  den  Satz:  „und  nelimt  ein  Bund  Ysop  und 
taucht  es  in  die  Blutschüssel  und  berührt  damit"  gegen  v.  7.  Auch 
nicht  V.  42,  denn  die  Yigiliennacht  ist  nicht  das  Pascha  des  Yier- 
bundesbuchs.  Andererseits  ist  es  ebenso  wenig  zu  rechtfertigen, 
wenn  Kayser  v.  11 — 13  zu  JE  ziehen  will,  denn  dort  ist  die  ängst- 
liche Eile  nicht  als  Ritus  befohlen,  sondern  geschichtlich  veranlasst 
und  hat  seine  Stelle  nicht  beim  Pascha,  sondern  bei  den  Mazzen 
(Deut.  16,  3),  ferner  ist  der  Ausdruck  D''tODti^  nur  bei  Ezecliiel  und. 
in  Q  gebräuchlich  und  endlich  scheint  HTIt^rD  v.  13  Abstractum, 
dagegen  v.  23  Concretum  zu  sein.  Auch  v.  37  a  gehört  der  Form 
nach  zu  Q,  obwol  in  JE  an  dieser  Stelle  eine  ähnliche  Nachricht 
gestanden  haben  muss.  Es  ist  übrigens,  was  wh-  als  Q  bezeichnen, 
hier  schwerlich  ein  schriftstellerisches  Ganzes  von  einheitlicher  Con- 


und  Y.  13  SS.  einander  aus,  so  dass  v.  10 — 12   besser  noch  als  zum  Vorher- 
gehenden (zu  J)  gehölig  zu  betrachten  sind. 


Exodus  12—18.  73 

ception,  dennoch  aber  JE  gegenüber  als  Einheit  zu  betrachten,  mit 
durchaus  gleichen  Ausdrücken,  Vorstellungen,  gesetzlichen  Institu- 
tionen.    Dabei  beruhigen  wir  uns  vor  der  Hand. 

In  JE  ist  12,  29—39.  42  die  Fortsetzung  von  11,  4—8.  Wenn 
aber  dort  vorzugsweise  J  zu  Grunde  gelegt  ist,  so  hier  E.  Denn 
während  10,  29.  11,8  ausdrücklich  gesagt  ist,  Mose  werde  nicht  wie- 
der vor  Pharao  erscheinen,  sondern  dieser  selbst  mit  all  seinen  Knech-  543 
ten  sich  zu  ihm  bemühen,  lässt  Pharao  12,31  in  totalem  Wider- 
spruch dazu  Mose  und  Aharon  zu  sich  rufen.  Auf  E  weisen  auch 
die  Ausdrücke,  wenigstens  von  v.  31  an,  vgl.  v.  32  mit  10,  24.  9, 
ferner  cnn.:i  und  ^\D  v.  37,  endlich  't^^  '';)p  wofür  J  einfach  bi<^^^ 
sagt,  V.  31.  35.  37.  Doch  wii-d  daneben  noch  J  benutzt  sein,  na- 
mentlich V.  29s.:  in  v.  30a  wii'd  der  Ansatz  dazu  gemacht,  den 
Pharao  und  seine  Knechte  zu  Mose  „herabgehn"  zu  lassen. 

Schon  der  dii'ekte  Anschluss  von  12,  29  an  11,  8  beweist,  dass 
12,  21 — 27,  wenn  es  überhaupt  zu  JE  gehört,  doch  jedenfalls  ein 
jüngerer  Zusatz  zu  der  Erzählung  der  ursprünglichen  Quellen  ist. 
Das  Gleiche  erhellt  daraus,  dass  hier  (wie  in  Q)  die  V  er  Scho- 
nung Israels  von  Seiten  des  Würgengels  als  das  der  Feier  zu 
Grunde  liegende  Faktum  betrachtet  wii-d.  In  J  und  E  wii-d  daran 
nicht  gedacht,  dass  die  Plage  auch  Israel  hätte  treffen  können^), 
es  gilt  als  selbstverständliche  und  an  keine  weitere  Bedingung  ge- 
knüpfte Voraussetzung,  dass  „Gott  einen  Unterschied  macht",  aller 
Nachdruck  ruht  auf  dem  tötlichen  Schlage  der  starken  Hand  selbst, 
dieser  Schlag  und  nicht  die  Verschonung  davon  wii'd  gefeiert.  So 
auch  13,  3 — 16.  Indessen  gehört  dies  letztere  Stück  trotzdem 
nicht  zu  dem  älteren  Bestände  von  JE,  sondern  geht  ebenso  wie 
12,  21 — 27  auf  eine  spätere,  wenn  auch  nicht  die  gleiche  Hand 
zurück.  Denn  ursprünglich  muss  auf  das  Stück  12,  29 — 42  (excl. 
V.  40s.)  alsbald  13,  17 ss.  gefolgt  sein.  Eine  unschicklichere 
Stelle  für  die  Predigt,  welche  Mose  13,  3 — 16  hält  „Gedenket  an 
den  heutigen  Tag  u.  s.  w."  —  wobei  er  Kap.  14  beständig  ante- 
cipirt  —  lässt  sich  nicht  denken,  zumal  wenn  der  Auszug  wirk- 
lich in  der  Verwirrung  und  Eile  vor  sich  gegangen  ist,  wie  vorher 
und  nachher  berichtet  wird;  den  ursprünglichen  Erzählern,  denen 
die    Sache    doch    einigermassen    in    der  Vorstellung    lebendig    und 

0  Nach  J  wohnt  Israel  gar  nicht  unter  den  Ägyptern,  sondern  für  sich 
im  Lande  Gosen.  A-uch  der  Schlusssatz  in  12,  22  stimmt  nicht  zu  den  son- 
stigen Voraussetzungen,  wol  aber  mit  Num.  33,  3  nöDH  mPiOD- 


74  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

gegenwärtig  gewesen  sein  muss,  kann  man  ein  so  völliges  Heraus- 
fallen aus  der  Situation  nicht  zutrauen.  Man  beachte  ausserdem  die 
Ausdrücke  Dnny  n"»D.  V.  3.  14,  ni'D.V  "iny  in  gottesdienstlichem  Sinne 
V.  5,  -^Plirn  und  ^:\l^  V.  12,  D^Din  Y.  12.  15,  1^  p]n  V.  3.  14.  16 
statt  npin  "^^  ni^'pn  mit  ausgelassenem  Objekt  und  mit  Subjekt 
Pharao  statt  III^TN  IHD  oder  ID.'i^'nN  plPI  (gewöhnlich  mit  Jahve 
544  als  Subjekt).  Weiter  den  predigenden  Ton,  der  den  Älteren  völ- 
lig fremd  ist;  endlich  die  Stufe  der  Religiosität,  die  hier  herrscht 
nnd  sich  z.  B.  v.  9.  10  sehi*  deutlich  ausspricht.  Es  ist  ungefälii* 
die  deuteronomische ,  auf  der  jedenfalls  die  Autoren,  welche  uns 
von  den  Patriarchen  erzählen,  wie  sie  Steine  und  Altäre  aufrich- 
ten, heilige  Bäume  pflanzen  und  Brunnen  graben,  nicht  stehn. 
An  das  Deuteronomium  (Deut.  6.  7.  Jos.  4)  erinnern  auch  die  Aus- 
drücke und  Wendungen,  und  die  Verordnung  13,  6  entspricht  ganz 
derjenigen  in  Deut.  16,  8,  im  Gegensatz  einerseits  zu  Exod.  12,  16, 
andererseits  zu  23,  15.  34,  18  ^). 

Der  Verfasser  von  13,  3 — 16  ist,  wenn  nicht  der  Jehovist 
selber,  ein  deuteronomistischer  Bearbeiter  desselben.  Er  ist  sowol 
in  manchen  charakteristischen  Ausdrücken  abhängig  von  den  jeho- 
vistischen  Quellen,  als  auch  in  den  Elementen  selber,  die  seiner 
ermahnenden  Rede  zu  Grunde  liegen  und  das  einzig  Inhaltliche 
darin  bilden.  Diese  Elemente  sind  v.  6s.  und  v.  12s.,  und  sie 
sind  im  Ganzen  wörtlich  entnomm^li  aus  34,  18 — 20.  Bemerkens- 
w^erte  Unterschiede  sind  nur  einmal  der  Zusatz  v.  6  „am  7.  Tage 
ist  ein  Fest  Jahves",  sodann  die  Verschärfung  v.  7:  „nichts  Sau- 
res und  Säuerndes  soll  sich  bei  dir  finden  in  deinem  ganzen  Ge- 
biet," endlich  v.  12  das  'T'nyn-  Diese  Unterschiede  teilt  unser 
Stück  mit  dem  Deuteronomium  (16,  8.  4),  "'.''D.yn  speciell  mit  den 
Schriftstellern  des  siebenten  Jahrhunderts  und  des  Exils.  —  Hin- 
gegen ist  12,  21 — 27  schwerlich  dem  Jehovisten  zuzuschreiben. 
Das  Redenhalten  an  das  Volk  und  der  Ton  erimiern  zwar  an  13,  3ss., 
vgl.  12,  24 — 27  mit  13,  5.  8.  10,  14s.,  aber  schon  in  diesen  Ver- 
sen differiren  die  Ausdrücke   sehr   merklich,    und   schwerlich   hat 


1)  Nunmehr  kann  man  sagen,  dass  nach  der  Überlieferuirg  der  Quellen 
von  JE  das  Fest  nicht  durch  den  Auszug,  sondern  eher  der  Auszug  durch  das 
Fest  veranlasst  worden  ist,  s.  5,  1.  3.  8,  21  ss.  10,  8  s.  24  ss.,  womit  zusam- 
menhängt 11,  2  s.  12,  35  s.  (Knobel  zu  3,  22  und  Hos.  2,  15.)  Bloss  die 
Mazzen  werden  12,  34  geschichtlich  erklärt,  ausserdem  v.  42  die  Vigiliennacht 
zum  Andenken  an  den  nächtlichen  Auszug. 


Exodus  12—18.  75 

das  Paschaopfer  12,  27,  um  deswillen  Israel  vom  Wm*gengel  ge- 
schont wurde,  Platz  neben  der  Erstgeburt  von  Rindern  und  Scha- 
fen, die  dargebracht  wird,  weil  Jahve  alle  Erstgeburt  Ägyptens 
tötete  und  mit  gewaltiger  Hand  sein  Volk  ausführte  13,  15.  Man 
wird  12,  21—27  entweder  für  einen  späteren  Zusatz  zu  JE  halten 
müssen,  oder  aber  füi*  einen  Anhang  unbekannten  Ursprungs  zu  Q: 
es  steht  in  der  Mitte  zwischen  beiden,  in  Form  und  Ton  etwas 
mehr  auf  selten  des  Jehovisten,  in  der  Sache  fast  ganz  auf  selten  545 
von  Q.  Doch  ist  neben  den  bereits  oben  angemerkten  Nuancen 
noch  vorzuheben,  dass  in  Q  das  Benetzen  der  Tüi-pfosten  mit 
dem  Lammblute  als  etwas  nur  einmal  zu  bestimmtem  Zweck  in 
Ägypten  Geschehenes  angesehen  wird^),  dahingegen  in  v.  21 — 27 
als  ein  alljährlich  zu  wiederholender  ständiger  Ritus. 

2.  Der  Übergang  durch  das  Schilfmeer  13,  17 — 15,  21. 
Nach  Knobel  scheidet  Nöldeke  füi-  Q  aus:  13,  20.  14,  1—4.  8.  9. 
lO(Schluss).  15—18.  21  (a+d).  22.  23.  26.  27  a.  28.  29.  Mich 
dünkt,  hier  sei  zu  viel  für  Q  in  Anspruch  genommen.  Zunächst 
spricht  schon  die  Redensart  Jahve  verhärtete  Plxaraos  Herz 
(v.  3.  4.  8.  17),  auf  die  sich  Nöldeke  beruft,  mehr  für  den  Verf. 
von  10,  19.  27,  als  für  Q,  wo  es  gewöhnlich  neutral  heisst:  Pha- 
raos Herz  blieb  hart.  Das  würde  freilich  wenig  ins  Gewicht 
fallen,  wenn  nicht  an  den  di-ei  Stellen,  wo  jene  Redensart  er- 
scheint, regelmässig  noch  andere  Bedenken  sich  erhöben.  V.  3.  4 
sind  weder  sachlich  noch  formell  eine  gute  Fortsetzung  dessen,  was 
Mose  zu  Israel  sagen  soll,  vielmeln-  schliesst  ]D  It^'yi'I  am  Schluss 
von  V.  4  unmittelbar  an  v.  2  an.  In  v.  8,s.  fällt  die  Dublette 
auf:  „Pharao  setzte  hinter  den  Kindern  Israel  her  ....  die  Ägyp- 
ter setzten  hinter  ihnen  her";  mit  v.  8b.  nach  dem  Athnach 
scheint  neu  angesetzt  zu  werden.  Das  schwerste  Bedenken  erhebt 
sich  bei  v.  16  ss.  Den  Stab  Moses  aus  späterer  Überar- 
beitung zu  erklären  und  sich  dafür  auf  v.  21.  26s.  zu  berufen, 
geht  nicht  an.  Vergleicht  man  nämlich  8,  2  mit  8,  13,  oder  9,  22 
mit  9,  23,  oder  10,  12  mit  10,  13,  oder  17,  9  mit  17,  11s.,  oder 
Jos.  8,  18  mit  V.  19,  so  ist  unwidersprechlich,  dass  zwischen  14,  16 
und  14,  21.  26  s.  durchaus  keine  Differenz  besteht,  sondern  auch 
in  den  letzteren  Versen  der  Stab  in  der  Hand  Moses  vorausgesetzt 
wird  (ebenso  wie  10,  21,  vgl.  4,  17,  wo  das  ein  für  allemal  gesagt 


0  Vgl.  b.  Sanheclrin  15  b.     Wäbner,  Antiq.  1606- 


76  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

ist).  Schliesslich  ist  es  doch  auch  ein  wunderbarer  Umstand,  dass 
von  V.  15  an  kaum  ein  einziger  füi-  Q  charakteristischer  Ausdruck 
(z.  B.  rnj7  btlp)  vorkommt  und  dass  Aharon  so  gänzlich  zurück- 
tritt, der  in  Q  bisher  stets  das  Subjekt  von  TT»  LD"»!  gewesen  ist. 
Mit  Sicherheit  ist  aus  Q  ausser  13,  20^)  nur  abzuleiten:  14, 
546  1.  2.  V.  4:  ]D  It^V^I»  v.  8b.  9  (mit  Ausn.  der  D^"l■^l?  und  >?  bv 
n"1''nn  trennenden  Worte),  v.  10:  """»-^x  "i  'n  ippi^il,  v.  16  (mit_ 
Ausn.  von  "»Sx  pyi^P  n^).  Von  da  ab  verliert  sich  die  Spur  dieser 
Quelle  (v.  28?).  Das,  was  man  sonst  noch  dazu  gerechnet  hat, 
aus  ihr  abzuleiten,  dazu  ist  man  darum  gekommen,  weil  man 
immer  nur  von  der  Entgegensetzung  zweier  Quellen  ausging.  Es 
sind  aber  drei,  die  jehovistische  Erzählung  ist,  wie  das  jehovistische 
Geschichtsbuch  überhaupt,  aus  zwei  Bestandteilen  zusammengesetzt, 
welche  sich  sogar  noch  aus  dem  zu  Gunsten  von  Q  verstümmelten 
Reste  desselben  erkennen  lassen.  Denn  wie  lässt  sich  das  Ver- 
hältnis von  V.  19a  zu  v.  19b  anders  erklären?  Die  Stellen,  die 
man  fälschlich  zu  Q  gewiesen  hat,  rüln*en  aus  E  her.  Der  Stab 
Moses  ist  dafüi-  entscheidend,  vgl.  p.  64ss.  70;  die  Ausdrücke 
stimmen  wenigstens,  wenn  sie  auch  nicht  beweisend  sind.  Die 
Scheidung^  zwischen  J  und  E  trifft  von  v.  21  an  zusammen  mit 
Knebels  Scheidung  der  „GrundscMft"  und  des  Jehovisten.  Der 
Unterschied  der  beiden  Quellen  gestaltet  sich  hier  genau  ebenso 
wie  bei  den  Plagen:  in  J  führt  Jahve  durch  elementare  Gewalt 
das  Wunder  herbei,  in  E  Mose  durch  das  Aufheben  seines  Stabes." 
Es  hängt  damit  zusammen,  dass  die  Sache  dort  viel  natürlicher 
zugeht,  wie  hier.  „Jahve  liess  das  Meer  durch  einen  starken  Ost- 
wind, der  die  ganze  Nacht  wehte,  schwinden  und  machte  es  trocken 
(v.  21)  —  die  Hebräer  zogen  durch,  die  Ägypter  liinterdrein ;  am 
jenseitigen  Ufer  gerieten  sie  an  einander  — ;  und  gegen  die  Morgen- 
wache kehrte  sich  Jahve  zu  des  Ägypters  Heer  in  der  Feuer- 
und  Wolkensäule  und  bestüi-zte  des  Ägypters  Heer  (v.  24)  und 
hemmte  das  Rad  seiner  Wagen  und  liess  ihn  in  das  Unwegsame 
geraten.  Da  sprach  der  Ägypter:  ich  will  fliehen  vor  Israel,  denn 
Jahve  streitet  für  sie  gegen  Ägypten  (v.  25).  Aber  das  Meer  kehrte 
zurück  gegen  Morgen  zu  seinem  gewöhnlichen  Stande,  und  die 
Ägypter  flohen  ihm  entgegen  und  Jahve  schüttelte   sie  mitten  in 


^)  Dieser  Vers  gehört  nicht  zu  JE,  denn  hier  heisst  D^^?  (O^wfji)    viel- 
mehr cn£>3  mit  dem  ägyptischen  Artikel, 


Exodus  12—18.  77 

das  Meer  (v.  27).  An  jenem  Tage  half  u.  s.  w.  (v.  30.  31)."  In 
E  erhebt  Mose  den  Stab,  da  spaltet  sich  das  Meer;  die  Israeliten 
gehn  liindurch;  als  sie  drüben  sind,  erhebt  Mose  wieder  die  Hand, 
da  stüi'zen  die  Wassermauern  über  den  verfolgenden  Ägyptern 
zusammen.  Beachtenswert  ist,  dass  diese  Yorstellung  der  Sache 
übereinstimmt  mit  dem  Liede  15,  8.  Vor  v.  21  ist  die  Zerlegung 
von  JE  nicht  so  sicher  zu  bewerkstelligen.  Zu  E  gehören  v.  3.  4 
(excl.  p  )^V^)  )  7.  8a.  ib'ini  .  .  t)1Ö  bj  in  v.  9,  Anfang  von  v.  10, 
"»bx  pV)ir\  HD  in  V.  15,  v.  16—18.  19a  und  vielleicht  der  Schluss- 
satz von  V.  20.  Zwischen  v.  10  und  v.  15  muss  erzählt  sein,  547 
dass  Mose,  bedrängt  von  seinen  Landsleuten,  verzweifelnd  zu  Gott 
schrie  (17,  4).  Zu  J  gehören  v.  5.  6,  ^^^D  •  •  •  •  'D  njm  in  v.  10, 
V.  11—14.  19b.  20.  In  v.  20  ist  der  Text  entstellt,  es  muss  hier 
der  Übergang  von  Nacht  zu  Tag  gemacht  werden,  etwa  so: 
nb^^bn  PN*  (pyn)  nx^l  "]t^'n  \"T'V  Formelle  Kriterien:  füi-E  der  häufige 
Gebrauch  von  ^NntJ^i  "»J:!,  nyns;  für  J  bi^')W\  D^^^ü  (singularisch). 

In  13,  17 — 22  scheint  der  Jehovist  ebenso  wie  in  12,  29 — 42 
vorzugsweise  E  zu  Grunde  gelegt  zu  haben  (excl.  v.  21s.=J), 
vgl.  D^nb^  V.  17s.,  und  v.  19  mit  Gen.  50,  24.  Auch  das  Fest- 
lied in  Kap.  15  könnte  man,  wegen  15,  8  und  weil  15,  19  mit  14, 
23.  29  stimmt,  versucht  sein  zu  E  zu  weisen.  Dagegen  aber  spricht 
15,  17  die  Erwähnung  Jerusalems;  das  Lied  muss  also  erst  vom 
Jehovisten  aufgenommen  sein,  wenn  es  nicht  vielleicht  am  Schluss 
von  späterer  Hand  erweitert  ist. 

3.  Der  Zug  durch  die  Wüste  und  die  Ankunft  am 
Sinai.  Kap.  15,  22 — 18,  27.  Zu  Q  rechnet  man  zunächst  15,  22. 
23.  27.  Zugegeben,  dass  Q  diese  Stationen  enthalten  hat  — 
ebenso  gewiss  hat  sie  auch  JE  enthalten,  denn  wenn  Elim  hier 
gegenwärtig  nicht  mehr  anderweit  nachweisbar  ist,  so  steht  die 
Sache  füi-  Q  mit  Jam  Suph  nicht  anders.  Mit  welchem  Rechte  nun 
macht  man  JE  hier  unvollständig,  um  Q  vollständig  zu  machen? 
Nach  dem  Zusammenhange  hat  doch  JE  das  nächste  Recht  auf 
diese  Yerse,  v.  22b.  und  v.  23  stehn  in  ganz  deutlicher  Beziehung 
zu  V.  24ss.^).  Es  müssten  sehr  bedeutende  formelle  Gründe  für 
Q  sprechen,  um  die  Herausreissung  zu  rechtfertigen.  Aber  gerade 
das  Gegenteil  ist  der  Fall.  In  v.  22  ist  n\L/D  VD^)  dieser  Quelle 
fremd,  ebenso  wie  b^^ltJ^"»  (statt  dessen  '">  ""^^  oder'")  r^in),  in  v.  23 


1)  vgl.  Kayser  p.  50.     Zu  15,  25  vgl.  Jos.  24,  25. 


78  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

fehlt  das  charakteristische  p  IVt)''!  an  der  Spitze.  Desgleichen  in 
V.  27,  im  letzteren  Verse  passt  auch  der  episodische  Inhalt  ^del 
eher  zu  JE  als  zu  Q.  Mit  Num.  33  richtet  man  nichts  aus,  wenn 
man  nicht  vorher  den  Nachweis  liefert,  dass  es  unmöglich  oder 
unwahrscheinlich  sei,  dass  der  Verfasser  dieses  Katalogs  jünger  sei 
als  JE.  —  Weiter  soll  nach  Nöldeke  ganz  Kap.  16  aus  Q  stammen, 
nur  dass  man  vielleicht  einige  kleine  Zusätze  anzunehmen  habe^). 
548  Die  Zusätze  sind  jedoch  so  klein  nicht.  Wenn  v.  9ss.  aus  Q 
herrühren,  so  v.  4 — 8  sicher  nicht,  denn  unleugbar  wissen  wir 
aus  V.  4 — 8  schon  alles,  was  wir  erst  aus  v.  9ss.  erfahren  sollen. 
Ähnlich  wie  v.  4 — 8  zwischen  Q  v.  1 — 3  und  v.  9ss.,  drängen 
sich  V.  27—30  zwischen  Q  v.  22—26  und  31ss.  In  v.  24  bis  26 
ist  es  bereits  längst  Sabbath,  also  ist  v.  27,  wo  der  siebente  Tag 
erst  angeht,  davon  nicht  die  Fortsetzung:  hinwiederum  giebt  es 
V.  31  für  das  Sufi&xum  in  )ü\L^  keine  Beziehung  in  v.  27 — 30,  somit 
schliesst  v.  31  an  26.  Weiter.  Wie  finden  die  identischen  Angaben 
V.  15  und  31,  35a  und  35b  neben  einander  Platz?  wie  vertragen 
sich  die  Widersprüche,  dass  nach  v.  21  das  Manna  bei  der  Hitze 
schmolz  und  dass  es  v.  23  verkocht  und  verbacken  wurde?  dass  nach 
V.  16a.  18c — 21  jeder  nach  seinem  Bedürfnis  (l^DX  ""S^)  sammelte, 
dahingegen  nach  v.  16b.  17.  18a.  b.  jeder  immer  genau  ein  Omer? 
Dazu  vgl.  messen  v.  5  b^2r]  19  "110,  aufheben  19s.  ^imn  23s. 
n^:n,  Gewürm  20  D^vb)r\  24  HD!  (überh.  v.  20  mit  v.  24),  dop- 
pelte Portion  29  D'^CV  nrh  22  nJli^D  on^,  ein  Wechsel  der  Aus- 
drücke, der  aus  der  Spracharmut  von  Q  nicht  erklärt  werden  kann. 
Zu  Q  gehört  16,  1—3.  v.  9— 13a  ....  16b— 18  (bis 
zum  Athnach).  22 — 26.  31 — 34.  35a.  Der  Faden  ist  vollständig, 
nur  zwischen  v.  13  a  und  16  b  gelingt  die  Scheidung  nicht; 
jedoch  muss  man  festhalten,  dass  v.  15  und  z.  T.  v.  14  nicht 
gleichen  Ursprungs  mit  v.  31  sein  kann  und  dass  der  Satz 
V.  16  a  durch  ]'?D^  ""©b  von  16  b  — 18  getrennt  und  mit  19—21 
verbunden  wird.  Der  Rest  stammt  aus  JE,  mit  Ausnahme  je- 
doch von  V.  36,  einer  späteren  Glosse,  und  von  v.  6 — 8,  einem 
Zusatz  des  letzten  Redactors,  der  bezweckt  die  Differenzen  zwischen 
JE  und  Q  zu  Gunsten  der  letzteren  Quelle  auszugleichen:   dort  ist 


^)  Die  Prolepsis  16,  33  s.  ist  übrigens  nicht  anstössiger  als  ^Hi^iin  12,  17. 
Gegen  de  Wette,  Beiträge  II.  223. 


Exodus  12—18.  79 

nämlich  v.  4  nur  von  Brot^),  hier  v.  12s.  von  Fleisch  und  Brot 
die  Rede.  Also  v.  4  s.  13— 16  a  (mit  Ausn.),  )^pb  I^DN  ^sb  t^\x 
in  V.  18.  V.  19—21.  27—30.  35  b  =  JE.  Der  bedeutendste  sach- 
liche Unterschied  gegen  den  sonst  sehr  ähnlichen  Bericht  aus  Q 
ist  der  zweimalige  Ungehorsam  des  Volkes  gegen  den  göttlichen 
Befehl.  Der  Jehovist  scheint  ziemlich  selbständig  mit  seinen  A^or- 
lagen  zu  verfahren  und  fand  z.  B.  schwerlich  den  Sabbath  darin 
vor.  Die  Thora  v.  4  ist  nicht  das  Sabbathsgebot,  sondern  die  be- 
stimmte Weisung,  nicht  mehr  als  das  tägliche  Brot,  )^V'2.  DT»  ^^"I,  549 
zu  sammeln,  es  wird  auf  v.  20  Bezug  genommen.  Der  Ton  in 
V.  27 — 30  erinnert  an  das  Deuteronomium ,  und  man  fragt,  woher 
denn  die  "»mim  "»HliiO  dem  Yolke  bekannt  sein  sollen?  Auch  in 
15,  22 — 27  scheint  der  Jehovist  (Deuteronomist?)  v.  26  frei  zu- 
gesetzt zu  haben,  der  Yers  führt  den  unverständlichen  Schlusssatz 
in  V.  25  aus.  Aber  in  ganz  schiefer  Weise,  denn  in  v.  25  wird 
der  Brunnen  geheilt  (s.  den  betr.  Ausdruck  2  Reg.  2,  22.  Ezech. 
47,  8.  11),  nicht  Israel.  AVelche  Quelle  übrigens  in  JE  15,  22—26 
und  Kap.  16  zu  Grunde  liegt,  wage  ich  nicht  zu  bestimmen. 

In  Kap.  17  und  18  gehört  nur  ein  Yers  zu  Q,  nämlich  17,  1. 
Wenn  Kayser  dies  nicht  anerkennen  will,  so  ignorirt  er  den  Aus- 
druck "i  'n.  nn])  hD.  Der  letzte  Satz  CVn  ....  p^^l  ist  allerdings 
auszunehmen  (cyn),  auch  nach  17,  8  befinden  wir  uns  in  Raphidim. 
JE  enthält  in  Kap.  17.  18  drei  Geschichten:  17,  2 — 7  Massa  und 
Meriba,  17,  8 — 16  Kampf  mit  Amalek  zu  Raphidim,  18,  1 — 27 
Besuch  Jethros  im  hebräischen  Lager.  Widerwillig  entdecke  ich 
in  17,  2 — 7  Spuren  der  Brüchigkeit  Denn  es  wäre  sehr  wünschens- 
wert, wenn  man  diese  Erzählung  der  einen  und  die  parallele 
Num.  20,  2  SS.  der  anderen  Quelle  des  Jehovisten  zuweisen  könnte  ^). 
Aber  vgl.  17,  2  mit  v.  3: 

*)  Das  Fleisch  kommt  in  JE  erst  Num  11. 

^)  Deut.  33,8  werden  Massa  und  Meriba  —  zwei  verschiedene  Orte?  — 
auf  eine  dritte  und  ganz  abweichende  Art  gedeutet:  Jahve  erprobte  den  Mose  in 
Massa,  stritt  für  ihn  (Is.  1,  17)  zu  Meriba.  Nach  dem  Zusammenhang  kann 
n^^  und  n^*!  hier  nur  im  guten  Sinn  gebraucht  sein.  Man  sieht,  wie  weiter 
nichts  fest  steht  als  die  Namen  der  Quellorte  und  wie  die  Geschichten  nur  Er- 
klärungen derselben  sind.  Das  eigentliche  Deut,  erwähnt  nur  Massa  6,  16.  9, 
22  und  scheint  die  Version  Ex.  17  im  Auge  zu  haben.  Aus  der  Reihenfolge 
Deut.  9,  22  darf  man  schwerlich  Schlüsse  ziehen.  Wenn  Hieronymus  Exod.  17, 7 
Meriba  auslässt,  so  hat  er  dies  sicher  auf  eigene  Hand  getan,  um  nicht  mit 
Num.  20  in  Kollision  zu  geraten.     Meriba  ist  sonst  immer  Kades. 


80  I^ie  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 


Da  litt  das  Volk  Durst  nach 
Wasser  und  das  Volk  murrte 
gegen  Mose  und  sprach:  warum 
hast  du  mich  heraufgeführt  aus 
Ägypten,  mich  und  meine  Kinder 
und  mein  Vieh  vor  Durst  zu 
töten? 


Da  hatte  das  Volk  kein  Wasser 
zu  trinken,  und  das  Volk  zankte 
mit  Mose  und  sie  sprachen:  gebt 
uns  Wasser  zu  trinken!  und 
Mose  sprach  zu  ihnen:  was  zankt 
iln*  mit  mir!  was  versucht  ihr 
den  Jahve! 

Worauf  bezieht  sich  ferner  D^'  v.  6?  und  wie  verhält  sich  der 
Fels  am  Horeb  zu  dem  Hügel  bei  Raphidim  v.  8  s.?  Ich  weiss 
550  keine  Antwort  auf  diese  Fragen.  Auch  in  Bezug  auf  17,  8 — 16 
weiss  ich  nicht,  ob  der  beim  Quellenfinden  sachlich  notwendige 
Stab  Moses  beweisend  ist  für  den  gleichen  Ursprung  dieses  und  des 
vorhergehenden  Stückes.  Derselbe  schliesst  allerdings  Q  bestimmt 
aus,  und  erweckt  ein  Vorurteil  für  E,  kommt  aber,  wenngleich 
in  viel  geringerer  Bedeutung,  auch  in  J  vor  Exod.  4,  1  ss.,  so  dass 
er  zwischen  J  und  E  kein  sicheres  Kriterium  bildet.  Die  Aus- 
drücke "i:i:i  und  V:hr\  erscheinen  wieder  32,  18,  ebenfalls  in  einer 
Erzählung  wo  Mose  und  Josua  die  Hauptpersonen  sind.  Am  Schluss 
ist  V.  15  s.  eine  wenig  entsprechende  Ausführung  des  Befehls  v.  14, 
obwol  der  Zweck  des  Buchs  und  des  Altars  der  selbe  ist. 

Kap.  18  ist  ein  im  Ganzen  heiles  Stück  aus  E.  Besonders 
gilt  dies  füi-  18,  13—27,  vgl.  U^rh^  v.  15.  16.  19  (ter).  21.  23 
und  die  Parallele  Num.  11,  16  s.  24 — 30.  Darnach  auch  füi-  18, 
1—12,  vgl.  den  Widerspruch  von  18,  2—6  gegen  4,  20.  24—26. 
2,  22.  Aber  in  dieser  ersten  Hälfte  des  Kapitels  befremdet  der 
ganz  unmotivirte  und  gegenüber  18,  13  ss.  sehr  auffallende  Wechsel 
der  Gottesnamen.  Desgleichen  die  Namen  nn"»  und  ]'>"1D  jriD, 
während  es  von  v.  13  ab  immer  nur  heisst  Hli^D  |Pin.  Ferner  ist 
in  V.  10  deutlich  ein  Duplum  zu  erkennen:  „der  euch  gerettet  hat 
aus  der  Hand  Ägyptens  und  Pharaos,  der  das  Volk  gerettet  hat 
unter  der  Hand  Ägyptens  weg."  Ebenso  v.  1:  „Jethro  hörte,  was 
El  oh  im  Mose  und  Israel  getan  habe,  dass  Jahve  Israel  aus 
Ägypten  geführt  habe  (wo  Elohim  und  Jahve  bestätigend  hinzu- 
tritt)." Darnach  wird  man  geneigt,  auch  v.  8  für  zusammengesetzt 
zu  halten,  zumal  der  ganze  Passus  v.  8 — 10  an  Überfüllung  leidet. 
Es  scheint  somit,  dass  der  Jehovist  in  18,  1 — 12  den  Bericht  von 
E  mit  anderswoher  entlehnten  Zügen  versetzt  hat.  Auf  seine  persön- 
liche Rechnung  kommt  wol  das  harmonistische  nTllbt^'  *int<  v.  2, 
auch  hat  er  die  Etymologie  von  Gerson  entweder  hier  nach  2,  22 


Exodus  19— Numeri  10.  81 

oder  wahrscheinlicher  dort  nach  unserer  Stelle  eingesetzt.  —  Es  ist, 
mit  Rücksicht  besonders  auf  v.  13 — 27,  bezweifelt  worden,  ob 
Kap.  18  hier  an  seiner  richtigen  Stelle  stehe.  Nun  ist  freilich  der 
Zusammenhang  hier  überall  nur  ein  ganz  äusserlicher,  lokaler,  die 
Stücke  sind  sehr  lose  an  einander  gereiht,  und  es  macht  innerlich 
kaum  einen  unterschied,  ob  die  (auch  in  ihrem  Inhalt  grossenteils 
sehr  ähnlichen)  Geschichten  des  Wüstenzugs  Exod.  17  oder  Num.  20, 
Exod.  16.  18  oder  Num.  11  erzählt  werden.  Aber  es  scheint  doch, 
dass  in  Kap.  18  die  Israeliten  nicht  erst  frisch  vor  dem  Berge 
Gottes  ankommen,  sondern  schon  länger  dort  lagern  v.  5.  12.  13  ss. 
Auch  sollte  man  meinen,  es  sei  natüidicher,  wenn  die  Anstellung  551 
der  Beamten  auf  die  Gesetzgebung^)  folge,  als  umgekehrt. 

Die  Gesetzgebung  und  der  Aufenthalt  am  Sinai. 
Ex.  19— Num.  10. 

1.  War  bisher  in  der  Erzählung  von  Genesis  und  Exodus, 
trotz  ihrem  complicirten  Charakter,  doch  ein  natürlicher  Gang,  ein 
angemessener  Fortschritt  leidlich  zu  verfolgen,  so  wird  das  von  jetzt 
ab  anders,  und  zwar  deshalb,  weil  das  Vierbundesbuch,  dessen  dünner 
historischer  Faden  bisher  ohne  merkliche  Störung  in  dem  kompakteren 
Gewebe  des  jehovistischen  Geschichtsbuchs  mit  unterlaufen  konnte, 
nunmehr  in  sein  eigentliches  Element,  die  Gesetzgebung,  eintritt 
und  dadurch  so  kolossal  anschwillt,  dass  es  eigentlich  ein  Ding  der 
Unmöglichkeit  war,  seitdem  die  Verschmelzung  von  Q  und  JE  noch 
weiter  fortzusetzen.  „Durch  eine  höchst  traurige,  unbegreifliche 
Redaktion  werden  diese  vier  letzten  Bücher  Moses  ganz  ungeniess- 
bar.  Den  Gang  der  Geschichte  sehen  wir  überall  gehemmt  durch 
eingeschaltete  zahllose  Gesetze,  von  deren  grösstem  Teile  man  nicht 
einsehen  kann,  warum  sie  hier  angeführt  und  eingeschaltet  werden." 
Indessen  giebt  es,  um  sich  in  diesem  Labyrinth  zu  finden,  ein  ein- 
faches und  im  Ganzen  richtiges  Mittel,  nämlich  „sorgfältig  zu  sondern, 
was  eigentliche  Erzählung  ist  von  dem,  was  gelehret  und  geboten 
wii'd."  Anerkanntermassen  gehört  die  Masse  des  gesetzlichen  Stoffes 
zu  Einer  Schicht,  zu  Q  im  engeren  oder  weiteren  Sinne,  nämlich 
Exod.  25,  1—31,  17.  Kap.  35—40.  Lev.  1—27.  Num.  1,  1—10,28. 

1)  Die  TTl^lim  D^lvJ^  ""pn  sind  zwar  y.  16.  20  keine  fertigen  Gesetze, 
sondern  die  bei  den  jedesmaligen  Anlässen  stets  neu  geschöpften  Rechtsent- 
scheidungen (v.  19),  aber  sie  scheinen  doch  die  Unterweisung  Moses  auf  dem 
Sinai  und  seinen  Verkehr  daselbst  mit  Gott  schon  vorauszusetzen. 

Well  hau  seil,    Comp.   d.   Hexateuchs.   3.    Aufl.  Q 


82  I^ie  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

Hiervon  werden  wir  also  absehen  und  zu  untersuchen  bleibt  dann 
nur  noch  übrig  Exod.  19—24.  31,  17—34,  35.     Num.  10,  29  ss. '). 
Es  wird  hier  Folgendes  berichtet.     Am  Sinai  angelangt,    wird 
Israel  zunächst  durch  Mose  auf  die  bevorstehende  Theophanie  vor- 
bereitet,  darnach   fährt  Jahve  unter  Donner  und  Blitz   nieder  auf 
den  heiligen  Berg  und    verkündet   dem  Volke  mit   lauter  Stimme 
552  die  Zehn  Gebote  19,  1 — 20,  18.     Erschreckt  bitten  sie,  Mose  möge 
für  etwaige  weitere  Offenbarung  die  Vermittlung  übernehmen.     Das 
geschieht,  Mose  allein  naht  sich  Gotte,  welcher  ihm  die  Gesetze  zu 
Av eiterer  Publicirung  mitteilt  20,  19 — 23,  33.     Alle  die  Worte  und 
Rechte,  die  er  empfangen,  legt  Mose  nun  dem  Volke  vor  und  ver- 
pflichtet dasselbe  in  aller  Form  auf  den  Codex,  worin   er  sie  ver- 
zeichnet hat.     Danach  'geht  er  in  Josuas  Begleitung  wieder  hinauf 
zu  Jahve,  und  verweilt  dort  vierzig   Tage.     Jahve  redet   mit   ihm 
und  giebt  ihm  zum  Schluss  die  zwei  Tafeln  des  Zeugnisses  Kap.  24. 
31,  18.     Während  der    langen    Abwesenheit    ihres  Führers    haben 
sich  die  Israeliten  unten   das   goldene   Kalb   gemacht;   darüber   er- 
grimmt,  zerschmettert  Mose   die  Gesetzestafeln   und  vernichtet  das 
Idol,  dann  aber  bittet   er  wiederum  bei  Jahve  für  Israel.     Davon 
indes,  dass  das  Volk  bei   ihm   am  Sinai  bleibe,  will   dieser  nichts 
wissen;  es  müsse  fort  von  der  heiligen  Stätte.     Doch  soll  die  Lade 
und  die  Stiftshütte  ihm  die  unmittelbare  Gegenwart  Gottes  ersetzen 
Kap.  32.  33.     Mose  erhält  nun  noch  eine  Offenbarung,   es  werden 
ihm  abermals  Worte  mitgeteilt,   welche  Jahve  dem  Volk  befiehlt; 
abermals  bleibt  er  vierzig  Tage  bei  Gott,   um  die  zehn  Worte  auf 
steinerne  Tafeln    zu    schreiben  Kap.  34.     Demnächst    brechen    die 
Israeliten  auf  vom  Sinai,   nunmehr    von    der  Lade  Jahves    geführt 
Num.   10. 

Ein  naturgemäss  fortschreitender  Zusammenhang  lässt  sich  hier 
nicht  einmal  im  Ganzen  und  Grossen  erkennen.  Nach  der  Ver- 
kündigung des  Dekalogs  verweilt  Mose  ein  erstes,  ein  zweites,  ein 
diittes  Mal  bei  Jalive  auf  dem  Sinai,  immer  zu  dem -gleichen 
Zweck,  gesetzliche  Mitteilungen  von  ihm  entgegen  zu  nehmen. 
Offenbar  ist,  nach  dem  ersten  Male  20,  21.  24,  3,  die  Aufzeichnung 
aller  Worte  und  Rechte  Jahves  in  ein  Buch  und  die  kontraktliche 
Verpflichtung  des  Volkes  darauf  ursprünglich  gemeint  als  der  förm- 


^)  mit  dem  Vorbehalt,  dass  vielleicht  auch  hier  sich  noch  kleinere  Stücke 
aus  Q  finden,  auf  die  wir  zum  Schlüsse  zurückkommen  werden. 


Exodus  19— Numeri  10.  83 

liehe  Abschluss  der  Gesetzgebung  24,  3 — 8;  gegenwärtig  aber  ist 
es  ein  blosses  Intermezzo.  Denn  kaum  ist  die  Feierlichkeit  vor- 
über, so  geht  Mose  (mit  Josua)  wieder  hinauf  zu  Gott  und  ver- 
weilt dort  lange  Zeit,  während  welcher  Gott  nochmals  zu  ihm 
redet,  jedenfalls  Worte  gesetzlichen  Inhalts.  Endlich  finden  wir 
Mose  Kap.  34  zum  dritten  Mal  eine  lange  Weile  auf  dem  heiligen 
Berge,  zum  dritten  Mal  empfängt  er  hier  Worte  und  schi'eibt  sie 
auf  zwei  Steintafeln  v.  27  s.  Dieser  letzte  Aufenthalt  bei  Jahve 
wird  freilich  durch  den  Zweck  motivii-t,  die  zerbrochenen  ersten 
Tafeln  wieder  herzustellen  —  aber  konnte  Mose  das  nicht  ebenso 
gut  unten  besorgen,  da  ihm  Jahve  ja  doch  auf  dem  Berge  nicht 
das  bereits  frülier  Mitgeteilte  noch  einmal  diktirt,  sondern  ganz  553 
Neues  gebietet?  Und  warum  zeigt  sich  erst  das  dritte  Mal  der 
Abglanz  Jahves  auf  dem  Angesicht  Moses?  Oline  Zweifel  stehn 
alle  diese  drei  Aufenthalte  Moses  auf  dem  Sinai,  wälii'end  deren 
er  längere  Zeit  intim  mit  Gott  verkelii't  und  Weisungen  empfängt, 
eigentlich  auf  gleicher  Linie;  keiner  setzt  ursprünglich  einen,  ge- 
schweige zwei  andere  voraus,  ilu^e  Aufeinanderfolge  ist  unpragma- 
tisch im  höchsten  Grade,  ilu'e  gegenseitige  Beziehung  völlig  künst- 
lich. Geht  man  nun  weiter  in  die  Einzelheiten  ein,  so  steigert 
sich  noch  die  Verwirrung.  In  Kap.  19  steigt  Mose  stets  den  Sinai 
auf  und  ab  —  keine  Kleinigkeit:  man  alint  nicht  zu  welchem 
Zwecke.  In  Kap.  24  am  Anfang  und  Schluss  ist  es  kaum  möglich, 
sich  zu  Orientiren,  auch  Kap.  33  hinterlässt  vorzugsweise  den  Ein- 
di'uck  der  Confusion.  Wenn  irgendwo,  so  ermöglicht  hier  nur  die 
kritische  Analyse  ein  Sachverständnis,  freilich  gerade  hier  eine 
sehr  schwierige  und  bisher  kaum  angegriffene  Arbeit.  Ich  will 
versuchen,  die  Erzählungsfäden  zu  entmrren,  ohne  mich  dabei  vor 
der  Hand  viel  um  die  Durchfülii'ung  der  bisherigen  Quellenschei- 
dung zu  kümmern. 

2.  Ich  setze  an  bei  Kap.  34.  Zu  dem  Befehl  vom  Sinai  auf- 
zubrechen 33,  Iss.  ist  der  wirkliche  Aufbruch  Num.  10,  29  die 
wahre  Fortsetzung.  Dieser  Sachverhalt  wird  nun  durch  das  Da- 
zwischentreten von  Kap.  34  ganz  unklar:  es  kann  unmöglich  hier 
seine  richtige  Stelle  haben.  Wer  versteht  den  Übergang  von  33, 
1 — 11  auf  Kap.  34?  und  wie  entspricht  der  Ankündigung  33,  17 — 23 
die  folgende  Ausführung?  ist  das  weiter  nichts,  als  die  Erfüllung 
der  etwas  neugierigen  Bitte:  lass  mich  deine  Herrlichkeit  schauen? 
Man  betrachte  einmal  näher  den  Inhalt  des  34.  Kapitels.     „Sei  be- 

6* 


84  I^ie  Erzählung-  der  ülirigen  Bücher  des  Ilexateuchs. 

reit  morgen  früli  und  komm  herauf  auf  den  Bersi  Sinai  und  stell 
dich  mir  dort  auf  dem  Gipfel  des  Berges.  Und  niemand  gehe  mit 
dir  herauf  und  soll  auch  niemand  sich  sehen  lassen  am  ganzen  Berge, 
auch  die  Schafe  und  Rinder  sollen  nicht  gegen  den  Berg  zu  weiden." 
Ist  das  nicht  der  erste  derartige  Befehl  an  Mose,  eine  einfachere 
imd  kürzere,  aber  deutliche  Parallele  zu  Kap.  19?  wozu  sonst  an 
dieser  Stelle  die  Vorbereitungen  v.  4?  „Da  machte  sich  Mose  früh 
am  andern  Tage  auf  imd  stieg  auf  den  Bercj  Sinai  mit  den  Tafeln 
in  der  Hand,  und  Jahve  fuhr  hernieder  im  Gewölk  und  stellte 
sich  dort  neben  ilm  imd  er  rief  den  Namen  Jahves  an."  Aber 
Jahve  ist  ja  längst  oben?  was  soll  es,  dass  er  erst  jetzt  hernieder- 
fährt?  Kaim  man  zweifeln,  dass  34,  5  mit  19,  18.  20  völlig  auf 
gleicher  Linie  steht?  Als  ob  vorher  noch  gar  nichts  dergleichen 
554  geschehen  wäre,  heisst  es  dann  weiter  v.  10.  11:  „ich  bin  im  Be- 
griff, einen  Bund  zu  schliessen,  halte,  was  ich  dir  heute  befehle" 
—  von  einer  Restam'ation,  ^vie  man  sie  nach  Kap.  32  s.  erwartet, 
ist  nicht  entfernt  die  Rede,  wie  denn  auch  gleich  darauf  nicht  die 
alten,  sondern  andere  und  bisher  noch  nicht  dagewesene  zehn  Worte 
geoftenbart  und  von  Mose  auf  die  Tafeln  geschrieben  werden.  Wenig- 
stens ist  es  nicht  abzusehen,  worauf  sonst  „diese  Worte"  v.  27 
sich  beziehen  können,  als  auf  die  eben  vorher  von  Jahve  verkün- 
deten^). In  jedem  Punkte  bestätigt  sich  der  genaue  Parallelismus 
unseres  Kapitels  mit  Ex.  19.  20:  es  will  nicht  die  dritte,  sondern 
die  erste  und  einzige  Gottesoffenbarung  am  Sinai  erzählen. 

Die  Verbindung  von  Kap.  34  mit  dem  Vorhergehenden  ist  da- 
dm*ch  ermöglicht,  dass  Mose  die  Tafeln,  die  ihm  31,  18  gegeben 
sind,  zerbricht  und  nun  also  neue  empfangen  soll.  Gerade  aber 
in  diesem  Punkte,  bei  den  TafeLü,  zeigt  sich  die  Fuge.  Sie  sind 
in  Kap.  34  nicht  die  Copie  der  früheren,  sondern  andere,  von  Moses 
Hand  gehauen  und  gescluieben,  nicht  vom  Finger  Gottes.  Sie 
heissen  auch  anders,  nicht  jD.N  HFib,  sondern  D''J2.X  "h.  Jene  Ver- 
mittlung ist  also  die  Idee  eines  Harmonisten.  In  Kap.  34  ist  die 
Hauptnaht  zu  erkennen  in  den  Worten  n"i:i*^'  —  D''Jt^N"lD  v.  1, 
welche  in  eklatantem  Widerspruch  stelm  zu  v.  27  und  sich  auf 
die  Vorstellung  31,  18  gründen^).     Sonst  hat  der  Bearbeiter  sich 

^)  Vgl.  Goethes  zwo  bibhsche  Fragen:  erste  Frage:  Was  stund  auf  den 
Tafeln  des  Bundes? 

2)  Vgl.  noch  die  40  Tage  34,  27,  die  zu  denen  24,  18  in  gar  keine  Be- 
ziehung gesetzt  sind. 


Exodus  19— Numeri  10.  85 

in  Kap.  34  weniger  mit  Redigiren  abgegeben,  als  vielmehr  mit  Ein- 
fügung erbaulicher  Zusätze.  Nicht  in  dem  Dekalog  v.  14 — 26 
selber,  denn  obwol  derselbe  die  gewiss  einst  deutlich  erkennbare 
Zehnzahl  der  Worte  jetzt  nur  verdeckt  in  vermehrter  Ausgabe  auf- 
w^eist^),  so  scheint  doch  diese  Erweiterung  alt  zu  sein.  Dahin-  555 
gegen  in  v.  6 — 9.  Die  Bezugnahme  auf  den  Sündenfall  des  Yolks, 
also  die  Hand  des  Harmonisten,  ist  hier  unschwer  zu  erkennen, 
und  es  zeigt  sich  denn  auch,  dass  weder  v.  9  mit  dem  Folgenden, 
noch  V.  6  mit  dem  Vorhergehenden  den  gehörigen  Anschluss  hat. 
Der  10.  Yers  entspricht  keineswegs  als  Antwort  der  Bitte  Moses 
in  V.  9,  und  was  v.  6  betrifft,  so  deckt  sich  TiJD  bv  ''''  *!D.J^^1  nicht 
mit  D^  )DV  ^KiP"']  V.  5.  Eine  Theophanie  als  Einführung  des  gött- 
lichen Redners  ist  allerdings  zwischen  v.  5  und  v.  10  ganz  am 
Orte,  aber  wenn  die  ursprüngliche  Erzählung  eine  solche  enthielt, 
so  ist  es  doch  nicht  die,  welche  wir  jetzt  hier  finden.  Diese 
letztere  ist  wol  erst  erzeugt  durch  die  Absicht,  das  zu  naive  und 
darum  anstössige  Jahve  stellte  sich  dort  zu  Mose  hin  v.  5 
authentisch  zu   erklären,   und'  dabei  lief  das  Misverständnis   unter, 

')  Lehrreich  ist,  dass  34,  24  in  23,  17—19  fehlt.  Die  10  Gebote  sind: 
1.  Du  sollst  keinen  anderen  Gott  anbeten.  2.  Gussgötter  sollst  du  dir  nicht 
machen.  3.  Das  Mazzothfest  sollst  du  feiern.  4.  Alle  Erstgeburt  ist  mein. 
5.  Sechs  Tage  sollst  du  arbeiten  und  am  siebten  Tage  ruhen.  6.  Dreimal  im 
Jahre  sollen  alle  deine  Männer  (?)  vor  mir  erscheinen.  7.  Du  sollst  nicht  mit 
Saurem  das  Blut  meines  Opfers  vermischen  (?).  8.  Das  Fett  meines  Festes 
soll  nicht  bis  zum  anderen  Morgen  übrig  bleiben.  9.  Das  Beste  der  ersten 
Feldfrüchte  sollst  du  ins  Haus  Jahves  deines  Gottes  bringen.  10.  Du  sollst 
das  Böckchen  nicht  in  der  Milch  seiner  Mutter  kochen."  V.  22  gehört  nicht 
an  seine  jetzige  Stelle  (gegen  Goethe  a.  0.);  der  ältere  Wortlaut  von  Nr.  8  ist 
23,  18  erhalten.  Die  ersten  beiden  Gebote  sind  die  selben  wie  Exod.  20,  das 
zweite  hat  jedoch  hier  eine  weit  beschränktere  Fassung.  Wie  Exod.  20,  25  nicht 
die  Altäre  überhaupt,  sondern  nur  gewisse  künstliche  Altäre  verboten  werden, 
so  hier  nur  die  Gussbilder,  nicht  Bilder  und  Symbole  überhaupt.  Statt  der 
sittlichen  Gebote,  die  Exod.  20  die  Hauptsache  sind,  erscheinen  Kap.  34  lauter 
Opfer-  und  Festgesetze;  es  hängt  damit  zusammen,  dass  dort  der  Einzelne, 
hier  das  Volk  angeredet  ist,  denn  der  Kultus  ist  Sache  der  Gesamtheit,  die 
Moral  des  Einzelnen.  —  Wir  wissen  aus  Amos  und  namentlich  aus  Hosea, 
welche  ungemeine  Wichtigkeit  die  Feste  für  das  alte  Volk  hatten  und  wie  in 
ihrer  Feier  eigentlich  die  ganze  Religion  aufging.  Sehr  merkwürdig,  dass 
Exod.  20  nur  der  Sabbath  und  kein  einziges  Fest  geboten  wird.  Gegen  den 
unsrigen  bezeichnet  dieser  erste  Dekalog  einen  äusserst  bedeutenden  Fortr 
schritt:  er  verhält  sich  zu  ihm  wie  Arnos  zu  seinen  Zeitgenossen. 


85  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

als  sei  nicht  Mose,  sondern  Jahve  das  Subjekt  von  mni  Cl^'D.  N''ip''V 
Der  Vf.  von  v.  6—9  ist  natürlich  der  von  33,  12—23.  Auf  ihn 
muss  auch  sehr  Vieles  in  34,  10 — 13  zurückgeführt  werden.  Es 
liegt  auf  der  Hand,  dass  die  Verse  12.  13  sich  gründen  auf  v.  15. 
16,  den  Inhalt  derselben,  eine  Erklärung  des  v.  14,  unpassender 
Weise  vorwegnehmen  und  ihn  dazu  in  einer  Weise  verstehn,  die 
gCAviss  nicht  der  ursprünglichen  Absicht  entspricht,  nämlich  in  deu- 
teronomischem  Sinne,  als  abzweckend  auf  lokale  Einheit  des  Kul- 
tus, vgl.  Deut.  7,  5.  12,  3.  2  Reg.  23,  12  —  15.  Wir  haben  hier 
den  Jeho^dsten,  dessen  (?)  Verwandtschaft  mit  dem  Deuteronomium 
wir  bereits  öfter  Gelegenheit  gehabt  zu  constatiren.  In  v.  10  fühi't 
auf  ihn  das  Wort  ^^^^^  welches  keine  seiner  Quellen  gebraucht,  in 
V.  11  wol  die  Aufzählung  der  sechs  Völker,  welche  wenigstens 
bisher,  wie  ich  jetzt  sehe,  fast  immer  nur  an  überarbeiteten  Stellen 
556  vorgekommen  ist.  Von  der  ursprünglichen  Erzählung  hat  der  Jeho- 
vist  die  Bundschliessung,  die  hier  Mose  als  Vertreter  Israels  voll- 
zogen haben  muss,  ausgelassen  und  ausserdem  den  Schluss  nach 
V.  28.  Denn  34,  29 — 35  ist  nicht  die  Fortsetzung  des  Vorher- 
gehenden, wie  vorläufig  aus  mpn  Pnb  v.  29,  mv^  C\s*t!On  v.  31 
erhellen  möge. 

3.  Sondern  wir  nun  Kap.  34  ab  und  untersuchen  das  Übrige, 
so  lassen  sich  hier  zwei  Berichte  ziemlich  gut  unterscheiden.  Zu- 
erst 19,  10—19  vgl.  mit  19,  20—25.  Nachdem  Jahve  bereits 
längst  auf  den  Sinai  herabgestiegen,  wird  dies  v.  20  als  etwas 
Neues  berichtet.  Nachdem  bereits  längest  der  Befehl,  den  Sinai 
durch  Einhegung  (blü:  Ezech.  40,  11)  füi'  jedermann  unnahbar  zu 
machen,  gegeben  und  ausgeführt  ist,  wird  er  v.  21  s.  noch  ein- 
mal wiederholt;  der  Einsatz  des  Verarbeiters  v.  23,  statt  über 
diese  Schwierigkeit  hinweg  zu  helfen,  macht  nur  darauf  aufmerk- 
sam. Als  die  bedeutendste  sachliche  Verschiedenheit  hebe  ich 
hervor,  dass  nach  19,  10 — 19  Mose  während  der  Theophanie  unten 
beim  Volk  ist  und  Gott  mit  lauter  Stimme  zu  ganz  Israel  redet, 
während  er  nach  der  Meinung  von  v.  20 — 25  bei  Jahve  sich  be- 
findet, der  von  vornherein  ihm  allein  sich  mitteilt.  Versucht 
man,  diese  beiden  Versionen  weiter  zu  verfolgen,  so  ist  zunächst 
klar,  dass  der  Dekalog  zu  Nr.  1  gehört,  da  derselbe  dem  Volke 
nicht  erst  durch  Mose,  sondern  unmittelbar  von  Gott  selbst  ver- 
kündet wird.  Was  auf  den  Dekalog  folgt,  das  s.  g.  Bundesbuch, 
weist  die  herrschende  Meinung  ebenfalls  zu  dem  Faden  von  Nr.  1, 


Exodus  19— Numeri  10.  37 

und  unleugbar  ist  20,  18 — 22  der  Übergang  von  den  Geboten,  die 
Gott  unmittelbar,   zu  denen,   die  er  an  und  durch  den  Mittler  er- 
gelm   lässt,    sehr  geschickt  und  natürlich   gemacht.      Die    weitere 
Fortsetzung  würde    dann  24,  3 — 8  sein,    der    notwendige   Schluss 
des  Bundesbuchs  Kap.  21 — 23.     Dies  Stück  wird  denn  auch  regel- 
mässig zu  Nr.  1  gerechnet  und  darnach  also  19,  10 — 19.  Kap.  20 — 23. 
24,  3 — 8  als  Ein  Zusammenhamg  angesehen.    Aber  zwei  Bedenken 
erheben  sich  hiergegen.     Erstens  kann  das  Stück  24,  3 — 8,  in  so 
enger  Beziehung  es  einerseits  zu  Kap.  21 — 23  steht,  andererseits  doch 
nicht  mit  dem  Dekaloge  in  Verbindung  gesetzt  werden.     Auf  diesen 
verpflichtet  sich  nämlich  das  Volk  hier  nicht,  sondern  nur  auf  das 
was  Mose    ihnen  kund    getan    und    aufgeschrieben  hat  v.  3.  4. 
Obwol   die  Worte  Jahves   von   den  Rechten  unterschieden  werden, 
so  erlaubt  doch  das  CV^  "1?l5^1  nicht,  darunter  den  Kap.  20  bereits 
in  so  viel  eindringlicherer  Weise  publicirten  Dekalog  zu  verstehn  — 
andererseits   ist   es   aber  unnatürlich  bis    zur  Unmöglichkeit,    dass 
jener,  wenn  er  vorhanden  war,   nicht  mit  beschworen  wurde.     Da  557 
nun  auch  v.  3  s.  7   ausdrücklich  hervorgehoben  wird,    alle    bisher 
gegebenen  Worte  und  Rechte  Jahves  seien  den  Israeliten    mitge- 
teilt und  von  ihnen  feierlich  anerkannt,  so  bleibt  einzig  übrig,  dass 
24,  3—8  den  Dekalog  nicht  kennt.      Zweitens  erhebt  sich   gegen 
die    Herleitung    von  Zehngöbot    und    Bundesbuch    aus    der    selben 
Scln-ift    das  Bedenken,    dass    die  Erzählung    vom    goldenen  Kalbe 
(und     ihre  Vorbereitung  24,  12 — 15),    welche  sicherlich    nicht    zu 
24,  3 — 8  die  Fortsetzung  ist  ^)  und  mit  dem  Bundesbuch  nichts  zu 
tun  hat,  ihrer  Grundlage  nach  scheint  elohistisch  zu  sein  und  den 
gleichfalls  elohistischen  Dekalog  vorauszusetzen').      Man  wird  also 
genötigt,    das  Bundesbuch  von    dem  Dekalog  zu    trennen    und    es 
mit  der  Kap.  19,  20 — 25  aufgewiesenen  zweiten  Version  der  Gesetz- 
gebung   auf  Sinai  zu    verbinden.      Gemäss  dem  Befehl  19,  24  — 

^)  Vielmehr  sind  24,  1,  2.  9 — 11,  die  mit  y.  3—8  und  dem  Bundesbuch 
nichts  zu  tun  haben,  in  Zusammenhang  gesetzt  mit  24,  1'2  ss.,  also  auch  mit 
Kap.  32.     Vgl.  das  p.  88s.  Bemerkte. 

^)  Dadurch  qualificirt  sich  erst  der  Abfall,  und  man  wird  auch  nach  Ana- 
logie von  Kap.  34  berechtigt  sein  anzunehmen,  dass  ein  Dekalog  und  zwar 
der  von  Exod.  20  auf  den  beiden  Tafeln  24,  12.  31,  18  geschrieben  stand. 
Übrigens  vgl.  32,  18  'n^;i  und  li^'pn  in  Verbindung  mit  Mose  und  Josua, 
auch  D'in^N*  31,  18.  32,  16,  b^^r\l/^  ^Jn  32,  20  (nicht  in  J).  In  24,  14  ist 
das  Personal  das  gleiche  wie  17,  8.  10  und  Mose  wird  hier  grade  so  als  viel- 
beschäftigter Richter  angesehen  wie  in  Kap.  18,  13  ss. 


gg  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

WOZU  sonst  die  Ausführung  vermisst  würde  —  naht  sich  Mose  in 
das  Dunkel  und  empfängt  die  Worte  und  Rechte,  die  er  dann  dem 
Volk  A^erkündigt,  sie  aufschreibt  und  beschwören  lässt.  Der  Über- 
gang 20,  21  s.  kann  dann  erst  von  redigirender  Hand  herstammen. 
Ich  mache  darauf  aufmerksam,  dass  man  v.  19  nach  dem,  was  gegen- 
wärtig folgt,  erwarten  wüi'de:  Gott  rede  mit  dir,  aber  nicht  mit 
uns  —  wie  Deut.  5,  24.  Wenn  es  nun  in  der  Tat  heisst:  rede 
mit  uns,  so  wird  eine  alsbaldige  Fortsetzung  der  Rede  Gottes 
nicht  in  Aussicht  genommen  und  der  Gegensatz  ist  nicht  der  zwi- 
schen Exod.  20  und  Exod.  21 — 23,  sondern  zwischen  der  einma- 
ligen Gesetzgebung  am  Sinai  direkt  durch  Gott  und  der  ganzen 
folgenden  Leitung  des  Volks  durch  Mose  und  seine  Nachfolger. 

Man  wird  Exod.  19,20—25  .  .  .  20,23—26.  Kap.  21— 23. 
24,  3 — 8  für  J  in  Anspruch  nehmen  dürfen.  Der  Bericht  ist  voll- 
ständig bis  auf  den  Übergang  von  19,  25  auf  20,  23,  in  welchem 
gestanden  haben  muss,  dass  Mose,  nachdem  er  dem  Volke  den  Zu- 
558  tritt  zum  Berge  und  das  Zuschauen  streng  untersagt,  einsam  zu 
Jahve  wieder  emporgestiegen,  älmlich  wie  20,  21.  Heikliger  ist 
es,  den  auf  elohistischer  Grundlage  beruhenden  Rest  19,  10 — 19 
20,  1—19  .  .  .  24,  1.  2.  9-140-  ...  31,  18,  Kap.  32  unter 
einen  Hut  zu  bringen.  Mit  dem  Dekalog  hat  hier  die  eigentliche 
Gesetzgebung  auf  Sinai  ein  Ende.  Mose  wird  dann,  um  noch 
weitere  Mitteilungen  zu  empfangen  —  nicht  bloss  um  die  Tafeln 
abzuholen  —  hinaufberufen  zu  Gott,  aber  diese  werden  nicht  auch 
publicirt,  es  handelt  sich  vielmehr  um  einen  Privatunterricht,  der 
ihn  befähigt,  so  oft  es  nötig,  statt  Gottes  zu  reden  zu  dem  Volke 
20,  19,  und  die  Thora  als  lebendige  Potenz  in  ihn  hineinlegt  — 
die  40  Tage  sind  hier  gewissermassen  die  Lehrzeit  des  Jüngers  bei 
dem  Meister.  Dies  im  ümriss  der  Zusammenhang,  der  nach  der 
wahrscheinlich  richtigen  Auffassung  des  Deuteronomiums  getragen 
ist  von  dem  Gegensatz  der  thora  explicita  und  implicita.  Aber 
wie  gliedern  sich  die  70  Ältesten  24,  1.  2.  8 — 11  da  hinein?  In 
Kap.  32  wird  nirgend  an  sie  gedacht,  dass  sie  auf  halber  Höhe  des 
Berges  warten,  und  schon  24,  12  ss.  sind  sie  vergessen;  denn  wie 
Nöldeke  zeigt  ist  1DN  D^JplH  'P5^1  vermutlich  harmonistische  Cor- 
rectur  für  1DN*  cyn  bx.  Aharon  und  Hur  können  doch  nur  den 
Israeliten  als  interimistische  Richter   gesetzt  werden,    nicht    den 


1)  ausserdem  24,  15    inn~bN  H^'D  ^J?""!  und  24, 18  von  "inn'bx  'pyi  an. 


Exodus  19— Numeri  10.  89 

70  Ältesten,  als  ob  es  wahrscheinlicli  wäre,  dass  unter  ihnen 
Streitigkeiten  ausbrächen.  Auch  mit  20,  19  oder  20,  20  hat  24,  1 
schlechten  Anschluss,  dagegen  24,  12  sehr  guten.  Ich  glaube  also, 
dass  24,  1.2.  9 — 11  ein  Einschiebsel  ist.  Aber  in  E,  nicht  in  J 
oder  JE.  Die  Situation  ist  24,  1  s.  die  von  20,  20,  nicht  die  von 
24,  3 — 8,  Mose  befindet  sich  noch  bei  dem  Volke  unten  am  Berge. 
Die  Klammer  24,  2  nimmt  Rücksicht  auf  24,  12,  nicht  auf  24, 
3 — 8.  Die  Sprachfarbe  v.  8 — 11,  obwol  in  v.  10  an  Q  und 
Ezechiel  erinnernd,  ist  jedenfalls  eher  elohistisch  als  jahvistisch, 
vgl.  DM^PN  und  nin  V.  11  mit  18,  21,  überhaupt  v.  11  mit 
18,  12. 

4.  Die  beiden  Berichte,  die  wir  eben  in  grossen  Zügen  aus- 
zuscheiden versucht  haben,  sind  nun  aber  vom  Jehovisten  stark 
überarbeitet.  Ich  will  das  zunächst  für  die  gesetzlichen  Stücke 
nachweisen,  Exod.  19 — 23.  Einige  Stellen  des  Dekalogs  sind  deute- 
ronomisch  gefärbt,  so  "jn^t^*!!  ^>^'^  "[i:  v.  10,  cnn.y  n^nD  v.  2  und 
ganz  V.  6  (besonders  auffallend  "ȟriN).  Es  hat  also  wol  eine  559 
Rückströmung  aus  Deut.  5  in  Exod.  20  stattgefunden:  der  Jehovist(?) 
hat  deuteronomische  Zusätze  nachgetragen.  Die  Motivirung  des 
Sabbathgebots  in  v.  11  rührt  erst  vom  letzten  Redaktor  des  Pent. 
her,  der  Q  und  JE  verbunden  hat.  Denn  sie  ist  aus  Q  entlehnt, 
d.  i.  aus  einer  Quelle,  aus  der  Exod.  20  jedenfalls  nicht  stammt; 
sie  ist  ausserdem  vom  Vf.  des  Deut,  nicht  vorgefunden,  da  dieser 
sich  bei  dem  Text  der  zehn  Worte  wol  Zusätze,  aber  keine  ein- 
zige Auslassung^)  gestattet.  Im  Bundesbuche  scheinen  die  Rechte, 
die  sich,  materiell  und  formell  als  bedingte  Sätze  leicht  unter- 
scheidbar, von  21,  11 — 22,  16  erstrecken,  ganz  intakt  erhalten  zu 
sein.  Von  den  Worten  (24,  3)  gilt  nicht  das  Gleiche.  Eigen- 
tümlich ist  die  Erscheinung,  dass  wähi'end  sonst  überall  der  Sin- 
gular Du  in  der  Am-ede  gebraucht  wird,  in  dem  Stück  22,  17 — 30 
einzelne  Ihr  auftauchen  und  zwar  in  sehr  abrupter  Weise.  Ich 
glaube,  dass  der  Plural  hier  als  Leitfaden  benutzt  werden  kann, 
um   jehovistische  Zutaten    zu    entdecken.     Er    kommt    zuerst    vor 


^)  Ich  erlaube  mir  zu  bemerken,  dass  das  apriorische  und  consequente 
Vorziehen  des  Exodustextes  unverständig  ist.  Das  )  vor  njIDPl  vD  v.  4  ist 
falsch,  da  sich  "^t^N  auf  n^ICsH  bezieht  und  dies  Wort,  ein  Genitiv  zum  vor- 
angehenden st.  estr.,  nichts  bedeutet,  was  mit  vöD  zu  coordiniren  wäre.  In 
V.  15  ist  "Ipt^  ly  eine  blosse  Erklärung  von  ^W  ly?  auch  v.  7  steht  ^W 
in  diesem  Sinn. 


90  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateiichs. 

V.  20 — 23.  Hier  ist  einmal  deutlich,  class  IHN  v.  22  sich  auf  den 
"i::  zurückliezieht,  also  der  Yers  nicht  v.  20  b.  21,  sondern  nur 
V.  20  a  voraussetzt,  sodann,  dass  die  Drohung  in  v.  23  ein  Mmium 
ist  nach  der  vorhergegangenen  in  v.  22  (=  26).  Wieder  erscheint 
der  Plural  im  Schluss  von  v.  24,  in  einer  verschärfenden  Glosse 
zu  ntt'JD  ib  nTH  Na  Dann  noch  einmal  in  v.  30:  heilige  Männer 
sollt  ihr  mir  sein  und  kein  zerrissenes  Fleisch  essen.  Der  hier 
ausgesprochene  allgemeine  Grundsatz  passt  nach  meinem  Gefühle 
nicht  zum  Geiste  des  Bundesbuchs  und  das  Verbot  der  HDIÜ  ent- 
spricht nicht  ganz  den  Verordnungen  21,  34.  35.  22,  10.  12.  Auch 
in  23,  1 — 16  kommt  an  zwei  Stellen  das  Ihr  vor,  v.  9b  und  13. 
Offenbar  stammt  v.  9  b  von  der  selben  Hand  wie  22,  20b  und 
enthält  ein  deuteronomisches  Motiv;  v.  13  aber  ist  eine  predigt- 
artige Mahnung,  wie  sie  die  Späteren  lieben.  Nach  alle  dem  stehe  ich 
nicht  an,  auch  20,  23  den  Plural  als  Zeichen  späteren  Zusatzes  zu 
560  beurteilen,  zumal  das  Bilderverbot  gerade  den  Späteren  sehr  am 
Herzen  lag  (Deut.  4). 

Einige  andere  Erweiterungen  und  Änderungen,  die  sich  im 
Bundesbuche  nachweisen  lassen,  sind  vielleicht  schon  vorjehovistisch. 
Aus  Kap.  34  ist  angehängt  23,  17 — 19,  denn  dass  diese  Verse  hier 
nicht  ursprünglich  stehn,  erhellt  aus  der  Vergleichung  von  v.  17 
mit  14,  V.  19b  mit  22,  28')-  Ferner  ist  das  Sprichwort  23,  8  b 
eingeschoben,  denn  wenn  der  Satz  yrÖD  N/  n:i  v.  9  hier  nach 
22,  20  überhaupt  eine  Stelle  haben  soll,  so  muss  er  mit  v.  7  und 
8  a  eng  verbunden  sein,  damit  man  merke,  dass  speciell  von  Be- 
di'ückung  vor  Gericht  die  Rede  sei.  Die  schönen  Verse  23,  4.  5 
unterbrechen  den  materiellen  Zusammenhang  von  v.  1  —  3  und 
V.  6 — 9  und  sind  wol  nachgetragen.  Endlich  möchte  ich  be- 
zweifeln, ob  es  der  ursprünglichen  Anordnung  entspricht,  dass  ein 
Teil  der  Worte  den  Rechten  vorangeht ,  ein  Teil  ihnen  folgt  — 
von  Natur  gehört  wie  das  jus  so  auch  das  fas  zusammen,  20, 
24 — 26  mit  22,  17  ss.  Das  darf  man  behaupten,  wenn  man  auch 
sonst  keine  grossen  Ansprüche  an  die  Redaktion  eines  morgenlän- 
dischen Gesetzbuchs  —  welche  übria'ens  in  diesem  Fall  keineswesfs 
confus  ist  —  stellen  will.  Der  feierliche  Schluss  des  Ganzen  23, 
20 — 33  gehört    zwar  nicht    zu   dem  Codex    selber,    ist    aber    doch 

')  Vermutlich  ist  schon  die  vorhergehende  Festgesetzgebung  des  Bundes- 
buchs in  23,  15  überarbeitet,  vgl.  bes.  "[n""!^  "ll^ND  und  den  schlechten  An- 
schluss  von  Y.  16. 


Exodus  19— Numeri  10.  91 

jedenfalls  nicht  Zutat  des  Jeliovisten,  sondern  stammt  aus  J  und 
macht  das  Gesetzbuch  erst  zum  nnü  15t)  geeignet.  Nur  zwei 
grössere  Zusätze  hat  der  Jehovist  sich  erlaubt.  Einmal  v.  31b. 
32.  32.  Diese  Verse  sind  eine  Korrektur  von  v.  28 — 30  und  stehn 
in  einem  ähnlichen  Widerspruch  zu  ihnen,  wie  Jud.  3,  1.  2  zu 
2,  2.  3.  Beachtenswert  ist  insonderheit,  dass  im  Gegensatz  zu 
V.  31b— 33  in  v.  28—30  Jahve  das  Subjekt  von  t^nji  ist:  es  steht 
dies  eben  nur  in  seiner  Macht  und  nicht  in  der  der  Israeliten, 
kann  also  diesen  weder  als  Pflicht  zugemutet  noch  im  Unterlassungs- 
falle als  Schuld  zugerechnet  werden.  Der  zweite  Zusatz  ist 
V.  22b — 25a.  Denn  es  ist  kein  Platz  für  das  Gebot  in  dieser  Yer- 
heissung,  und  durch  die  Einschieb ung  desselben  kommt  es  völlig  in 
Vergessenheit,  dass  die  Sätze  v.  26  ss.  hier  nicht  als  kategorische, 
sondern  nur  als  bedingte  Aussagen,  als  Apodoses  zu  v.  22  a  einen 
Sinn  haben.  An  dem  Inhalte  von  v.  23 — 25  ist  zudem  nichts  561 
verloren,  es  sind  die  gewöhnlichen  Wendungen  des  Jeliovisten. 

Wichtiger  füi'  die  Durchführung  der  kritischen  Analyse,  aber 
auch  schwieriger  ist  es,  in  den  gescliichtlichen  Stücken  den  Bear- 
beiter auszumitteln.  In  Kap.  19,  welches  von  Dt^  pPI  v.  2  an  zu 
JE  gehört,  ist  der  Jehovist  sehr  frei  mit  seinen  Quellen  umgegangen, 
namentlich  scheint  der  Anfang  v.  3 — 9  mehr  oder  weniger  seine 
Composition  zu  sein  (n'?:it)  nur  im  Deut.),  obwol  vielleicht  für  die 
Vorstellung,  dass  schon  vor  der  erfolgten  Gesetzgebung  das  Volk 
zum  Gehorsam  darauf  verpflichtet  wurde,  E  zu  Grunde  liegt.  Der 
9.  Vers  fügt  sich  nicht  und  scheint  ein  Fragment  aus  anderer 
Quelle,  am  Schluss  desselben  wird  v.  8  wieder  aufgenommen.  In 
V.  10 — 19  und  V.  20—25  lassen  sich  im  Ganzen  und  Grossen  E 
und  J  unterscheiden.  Als  harmonistischen  Zusatz  haben  wir  bereits 
V.  23  erkannt,  mit  dem  natüidich  v.  24  gleich  zu  beurteilen  ist: 
bezeichnenderweise  finden  wir  hier  wieder  Aharon  dem  Mose  bei- 
gesellt. Dass  bei  dem  Übergange  vom  Dekalog  auf  das  Bundes- 
buch der  Jehovist  die  Hand  im  Spiele  habe,  ist  oben  ausführlich 
nachgewiesen,  desgleichen  über  Kap.  24  das  Nötige  gesagt.  Sehr 
stark  ist  wie  Kap.  34,  so  auch  Kap.  32  und  33  überarbeitet.  Mit 
Recht  hält  man  32,  9—14  füi'  einen  Einsatz  des  Jehovisten,  denn 
nach  32,  30  hat  Mose  nicht  im  voraus  Jahves  Vergebung  füi*  den 
Abfall   des  Volkes   eingeholt ').     An   dem  Inhalte   der  betreffenden 

^)  Wenn  es  sicher  wäre,  dass  31,  18  zu  E  gehörte,  so  würde  man  mit 
Knobel  32,  7 — 14  als  eingeschoben  betrachten  müssen,  denn  nach  31,  18  war 


92  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Ilexateuchs. 

Verse  ist  wenig  verloren,  sie  liefern  einmal  wieder  eine  Probe  von 
der  erbaulichen  Redseligkeit  des  Jeliovisten.  Als  einen  weiteren 
Zusatz  sieht  Nöldeke  v.  26 — 28  an.  Nimmt  man  jedoch  diese 
Verse  heraus,  so  hat  v.  25  keine  Consequenz  und  v.  29  wird  ganz 
unverständlich;  denn  daran  ist  nicht  zu  denken,  dass  v.  29  der 
Nachsatz  zu  v.  25  sein  könne.  Man  müsste  also  das  ganze  Stück 
V.  21 — 29  für  einen  Nachtrag  erklären.  Innere  Gründe  giebt  es 
dafür  eiß-entlich  nicht,  deim  wenn  „die  Erzähluncr  vom  goldenen 
562  Kalbe  keine  andere  Bedeutung,  hat  als  die,  den  officiellen  Cultus 
des  Eeichs  Ephraim  entschieden  zu  verdammen",  so  braucht  man 
in  dieser  Präfiguration  späterer  Verhältnisse  wol  auch  an  den 
Leviten  als  Eiferern  für  den  alten  einfachen  Gottesdienst  keinen 
Anstoss  zu  nehmen,  obwol  allerdings  der  Gegensatz  von  Aharon 
und  Le^d  einigermassen  befremdet.  Doch  können  andere  Ursachen 
gegen  v.  21 — 29  A^erdacht  erregen.  Nämlich  die  Verse  30 — 35 
wissen  nichts  davon,  dass  der  Abfall  bereits  in  so  grausamer  Weise 
bestraft  worden  ist  (v.  28),  und  ebenso  lässt  v.  20  eine  andere 
Fortsetzung  erwarten  als  v.  21  ss.:  man  wünscht  zu  wissen,  wie 
denn  der  Trank  dem  Volke  bekam.  Nun  ist  eine  solche  Angabe 
aber  auch  v.  30 — 34  nicht  enthalten,  erst  der  35.  Vers,  der  jeden- 
falls an  seiner  jetzigen  Stelle  ganz  verloren  steht,  würde  als  Con- 
sequenz von  V.  20  nicht  unpassend  sein.  Hierdurch  ^^iii-de  man 
also  schliesslich  dazu  getrieben,  auch  v.  30 — 34  für  ein  Supplement 
zu  halten,  jedoch  füi'  ein  älteres  als  v.  7 — 14  und  v.  21 — 29. 
Die  imiere  Natur  des  Inhalts  dieser  Verse  setzt  dem  nichts  ent- 
gegen, nur  erhebt  sich  das  Bedenken,  dass  dann  gar  zu  wenig  füi* 
den  ursprünglichen  Bericht  der  Quelle  übrig  bleibt  (32,  1 — 6. 
15—21.  35). 

Kap.  33  wird  die  vorhergehende  Geschichte  fortgesetzt  und  zwar 
in  folgender  Weise.  Das  goldene  Kalb  ist  der  Grund,  warum  Gott 
die  Israeliten  bei  sich,  in  seiner  unmittelbaren  Nähe,  nicht  länger 
dulden  kann.  Der  Sinai  ist  hier  als  der  eigentliche  Wohnsitz 
Gottes  gedacht  (vgl.  19,  4^bN*  CDHN*  ND.N*1),  und  der  Aufenthalt  des 
Volks   daselbst  wird  nicht  von  vornherein  als  ein  zeitweiliger  von 


der  Verkehr  Gottes  mit  Mose  zu  Ende  und  ward  nicht  durch  ein  ausserordent- 
liches Ereignis  abgebrochen.  Aber  allerlei  Anzeichen  weisen  darauf  hin,  dass 
der  Vers  zu  Q  gehört,  obwol  jedenfalls  auch  in  E  gestanden  hat,  dass  Mose 
die  Tafeln  empfing  und  dass  Gott  mit  ihm  während  der  40  Tage  redete.  Vgl. 
31,  18  mit  32,  16. 


Exodus  19— Numeri  10.  93 

kurzer  Dauer  vorgestellt,  sondern  als  ein  bleibender.  Es  ist  eine 
Strafe,  dass  sie  fortgeschickt  werden,  und  als  schwere  Strafe  wird 
es  auch  reuig  von  ihnen  empfunden.  Aber  ihre  Trauer  vermag 
keine  Änderung  des  Beschlusses  zu  bewirken,  nur  einen  Ersatz 
seiner  wahren  Gegenwart  giebt  Jahve  ihnen  mit,  das  ist  die  Lade 
in  dem  Ohel  Moed.  Ohne  Zweifel  ist  die  Herrichtung  der  Lade 
und  des  Zeltes  —  welches  ohne  sie  keine  Bedeutung  hat  —  einst 
zwischen  33,  6  und  33,  7  erzählt  worden,  gegenwärtig  klafft  zwi- 
schen diesen  beiden  Versen  eine  sehr  fühlbare  Lücke.  Man  er- 
fährt nicht,  wozu  der  Schmuck  v.  6  verwandt  wird,  und  errät  es 
nur  aus  Kap.  35,  man  weiss  nicht,  woher  das  Zelt  v.  7  mit  einem 
Male  da  ist.  Da  die  Beschreibung  des  Heiligtums  in  extenso  aus 
Q  mitgeteilt  wird,  so  ist  der  Grund  der  Auslassung  klar.  Hat  nun 
also  die  Stiftung  der  Lade  wii*klicli  hier  gestanden^),  so  ist  die-  56^ 
selbe  deshalb  an  diesen  Ort  und  Zeitpunkt  verlegt,  weil  das  echte 
Symbol  dem  falschen  entgegengesetzt  werden  sollte.  Durch  das 
Gussbild,  das  sie  sich  gemacht,  haben  die  Israeliten  den  Beweis  ge- 
geben, dass  sie  für  die  unmittelbare  Nähe  der  Gottheit  nicht  reif 
sind,  sie  kommen  ohne  eine  sinnliche  Eepräsentation  derselben 
nicht  aus,  darum  giebt  ihnen  Jahve  die  Lade  statt  des  Kalbes. 
Auch  daraus,  dass  zu  beiden  das  selbige  Material,  der  abgerissene 
Schmuck,  verwandt  wird,  ersieht  man,  dass  eine  solche  Gegen- 
überstellung des  selbstgewählten  und  des  gottgegebenen  Heiligtums 
beabsichtigt  ist. 

Die  genaue  und  innerliche  Beziehung,  in  welcher  der  Befehl 
zum  Aufbruch  und  die  Stiftung  des  wahren  Heiligtums  zu  der  Er- 
zählung vom  goldenen  Kalbe  steht,  ist  gewöhnlich  nicht  verstanden. 
Und  das  ist  kein  Wunder.  Denn  abgesehen  von  der  Bresche, 
welche  der  letzte  Redaktor  des  Pentateuchs  mit  Rücksicht  auf  Q 
in  den  Zusammenhang  von  JE  gebrochen  hat  33,  6.  7,  hat  auch 
der  Jehovist  das  Seinige  getan,  den  ursprünglichen  Sinn  der  Fort- 
setzung von  Kap.  32  zu  verwischen.  Weniger  dadurch,  dass  er 
Fragmente  aus  J  eingearbeitet  hat^),  als  dadurch  dass  er  zwischen 


^)  Ob  die  Lade  nach  der  Meinung  unseres  Erzählers  neue  Gesetzestafeln 
enthält  oder  ob  dieselben  zerbrochen  geblieben,  kann  nicht  ausgemacht  werden. 
Mir  scheint  das  letztere  wahrscheinlicher. 

2)  Sofern  33,  1 — 11  das  32.  Kap.  fortsetzt,  stammt  es  aus  E,  wo  der 
Horeb,  wie  vielleicht  im  Reiche  Israel  überhaupt  1.  Reg.  19,  als  der  Berg 
Gottes  par  excellence  gilt;  vgl.    "i  ij3n    v.  5.  6.     In  J  wird  der  Abzug  vom 


94  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateiichs. 

Exod.  33,  1 — 11  und  dem  unmittelbar  daran  scliliessenden  Stücke 
Num.  10,  33  SS.  einmal  den  Anhang  Kap.  34,  sodann  aber  auch 
die  zweiteilige  Rede  33,  12 — 33  eingesetzt  hat.  Denn  diese  ist 
564  wesentlich  seine  Komposition,  mag  er  auch  vielleicht  zum  ersten 
Teile  einige  Motive  aus  J  entlehnt  haben.  Mit  33,  12 — 16  blickt 
er  zurück  auf  v.  1 — 11  und  beseitigt  den  Anstoss,  den  die  Judäer 
an  der  Vorstellung  nehmen  mussten,  dass  Jahve  noch  immer  per- 
sönlich auf  dem  Sinai  und  nur  durch  Vertretung  im  heiligen  Lande 
wohne').  Mit  33,  17 — 23  blickt  er  vor  auf  Kap.  34  und  baut 
dazu  die  Brücke;  die  Stelle  hängt  zusammen  mit  und  ab  von 
34,  6.  7,  und  wie  diese  letzteren  Verse  aus  34,  5  durch  Korrektur 
und  Misverständnis  entstanden  sind,  ist  bereits  oben  p.  85.  86 
nachgewiesen. 

5.  Überschauen  wir  noch  einmal  die  Ergebnisse  der  müh- 
samen und  verwickelten  Untersuchung.  Der  Jehovist^)  ist  hier 
mehr  als  Redaktor,  er  kann  als  der  eigentliche  Verfasser  des  Ab- 
schnittes von  der  Gesetzgebung  auf  Sinai  gelten.  Während  er 
sonst  ganz  hinter  seinen  Quellen  zurücktritt,  teilt  er  sie  zwar  auch 
hier  grossenteils  wörtlich   mit,   aber   doch  so,   dass   er  sie  nur  als 


Sinai  gleich  bei  der  Gesetzgebung  ins  Auge  gefasst  23,  20  ss.  und  keines- 
wegs als  Strafe,  wie  denn  das  Land,  wo  Milch  und  Honig  fliesst,  von  vorn- 
herein als  Ziel  der  Wanderung  gilt.  Natürlich  aber  ist  der  Befehl  zum  Auf- 
bruch auch  in  J  vorhanden  gewesen  und  ich  vermute,  dass  sich  Teile  davon 
in  jehovistischer  Bearbeitung  33,  1.  2.  v.  3  (bis  zum  Athnach)  erhalten  haben; 
denn  wenn  Jahve  sagt:  führe  das  Volk  in  ein  Land,  wo  Milch  und 
Honig  fliesst,  so  ist  das  nicht  im  Zorn  geäussert,  keine  harte  Rede.  Was 
in  E  hier  gestanden  haben  mag,  kann  man  etwa  aus  32,  34  entnehmen.  Als 
Fortsetzung  von  J  33,  1.  3a  kann  man  v.  12.  14  ansehen:  v.  12  schlägt  auf 
V.  1  zurück.  Gewiss  hat  auch  J  die  Lade  gekannt  und  deren  Entstehung  be- 
richtet; ob  ebenso  das  Zelt,  ist  eine  andere  Frage.  —  Josua  als  Tempelwächter 
erinnert  ganz  an  Samuel,  der  im  Hause  Gottes  schläft;  das  Zelt  steht  ausser- 
halb des  Lagers,  wie  die  älteren  Heiligtümer  ausserhalb  der  Städte.  In  Q  in- 
nerhalb, wie  der  Tempel  zu  Jerusalem. 

^)  Sicherlich  hat  33,  15  Bezug  auf  die  aus  32,  34.  33,  3  zu  erschliessende 
Meinung  von  33,  5  — 11;  D''JD  heisst  hier  im  Gegensatz  zu  "]Nv^  =  selbst, 
persönlich.  Mose  ruht  nicht,  bis  Jahve  verspricht,  den  Sinai  zu.  verlassen  und 
nach  Kanaan  überzusiedeln.  „Wenn  du  nicht  selbst  mit  gehn  willst,  so  führe 
uns  nicht  von  der  Stelle." 

^)  Dessen  Geistesverwandtschaft  mit  dem  Deuteronomium  tritt  wiederum 
auffallend  hervor  —  wenn  nicht  ausser  ihm  noch  ein  Deuteronomist  anzuneh- 
men ist. 


i 


Exodus  19— Numeri  10.  95 

Material  zu  dem  eigenen  Ban  l)enutzt.     Eine  ähnliche  Steigerung 
seiner    selbständigen  schriftstellerischen  Tätigkeit    lässt    sich    auch 
an    anderen  Stellen    constatiren,    wo    der  Stoff   sein  Interesse    in 
hervorragendem  Maasse  in  Anspruch  nimmt,  z.  B.  bei  der  Geschichte 
Abrahams    und    bei    der  Berufung  IMoses.     Es  versteht  sich,    dass 
es  bei  so  bewandten  Umständen  äusserst  schwierig  wird,   aus  dem 
einheitlichen  Gewirke  die  differenten  Fäden  zu  erkennen  und  jeden 
in  seinem    eigentümlichen   Zusammenhange    zu  verfolgen.     Ausser 
den  Berichten  der  beiden  fortlaufenden  Quellen  E  und  J  habe  ich 
einen  diitten  völlig  selbständigen  Bericht  in  Kap.   34  nachweisen 
zu  können  geglaubt,    so    dass    also   drei  verschiedene  Erzählungen 
des  Vorgangs  und    di-ei    verschiedene   Aufzeiclinungen  des  Inhalts 
der  Gesetzgebung  vorlägen,  der  Dekalog  in  E,  das  Bundesbuch  in  J, 
das  Goethesche  Zweitafelgesetz   in  Exod.   34.     Die  drei  Versionen 
lassen    sich    nach   ilu'en    hauptsächlichen   Unterschieden    etwa    so 
charakterisiren.     In  E  erfolgt  die  Verpflichtung  des  Volks  und  die 
Bundschliessung  gleich  zu  Anfang,  und  erst  nachdem  die  Huldigung 
zuvor  eingeholt  ist,  sclii-eitet  Gott  zur  Verkündigung  seines  Willens 
(19,  3 — 19).    In  majestätischer  Theophanie  offenbart  er  vom  Berge  565 
herab    dem    unter  Moses  Fühi'ung    unten    versammelten  Volk    die 
zehn  Gebote,  dass  alle  hören  und  sich  entsetzen.    Als  die  göttliche 
Stimme  pausirt,    erklären  sie,    es    bedürfe    dieser    entsetzlich  ein- 
dringlichen Unmittelbarkeit  der  Rede  Gottes  nicht  mein-,  das  Wort 
Moses    genüge    und    werde    Gehorsam   finden.     Nach    einiger    Zeit 
empfängt  dann  Mose  Befehl,  auf  den  Berg  hinauf  zu  kommen,  teils 
um  die  Tafeln  zu   empfangen,    auf  denen  inzwischen  der  Dekalog 
verzeichnet  worden  ist,  teils  um  durch  einen  vierzigtägigen  intimen 
Verkehr    mit  Gott    die   Fähigkeit  zu  erhalten,    an  Gottes  statt  zu 
reden  mit  dem  Volke,   als  das  Urbild  der  Priester  und  Propheten 
mit  dem  Quell  der  Weisung  und   des  Wortes  begabt  zu  werden. 
Inzwischen  ist  unten  das  goldene  Kalb  gegossen  worden;  Mose,  wie 
er  den  Abfall  gewahr  wird,  zerschmettert  im  Zorn  die  Tafeln,  Gott 
will  das  Volk  nicht  länger  bei  sich  dulden,   lässt  sich   aber  durch 
die  Reue  desselben  bewegen,   ihm  statt   des  schlechten  das  rechte 
Heiligtum    zu    geben.     Darauf    erfolgt    der    Aufbruch    vom  Horeb 
Exod.  20,  1—20  ...  24,  12—14  ...  31,  18.  Kap.  32.  33,  1—11. 
Num.   10,   33.  —  In   J  ist  die  Offenbarung,   wie  sonst  immer,   so 
auch  hier   individuell   und  ergeht  selbst   in   diesem  Ausnahmefall 
nicht  an  ein  ganzes  Volk.    Mose  geht  allein  auf  den  Berg  und  nur 


96  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

ihm  verkündet  Jahve  die  Bedingungen  des  Bundes,  die  Worte  und 
Rechte,  die  er  hernach  weiter  dem  Volke  mitteilt  und  in  die  feier- 
lich zu  beschwörende  magna  charta  der  Theokratie  verzeichnet. 
Damit  ist  der  Zweck  des  Aufenthalts  am  Sinai  erreicht,  und  der 
Aufbruch  erfolgt,  ohne  dass  dazu  ein  ausserordentliches  Ereignis 
Veranlassung  gäbe.  Exod.  19,  20—25  ...  20,  23 ss.  Kap.  21—23. 
24,  3—8,  33,  1  .  .  .  Die  dritte  Version  Exod.  34  steht  teils  auf 
Seite  von  E,  teils  auf  Seite  von  J.  Äusserlich  erinnert  Manches 
an  E,  so  die  zwei  Tafeln,  die  zehn  Worte,  die  40  Tage.  Aber  die 
Tafeln  sind  nicht  von  Gott,  sondern  von  Mose  geschrieben,  und 
wie  das  Bundeslnich  Aufzeichnung  dessen,  was  Jahve  dem  Mose, 
nicht  was  er  dem  Volke  mitgeteilt.  Denn  darin  zeigt  sich  die  inner- 
liche Verwandtschaft  von  Kap.  34  mit  J:  der  Gedanke  einer  allge- 
meinen Offenbarung  an  das  ganze  Volk  liegt  fern,  Offenbarung 
empfängt  nur  Mose,  wenn  auch  ihr  Inhalt  zu  öffentlicher  Mit- 
teilung bestimmt  ist.  Mose  scheint  hier  sogar  auch  den  Bund  namens 
des  Volkes  abzuschliessen,  obwol  das  nicht  mehr  ganz  deutlich  ist. 
—  Was  die  den  drei  Erzählungen  entsprechenden  theokratischen 
Grundgesetze  betrifft,  so  stehn  sich  Exod.  20  und  Exod.  34  am 
566  schi'offsten  gegenüber,  dort  sind  die  Gebote  fast  nur  moralisch,  hier 
ausschliesslich  ritual.  Das  Bundesbuch,  dem  die  Rechte  ganz 
eigentümlich  sind,  vereinigt  in  den  Worten  beide  Elemente.  Hin- 
sichtlich des  Kultus  steht  es  auf  der  selben  Stufe  wie  Exod.  34,  die 
Moral  ist  concreter,  casuistischer  als  in  Exod.  20,  und  von  einer 
auffallend  menschlichen,  edel  natürlichen  Haltung. 

Zum  Schluss  noch  ein  Wort  über  den  mutmasslichen  Gang  der 
Erzählung  von  Q.  Ausser  den  grossen  gesetzlichen  Stücken,  die 
wir  gleich  Anfangs  abgeschieden  haben,  scheinen  noch  einige 
kleinere  zu  dieser  Quelle  zu  gehören,  die  im  Zusammenhange  von 
JE  nicht  wol  unterzubringen  sind.  Jedenfalls  19,  1.  2  a,  so  jedoch, 
dass  V.  1  ein  nicht  zu  dem  ursprünglichen  Bestände  gehöriger 
Nachtrag  ist ,  ein  nicht  ganz  durchgeführter  Ansatz  zur  genauen 
Bestimmung  der  Zeit  im  Sinne  von  Q,  vgl.  ähnlich  1.  Sam.  13,  1. 
2.  Sam.  2,  10.  Vielleicht  ist  der  beabsichtigte  Tag  wirklich  der 
öOste  nach  dem  15.  Msan,  also  etwa  der  7te  des  dritten  Monats, 
wie  die  rabbinische  Tradition  aimimmt.  Was  in  19,  2  nach  dem 
Athnach  folgt,  gehört  zu  JE,  Q  sagt  nicht  ^Nnb'"'  irpl.  —  Nöldeke 
vermutet  ferner  in  24,  14 — 18  ein  Fragment  aus  Q;  so  viel  ich 
sehe,  mit  Recht.     Auszuschliessen  ist  jedoch  der  Anfang  von  v.  15 


1 


Exodus  19— Numeri  10.  97 

"inn-bx  'r2  by^l  und  das  Ende  von  v.  18  von  nnri'bl^  bp^l  an. 
Ich  glaube  endlich  34,  29 — 35  noch  für  diese  Schiift  ansprechen 
zu  düi'fen,  wenngleich  v.  33 — 35  vielleicht  ein  apokiyphes  An- 
hängsel ist.  Vgl.  bvS'^l^*''  ^jn-^Dl  innx  und  ni^n  C\s*^':n;  ferner 
würden  die  niyn  HPi'P  geltend  zu  machen  sein,  wenn  diese  nicht 
auch  31,  18.  32,  15  erschienen.     Doch  ist  es  nicht  unmöglich,  dass 

31,  18  eine  aus  Q  entnommene  Angabe  ist,  vgl.  inx  in"?  in^DZ 
^j^t»   nnn   mit    34,  29.  32.  33.  34.  35.      Das  vereinzelte  myn    in 

32,  15  wüi-de  sich  dann  wol  ohne  Schwierigkeit  aus  späterer  Re- 
daktion erklären.  Nicht  leicht  ist  es  zu  sagen,  ob  Kap.  25 — 31 
da,  wo  es  steht,  seine  richtige  Stelle  hat  oder  erst  hinter  Kap.  34 
kommen  muss,  ob  Mose  hier  noch  auf  dem  Berge  Sinai  oder  be- 
reits wieder  unten  im  Lager  ist.  Knobel  zu  Exod.  25,  9  entscheidet 
sich  füi'  die  letztere  Anahme  und  kann  sich  dafüi'  namentlich 
auf  26,  30  nnn  n\S"in  "llJ^vS  und  ferner  vielleicht  auf  nnn  25,  40 
berufen.  Dagegen  aber  spricht  25,  9  "[HIN*  H^slD  '':iN  "ll^N,  wo  das 
Participium  nur  als  Futurum  instans  erklärt  werden  kann,  und 
das  zweimalige  ybi^  |nJS  y^L^^  niyn  25,  16.  21  —  denn  die  Eduth 
hier  nicht  von  dem  Zweitafelgesetz  zu  verstehn,  scheint  mir  mein* 
als  bedenklich.  Da  mm  hieraus  folgt,  dass  die  Situtation  von  dem 
Schriftsteller  selbst  nicht  consequent  inne  gehalten  worden  ist,  so  567 
muss  entscheidendes  Gewicht  auf  die  Stellung  gelegt  werden,  die 
der  Redaktor  dem  in  Rede  stehenden  Absclmitt  angewiesen  hat. 
Darnach    befindet    sich  Mose  hier    auf  dem  Bereje  und  Gott    redet 

zu  ihm  dort  eben  die  Worte,  auf  welche  31,  18.  34,  32  Bezug  ge- 
nommen wii'd.  —  Also  gestaltet  sich  der  Bericht  von  Q  wie  folgt. 
Nachdem  die  Kinder  Israel  von  Raphidim  in  der  Wüste  Sinai  an- 
gelangt sind,  wii'd  Mose  hinauf  berufen  auf  den  Berg  und  empfängt 
dort  genaue  Mitteilungen  über  die  Einrichtung  des  Heiligtums  und 
des  Kultus,  ausserdem  die  Tafeln  des  Zeugnisses,  die  er  in  die 
Bundeslade  legen  soll,  deren  Inhalt  übrigens  als  bekannt  vor- 
ausgesetzt wii'd.  Wie  er  herabkommt,  strahlt  sein  Antlitz  vom 
Widerschein  der  Herrlichkeit  Jahves,  so  dass  Aharon  und  die 
Füi'sten  der  Gemeinde  erst  auf  seinen  beruhigenden  Zuruf  sich  ihm 
zu  nähern  wagen.  Darauf  teilt  er  dem  Volke  alles,  was  Jahve 
ihm  auf  Sinai  befohlen  habe,  mit.  So  parallel  dieser  Bericht 
auch  im  Allg.  den  übrigen  ist,  so  merkwüi'dig  ist  der  Unterschied, 
dass  die  Offenbarung  Gottes  auf  dem  Sinai  nur  das  Heiligtum  und 
den  Kultus  betrifft.      Auch  in  JE  wird    allerdings    das  Heiligi:um 

Wellhausen,    Comp.    d.    Hexateuchs.    3,   Aufl.  7 


98  t)ie  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

noch  am  Sinai  gestiftet,  aber  —  erst  nach  dem  Sündenfalle  Israels, 
als  ein  Zugeständnis  an  die  Schwachheit  des  Volks.  Die  Kirchen- 
väter, die  von  Quellenscheidung  nichts  wussten,  combiniren  in 
feinfühliger  Weise  die  Versionen  und  fassen  die  Gebote  des  Levi- 
ticus  als  Strafe  für  das  goldene  Kalb  auf,  Constitut.  Apost.  6,  20. 
Hieron.  in  Ezech.  20.  Chrys.  hom.  17  in  Act.  7.  Vgl.  H.  Grotius 
annot.  in  Exod.  15,  26  und  Spencer  III.  2  de  rat.  et  orig.  sacrific.  1,  3. 

Der  Zug  vom  Sinai  in   das  Ostjordanland  Num.  10 — 21. 

Auch  hier  sondere  ich  die  Gesetze,  welche  insgesamt  zu  der 
gleichen  literarischen  Schicht  gehören,  im  voraus  ab  und  verfolge 
bloss  den  geschichtlichen  Faden.  Von  einem  solchen  kann  man 
freilich  vielerwärts  kaum  reden,  besonders  sind  die  Erzählungen, 
mit  denen  der  Wüstenzug  ausgefüllt  wird,  nur  lose  aneinander  ge- 
reiht, wie  wir  es  ähnlich  schon  Exod.  16  ss.  fanden.  Auch  die 
lokale  Situtation  derselben  ist  teilweise  vage  genug,  wenn  nicht  der 
Ort  durch  seinen  Namen  für  den  Inhalt  der  Historie  wichtig  ist. 

1.  Statt  der  kurzen  Angabe  in  Q,  die  Israeliten  haben  nach 
einjälnigem  Aufenthalt  den  Sinai  verlassen  und  sich  seitdem  in 
der  Wüste  Pharan  aufgehalten  Num.  10,  11s.,  enthält  JE  einige 
Begebenheiten,  die  sich  auf  dem  Wege  vom  Sinai  bis  nach  Kades 
568  auf  verschiedenen  namhaft  gemachten  Stationen  zutrugen  Num.  10, 
29  SS.  Kap.  11.  12.  Dass  hier  verschiedenartige  Geschichten  zu- 
sammengeflossen sind,  lässt  sich  unschwer  zeigen.  Obwol  der 
Aufbruch  vom  Sinai  notwendig  auf  den  betreffenden  Befehl  Exod. 
33  folgen  muss,  so  entbelu't  doch  die  besondere  Art  und  Weise, 
wie  derselbe  in  Num.  10,  29 — 32  eingeleitet  mrd,  jeglicher  nach- 
weisbaren Verbindung  mit  dem  Vorhergehenden.  Von  Hobab  ist 
Exod.  18  nicht  die  Rede  gewesen;  der  Name  Reguel  erscheint  zwar 
Exod.  2,  aber  an  verspäteter  Stelle  und  nur  als  der  eines  Vaters  von 
sieben  Töchtern.  Auch  nach  hinten  fehlt  dem  Stücke  der  Anschluss, 
denn  10,  33  ist  nicht  die  Antwort  auf  die  Bitte  v.  32.  Ähnlich 
zusammenhanglos  ist  auch  10,  33b — 36.  Denn  wäre  10,  33  b  die 
natüidiche  Fortsetzung  von  v.  33  a,  so  müsste  hier  D''^''  r\V^7\Z'' 
fehlen.  Soll  man  nun  annehmen,  die  beiden  Worte  seien  in 
V.  33a  durch  ein  Versehen  aus  v.  33b  eingeschlichen?  Eher  ver- 
hält sich  die  Sache  umgekete,  denn  wenn  die  Lade  dem  Heere 
drei  Tagereisen  voraus  schwebte,  so  war  sie  als  Wegweiserin  un- 
brauchbar, da  niemand  sie  sah.    Wenn  aber  an  dem  Wortlaut  von 


Numeri  10—21.  99 

V.  33a  niclits  zu  ändern  ist,  so  kann  der  Sinn  nur  sein:  nachdem 
sie  drei  Tage  gewandert  waren  —  und  dazu  ist  erst  11,  1  oder 
11,  4  die  tatsächliche  Fortsetzung.  Ich  sage  11,  1  oder  11,  4. 
Nämlich  11,  1 — 3  steht  mit  dem  Folgenden  nicht  im  Zusammen- 
hang, mit  V.  4  verändert  sich  plötzlich  der  Schauplatz,  wir  befin- 
den uns  hier  nicht  mehr  in  Thabera,  sondern  in  Kibroth  ha-Thaawa 
und  zwar  ohne  jede  Überleitung.  Wenn  man  darum  sich  nicht 
zu  der  Annahme  entschliessen  mag,  die  beiden  verschiedenen 
Namen  bezeichnen  den  gleichen  Ort,  so  muss  man  anerkennen, 
dass  zwischen  11,  1 — 3  und  11,  4ss.  kein  wahi-er  Nexus  bestehe. 
Seinerseits  ist  abermals  nicht  einmal  das  Stück  11,  4 — 34  eine 
natürliche  Einheit,  sondern  eine  höchst  künstliche  Verflechtung 
zweier  Bestandteile,  die  nichts  mit  einander  zu  tun  haben.  Wie 
kann  der  Hunger  des  Volkes  in  Mose  den  Wunsch  erwecken,  Mit- 
arbeiter für  seine  öffentliche  Tätigkeit  zu  haben!  die  schafften 
auch  kein  Fleisch  und  es  kam  doch  darauf  an,  die  erste  Not  zu 
kehi'en.  Lediglich  aus  Anlass  einer  viel  zu  besclu'änkten  Deutung 
der  Verse  11,  11.  12  scheint  die  Erzählung  von  den  70  Ältesten 
(v.  14 — 17.  24b — 29)  liier  eingeschaltet  zu  sein;  und  wie  äusser- 
lich  dies  geschehen,  kann  der  Scenenwechsel  v.  24.  31  lelu'en. 
Was  endlich  Kap.  12  betrifft,  so  mag  der  neidische  Ausbruch 
Aharons  und  Miriams  gegen  Mose  mit  der  Einsetzung  der  Siebzig 
in  Beziehung  stehn  sollen,  bei  welcher  Gelegenheit  Mose  ja  tut,  569 
als  sei  er  der  alleinige  Leiter  und  Fülu^er.  Zwar  wird  in  v.  1 
eine  andere  Veranlassung  angegeben,  aber  im  Widerspruch  gegen  die 
viel  sachgemässere  des  v.  2^).  Dass  der  Unwille  des  Geschwister- 
paares erst  auf  der  nächsten  Station  ausbricht,  tut  dem  statuirten 
Zusammenhange  keinen  Eintrag.  Denn  der  Inhalt  von  Kap.  12 
ist  gegen  den  Ort  Haseroth  indifferent  und  es  wird  zufällig  gekommen 
sein,  dass  dies  der  Schauplatz  geworden  ist.  Aus  v.  15  erhellt  nur, 
dass  das  Volk  auf  der  Wanderung  begriffen  und  noch  nicht  in 
Kades  angelangt  ist. 

Zusammenhänge  aufzufinden  mit  den  frülier  vom  Jehovisten  zu 
Grunde  gelegten  Quellen,  ist  hier  schwierig.  Die  Wachteln  sind 
eine  Ergänzung  des  Manna,  der  betr.  Bericht  scheint  auf  Exod.  16 


^)  Y.  Ib  ist  apokryph.  Den  Anstoss  an  der  fremden  Frau  Moses  hat  erst 
eine  sehr  späte  Zeit  nehmen  können.  Den  älteren  Quellen  fällt  es  nicht  ein 
Sippora  als  Kuschitin  anzusehen  und  sie  betrachten  Moses  Verschwägerung 
mit  dem  Priester  vom  Sinai  als  eine  hohe  Ehre. 


100  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

zurückzublicken  (11,  6)  und  aus  der  Hauptquelle  (d.  i.  J)  entlehnt 
zu  sein.  Jedoch  findet  sich  einio-es  Andersarti<i;e  aufo-etrao-en.  Zu- 
nächst  passt  die  Beschreibung  des  Manna  v.  7 — 9  nach  v.  6,  wo 
dasselbe  als  etwas  längst  Bekanntes  gilt,  nicht  an  diese  Stelle,  wie 
sie  denn  auch  diejenige  von  Exod.  16  teils  ignorirt,  teils  damit 
streitet  (11,  8  vgl.  mit  Exod.  16,  21).  Ferner  entspricht  die  An- 
kündigung V.  18  SS.  wenig  den  Tatsachen,  wie  sie  v.  30 ss.  erzählt 
werden.  Nicht  erst  am  folgenden  Tage  (v.  18)  kommen  dort 
die  Wachteln  (v.  32),  von  Heiligung  des  Volks  ist  keine  Rede, 
und  statt  dass  das  begehrte  Fleisch  durch  langes  Essen  zum  Ekel 
würde  (v.  20),  straft  plötzliches  Sterben  die  gefrässige  Gier. 
Yielleicht  stehn  die  Verse  18  ss.  in  Verbindung  mit  den  Worten 
und  Jahves  Zorn  entbrannte  sehr,  die  sich  v.  10  verloren 
und  abgerissen  genug  ausnehmen-,  die  Antwort  auf  Moses  Klage 
V.  11 — 13  würde  dann  erst  v.  23  folgen  und  daran  sich  v.  30ss. 
anschliessen.  Wie  dem  auch  sei,  man  darf  wol  annehmen,  dass 
neben  J  noch  eine  andere  Quelle  über  Manna  und  Wachteln  be- 
richtete und  dass  der  Jehovist  auch  diese  in  ziemlich  freier  Weise 
benutzt.  Ohne  Zweifel  gehörte  die  wunderbare  Speisung  Israels 
in  der  Wüste  zum  Hauptstrome  der  Tradition  und  fehlte  nicht 
leicht  in  irgend  einer  Aufzeichnung  derselben.  Anders  steht  es 
mit  den  Perikopen  von  den  70  Ältesten  und  vom  Aussatze 
Miriams,  das  sind  möglicherweise  Nebenzuflüsse.  Die  erste  ist  ein 
570  Pendant  zu  Exod.  18  und  eine  blosse  Variante  von  Exod.  24,  1. 
9 — 11,  an  welcher  letzteren  Stelle  die  Siebzig  dadurch,  dass  sie 
mit  auf  den  hl.  Berg  gehn,  in  eine  höhere  Sphäre  erhoben  und 
dem  Mose  selber  angenähert  werden^).  Die  zweite  ist,  wie  Vor- 
stellungen und  Sprache  (nt).SJ  recipi)  beweisen,  jedenfalls  von  der 
selben  Hand  bearbeitet.  Nach  meinem  Dafüi'halten  ist  es  die  des 
Jehovisten,  dem  ich  auch  Exod.  33,  8 — 11  in  seiner  gegenwärtigen 
Form  zuschreibe^).  Den  Stoff  zu  beiden  Geschichten  mag  er  schon 
vorgefunden  haben;  doch  ist  auch  der  zu  specifisch  prophetisch, 
zu  wenig  volkstümlich,  um  alt  zu  sein.  Noch  dem  Jesaia  würde 
der    Gedanke,    dass    die    büi'gerlichen    Beamten    vom    Geiste    der 


')  Hat  der  Ausdruck  b)i^  H,  17.  25  Bezug  auf  die  ">  "»^il^N*? 
2)  Die  Stiftshütte  wird  Num.  10,  33 — 36  nicht  erwähnt  und  ist  dort  schwer 
lieh  als  Obdach  der  ruhenden  Lade  zu  suppliren. 


Numeri  10—21.  101 

Weissagung  müssen  berührt  sein,  schwerlich  gekommen  sein;  Saiü 
aber  ist  eine  Ausnahme,  wie  das  Sprichwort  lehrt. 

2.  Aus  der  Erzählung  über  die  Kundschafter  Kap.  13.  14  weist 
Nöldeke  zu  Q:  13,  1 — 17a.  21.  25s.  (mit  Ausnahmen)  32  (bis 
Nin  )  14,  1 — 10  (mit  grösseren  Ausnahmen)  26 — 38  (ausg.  v.  31). 
Knobel  und  Kayser  ziehen  die  Grenzen  dieser  Quelle  in  Kap.  14 
etwas  enger.  Anzuerkennen  ist,  dass  14,  3.  4  =  JE,  demgemäss 
auch  Einiges  aus  v.  1.  2  (s.  den  Wechsel  von  Gemeinde  und 
Volk  V.  1),  ebenso  v.  8.  9.  Was  14,  26 — 38  anlangt,  so  lässt 
sich  hier  v.  31  (=Deut.  1,  39)  nicht  ausheben,  ohne  dass  zugleich 
die  Umgebung  hinten  und  vorn  mitfällt.  Denn  in  v.  30  versteht 
sich  das  nachdrückliche  C^^$  nur  aus  dem  Gegensatz  DDDLD  v.  31  ^), 
dasselbe  gilt  A^on  D^^s  v.  32,  und  dieser  letztere  Vers  ist  wiederum 
schlecht  von  v.  33  zu  trennen:  die  40  Jahre  beweisen  jedenfalls 
nicht  für  Q,  da  sie  ein  ganz  fester  Zug  der  Überlieferung  sind. 
Also  ist  Q  hier  einzuschränken  auf  v.  26 — 29.  34 — 36,  die 
Integrität  von  v.  27.  28  ist  noch  dazu  nicht  zweifelsfrei.  Der 
Bericht,  im  Ganzen  dem  andern  parallel  (wie  lange  14,  27  =  wie 
lange  14,  11),  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass  die  Kundschafter, 
zu  denen  ausser  Kaleb  auch  Josua  gerechnet  wii-d,  nicht  von  Kades, 
sondern  von  der  Wüste  Pharan  ausgesandt  werden,  dass  sie  nicht 
bloss  bis  Hebron,  sondern  bis  zum  Libanon  kommen,  und  dass  sie 
das  Land  nicht  als  uneinnehmbar,  sondern  als  wenig  begehrens- 
wert schildern. 

Was  übrig  bleibt,  13,  17  b— 24  (ausg.  v.  21).  27—33  (ausg.  571 
V.  32).  14,  3.  4.  8.  9.  11—25.  30—33.  39—45,  ist  „weder 
vollständig,  noch  aus  einem  Gusse."  Der  Anfang  (vor  13,  17b) 
lässt  sich  einigermassen  aus  Deut.  1,  19 — 23  (vgl.  Num.  14,  40 
mit  Deut.  1,  20s.)  ergänzen;  in  Num.  12,  16  mag  gestanden  haben 
und  sie  kamen  nach  Kades  füi':  und  lagerten  in  der  W. 
Pharan,  welche  Worte  weder  aus  Q  noch  aus  JE  herrühren  können. 
Die  Lücke  vor  13,  30ss.,  wo  Kaleb  das  Volk  beruhigt,  ehe  es  zu 
schreien  angefangen,  ist  nur  eine  scheinbare;  in  Waln-heit  hat  bloss 
eine  Umstellung  aus  Redaktionsrücksichten  stattgefunden,  13,  30  ss. 
ist  parallel  mit  14,  5ss.  und  gehört  an  die  selbe  Stelle  des  Zu- 
sammenhanges.    Der  Übergang  von  13,  24  auf  v.  27   ist  aus  den 


^)   """li   Tli^l^i  ist  ezeclüelisch.     Kaleb  und  Josua  erscheinen  in  Q  in  um- 
gekehrter Reihenfolge  (Kayser).     Vgl.  indes  Num.  26,  65. 


102  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

in  V.  26  erhaltenen  Bruchstücken  (nach  Kades  .  .  .  .  und 
zeigten  ihnen  die  Frucht  des  Landes)  leicht  zu  ergänzen. 
Mehr  Schwierigkeiten  als  die  Lückenhaftigkeit  macht  die  Duplicität 
von  JE,  die  von  Anfang  an  hervortritt.  Die  fast  identischen  Ein- 
gänge von  13,  19  und  v.  20  können  nicht  von  der  gleichen  Hand 
herrühren.  Yermutlich  ist  ferner  und  sie  kamen  zum  Trau ben- 
bach  V.  23  eine  Dublette  zu  und  sie  kamen  nach  Hebron 
v:  22,  da  v.  24  wünschen  lässt,  dass  der  betreffende  Name  noch 
nicht  genannt  sei.  In  v.  31 — 33  bedienen  sich  die  Berichterstatter 
mehrfach  anderer  Ausdrücke  wie  v.  27 — 29,  bemerkenswert  ist 
bes.  py;  ^^n.  (ohne  Artikel)  v.  33  statt  pjyn  n^b''  v.  28.  22. 
Ebenso  macht  sich  in  Kap.  14  eine  Yerschiedenartigkeit  der  Be- 
standteile von  JE  fühlbar.  Doch  sind  die  Zusätze,  mit  denen  hier 
der  Hauptbericht  (J)  bereichert  ist,  hauptsächlich  vom  Jehovisten 
selber  verfasst;  so  ist  namentlich  die  grosse  Rede  v.  11 — 25  eine 
freie  Ausführung  desselben  auf  Grund  eines  ursprünglich  gewiss  sehr 
kurzen  Kerns,  vgl.  Ex.  32,  12.  34,  6  s.  Ezech.  20.  Einiges  andere 
scheint  indessen  aus  einer  zweiten  Quelle  entnommen,  z.  B.  v.  2  a.  3 
imd  die  Rede  v.  30 — 33,  welche  nach  v.  11 — 24  post  festum  kommt. 
Hier  weichen  sowol  einzelne  Ausdrücke  von  J  ab,  als  auch  die 
Vorstellung  v.  30,  dass  Josua  mit  zu  den  Kundschaftern  gehört 
habe^).  Besondere  Schwierigkeiten  verursacht  v.  25.  Aus  J  kann 
er  nicht  stammen,  denn  nach  dieser  Quelle  bleiben  die  Israeliten 
572  in  Kades  wohnen  und  bringen  dort  den  grössten  Teil  der  40  Jahre 
zu.  An  einen  Zusatz  des  Jehovisten  zu  denken,  verbietet  der  con- 
crete  Lihalt  von  v.  25b  und  die  Erwähnung  in  Deut.  1,  40.  Viel- 
leicht war  der  Vers,  worauf  Deut.  1,  39.  40ss.  fülii't,  ursprünglich 
der  Schluss  zu  v.  30 — 33;  zu  dieser  Version  würde  dann  auch 
V.  39 — 45  gehören.  Vgl.  b^n^i  iJD.  v.  39,  wie  v.  2  a  —  gegen 
^N*!'^'''  in  dem  Parallelbericht  aus  J  Num.  21,  1 — 3. 

3.  In  der  Geschichte  von  der  Rotte  Korah  Num.  16  ist  eben- 
falls Q  mit  JE  verworren,  aber  die  Scheidung  ist  schwierig  und  man 
kommt  nicht  duiTh,  wenn  man  nicht  drei  Versionen  anerkennt. 
Gehn  wir  von  der  zweiten  Hälfte  der  Pericope  aus,  von  v.  16 — 35. 
Wenn  v.  16 — 22  zu  Q  gehören,  so  stammen  v.  23 — 27  anderswo- 


1)  wenn  es  nicht  vorsichtiger  ist,  anzunehmen,  dass  die  betreffenden  Worte 
V.  30  Glosse  sind.  Auch  das  Deuteronomium  weiss  mir  von  Kaleb  als  Kund- 
schafter.    Vgl.  dagegen  Num.  32,  8  ss. 


i 


Numeri  10—21.  103 

her,  da  wir  uns  hier  nicht  mehr  vor  der  Stiftshütte,  sondern  allent- 
halben vor  der  Wohnung  der  Aufrührerischen  befinden.  Wenn 
V.  35  zu  Q  gehört,  so  werden  v.  28 — 34  aus  dieser  Quelle  ausge- 
schlossen, denn  hier  sind  die  Übeltäter  bereits  von  der  Erde  ver- 
schlungen, die  V.  35  noch  verbrannt  werden  sollen.  Mithin  stammt 
ganz  V.  23 — 34  aus  JE.  Es  geht  nicht  an,  v.  23  und  den  Anfang 
von  V.  24  durch  einen  recht  kühnen  Schnitt  füi*  Q  zu  retten,  da 
myn  wegen  v.  26  nichts  beweist,  im  Übrigen  v.  24  sich  mit 
V.  27  deckt  und  v.  23  dadurch,  dass  die  Anrede  an  Mose  allein 
ergeht,  sich  him*eichend  von  v.  20  unterscheidet.  Aber  wahrhaft 
einheitlich  ist  darum  das  Stück  doch  nicht.  Einiges  erinnert  stark 
an  J,  so  das  Auftreten  Moses  inmitten  der  Ältesten,  ferner  *^N*J, 
n^^"I^^  ni^D-  Daneben  findet  sich  jedoch  allerlei  Ab av eichendes, 
z.  B.  ^t:^  l^'l:D1,  ^^.is-  Am  meisten  fällt  als  eine  innerliche  Ver- 
schiedenheit auf,  dass  in  v.  25.  27b  nur  von  Dathan  und  Abiram, 
in  V.  32  nur  von  Korah,  in  v.  24.  27  a  von  allen  dreien  zusammen 
die  Rede  ist.  Nöldeke  freilich,  von  der  Ansicht  ausgehend,  dass 
Korah  füi'  Q,  Dathan  und  Abiram  für  JE  charakteristisch  seien, 
hält  sämtliche  Erwähnungen  Korahs  in  v.  23 — 34  füi*  harmonis- 
tische  Einsätze  des  letzten  Redaktors.  Aber  regelmässig,  wo  Ko- 
rah allein  oder  vor  Dathan  und  Abii'am  genannt  wird,  kommen 
andere  Eigentünilichkeiten  hinzu,  welche  diese  Stellen  von  ihrer 
Umgebung  unterscheiden  und  unmöglich  auch  auf  Rechnung  des 
Redaktors  gesetzt  werden  können.  Was  v.  32  betrifft,  so  vgl. 
ausser  t^nr-n  den  ganzen  Satz  'D'DN*  Y'^^n  nnsm  mit  HDINM  nnHSl 
"D"nN  V.  30  und  beachte  dies  Duplum:  und  der  Boden  spaltete 
sich  unter  ihnen,  und  die  Erde  öffnete  ihr  Maul.  In  v.  24.  27a 
fällt  der  singularische  Mischkan  Korahs  D.  u.  A.  gegen  die  plu-  573 
ralischen  Ohalim  Dathans  und  Abirams  v.  26 — 27  b  auf,  und 
dass  nach  diesem  Merkmal  der  überfüllte  Text  sich  in  zwei  unge- 
fähr- parallele  Hälften  teilen  lässt.  Die  Annahme  wird  unvermeid- 
lich sein,  dass  der  Jehovist  mit  der  Hauptquelle  J,  welche  Dathan 
und  Abiram  als  Häupter  des  Aufstandes  angab,  eine  andere  ver- 
arbeitete, welche  Korah  angab.  Und  zwar  Korah  allein.  Wo  Da- 
than und  Abiram  ihm  folgen,  sind  sie  vom  Jehovisten  aus  J  nach- 
getragen. Das  folgt  aus  v.  32  und  aus  dem  Singular  pWD,  ne- 
benbei auch  aus  der  Yoranstellung  Korahs.  Die  beiden  Bestand- 
teile von  JE  lassen  sich  in  v.  23 — 34  noch  ungefähr  von  einander 
sondern.     Zu   J   gehört  sicher  v.   25.   27  b.  30.  31b.  33a,  zu  der 


X04  I^ie  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

zweiten  Quelle  sicher  v.  23s.  27a  32.  33b.  34.  Einige  Ver- 
sprengungen  lassen  sich  noch  entdecken,  so  DDLDI  v.  27  b,  was  nach 
DrT'iD.I  überflüssig  ist.  Ob  auch  der  Anfang  von  v.  30  aus  der  an- 
deren Quelle  in  J  eingetragen  ist?  J  gebraucht  t<"lD.  nicht,  aber 
jedenfalls  hat  das  Wort  hier  nicht  den  selben  Sinn  wie  in  Gen.  1, 
sondern  tritt  einfach  als  Nebenform  von  N7S  auf,  womit  es  auch 
etymologisch  zusammenhängen  mag.  Die  Herkunft  von  v.  28.  29. 
31  a  möge  dahin  gestellt  bleiben,  v.  26  rührt  wol  vom  Jehovisten 
her,  mit  Ausnahme  der  Worte  r{''\Vr]  bx  "lÜT'l,  die  zu  v.  27  zu 
ziehen  sind. 

Die  drei  Versionen  lassen  sich  nun  auch  in  der  ersten  Hälfte 
des  Kapitels  verfolgen.  Abgesehen  von  den  verworrenen  ersten 
zwei  Versen  weist  man  hier  gewöhnlich  v.  3 — 11  zu  Q,  v.  12 — 15 
zu  JE.  Aber  schon  Nöldeke  hat  empfunden,  dass  Mose  in  v.  8 
nicht  fortfährt  zu  reden,  sondern  neu  anhebt,  dass  also  v.  8 — 11 
keine  glatte  Fortsetzung  des  Vorhergehenden  sind.  In  der  Tat  fin- 
den sich  denn  auch  ganz  beträchtliche  sachliche  Unterschiede  zwi- 
schen V.  3 — 5  und  V.  8 — 11.  In  v.  3 — 5  sind  es  Laien,  welche 
die  Heiligkeit  der  ganzen  Gemeinde  geltend  machen  gegen  die  Be- 
vorrechtung Einzelner,  sie  eifern  nicht  für  Levi  gegen  Aharon,  son- 
dern füi'  das  allgemeine  Priesterrecht  gegenüber  jedwedem  Klerus. 
In  V.  8 — 11  sind  es  Leviten,  die  unzufrieden  mit  ilu'en  bisherigen 
Privilegien  noch  mehr  verlangen,  sie  eifern  nicht  füi'  die  Gemeinde, 
sondern  füi'  ihren  Stand  und  beanspruchen  als  niederer  Klerus 
Gleichstellung  mit  dem  hohen.  Besonders  lehiTeich  ist  der  Ver- 
gleich von  3.npn  in  v.  5  und  v.  9.  10.  Die  „Näherung"  der  Auf- 
ständischen ist  V.  9.  10  bereits  Tatsache  de  iure  et  facto,  nach 
V.  5  ist  sie  eben  der  Gegenstand  des  Streites.  Durch  v.  6.  7  wird 
574  die  Kluft  zwischen  v.  3 — 5  und  v.  8 — 11  zwar  überbrückt,  aber 
nicht  weggeschafft.  Diese  Verse  sind  eine  Naht  des  letzten  Re- 
daktors, der  überall  zu  Gunsten  von  Q  harmonisirt.  Den  letzten 
Satz  von  v.  7  itb  ''3Ü  D27  Hl  hat  er  möglicherweise  aus  v.  3  hier- 
her versetzt,  so  dass  das  dortige  DD^  n")  noch  die  Spur  der  ur- 
sprünglichen Stelle  verriete.  Jedenfalls:  standen  die  Worte  einst 
in  V.  3,  so  dass  also  Mose  und  Aharon  damit  von  den  Anführern 
angeredet  wurden,  so  blieb  dem  Redaktor  kaum  etwas  anderes 
übrig,  als  sie  so  zu  versetzen,  dass  die  Aufständischen  selbst  unter 
den  Söhnen  Levis  zu  verstehn  waren. 

Also  stammt  nur  v.  8—11  aus  Q,  v.  3 — 5  aber  aus  der  zwei- 


Numeri  10—21.  105 

ten  Quelle  des  Jehovisten,  die  wii'  in  v.  23 — 34  nachgewiesen 
haben.  Dieser  letzteren  scheint  noch  v.  15  a  entnommen  zu  sein, 
dahingegen  v.  12 — 14.  15  b  zu  J  zu  gehören.  In  v.  1.  2  werden 
sämtliche  drei  Versionen  zusammengeworfen  sein. 

Von  grossem  Interesse  ist  die  Vergleichung  des  Inhalts  der 
di-ei  verschiedenen  Berichte,  die  allerdings  nur  fragmentarisch  er- 
erhalten  sind,  dennoch  aber  ihre  Pointen  noch  ganz  gut  erkennen 
lassen.  Folgendes  ist  die  Darstellung  1)  von  J.  Die  Rubeniten 
Dathan  und  Abiram,  vornehme  Männer  des  erstgeborenen  Stammes, 
wollen  sich  den  Mann  nicht  als  Fühi'er  gefallen  lassen,  der  sich  so 
wenig  als  solcher  bewährt  hat,  und  empören  sich  gegen  seine  Herr- 
schaft V.  13,  gegen  sein  Richtertum  v.  15b.  Citii't  von  Mose 
wollen  sie  nicht  kommen  und  so  ojeht  er  selbst,  in  Bedeitunsj  der 
Altesten,  zu  ihren  Zelten.  Ein  Gottesgericht  entscheidet  zu  seinen 
Gunsten,  der  Boden  spaltet  sich  unter  den  Füssen  der  Übeltäter, 
sie  fahren  lebendig  zur  Hölle.  Daran  reiht  sich  2)  die  andere 
Version  in  JE.  Korah,  ein  weltliches  Stammhaupt,  und  andere 
mit  ihm  treten  ein  füi'  das  priesterliche  Recht  aller  Israeliten  und 
opponii-en  gegen  dessen  Beschränkung  auf  die  Sölme  Levis  d.  i. 
Mose  und  Aharon.  Sie  üben  ihr  vermeintliches  Recht  auch  prak- 
tisch aus,  indem  sie  ein  Opfer  darbringen  v.  15  a.  Aber  die  Strafe 
bleibt  nicht  aus.  Vor  den  Augen  von  ganz  Israel,  das  sich  auf 
Gottes  Gebot  rings  von  der  Wolmung  Korahs  abgesondert  hat,  tut 
die  Erde  ihi'  Maul  auf  und  verschlingt  sie.  Endlich  erzählt  3)  Q 
den  Vorgang  so.  Korah,  ein  Le^dt,  und  zweihundertfunfzig  Standes- 
genossen mit  ihm  erheben  sich  gegen  Aharon  und  verlangen  die 
Gleichstellung  des  niederen  Klerus  mit  dem  höheren.  Mt  dem 
Küsterdienst  nicht  zufrieden,  begehren  sie  auch  das  Priestertum. 
Um  die  Probe  zu  machen,  ob  Jahve  sie  dazu  zulassen  will,  er- 
scheinen die  elu'geizigen  Neider  mit  Pfannen  vor  der  Stiftshütte 
und  bringen  das  Räucheropf^r  dar,  aber  nachdem  sie  es  angezündet  575 
haben,  frisst  sie  das  heilige  Feuer. 

Wie  der  Redaktor  des  Pentateuchs  dazu  hätte  kommen  können, 
den  ersten  und  dritten  Bericht  zusammen  zu  schweissen,  die  nichts 
mit  einander  zu  tun  haben,  ist  ein  Rätsel,  welches  Nöldeke  und 
Kayser  gestellt,  aber  zu  beantworten  nicht  versucht  haben.  Es  löst 
sich  dmTli  den  in  der  Mitte  liegenden  zweiten  Bericht,  der  sich 
auf  der  einen  Seite  mit  J,  auf  der  anderen  mit  Q  berührt.  Er 
deckt  sich  mit  J  dariii,  dass  der  Aufstand  von  Laien  ausgeht  und 


][06  I^ie  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

dass  die  Schuldigen  in  ihrer  Wohnung  von  der  Erde  verschlungen 
werden.  Er  differirt  darin,  dass  der  Aufstand  nicht  gegen  Mose 
allein,  als  politischen  Führer,  sondern  gegen  Mose  und  Aharon,  als 
Inhaber  des  Priestertums  gerichtet  ist  (womit  zusammenhängt,  dass 
die  Empörer  ein  Opfer  darbringen),  und  dass  statt  der  Rubeniten 
Dathan  und  Abiram  der  Judäer^)  Korah  als  Rädelsführer  genannt 
wird.  Gerade  in  diesen  Differenzpunkten  nähert  er  sich  Q.  Auch 
in  Q  handelt  es  sich  um  Opposition  gegen  die  geistliche  Präroga- 
tive (Aharons)  und  sie  geht  von  Korah  aus,  aber  in  der  selben 
Richtung  wie  der  zweite  Bericht  entfernt  sich  der  dritte  noch  weiter 
vom  ersten.  In  Nr.  1  ist  von  einem  geistlichen  Stande  keine  Rede, 
sondern  nur  von  dem  hervorragenden  Einflüsse  einer  ausserordent- 
lichen Persönlichkeit  auf  das  gemeine  Wesen,  wogegen  die  Oppo- 
sition sich  regt.  In  Nr.  2  haben  wir  ein  entstehendes  Erbpriester- 
tum,  das  aber  noch  starke  Widersprüche  von  Seiten  der  dadurch 
ausgeschlossenen  Laien  findet.  In  Nr.  3  ist  der  Klerus  eine  unbe- 
strittene Tatsache,  aber  innerhalb  desselben  hat  sich  eine  Scheidung 
von  Priesteradel  und  gemeinen  Leviten  angebahnt,  die  noch  kein 
fait  accompli  ist,  sondern  lebhafte  Proteste  hervorruft.  In  Nr.  1 
wird  Mose  angefochten,  wegen  seiner  persönlichen  Stellung,  in 
Nr.  2  Mose  und  Aharon,  Avegen  ihrer  kastenartigen  Erhebung 
über  die  Laien,  in  Nr.  3  Aharon,  wegen  seiner  Erhebung  über 
die  übrigen  Leviten.  Das  gleiche  Verhältnis  zeigt  sich  darin,  dass, 
M^ährend  in  Nr.  1  das  Opferbringen  für  die  Aufrührerischen  nicht 
das  verbotene  Gut  ist,  wonach  sie  streben,  sie  in  Nr.  2  zwar  eine 
576  Mincha  darbringen,  aber  noch  nicht  eben  bei  dieser  Gelegenheit 
untergehn,  dagegen  in  Nr.  3  die  Consequenz  gezogen  wird,  dass 
sie,  mitten  im  Räuchern  begriffen,  vor  der  Stiftshütte  vom  heiligen 
Feuer  verzehi't  werden. 

4.  In  der  Analyse  der  ebenfalls  complicirten  Erzählung  vom 
LTrsprung  der  Quelle  zu  Kades  20,  1 — 13  hat  Knobel  das  Richtige 
getroffen.  Der  Anfang  stammt  aus  Q.  Nach  dieser  Quelle  haben 
wii'  uns  bisher  noch  nicht  in  Kades,  sondern  in  der  Wüste  Pharan, 
der  Gegend  der  40 jährigen  Wanderung,  befunden  und  gelangen  erst 


^)  Dass  Korah  in  v.  3 — 5  kein  Levit  ist,  ist  gewiss.  Es  kann  also,  so 
weit  unsere  Kenntnisse  reichen,  nur  das  judäische  Geschlecht  Korah  in  Be- 
tracht kommen.  Dies  wird  darum  besonders  wahrscheinlich,  weil  Rüben  auch 
sonst  mit  Juda  wechselt.  Hier  aber,  wo  es  sich  um  einen  begangenen  Frevel 
handelt,  nennt  J  Ruhen  und  die  andere  Quelle  Juda. 


Numeri  10—21.  107 

jetzt  in  die  Wüste  Sin  nach  Kades,  wahrscheinlich  am  Anfang  des 
40.  Jahi'es  (20,  22  ss.)  —  das  Datum  v.  la  ist  vielleicht  aus 
harmonistischen  Gründen  verstümmelt  (Nöldeke).  Ausser  v.  la 
gehören  noch  v.  2.  3  b.  (nach  dem  Athnach)  und  6  zu  Q,  wol 
auch  V.  12.  Alles  Übrige  stammt  aus  JE.  Was  speciell  v.  7 — 13 
betrifft,  so  ist  der  Stab  hier  überall  der  des  Mose,  dieser  nimmt 
ihn  V.  8.  9,  erhebt  ihn  und  schlägt  damit  v.  11,  offenbar  aber 
gehört  er  dem,  der  ihn  führt.  Aharon  ist  möglicherweise  v.  8 
und  10  bloss  eingeschoben;  wenigstens  fällt  der  Plural  immer 
sogleich  wieder  in  den  Singular  zurück,  v.  10  in  höchst  auffallender 
Weise.  Dass  der  Stab  hier  wie  in  Q  im  Heiligtum  aufbewahrt 
wird,  kann  nicht  befremden;  das  war  späterhin  der  Platz  der  Ee- 
liquien,  von  wo  sie  der  Priester  zu  Silo  oder  zu  Jerusalem  heraus- 
holte. Will  man  indessen  in  den  betr.  Worten  v.  8  einen  Ein- 
fluss  aus  Q  sehen,  so  habe  ich  nichts  dagegen  einzuwenden.  Nur 
ist  festzuhalten,  dass  das  Stück  im  Ganzen  einer  anderen  Quelle 
entstammt,  wie  ja  auch  Q  anerkannter  massen  hier  einen  verschie- 
denen Bericht  voraussetzt,  in  welchem  die  Widerspenstigkeit  nicht 
auf  Seiten  der  Gemeinde,  sondern  ihrer  Füln-er  ist  (20,  24.  27,  14). 

—  Der  Ausdruck  cn^ym  n'^r^'n  v.  8.  11  verbindet  die  Yerse  7—13 
mit  4.  5.  Was  also  nicht  aus  Q  stammt,  gehört  zusammen  und 
ist  ein  einheitliches  Stück  von  JE,  und  zwar  nicht  entlehnt  aus  J 

—  dagegen  spricht  my,  *ii^:i,  hnp  und  nebenbei  der  Stab  Moses 
— ,  sondern  aus  der  Vorlage,  welche  der  Jeho^dst  auch  Kap.  13  s. 
Kap.  16  neben  J  benutzt  hat.  Wie  in  Q  scheinen  auch  hier  die 
Israeliten  jetzt  zuerst  nach  Kades  zu  gelangen;  wenigstens  hat  es 
keinen  Sinn,  w^enn  die  Öffnung  der  Quelle  daselbst  erst  an  das 
Ende  eines  langen  Aufenthaltes  daselbst  fiele,  und  nach  14,  25  gelm 
sie  ja  wirklich,  nachdem  sie  die  Kundschafter  von  einem  nicht 
mein'  zu  bestimmenden  Orte  aus  abgesandt  haben,  wieder  zurück 
nach  Süden  und  verbringen  die  vierzig  Strafjahre  wandernd  in  der 
Wüste  am  Schilfmeer.  Dagegen  hat  J  das  Volk  walu'scheinlich  577 
lange  Jalu'e  in  Kades  wohnen  lassen,  nämlich  die  ganze  Zeit  von 
der  Aussendung  der  Kundschafter  an  bis  zum  Aufbruch  nach  dem 
Ostjordanlande.  Dies  darf  man  wol  aus  Jud.  11,  16s.  und  aus 
Deut.  1,  46  schliessen')  und  vielleicht  auch  annehmen,  dass  die 
Worte   und    das  Volk  blieb    in  Kades  Num.   20,   1   ein  ver- 


^)  In  Jud.  11  gehören  die  Worte  i^*"i''P2L  '">  Üt^"*!   v.  17  vielmehr  an  den 


108  I^ie  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateiichs. 

sprengter  und  verstümmelter  Rest  des  Berichts  aus  J  sind.  Kades 
scheint  füi*  eine  Gestalt  der  Tradition,  die  in  J  zu  Grunde  gelegen 
hat,  gegenwärtig  aber  durch  anderweitige  Berichte  ganz  verwischt 
ist,  als  langjähriges  Standlager  der  Hebräer  sehr  grosse  Bedeutung 
gehabt  und  als  Ort  der  Gesetzgebung  vielleicht  mit  dem  Sinai 
selbst  concurrrirt  zu  haben.  Man  könnte  sogar  versucht  sein  zu 
glauben,  dass  die  ursprüngliche  Gestalt  dieser  Überlieferung  die 
Digression  nach  dem  Sinai  gar  nicht  kennt,  sondern  das  Volk 
vom  Schilfmeer  direkt  nach  Kades  gelangen  lässt,  und  sich  dafür 
auf  Jud.  11  und  auf  die  Stellung  der  Geschichte  Exod.  17  berufen, 
die  doch  wol  in  Kades  spielt.  Aus  Jud.  5  Deut.  33  folgt  über 
den  Sinai  als  Berg  der  Gesetzgebung  gar  nichts. 

Von  Kades  aus  erfolgt  übereinstimmend  nach  allen  Berichten 
der  Aufbruch  ins  Ostjordanland  20,  14 — 22,  1.  Zu  Q  rechnet 
man  mit  Sicherheit  20,  22 — 29,  weniger  sicher  den  Anfang  von 
21,  4  und  21,  10.  11.  Yon  Schwierigkeiten  mit  den  Nachbar- 
völkern scheint  dieser  Bericht  nichts  zu  wissen,  er  behandelt  das 
Terrain  wie  tabula  rasa.  Die  Israeliten  ziehen  von  Kades  direkt 
nach  Osten  durch  Edom ')  und  lassen  sich  ungestört  in  den  Arboth 
Moab  nieder.  Der  Bericht  von  JE  ist  nicht  ganz  aus  einem  Gusse, 
J  liegt  zu  Grunde,  ist  aber  überarbeitet  und  vermehrt.  Wie  die 
auffallende  singularische  Behandlung  der  Yölkernamen  beweist  (vgl. 
Exod.  14),  sind  die  beiden  Hauptstücke  20,  14—21.  21,  21—31 
aus  J,  wenn  auch  vielleicht  vom  Jehovisten  überarbeitet.  Was 
aber  in  JE  dazwischen  liegt,  scheint  ziemlich  buntscheckig  zu  sein. 
An  ganz  unpassender  Stelle  steht  21,  1 — 3,  ein  Seitenstück  aus  J 
578  zu  14,  40 — 45,  mit  einem  die  Folgezeit  antecipirenden  Schluss 
V.  3=Jud.  1,  17.  Der  v.  4  schliesst  mit  ?)it»  C^  "|m  an  20,  21. 
Die  Geschichte  von  der  ehernen  Schlange  ist  gegen  die  Sitte  in 
J  nicht  lokalisirt  und  bietet  keinen  Anknüpfungspunkt  für  das 
Dti'D  V.  12.  Das  Stationenverzeichnis  selber  (v.  12 — 20)  führt 
uns  über  die  Situation,  wie  sie  v.  21  ss.  vorausgesetzt  wird,  zu 
weit  hinaus;  in  v.   20  befinden  wir  uns   schon  mitten  im  Gebiet 


Schluss  von  v.  16.     In  Deut.  1  steht  die  Yersion  1,  46  im  schroffen  und  un- 
vermittelten Widerspruch  zu  der  anderen  herrschenden  1,  40.  2,  1. 

^)  S.  Knobel  über  die  Lage  des  Berges  Hör.  Wie  Moses  und  Miriams 
Grab  muss  das  Aharons  an  der  Grenze  Israels  gelegen  haben.  Etwas  an- 
deres kann  auch  die  Grenze  Edoms  im  Munde  eines  hebräischen  Erzählers 
nicht  bedeuten,  als  die  Grenze  Edoms  gegen  Israel. 


Numeri  10—21.  109 

Sihons,  an  dessen  Grenzen  wir  v.  21  erst  anlangen.  Was  ur- 
sprünglich zwischen  20,  21  und  21,  21  gestanden  haben  mag,  kann 
man  notdüi-ftig  aus  Jud.  11,  18  erschliessen.  Füi-  einen  späteren 
Anhang  an  J  muss  ich  endlich  21,  32 — 35  ansehen.  Nach  v.  31 
bleibt  Israel  im  Lande  des  Amoriters  wohnen,  in  22,  2  ist  von 
der  Unterwerfung  des  Königs  von  Basan  keine  Rede,  ebenso  wenig 
Jud.  11,  22.  Auch  unterscheidet  sich  die  Sprache  in  21,  32 — 35 
in  charakteristischer  Weise  von  der  des  vorhergehenden  Stückes; 
vgl.  z.  B.  in.s*  ID^T  V.  35  mit  IHD^I  v.  24. 

Israel  im  Lande  zwischen  Arnon  und  Jabbok. 
Num.  22  —  Deut.  34. 

1.  Der  Segen  Bileams  Num.  22 — 24  ist  zwar  rein  aus  JE, 
aber  darum  doch  kein  Werk  einheitlicher  Conception.  Am  deut- 
lichsten empfindet  man  den  Widerspruch  des  Stücks  22,  22 — 34^) 
zu  seiner  Ums^ebuno'.  Gott  hat  dem  Bileam  vorher  ausdrücklich 
erlaubt  und  befohlen,  sich  mit  den  Boten  auf  den  Weg  zu  Balak 
zu  machen:  wie  kann  er  denn  v.  22  darüber  ergrimmen,  dass 
Bileam  den  Befehl  ausfüln-t?  Offenbar  steht  v.  22  ss.  mit  dem 
Vorhergehenden  nicht  im  Zusammenhang,  wie  denn  auch  in  v.  34, 
wo  doch  dringende  Veranlassung  gewesen  wäre,  von  v.  20  keine 
Notiz  genommen  wii'd.  Erst  v.  35  sind  wir  wieder  so  weit,  wie 
wir  20.  21  schon  gewesen  waren.  Doch  ist  dieser  Vers  nicht 
die  echte  Fortsetzung  von  v.  22 — 34,  sondern  wegen  seiner  wört- 
lichen Übereinstimmung  mit  V.  20.  21b.  ein  Zusatz  des  Jehovisten, 
wodurch  er  wieder  Anschluss  sucht  mit  dem  Faden,  den  er  v.  20 
hatte  fallen  lassen.  In  v.  22 — 34  geht  Bileam  auch  gar  nicht  zu- 
sammen mit  anderen,  sondern  offenbar  alleine;  er  hat  die  Boten 
Balaks  ablehnend  beschieden,  sich  dann  aber  doch  ihnen  nach  auf 
den  Weg  gemacht.  Ferner  ist  es  noch  sein-  zweifelhaft,  ob  in  der  579 
ursprünglichen  Version  der  Seher  trotz  dem  Widerstreben  der  Eselin 
dennoch  schliesslich  weiter  ritt.  Ich  glaube,  er  kehrte  um;  darauf 
erschien  Balak  persönlich  bei  ihm  v.  37,  und  mit  diesem  erliielt 
er  Erlaubnis  zu  gelm  und  ging  v.  39.  Die  Vv.  37  und  39  scheiaen 
Reste  der  walu-en  Fortsetzung  des  Berichtes  zu  sein,  aus  dem 
V.  21a.  22 — 34  entnommen  sind. 


^)  Aus  dem  Folgenden  wird  sich  ergeben,  dass  v,  21b  zu  20,  21a  zu  22 
zu  ziehen  ist. 


110  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

Dieser  Bericht  ist  der  von  J,  dagegen  der  andere,  wonach  Gott 
Bileam  auf  die  zweite  Botschaft  mitgehn  heisst,  der  von  E.  Der 
Wechsel  der  Gottesnamen  gibt  dafür  einen  Fingerzeig,  obwol  er 
nicht  ganz  rein  erhalten  ist.  In  v.  22  muss  urspr.  Jahve  ge- 
standen haben,  Elohim  ist  eine  Nachwirkung  aus  dem  Vorher- 
gehenden; umgekehrt  giebt  in  v.  19  und  8  Jahve  Anlass  zu  Zwei- 
feln. Der  Jehovist  hält  sich  in  der  Erzählung  des  22.  Kapitels, 
abgesehen  von  der  Episode  v.  22 — 34,  vorzugsweise  an  E;  ausser 
V.  37  und  39  lässt  sich  nur  in  v.  18  mit  Sicherheit  ein  Frag- 
ment aus  J  erkennen  (denn  hier  kommt  zu  Jahve  mein  Gott 
der  Ausdruck  dieKnechteBalaks  hinzu)  und  ferner  in  v.  2 — 5 
ein  mixtum  compositum  aus  beiden  Quellen.  Denn  v.  3  a  ist 
=  3  b,  der  letzte  Satz  von  v.  4  setzt  den  v.  2  nicht  voraus,  in 
V.  5  ist  u  X"lp7  'V  "2.  V"1Jn  eine  sehr  fremdartige  Apposition  und 
es  steigt  der  Verdacht  auf,  dass  wol  die  Söhne  Ammon  gemeint 
sein  möchten.  Die  Ausdi'ücke  VIp  (sich  fürchten  Exod.  1,  12) 
'">  'Jn  V.  3,  bnp  V.  4  weisen  auf  E ;  die  Ältesten  Midians  beruhen 
wol  auf  einem  Einfluss  aus  Q,  s.  zu  Kap.  25. 

Kap.  23  und  Kap.  24  glaube  ich  ebenfalls  an  J  und  E  ver- 
teilen zu  müssen.  In  24,  2  gewinnt  man  durchaus  den  Eindruck, 
als  sehe  Bileam  hier  zum  ersten  Mal  herab  auf  das  am  Fuss  des 
Gebirges  lagernde  Israel,  nach  Kap.  23  hat  er  aber  den  selben  An- 
blick schon  zweimal  gehabt  und  z.  B.  23,  10  gesagt:  wer  misst 
den  Staub  Jakobs  und  wer  zählt ^)  den  vierten  Teil  Israels!  Ferner 
könnte  man  es  wol  verstehn,  wenn  der  Seher  beim  dritten  und 
vierten  Spruch  sich  vorzustellen  unterliesse,  nachdem  er  es  beim 
ersten  und  zweiten  getan  hatte;  dass  er  es  aber  gerade  umgekehrt 
macht,  dass  mit  anderen  Worten  die  Einführung  24,  3s.  24,  lös. 
580  erst  an  dritter  und  vierter  Stelle  gegeben  wii'd,  das  ist  auf  keine 
Weise  zu  verstehn.  Endlich  darf  man  den  Schriftsteller,  der 
23,  21.  22.  24  geschrieben  hat,  nicht  zum  Plagiator  an  sich  selber 
machen  und  ihm  auch  die  Autorschaft  von  24,  7 — 9  zutrauen. 
Aus  alle  dem  geht  hervor,  dass  die  Verbindung  der  Kapp.  23  und 
24  erst  von  dritter  Hand  nachträglich  bewirkt  ist.     Dabei  ist  an- 


^)  1D^  '^12  ■  Die  Aussprache  der  Konsonanten  scheint  hier  öfters  mislungen. 
In  23,  20  ist  -["im  erste  P.  Sing,  des  Impf,  mit  Vau  cons.  In  ji^H  DPti' 
steckt  W  (=  Iti'^^)  und  eine  Form  von  DH-  Das  im  gleichen  Zusammenhang 
vorkommende  7DJ  ist  Niphal  von  77D   und  hat    D''3^y    als  Genitiv. 


Numeri  22  —  Deiiteronomium  34.  Hl 

zuerkennen,  dass  sie  sehr  gut  gelungen  ist.  Die  Erzählung  na- 
mentlich scheint  ganz  aus  einem  Guss  und  ist  wol  auch  wirklich 
vom  Jehovisten  neu  gegossen  worden.  Hier  erkennt  man  nur  im 
Übergange  von  Kap.  23  auf  Kap.  24  die  Fuge.  Nämlich  nach  23, 
14  befinden  wir  uns  auf  der  Spitze  des  Phisga,  in  v.  27  sollen  wil- 
den Ort  verändern  und  werden  nun  auf  die  Spitze  des  Berges  ver- 
setzt, der  über  dem  Jeschimon  emporragt.  Das  ist  aber  nach  21, 
20  eben  doch  wieder  der  Phisga,  Pheor  ist  nur  ein  anderer  Name 
dafüi'.  Daraus  wird  deutlich,  dass  23,  26 — 24,  1  grösstenteils  eine 
Naht  ist,  wie  denn  auch  das  Altarbauen  und  Opferbringen  für 
Kap.  24  ganz  überflüssig  ist,  wo  im  Unterschiede  gegen  Kap.  23 
der  Geist  Gottes  ohne  solche  Zaubermittel  über  den  Seher  kommt. 
Die  Prophetien  selbst  hat  der  Jeho\dst  wol  unangetastet  ge- 
lassen, doch  scheint  24,  20 — 24  seine  Erweiterung  zu  sein  und  ebenso 
23,  23  auf  seine  Hand  zurückzugehn.  Denn  dieser  Yers  zerreisst 
den  durch  24,  7 — 9  gesicherten  Zusammenhang  von  v.  21.  22.  24 
und  bringt  einen  ganz  fremdartigen  Ton  hinein,  er  ist  Interpreta- 
ment  von  v.  21  und  aus  Misverständnis  von  )1N  entstanden.  — 
Wenn  es  übrigens  fest  steht,  dass  Kap.  23  und  Kap.  24  verschiedener 
Herkunft  sind,  so  ist  es  keine  Frage,  dass  Kap.  23  aus  J  stammt; 
vgl.  die  ans  Heidnische  streifende  Präparation  zur  Weissagung  und 
den  Ausdruck  „ Jahve  begegnet  einem"   (Exod.  5,  3.  3,  18). 

Kap.  25  ist  hier  noch  anzuschliessen ,  weil  es  nach  seinem 
Hauptteile  ursprünglich  mit  einer  Erzählung  über  Bileam  in  Be- 
ziehung stand.  Es  gehört  ganz  zu  Q,  ausser  v.  1 — 5.  Diese  Aus- 
nahme aber  ist  eine  ganz  entschiedene,  25,  1 — 5  ist  nicht  etwa 
eine  starke  Überarbeitung  von  Q  (wofür-  Nöldeke  es  ausgiebt, 
ohne  einen  Kern  von  Q  aufzuweisen  und  ohne  begreiflich  zu 
machen,  warum  die  Überarbeitung  mit  v.  5  abbricht),  sondern 
ein  völlig  selbständiges  und  eigenartiges  Fragment  aus  JE;  vgl.  den 
bestimmten  Ort  Sittim  statt  der  allgemeinen  Angabe  Arboth  Moab 
in  Q.  Der  Anfang  der  Hauptquelle  ist  verloren,  man  kann  ihn 
etwa  folgendermassen  aus  den  Prämissen  der  Fortsetzung  und  aus 
31,  8.  16.  Jos.  13,  22  ergänzen.  Die  Ältesten  Midians  sind,  mit 
Wahi'sagerlohn  in  der  Hand,  zu  Bileam  gegangen,  um  sich  bei  ihm  581 
Rats  zu  erholen,  was  gegen  die  Eindringlinge  zu  machen  sei.  Er 
hat  ein  Mittel  angegeben,  der  Gefahr  die  Spitze  abzubrechen:  die 
Midianiter  sollen  den  Israeliten  ilu'e  Töchter  zu  Weibern  geben 
und  so  das  heilige  Volk  seiner  Stärke  berauben,  deren  Geheimnis 


112  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

seine  Absonderung  ist.  Die  Midianiter  sind  Bileams  Rate  gefolgt, 
es  ist  ihnen  gelungen,  manche  Israeliten  durch  die  Reize  ihrer 
Weiber  zu  bestricken  (31,  16),  eine  schwere  Plage  ist  in  Folge 
dessen  von  Jahve  über  das  untreue  Yolk  verhängt.  An  diesem 
Punkte  setzt  das  uns  erhaltene  Stück  ein  und  zwar  mit  dem  Be- 
richte, auf  welche  Weise  der  Plage  durch  das  Verdienst  des  Erb- 
priesters Pinehas  Einhalt  getan  worden  sei  25,  6ss.  Unter  den 
Unterschieden  dieser  Erzählung  gegen  die  in  JE  25,  1 — 5  ist  als 
der  wichtigste  der  hervorzuheben,  dass  die  Verschuldung  Israels, 
als  deren  intellektueller  Urheber  Bileam  erscheint,  nicht  darin  be- 
steht, dass  sie  sich  mit  dem  heidnischen  Götzen,  sondern  darin, 
dass  sie  sich  mit  den  fremden  Weibern  einlassen.  Es  scheint 
allerdings,  dass  hie  und  da  die  jehovistische  Reminiscenz  mechanisch 
die  Erzählung  von  Q  beeinflusse  (v.  18.  31,  16),  doch  weiss  man 
nicht  recht,  was  mit  "ll^D  IUI  an  diesen  Stellen  gemeint  sein  soll, 
und  das  ist  auf  alle  Fälle  sicher,  dass  die  Hurerei  in  Q  nicht  ein 
begleitendes  Moment,  sondern  die  Hauptsache  ist  und  nicht  wegen 
ihrer  Verbindung  mit  Baalsdienst,  sondern  an  sich,  als  das  Ein- 
führen ausländischer  Frauen  in  das  Israel.  Lager  (v.  6),  getadelt 
wird.  Dass  übrigens  die  so  auseinandergehenden  Versionen  dennoch 
aus  gemeinsamer  Wurzel  erwachsen  sind,  macht  Bileam,  Pheor  und 
die  Zweideutigkeit  der  Ausdrücke  "i;^liJ  auf  der  einen  und  n^l  auf 
der  anderen  Seite  probabeP). 

2.  Moses  letzte  Verordnungen  und  Tod.  Grösstenteils  aus 
Q,  wenn  man  vom  Deuteronomium  absieht.  Den  Faden  zu  ent- 
decken ist  nicht  ganz  leicht,  auch  abgesehen  von  den  gar  nicht 
mit  der  geschichtlichen  Situation  in  Beziehung  stehenden  Stücken 
Num.  28 — 30.  Kap.  33.  Nur  scheinbaren  Anlass  zu  Bedenken 
giebt  die  Stellung  von  Num.  27.  Man  könnte  meinen,  zwischen 
den  Befehl  27,  12  ss.  und  dessen  Ausfühi'ung  dürfe  sich  nicht  so 
viel  eindrängen'''),  und  27,  1 — 11  habe  erst  hinter  den  allgemeine- 
ren Anweisungen  Kap.  32.  34.  35  seinen  Platz,  unmittelbar  vor 
582  36,  1  SS.  Aber  1)  Kap.  27,  1 — 11  schliesst  sich  an  die  Zählung 
Kap.  26  an,  deren  Zweck  aus  v.  52 — 56  erhellt,  die  Bitte  der 
Töchter  Zelophchads  ist  so  wenig  verfrüht  wie  die  der  2V2  Stämme 


1)  Ein  Anhang  zu  Kap.  25,  ganz  in  der  Art  von  Q  gehalten,  ist  das  31. 
Kapitel,  über  dessen  Stelle  im  Zusammenhang  alsbald  weiter  zu  reden  sein  wird. 

2)  Klostermann,  Stud.  und  Krit.  1871  p.  256. 


Numeri  22  —  Deiiteronomium  34.  113 

Kap.  32.  2).  Der  Befehl  zu  sterben  ergeht  deshalb  so  iinverhältnis- 
mässig  früh,  weil  er  die  Veranlassung  abgiebt,  den  Josua  einzu- 
setzen, vor  der  Einsetzung  Josuas  aber  die  Anweisungen  über  die 
Yerteilung  des  Landes  in  Q  nicht  gegeben  werden  können.  3)  Die 
sehr  weitläufige  Wiederaufnahme  des  Num.  27,  12  gegebenen  Be- 
fehls in  Q  Deut.  32,  48  ss.  lässt  vermuten,  dass  man  ihn  in- 
zwischen wegen  beträchtlicher  Einschiebungen  halb  vergessen  hat; 
auch  das  ausdrückliche  eodem  die  Deut.  32,  48  würde  unmittelbar 
nach  Num.  27,  23  nicht  verständlich  sein,  erklärt  sich  aber  sehr 
gut  nach  dem  Dazwischentreten  der  Gesetzgebung  in  den  Arboth 
Moab  (Num.  36,  13),  aus  dem  Bestreben,  trotzdem  die  zeitliche 
Einheit  zu  wahren.  Dagegen  scheint  mir  Num.  31,  der  Krieg  gegen 
die  Midianiter,  nicht  hergehörig.  Ich  zweifle  natürlich  keinen 
Augenblick  daran,  dass  dieses  Kapitel  durchaus  im  Geiste  und  in 
der  Manier  von  Q  und  nach  den  geschichtlichen  Voraussetzungen 
dieser  Quelle  abgefasst  ist,  und  gestehe  auch  das  zu,  dass  der  Ver- 
fasser dasselbe  auf  die  Stelle  berechnet  hat,  an  der  es  jetzt  steht, 
hinter  Kap.  26  und  Kap.  27  (vgl  31,  1.  2).  Aber  gerade  diese 
Stelle  würde  der  originale  Autor  von  Q  der  Erzählung  schwerlich 
angewiesen  haben.  Wer  27,  12  —  23  schrieb,  konnte  die  Aus- 
nahme 31,  2  unmöglich  im  Sinn  haben,  die  gerade  so  gut  und 
viel  besser  vorher,  gleich  nach  Kap.  25,  abzumachen  gewesen 
wäre.  Alles  Übrige  betrifft  die  künftigen  Verhältnisse  der  An- 
siedlung,  worüber  Mose  seinen  letzten  Willen  ausspricht  und  Elea- 
zar  und  Josua  zu  Executoren  ernennt,  es  fällt  in  den  Rahmen 
eines  einzigen  Tages  Deut.  32,  28.  Auch  die  Zählung  Num.  26 
zweckt  ausgesprochener  massen  auf  die  Verteilung  des  Landes  an 
die  kleineren  und  grösseren  Geschlechter  und  nicht  auf  den  Krieg 
(Kap.  31)  ab. 

Nicht  rein  aus  Q  geflossen  ist  Kap.  32.  Nöldeke  glaubt,  es 
sei  hier  nicht  ein  zweiter  selbständiger  Bericht  hinzugekommen, 
sondern  es  liege  nur  eine  redaktionelle  Erweiterung  von  Q  vor. 
Aber  diese  Ansicht  ist  nicht  haltbar,  wie  ich  zunächst  für  v.  1 — 32 
versuchen  will  darzutun.  Was  v.  1 — 15  betrifft,  so  kann  man 
nur  sagen,  dass  an  wenigen  Stellen  Vorstellungen  von  Q  einge- 
tragen seien,  aber  nicht,  dass  diese  Quelle  hier  zu  Grunde  liege. 
Wenn  ferner  v.  16 — 19  für  Q  nicht  wol  zu  entbehi-en  sind  (excl. 
z.  T.  V.  17),  so  scheinen  diese  Verse  aber  auch  eben  ursprünglich 
den  Anfang   der  Rede  der  ostjordan.  Stämme   enthalten   zu  sollen. 

Well  hausen,    Comp.    d.   Hexateuchs.    3.    Aufl.  8 


114"  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

583  wenigstens  erklärt  sich  vb^  I^Tl  v.  16  nicht  ganz  gut,  nachdem 
das  Gespräch  längst  im  Gange  ist.  Was  endlich  v.  20 — 32  angeht, 
so  mache  ich  aufmerksam  auf  den  Parallelismus  von  v.  20 — 27  mit 
V.  28 — 32,  welcher  besonders  auffallend  wird  durch  die  völlig 
gleiche  Zwieteilung  beider  Stücke:  v.  28 — 30  könnte  man  zur  Not, 
trotzdem  darin  nur  v.  21 — 23  wiederholt  wird,  als  den  bekräfti- 
genden Schluss  der  vorhergehenden  Verhandlung  ansehen,  aber  die 
beiden  folgenden  Yerse  31.  32,  die  in  jeder  Hinsicht  mit  v.  25.  26 
auf  gleicher  Linie  stehn,  machen  das  sehr-  unwahrscheinlich.  Im 
Wesentlichen  hat  Knobel  das  Rechte  gesehen,  wenn  er  v.  16 — 19. 
24  (=  V.  16).  28—30  zu  Q  weist,  nur  hätte  er  v.  31.  32  noch 
hinzufügen  müssen. 

V.  1—15  ....  V.  20—27  =  JE.  Eine  Spur  dieser  Quelle 
findet  sich  auch  in  v.  17  (ü'^t^^DPl)  und  verrät,  dass  der  jetzt  fehlende 
Übergang  von  v.  15  auf  v.  20  noch  dem  Redaktor  vorlag,  der 
einzelne  Elemente  davon  in  den  Ersatz  aus  Q  v.  16| — 19  ein- 
arbeitete. Die  sachliche  Ähnlichkeit  der  beiden  Berichte  —  man 
darf  vielleicht  den  Unterschied  konstatiren,  dass  die  betreffenden 
Stämme  in  Q  von  vornherein  und  aus  freien  Stücken  zur  Vorhut 
des  Heeres  sich  anbieten,  in  JE  moralisch  dazu  gezwungen  werden 
—  erschwert  die  Scheidung,  braucht  jedoch  übrigens  nicht  zu  be- 
fremden. Wol  aber  bedarf  die  auffallende  Verwandtschaft  der 
Sprachfarbe  der  Erklärung.  Man  kami  einmal  an  Überarbeitung 
durch  den  Redaktor  denken,  der  Vorstellungen  und  Ausdrücke  des 
Vierbundesbuchs,  das  er  ja  in  der  Tat  zur  Grundschrift  macht 
(Gen.  7,  8.  9),  in  den  anderen  Bericht  eingetragen  haben  mag. 
Denn  überall  findet  sich  nicht  etwa  Q  von  JE,  sondern  umgekehrt 
JE  von  Q  inficirt.  Aber  die  Hauptsache  wird  sein,  dass  die  Quelle 
selbst,  aus  der  v.  1 — 16.  20 — 27  mitgeteilt  sind,  in  Form  und 
Inhalt  dem  Vierbundesbuch  sich  nähert.  Es  wird  die  gleiche  sein, 
aus  welcher  der  Jehovist  in  Kap.  13.  14.  Kap.  16  neben  J,  in 
20,  1 — 11  allein  geschöpft  hat,  und  deren  sprachliche  und  sach- 
liche Berührungspunkte  mit  Q  bereits  öfter  Gelegenheit  war  her- 
vorzuheben. Sie  nimmt  eine  Mittelstellung  zwischen  J  und  Q  ein 
und  ist  am  nächsten  mit  der  Darstellung  des  Deuteronomisten  (Deut. 
1 — 4)  verwandt,  den  man  in  v.  6 — 15  glaubt  selbst  reden  zu  hören. 
Auch  beim  Deuteronomisten  nimmt  die  Tradition  eine  entschiedene 
Wendung  zu  der  Form,  die  in  Q  ausgeprägt  vorliegt. 

Unter  den  bisher  von  der  Untersuchung  ausgeschlossenen  Versen 


Numeri  22  —  Deiiteronomium  34.  115 

33 — 42  gehört  sicher  v.  40,  den  Nölcleke  der  „  Grundschrift ^^ 
zuweist,  nicht  zu  Q.  Denn  in  dieser  Quelle  ist  Machii-  nicht  Name  584 
der  ostjordanischen  Hälfte  von  Manasse.  Dahingegen  wird  man 
nicht  umliin  können,  v.  33,  der  ohnehin  als  Abschluss  von  v.  28 — 32 
kaum  entbehi'lich  ist,  zu  Q  zu  rechnen,  da  Num.  34,  14.  15 
vorausgesetzt  wird,  dass  neben  Rüben  und  Gad  auch  halb  Manasse 
schon  durch  Mose  sein  Erbteil  angewiesen  erhalten  habe.  Darin, 
dass  in  v.  29  halb  Manasse  fehlt,  hat  man  vielleicht  einen  unwill- 
kürlichen Einfluss  von  JE  zu  sehen ^).  Denn  da,  nach  meiner 
Meinung,  ganz  v.  34 — 42,  anerkanntermassen  aber  v.  39.  41.  42 
zu  JE  gehören,  so  folgt,  dass  nach  dieser  Version  bloss  Rüben 
und  Gad  von  Mose  ihr  Erbteil  erhalten,  dass  aber  die  Landschaft 
Basan  von  einzelnen  Geschlechtern  Manasses  auf  eigene  Faust 
occupirt  wird;  in  Wirklichkeit  lange  nach  ]\Iose,  vielleicht  auch 
nach  der  Meinung  des  Schriftstellers,  der  in  diesem  Fall  die  Folge- 
zeit hier  antecipirt.  Y.  40  ist  ein  Yersuch,  das  eigenmächtige 
Verfahren  zu  legalisii'en,  ein  Übergang  zu  Q.  Zu  v.  34 — 38 
vergleiche  das  sein-  verschiedene  Verzeichnis  in  Q  Jos.  13,  15 — 28. 

Die  Anweisungen,  die  Mose  vor  seinem  Tode  noch  über  das 
Westjordanland  giebt  (Kap.  33,  50 — 36,  13),  lassen  in  33,  50 — 56 
ein  fremdes  Element  in  Q  erkennen.  Aber  dasselbe  scheint  von 
dem  Verfasser  von  Q  in  den  Zusammenhang  seines  Werks  aufge- 
nommen zu  sein,  denn  kein  anderer  als  er  hat  die  Einführung 
V.  50.  51  geschrieben,  ebenso  den  zum  übrigen  Inhalt  gar  nicht 
sein-  passenden  v.  54.  Mit  dieser  Version  verhält  es  sich  also 
Avol  ähnlich,  wie  mit  dem  bekannten  grossen  Abschnitt  am  Ende 
des  Leviticus,  den  der  Vf.  des  Vierbundesbuchs  gleichfalls  seinem 
Werke  einverleibt  hat.  Beachtung  verdient,  dass  zwei  auffallende 
Wörter  in  Levit.  26,  nämlich  ^''Dt^*D  und  r\ü'2.'  an  unserer  Stelle 
wiederkelu'en. 

Zum  Schlüsse  spielt  JE  wieder  stärker  ein,  namentlich  in 
Deut.  34.  Hier  ist  Q  nur  in  v.  1  a  und  8.  9  (7  a?)  zu  erkennen; 
übrigens  sprechen  sämtliche  Ausdrücke  und  Vorstellungen,  aus  denen 
man  überhaupt  etwas  schliessen  kann,  gegen  Q  und  für*  JE,  bez. 
für  den  deuteronom.  Bearbeiter  von  JE.  So,  um  nur  einiges  zu 
erwähnen,  das  Haupt  des  Phisga  über  Jericho  v.  1,  das  west- 


1)  Älmlich  wird  man   die  Erwähnimg   von  Sihon  und  Og  Jos.    13   zu   er- 
klären haben. 

8* 


'IIQ  Die  Erzä|ilimg  der  übrigen  Bücher  des  Hexateiichs. 

liclie  Meer  v.  2,  die  Palmenstadt  v.  3,  das  Tal  in  Moab  gegen 
Beth-Plieor  y.  6,  das  geheimnisvolle  Begräbnis  v.  6,  die  km'zen 
585  kernigen  Wendungen  v.  5  C^"»  ^?  hv^  und  v.  7b.  Ob  die  Altersan- 
gabe V.  7  a  nur  in  Q  enthalten  gewesen  sein  kann,  wii'd  darnach 
wenigstens  fraglich.  Yon  Kap.  34  rückwärts  gehend,  darf  man  nach 
V.  5  schliessen,  dass  auch  in  JE  der  Befehl  an  Mose  ergangen  ist, 
sich  zum  Sterben  anzuschicken.  Schrader  und  Klostermann  haben 
Recht,  Deut.  31,  14—22')  (und  folgerecht  das  Lied  Kap.  32)  für 
JE  in  Anspruch  zu  nehmen,  eine  genaue  Parallele  zu  Q  Num.  27, 12 — 23. 
Deut.  32,  48—52.  Wie  Deut.  31,  14—22  mit  dem  Werke  des 
Deuteronomisten  verschlungen  ist,  soll  hier  nicht  untersucht 
werden.     Deut.  33  steht  ausserhalb   aller  Verbindung. 

Erwähnenswert  ist,  dass  seit  dem  Segen  Bileams  J  plötzlich 
abbricht.  Nur  in  Num.  25,  1 — 5,  und  Deut.  34  könnte  man  viel- 
leicht einige  Spuren  dieses  herrlichen  Erzählungsbuches  finden 
wollen,  z.  B.  34,  7  b. 

Die  Eroberung  und  Verteilung  Kanaans  unter  Josua. 

Jos.  1—24. 

1.  Wenn  ich  das  Buch  Josua  hier  anschliesse,  so  soll  damit 
zunächst  nur  behauptet  sein,  dass  es,  im  Unterschied  zu  Judicum 
Samuelis  und  Regum,  ein  den  Pentateuch  auf  allen  Punkten  voraus- 
setzender Anhang  zu  demselben  sei,  nicht,  dass  darin  ganz  das 
gleiche  Material  in  der  gleichen  Weise  verarbeitet  vorliege.  Ein 
Teil  der  Quellen,  bes.  E  in  der  Bearbeitung  des  Jehovisten,  wird 
sich  hier  fortsetzen,  aber  allgemein  kann  die  überall  in  unserem 
Buch  zu  Grunde  liegende  Vorstellung  nicht  geherrscht  haben,  dass 
Josua  an  der  Spitze  des  gesamten  Israels  gestanden;  wenn  z.  B.  in 
J  Josua  überhaupt  vorgekommen  ist,  so  hat  er  gewiss  nur  als  der 
Fühi'er  Josephs  (einschl.   Benjamins)   gegolten  ^).     Dass    die  Bear- 

^)  V.  23  ist  Rede  Jahves  mit  Josua,  die  etwas  post  festum  kommt. 

2)  Jud.  1,  ein,  wie  es  scheint,  uns  nur  sehr  mit  Auswahl  und  in  Resten 
mitgeteilter  Bericht,  weiss  nichts  von  Josua,  sondern  schliesst  (quoad  rem)  an 
den  Pentateuch  an;  die  ersichtlich  vom  Bearbeiter  (Jos.  1,  1)  herrührende  Über- 
gangsformel müsste  sachgemässer  heissen:  und  nach  dem  Tode  Moses. 
Die  Ansiedlung  vollzieht  sich  nach  allen  Berichten  an  drei  Punkten  und  in 
drei  Absätzen.  In  dem  zuerst  eroberten  Ostjordanland  lässt  der  damals  mäch- 
tigste Stamm,  Rüben,  sich  nieder.  Von  da  geht,  in  Anlehnung  an  Rüben,  die 
Eroberung    des  Landes   Ephraim    durch  Joseph    aus.     Ganz   selbständig    agirt 


Josiia  1—24.  117 

beitung  der  Vorlagen  hier  stärker  hervortritt  und  eine  viel  ausge-  586 
sprochenere  Färbung  hat  als  im  Pentateuch,  ist  längst  empfunden 
worden.  Wenn  vollends  mit  der  Thora  Moses  8,  31  nicht  bloss 
das  Deuteronomium,  sondern  alle  fünf  Bücher  Moses  gemeint 
sein  sollten  (anders  24,  26),  so  wäre  es  entschieden,  dass  das 
Buch  Josua  in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  nur  als  An- 
hang nicht  aber  als  Abschluss  des  Pentat euchs  angesehen  werden 
dürfte. 

Jos.  1  ist  rein  deuteronomistisch,  d.  h.  von  dem  Schriftsteller, 
der  das  deuteron.  Gesetz  in  die  Geschichte  eingefügt  und  die  Ge- 
schichte nachdem  deuteron.  Gesetz  bearbeitet  hat,  von  dem  Deu- 
ter onomisten,  wie  man  ihn  im  Unterschied  von  dem  Autor  des 
eigentlichen  Deut,  bezeichnen  kann.  Ygl.  Kuenen,  Onderzoek^  I. 
p.  184  n.  3,  Hollenberg,  Stud.  und  Krit.  1874  p.  473—478.  Dass  ^ 
nicht  der  Vf.  des  Deut,  auch  Jos.  1  verfasst  habe,  folgert  H.  mit 
Recht  aus  der  Yergleichung  von  Jos.  1,  3 — 5  mit  Deut.  11,  24s. 
„Est  ist  schwer  glaublich,  dass  ein  Schriftsteller  selbst  sich  auf  diese 
Weise  ausschreiben  sollte,  zumal  dann  nicht,  wenn  er  die  Worte 
zuerst  in  einem  ganz  anderen  Zusammenhange  und  an  eine  andere 
Adresse  hatte  sprechen  lassen.  Der  Vf.  von  Jos.  1  hat  sogar  irr- 
tümlich geglaubt,  in  der  von  ihm  benutzten  Stelle  rede  Gott,  dem 
Vf.  des  Deut,  wäre  ein  solcher  Irrtum  schwerlich  entschlüpft.  Es 
liegt  also  hier  deutlich  die  Benutzung  der  deuteron.  Schrift  von 
Seiten  eines  anderen  Vf.  vor." 

Mit  der  Eroberung  Jerichos  (Kap.  2 — 6)  beginnt  die  Erzählung 
von  JE;  vgl.  Sittim  2,  1,  nicht  Arboth  Moab  wie  in  Q  und  Deu- 
teronomium. In  der  Geschichte  von  den  Kundschaftern  Kap.  2 
scheint  der  Jehovist  nur  Einer  Vorlage  zu  folgen;  denn  die  unbe- 
trächtlichen Inconcinnitäten,  die  besonders  in  den  Zeitangaben  zu 
Anfang  des  Kap.  vorkommen,  rechtfertigen  nicht  die  Annahme 
mehrerer  Quellen;  v.  4a  ist  vielleicht  eine  vorgreifende  Glosse.  In 
V.  10.  11  haben  Kuenen  und  Hollenberg  Spuren  des  Deuterono- 
misten  erkannt,  im  Ganzen  aber  ist  die  Rede  Rahabs,  in  der  sie 
tut,  „als  habe  sie  den  ganzen  Pentateuch  gelesen,"  jehovistisch, 
s.  9,  9 — 11.  24.    Verwickelter  ist  die  Erzählung  vom  Übergang  über 


wieder  Juda,  unklar  von  wo  aus.  Die  übrigen  Stämme  schliessen  sich  an, 
können  aber  z.  T.  nicht  zu  festen  Sitzen  gelangen.  Das  Bewusstsein,  dass 
nicht  Gesamtisrael  auf  einmal,  sondern  zuerst  Rüben,  dann  Juda  und  Joseph 
Fuss  fa-ssten,  ist  selbst  im  B.  Josua  noch  nicht  verloschen;  vgl.  18,  2  ss. 


118  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

den  Jordan  Kap.  3.  4.  Nach  3,  1  bleiben  die  Hebräer  nur  noch 
eine  Nacht  jenseits  des  Jordans,  dem  entsprechend  sagt  Josua  v.  5, 
morgen  solle  der  Übergang  stattfinden.  Was  aber  zwischen  v.  1 
und  5  steht,  fügt  sich  diesem  Termine  nicht,  die  drei  Tage 
V.  2  rechnen  von  1,  11  an.  Was  auf  v.  5  zunächst  folgt,  gehört 
zu  V.  2 — 4,  der  Befehl  v.  6  ist  durch  v.  3.  4  vorbereitet,  und  die 
587  Eröffnung  v.  7.  8.  verträgt  sich  wenigstens  recht  wol  damit,  während 
sie  im  Vergleich  zu  v.  5  post  festum  kommt.  Also  wären  v.  1. 
5.  auf  die  eine  und  v.  2 — 4.  6 — 8  auf  die  andere  Seite  zu 
stellen.  In  3,  9 — 17  könnte  man  wegen  „der  Priester,  der  Träger 
der  Lade"  die  Fortsetzung  von  v.  2 — 4.  6 — 8  zu  erkennen  geneigt 
sein.  Aber  in  letzteren  Versen  heisst  die  Lade  regelmässig  die 
Lade  des  Bundes  (Jahves)  v.  3.  6.  8,  in  v.  9ss.  niemals,  wenn 
man  genauer  zusieht.  Denn  dass  in  v.  14  n''~^.D.n  hinter  ]n,iSn  ein- 
geschoben ist,  beweist  der  Artikel  des  Status  constr.,  und  wenn 
der  ebenfalls  sprachwidrige  Ausdruck  i:n  jnN'  v.  11  mit  dem  fast 
ganz  entsprechenden  in  v.  13  verglichen  und  in  Betracht  gezogen 
wird,  dass,  wie  bes.  die  Sept.  lehrt,  die  spätere  Tendenz  dahin 
geht,  die  Lade  des  Bundes  zu  bevorzugen,  so  wii*d  derselbe  nicht 
etwa  durch  Streichung  des  letzten  Genetivs,  sondern  durch  Ver- 
wandlung von  H'^'llin  in  mn"'  zu  corrigiren  sein.  Erweist  sich  nun 
in  diesem  wichtigen  Punkte  der  Sprachgebrauch  in  v.  9 — 17  als 
constant  verschieden  von  dem  in  v.  2 — 4.  6 — 8,  so  werden  wir 
genötigt,  die  ersteren  Verse  mit  v.  1.  5.  zu  verbinden.  Dafür 
spricht  auch  der  Umstand,  dass  v.  9—17  wenigstens  im  Kern  füi* 
den  pragmatischen  Fortschritt  notwendig  sind:  nun  aber  sind 
V.  2—4.  6—8  deuteronomistisch  (vgl.  1,  10s.  1,  5.  Deut.  2,  25), 
dagegen  v.  1.  5  jehovistisch  (s.  Sittim  v.  1  und  vgl.  v.  5  mit 
Exod.  19,  10s.  Num.  11,  18.  Jos.  7,  13),  also  vermutlich  dem  eigent- 
lichen Faden  der  Erzählung  integrirend.  Dass  eine  deuterono- 
mistische  Überarbeitung  von  v.  9 — 17  stattgehabt  hat,  ist  möglich 
und  wahrscheinlich ;  dadurch  wird  u.  a.  die  ursprüngliche  Verbin- 
dung von  V.  5  mit  9  oder  (da  dieser  Vers  selber  einen  deuter. 
Anflug  in  DD^I^N  aufweist  und  sehr  überflüssig  ist)  mit  v.  10  un- 
kenntlich gemacht  sein.  Doch  glaube  ich  nicht,  dass  auch  die 
Priester,  als  Träger  der  Lade  erst  auf  Eintragung  des  Deuterono- 
misten  beruhen. 

Ist  aber  3,  10 — 17  in  sich  einheitlich?  Mit  Rücksicht  auf  die 
Isolii'ung    von    v.    12    und  die    augenscheinliche    Überfüllung    von 


Josiia  1—24.  119 

V.  15.  16  wird  man  diese  Frage  kaum  bejahen  können,  um  so  we- 
niger, da  die  Fortsetzung  4,  Iss.  noch  deutlichere  Merkmale  der 
Zusammensetzung  an  sich  trägt,  die  ich  darum  zunächst  ana- 
lysiren  will.  Nur  scheinbar  schliesst  sich  hier  v.  4  an  v.  1 — 3 
an;  denn  nach  y.  1 — 3  müssten  die  zwölf  Träger  erst  ausgewählt 
werden,  die  in  v.  4  als-  längst  bestellt  gelten  (vgl.  3,  12.)  Die 
wahre  Fortsetzung  von  v.  3  ist  v.  8,  wie  die  völlig  übereinstimmende 
Sprache  beweist.  Nun  ist  in  v.  8  zwar  wol  von  den  zwölf  Steinen  588 
die  Rede,  aber  als  das  Subjekt  der  Verba  erscheinen  hier  nicht 
wie  in  v.  3  die  zwölf  Träger,  zondern  einfach  die  Kinder  Israel. 
Genau  die  selben  Yerba  in  genau  der  selben  Reihenfolge  wiederholen 
sich  V.  3  und  v.  8  —  sollte  die  A^erschiedenheit  des  Subjekts  etwas 
Ursprüngliches  sein?  Vielmehr  sind  auch  in  v.  3  ursprünglich 
durchweg  schlechthin  die  Israeliten  angeredet  (CDOy,  ^j''bn),  v.  2 
und  die  drei  ersten  Worte  von  v.  3  sind  ein  redaktioneller  Aus- 
gleichungsversuch; in  der  Quelle  Nr.  1  (=  v.  1.  3.  8)  gab  es  keine 
besonders  erwähnten  zwölf  Träger,  sondern  nur  in  Nr.  2  (:=  4,  4 — 7. 
3,  12).  Weiter  fördert  uns  v.  9,  ein  Pendant  zu  v.  8  und  darum 
nicht  mit  diesem  Yerse,  sondern  mit  4,  4 — 7  zu  verbinden.  In 
Nr.  1  werden  die  Steine  auf  dem  Lande  an  der  Stelle,  wo  das 
Volk  nach  dem  Übergange  das  erste  Nachtlager  macht,  aufge- 
richtet, in  Nr.  2  mitten  im  Jordan  selbst.  Nun  geht  erst  das  Ver- 
ständnis von  4,  5  auf;  die  Worte  sind  vor  dem  Über  gange 
gesprochen,  die  Träger  sollen  beim  Aufbruch  die  Steine  vom  Ost- 
ufer mitnehmen,  mit  ihnen  vor  der  Lade  herziehen  und  sie  dann 
V.  9  im  Bette  des  Jordans  an  dem  Stande  der  Priester  auf- 
stellen'). Wähi'end  wir  uns  nach  Nr.  1  längst  am  anderen  Ufer 
und  im  Quartier  befinden,  stehn  wir  in  Nr.  2  v.  4s.  noch  vor 
dem  Durchgang,  v.  9  sind  wir  mitten  darin  begriffen  —  evident 
wird  dieser  Sachverhalt  dadurch  bestätigt,  dass  in  v.  10  am 
Schluss  „das  Yolk  eilt  hinüberzugehn",  und  dass  erst  mit  v.  IIa 
der  Punkt  erreicht  wird,  auf  dem  wii'  in  Nr.  1  bereits  4,  1  ange- 
langt waren  (vgl.  ^i:n  3,  17.  4,  1  mit  üVn  4,  10s.). 

Einige  Grundzüge  zur  Charakteristik  der  beiden  Versionen  sind 
damit  angegeben,   auf  eine  durchgeführte  Scheidung  verzichte  ich, 


^)  Wie  der  Vergleich  mit  y.  8  lehrt,  ist  der  Ausdruck  'H  '1  ÜiiD  in  v.  3 
aus  Nr.  2  eingetragen.  Möglich,  dass  Lade  und  Priester  in  Nr.  1  ursprünglich 
überhaupt  nicht  Yorkamen;  für  Nr.  2  sind  sie  wesentlich.     Tgl.  zu  Kap.  6. 


120  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

weil  die  Bearbeitung  zu  stark  eingegriffen  und  die  Glieder  nicht 
immer  in  der  Reihenfolge  ihres  ursprünglichen  Zusammenhangs  ge- 
lassen hat.  In  3,  10 — 17  gehören  zu  Nr.  2  ausser  v.  12  noch  die 
Hälften  von  v.  15  und  16.  Als  Fortsetzung  von  4,  IIa  ist  nicht 
V.  IIb,  sondern  v.  15 — 18  anzusehen  (=  Nr.  2);  v.  IIb  ist  eine 
Yorausnahme  des  ursprünglichen  Nachsatzes,  die  aus  dem  Grunde 
eingesetzt  worden  ist,  weil  die  grosse  Parenthese  v.  12 — 14  die  Ver- 
bindung von  V.  IIb  und  15  unterbrach.  Diese  Parenthese  selbst 
589  ist  deuteronomistisch,  ebenso  wie  v.  20 — 24  und  vielleicht  auch 
V.  6.  7.  —  Mit  Q  hängt  zusammen  4,  19;  ob  aber  dieser  Vers 
Fragment  einer  einst  vollständigen  Erzählung  ist,  ist  sehr  die 
Frage,  nnyn  V.  16  beweist  nicht  den  aus  anderen  Gründen  un- 
möglichen Ursprung  des  Yerses  aus  Q,  sondern  nur,  dass  ein  an 
den  Sprachgebrauch  von  Q  gewöhnter  letzter  Redaktor  hier  tätig 
gewesen  ist. 

Der  Faden  der  Erzählung  läuft  über  5,  1  (vgl.  zu  9,  1)  weiter  auf 
Kap.  6,  inzwischen  werden  an  einem  passenden  Ruhepunkte  drei  bloss 
durch  den  Ort  zusammengehaltene  Geschichten  eingesetzt.  —  über 
5,  2 — 9  (gleichartig  mit  der  Tradition  von  JE)  hat  Hollenberg 
a.  0.  493s.  gut  gehandelt  und  gezeigt,  dass  der  ursprüngliche 
Text  bestehe  aus  v.  2.  3.  8.  9.  Die  Beschneidung  ist  bisher  bei 
den  Ägyptern  üblich,  bei  den  Israeliten  unbekannt  gewesen,  wes- 
halb diese  von  jenen  geschmäht  werden.  Diese  Tradition  steht 
zwar  mit  Exod.  4  im  Einklang,  aber  im  Widerspruch  zu  der  ge- 
wöhnlichen Annahme  (Gen.  17.  Kap.  34)  und  wird  daher  v.  4 — 7 
authentisch  interpretirt ;  mit  der  Glosse  hängt  n''3l^'  •  •  •  D.^l^'l  v.  2 
zusammen^).  Die  Sept.  sprach  Üti^l,  fand  also  n^J^'  nicht  vor  und 
in  der  Tat  fehlt  ix  Ssuispou  in  dem  wichtigen  Cod.  108  und  im 
Yaticanus.  Ygl.  übrigens  Sept.  24,31.  —  Die  Yerse  5,  10 — 12 
hängen  zusammen  mit  4,  19  und  mit  Q.  Da  man  von  der  Frucht 
des  Landes  nicht  essen  darf,  ohne  die  Erstlingsgarbe  dargebracht  zu 
haben,  so  war  es  ^eine  Notwendigkeit,  dass  die  Israeliten  gerade  zu 
Ostern  in  Kanaan  einrückten;  vgl.  3,  15.  4,  18.  1.  Chr.  12,  15.  — 
Y.  13 — 15  (gleichartig  mit  JE)  enthalten  eine  Theophanie,  welche 
die  Heiligkeit  der  Bama  von  Gilgal  inaugurirt  und  darum  keines- 
wegs so  zwecklos  ist,  wie  man  gemeint  hat. 

J)  Mit  dieser  Art  harmonistischer  Yerdopplimg  vgl.  das  p.  18  zu  V^.'^^Z' 
Gen.  22,  15  Gesagte  und  nicht  minder  die  Erörterung  zu  1,  Sam,  11,  12 — 14 
(t^nn^)    im  Text  der  Bücher  Samuelis. 


Josua  1—24.  -  121 

Dass  die  Erzählung  von  Kap.  6  verworren  ist,  betrachte  ich 
als  zugestanden.  Ich  scheide  den  einfachsten  Bericht  so  aus. 
Josua  erhält  Befehl,  die  Stadt  Jericho  sieben  Tage  lang  umziehen 
zu  lassen  (v.  3.  4  z.  T.)  und  weist  das  Volk  demgemäss  an,  ihm 
strenges  Schweigen  einschärfend,  bis  er  zu  lärmen  gebiete  v.  10. 
Sie  tun  das  den  ersten  Tag  und  die  folgenden  (v.  11.  14),  bis  am 
siebten  Josua  zum  Sturm  auffordert  (v.  15  a.  16  b.  17  — 19). 
Da  erhebt  das  Yolk  das  Kampfgeschrei  und  stösst  in  die 
Posaune  (v.  20  Anf.),  die  Stadt  fällt.  Ich  fusse  auf  den  beiden 
ersten  Sätzen  von  v.  20.  Das  Yolk  blässt  hier  die  Posaune,  und  590 
zwar  nachdem  oder  indem  es  den  Kriegsruf  erhebt;  das  Posaunen- 
blasen ist  ein  Teil  des  Hurrah,  nicht  das  Signal  dazu.  Dadurch 
entsteht  eine  innere  Beziehung  zu  v.  10:  bei  den  Umzügen  herrscht 
tiefe  Stille,  bis  Josua  sagt  ly^in^  nicht:  bis  die  Priester  das  Zeichen 
blasen.  Zu  v.  10  gesellt  sich  unmittelbar  v.  16b  und  mittelbar, 
da  V.  12.  13  durch  Priester  und  Posaunen  ausgeschlossen  werden, 
V.  14.  15  a  und  v.  11  —  wo  wegen  der  folgenden  pluralischen 
Yerba  und  wegen  der  Analogie  von  v.  14  12.0^1  zu  lesen  und  die 
Lade  Jahves  als  redaktioneller  Einsatz  zu  betrachten  ist.  Teile 
von  V.  3.  4  und  vielleicht  von  v.  7  bilden  den  Anfang  dieser 
Yersion,  bei  deren  Ausscheidung  man  zu  berücksichtigen  hat,  dass 
ihr  die  sieben  Priester  mit  Posaunen,  die  Lade  und  der  ganze  com- 
plicirte  Zug  fremd  sind.  Sie  redet  nur  vom  Yolk  und  Josua;  am 
siebten  Tage,  scheint  es,  lässt  sie  nicht  anders  wie  an  den  sechs 
vorhergehenden  Tagen  die  Stadt  nur  einmal  umziehen,  s.  t^^Sii^OD 
Hin  V.  15   und  CV  "iy  V.  10. 

Daneben  existii-t  ein  Bericht  Nr.  2,  dessen  Selbständigkeit  sich 
abgesehen  von  v.  20  besonders  aus  der  Stellung  von  v.  12.  13 
zwischen  v.  11  und  v.  14  ergiebt.  In  v.  12  s.  handelt  es  sich  in 
Wahrheit  um  der  ersten  Umzug,  demi  nur  bei  diesem  rechtfertigt 
sich  die  Umständlichkeit  der  Angaben^);  wir  haben  hier  also  eine 
ganz  auf  eigenen  Füssen  stehende  Parallele  zu  v.  11,  welche  diesen 
Yers  von  seiner  wahren  Fortsetzung  v.  14  trennt.  Nach  Nr.  2  soll 
der  Zug  so  zusammengesetzt  sein:   1)  die  Yorhut  (hier  aber  keines- 


1)  Nach  der  jetzigen  Textredaktion  sollen  v.  12.  13  auf  den  zweiten  Um- 
zug bezogen  und  mit  y.  14  verbunden  werden.  Dies  hängt  damit  zusammen, 
dass  die  Yerse  8.  9,  die  nur  als  Befehl  einen  Sinn  geben,  jetzt  so  gewendet 
sind,  dass  sie  die  erstmalige  Ausführung  des  Befehls  erzählen. 


122  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

wegs  =  die  272  Stämme),  2)  sieben  Priester  mit  Posaunen,  3)  die 
Lade,  4)  das  übrige  Heer.  Das  Signal  geben  die  Priester  durcb 
das  Blasen  der  Posaunen,  beim  siebten  Umzüge,  ursprünglich  wol 
des  ersten  Tages  ^) ;  dann  erfolgt  das  Kriegsgeschrei.  Die  Ordnung 
des  Zusammenhangs  lässt  sich  ungefähr  so  herstellen.  Zuerst  die 
Anweisung  Josuas  durch  Jahve  v.  3 — 5  z.  T.  Sodann  der  nötige 
Unterricht  an  die  Priester,  in  deren  Hand  hier  ja  das  Signalgeben 
gelegt  wii*d  v.  6.  Dann  der  Befehl  ans  Volk,  betreffend  die  An- 
591  Ordnung  des  Zuges  v.  7 — 9.  (Da  v.  7  für  sich  völlig  fragmentarisch 
ist,  so  muss  sich  in  v.  8.  9  ursprünglich  der  Befehl  fortsetzen 
und  die  Ausführung  desselben  erst  v.  12.  13  berichtet  werden. 
Der  erste  Satz  von  v.  8,  der  in  Sept.  fehlt,  ist  später  zugesetzt, 
wol  auch  der  mit  v.  7  identische  Teil  von  v.  9).  Darauf,  am 
folgenden  Tage,  die  Ausführung  des  Befehls  v.  12.  13,  wozu  aus 
V.  15  □^C^yD  V^^  zu  ziehen  ist  —  v.  15b  ist  redaktionelle  Glosse. 
Endlich  der  Erfolg,  v.  16a  und  v.  20  von  ^Dt^^  ^n^)  an. 

In  diese  zweite  Version  ist  dadurch  Verwirrung  gekommen, 
dass  die  Posaunen  von  vornherein  geblasen  und  dazu  dem  ganzen 
Heere  gegeben  werden.  Wie  sollen  dann  bei  dem  allgemeinen 
Lärmen  die  Priester  noch  iln*  Signal  zur  LTnterscheidung  und  zur 
Geltung  bringen!  Einzig  die  Priester  dürfen  in  Nr.  2  Posaunen 
führen  und  blasen  müssen  sie  erst  beim  letzten  Umzüge  —  vorher 
tragen  sie  sie  nur  (c\Xl^'J  v.  6.  8.  13).  Die  dem  widersprechenden 
Angaben  in  v.  8.  9.  13  sind  als  Zusätze  anzusehen  und  entstanden 
entweder  aus  naiver  Freude  am  Fortissimo  oder  aus  zufälligeren 
Anlässen.  —  In  Nr.  1  halte  ich  die  Vorbereitung  auf  Achan  und 
die  Rücksichtnahme  auf  Rahab  füi*  Einsätze  des  Jehovisten.  Aber 
der  Bann  selbst  und  der  Schatz  Jahves  sind  alt  und  stammen  aus 
der  Vorlage  (=  v.  17  a  19.  21.  24).  Als  ein  harmonistisches 
Produkt  des  Schi'iftstellers,  der  Nr.  1  und  Nr.  2  verband,  sehe  ich 
die  Angaben  an,  wonach  die  Stadt  an  den  sechs  ersten  Tagen  je 
einmal  und  am  siebten  Tage  siebenmal  umkreist  wurde. 

Kap.  7  enthält  die  vom  Jehovisten,  der  v.  7 — 13  unverkennbar 
ist,  dem  Zusammenhang  seiner  Quellen  eingefügte  Erzählung  über 
Achans  Diebstahl.  Sie  ist  ganz  aus  einem  Guss,  einige  scheinbare 
Wiederholungen  fallen  weniger  der  literarischen,  als  der  Textkritik 


^)  Auf  diese  Weise  wurde   gegen  Nr.  1  die  Sabbathsordnung  aufrecht  er- 
halten. 


Josua  1—24.  123 

anheim.  So  ist  v.  2  'p^^*n'':iS  DIp^O  Glosse,  die  Sept.  fand  weder 
sie  vor,  noch  ihre  Y eranhissung ,  nämlich  die  Verdrehung  des 
Gotteshauses  in  ein  Teufelshaus.  Ausserdem  giebt  es  \.  24  und 
V.  25  beträchtliche  Zusätze.  Der  MT.  ist  zu  verstehn:  „Josua 
nahm  den  Achan  und  die  gestohlenen  Sachen  und  seine  Söhne 
und  Töchter  und  sein  Vieh  und  sein  Zelt  und  all  seine  Habe, 
(Josua)  and  ganz  Israel  mit  ihm  und  sie  führten  sie  hinauf  zum 
Tal  Achor  ....  und  steinigten  ihn  (den  Achan)  und  verbrannten 
sie  (die  gestohlenen  Sachen)  und  steinigten  sie  (die  Söhne,  Töchter, 
Tiere)."  Aber  die  Worte  )t2V  b^^^''  bj)  v.  24  können  nicht  von 
Haus  aus  so  weit  von  yt^ini  getrennt  gewesen  sein,  sondern  müssen 
unmittelbar  hinter  FHl  gestanden  haben.  AVar  nun  v.  24  bloss  von 
Achan  die  Rede  —  ebenso  wie  v.  26  bloss  über  ihm  der  Hügel  592 
aufgerichtet  wird  — ,  so  wird  man  den  Schluss  von  v.  25  (i:n  1S"ll^''l) 
für  späteren  (und  zwar  in  zwei  Absätzen  erfolgten)  Einsatz  und 
den  Plural  CP^J  v.  24  für  Korrektur  halten  dürfen.  Das  Verbrennen 
beruht  auf  v.  15,  aber  v.  14.  15  unterliegen  selber  dem  Verdacht, 
den  allgemeinen  Befehl  v.  13  ex  eventu  (nach  v.  16  ss.)  zu  specia- 
lisiren. 

In  der  Erzählung  von  der  Zerstörung  Ais  stösst  man  in  8,  12. 
13  auf  die  Reste  eines  von  dem  massgebenden  stark  -verschiedenen 
Berichts.  Hier  ordnet  Josua  erst,  nachdem  er  und  ganz  Israel  vor 
Ai  angelangt  sind,  den  Hinterhalt  an,  schickt  ihn  nicht  schon  von 
Gilgal  in  der  Nacht  voraus,  ehe  er  selbst  am  anderen  Morgen  mit 
dem  Hauptheere  folgt.  Da  die  Stärke  des  Detachements  in  v.  12. 
statt  auf  30000  auf  5000  Mann  angegeben  wird,  so  scheint  dies 
der  einfachere  und  der  primäre  Bericht  (Nr.  1)  zu  sein'),  wozu 
stimmt,  dass  er  auch  der  kürzere  ist.  Im  Vorhergehenden  gehört 
V.  3a  dazu,  wo  Josua  im  Widerspruch  zu  v.  3b — 11  gleich  mit 
gesamter  Macht  von  Gilgal  aufbricht.     Zwischen  v.  3  a  und  v.  12. 


^)  An  gegenseitige  Unabhängigkeit  ist  niclit  zu  denken.  In  v.  9.  11 
lagert  der  Hinterlialt  zwischen  Bethel  und  Ai  westlich  vonAi,  Josua  und  das 
Volk  nördlich  von  Ai,  durch  ein  Tal  davon  getrennt,  in  v.  12.  13  finden  sich 
genau  die  selben  Angaben,  nur  dass  Josua  im  Tal  selber  übernachtet.  Be- 
sonders schlagend  würde  der  Vergleich  des  letzten  Satzes  von  v.  9  mit  dem 
von  V.  13  sein,  die  Worte  sind  die  selben,  nur  dass  sie  v.  9  bedeuten,  Josua 
sei  die  Nacht  noch  in  Gilgal  geblieben,  v.  13,  er  habe  sie  vor  Ai  zugebracht. 
Aber  die  Wiederholung  am  Schluss  von  v.  13  beruht  wol  auf  Versehen,  zu 
ÜV  poy  vgl.  -pn  pbn   1.  Reg.  21,  23.  IL  9,  36. 


124  t)ie  Erzählimg  der  übrigen  Bücher  des  Hexateiichs. 

13  fehlt  nichts  Wesentliches,  dagegen  ist  es  nicht  möglich,  diesen 
Faden  in  v.  14 — 29  weiter  zu  verfolgen.  Eine  Spur  desselben 
verrät  sich  vielleicht  in  i:il  lu^Tl^""!  v.  14;  denn  nach  dem  Haupt- 
bericht (Nr.  2)  scheint  selbigen  Tages,  an  dem  die  Israeliten  etwa 
nachmittags  ankommen,  der  Kampf  loszugehn,  „sobald  der  König 
von  Ai  ihrer  ansichtig  ward."  Die  Sache  wüi'de  noch  klarer  sein, 
wenn  man  "lyiD^  nach  2.  Sam.  24,  15  als  einen  Terminus  für  die 
Yesper  verstehn  und  demgemäss  'IL^V  PID?^  lesen  darf.  Eine  wei- 
tere Spur  könnte  man  in  v.  20  vgl.  mit  v.  21  finden,  unzweifel- 
haft wird  wenigstens  v.  20  c  in  dem  folgenden  Verse  nicht  voraus- 
gesetzt. Durchschlagendere  Ergebnisse  wüi'de  die  Verwertung  der 
Beobachtung  haben,  dass  dem  Hinterhalt  in  der  Anweisung  v.  4 — 8 
593  das  (doch  auf  Verabredung  beruhende)  Zeichen  nicht  mitgeteilt 
wird,  worauf  er  v.  18.  19  nach  der  gegenwärtigen  Gestalt  der  Er- 
zählung losbricht,  dass  ferner  in  v.  26,  einem  verloren  stehenden 
Fragment,  das  Hochheben  der  Lanze  gar  nicht  zum  Signal  dient, 
und  das  dies  endlich  auch  der  Natur  der  Sache  nach  schwer 
möglich  ist.  Hiernach  scheinen  in  der  Tat  v.  18.  26  Reste  von 
Nr.  1  zu  sein.  Die  Lanze  Josuas  nimmt  hier  die  selbe  Stelle  ein 
wie  der  Stab  Moses,  auch  die  Ausdrücke  erinnern  an  E.  Das 
"jT"  m^jü  V.  20  ist  dann  dem  Zusammenarbeiter  von  Nr.  1  und  2 
zuzuschreiben,  durch  den  die  sakramentale  Handlung  zu  einem 
überflüssigen  und  wenig  zweckmässigen  Zeichen  herab gedi'ückt 
wurde.  —  Beachtung  verdient,  dass  die  Sept.  die  aus  der  Verbin- 
dung der  zwei  verschiedenen  Versionen  entstandenen  Anstösse  fast 
alle  beseitigt  hat.  So  fehlen  v.  12.  13,  ebenso  in  v.  14  die  beiden 
widersprechenden  Zeitbestimmungen,  ferner  in  v.  20  der  letzte 
Satz,  endlich  ganz  v.  26.  Ein  ähnliches  Verfahren  der  Sept.  (oder 
iln-es  Textes)  lässt  sich  auch  sonst  im  Buche  Josua  nachweisen. 
Dem  MT.  auf  der  anderen  Seite  lässt  sich  kein  besseres  Zeugnis 
ausstellen,  als  dass  er  die  literarische  Analyse  in  solchem  Umfange 
und  in  solcher  Genauigkeit  möglich  macht. 

In  dem  an  sehr  unpassender  Stelle  eingefügten  Stücke  8,  30 
bis  35  tritt  der  Deuteronomist  deutlich  hervor,  dessen  überarbeitende 
Hand  übrigens  auch  in  Kap.  6  und  8  in  kleinen  Zusätzen  gelegent- 
lich zu  erkennen  ist,  z.  B.  6,  2.  8,  1  und  z.  T.  8,  29.  Zu  dem, 
was  Hollenberg  p.  478 — 481  ausgeführt  hat,  füge  ich  nur  hinzu, 
dass  der  griechische  Text  noch  zu  verraten  scheint,  dass  9,  1.  2 
ui'sprüngiich    unmittelbar    auf   8,  29    folgte,     übrigens    ist    dieser 


Josua  1—24.  125 

Übergang  selber,  herrührend  von  dem  Yerf.  von  2,  9  s.  6,  27.  5, 
1,  durchaus  sekundären  Ursprungs;  die  Allgemeinheit  der  Aussage, 
conform  der  Vorstellung,  dass  Josua  das  ganze  Land  erobert  und 
den  neun  Stämmen  zu  Füssen  gelegt  habe,  steht  ebenso  wie  5,  1 
in  einem  seltsamen  Misverhältnis  zu  der  folgenden  sehr  lokalen 
Affäre,  die  dadurch  eingeleitet  wird. 

Aus  9,  2 — 27  hat  man  für  Q  abzuscheiden  v.  17  —  21  und 
V.  15  c  (bis  zum  Athnach).  Als  einen  deuteronomistischen  Nachtrag 
sieht  Hollenberg  v.  22 — 27  an,  aber  diese  Yerse  setzen  vielmehr' 
V.  16  fort,  wie  Nöldeke  richtig  angiebt:  es  fehlt  dazwischen  nur 
die  Nachlicht,  auf  die  v.  26  sich  bezieht.  Deuteronomistisch  ist 
die  nach  v.  23  von  dem  Fragsteller  gar  nicht  erwartete  Antwort 
V.  24.  25,  jedoch  nicht  deshalb,  weil  hier  der  nur  im  Deuterono- 
mium  sich  findende  Befehl  zur  Yertilcruno;  der  Einwohner  des 
Landes  vorausgesetzt  wird,  sondern  deswegen,  weil  die  sprachlichen  594 
Wendungen  v.  24  und  die  Übereinstimmung  von  v.  25  mit 
Hierem.  26,  14  darauf  führen.  In  v.  27  rühi't  die  Apposition 
"•'N*  D'IpD^■^^^  von  dem  Deuteronomisten,  der  Zusatz  )  nivh  vom 
letzten  Redaktor  her. 

In  dem  Reste  hat  Hollenberg  p.  496  zwei  Bestandteile  unter- 
schieden. Es  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  v.  8.  9  von  frischem 
anhebt,  als  wäre  v.  6.  7  nicht  vorhergegangen.  Zudem  verhandelt 
hier  Josua,  dort  der  Israel.  Mann.  Vgl.  v.  7,  woraus  zu 
schliessen,  dass  entweder  der  Anfang  von  v.  6  eigentlich  zu  v.  8 
gehört,  oder  dass  Josua  daselbst  vom  Harmonisten  nachgetragen 
worden.  Da  nun  v.  8  von  v.  9 — 11  nicht  wol  zu  trennen  ist, 
V.  12 — 14  dagegen  hinter  dem  offenbaren  Abscliluss  am  Ende  von 
V.  11  neu  ansetzen,  so  erblickt  Hollenberg  in  den  letzteren  Versen 
die  Fortsetzung  von  v.  6.  7,  wozu  er  dann  auch  v.  4.  5  hinzu- 
nimmt. Es  entsteht  dadurch  ein  nahezu  vollständiger  Zusammen- 
hang, bis  auf  den  mangelnden  Schluss,  denn  mit  v.  14  kann  die 
Sache  nicht  abgetan  sein.  Die  Nichterwähnung  Josuas  und  die 
frappante  Singularconstruktion  in  v.  6.  7  führen  auf  J  als  Quelle 
dieser  Version.  Der  zweite  jehovistische  Bericht,  der  von  v.  15 
an,  wie  es  scheint,  ausschliesslich  befolgt  wird,  nähert  sich  an  Q: 
ein  ähnliches  Verhältnis  der  drei  Bestandteile  wie  Num.  16.  Vgl. 
V.  16  nach  drei  Tagen  mit  v.  17  am  dritten  Tage,  und 
namentlich  die  Knechte  der  Gemeinde  mit  den  Knechten 
des  Hauses  resp.  Altars  Jahves  (gegen  Ez.  44). 


126  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

Die  Befreiung  Gibeons  von  der  Belagerung  10,  1—15  ist  eine 
geschlossene  jeliovistisclie  Erzählung,  allerdings  mit  einzelnen  späteren 
Zusätzen,  die  aber  keinen  zweiten  Faden  darstellen.  Deuterono- 
mistisch  sind  in  v.  1  der  Satz  A^on  "^t^ND  bis  HD'pdS  ferner  ganz 
V.  8,  nach  Hollenberg  auch  v.  12—14.  Gewiss  sind  diese  letzten 
Yerse  Nachtrag  und  ohne  Zweifel  führen  einige  Wendungen  auf 
den  Deuteronomisten,  aber  derselbe  ist  doch  nicht  als  der  eigent- 
liche Verfasser  anzusehen.  Denn  v.  13b  und  v.  14a  sehen  ihm 
gar  nicht  ähnlich,  zu  geschweigen  von  'N  "»i;!  C)p^  "ly,  was  man  nach 
Streichung  der  eingeschobenen  Präterita  mit  zum  Liede  rechnen 
kann. 

Mit  10,  15  ist  die  Verfolgung  abgeschlossen,  nach  wol  voll- 
brachter Sache  kehrt  Josua  mit  dem  Heer  zurück  in  das  Lager 
nach  Gilgal.  Daraus  folgt  evident,  dass  v.  16 — 27  später  angehängt 
sind,  um  die  in  dem  älteren  Berichte  verabsäumte  Erwürgung  der 
fünf  Könige  nachzuholen,  in  einer  ähnlichen  Tendenz,  wie  sie  die 
595  tyrannenhasserischen  Zusätze  in  10,  1.  6,  2  verfolgen.  Der  Deute- 
ronomist scheint  diesen  Nachtrag  schon  vorgefunden  und  nur  hie 
und  da  (10,  27)  überarbeitet  zu  haben.  —  Ein  zweiter  Anhang 
ist  V.  28 — 43.  Die  in  der  Höhle  von  Makkeda  begrabenen  Könige 
w^erden  hier  noch  einmal  umgebracht,  ursprünglich  nach  v.  42 
ausser  Adonibezek  wol  alle,  nicht  bloss  der  von  Hebron.  Hollen- 
bergs Einwand  gegen  Nöldeke  trifft  nicht  (a.  0.  p.  499),  ohne 
die  Inconsequenz  der  Redaktoren  stünde  es  füi*  die  Kritik  schlimm. 
Zu  10,  1—15  verhält  sich  10,  28—43  ähnlich  wie  11,  10—20  zu 
11,  1 — 9,  und  wie  dort,  so  tritt  auch  hier  die  Hand  des  Deutero- 
nomisten so  hervor,  dass  man  diesen  als  den  eigentlichen  Ver- 
fasser ansehen  darf.  Es  erhellt  dies  namentlich  aus  v.  40 — 43, 
einem  Schluss,  der  nicht  bloss  äusserlich  angehängt  ist,  sondern 
aus  den  Einzelposten  die  von  diesen  selbst  vorgesehene  Summe 
zieht.  Wenn  Nöldeke  meint,  die  eigentliche  Quelle  sei  Q,  so  findet 
sich  nicht  ein  einziger  dafür  bezeichnender  Ausdruck,  und  bei  der 
stereotypen  Sprache  dieser  Schrift  genügt  das  zur  Widerlegung. 
Die  in  v.  28 — 43  herrschende  Vorstellung,  wonach  Josua  ganz 
Kanaan  zur  tabula  rasa  macht,  um  es  dann  herrenlos  und  menschen- 
leer der  Verlosung  zu  unterbreiten,  findet  sich  nicht  bloss  in  Q, 
sondern  auch  sonst,  namentlich  beim  Deuteronomisten.  Diesem  ist 
es  sogar  ein  Hauptzweck,  die  beschränkteren  Angaben  seiner 
Quellen  so  zu  erweitern,  dass  daraus  die  volle  Erfüllung   der  Ver- 


Josua  1—24.  127 

heissung,  d.  h.  die  totale  Eroberung  des  Landes  durch  Josua  und 
die  Säuberung  desselben  von  den  alten  Bewohnern  hervorgehe, 
vgl.  21,  43 — 45.  So  ist  in  dem  Kern  von  Kap.  10  nur  die  Ent- 
setzung Gibeons  erzählt,  daraus  wird  dann  in  der  deuteronomistischen 
Schicht,  die  sich  daran  setzt,  die  Einnahme  und  Pacificirung  des 
ganzen  Judas.  Ähnlich  werden  in  Kap.  11  die  bescheideneren 
Grenzen,  in  denen  sich  nach  der  älteren  Tradition  die  kriegerische 
Tätigkeit  Josuas  hält,  durch  die  deuteronomistische  Bearbeitung  ins 
Allgemeine  erweitert. 

Der  Kern  von  Kap.  11  ist  in  v.  1 — 9  enthalten.  Josua  kommt 
darnach  dem  Angriffe  der  vier  Könige  des  Nordens,  die  sich  wider 
ilm  verbündet  haben,  durch  einen  plötzlichen  Überfall  ihres  Lagers 
bei  der  Quelle  von  Maron  zuvor,  verfolgt  den  Sieg  aber  nicht  weiter, 
als  dass  er  die  Rosse  entsehnt  und  die  Wagen  verbrennt,  und  kehrt 
dami  zurück,  walu"scheinlich  nach  dem  m'sprünglichen  Bericht  ins 
Lager  zu  Gilgal  v.  10.  Dem  Abschlagen  der  Angreifer  lässt  der 
Deuteronomist,  der  schon  in  v.  2.  3  die  älteren  Angaben  verall- 
gemeinert hat,  die  Eroberung  des  gesamten  Nordens  folgen  v.  10 — 15,  596 
so  dass  nun  ganz  Kanaan  den  Israeliten  zu  Füssen  liegt  v.  16 — 20. 
Zu  V.  16 — 20  ist  vielleicht  der  Schluss  von  v.  23  hinzuzunehmen, 
im  Übrigen  sind  die  Verse  21 — 23  ein  Anhang  von  noch  späterem 
Ursprung. 

Über  die  Herkunft  von  Kap.  12  entscheidet  natüidich  nicht 
die  bloss  aus  Eigemiamen  und  Zahlwörtern  bestehende  Tabelle 
V.  9 SS.,  sondern  die  Einleitung  v.  1 — 8.  Diese  weist  nirgends  eine 
Spur  von  Q  auf,  dagegen  viele  Merkmale  des  Deuteronomisten, 
s.  Höllenberg  p.  499  s.  Man  hat  keinen  Grund,  ihn  nicht  für  den 
Verfasser  des  ganzen  Kapitels  anzusehen.  Aus  einer  der  ursprüng- 
lichen Quellen  des  Jehovisten  ist  dasselbe  jedenfalls  nicht  entlehnt, 
denn  diesen  ist  die  Vorstellung  von  Josua  als  Besieger  von  dreissig 
Königen  fremd.  Nach  24,  12  (Sept.)  schlägt  er  zwei  Könige  der 
Amoriter,  nach  Kap.  6 — 11  nimmt  er  Jericho  und  Ai  mit  Gewalt, 
Gibeon  durch  Vertrag  ein,  befreit  letztere  Stadt  von  den  fünf  süd- 
lichen und  überwindet  dann  noch  die  vier  nördlichen  Könige. 

2.  Wähi'end  die  Erzählung  über  die  Kriege  Josuas  höchstens 
verlorene  Spuren  von  Q  aufweist,  wird  uns  die  Verteilung  der 
Stamm  gebiete  vorzugsweise  aus  dieser  Quelle  mitgeteilt.  Man 
rechnet  zu  iln*  13,  15 — 14,  5.  Kap.  15  (ausg.  v.  13 — 19  und  einiges 
andere)  16,  1—8.  17,  1—10.  18,  1.  11--25.  Kap.  19  (ausg.  v.  49. 


128  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

50)  Kap.  20  (ausser  einigen  Zusätzen)  Kap.  21.  22,  9—34.  Die 
Einzelheiten  der  Ausscheidung  seien  zunächst  dahingestellt.  Zweifel- 
haft ist  die  Natur  des  einleitenden  Stückes  13,  15 — 33;  es  ist 
zwar  durchaus  in  Anlehnung  an  Q  geschrieben,  jedoch  avoI  von 
sekundärer  Hand;  s.  v.  21.  30 — 33  und  vgl.  ausserdem  14,  3,  welcher 
Yers  nicht  gut  auf  etwas  ganz  frisch  Erzähltes  hinweisen  kann. 
Fraglich  ist  ferner,  ob  der  Zusammenhang  von  Q,  dessen  wesent- 
liche A'^ollständigkeit  unbestreitbar  ist,  ganz  in  der  ursprünglichen 
Ordnung  vorliegt.  Es  scheint  eine  kleine  Umstellung  stattgefunden 
zu  haben  und  dadurch  die  Vorstellung  über  den  ganzen  Hergang 
bedeutend  modificirt  zu  sein.  Der  Yers  18,  1  muss  seinen  Platz 
vor  14,  1 — 5  gehabt  haben.  Denn  nur  an  dieser  Stelle  hat  der 
Satz  „das  Land  lag  ihnen  unterworfen  zu  Füssen"  in  Q 
einen  Sinn,  und  wie  19,  51  die  allgemeine,  nicht  etwa  bloss  für 
Kap.  18.  19,  sondern  füi*  Kap.  14 — 19  giltige  Unterscluift  ist,  so 
entspricht  ilu'  18,  1  und  14,  1  als  allgemeine  Überschrift.  Warum 
sollte  auch,  da  ja  in  Q  Juda  Manasse  und  Ephraim  gleichfalls  ilu* 
597  Erbteil  durch  das  Los  angewiesen  bekommen,  bloss  für  die  übrigen 
sieben  Stämme  hervorgehoben  werden,  dass  ihre  Lose  an  heiliger 
Stätte  geworfen  seien?  Vielmehr  geht  die  Verlosung  in  Q,  da  sie 
das  unterschiedslose  Verfahren  ist,  von  vornherein  vor  dem  hl.  Zelte 
in  Silo  vor  sich,  und  18,  1  ist  eigentlich  die  Einleitung  zu  14, 
1 — 5.  Aus  dieser  Annahme  fliesst  freilich  die  Konsequenz,  dass 
die  Numerii'ung  der  Lose  in  Kap.  19  überall  nicht  zu  Q  gehöre; 
diese  Konsequenz  hat  aber  auch  mehr  für  als  gegen  sich.  Es 
findet  sich  nämlich  grade  in  den  Einleitungsformeln  mehrfach  eine 
Doppelheit  des  Ausdrucks,  die  kaum  aus  irgend  einer  schrift- 
stellerischen Absicht  oder  Gewohnheit  zu  begreifen  ist.  Wozu, 
nachdem  ])V'0\L>'h  gesagt  ist  19,  1,  noch  'Ei^  'ü  n^^üb  hinterdrein? 
Ähnlich  V.  17.  32.  Man  kann  das  nur  aus  mechanischer  Ver- 
bindung zweier  Quellen  erklären.  Wenn  dieselbe  in  anderen 
Fällen  (v.  10.  24.  40)  nicht  so  ungeschickt  vollzogen  ist,  so  kann 
das  nicht  befremden;  wol  aber  ist  es  auffallend,  dass  18,  11,  an 
der  ersten  und  markirtesten  Stelle,  die  Ordinalzalil  fehlt;  hier  haben 
wir  noch  die  originale  Einleitungsformel  von  Q  in  ihrer  einfachen 
Gestalt.  In  Q  wurden  die  drei  ersten  und  die  sieben  folgenden 
Stämme  ganz  auf  gleicher  Linie  und  in  ununterbrochener  Reihe 
behandelt;  wenn  die  Lose  Nummern  erhalten  hätten,  so  würde  das 
Benjamins  als  das  vierte  bezeichnet  worden  sein. 


Josua  1—24.  129 

Der  Zweck  der  Umsetzung  von  18,  1  ist,  Anschluss  an  die 
jeliovistische  Tradition  zu  gewinnen.  Nach  der  ursprünglichen  Form 
dieser  letzteren  nelnnen  Juda  und  Joseph  ihr  Land  vorab  in  Besitz, 
nach  Anweisung,  nicht  nach  dem  Lose;  das  Ülnigbleibende  wird 
hernach  von  Silo  aus  (nach  einer  anderen  Version  vielleicht  von 
Sichem  aus,  siehe  die  charakteristische  Korrektur  der  Sept.  zu  24, 
1.  25)  unter  die  anderen  Stämme  verlost.  Die  jehovistische  Tra- 
dition steht  völlig  selbständig  und  unabhängig  nel3en  der  des  Yier- 
bundesbuchs.  Sie  ist  freilich  nur  in  Resten  erhalten,  aber  diese  sind 
eben  als  Fragmente  keine  Ergänzungen.  Grossenteils  vertragen  sie 
sich  auch  nicht  mit  dem  Hauptbericht.  Z.  B.  steht  es  in  völligem 
Widerspruch  zu  dem  letzteren,  wenn  in  17,  14 — 18  Ephraim  und 
Manasse  als  Stamm  Joseph  zusammen  nur  Ein  Stammgebiet  be- 
kommen. Es  gelingt  leider  nicht,  den  jehovistischen  Bericht  zu 
reconstruiren,  doch  will  ich  versuchen,  seine  Teile  zu  sammeln  und, 
so  gut  es  geht,  zusammenzusetzen. 

Derselbe  ist  auch  liier  bereits  deuteronomistisch  überarbeitet  ge- 
wesen, als  er  von  dem  letzten  Redaktor  mit  Q  A^erbunden  wurde. 
Wie  Hollenberg  p.  500  nachweist,  rührt  der  grösste  Teil  von  13, 
1 — 14  vom  Deuteronomisten  her,  vielleicht  nur  v.  1  und  7  nicht;  598 
doch  scheinen  die  972  Stämme  in  v.  7  bedenklich  und  ich  be- 
zweifle, dass  13,  1  an  diese  Stelle  gehört.  Auch  14,  6 — 15  ist  ganz 
deuteronomistisch,  eine  vorbereitende  Sanktion  des  Faktums  15, 
13 — 19;  s.  Hollenberg  p.  501s.  Bemerkenswerter  Weise  wird  14,  6 
besonders  hervorgehoben,  Gilgal  sei  die  Scene  gewesen:  zum  Be- 
weise, dass  der  Yf.  den  jehovistischen  Zusammenhang  voraussetzt^). 
In  Kap.  15  lassen  sich  ausser  v.  13 — 19  nur  wenige  Spuren 
von  JE  erkennen.  Jenes  eine  Stück  setzt  aber  nach  '">  "2.  "jinn  v.  13 
voraus,  dass  vorher  auch  in  JE  das  Gebiet  Judas  beschiieben  worden 
war.  Zwei  Reste  dieser  Besclu'eibung  sind  uns  noch  erhalten. 
Erstens  der  Scliluss  von  v.  4:  das  soll  euch  die  Südgrenze 
sein,  in  Q  werden  die  Judäer  nicht  angeredet.  Zweitens  die  Unter- 
schrift in  V.  12b,  welche  mit  Q  v.  20  (=  v.  1)  kollidü't,  natür- 
lich nachdem  v.  13 — 19  ausgehoben  sind.  Dass  in  JE  gieiclifalls 
ein  Verzeichnis  der  judäischen  Städte  —  wenn  auch  gewiss  nur  der 
bedeutenderen  —  auf  die  Beschreibung  des  judäischen  Gebiets  ge- 
folgt ist,    darf  man  wol  aus  v.  63  schliessen,    der   am  besten  als 


')  Übrigens  ein  Grund  mehr  für  die  Umstellung  von  18,  1. 

Wellhausen,    Comp.    d.    Hexateuchs,    3.    Aufl.  9 


ISO  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexateuchs. 

Anhang  zu  einem  solchen  zu  verstehn^^ist ,  vgl.  17,  12.  16,  10  mit 
17,  11.  16,  9.  Indessen  wage  ich  nicht,  /T-nua  in  v.  29.  45.  47 
als  Spur  von  JE  anzusehen. 

Bemerkenswert  ausführlich,  obwol  nicht  vollständig,  ist  die 
jehovistische  Beschreibung  des  Gebiets  und  der  Städte  Josephs  er- 
halten. Aus  Q  stammt  nur  der  kleinere  Teil  von  Kap.  16.  17 
(wenigstens  nach  meiner  Meinung,  die  ich  jetzt  zunächst  begründen 
will),  und  noch  dazu  ist  diese  nicht  unversehrt  und  in  der  ur- 
sprünglichen Ordnung  belassen.  Was  sollen  17,  la  die  Worte  „denn 
er  ist  der  Erstgeborene  Josephs"  anders  begründen,  als  dass 
Manasse  mit  Recht  zuerst  aufgeführt  werde?  Es  muss  also  in  Q  — 
denn  vgl.  17,  la  mit  15,  1.  20.  16,  8  —  Ephraim  erst  hinter  Ma- 
nasse gefolgt  sein,  wie  14,  4.    Weiter  gehört  von  Ephraim  zu  Q  nur 

16,  4 — 8.  Denn  in  v.  1 — 3  gilt  das  Los^)  der  Söhne  Josephs 
als  eines,  wie  17,  14 — 18,  dagegen  wird  14,  4.  Gen.  48,  5  in 
Q  ausdrücklich  hervorgehoben,  Manasse  und  Ephraim  seien  als  zwei 
Stämme  zu  zählen  und  darnach  wird  in  der  Tat  16,  8.  17,  1  ver- 
fahren.    Zudem  wird   die   Grenze   16,   1 — 3   in  v.   4ss.   noch   ein- 

599  mal  wiederholt,  ohne  Frage  nicht  von  dem  selben  Verfasser^).    Der 
-     Anfang  fehlt  vor  16,  4  und  ist  nach  15,  1.  17,  1.  u.  s.  w.  zu  er- 
gänzen.   Der  Schluss  ist  vorhanden  in  16,  8;  schon  dadurch  werden 
V.   9.   10  von  Q    ausgeschlossen.     In  Kap.   17  ist  umgekelu't   von 
Manasse  der  Anfang  erhalten  v.  la,   aber   der  Schluss  fehlt  hinter 

17,  9;  denn  von  v.  10  a  oder  v.  10  b  an  wird  nur  jehovistischer 
Zusammenhang  gegeben.  Was  zwischen  v.  1  und  v.  9  steht,  rührt 
übrigens  auch  nicht  alles  aus  Q  her.  In  v.  5  (wozu  v.  6  eine 
Glosse)  befremdet  der  Ausdruck  (bün)  und  die  von  Knobel  nicht 
beseitigte  Inconvenienz  mit  v.  2,  der  8.  Yers  trennt  v.  7  und  v.  9 
auf  üble  Weise,  in  v.  9  selber  gehört  zusammen  die  Grenze 
geht  südlich  herab  bis  zum  Bache  Kana,  was  nördlich 
vom  Bach,    ist  Manasses   Gebiet,    dazwischen  sind    die  Worte 


')  D.  i.  hier  das  Gebiet.  Das  ist  auch  eine  Abweichung  von  Q,  steht 
aber  im  Einklang  mit  18,  14,  wo  b^)^  ==  7D.n- 

2)  Die  Ähnlichkeit  der  geograph.  Ausdrücke  ist  dem  nicht  entgegen  zu 
halten,  denn  einmal  hat  diese  beit  t.  t.  nicht  viel  zu  besagen  und  sodann  ist 
es  ohnehin  sicher,  dass  der  jüngere  Autor  den  älteren  benutzt  und  ausge- 
schrieben hat.  Eür  die  Priorität  kommt  in  Betracht,  dass  die  Grenze  zwischen 
Ephraim  und  Manasse  auch  in  Q  entweder  gar  nicht  oder  beinahe  gar  nicht 
anffeffeben  wird. 


Josua  1—24.  131 

diese  Städte  geliören  Ephraim  unter  den  Städten  Manasses 
ein  fremdartiger  Einsatz,  verwandten  Inhalts  mit  v.  8. 

Fiü-  JE  bleibt  somit  übrig:  16,  1—3.  9.  10.  17,  5.  8.  9 
(diese  Städte  in  Manasse  gehören  Ephraim)  10b.  11 — 18.  Ein 
vollständiger  Zusammenhang  ist  dies  nicht.  Z.  B.  sieht  der  jeho- 
vistische  Satz  in  17,  9  auf  eine  längere  Aufzählung  von  Städten 
Ephraims  in  Manasse  zurück,  von  der  jetzt  nur  die  Notiz  v.  8 
übrig  ist,  die  an  En  Tappuach  v.  7  angeknüpft  werden  konnte. 
Auch  16,  10  setzt  um  so  wahrscheinlicher  ein  vorausgegangenes 
ephraim.  Stadtregister  voraus,  als  das  gegenwärtige  Fehlen  eines 
solchen  höchst  befremdlich  und  nur  durch  absichtliche  Fortlassung 
eines  samariterfeindlichen  Redaktors  zu  erklären  ist.  Zusammen- 
hanglos steht  ferner  16,  9,  indes  scheint  dieser  Yers  erst  aus  17,  8. 
9  entlehnt  und  vom  letzten  Redaktor  als  Nachtrag  an  Q  16,  4 — 8 
angehängt  zu  sein.  Trotz  ihres  fragmentarischen  Charakters  kann 
man  sich  doch  wol  noch  eine  Vorstellung  der  jehovistischen  Landes- 
beschreibung machen.  Die  beiden  Hälften  von  Joseph  erhalten 
nur  Ein  Stammland,  dessen  Grenzen  zu  Anfang  angegeben  werden 
(16,  1—3,  der  Norden  fehlt  gegenwärtig).  In  diesem  Lande  erhält 
Ephraim  wir  wissen  nicht  wie  viele  und  Manasse  zehn  Anteile 
(„Messschnüi'e"  17,  5).  Ephraims  bedeutendere  Städte  werden  auf- 
gezählt und  daran  wird  eine  Restriktion  geknüpft  16,  10.  Sodann 
wird  Manasses  Gebiet  besprochen  und  gesagt,  einige  wichtige  600 
Städte  darin  seien  eplu'aimitisch,  seinerseits  aber  greife  auch  Ma- 
nasse nach  Norden  über  in  das  Gebiet  Äsers  und  Zebuions  und 
besitze  dort  mehrere  der  wichtigsten  Städte,  deren  Bevölkerung  jedoch 
kanaanitisch  sei  17,  5.  8 — 13.  Ein  Nachtrag  ist  17,  14 — 18,  in 
etwas  verworrener  (doppelter?)  Gestalt  überliefert  und  nicht  ganz 
durchsichtig.  Es  ist  auffallend,  wie  kraus  hier  die  Gebiete  durch- 
einander gehn,  so  dass  sie  eigentlich  weniger  durch  bestimmte 
Linien,  als  durch  Städte  (Dnyb  18,  9)  sich  begrenzen  lassen.  Offen- 
bar aber  entspricht  dies  der  krausen  Wirklichkeit. 

Der  jehovistische  Faden  setzt  sich  fort  mit  18,  2 — 10.  Nach- 
dem die  beiden  Hauptstämme  längst  sich  niedergelassen  haben, 
säumen  die  übrigen  noch,  bis  Josua  sie  treibt,  ihm  eine  Übersicht 
des  noch  restir enden  Landes  zu  verschaffen,  und  darnach  dann 
jedem  einzelnen  durch  das  Los  die  Gegend  zuweist,  die  er  sich  er- 
kämpfen soll.  Die  Zeit  ist  inzwischen  vorgerückt  18,  3,  auch  der 
Ort  hat  sich  verändert,  das  Lager  befindet  sich  nicht  mehr  in  Gilgal 

9* 


132  Die  Erzählung  der  übrigen  Bücher  des  Hexatenchs. 

14,  6,  sondern  in  Silo  18,  9:  der  betreffende  Ül^ergang  ist  aber 
ausgelassen  und  durch  Q  18,  1  ersetzt.  Vielleicht  stand  ursprüng- 
lich 13,  1.  7  an  dieser  Stelle,  sicher  wird  das  übrig  gebliebene 
Land  in  13,  2ss.  falsch  gedeutet.  In  18,  7,  aber  auch  nur  in 
diesem  Verse,  erkennt  Hollenberg  p.  501  die  Hand  des  Deutero- 
noinisten,  der  überall  die  drittehalb  Stämme  und  die  Leviten  nachträgt. 

Gemäss  18,  2 — 10  müssen  nun  auch  die  Gebiete  der  sieben 
kleineren  Stämme  sämtlich  in  JE  beschrieben  worden  sein,  ent- 
sprechend dem  Sepher,  welches  Josua  hatte  aufnehmen  lassen. 
Spuren  dieser  Beschreibung  sind,  wie  eben  gezeigt  ist,  namentlich 
in  den  Eingangsformeln  erhalten.  Im  Übrigen  muss  dieselbe  der 
von  Q,  wie  nicht  anders  möglich,  so  ähnlich  gewesen  sein,  dass 
nur  selten  Anlass  war,  die  Angaben  der  beiden  Quellen  neben  ein- 
ander mitzuteilen.  Indes  mögen  einige  Schwierigkeiten,  die  das  Ver- 
ständnis der  Grenzen  macht,  von  geographischen  Dubletten  her- 
rühren; ausserdem  mögen  ein  paar  Aufzählungen  von  Städtenamen 
in  Kap.  19,  welche  sich  in  die  zu  Grunde  gelegte  Form  der  Grenz- 
bestimmung aus  Q  gar  nicht  fügen  wollen,  von  dem  letzten  Redaktor 
aus  JE  nachgetragen  sein,  z.  B.  v.  15.  24b.  25a.  28.  30.  35—38, 
denn  nach  18,  9  wurde  grade  in  JE  das  Gebiet  nach  Städten  be- 
schrieben-^). Den  Schluss  der  jehovistischen  Geographie  bilden  die 
601  Verse  19,  49.  50,  wo  jedoch  Avahrscheinlich  eine  Notiz,  welche 
24,  33  vorbereitet,  ausgelassen  ist,  weil  sie  der  späteren  Vor- 
stellung fremdartig  und  widersprechend  war.  Dazu  kommt  dann 
noch  21,  43—45. 

Kap.  20.  21  enthalten  ausser  21,  43 — 45  nichts  vom  Jehovisten 
oder  Deuteronomisten.  Von  diesem  letzteren  insbesondere  rühren 
die  deuteronomistisch  klingenden  Zusätze  in  Kap.  20  nicht  her, 
sondern,  wie  Hollenberg  (der  Charakter  der  alex.  Übersetzung  des 
Buchs  Josua,  Mors  1876,  p.  15)  gezeigt  hat,  sind  sie  sehr  späten 
Ursprungs.  In  der  Sept.  fehlt  nyi  ""bD.!!  v.  3,  und  die  Verse  4 — 6 
gänzlich,  mit  Ausnahme  der  Worte  tDDti^D''^"n"b  ncy  "ly.  Die  Sept. 
enthält  mit  andern  Worten  die  sämtlichen  „deuteron."  Ergänzungen 
nicht,  natüidich  nicht  weil  sie  Quellenkritik  getrieben  hat,  sondern 
weil  dieselben  jüngeren  Datums  sind  als  die  hebräische  Vorlage  der 
Sept.    Vgl.  Kayser  p.  147  s.  —  In  Kap.  22  gehört  v.  1 — 8  jeden- 

"^)  Auf  die  Summen  ist  übrigens  bei  der  Quellenkritik  kein  Gewicht  zu 
legen,  sie  sind  späteren  Ursprungs  und  erst  der  gegenwärtigen  Textgestalt 
beigefügt.  —  19,  47  ist  jedenfalls  auch  nicht  aus  Q. 


Josiia  1—24.  133 

falls  nicht  zu  Q.  V.  1 — ß  stammen  vom  Deuteronomisten,  v.  8 
aus  einer  Quelle  des  Jehovisten.  In  der  Mitte  ist  v.  7  a  Glosse, 
V.  7  b  der  Übergang  von  v.  6  auf  8 :  „und  als  Josua  sie  entliess 
und  segnete,  da  sagte  er  ihnen  auch  noch".  Von  v.  9  an  lässt 
sich  nirgend  mehr  eine  Spur  des  Deuteronomisten  erkennen,  die 
Vorstellungen  und  Ausdrücke   sind  hier  rein  die  von  Q. 

Dagegen  ist  Kap.  23  von  Anfang  bis  zu  Ende  eine  Komposi- 
tion des  Deuteronomisten,  s.  Hollenberg  Stud.  und  Krit.  p.  481  ss., 
der  auch  die  ergänzende  Rücksichtnahme  auf  Kap.  24  nachweist. 
Dies  letzte  Kapitel  fand  der  Deuteronomist  im  jehov.  Geschichts- 
buche vor,  die  Quelle  charakterisirt  sich  nach  Hollenberg  a.  0. 
als  E.  Sprachlich  durch  nh^n  C'^O.in^S,  Elohim  v.  1,  mit  plural. 
Adjektiv  V.  19.  Gen.  20,  13,  Götter  der  Fremde  v.  20.  23.  Gen. 
35,  2,  Schwert  und  Bogen  v.  12.  Gen.  48,  22;  inhaltlich  durch 
die  Eiche  bei  Sichem  Gen.  35,  4,  durch  die  Bestattung  der  Gebeine 
Josephs  Gen.  50,  24s.,  durch  die  Vorstellung,  in  der  Familie  der 
Erzväter  sei  Vielgötterei  vorgekommen  v.  14.  Gen.  25,  2 — 4.  Frei- 
lich ist  E,  wie  gewöhnlich,  überarbeitet.  Als  deuteron.  Zusätze 
sind  zu  erkennen  die  Worte  N'^.p''^  bis  mtOt^'^PI  in  v.  1  (=2d,  2) 
ferner  ganz  v.  13  (Deut.  6,  10),  endlich  der  in  Sept.  und  Jud.  2,  6 
unmittelbar  auf  v.  28  folgende  v.  31  (wegen  der  Anschauung,  dass 
die  Generation  Josuas  noch  bundestreu  gewesen,  dann  aber  der 
grosse  Abfall  erfolgt  sei).  Noch  späteren  Ursprungs  ist  wol  v.  26a, 
dagegen  sind  v.  9.  10  füi*  den  Zusammenhang  wichtig  und  nicht 
von  Deut.  23,  5.  6  abhängig.  Jehovistische  Zutaten  sind  in  v.  11  602 
die  sieben  Völker^),  in  v.  12  der  Anfang  von  nbl^'Nl  bis  CD^3?C, 
endlich  in  v.  17 — 19  allerlei  Retouchen,  z.  B.  ]  CD^H'^DTiis*  v.  18. 
der  Satz  nach  dem  Athnach  v.  19. 

Das  Kapitel  ist  sein-  wichtig  für  die  Reconstruktion  von  E,  so- 
wol  im  Einzelnen,  was  die  Reklamation  bestimmter  Stücke  des 
Hexateuchs  für  diese  Quelle  betrifft  (wie  Gen.  33,  19.  Deut.  31, 
14 — 22),  als  auch  namentlich  im  Allgemeinen,  was  den  Inhalt  und 
Charakter  derselben  überhaupt  angeht.  Sie  hat  enthalten:  die  Ge- 
schichte der  Erzväter,    die  Einwanderung  Israels  in  Ägypten,    die- 


^)  Die  sieben  Völker  haben  in  v.  11  gar  keinen  Platz,  der  Anfang  von 
V.  12  aber  bezieht  sich  durch  Cm?<  auf  die  Aufzählung  derselben  zurück  und 
ist  also  gleichfalls  jehovistisch.  Für  „zwei  Könige  der  Amoriter"  liest  die 
Sept.  richtig  zwölf,  Amoriter  ist  in  E  der  allgemeine  Name  der  Urbevölke- 
rung, wie  bei  Arnos.     Darum  ist  auch  in  v.  18  \  □'•D^H   vD  H^^  spätere  Zutat. 


134  I^ie  Gesetzgebung. 

Plagen,  den  Durchzug  durchs  Scbilfmeer,  den  langjährigen  Aufent- 
halt in  der  Wüste,  die  Eroberung  des  östlichen  Amoriterlandes, 
die  Vereitlung  der  feindlichen  Absicht  Balaks  und  Bileams,  die 
Einnahme  Jerichos,  die  Vertreibung  von  im  Ganzen  zwölf  Königen  der 
westlichen  Amoriter,  endlich  die  Verteilung  des  gewonnenen  Lan- 
des, wobei  Josua  und  Eleazar  besonders  l^edacht  werden.  Also  um- 
fasste  E  den  ganzen  historischen  Stoff  des  Pentateuchs  (wenigstens^- 
von  der  Erzvätergeschichte  an)  und  des  Buches  Josua:  für  das  letz- 
tere scheint  es  die  eigentliche  Hauptquelle  zu  sein.  Als  charakte- 
ristische Eigentümlichkeiten  treten  hervor:  1.  der  Name  Amoriter 
als  Generalbezeichnung  der  früheren  Bevölkerung  Palästinas.  2. 
Sichem  als  heiliQ;e  Versammluno-sstätte.  3.  Josua  als  zweiter  Mose 
(v.  25,  vgl.  Deut.  27.  Jos.  8).  4.  Aharon  neben  Mose  wie  Eleazar 
neben  Josua  (v.  5.  33).  5.  das  Interesse  für  Joseph  (v.  32)  und 
die  Lokalitäten  in  Ephraim  (v.  30.  33).  6.  die  Altersangabe  24,  29. 
7.  das  starke  Bewusstsein  von  der  Einzigartigkeit  der  Religion 
Israels  im  Vergleich  zu  den  übrigen  gleichzeitigen  und  älteren  Re- 
ligionsstufen, der  ausgeprägte  Begriff  des  Heidentums,,  den  z.  B. 
J  gar  nicht  kennt.  8.  die  Umdeutung  der  Masseba  im  Tempel- 
bezirk von  Sichem  in  ein  Erinnerungszeichen. 

Die  Untersuchung  des  Erzählungsstoffes  im  Hexateuch  ist  da- 
mit abgeschlossen  und  es  bleibt  nur  noch  übrig,  die  grossen  gesetz- 
lichen Corpora  einer  literarischen  Analyse  zu  unterwerfen. 


III.    Die  grossen  Oesetzeskörper  des  Pentateuchs 

hinsichtlich  ihrer  inneren  Struktur  und  ihrer 

Yerhindung  mit  der  Erzählung. 

XXII  Wir  haben  bisher  bloss  den  Erzählungsfaden  verfolgt  und  die 

407  ilm  unterbrechenden  grossen  Gesetzsammlungen  ausgeschieden,  ge- 
genwärtig ist  es  die  Absicht,  die  letzteren  auf  ihren  literarischen 
Charakter  zu  untersuchen.  Wir  beginnen  mit  dem  Priestercodex, 
wie  man  kurz  die  Gruppe  von  Gesetzen  bezeichnen  kann,  deren 
Kern  der  Leviticus  ist,  zu  der  ausserdem  die  zweite  Hälfte  des 
Buches  Exodus  von  Kap.  25  an  (ausgenommen  Kap.  32 — 34)  und 
der  sämtliche  gesetzliche  und  historisch-gesetzliche  Stoff  des  Buches 
Numeri  gehört.  Dies  ist  anerkanntermassen  eine  gleichartige  Stufe 
der  Gesetzgebung,  die  sich  von  der  jehovistischen  (Exod.  20 — 23.' 


Exodus  25  —  Leviticns  16.  135 

Kap.  24)  lind  deuteronomischen  unterscheidet,  und  durcli  Inhalt 
und  Sprache  el)enso  wie  durch  direkte  Beziehungen  mit  Q  in 
engster  Verbindung  steht.  Aber  die  materielle  Gleichartigkeit 
bedeutet  nicht  systematische  Einheit.  Der  Priestercodex  in  seiner 
gegenwärtigen  Form  und  Grösse  weist  nicht  die  planvolle  Gliederung 
und  strenge  Construktion  auf,  wodurch  sich  Q  auszeichnet,  es  ist 
ein  Conglomerat,  worin  sich  an  einen  ursprünglichen  Kern  (=Q)  408 
andere  Schichten  in  gleichartiger  Krystallisation  angesetzt  haben. 
Es  wird  jetzt  die  Aufgabe  sein,  dem  literarischen  Process,  worin 
die  Schichtung  der  Gesetzesmasse  des  mittleren  Pentateuchs  ent- 
standen ist,  nachzuspüi'en.  Vgl.  de  Wette,  Beiträge  II  273  ss., 
und  Kuenen,  Th.  Tijdschrift  1870,  487  ss.  395  s. 

Die  Einrichtung  des  Priesterdienstes  der  Stiftshütte. 
Exod.  25— Lev.  16. 
1.  Das  erste  grosse  Stück  des  Priestercodex  läuft  von  Exod. 
25  bis  Lev.  10.  Hier  wird  es  leicht  zugegeben  werden,  dass  Lev. 
1 — 7  den  Zusammenhang  zwischen  Exod.  40  und  Lev.  8  in  einer 
jedenfalls  Von  dem  Verfasser  von  Exod.  40  nicht  vorgesehenen 
Weise  trennt,  s.  Ewald,  Geschichte  des  Volkes  Israels  (3.  Ausg.) 
I  141.  Nachdem  die  Arbeiten  für  das  Heiligtum  beendigt  und 
abgeliefert  sind,  wird  40,  1 — 15  befohlen,  erstens  das  Tabernakel 
mit  seinen  Geräten  aufzustellen,  zweitens  es  zu  salben  und  die 
Priester  einzuweihen;  beides  soll  am  1.  Tage  des  1.  Monats  (des 
2.  Jahres)  geschehen.  Es  heisst  dann  weiter,  Mose  habe  alles 
getan,  was  ihm  aufgetragen.  In  Wirklichkeit  aber  besorgt  er  am 
1.  Tage  des  1.  Monats  bloss  die  Aufrichtung  der  Hütte  40,  17 — 38, 
dagegen  folgt  die  Einweihung  der  Hütte  und  der  Priester  erst 
Lev.  8.  Diese  Trennung  der  zwei  zusammengehörigen  Teile  in 
der  Ausführung  entspricht  nicht  ihrer  sachlichen  und  zeitlichen 
Verbindung  in  dem  Befehl:  dem  Verfasser  von  40,  1 — 15  muss 
Exod.  40  und  Lev.  8  in  unmittelbarer  Folge  und  ohne  Dazwischen- 
treten von  Lev.  1 — 7  vor  Augen  gestanden  haben. 

Die  Veranlassung,  weshalb  Lev.  1 — 7  hier  eingedrungen  ist, 
ist  leicht  zu  finden.  Da  Lev.  8  die  ersten  Opfer  dargebracht 
wurden,  so  schienen  die  allgemeinen  Opferregeln  vorher  ihren  Ort 
zu  haben.  Hätte  aber  der  Verfasser  von  Exod.  29  Lev.  8  selbige 
vorausgesetzt,  so  hätte  er  nicht  nötig  gehabt,  noch  einmal  in 
solcher  Ausführlichkeit    das  Verfahren    anzustehen :    in   historischer 


136  I^iö  Gesetzgebung. 

Form  gehalten  ist  Exod.  29.  Lev.  8 — 10  ein  Pendant  zu  Lev.  1 — 7, 
das  nur  nicht  ganz  so  vollständig  ist.  Vgl.  das  Sündopfer  Exod. 
29,  10—14.  Lev.  9,  8—11.  v.  15,  das  Brandopfer  Exod.  29,  15—18. 
Lev.  9,  12—14.  v.  16,  das  Dankopfer  Exod.  29,  19—28.  31—34. 
Lev.  9,  18—21  und  das  Thamid  Exod.  29,  38—43;  ferner  die 
Mincha  beim  Dankopfer  Exod.  29,  2  s.  23  s.  und  beim  Brandopfer 
409  Lev.  9,  4.  16.  10,  12  s.,  endlich  den  Anteil  der  Priester  Exod. 
■  29,  27  s.  Lev.  9,  21.  10, 12—20  und  der  Darbringer  Exod.  29,  31—34. 
Was  die  Reihenfolge  der  Opfer  betrifft,  so  erhält  man  darüber 
sogar  ausschliesslich  aus  Exod.  29.  Lev.  9  Auskunft,  wie  überhaupt 
hier  in  Folge  der  gewählten  historischen  Einkleidung  ein  Adel  an- 
schaulicheres Bild  des  wirklichen  Herganges  bei  einem  grossen 
Opferfeste  gegeben  wird.  Trotz  aller  Gleichartigkeit  herrscht 
übrigens  keine  volle  Übereinstimmung  in  den  beiden  Opferord- 
nungen. Ich  will  nur  auf  einen  Punkt  aufmerksam  machen, 
nämlich  auf  die  Differenz  in  dem  Sündopferritus,  von  der  schon 
der  Nachtrao-  Lev.  10,  16 — 20  Akt  g;enommen  hat.  In  Lev.  4 
wird  das  Blut  beim  gewöhnlichen  Sündopfer  an  die  Hörner  des 
Brandopferaltars  gestrichen,  dagegen  beim  Sündopfer  des  Hohen- 
priesters und  des  Volkes  in  das  Innere  der  Hütte  gebracht,  an 
den  Vorhang  gesprengt  und  an  die  Hörner  des  Räucheraltars 
gestrichen.  Dieser  Unterschied  wird  Exod.  29  und  Lev.  9  nicht 
gemacht,  vielmehr  wird  29,  12.  9,  9.  15  auch  beim  Sündopfer  des 
Hohenpriesters  und  des  Volkes  das  Blut  nur  an  den  Opferaltar 
gestrichen.  Es  ist  dies  aber  hier  offenbar  der  solenne  Ritus, 
denn  es  hat  keinen  Sinn  anzunehmen,  bei  der  Einweihung  der 
Hütte  sei  ausnahmsweise  drei  Male  eine  weniger  feierliche  Form 
beliebt  worden,  und  ausserdem  wird  29,  14.  9,  11.  15  das  Fleisch 
grade  so  draussen  vor  dem  Lager  verbrannt,  wie  es  nach  Lev.  4 
nur  bei  den  heiligsten  Sündopfern  geschieht,  deren  Blut  in  das 
Innere  der  Hütte  gekommen  ist^).  Also  eine  unleugbare  und 
unauflösbare  Differenz.  Lev.  4  geht  einen  Schritt  über  Exod.  29. 
Lev.  9  hinaus,  die  Steigerung  erscheint  auch  darin,  dass  hier  als 
Sündopfer  des  Volkes  ein  Farre  gefordert  wird,  während  Lev.  9 
(vgl.  Kap.  16)  nur  ein  Ziegenbock.  Schliesslich  scheint  es  nach 
der  Unterschrift  7,  38,  als  ob  die  Überschrift  1,  1  erst  später  zu- 


1)  Dies  der  Anlass  der  Korrektur  10,  16 — 20,  welche  auf  dem  Boden  von 


Lev.  4  steht.     Gegen  Kuenen. 


Exodus  25  —  Leviticiis  16.  137 

gesetzt   worden  sei,  um  Lev.  1—7  in  die  Stiftshüttengesetzgebung 
einzufügen;  jedoch  wird  die  letztere  sachlich  vorausgesetzt. 

Was  übrig  bleibt,  ist  eine  zusammenhängende  Gottesdienstordnung 
in  historischer  Form,  zerfallend  in  die  Anweisung  Exod.  25 — 31  und  in 
die  Ausführung  Kap.  35 — 40.  Lev.  8 — 10.  Man  hathier  unleugbar  den 
Eindruck  pragmatischer  Consequenz,  gut  in  einander  greifender  Glieder. 
Dennoch  ist  das  Ganze,  literarisch  betrachtet,  nicht  aus  Einem  Guss. 

2.  In  der  Anweisung,  mit  der  wir  die  Untersuchung  beginnen,  410 
ist  alles,  was  hinter  Kap.  25 — 29  folgt,  ein  Nachtrag  von  späterer 
Hand.  Zuerst  wird  da  Befehl  und  Vorschrift  gegeben,  30,  1 — 10, 
einen  goldenen  Räucheraltar  zu  machen.  Man  hat  sich  von  jeher 
den  Kopf  darüber  zerbrochen,  warum  erst  an  dieser  Stelle,  warum 
getrennt  von  den  übrigen  Geräten  des  inneren  Heiligtums,  warum 
sogar  nach  der  Verordnung  über  den  Priesterornat  und  die  Inau- 
guration des  Gottesdienstes.  Der  Grund,  warum  der  Verfasser  von 
Kap.  25 SS.  an  der  Stelle,  wo  er  die  innere  Einrichtung  der  Hütte, 
bestehend  in  Lade  und  Kapporeth,  Tisch  und  Leuchter,  besclii'eibt, 
den  goldenen  Räucheraltar  nicht  mit  aufführt,  ist  der,  dass  er  von 
letzterem  nichts  weiss.  Vergessen  kann  er  ihn  nicht  haben  —  so 
bleibt  keine  weitere  Möglichkeit,  alle  sonstigen  Erklärungen  sind 
vergeblich.  Insbesondere  ist  es  verkehrt,  den  Anstoss  dadurch  zu 
beseitigen  oder  zu  applaniren,  dass  man  ihn  auf  gleiche  Stufe  mit 
anderen  angeblichen  Wunderlichkeiten  der  Anordnung  setzt,  z.  B. 
damit,  dass  die  Geräte  des  Tabernakels  Kap.  25  vor  diesem  selber 
Kap.  26  angeordnet  werden.  Dies  ist  ganz  sachgemäss,  im  Befehl 
kommt  erst  der  Zweck  und  dann  das  Mittel,  in  der  Ausführung 
umgekehi't  erst  das  Mittel  und  dann  der  Zweck.  Ebenso  ist  es 
durchaus  nicht  auffallend,  wenn  untergeordnete  Apparate  wie  die 
Schlachttische  oder  das  Waschbecken,  die  keine  Bedeutung  füi*  den 
eigentlichen  Kultus  haben,  entweder  überhaupt  nicht  aufgeführt 
oder  nachgetragen  werden.  Das  lässt  sich  damit  gar  nicht  ver- 
gleichen, dass  das  wichtigste  Gerät  des  Heiligen  an  der  Stelle,  wo 
es  notwendig  hingehört,  übergangen  wird. 

Die  Tragweite  meiner  Aufstellung  erfordert  es,  sie  eingehender 
zu  begründen.  Ezechiel  unterscheidet  nicht  zwischen  dem  Tisch 
und  dem  Altar  im  Naos,  sondern  setzt  beides  gleich.  Denn  er  sagt 
41,  21s.:  „vor  dem  Adyton  stand  etwas,  aussehend  wie  ein 
hölzerner  Altar,  drei  Ellen  hoch,  zwei  Ellen  lang  und  breit,  und 
hatte    vorstehende    Ecken,    und    sein    Gestell    und    seine    Wände 


138  üie  Gesetzgebung. 

waren  von  Holz:  das  ist  der  Tisch,  der  vor  Jalive  stellt."  Dem 
entsprechend  bezeichnet  er  den  Dienst  der  Priester  im  inneren 
Heiligtum  als  den  Dienst  am  Tisch  44,  16.  Tisch  ist  der  Name, 
Altar  der  Zweck.  Entsprechend  nennt  Maleachi  umgekehrt  den 
s.  g.  Brandopferaltar  Tisch. 

Im  Priestercodex  selber  erscheint  der  Räucheraltar  nur  in  ge- 
wissen Stücken,  fehlt  aber  in  anderen,  wo  man  ihn  erwarten  muss. 
Es  ist  bereits  darauf  hinojewiesen,  dass  der  Eitus  des  feierlichsten 
Sündopfers  zwar  in  Lev.  4  am  goldenen  Altar,  in  Exod.  29.  Lev.  8.  9. 
411  aber  ohne  denselben  vor  sich  geht.  Auffallender  noch  ist,  dass  in 
Stellen,  wo  es  sich  um  das  feierlichste  Räucheropfer  handelt,  von 
dem  betreffenden  Altar  keine  Spur  zu  entdecken  ist.  So  nament- 
lich in  Lev.  16.  Um  im  Heiligtum  zu  räuchern,  nimmt  Aharon 
eine  Pfanne,  füllt  sie  mit  Kohlen  vom  Brandopferaltar  —  so 
richtig  Ibn  Ezra,  vgl.  v.  12  mit  v.  18 — 20  —  und  tut  im  Adyton 
den  Weihrauch  darauf.  Ebenso  wird  Lev.  10,  Iss.  Num.  16  und 
17  auf  Pfannen  geräuchert,  deren  jeder  Priester  eine  besitzt.  Die 
Kohlen  werden  vom  Brandopferaltar  genommen  Num.  17,  11,  der 
mit  den  Pfannen  der  Korahiten  überzogen  ist  v.  3.  4"^).  Nämlich 
der  Altar  schlechthin  ist  überall  der  Hauptaltar.  Der  Name 
Brandopferaltar  kommt  erst  in  den  Partien  vor,  die  den  Räucher- 
altar voraussetzen  (ausser  dem  Pentateuch  nur  in  der  Chronik),  in 
den  älteren  Partien  heisst  es  einfach  der  Altar;  z.  B.  Exod.  27, 
wo  es  doch  besonders  nötig  gewesen  wäre,  die  nähere  Bestimmung 
hinzuzufügen  —  vgl.  dagegen  die  Parallele  38,  Iss. 

Dass  1  Reg.  7,  48  goldener  Altar  und  goldener  Tisch  unter- 
schieden werden,  muss  ich  anerkennen.  Aber  der  Text  dieses  Ka- 
pitels ist  corrupt  und  interpolirt.  In  dem  angeführten  Verse  ist 
das  Schlusswort  nnt  jedenfalls  unecht,  denn  man  kann  zwar  wol 
einen  vergoldeten  Tisch  einen  goldenen  Tisch  nennen,  aber  nicht 
sagen:  er  machte  den  Tisch  aus  Gold,  für:  er  überzog  ihn 
mit  Gold.  Wahrscheinlich  ist  ausserdem  pvli^n'nxi  Interpolation, 
da  6,  20.  22  nur  von  der  Verfertigung  des  goldenen  Altars  die  Rede 
ist.  Was  wir  gewöhnlich  den  goldenen  Tisch  nennen,  sah  nach 
Ezech.  41,  21  aus  wie  ein  Altar  und  kann  demgemäss  hier  der 
goldene  Altar   genannt  werden.     Selbst  im  nachexilischen  Tempel 


^)  Wer  das  Feuer  anders  woher  nimmt,  ist  des  Todes  Ley.  10,  1  ss.     Ganz 
richtig  yerstelm  diese  Stelle  Aphraates  p.  62  und  Georgias  Syncellus. 


Exodus  25  —  Leviticus  16.  139 

scheint  es  einen  besonderen  Räucheraltar  neben  dem  Tisch  nicht 
gegeben  zu  haben.  Allerdings  wird  1  Macc.  1,  21.  4,  49  erzählt, 
er  sei  mit  den  übrigen  Geräten  des  Heiligtums  von  Antiochns  IV. 
fortgeschleppt  und  beim  Tempelweihfest  neu  gemacht.  Aber  dieser 
mehr  in'  Bausch  und  Bogen  gehaltenen  Angabe  tritt  die  sichere 
Tatsache  gegenüber,  dass  die  Römer  bei  der  Zerstörung  Jerusalems 
nur  Tisch  und  Leuchter  vorgefunden  und  erbeutet  halben.  Und 
höchst  bemerkenswert  ist  es,  dass  in  der  Sept.  die  Stelle  Exod.  37, 
25 — 29  fehlt,  der  Räucheraltar  also  zwar  wol  befohlen,  aber  nicht 
ausgeführt  wii*d.  Unter  diesen  Umständen  ist  endlich  auch  die  412 
schwankende  Ortsangal^e  Exod.  30,  6  und  der  vermeintliche  Irrtum 
des  Verfassers  des  Hebräerbriefes  wichtig  und  begreiflich. 

Das  gewonnene  Resultat  ist  zugleich  ein  kritisches  Princip  von 
einschneidenden  Konsequenzen.  Die  genuine  Gesetzgebung  von  Q, 
zu  der  jedenfalls  Exod.  25  ss.  schon  wegen  der  historischen  Form 
gehört,  kennt  den  Räucheraltar  nicht.  Alle  Stücke,  in  denen  der- 
selbe integrii-end  vorkommt,  gehören  einer  sekundären  Schicht  an, 
ebenso  alle  die,  in  denen  der  Hauptaltar  nicht  einfach  HUl^n, 
sondern  il'lVi^  riüi^  genannt  wird.  Lassen  wir  indessen  die  Conse- 
quenzen  vorläufig  auf  sich  beruhen  und  fahren  fort  in  der  Prüfung 
von  Exod.  30. 

Es  folgt  hier  v.  11 — 16  die  Verordnung  der  Kopfsteuer  für  die 
Aboda.  Wenn  es  darin  zu  Anfang  heisst:  „wenn  du  die  Summe 
der  Kinder  Israel  aufnehmen  wii'st  nach  ihren  Gemusterten,  so 
sollen  sie  jeder  ein  Sühnegeld  geben,"  so  wird  damit  verwiesen 
auf  eine  künftige  Musterung  und  zwar  auf  die,  welche  Num.  1 
vorgenommen  wird.  Das  konnte  nun  aber  nm*  ein  Späterer  tun, 
dem  Num.  1  fertig  vorlag,  nicht  der  ursprüngliche  Verfasser,  der 
jenes  Kap.  noch  gar  nicht  gescMeben  hatte  und  es  also  auch 
nicht  voraussetzen  konnte;  er  hätte  mindestens  den  Befehl  l^erichten 
müssen,  dass  die  Musterung  angestellt  werden  solle,  ehe  er  davon 
als  von  einer  bekanntlich  demnächst  eintretenden  Tatsache  in  einem 
Nebensatze  redete.  Die  Konsequenz  ist  ebenso  notwendig,  wie  die 
Prämisse  sicher. 

Ein  ferneres  wichtiges  Merkmal  für  den  sekundären  Charakter 
von  Kap.  30  tritt  in  der  Verordnung  über  das  Salböl  hervor  v.  22 
bis  33.  Hier  wird  nämlich  in  v.  30  befohlen,  nicht  bloss  Aharon 
(=  der  Hohepriester),  sondern  auch  seine  Söhne  (=  die  gewöhn- 
lichen Priester)  sollen  gesalbt  werden.     Anderswo  jedoch  zeichnet 


140  Die  Gesetzgebimg. 

die  Salbung  den  obersten  Priester  vor  den  Amtsgenossen  aus,  s. 
Knobel  zu  Lev.  8,  10 — 12.  So  vor  allen  Dingen  in  der  Ordinations- 
ceremonie  Exod.  29,  auf  die  natürlich  das  grösste  Gewicht  zu  legen 
ist;  vgl.  V.  7  mit  8.  9  (Lev.  8,  12  mit  v.  13)  und  ausserdem 
V.  29s.,  wo  die  Salbung  ebenso  wie  die  Anlegung  des  heiligen 
Ornats  (Num.  20,  26.  28)  die  Succession  zum  Hohenpriestertum 
bedeutet.  Gleicherweise  aber  auch  Lev.  4,  3.  5.  16.  6,  13.  15.  16, 
32.  21,  10.  12.  Num.  35,  25;  besonders  deutlich  spricht  der  Name 
der  gesalbte  Priester  =  der  Hohepriester,  vgl.  Dan.  9,  25s. 
2  Macc.  1,  10.  Dagegen  stimmen  mit  der  Exod.  30,  30  herrschen- 
den Anschauung  überein  die  Stellen  Exod.  28,  41.  30,  30.  40,  15. 
413  Lev.  7,  36.  10,  7.  Num.  3,  3.  Dass  hier  ein  Widerspruch  vorliegt, 
ist  unzweifelhaft;  dass  es  ein  bewusster  ist,  geht  aus  Exod.  40,  15 
hervor:  du  sollst  sie  (=  die  gewöhnlichen  Priester)  salben, 
wie  du  ihren  Yater  gesalbt  hast.  Es  fragt  sich  nun,  was  das 
Ursprüngliche  ist.  Sehen  wir  uns  die  Stellen  näher  an,  welche 
die  Salbung  auch  auf  die  Söhne  Aharons  ausdehnen,  so  greift 
Exod.  28,  41  inhaltlich  dem  29.  Kapitel  vor  und  steht  formell  in 
einem  schiefen  Verhältnis  zu  v.  40,  als  sei  dort  nicht  bloss  von 
Aharons  Söhnen,  sondern  zugleich  von  ihm  selber  die  Rede,  was 
nicht  der  Fall  ist  und  nach  v.  39  auch  nicht  der  Fall  sein  kann. 
Lev.  7,  36  ist  eine  simple  Glosse,  beruhend  auf  Mis Verständnis  des 
Wortes  nnii-D  V.  35,  welches  Salbung  gedeutet  wird,  während  es 
Anteil  heisst.  Lev.  10,  7  bezieht  sich  zurück  auf  den  Befehl 
8,  35,  wonach  die  Priester  nach  der  Weihe  sich  für  eine  gewisse 
Zeit  von  der  Stiftshütte  nicht  entfernen  sollen,  aber  jener  Befehl 
gilt  nur  für  die  ersten  sieben  Tage  nach  der  Weihe,  und  da  diese 
bereits  9,  1  und  mithin  erst  recht  10,  1 — 5  abgelaufen  sind,  so 
erhellt,  dass  die  Verse  10,  6.  7  aus  dem  chronologischen  Rahmen 
herausfallen  und  erst  später  angehängt  sind.  Noch  deutlicher  ist 
es  endlich,  dass  der  Zusammenhang,  in  dem  Num.  3,  3  vorkommt, 
nämlich  Num.  3,  1 — 13,  nicht  ursprünglich  an  seine  gegenwärtige 
Stelle  gehört,  sondern  ein  Nachtrag  ist,  der  weder  von  3,  14 ss. 
noch  insbesondere  von  3,  40 ss.  vorauso-esetzt  wird.  Es  bleiben 
also  übrig  Exod.  30,  30  und  Exod.  40,  15.  Was  die  letztere  Stelle 
betrifft,  so  verrät  sie  eben  dadurch  weil  sie  sagt,  die  Söhne  sollen 
gesalbt  werden  wie  der  Vater  gesalbt  worden  sei,  dass  die  Salbung 
des  Vaters  das  Primäre  (schon  Perfekte?)  und  die  der  Söhne  etwas 
Hinzugefügtes  ist.     Das  Urteil  über  Exod.  30,  30  ergiebt  sich  dar- 


Exodus  25  —  Leviticus  16.  141 

nach  von  selbst;  der  Vers  beweist,  dass  das  Stück  v.  22 — 33  einer 
sekundären  Schicht  im  Priestercodex  angehört,  wofür  die  Aus- 
dehnung der  Salbung  Merkmal  ist,  welche  nach  der  ursprünglichen 
Bedeutung  des  Ritus  offenbar  ebenso  wie  der  Purpur  den  Priester- 
könig auszeichnet^). 

Nachdem  diese  drei  wichtigen  Punkte,  jeder  füi*  sich  in  unab-  414 
hängiger  Untersuchung,  festgestellt  worden  sind,  genügt  es  für  das 
Übrige  die  Consequenzen  des  Zusammenhanges  zu  ziehen.  In  der 
Eröffnung  über  die  Berufung  Bezalels  31,  1 — 11  erscheint  der 
Raucher-  und  der  Brandopferaltar,  desgleichen  wird  die  Yer- 
ordnung  über  das  Salböl  vorausgesetzt.  Den  Stücken  30,  17 — 21. 
V.  34 — 38  wird  durch  ihre  Umgebung  präjudicirt.  Das  eherne 
Becken  ist  zwar  auf  keine  Weise  so  zu  beurteilen  wie  der  goldene 
Altar,  es  hat  notwendigerweise  existirt  und  muss  auch  dem  Ver- 
fasser von  Exod.  25  ss.  bekannt  gewesen  sein.  Er  hat  es  aber 
nicht  mit  in  die  göttliche  Anweisung  aufgenommen,  weil  es  kein 
heiliges,  sondern  ein  ganz  untergeordnetes^)  Gerät  ist,  wie  die 
Schlachttische,  von  denen  er  auch  schweigt.  Die  Verordnung  über 
das  Räucherwerk  lässt  in  v.  36  Bekanntschaft  mit  dem  goldenen 
Altar  durchblicken  und  steht  mit  der  vorhergehenden  über  das 
Salböl  auf  einer  Stufe.  Was  endlich  die  Einschärfung  des  Sabbaths 
betrifft  31,  12 — 17,  so  wird  auch  diese  durch  den  Zusammenhang 
mit  fortgerissen,  zumal  da  ausserdem  die  Sprache  zwar  von  Q  ab- 
hängt, aber  nicht  völlig  damit  übereinstimmt.  Vgl.  "»nnm^^  v.  13, 
den  Sabbath  b^n  und  rWL^V  v.  14.  16,   i^d:)  von  Gott  gesagt  v.  17. 

3.  Nachdem  die  Anweisung  über  die  Einrichtung  des  Heilig- 
tums geprüft  und  Kap.  30.  31  als  späterer  Anhang  erkannt  ist^), 
ist  damit  zugleich  ein  Massstab  zur  Beurteilung  der  Ausführung 
gewonnen.     Untersuchen  wir  zunächst  Exod.  35 — 39.     Dass   dieser 


^)  Weiter  kann  man  nun  auch  zweifeln,  ob  die  Salbung  des  Zeltes  und 
der  heiligen  Geräte,  wie  sie  in  der  jüngeren  Schicht  Exod.  30,  22 — 33  vorge- 
schrieben wird,  wenigstens  sachlich  mit  der  älteren  Vorstellung  übereinstimmt. 
Sie  wird  allerdings  Lev.  8,  10  s.  ausgeführt,  aber  Exod.  29,  7  nicht  befohlen, 
und  bei  der  vollkommenen  Gleichheit  von  Exod.  29  und  Lev,  8  ist  das  ein  sehr 
bedenklicher  Umstand  bei  einem  so  wichtigen  Ritus. 

^)  Seinem  Zwecke  nach.  Hatte  es  eine  Bedeutung,  so  hing  sie  von  dem 
künstlerischen  Wert  ab. 

^)  Einige  unbedeutende  Zusätze  mögen  auch  in  Kap.  25 — 29  vorkommen, 
z.  B.  27,  20  s.  28,  13.  14.  41—43.  29,  35—37.  Gegen  das  Alter  von  29, 
38 — 46  bringt  Kuenen  Godsdienst  II  270  s.  nicht  unbegründete  Bedenken  vor. 


142  I^i®  Gesetzgebung. 

Absclinitt  eine  blosse  Wiederholung  von  Exod.  25 — 28  ist,  in  melir 
nieclianisclier  Ordnung,  ist  längst  aufgefallen  und  dazu  benutzt 
worden,  ihn  für  eine  Kopie  des  Originals  zu  erklären.  Est-il  pro- 
bable, sagt  Munck  (Palestine,  p.  129),  que  le  meme  auteur  ait 
ecrit  deux  fois  de  suite  tous  ces  longs  details,  en  changeant  seule- 
ment  la  fonnule  „et  tu  feras"  en  „et  on  fit?"  Nöldeke  aber  stellt 
die  Gegenfrage,  welcher  Spätere  wol  ein  Interesse  daran  gehabt 
habe,  dies  alles  nachzutragen,  traut  also  „die  unbeschreibliche 
Pedanterie"  lieber  dem  A^erfasser  von  Q  selber  zu,  der  allein  eine 
415  solche  Originalität  sich  habe  erlauben  können.  Tatsache  ist  jeden- 
falls, dass  der  fragliche  Absclmitt  inhaltlich  ganz  und  gar  be- 
deutungslos ist,  dass  er  nicht  vermisst  würde,  wenn  er  fehlte.  Dar- 
aus folgt  wenigstens  die  Möglichkeit  späterer  Einsetzung;  allerdings 
muss  aber  noch  eine  Instanz  dazukommen,  um  den  Beweis  der 
Möglichkeit  zum  Beweis  der  Wirklichkeit  zu  ergänzen.  Diese  Er- 
gänzung nun  hat  uns  bereits  die  frühere  Untersuchung  an  die 
Hand  gegeben.  Wii*  haben  gefunden,  dass  die  Verordnungen  Exod. 
Kap.  30.  31  von  zweiter  Hand  stammen  und  nicht  zu  dem  ur- 
sprünglichen Stock  gehören.  In  der  Ausführung  aber  werden  sie 
überall  als  integrirende  Bestandteile  der  Stiftshüttengesetzgebung 
angesehen  und  behandelt.  Im  engen  Anschluss  an  Kap.  31  wird 
hier  mit  der  Einschärfung  des  Sabbathgebots  und  der  Ernennung 
Bezalels  begonnen  (Kap.  35),  der  Räucheraltar  wird  stets  unter 
den  heiligen  Geräten  mit  aufgeführt,  der  eigentliche  Altar  in  Folge 
dessen  immer  durch  die  Bezeichnung  Brandopferaltar  unterschieden. 
Mithin  sind  die  Kapitel  35 — 39  nicht  älter,  wahrscheinlich  sogar 
jünger  als  Kap.  30.  31  und  rüln-en  in  jedem  Falle  nicht  von 
dem  eigentlichen  und  ersten  Autor  her,  der  Kap.  25 — 29  ver- 
fasst  hat. 

Was  von  Exod.  35 — 39  gilt,  gilt  auch,  obwol  nicht  ohne 
Unterschiede,  von  Kap.  40  und  Lev.  8.  In  Betreff  von  Exod.  40 
vgl.  man  den  Räucheraltar  v.  5.  26,  den  Brandopferaltar  v.  6 — 29, 
die  Salbung  des  Zeltes  und  der  sämtlichen  Priester  v.  15,  und 
beachte  ausserdem,  dass  die  Befehle  v.  1 — 16  einzeln  bereits  alle 
schon  einmal  gegeben  sind  und  dass  in  der  Ausführung  v.  17  ss. 
diejenigen  Angaben,  nach  denen  gleich  jetzt  der  Kultus  im  Taber- 
nakel in  regelrechten  Gang  gebracht  wird,  wie  z.  B.  v.  27.  29,  der 
nachfolgenden  Einweihung  desselben,  wie  sie  Exod.  29  vorgeschrieben 
und    Lev.   8  vollzogen  wird,    und    dem    ersten    ordentlichen  Opfer 


Exodus  25  —  Leviticus  16.  143 

Lev.  9  in  sehr  störender  Weise  vorgreifen.  Bei  dem  zweiten  hier 
zu  untersuchenden  Stücke,  Lev.  8,  steht  die  Sache  allerdings  etwas 
anders.  Der  Zusammenhang  zwischen  Exod.  40  und  Lev.  8  scheint 
mir  einseitig  zu  sein,  der  Yerf.  des  ersteren  Stückes  hat  sicher  das 
letztere  vor  Augen  gehabt  und  will  es  als  die  zweite  Hälfte  zu 
40,  17  SS.  aufgefasst  wissen^),  aber  das  Umgekehrte  ist  nicht  der 
Fall.  Also  Exod.  40  entscheidet  nicht  schon  über  Lev.  8.  Be- 
denken gegen  dies  letztere  Kapitel  entstehn  jedoch  aus  der  Yer-  416 
gleichung  von  Exod.  29.  Schon  früher  ist  darauf  hingewiesen,  dass 
in  Lev.  8,  10  s.  Hütte  und  Geräte  gesalbt  werden,  wovon  Exod.  29 
nichts  geboten  ist.  Ebenso  wenig  steht  dort  etwas  von  Entsündigen 
des  Altars  (abgesehen  von  dem  Nachtrage  29,  36),  wovon  Lev.  8, 
15  geredet  wird.  Beide  Punkte  sind  aber  weder  zufällig  noch  un- 
bedeutend, die  Übertragung  der  eigentlich  nur  auf  Personen  an- 
wendbaren heiligen  Handlungen  auf  neutrale  Objekte  —  denn  die 
s.  g.  Olsteine  darf  man  nicht  vergleichen,  bei  denen  es  sich  um 
ein  Ölopfer  handelt  —  ist  die  äusserste  Consequenz  der  Mechani- 
sirung  des  Begriffs  der  Heiligkeit  (Ezech.  43,  26).  Hinzu  kommen 
noch  zwei  andere  lediglich  formale,  gieichwol  nicht  auflösbare 
Differenzen.  Bei  der  Aufzählung  der  auf  den  Altar  gelangenden 
Teile  des  Brandopfers  kommt  Lev.  8,  20  zu  Kopf  und  Gliedern 
der  "IID  hinzu,  abgesehen  von  Bauch  und  Knöcheln.  Derselbe  fehlt 
Exod.  29,  17,  und  dass  dies  etwas  auf  sich  hat,  ergiebt  sich  daraus, 
dass  er  Lev.  9,  13,  in  einem  unzweifelhaft  primären  Stücke,  auch 
nicht  vorkommt,  wol  aber  Lev.  1,  8  in  einem  sekundären.  Ähnlich 
ist  wol  die  Differenz  zwischen  Exod.  29,  8  und  Lev.  8,  16  zu  be- 
urteilen, vgl.  Lev.  3,  3.  9.  14.  Endlich  wird  zu  den  zu  räuchernden 
Teilen  des  Dankopfers  in  Lev.  8,  26  ein  Mazzenkuchen,  dagegen 
Exod.  29,  23  ein  Laib  Brod  dargebracht.  Der  Unterschied  betrifft 
nicht  die  Sache,  aber  doch  ist  die  Ersetzung  des  ungenauen  Aus- 
drucks durch  den  bestimmten  Lev.  8,  26  deshalb  von  Bedeutung, 
weil  nach  älterer  Sitte  in  der  Tat  die  Opferteile  des  Dankopfers 
auf  gesäuertem  Brode'^)  dargebracht  wurden,  eine  Sitte,  die  später 


1)  Nach  Exocl.  40,  2.  17  werden  darum  die  sieben  Tage  der  Weihe  Lev.  8 
und  der  achte,  an  dem  zum  ersten  Male  Aharon  rite  fungirt,  von  1.  Nisan 
an  gerechnet,  Jos.  Ant.  3,  201.  Darauf  bezieht  sich  Meg.  Thaanith  No.  1, 
wie  ich  richtig  gemutmasst  habe,  Pharis.  und  Sadd.  p.  59. 

2)  Auch  Mincha  genannt,  aber  Thenupha.  Die  eigentliche  Mincha  wird 
ursprünglich  bloss  für  die  Brandopfer  vorgeschrieben. 


144  Die  Gesetzgebung. 

abgeschafft  werden  sollte  —  ■vgl.  den  Fortschritt  von  Lev.  7,  13 
(23,  17.  Arnos  4,  5)  zu  7,  12.  Nach  alle  dem  glaube  ich  an- 
nehmen zu  dürfen,  dass  auch  Lev.  8  nicht  zu  dem  ursprünglichen 
Bestände  der  Stiftshüttengesetzgebung  gehört.  Es  fehlen  allerdings 
die  gewissesten  Zeichen  dafür,  der  Brandopfer-  und  Räucheraltar ;  doch 
lässt  sich  dies  teils  aus  dem  engen  Anschluss  an  Exod.  29  erklären, 
teils  daraus,  dass  Lev.  8,  obwol  es  auch  sekundär  ist,  darum  doch 
mit  Exod.  35 — 40  nicht  ganz  auf  gleicher  Linie  steht. 

Überhaupt  denke  ich  nicht  daran,  Exod.  30.  31.  Kap.  35 — 40. 
Lev.  8  deshalb,  weil  sie  im  Vergleich  zu  Exod.  25 — 29  posthum 
417  sind,  in  einen  Topf  zu  werfen-^).  Mir  ist  aber  hier  die  Aus- 
scheidung des  originalen  Kerns  die  Hauptsache.  Zu  diesem  gehört 
bloss  Exod  25 — 29  und  Lev.  9,  inzwischen  hat  in  Q  nur  noch  die 
Nachricht  gestanden,  dass,  nachdem  Jahve  die  Anweisung  über  die 
Einrichtung  des  Kultus  vollendet  und  die  beiden  Tafeln  des  Zeug- 
nisses übergeben  hatte,  Mose  herabstieg  vom  Berge  und  tat,  wie 
er  geheissen  war.  Die  Zeitbestimmung  Lev.  9,  1  fordert  nicht  not- 
wendig das  voraufgehende  Kapitel  zu  ihrer  Beziehung,  sondern  ist 
vollkommen  verständlich  nach  Exod.  29,  38,  obwol  es  mir  wahr- 
scheinlicher ist,  dass  in  der  zwischen  Exod.  29  und  Lev.  9  anzu- 
nehmenden summarischenn  Nachricht  über  die  A'oUziehung  der  auf 
dem  Sinai  erhaltenen  Befehle  durch  Mose  die  Angabe  enthalten 
war,  dass  nach  der  Einweihung  die  Priester  sieben  Tage  im  Heilig- 
tum consignirt  blieben.  Gegen  den  Einwand,  dass  Lev.  9  nur  als 
Fortsetzung  von  Lev.  8  Sinn  habe,  könnte  man  den  Umstand  halten, 
dass  in  Kap.  8  das  Altarfeuer  bereits  sieben  Tage  brennt,  ehe  es 
9,  24  am  achten  herabkommt.  Die  Inconcinnität  bleibt  indes, 
auch  wenn  man  Lev.  9,  24  mit  Exod.  29,  vielleicht  sogar  mit  den 
voraufgehenden  Versen  des  selben  Kapitels  vergleicht,  mit  v.  10. 
13.  14.  17.  20  —  wenigstens  wenn  ^,^lDpr\  seinen  vollen  Sinn 
hier  behalten  hat.  In  jedem  Falle  also  kommt  die  Angabe 
9,  24  post  föstum  und  ist  als  Instanz  gegen  Lev.  8  nicht  zu 
gebrauchen. 

Zu  ähnlichen  Resultaten  über  Exod.  35 — 40.  Lev.  8  ist  auf 
ganz  anderem  Wege  gelangt  Julius  Popper,  der  biblische  Bericht 
über  die  Stiftshütte  (Leipz.  1862).     Er  geht   davon  aus,   dass  jene 

1)  Auch  Lev.  1 — 7  sind  nicht  gleichmässiger  und  einheitlicher  Conception, 
sondern  es  sind  ältere  Stücke  von  einem  jüngeren  Verfasser  benutzt.  Darauf 
einzugehn  ist  indessen  hier  nicht  nötig. 


Exodus  25  —  Leviticiis  Iß.  145 

Kapitel  im  Ganzen  eine  mechanische  Kopie  des  voraufgegangenen 
Originals  seien,  findet  dann  aljer  doch  sachliche  und  formelle  Dif- 
ferenzen, welche  die  Verschiedenheit  des  Kopisten  von  dem  Autor 
verraten.  An  sachlichen  Unterschieden  kommen  folgende  Punkte 
in  Betracht,  die  ich  an  Poppers  Stelle  hervorgehoben  haben  wüi'de. 
1.  Das  Gebot,  die  Arbeiten  am  Sabbath  ruhen  zu  lassen,  31, 12ss., 
wird  35,  3  dahin  verschärft:  ihr  sollt  am  Sabbath  kein  Feuer 
brennen  an  all  euren  Wohnorten.  Dieser  Zusatz  ist  darum  nicht  ori- 
ginal, weil  es  sich  nach  der  ursprünglichen  Absicht  nicht  um  die 
Sabbathsruhe  im  allgemeinen,  sondern  speciell  um  die  Einstellung 
auch  der  Arbeiten  am  Tabernakel  am  7.  Tage  handelt.  2.  In  41 8 
35,  18  wird  die  Mechanik  des  Zeltes  durch  Pflöcke  und  besonders 
durch  Spannseile  vervollständigt  (ebenso  39,  40  und  Num.  4), 
welche  in  der  Anweisung  nicht  erwähnt  und  schwerlich  still- 
schweigend supponirt  werden:  wenigstens  bei  dem  Holzgerüste  des 
eigentlichen  Tabernakels  sind  sie  kaum  angebracht.  3.  Nur  38,  8 
kommt  die  Angabe  vor,  das  eherne  Waschbecken  sei  aus  den 
Metallspiegeln  der  Tempelmägde  gemacht.  Trotz  Sept.  38,  22 
(=  Num.  17,  3  s.)  hat  Popper  Recht,  dieselbe  haggadisch  zu 
nennen.  4.  Die  Stelle  38,  21 — 31,  die  in  noch  auffallenderer 
Weise  als  die  entsprechende  30,  11 — 16  den  Anfang  des  Buches 
Numeri  als  bekannt  voraussetzt,  misversteht  zugleich  den  Zweck 
der  Kopfsteuer.  Sie  sei  zum  Bau  der  Stiftshütte  verwandt  und 
alles  dazu  nötige  Silber  daraus  bestritten,  wie  rechnungsmässig 
bewiesen  wird.  Wozu  dann  aber  25,  3.  35,  5.  24  das  Silber? 
und  soll  nicht  der  Bau  ledidich  aus  freien  Gaben  bestritten  werden? 
Es  handelt  sich  um  falsche  Auffassung  der  Worte  "lyiD  SlX  n"ID.y  hv 
30,  16.  Diese  bedeuten  da  nicht  „zur  Verfertigung  der  Stifts- 
hütte", sondern  für  den  Gottesdienst  in  der  Stiftshütte  Neh. 
10,  33.  2.  Chron.  24,  6').  Darnach  wäre  also  der  halbe  Sekel 
zum  Unterhalt  des  regelmässigen  Kultus  bestimmt,  namentlich 
wol  zur  Bestreitung  des  Thamid.  5.  Für  eine  Glosse  zu  ni^nn  nt^'yo 
Exod.  28,  7  hält  Popper  mit  Recht  die  technische  Beschreibung 
der  Goldfädenfabrikation   39,  3. 

Das  Hauptgewicht  legt  er  auf  die  sprachlichen  Verschieden- 
heiten, die  zwar  an  sich  geringfügig  sind,  dadurch  aber  allerdings 
an  Bedeutung  gewinnen,    dass   sie  mit  Varianten  übereinstimmen, 

^)  S.  Haneberg,  Die  religiös.  Altertümer  der  Bibel,  2.  Aufl.  §  461.  Yergl. 
Pharis.  und  Sadd.  p.  59. 

Wellhausen,    Comp.   d.    Hexateiichs.   3.   Aufl.  \Q 


146  I^iß  Gesetzgebung. 

Av eiche  der  Samaritaner  schon  Exod.  25  ss.  gegen  den  MT  auf- 
weist ').  Die  gemeinschaftliche  Wurzel  jener  Verschiedenheiten  und 
dieser  Varianten  erblickt  Popper  in  dem  Sprachgebrauch  einer  späteren 
Zeit,  welcher  im  MT  bloss  auf  die  damals  entstandenen  Zusätze 
gewirkt  habe,  im  Samaritaner  aber  auch  in  den  älteren  Text 
hineincorrigirt  sei.  Diese  Betrachtungsweise  scheint  mir  haltbarer 
419  als  die  Nöldekes,  welcher  sagt:  wenn  der  Samaritaner  die  vorher- 
gehenden Stellen  nach  den  folgenden  corrigire,  so  sei  das  eben  ein 
Zeichen,  dass  jene  Lesarten  alt  seien.  Meinte  denn  der  Samari- 
taner, der  Befehl  müsse  sich  nach  der  Ausführung  richten?  AVenn 
Nöldeke  ferner  einwendet,  ein  Ergänzer  würde  sich  wol  gehütet 
haben,  leichtsinnig  die  Sprache  seiner  Vorlage  zu  ändern,  die  er 
sonst  so  streng  beibehalte,  so  redet  Popper  gar  nicht  von  leicht- 
sinnigen, sondern  von  unwillküidichen  unbedeutenden  Änderungen 
die  gewissermassen  in  der  Luft  lagen.  Endlich  ist  es  eine  petitio 
principii,  zu  sagen,  dass  so  radicale  (??)  Veränderungen  im  Penta- 
teuch  unbegreiflich  seien  zu  einer  Zeit,  welcher  der  Sprachsinn  ver- 
loren gegangen^)  u.  s.  w.  Lidessen  darin  muss  ich  doch  Nöldeke 
Recht  geben,  dass  jene  paar  Differenzen  zu  schwach  sind,  um  das 
Gewicht  der  Consequenzen  zu  tragen,  die  an  sie  gehängt  werden: 
als  Hauptargument  hätte  Popper  sie  nicht  benutzen  clüi^fen. 

Der  gelehrte  Rabbiner  richtet  endlich  noch  die  Aufmerksam- 
keit auf  den  Text  der  Sept.  Exod.  35  ss.  und  meint  denselben  als 
eine  frühere  Stufe  in  dem  Process  des  Wachstums  ansehen  zu  müssen, 
dessen  Endresultat  der  masor ethische  Text  der  betreffenden  Kapitel 
sei.  Diese  Meinung  ist  nicht  erweisbar  ^),  wenn  auch  zugegeben 
werden  muss,  dass  fast  in  allen  Fällen,  wo  ein  solches  Schwanken 
des  Textes  vorkommt,  man  es  mit  jüngeren  Abschnitten  zu  tun 
hat.     Li  Poppers  Stelle  wüi'de  ich  bei  der  Vergleichuiig  der  Sept. 


1)  Statt  nnnj^  b^  n*i^X,  ITiX  ^N*  i^\S  Exod.  25ss.  helsstesKap.  35ss. 
regelmässig  nnx  b.S  DPivS*,  inX  bx  "IRvS-  Statt  n"i:in  26,4.  10  niüHD 
36,  11.  17.  Statt  ]l^^,p  Dnt^'y  26,18.  19  s.  D''t^1p  "V  36,  23.  24.  26.  Noch 
einige  andere  Beobachtungen  ähnlicher  Art  a.  0.  p.  84  ss.  Vgl.  Kuenen 
Godsd.  IL  265. 

'^)  Was  für  eines  Sprachsinnes  bedarf  es,  um  nach  Exod.  25  ss.  die  Kopie 
Exod.  35  SS.  zu  verfertigen?  Niclit  einmal  zur  Abfassung  von  Exod.  25  ss.  ist 
viel  Sprachsinn  erforderlich,  jedenfalls  nicht  mehr  als  z.  B.  der  Verfasser  der 
Chronik  hatte. 

3)  Beachte,  dass  39,  1  des  MT  (==  39,  12  Sept.)  auch  in  Sept.  hinter 
38,  31   (=  39,  10  s.)  steht,   obwol   der   Vers   konsequent  hinter  36,   8    (Sept.) 


Exodus  25  —  Leviticus  16.  147 

den  Nachdruck  darauf  gelegt  haben,  dass  die  Kap.  35  ss.  einen 
anderen  Vertenten  halben  als  Kap.  25  ss.  (a.  0.  p.  173).  Bei  der 
völligen  Gleichheit  des  Inhalts  der  beiden  Abschnitte  ist  das  sehr 
verwunderlich  und  am  ersten  daraus  zu  begreifen,  dass  der  Yertent 
von  Kap.  25  ss.  eben  Kap.  35  ss.  noch  nicht  vorfand;  zumal  dann 
im  Leviticus  die  Übersetzungsmanier  wieder  in  das  alte  Fahrwasser 
einlenkt.  Ähnlich  liegt  die  Sache  bei  Num.  4,  sie  zu  verfolgen 
Mäirde  hier  zu  weit  fülu"en. 

4.  Wii'  gehn  in  der  Untersuchung  des  Priestercodex  weiter  420 
und  prüfen  Lev.  10,  einen  von  Kap.  9  abhängigen  Anhang.  Es  ist 
oben  gezeigt  (p.  140),  dass  v.  6.  7  von  späterer  Hand  stammen,  weil 
hier  die  sieben  Tage  Exod.  29,  30.  37.  Lev.  8,  33  noch  laufen,  die 
in  Wahrheit  bereits  9,  1  vorüber  sind.  Yon  v.  6.  7  hangen  wie- 
derum die  Verse  8 — 11  ab,  ein  Nachtrag  zum  Nachtrag,  mit  der 
bisher  unerhörten  Einleitung:  und  Jahve  sprach  zu  Aharon  (Num. 
18).  Ebenfalls  ist  früher  schon  die  Posthumität  von  v.  16 — 20 
nachgewiesen,  p.  136.  Nach  Lev.  9,  15  hat  Aharon  den  Sünd- 
opferbock ebenso  behandelt  wie  den  Sündopferfarren ,  d.  h.  ihn 
verbrannt.  Dies  entsprach  der  Verordnung  Lev.  4  nicht,  wonach 
bloss  die  Tiere  zu  verbrennen  sind,  deren  Blut  in  das  Heilige  ge- 
kommen und  an  den  Räucheraltar  gesprengt  ist  —  was  Lev.  9  nicht 
der  Fall^).  Es  ist  also  das  Stück  10,  16 — 20  eine  Korrectur  des 
Verfahrens  in  Lev.  9  auf  Grund  der  Regeln  des  Opfercodex  Kap. 
1 — 7.  Als  primär  können  demnach  in  Kap.  10  nur  gelten  v.  1 — 5 
und  V.  12 — ^15.  In  Bezug  auf  letztere  Verse  ist  darauf  auf- 
merksam zu  machen,  dass  sie  von  den  in  Kap.  1 — 7  gegebenen 
Verordnungen  nichts  zu  wissen  scheinen. 

Wie  eine  unmittelbare  Fortsetzung  von  10,  1 — 5.  12 — 15  giebt 
sich  durch  die  Einleitung  Kap.  16,  welches  die  Gottesdienstordnung 
der  Stiftshütte  (Exod.  25 — Lev.  10)  durch  die  Anweisung  über  den 
Gebrauch  des  Debir  ergänzt  und  abschliesst.  Das  Stück  weiss 
nichts  vom  Räucheraltar  und  nennt  allein  Aharon  den  gesalbten 
Priester    (v.    32)   —  Merkmale    der  Zugehörigkeit    zum   ursprüng- 


stehn  müsste;  ebenso,  dass  38,  21—23  des  MT  (=  37,  19—21  Sept.)  hinter 
38,  20  (=  37,  18)  auch  in  Sept.  steht,  obwol  er  als  zum  Folgenden  gehörig 
vor  39,  1  (Sept.)  stehn  müsste. 

^)  Der  Sündopferfarre  Lev.  9  konnte  in  keinem  Falle  dem  Priester  zufallen, 
weil  er  von  diesem  selber  bezahlt  wurde. 

10* 


148  I^iö  Gesetzgebung. 

liehen  Bestände  von  Q,  zu  denen  noch  die  Einfassung  in  den  histo- 
rischen Rahmen  hinzukommt  (v.  1  s.)  ^). 

Inhaltlich  passen  freilich  auch  Kap.  11 — 15  so  ziemlich  an  die 
Stelle,  wo  sie  stehn,  nach  der  Einrichtung  des  Heiligtums  und 
der  Eröffnung  des  Dienstes  daran  15,  31  vgl.  10,  Q'"*),  vor  der 
Anordnung  über  die  Generalsühne  für  alle  Befleckungen  und  Ver- 
stösse 16,  16.  Aber  ob  der  Yerf.,  der  16,  1  an  Kap.  10  anschloss, 
inzwischen  Kap.  11 — 15  eingeschoben  hat?  und  ob  die  Prolepse 
des  technischen  Lagerbegriffs  (als  des  Kreises  zum  Centrum  der 
421  Hütte),  wie  sie  Kap.  13 — 15  vorkommt,  dem  Yerf.  von  Num.  Iss. 
zugeschrieben  werden  darf?  Zu  ZAveifeln  veranlasst  auch  das  häu- 
fige nmn  n.si  11,  46.  12,7.  13,  59.  14,  2.  32.54.  15,  32,  ferner 
der  eigentümliche  Ton  von  15,  31,  ebenso  die  Eingangsformel  11,  1. 
13,  1.  14,  33.  15,  1,  wenn  man  sie  mit  16,  1  zusammenhält:  das 
Ergehn  der  Rede  Gottes  an  zwei  Personen  zugleich  ist  jedenfalls 
das  minder  ursprüngliche  und  eine  psychologisch  unerklärbare  Vor- 
stellung. Doch  entscheide  ich  nicht  und  bemerke  nur  das,  dass 
sich  innerhalb  der  Gruppe  der  Reinigkeitsgesetze  selber  einige 
Nachträge  erkennen  lassen.  In  Kap.  11  ist  v.  24 — 40  ein  Einsatz, 
der  es  nicht  mit  dem  Essen,  sondern  mit  dem  Berühren  unreiner 
Tiere  zu  tun  hat  und  sich  ferner  dadurch  unterscheidet,  dass  es 
für  yp\l^  ist  es  euch  einfach  heisst  N*DtO  ist  es  euch,  und  dass 
der  Aufzählung  der  verunreinigenden  Fälle  die  strafgesetzliche 
Wirkung  auf  die  betreffende  Person  hinzugefügt  wird.  Den  Faden 
von  V.  23  nimmt  erst  v.  41  wieder  auf  (^DN%  Vp^)  und  fügt  dem 
r]iyn  y^r^  v.  20—23  das  yi^n  yi^'  bei;  auch  die  Unterschrift 
V.  46s.  ignorirt  den  Inhalt  von  v.  24 — 40  und  berücksichtigt 
bloss  die  vier  Abteilungen  der  nicht  zu  essenden  Tiere  v.  2 — 8. 
9 — 12.  13 — 23.  41s.  Das  12.  Kapitel  ist  schon  durch  seine 
Stellung  verdächtig,  denn  stofflich  ist  es  eine  Unterabteilung  von 
Kap.  15;  die  Posteriorität  wird  klar  durch  12,  2  vgl.  15,  19,  dem 
Verfasser  von  Kap.  12  hat  Kap.  15  bereits  fertig  vorgelegen.  Die 
Thora  des  Aussatzes  Kap.  13.  14  wird  durch  eine  Generalunterschrift 
und  durch  mehrfache  Rückbezüge  der  späteren  auf  die  früheren 
Teile  zusammengehalten.     Indessen  kann  man  kaum  zweifeln,  dass 

')  [Vgl.  aber  Benzmger  in  Stades  Ztschr.  1889  p.  65  ss.]. 

''^)  Die  7  Tage  der  Reinigung  des  Aussätzigen  etc.  vor  seiner  Reception 
zum  Mitglied  der  Gemeinde  sind  analog  den  7  Tagen  der  Vorbereitung  vor 
der  Priesterweihe.     Ezech.  43,  25.  44,  26.     Auch   übrigens   herrscht  Analogie. 


Exodus  25  —  Leviticiis  16.  149 

das  Gesetz  über  den  Häiiserfrass  14,  33  ss.  nicht  bloss  sachlich, 
sondern  auch  literarisch  jüngeren  Datums  ist.  Nur  so  erklärt  sich 
seine  Stellung,  hinter  14,  1 — 32  statt  hinter  13,  47 — 59,  und 
seine  neue  Eingangsformel  14,  33  s.,  worin  noch  die  Besonderheit 
auffällt:  ich  gebe  die  Plage  des  Aussatzes.  Das  sachlich  bei 
weitem  älteste  Stück  des  Ganzen  ist  natüi'lich  13,  1 — 46,  welches 
sich  auch  stilistisch  durch  den  regelmässigen  Ansatz  T  0"iN  v.  2. 
9.  18.  24.  29.  38  und  ferner  durch  das  Fehlen  des  sonst  überall  in 
Kap.  11 — 15  Constanten  nmn  HNl  auszeichnet. 

Also  Exod.  25 — Lev.  16  ist  zwar  alles  Priestercodex,  aber 
nicht  alles  Q.  Die  No.vellen  liegen  nur  in  der  Sphäre  von  Q  und 
entstammen  dem  selben  Boden,  sind  aber  verschiedenen  und  meistens 
oder  auch  sämtlich  jüngeren  Ursprungs.  Anders  steht  die  Sache 
im  folgenden  Abschnitt,  Lev.  17 — 26,  wo  eine  kleine  Gesetzsamm- 
lung, die  allem  Anschein  nach  älter  als  Q  ist,  nicht  in  Q,  aber  in  422 
den  Priestercodex  hineingearbeitet  ist. 

Die  Gesetzsammlung  Lev.  17 — 26. 

Über  diese  Kapitel  ist  viel  verhandelt  worden.  Bei  Kap.  18. 
bis  20  hat  zuerst  Ewald  die  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  waln-- 
genommen  und  sie  daraus  erklärt,  dass  der  Verfasser  (von  Q)  hier 
stärker  als  sonst  sehr  alte  Quellen  benutze.  Knobel  dehnte  diese 
Beobachtungen  weiter  aus,  z.  B.  auf  Kap.  17.  26,  gab  aber  die 
betreffenden  Stücke  für  jehovistisch  aus  und  verleibte  sie  seinem 
Kriegsbuche  ein.  In  dem  Festgesetze  Kap.  23  hatte  bereits  viel 
früher  George  grössere  Partien  erkannt,  die  sich  fremdartig  gegen 
ihi*e  Umgebung  abhoben;  seine  Resultate,  die  übrigens  nicht  die 
verdiente  Beachtung  fanden,  wurden  von  Hupfeld  erneuert.  Zu- 
sammenfassend hat  endlich  Graf  zu  zeigen  versucht,  dass  Kap.  18 
bis  26  eine  ältere  Sammlung  von  Aufsätzen  sei,  die  der  Verfasser 
von  Q  aufgenommen  und  durchgearbeitet  habe.  In  seinen  Spuren 
sind  Kuenen  und  neuerdinöjs  Kavser  weiter  ö'esano'en,  welcher 
letztere  das  nicht  unverdiente  Unglück  gehabt  hat,  die  Funde 
Georges  und  Hupfelds  noch  einmal  zu  finden. 

Auf  Grund  dieser  Verhandlungen  ist  meine  Meinung  folgende. 
Die  Kapitel  Lev.  17 — 26  gehören  sicher  nicht  zu  dem  jehovisti- 
schen  Geschichtsbuche,  sondern  ihrer  vorwiegenden  Art  nach  zum 
Priestercodex.  Aber  im  Vergleich  zu  Q  und  den  darauf  fussenden 
Novellen  haben  sie  doch  viele  hier  stärker  dort  schwächer  hervor- 


150  I^ie  Gesetzgebung. 

tretende  Eigenheiten,  wodurch  sie  sich  dem  Deuteronomium  und 
dem  Ezechiel  nähern.  Es  scheint  hier  in  der  Tat  eine  ältere  selb- 
ständige Gesetzsammlung  in  den  Priestercodex  aufgenommen  zu  sein, 
welche  dabei  aber  an  manchen  Stellen  stark  überarbeitet  und  zwar 
zumeist  materiell  ergänzt  wurde.  Eine  Sammlung,  nicht  einzelne 
Stücke.  Denn  ein  ziemlich  manierirter  religiös-paränetischer  Ton, 
der  gar  nicht  mit  Q  stimmt,  durchzieht  das  Ganze  und  kommt 
namentlich  auch  in  der  Schlussrede  Kap.  26  zum  Ausdruck.  Der 
Verfasser  des  kleinen  Corpus  hat  zum  Teil  auf  Grund  älterer  Vor- 
lagen gearbeitet,  und  so  erklärt  sich  das  Verhältnis  von  Kap.  18 
zu  Kap.  20.     Zur  Begründung  Folgendes. 

Lev.  17  vergleicht  sich  mit  Deut.  12;  dies  Gesetz  verlangt  eben- 
falls die  Centralish'ung  des  Opferdienstes,  hält  aber  trotzdem  die 
Forderung  aufrecht,  dass  alle  Schlachtung  Opfer  sein  müsse.  Vier 
Absätze  werden  eingeleitet  durch  die  Formel  „jedermann  vom  Hause 
Israel  und  den  darunter  weilenden  Fremden",  in  der  einmal  die 
423  Fremden  ausbleiben,  ohne  dass  dies  einen  Unterschied  macht.  Sach- 
lich sehi'  in  einander  fliessend  lassen  sie  sich  a  potiori  so  characte- 
risiren:  v.  3 — 7  Verbot  zu  schlachten,  ohne  zu  opfern;  v.  8.  9 
Verbot,  die  Opfer  einem  anderen  Gott  und  an  einem  anderen  Orte 
darzubringen  als  dem  Jahve  bei  seiner  Wohnung;  v.  10 — 12  Ver- 
bot, das  Fleisch  im  Blute  zu  essen;  v.  13 — 16  Verhalten  bei  nicht 
opferbarem,  jedoch  zu  essen  erlaubtem  Fleische,  wozu  auch,  mit 
einer  kleinen  Beschränkung,  Nebela  und  Terepha  gehört. 

Die  grosse  formelle  und  sachliche  Ähnlichkeit  von  Lev.  17  mit 
Q  liegt  auf  der  Hand '),  dennoch  ist  es  kein  Stück  daraus  und 
keine  simple  Novelle  dazu.  Sonst  wäre  die  Stellung  ebenso  un- 
verständlich wie  die  durchgehende  Wiederholung  längst  gegebener 
Verordnungen,  s.  Knobel  p.  495.  Der  Opferdienst  und  der  Ort  des- 
selben steht  anderswo  überall  an  der  Spitze,  so  im  Deut.  Kap.  12, 
im  Bundeshuch  Exod.  20,  24 — 26,  im  Ezechiel  Kap.  40 ss.  Vor 
allem  aber  beginnt  Q  selber  damit,  in  der  allerausführlichsten 
Weise.  Denn  die  Voranstellung  der  Stiftshütte  Exod.  25  ss.  hat 
doch  den  Sinn,  dass,  um  dem  Kultus  den  Boden  zu  verschaffen, 
zuerst  das  rechte  wahre  und   einige  Heiligtum   da  sein  müsse;  in 


^)  Z.  B.  die  stete  Aiisdelmimg  der  Gesetzgebung  auf  die  Gerim  —  was 
auf  eine  gemeinsame  Situation,  aus  der  beide  Codices  hervorgegangen  sind, 
,schliessen  lässt,  nämlich  auf  das  Vorwiegen  der  Religion  über  die  Nationalität, 
vgl.  Lev.  24,  22, 


Leviticus  17—26.  151 

die  Beschreibung  desselben  wird  die  des  Opferdienstes  hineinge- 
flochten, und  nirgends  wird  späterhin  bei  einer  rituellen  Handlung 
unterlassen  zu  bemerken,  sie  müsse  vor  dem  Tabernakel  geschehen. 
Es  ist  ein  höchst  verwunderlicher  Irrtum,  zu  meinen,  dass  abge- 
sehen von  Lev.  17  im  Priestercodex  von  Einheit  des  Cultusortes 
nichts  zu  finden  sei;  die  Stiftshütte  ist  ja  doch  die  Basis  des 
Ganzen,  ohne  welche  es  zusammenbräche,  und  sie  hat  keine  andere 
Bedeutung  als  die  eines  Gesetzes  der  Ivultuseinheit  in  historischer 
Form.  Was  soll  also  Lev.  17,  1 — 9  in  Q,  sowol  überhaupt,  als 
auch  besonders  an  dieser  vStelle? 

Hinzukommt,  dass,  sofern  dies  Gesetz  wirklich  etwas  Neues 
bringt,  es  mit  Q  (und  den  Novellen)  nicht  im  Einklang  steht.  Dies 
ist  besonders  hinsichtlich  der  Forderung  der  Fall,  dass  jede 
Schlachtung  Opfer  sein  müsse.  Q  lässt  die  Patriarchen  nicht  opfern, 
gestattet  aber  die  Schlachtung  ganz  ausdrücklich  in  den  noachi- 
schen  Geboten,  welche  vielfach  an  Lev.  17  erinnern.  Im  Gegen- 
satz zu  Sabbath  und  Beschneidung  haben  nun  zwar  diese  Gebote  424 
ihre  bleibende  Geltung  mehr  füi*  die  übrige  Welt  als  für  Israel; 
aber  die  Erlaubnis,  Tiere  ohne  Opfer  zu  schlachten  —  von  der 
das  ältere  Heidentum  keinen  Gebrauch  gemacht  hat  —  soll  ohne 
Zweifel  auch  für  den  jMosaismus  in  Kraft  bleiben.  Denn  nur  so 
ist  der  Charakter  des  Opferdienstes  in  Q  zu  begreifen:  die  abstrakt 
gottesdienstlichen  Opfer,  von  deren  Fleisch  nichts  für  den  Dar- 
bringer selbst  abfällt,  herrschen  einseitig  vor,  das  s.  g.  Dankopfer 
und  die  dazu  gehörige  Opfermahlzeit  tritt  ganz  zurück  —  was  auf 
Grund  von  Lev.  17  nicht  hätte  geschehen  können  und  selbst  im 
Deuteronomium  noch  nicht  geschehen  ist,  wo  vielmehr  noch  immer 
das  gemeinschaftliche  Essen  und  sich  Freuen  vor  Jahve  als  die 
Hauptsache  beim  Opfer  gilt.  Dass  im  Priestercodex  nicht  jede 
Schlachtung  Dankopfer  ist,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  von  dem 
letzteren  Keule  und  Brust  an  den  Priester  abgegeben  werden  sollen 
—  das  konnte  doch  in  jenem  Falle  unmöglich  verlangt  werden, 
wie  denn  auch  Lev.  17  davon  keine  Rede  ist.  Unleugbar  wii"d  die 
Schlachtung  endlich  in  Lev.  7,  22 — 27  als  ein  profaner  Akt  vor- 
ausgesetzt, der  an  jeder  Stelle  verrichtet  werden  kann  und  mit 
dem  Altardienst  nichts  meln^  zu  tun  hat. 

Auf  eine  weitere  sachliche  Differenz  hat  schon  Knobel  hinge- 
Aviesen,  nämlich  auf  die  Motivirung  der  gebotenen  Massregel  durch 
den  Götzendienst  17,  7,  eine  Rücksicht,  die  dem  Priestercodex  ferne, 


152  Die  Gesetzgebung, 

dagegen  dem  Deuteronomium  nahe  liegt,  namentlich  wenn  unter 
den  Seirim  nach  2.  Chron.  11,  15  die  Gottheiten  der  Bamoth  zu 
verstehn  sind,  vgl.  Lev.  26,  30.  Auf  einige  Abweichungen  des 
Ausdi'ucks  hat  gleichfalls  Knobel  aufmerksam  gemacht,  dahin  ge- 
hören die  Wendungen  in  v.  7.  10  und  die  Einleitungsformel  v.  3. 
8.  10.  13.  Die  Ähnlichkeiten  überwiegen  hier  freilich,  aber  es 
findet  dabei  gewöhnlich  entweder  ein  quantitativer  oder  auch  ein 
bedeutsamer  qualitativer  Unterschied  statt.  Beides  trifft  zusammen 
bei  der  bekannten  Phrase  n^r2p2  X^"^^  '^'^^n  nnirJV  Sie  kommt  in 
Q  seltener  vor  als  in  Lev.  17  ss.,  immer  aber  in  dieser  Form  mit 
i^t:!  als  passivem  Subjekt;  in  Lev.  17 ss.  dagegen  ist  ihre  Form 
freier,  und  sie  bekommt  dadurch  ein  ganz  anderes  Leben,  dass 
zuweilen  die  aktive  Konstruktion  „ich  richte  mein  Angesicht  gegen 
ihn  und  rotte  ihn  aus  von  seinen  Verwandten"  den  Sinn  der 
passiven  erklärt  17,  10.  20,  3.  5.  Nie  tritt  inmitten  eines  Gesetzes 
des  eigentlichen  Priestercodex  das  göttliche  Ich  so  hervor.  Be- 
achtung verdient  noch,  dass  Lev.  17  sowol  in  seinen  Ähnlichkeiten 
mit  Q  als  in  seinen  Abweichungen  davon  mit  den  folgenden 
Kapiteln  zusammentrifft. 
425  Die  Hand  desjenigen,    der  unsere  Sammlung  in   den  Priester- 

codex aufgenommen  hat,  ist  in  der  Überschrift  17,  1.  2  erkennbar, 
die  zu  dem  Inhalt  des  Kapitels  nicht  passt,  welcher  bloss  an  das 
Volk  und  nicht  an  die  Priester  gerichtet  ist.  Ferner  ist  in  v.  4 
eins  von  beiden  überflüssig  und  störend,  entweder  "ylC  SlN  nPD  b^ 
oder  mn^  ]D\^'r2  IjDS.  Die  Entscheidung  fällt  gegen  den  ersteren 
Ausdruck,  der  der  gewöhnliche  ist,  aber  in  Kap.  18 — 26  nur  ein- 
mal in  einer  Interpolation  vorkommt.  Darnach  wird  man  geneigt, 
denselben  auch  in  v.  6  und  v.  9  für  Korrektur  des  Überarbeiters 
zu  halten,  vgl.  19,  21.  22.  Ob  dieser  noch  sonst  eingegriffen  hat, 
muss  dahin  gestellt  bleiben. 

In  Kap.  18  unterscheidet  sich  die  eigentliche  Materie  v.  6 — 23, 
welche  meist  ganz  trocken  aufgezeichnet  ist  (bes.  v.  7 — 17),  von 
der  paränetischen  Einfassung  am  Anfang  und  Schluss,  deren  Ton 
an  das  Deuteronomium  anklingt.  Dort  geht  die  singularische,  hier 
die  pluralische  Anrede  durch.  Den  materiellen  Kern  fand  der 
Verfasser  grösstenteils  schon  schriftlich  oder  mündlich  fixirt  vor, 
vgl.  zu  Kap.  20;  die  Einfassung  hat  er  selber  concipirt  und  da- 
durch dem  Gesetz  eine  geschichtliche  Situation  gegeben,  die  sein 
eigenes  Zeitalter  verrät.     Es  heisst  v.  3:  ihr  sollt  es  nicht  machen 


Leviticus  17—26.  153 

wie  die  Ägypter,  in  deren  Lande  ihr  gewohnt  habt,  und  auch  nicht 
wie  die  Kanaaniter,  in  deren  Land  ich  euch  bringen  werde  — 
und  übereinstimmend  damit  v.  24:  verunreinigt  euch  nicht  mit 
solchen  Greueln,  wie  die  Völker,  die  ich  vor  euch  vertreiben 
werde.  Dagegen  v.  25:  das  Land  hat  seine  alten  Bewohner  aus - 
gespieen  —  v.  27.  28:  alle  diese  Greuel  haben  die  Völker  geübt, 
welche  vor  euch  waren,  hütet  euch,  dass  das  Land  nicht  auch 
euch  ausspeie,  wie  es  das  Volk  vor  euch  ausgespieen  hat  — 
ähnlich  v.  30.  Da  bricht  die  wirkliche  Zeit  des  Verfassers,  wo  man 
mit  der  Exilirung  gar  wol  vertraut  war,  deutlich  durch;  aber  schon 
an  sich  giebt  das  ganze  Motiv  etwas  zu  denken.  Vgl.  20,  23  s. 
26,  33  SS. 

Die  LTnterschiede  von  Kap.  18  gegen  Q  sind  allgemein  aner- 
kannt. Man  beachte  namentlich  die  jener  Schrift  völlig  fremde 
Formulirung  der  Gesetze  in  der  singularischen  Anrede  an  das  Volk 
V.  7 — 23.  Auch  die  Einfassung  v.  1 — 5.  24 — 30  hat  zw^ar  manches, 
was  an  das  Deuteronomium,  aber  nichts,  was  an  Q  erinnert;  hier 
(und  V.  20 — 23)  finden  sich  im  Gegenteil  die  durchgehenden  Eigen- 
tümlichkeiten des  Corpus  am  meisten  vereinigt.  Nicht  einmal  von 
einer  nachträo-lichen  Überarbeituns;  im  Sinne  des  Priestercodex 
lässt  sich  in  Kap.  18  eine  Spur  auffinden. 

Das  19.  Kapitel  lässt  sich  in  drei  Teile  zerlegen.  Erstens  426 
V.  2—8.  An  der  Spitze  steht  der  Befehl  „Mutter  und  Vater  zu 
füi'chten"  und  Jahves  Sabbathe  zu  halten,  dann  folgen  andere  Ge- 
bote kultischen  Inhalts  für  das  Volk.  Also  ein  Analogen  der 
s.  g.  ersten  Tafel  des  Dekalogs,  es  fehlt  nur  das  „du  sollst  den 
Namen  Jahves  nicht  zur  Lüge  aussprechen",  vielleicht  weil  der 
falsche  Schwur  ausschliesslich  unter  den  Gesichtspunkt  der  Schä- 
digung des  Nächsten  gestellt  und  so  zu  sagen  das  dritte  mit  dem 
neunten  Gebote  combinirt  ist,  v.  12.  Anrede  mit  Ihr;  der  eigen- 
tümliche Ton  des  Verfassers  tritt  hervor,  namentlich  am  Anfang 
und  am  Ende.  —  Zweitens  v.  9 — 22.  Dieser  Absatz  enthält  bis 
V.  18  ausschliesslich  Gebote  betreffend  die  Pflichten  gegen  den 
Nächsten,  nur  v.  19 — 22  fallen  nicht  unter  diese  Kategorie.  Hier 
sind  nun  v.  21.  22  Interpolation  des  von  Q  ausgehenden  Uber- 
arbeiters,  als  solche  kenntlich  fast  an  jedem  einzelnen  Worte:  es 
genüge,  dass  das  Heiligtum  sonst  nie  in  diesen  Kapiteln  Ohel 
Moed  heisst,  sondern  immer  Mi q das ch,  und  dass  das  Schuldopfer 
22,  14  völlig  unbekannt  ist.    Die  beiden  vorhergehenden  Verse  sind 


154  Die  Gesetzgebung. 

ein  älterer  und  authentischer  Anhang  zu  v.  9 — 18,  sich  unter- 
scheidend V.  19  durch  die  besondere  Einleitung,  v.  20  durch  den 
Mangel  der  Anrede  (wie  im  Bundesbuch  die  Rechte  gegenüber 
den  Worten).  A  potiori  wird  man  trotz  v.  19 — 22  sagen  können, 
dass  der  zweite  Absatz  der  zweiten  Tafel  des  Dekalogs  entspricht'): 
eine  offenbar  beabsichtigte  Zwieteilung.  Der  Verfasser  hat  hier 
gewiss  öfter,  als  es  sich  nachweisen  lässt,  den  Wortlaut  älterer 
Quellen  beibehalten,  aus  denen  er  zusammenstellte;  er  hat  sich, 
wie  es  scheint,  auch  da,  wo  er  umschmolz  oder  selbständig  ge- 
staltete, ihrem  Stile  conformirt.  Daher  im  Gegensatze  zu  v.  2 
bis  8  und  zu  v.  23 — 37  das  durchgehende  Du  in  der  Anrede;  die 
Ihr  sind  vereinzelt  und  kommen  ausser  in  v.  11  und  an  dessen 
unmittelbaren  Grenzen  bloss  in  v.  9  und  v.  19  vor,  mehr  als 
einmal  in  Collision  mit  dem  Contexte.  —  Drittens  v.  23 — 37. 
Anderweitige  religiöse  (v.  23 — 32)  und  moralische  (v.  33—37)  Ge- 
bote, eine  Art  Nachtrag  zu  den  beiden  vorhergehenden  Teilen,  mit 
einem  besonderen  Eingange.  Ihr  geht  durch.  Du  findet  sich  v.  27. 
29.  32,  in  drei  kurzen  Sätzen,  die  wahrscheinlich  bereits  geprägt 
vorlagen,  wie  der  Yergleich  von  v.  34  mit  v.  18  lehrt.  Der  Ver- 
427  fasser  bewegt  sich  hier  viel  freier  als  v.  9 — 22,  seine  Manier  tritt 
stark  hervor,  stärker  noch  als  v.  2 — 8.  Was  zunächst  v.  33 — 37 
betrifft,  so  liest  sich  dies  wie  ein  Stück  aus  dem  Deuteronomium, 
mit  einer  starken  Beimischung  von  Ezechiel;  das  merkwürdige 
nniL^'-O  V.  35  findet  sich  ausser  1.  Chron.  23,  29  nur  Ezech.  4,  11. 
16,  und  V.  36  stimmt  wörtlich  mit  Ezech.  45,  10.  In  v.  34  ist 
"]1CD  lS  PÜHNi  der  Form  nach  aus  v.  18  wiederholt,  jedoch  mit 
einer  interessanten  Erweiterung  des  Sinnes,  sofern  der  ältere  Spruch, 
dessen  originale  Form  der  Schriftsteller  v.  18  mitgeteilt  hat,  unter 
dem  Nächsten  den  Volksgenossen  versteht,  er  selbst  aber  den 
Fremden')  mit  einschliesst  und  das  Gebot  der  Liebe  auch  auf  diesen 
ausdehnt  (wie  24,  22).  Was  sodann  v.  23 — 32  anlangt,  so  scheint 
hier  ebenfalls  mit  wenigen  Ausnahmen  überall  freie  Composition 
des  Verfassers  vorzuliegen.  Das  Trauerverbot  v.  27.  28,  welches 
in  anderer  Form  im  Deuteronomium  vorliegt,  war  zur  Zeit  Jeremias 
(16,  6)  noch  nicht  wirksam;  die  Übertragung  des  Begriffs  der 
Vorhaut  auf  die  Bäume  ist  moderne  Abstraktion;  auf  die  v.  26.  30 

J)  „Das  fehlende  Verbot  des  Ehebruchs  ist  Kap,  18  und  20   zu   ausführ- 
lichen Gesetzen  gegen  die  Unzucht  erweitert."     Graf,  Geschichtl.  Bücher  p.  78. 
-)  Vgl.  über  die  Bedeutung  von  -]^  25,  35  und  dagegen  auch  25,  45.  47, 


Leviticus  17 — 26.  155 

wiederholten    Gebote    legt  Ezechiel    besonderes    Gewicht    und    bei 
letzterem  tritt  auch  ?]''t»in  für  r]t)X  auf,  wie  y.  25. 

Dass  Kap.  19  nicht  aus  Q  stammt,  bekundet  nicht  bloss  die 
Sprache  (Du,  Ihr),  sondern  auch  der  Inhalt  (u.  a.  das  starke  Her- 
vortreten des  Ackerbaues).  In  beider  Hinsicht  zeigt  sich  dagegen 
Verwandtschaft  mit  den  alten  Debarim  in  Exodus;  das  ist  der 
Grund,  Avarum  Knobel  die  Kapitel  Lev.  17 — 20  zu  JE  gewiesen  hat. 
Richtiger  wird  man  sagen,  dass  unser  Schriftsteller  —  unleugbar 
ein  Epigone  —  den  Dekalog  und  das  Bundesbuch  gekannt  und 
benutzt  hat,  aber  auf  einer  fortgeschrittenen  Stufe  steht,  die  mit 
der  cleuteronomischen  wesentlich  übereinkommt.  Vgl.  das  zu  v.  23 
bis  37  Bemerkte  und  weiter  zu  24,  15 — 23.  Auf  den  Redaktor 
des  Priester  codex  ist,  wie  gezeigt,  v.  21.  22  zurückzuführen, 
vielleicht  auch  die  Formulirung  der  Überschrift  in  v.  1.  2  a,  aber 
auf  keinen  Fall,  wie  Kayser  will  (das  vorexil.  Buch  p.  69),  v.  5 — 8. 

Lehrreich  für*  das  literarische  Verfaliren  des  Autors  von  Lev. 
17 — 26  ist  das  Verhältnis  des  20.  zum  18.  Kapitel.  Die  Hand, 
welche  20,  2.  3.  5  oder  20,  22  s.  geschrieben  hat,  ist  die  gleiche, 
welche  17,  3.  8.  10.  13  oder  18,  24ss.  geschrieben  hat,  d.  i.  die 
des  Gesamtverfassers.  Aber  ihrem  ursprünglichen  Kerne  nach  sind 
die  Gesetze  Kap.  18  und  Kap.  20  zwar  wol  aus  der  gleichen,  zum 
Teil  schon  formell  fixirten  (18,  21s.  =  20,  13ss.)  Tradition  ge-  -428 
schöpft,  unmöglich  aber  von  dem  selben  Originalverfasser  hinter 
einander  niedergeschrieben,  vielmehr  erst  von  der  Hand  eines 
Dritten  in  dieser  Weise  bearbeitet  und  zusammengestellt^).  Denn 
ursprünglich  sind  es  einander  ausschliessende  Parallelen,  nicht  aber 
zusammenschliessende  Hälften  eines  Ganzen.  Man  sagt  zwar, 
Kap.  18  enthalte  die  Verbote,  Kap.  20  die  Straf bestimmungen  — 
doch  damit  kann  höchstens  der  Compilator  vor  sich  selber  die  Zu- 
sammenstellung der  beiden  Aufsätze  gerechtfertigt  und  demgemäss 
V.  6  und  V.  27  (abgesehen  von  v.  2)  hinzugefügt  haben,  um  auch 
auf  Kap.  19  einige  Rücksicht  zu  nehmen.  Hingegen  füi-  die  eigent- 
liche Hauptmaterie  des  Kap.  20,  nämlich  für  v.  9 — 21,  lässt  sich 
nicht  auf  diese  Weise  neben  dem  18.  Kapitel  Raum  gewinnen.  Vgl. 
Graf  p.  76.  77,  ausserdem  ein  paar  auffallende  formelle  Differenzen 
in  der  Fassung  gleichartiger  Gebote  18,  17.  20,  14.  18,  19.  20,  18, 
und  besonders   das    durchgehende   Fehlen   der  Anrede  in  Kap.  20. 

^)  der  übrigens    seinen  Quellen    der  Zeit,    dem   Geiste    und    der  Sprache 
nach  sehr  nahe  stand. 


156  Die  Gesetzgebung. 

Eigene  Zutaten  des  Verfassers  der  Sammlung  sind  hier  wie 
sonst  namentlich  der  Schluss  v.  21 — 27  und  der  Anfang  v.  1 — 9. 
Der  letztere  indessen  ist  etwas  .  complicirterer  Natur.  Nämlich 
\.  4.  5  ist  eine  Glosse  zu  v.  2.  3  —  in  v.  2  wird  die  Tötung  des 
Verbrechers  dem  Volke  zur  Pflicht  gemacht,  in  v.  3  wird  sie  Gott 
A^orbehalten;  diese  Difterenz  Avird  nun  v.  4.  5  so  ausgeglichen, 
dass,  wenn  das  Volk  seine  Pflicht  nicht  tue,  dann  Gott  direkt 
einschreiten  werde.  Schwierig  ist  es  nun  aber  zu  sagen,  ob  der 
Widerspruch  von  v.  2  und  v.  3  ein  ernsthafter  ist,  oder  ob  der 
Autor  gar  kein  Gewicht  auf  die  Straf bestimmungen  legt  und  sorg- 
los auch  solche  mit  einander  verbindet,  die  sich  ausschli essen. 
Mir  scheint  eher  das  Letztere  der  Fall  zu  sein,  denn  auch  in 
dem  Hauptteil  v.  9 — 21  w^erden  unterschiedslos  göttliche  und 
menschliche  Strafen  angedroht,  freilich  nicht  für  das  selbe  Vergehen. 

Für-  das  Verhältnis  zu  JE  kommt  v.  24  VJ'^lI)  nbn  PÜl^)  in 
Betracht,  für  das  zum  Deuteronomium  20,  20,  wo  ebenso  wie  18, 
14  das  Levirat  verboten  wird,  füi*  das  zum  Priestercodex  20,  18, 
wo  der  Tod  auf  ein  Vergehen  gesetzt  wird,  welches  15,  24  mit 
einer  achttägigen  Unreinheit  gebüsst  wird.  Erwähnung  verdient  noch, 
429  dass  20,  15  auf  ein  Gesetz  über  reine  und  unreine  Tiere  zurück- 
gesehen wird,  welches  hier  vielleicht  einst  gestanden  hat,  aber  von 
dem  letzten  Redaktor   mit  Rücksicht  auf  Lev.    11    ausgelassen  ist. 

AVenn  es  für  Kap.  18 — 20  zugestanden  ist,  dass  sie  erst  nach- 
träglich in  den  Priestercodex  aufgenommen  sind,  ursprünglich  aber 
einer  selbständigen  Sammlung  angehörten,  so  bedarf  dies  für  Kap. 
21.  22  noch  weiteren  Beweises.  Es  ist  gewiss,  dass  diese  Gesetze 
durch  ihre  Materie  (Priester,  Opfer)  und  ihre  hierokratische  An- 
schauung (hervorragende  Stellung  des  heiligen  Klerus,  Holier- 
priester,  das  Heiligtum  als  Mittelpunkt  der  Theokratie)  mit  dem 
Priestercodex  nahe  verwandt  sind.  Ebenso  durch  ihre  Sprache, 
soweit  sie  mit  dem  Kultus  und  dessen  Kunstausdrücken  zusammen- 
hängt. Viel  weiter  reicht  aber  die  Verwandtschaft  auf  dem  letzteren 
Gebiete  nicht.  So  lautet  z.  B.  21,  8:  du  sollst  den  Priester  heilig 
halten,  denn  das  Brod  deines  Gottes  bringt  er  dar,  heilig  sei  er 
dir,  denn  ich  bin  heilig.  Wo  findet  es  sich  in  Q,  dass  über  die 
Priester  in  dritter  Person  gehandelt  wird  in  einem  Gesetze,  das  sie 


1)  Mit  gleichem  Rechte  wie  diese  Worte   darf  man   auch   19,  15  oder  24, 
17 — 21  streichen.     Gegen  Nöldeke, 


Leviticus  17—26.  157 

selber  betrifft?')  dass  dagegen  das  Volk  angeredet  wii'd  und  zwar 
in  2.  Sing.?  wo  ist  dort  schlechtweg  von  dem  Priester  die  Rede, 
wenn  damit  nicht  ein  einzelner,  sondern  der  ganze  Stand  gemeint 
wird?  Phrasen  ferner  wie  21,  6.  11.  15.  23.  22,  9.  15.  16.  31— 33 
führen  so  entschieden  auf  den  Verfasser  von  Lev.  17  ss.  und  von 
Q  ab,  dass  man  sich  wundern  muss,  wie  man  sie  für  irrelevant 
hat  halten  können.  Auch  in  Einzelheiten  unterscheidet  sich  der 
Ausdi'uck  von  Q.  Dahin  gehört  cnbx  Urh  21,  6.  8.  17.  21.  22. 
22,  25,  eine  höchst  charakteristische  Bezeichnung  der  Opfer,  die 
bisher  nii'gends  vorgekommen  ist  und  auch  später  nur  Num.  28,  2 
sich  findet.  Ferner  die  schwankende  Benennung  der  Priester,  die 
bald  Brüder,  bald  Same,  bald  Söhne  Aharons^)  heissen:  in  Q  sind 
diese  Verhältnisse  völlig  fest  und  starr  ebenso  wie  der  ihnen  ent- 
sprechende Sprachgebrauch.  Endlich  das  constante  Fehlen  des 
1V^,D  'pnx,  auch  an  Stellen,  wo  dasselbe  in  Q  unvermeidlich  ge- 
wesen wäre  —  statt  dessen  heisst  es,  wie  in  Kap.  19  und  20, 
immer  ^L'npnn,  nach  einer  unbestimmteren  und  laxeren  Vorstellung  430 
des  mosaischen  Instituts.  Man  sieht,  die  äusseren  Unterschiede 
fühi-en  schliesslich  auf  innere  zurück;  die  Dinge  sind  hier  noch 
nicht  soweit  und  so  fest  entwickelt  wie  in  Q.  Das  zeigt  sich  noch 
deutlicher  in  Fokendem. 

Wenn  jemand  eine  heilige  Abgabe  unrechtmässiger  Weise  ver- 
zehrt hat,  heisst  es  22,  15,  so  soll  er  zur  Strafe  sie  erstatten  und 
ein  Fünfteil  dazu  legen.  Im  Priestercodex  wird  ausserdem  noch 
ein  Schuldopfer  gefordert  Lev.  5,  15.  16:  davon  ist  hier  keine 
Rede^).  Auch  22,  17  ss.  wird  auf  Sund-  und  Schuldopfer  gar  keine 
Rücksicht  genommen:  dies  hätte  aber  notwendiger  Weise  geschehen 
müssen,  wenn  sie  von  solcher  Wichtigkeit  und  Ausdehnung  gewesen 
wären  wie  im  Priestercodex.  Vgl.  zu  19,  21  s.  Vielleicht  darf 
man  hinzufügen,  dass  der  Unterschied  von  hochheiligen  und  heiligen 
Abgaben  hier  höchstens  erst  im  Werden  ist.  Nach  dem  Priester- 
codex überlässt  Gott  die  ihm  zur  Verfügung  stehenden  Opfer  und 


^)  Vgl.  die  Discrepanz  zwischen  der  im  Stil  von  Q  gehaltenen  Überschrift 
V.  1  zu  dem  Anfang  des   eigentlichen  Gesetzes  TiDJ?^  NCtO""  X7  t^'5i> 

^)  So  jedoch  nur  in  den  Überschriften,  deren  Originalität  öfters  zu 
Zweifeln  Anlass  giebt.  Die  Anrede  passt  nicht  nur  nicht  21,  1,  sondern  auch 
nicht  V.  17.  Nach  v.  21  scheint  "ly^lO  corrigirt  aus  l^Hi^  V)]^-»  eben  um 
der  Anrede  der  Überschrift  zu  genügen. 

3)  Lev.  27,  13.  15.  19  u.  s.  w.  sind  natürlich  ungleichartige  Fälle. 


158  Die  Gesetzgebung. 

Gaben,  wenn  er  sie  nicht  allein  geniesst,  entweder  vollständig  oder 
teilweise  dem  Priester;  im  ersteren  Falle  heissen  sie  Qodascliim, 
-  von  denen  nichts  auf  den  Altar  gelangt,  im  letzteren  Qodsche  Qoda- 
schim,  von  denen  etwas  auf  den  Altar  gelangt,  der  Rest  aber  (li^xn  ]D 
Num.  18,  9)  dem  Priester  zufällt.  Zu  den  Qodaschim  gehören 
Erstgeburten,  Erstlinge,  Zehnten  u.  s.  w.,  zu  den  Qodsche  Qodaschim 
Schaubrode,  Mincha,  namentlich  aber  die  Schuld-  und  Sündopfer. 
Die  Brand-  und  Dankopfer  fallen  überhaupt  nicht  unter  diese  Be- 
trachtuno'sweise ,  weil  sie  teils  vollständig^  verbrannt  und  also 
menschlichem  Genüsse  überhaupt  entzogen  werden,  teils  im  Besitz 
des  Darbringers  verbleiben;  abgesehen  von  gewissen  Stücken,  die 
vom  Dankopferfleisch  abgegeben  werden  und  vollständig  dem  Priester 
zufallen,  also  Qodaschim  sind.  Praktisch  ist  der  Unterschied  inso- 
fern, als  die  hochheiligen  Gefälle  nur  von  den  Männern  aus  Aharons 
Geschlecht  und  zwar  bei  dem  Altare,  die  heiligen  dagegen  von 
männlichen  und  weiblichen  Angehörigen  an  jedem  reinen  Orte  ver- 
zehrt werden  durften;  levitische  Reinheit  der  Geniessenden  wird 
beidemal  gefordert.  Yergl eicht  man  hiermit  die  Bestimmungen 
unseres  Kapitels,  so  ist  dort  von  den  Qodaschim  und  ihrem  Genuss 
ausführlich  die  Rede  22,  1 — 16;  derselbe  steht  allen  reinen  zum 
Hause  des  Priesters  gehörigen  Personen  zu,  auch  den  Sklaven,  die 
im  Priestercodex  nicht  mit  einbegriffen  werden.  Aber  zwischen 
Qodascliim  und  Qodsche  Qodaschim  wird,  praktisch  wenigstens, 
431  nicht  unterscliieden.  Selbst  wenn  man  das  Lechem  Elohim  21, 
16 — 24  mit  Qodsche  Qodaschim  gleichsetzt,  so  gewinnt  man  da- 
durch nichts;  denn  21,  16 — 24  wird  vom  Darbringen  des  Lechem 
Elohim  gehandelt,  hingegen  22,  1 — 16  vom  Essen  der  Qodaschim 
—  der  Gegensatz  findet  also  nicht  statt  zwischen  Lechem  Elohim 
(z=  Qodsche  Qodaschim)  und  Qodaschim,  sondern  zwischen  Dar- 
bringen an  Gott  und  Essen  der  Priester;  und  aus  der  für  sich 
betrachteten  Darstellung  kann  man  nur  den  Eindruck  gewinnen, 
dass  im  Ganzen  und  Grossen  der  selbe  Gegenstand  Lechem 
Elohim  heisst,  sofern  er  auf  Gottes  Altar  und  Tisch  kommt,  und 
Qodaschim,  sofern  er  Eigentum  des  Priesters  wird.  Übrigens 'würde 
auch  die  Bezeichnung  Lechem  Elohim  auf  die  Qodsche  Qodaschim 
möglichst  schlecht  passen.  Denn  die  letzteren  bestelm  vorzugs- 
weise in  den  Schuld-  und  Sündopfern,  von  diesen  aber  geniesst 
Gott  nie  das  eigentlich  Essbare,  es  sind  keine  Essopfer.  Dagegen 
fallen  Brand-    und  Dankopfer  nach  22,  25  unter  den  Begriff  des 


Leviticus  17—26.  159 

Lechem  Eloliim:  diese  sind  hinwiederum  nicht  Qodsche  Qodaschim. 
Mit  andern  Worten  finden  die  ausgebihleten  Begriffe  des  Priester- 
codex  in  Lev.  21.  22  noch  keine  Anwendung.  Wenn  21,  22  das 
„Brod  Gottes"  sowol  Hochheiliges  als  Heiliges  umfasst,  so  ist  das 
materiell  gewissermassen  richtig,  aber  formell  ist  dieser  Unterschied 
dem  originalen  Verfasser  imbewusst  und  die  l:)etreffenden  Worte, 
die  indessen  meine  Beweisführung  nicht  stören,  sind  nachgetragen. 
Also  verhalten  sich  diese  beiden  Ivapitel  zum  Priestercodex 
wie  eine  Vorstufe.  Ilii'e  Zugehörigkeit  zu  Kap.  iTss.  folgt  aus 
dem  Sprachgebrauch,  teilweise  auch  aus  den  Ideen,  z.  B.  der  pro- 
noncirten  Hervorhebung  der  Heiligkeit  des  Tempels.  Der  A^erfasser 
hat  auch  hier  vielleicht  manchmal  älteres  Material  benutzt;  so  heben 
sich  z.  B.-  die  Verse  21,  5.  6  durch  die  pluralische  Konstruction 
ziemlich  schroff  von  v.  2 — 4  und  von   7.  8  ab ').     Deutlich  ist  in 

22,  27 — 29  die  Beziehung  auf  die  Gesetzgebung  von  JE,  die  hier 
modificirt  wird.     Vgl.  v.  27   mit  Exod.  22,  29,  V.   28  mit  Exod. 

23,  19  und  v.  29  mit  Exod.  23,  18;  denn  die  Thoda  ist  allem 
Anschein  nach  die  Hagiga  und  füi*  die  gewöhnlichen  Dankopfer  gilt 
die  Bestimmung  19,  6. 

In  Kap.  23  trägt  allerdings  die  grössere  Hälfte  der  Verord- 
nungen den  reinen  Charakter  der  grossen  priesterlichen  Gesetz- 
gebung an  sich,  aber  die  andere  Hälfte  weicht  davon  ab.  Was  23, 
9 — 22  betrifft,  so  lässt  sich  die  besondere  Überschrift,  die  aller- 
dings zunächst  deshalb  auffällt,  weil  ja  hier  auch  noch  von  Ostern  432 
gehandelt  wii'd,  damit  rechtfertigen,  dass  die  Darbringung  der  Ger- 
stengabe als  ein  Voractus  zu  Pfingsten  aufgefasst  und  darum  von 
dem  IMazzoth- Paschafeste  getrennt  wird.  Aber  mit  Recht  stösst 
sich  George^)  an  dem  mi^'n  r\T\DD  in  v.  11.  Wie  lässt  sich 
das  mit  dem  Vorhergehenden  in  Verbindung  bringen?  was  ist  mit 
dem  Sabbath  gemeint?  Hitzig  behauptet,  das  Pascha  v.  5  sei  der 
14.  Msan,  der  immer  auf  den  Sabbath  gefallen  sei,  da  das  Kirchen- 
jahr stets  mit  dem  Sonntag  begonnen  habe.  Allerdings  wird  der 
Terminus  PD-l^Tl  Hino  Jos.  5,  11  aufgefasst  als  ric)5n"D,  aber  nicht 
deshalb,  weil  das  Pascha  stets  auf  den  Sonnabend  traf.  Denn 
wäre  dies  der  Fall,  so  müsste  notwendig  der  14.  Nisau,  als  Sabbath, 
ein   voller  Feiertag    sein;    aber  das  Pascha   beschränkt   sich,    wie 


^)  In  V.  7  muss  offenbar  der  Singnilar  HD''  gelesen  werden. 
-)  Die  älteren  jüdischen  Feste  (Berlin  1835)  p.  122  ss. 


160  I^ie  Gesetzgebimg. 

ausdrückli eil  hervorgehoben  wml,  auf  den  Abend  des  14.,  und  der 
erste  Feiertag  ist  der  15.,  der  auf  Pascha  folgende  Tag').  Viel- 
mehr ist  in  Jos.  5  der  Sabbath  A^on  Lev.  23,11  einfach  uneigent- 
lich genommen  und  auf  Pascha  gedeutet.  Analog  deutete  ihn 
die  sehr  alte  Tradition  der  Juden  auf  den  ersten  Festtag,  mit  dem 
selben  Rechte.  Denn  willkürlich  sind  beide  Erklärungen,  schon 
ihi*e  gleiche  Möglichkeit  macht  sie  unmöglich.  Es  sind  ja  in  v.  5 
bis  8  drei  heilige  Termine  in  der  Osterwoche  hervorgehoben,  der 
14. ,  15.  und  22.  des  ersten  Monats  —  welcher  soll  nun  mit  Hül^'n 
V.  11  gemeint  sein?  Das  hätte  doch  gesagt  werden  müssen!  Ferner 
wird  PD-t^  sonst  nirgends  allgemein  für  Festtag  gebraucht,  und 
für  unsere  Stelle  speziell  wird  diese  Bedeutung  durch  v.  16  un- 
möglich gemacht.  Dort  nämlich  kann  PÜl^'n  nincc,  weil  gar  kein 
Festtag  in  der  Nähe  ist,  auf  keine  Weise  anders  verstanden  werden 
als  von  dem  auf  den  eigentlichen  Sabbath  folgenden  Tage; 
dazu  zwingt  auch  v.  15,  mag  man  nun  die  niHÜli^'  V^.^'  als  Wochen 
oder  Salibathe  verstehn.  Natürlich  aber  kann  man  den  identischen 
Ausdrücken  v.  11  und  16  nicht  verschiedenen  Sinn  unterlegen. 
Durch  die  Beibehaltung  der  wirklichen  Bedeutung  des  Sabbaths 
V.  16  gewinnt  man  endlich  noch  den  Vorteil,  dass  man  nun  nicht 
die  PiDD-t^'  V.  15  im  Sinne  von  ni^nt^  zu  nehmen  braucht,  und 
dass  der  Parallelismus  des  Jobeljahrs  zur  Pentekoste  klar  hervor- 
tritt, vgl.  zu  25,  8  SS. 
433  Wenn  dem  so  ist,  so   existirt  keine  rücksichtnehmende  Ver- 

bindung von  V.  9  ss.  mit  dem  Vorhergehenden,  und  dann  ist  der 
Sabbath  v.  11  rein  nach  den  Voraussetzungen  von  v.  10  zu  ver- 
stehn, nämlich  als  der  nächste  Sabbath  nach  dem  Beginn  des 
Gerstenschnittes.  Ostern  fällt  auf  den  Anfang  der  Ernte,  nicht  auf 
einen  fixen  Termin.  Genau  so  verhält  sich  die  Sache  —  bei  allen 
Festen  —  in  der  Gesetzgebung  von  JE  und  im  Deuteronomium. 
Insbesondere  wird  Deut.  16,  9  Pfingsten  angesetzt  „sieben  Wochen 
nach  dem  Anhieb  der  Sichel  in  das  Kornfeld" ,  grade  wie  in  un- 
serem Gesetze  (und  mit  der  selben  Formel  "|b  P5:t)n);  nur  ist  in 
diesem  der  Wochentag  des  Oster-  und  Pfingstfestes  fixirt  (=  Sonn- 
tag).    Aber  dies  ist   eine  unbedeutende  Differenz  dem  gegenüber, 

1)  Die  s.  g.  heilige  Tagesreclmung  ist  hier  nicht  befolgt,  der  Abend  ge- 
hört zum  vorhergehenden  und  nicht  zum  folgenden  Morgen.  Meine  Darstellung 
in  Pharis.  u.  Sadd.  p.  59  s.  ist  confus  und  falsch.  Vgl.  Berach.  8b  (oben) 
zu  Lev.  23,  32. 


LeviticiLS  17—26.  161 

dass  der  Monatstag  nicht  fixirt  ist.  Durch  diesen  letzteren  Punkt 
scheidet  sich  das  Gesetz  Lev.  23,  9 — 22  von  der  Gesetzgebung 
des  Priestercodex,  wo  die  Feste  sämtlich  auf  ein  bestimmtes  un- 
wandelbares Datum  fallen;  und  dieser  Unterschied  ist  kein  neben- 
sächlicher, sondern  ein  principieller  und  hängt  mit  einer  Verände- 
rung des  Wesens  der  Feste  zusammen.  Denn  dadurch,  dass  sie 
in  ihren  Terminen  sich  richten  nach  dem  Stande  der  Ernte,  charak- 
terisiren  sie  sich  eben  als  Erntefeste,  wälu'end  dieser  Charakter  da- 
durch verwischt  wird,  dass  sie  von  dem  Wechsel  der  Erntezeit 
unabhängig  und  vom  Monde  abhängig  gemacht  w^ erden.  Gen.  1,  14. 
Man  entdeckt  in  der  Tat,  dass  in  Lev.  23,  1 — 8  und  v.  22 — 38 
die  Feste  ihre  Ratio  nur  in  dem  unmotivirten  Willen  Gottes  haben 
und  in  gar  keiner  Beziehung  zum  natüidichen  Leben  stehn,  dass 
hingegen  v.  9 — 22  der  Landbau  als  Basis  derselben  deutlich  her- 
vortritt. 

Noch  weitere  Gründe  macht  George  geltend  p.  127,  um  die 
Sonderstellung  von  Lev.  23,  9 — 22  zu  erweisen.  „Alle  anderen 
Stücke  unsers  Kapitels  zeigen  eine  gewisse  Conformität  in  den 
Ausdrücken  und  Redensarten,  die  immer  wiederkehren,  und  ebenso 
auch  in  der  Anordnung  der  einzelnen  Elemente  der  Festfeier  — 
dies  zeigt  sich  hier  weit  weniger.  Während  es  sonst  nur  auf  die 
Bestimmung  der  Feste,  der  Feiertage,  und  ilu'er  allgemeinen  Be- 
deutung ankommt,  aber  nichts  von  bestimmten  Opfern  erwähnt 
wird,  die  an  ihnen  gesetzlich  w^aren,  werden  dieselben  hier  aus- 
einandergesetzt und  erscheinen  fast  als  die  Hauptsache."  Wie  richtig 
und  wie  wichtig  in  der  Tat  diese  letztere  Beobachtung  ist,  leln."t  der 
Yergleich  von  Num.  28  s.  Denn  dies  Gesetz,  welches  im  übrigen 
Lev.  23  offenbar  voraussetzt  und  ergänzt,  nimmt  sonderbarerweise 
gerade  auf  v.  9 — 22  gar  keine  Rücksicht  und  collidirt  damit.  Ygl. 
George  p.  147,  und  Hupfeld,  de  primitiva  et  vera  festorum  apud  434 
Hebraeos  ratione  II  3  ss. 

Auf  gleicher  Linie  mit  23,  9 — 22  steht  nun  aber  auch  die 
Verordnung  über  das  Herbstfest  v.  39 — 44.  Auch  dies  Stück  hat 
zuerst  George  abgeschieden  p.  142  ss. ,  aber  Hupfeld  gebührt  das 
Verdienst,  den  Zusammenhang  mit  v.  9 — 22  erkannt  zu  haben. 
„V.  37  s.  ist  ganz  deutlich  eine  Schlussformel,  die  notwendig  am 
Ende  dieser  ganzen  Zusammenstellung  gestanden  haben  muss."  Was 
folgt,  V.  39 — 44,  stammt  anderswoher.  Es  ist  aber  nicht  einfach 
eine  ergänzende  Glosse,   denn  „es  würde  selbst  hinreichen  für  die 

Wellhausen,    Comp.   d.   Hexateuclis.    3.    Aufl.  H 


162  T)ie  Gesetzgebung. 

Darstellung  unseres  Festes,  indem  es  das  A^orlier  Gesagte  völlig 
wiederholt  und  noch  wichtige  Einzelheiten  über  die  Bedeutung  und 
den  besonderen  Ritus  des  Festes  hinzufügt."  Es  finden  sich  auch 
kleine  Differenzen  gegen  A^  33 — 38.  In  v.  40.  41  wird  zweimal 
die  Festdauer  auf  sieben  Tage  angegeben  wie  Deut.  16,  13.  Das 
steht  nicht  im  Einklang  mit  v.  36,  wonach  noch  der  achte  Tag 
gefeiert  wird  und  zwar  ebenso  sehr  wie  der  erste.  Allerdings 
währt  nun  v.  34  das  Sukkothfest  ebenfalls  sieben  Tage,  und  an- 
dererseits werden  v.  39  der  erste  und  achte  Tag  als  Hauptfest- 
tage zusammengestellt.  Aber  während  es  nicht  auffällt,  dass  in 
V.  34  zunächst  die  Dauer  des  eigentlichen  Laubhüttenfestes  auf 
sieben  Tage  angegeben  und  dann  zum  Schluss  in  einem  expressen 
Zusätze  ein  mehi'  selbständiges  Nachfest,  eine  eintägige  Azereth^), 
angehängt  wird,  so  befremdet  es  dagegen,  dass  in  v.  39  gleich  an 
der  Spitze,  jedoch  ziemlich  nebenbei,  von  einem  ersten  und  achten 
Tage  des  siebentägigen  Festes  die  Rede  ist,  hinterher  aber  der 
achte  Tag  völlig  ignorirt  wIitI.  Und  da  wir  nun  aus  dem  Ver- 
gleich von  1  Reg.  8,  66  mit  2  Chron.  7,  9  wissen,  dass  die  Laub- 
hütten zunächst  in  der  Tat  nur  eine  Woche  hindurch  begangen 
wurden  und  dass  später  ein  achter  Feiertag  hinzukam  (Neh.  8,  18), 
so  werden  wir  um  so  geneigter  sein,  diese  Differenz  auch  zwischen 
Lev.  23,  39—44  (Num.  29,  35)  und  v.  34—38  anzuerkennen. 
Man  wird  dann  den  letzten  Satz  v.  39  (liinter  dem  Athnach)  als 
Interpolation  des  Redaktors  des  Priestercodex  anzusehen  haben. 
Derselbe  hat  wol  auch  das  fixe  Datum  in  v.  39  hinzugefügt,  denn 
das  passt  nicht  zu  der  folgenden  Bestimmung  „wenn  ihr  den  Er- 
trag des  Feldes  eingebracht  habt"  und  auch  nicht  zu  der  allge- 
435  meinen  Angabe  v.  41  „im  siebenten  Monate".  Das  Fest  v.  39 ss. 
steht  deutlich  in  Verbindung . mit  der  Lese,  wie  in  JE  und  im 
Deuteronomium.  Es  wird  noch  nicht,  wie  v.  34  P.Otjn  ;in5  sondern 
einfach  mn'>  :in  genannt,  wie  im  Buch  der  Könige.  Nur  der  Ritus 
der  Laubhütten,  der  v.  34  ss.  durch  den  Namen  —  bei  dem  vielleicht 
auch  der  Gedanke  an  die  PIDIlt^mit  einspielte  Jud.  9,  48  s.  —  vor- 
ausgesetzt wird,  wii'd  v.  42 — 44  behandelt;  in  einem  Nachtrage,  in 
welchem  zu  der  natürlichen  Seite  des  Festes  eine  historische  hin- 
zutritt. 


^)  So  ist  Pfingsten  die  Azereth  zu  Ostern,  das  Sclilussfest  des  sieben- 
wöchentlichen tempus  clausum,  das  zwischen  Anfang  und  Ende  der  Kornernte 
liesft. 


Leviticiis  17—26.  163 

Füi-  die  Yerbinclung  von  v.  39 — 44  (oder  wenigstens  v.  39 — 41) 
mit  V.  9 — 22  spricht  der  gleiche  Griindcharakter  der  Feste  als  Ernte- 
feste; die  dem  entsprechende  Bedeutsamkeit  der  Riten,  die  deutliche 
Correlation  von  Schnitt  und  Lese  am  Anfang  und  am  Ende  der 
beiden  Hauptjalu'eszeiten.  Gemeindeopfer  werden  allerdings  füi-  das 
Lesefest  in  v.  39  ss  nicht  gefordert,  sondern  nur  private  Opfermahl- 
zeiten, '•'•  ^^^^  cnriD^i^l.  wie  im  Deuteronomium.  Für  die  Zuge- 
hörigkeit beider  Stücke  zu  dem  Corpus  Lev.  17  ss.  lässt  sich  geltend 
machen  vor  allem  das  Verhältnis  zu  JE,  zum  Deuteronomium  und 
zum  Priestercodex,  sodann  der  Acker-  und  Obstbau  als  Basis  des 
Lebens  und  des  Gottesdienstes  (vgl.  19,  9.  10.  19.  23  und  die  hervor- 
tretende religiöse  Bedeutung  des  Landes  in  den  Drohungen  von 
Kap.  18.  20),  endlich  die  formelle  Ähnlichkeit  zwischen  23,  10 
und  19,  23  (^"INrrbN  1is*D.n  ^D,  häufig  im  Deuteronomium), 
zwischen  23,  22  und  19,  9.  10,  zwischen  23,  39  und  19,  9 
(DD*ll4pD.5  DDDbNÜ).  Übrigens  lassen  sich  in  Kap.  23  die  Stücke 
V.  1 — 8.  23 — 38  natürlich  nicht  als  Ergänzungen  betrachten,  sondern 
sie  bilden  ein  eben  so  vollständiges  und  auf  sich  beruhendes  Ganze 
wie  V.  9 — 22.  39 — 44.  Es  sind  also  zwei  Festgesetze  hier  zu- 
sammengestellt und  zwar  von  einem  Redaktor,  der  seinerseits  von 
den  Voraussetzungen  des  Priestercodex  ausgeht,  wie  die  Interpo- 
lationen in  V.  39  beweisen,  welche  mit  denen  in  21,  22.  19,  21. 
22  sich  vergleichen  lassen. 

In  Kap.  24  ist  v.  1 — 9  zweifelsohne  eine  Novelle  zu  Q,  welche 
in  dieser  Schrift  selber  ilii'en  Platz  bei  der  Beschreibung  der  Stifts- 
hütte hätte  haben  müssen.  Ihre  jetzige  Stellung  ist  mir  nur  dann 
begreiflich,  wenn  hier  ursprünglich  eine  der  Sammlung  Lev.  17ss. 
entsprechende  Verordnung  gleichen  Inhalts  (=  der  Thamid-Gottes- 
dienst  im  Gegensatz  zum  extraordinären  Kap.  23)  stand,  die  durch 
den  letzten  Bearbeiter  durch  eine  neue  dem  Priestercodex  völlig 
conforme  ersetzt  wurde.  Auch  die  Historie  v.  10 — 14.  23  ist  ganz 
unverkennbar  im  Stil  von  Q  gehalten,  sie  ist  aber  erst  aus  dem 
Gesetze  v.  15 — 22,  welches  sie  in  einen  geschichtlichen  Rahmen  436 
fasst,  entnommen,  genau  in  der  Weise,  wie  Lukas  es  mit  den  evan- 
gelischen Reden  zu  machen  pflegt.  Das  Gesetz  seinerseits  (v.  15 — 22) 
hat  weder  mit  der  vorausgehenden  Geschichte,  noch  mit  dem 
Priestercodex  überhaupt  etwas  zu  tun.  Es  kann  von  keinem  anderen 
Verfasser  stammen  als  von  dem,  welchem  wir  die  Sammlung  Lev. 
17  SS.  verdanken.     Noch  klarer  als  sonst  liegt  hier  die  Bezugnahme 

11* 


Iß4  I^iö  Gesetzgebimg. 

auf  das  jehovistisclie  Bunclesbuch  zu  Tage,  dessen  Verordnungen 
zum  Teil  wiederum  einen  anderen  Sinn  bekommen,  wie  z.  B.  die 
dort  sehr  beschränkt  geltende  Talio  in  v.  20  zu  einem  ganz  allge- 
meinen Strafgrundsatz  erhoben  wird.  Vergleiche  ferner  "»D  t^''N  ^''^^ 
V.  15,  r\'>üV  V.  19,  namentlich  aber  v.  22  mit  19,  34s.  Dass  der 
priesterliche  Bearbeiter  aus  den  mannigfachen  Geboten  von  v. 
15 — 22  nur  das  eine,  welches  auf  Kultus  und  Religion  sich  bezieht, 
herausgegriffen  und  dazu  eine  Geschichte  gemacht  hat,  ist  nicht 
bloss  für  ihn  bezeichnend,  sondern  auch  für  die  Grundlage,  von 
der  er   ausging. 

Gleicher  Art  wie  die  bisherigen  Kapitel  ist  im  Ganzen  und 
Grossen  auch  Kap.  25').  Was  zunächst  v.  1 — 7  betrifft,  so  ist 
dies  Stück  mit  23 ,  9 — 22  nächstverwandt ,  sowol  nach  der  Form 
(25,  1  :  8=  23,  9s.  :  15)  als  nach  dem  Inhalt  (Religion  des  Land- 
baues). In  beider  Hinsicht  scheidet  es  sich  hingegen  vom  Priester- 
codex. Während  dieser  bis  zuletzt  (Arboth  Moab)  die  Form  der 
Wüstengesetzgebung  einhält,  setzt  unsere  Verordnung  über  das 
Sabbathjahr  offen  den  Ackerbau  voraus.  Ihre  Sprache  ist  originell, 
kaum  ein  Wort  kommt  vor,  welches  an  Q  erinnert^),  HDN  heisst 
es  V.  6  und  nicht  nnsi^>  das  Volk  wird  im  Singular  angeredet. 
Noch  ein  Grund  gegen  die  Herleitung  aus  Q  ist,  dass  sich  25,  1 — 7 
sichtlich  gründet  auf  das  jehovistische  Gebot  Exod.  23,  10.  11, 
welches  hier  ebenso  wie  in  den  ähnlichen  früher  von  uns  beobach- 
teten Fällen  eine  andere  Wendung  bekommt  und  zwar  dadurch, 
dass  zum  Object  des  Liegenlassens  nicht  wie  Exod.  23,  11  die 
Ernte,  sondern  der  Boden  selbst  gemacht  wii'd. 

Zweifelhafter  ist  die  Entscheidung  über  v.  8 — 18  (Jobeljahr) 
oder  besser  über  v.  8—13.  Denn  in  v.  14 — 18  drängt  sich  die 
Manier  der  vorhergehenden  Kapitel  so  stark  wie  irgendwo  auf,  jedes 
einzelne  Wort  von  v.  17.  18  ist  ein  Beweis  für  den  A^erfasser  von 
437  Kap.  17  SS.  Dahingegen  stehn  die  Verse  8 — 13  dem  Priester  codex 
nahe,  nicht  bloss  durch  Einzelheiten  ("im?-  Exod.  30,  23),  sondern 
auch  durch  den  weitläufigen  Stil,  der  sich  überall  breit  macht. 
Freilich  fussen  sie  andererseits  ganz  auf  v.  1 — 7,  scheinen  im  Folgen- 
den vorausgesetzt  zu  werden,  und  sind  —  was  das  wichtigste 
ist  —  der    nicht    dem  Priestercodex    entstammenden    Verordnung 


^)  Vgl.  Hupfeld,  de  primitiva  etc.  part.  III. 

^)  pnüU'  nUl^  collidirt  v.  4  mit  ii^  HÜli^  und  ist  wol  eingearbeitet. 


Leviticus  17— 2ß.  165 

Über  die  Pentekoste  23, 15  ss.  nacligebüdet.  Darauf  führt  nämlich 
sowol  der  gleiche  Eingang  25,  8.  23,  15,  als  auch  der  Parallelis- 
mus der  Sache.  Wie  der  50.  Tag  nach  den  7  einfachen  Sabbathen 
als  Schlussfest  der  49  Tage  gefeiert  wird,  so  das  50.  Jahr  nach 
den  7  Jahrsabbathen  ^)  als  Schlussfest  (gleichsam  Azereth)  der 
49  Jahre.  Sonach  wird  man  gedrängt,  für  v.  8 — 14  eine  ältere 
Grundlage  anzunehmen,  welche  überarbeitet  ist  von  dem  Eedaktor, 
der  die  Sammlung  Lev.  17  ss.  in  den  Priestercodex  aufgenommen 
hat.  Dies  Sachverhältnis  lässt  sich  namentlich  an  v.  9  aufzeigen, 
indem  hier  der  hinter  dem  Athnach  folgende  Satz  deutlich  Inter- 
polation ist.  Ist  es  "etwa  glaublich,  dass  das  Ausposaunen,  des 
Jobeljalu'es  deshalb  am  10.  des  7.  Monats  stattfand,  weil  auf  diesen 
Tag  das  Kippur  fiel?  Es  scheint  im  Gegenteil  dieser  Lärm  mit 
der  Idee  des  Sühnfestes  gar  nicht  recht  zu  stimmen  und  eher  an- 
zudeuten, dass  der  10.  Thisri  nach  der  Voraussetzung  der  originalen 
Gestalt  von  v.  9  noch  nicht  mit  einer  so  ganz  andersartigen  Feier 
besetzt  war.  Er  kann  hier  nur  als  Neujahr  gelten  (vgl.  Lev.  23, 
24  die  Bedeutung  des  Anblasens),  wie  Ezech.  40,  1:  zu  Neujahr, 
am  10.  des  Monats,  t^nter  den  vier  Jahresanfängen,  welche  m.  Rosch 
hassch.  1,  1  aufgefühi't  werden,  fällt  der  vierte  nach  Hillel  und 
Schammai  auf  den  15.  Schebat;  es  gilt  also  nicht  für  notwendig, 
dass  der  Beginn  des  Jahres  mit  dem  des  Monats  zusammenfällt. 

Die  nächstfolgenden  Verse  19 — 22  greifen  in  einer  auffallenden 
Weise  zurück,  sie  handeln  nicht,  wie  man  erwartet,  vom  Jobeljahr, 
sondern  stelin  —  stillschweigend  —  noch  beim  Sabbathjahr.  Von 
einigen  Kritikern  werden  sie  für  einen  Nachtrag  gehalten,  aber 
daraus  erklärt  sich  ihre  Stellung  nicht.  I^nd  das  ist  das  einzige 
an  ihnen,  was  einer  Erklärung  bedarf.  Denn  übrigens  sind  sie  voll- 
kommen in  der  deuteronomistischen  Art  der  Kapitel  17  ss.  gehalten  433 
und  bereits  von  dem  Verfasser  des  Kap.  26  vorgefunden,  vgl.  26,  10 
mit  25,  22.  Es  ist  also  wol  besser  anzunehmen,  dass  diese  Verse 
zufällig  an  einen  falschen  Ort  geraten  sind  und  eigentlich  hinter 
V.  7  gehören, 

Nach  Ausscheidung  von  v.  19 — 22  hat  man  v.  23  als  Schluss 
von  V.  9 — 18  anzusehen  und  den  neuen  Absatz,  der  bis  v.  28  geht. 


^)  Die  7  Wochensabbathe  (Luc.  6, 1)  hatten  ebendadiirch,  dass  sie  die  Ernte 
unterbrachen,  eine  besondere  Ähnlichkeit  mit  den  Jahrsabbathen,  die  den 
Ackerbau  überhaupt  unterbrachen.  Vgl.  Exod.  34,  21.  Überall  ausserhalb  des 
Priestereodex  hat  der  Sabbath  eine  nahe  Beziehung  zum  Ackerbau. 


166  Die  Gesetzgebung. 

mit  V.  24  zu  beginnen.  Im  50.  Jahre  fällt  ohne  weiteres  aller 
verpfändete  Grundbesitz  an  den  Eigentümer  zurück  v.  9 — 18.  23, 
aber  auch  vorher  ist  jederzeit  die  Einlösung  gestattet  und  geboten 
V.  24 — 28.  Vgl.  das  ähnliche  Verhältnis  von  v.  47  ss.  zu  v.  39  ss. 
Die  Ausdrücke  und  Wendungen  sind  hier  im  ganzen  die  des  Priester- 
codex, doch  kommt  die  Wurzel  TjO  in  demselben  nicht  vor  (abge- 
sehen von  Kap.  27,  dessen  Sprache  von  den  vorhergehenden  Stücken 
beherrscht  wird),  und  auf  diejenigen  Berülu'ungen  ist  kein  Gewicht 
zu  legen,  die  zugleich  Übereinstimmungen  mit  Ezechiel  sind,  z.  B. 
niriN  und  "1D?2D-  Aber  man  kann  doch  nicht  umhin,  mindestens 
eine  starke  Überarbeitung  des  Absatzes  im  Sinn  und  Stil  des  Priester- 
codex anzunehmen.     Zum  Eingange  von  v.  24  vgl.  v.  35.  39.  47. 

Die  folgenden  Verse  machen  Voraussetzungen,  die  an  dieser 
Stelle  völlig  unverständlich  sind.  Weder  nach  Lev.  17  ss.,  noch 
nach  dem  Priestercodex  überhaupt  haben  wir  bisher  etwas  von  den 
Leviten  erfakren.  Wir  wissen  gar  nicht,  wer  sie  sind,  und  nun 
werden  sie  plötzlich  v.  32.  33  als  bekannt  behandelt,  ebenso  ihre 
Städte  und  Weideplätze.  Der  Absatz  v.  29 — 34  ist  jedenfalls  später 
eingetragen.  Dazu  passt  auch  sein  Inhalt;  denn  er  bringt  eine 
Ausnahme  zu  der  Regel  des  Jobel  nach,  und  zwar  zu  Gunsten 
städtischen  Besitzes,  an  den  bisher  nirgend  gedacht  ist. 

In  V.  35 — 38  bemerken  wir  wieder  die  unverfälschte  Art  des 
Verfassers  von  Kap.  17  ss.,  der  mehr  Verwandtschaft  mit  dem 
Deuteronomium  als  mit  Q  hat.  Dagegen  in  v.  39 — 46  und  auch 
V.  47 — 55  hat  eine  Überarbeitung  stattgefunden,  zu  deren  Spuren 
ich  indessen  das  Wort  "{"1D  nicht  rechne,  welches  hier  und  im 
Ezechiel  häufig,  im  Priestercodex  selten  ist.  Übrigens  vergleiche 
die  singulare  Anrede  an  das  Volk  und  zwar  durch  das  göttliche 
Ich;  ^nb^n  nN*l''1  V.  43;  HöN;  nt^*■D.  ^^\^i  Sätze  wie  v.  42  und 
55;  die  Verwandtschaft  der  Materie  mit  Exod.  21  und  Deut.  15. 
Abermals  bricht  dann  in  26,  1.  2,  welche  Verse  man  besser  mit 
Kap.  25  als  mit  Kap.  26  verbindet,  der  Ton  des  ursprünglichen 
Autors  wieder  ganz  rein  durch.  Er  scheut  sich  nicht,  wenn  auch 
439  an  unpassender  Stelle,  auf  seine  Lieblingsgebote  zurückzukommen: 
das  Heiligtum  darf  nicht  entweiht,  die  Sabbathe  müssen  streng 
gehalten  werden,  19,  3  s.  30.  20,  3.  21,  23.  Zu  n^ZWü  s.  Num. 
33,  52  und  dazu  p.  115. 

Es  befremdet,  dass  in  Kap.  25  das  Sabbathjalii'  so  kurz  (v.  2 
bis  7),  das  Jobel  so  ausfülniich  behandelt  wird.     Das  ist  gar  kein 


Leviticiis  17—26.  167 

Verhältnis,  denn  jenes  ist  praktisch  viel  wichtiger  und  ül^erdies  in 
der  übrigen  Literatur  des  A.  T.  (Exod.  23.  Deut.  15.  Hier.  34. 
Ezech.  46,  17.  Neh.  10,  32)  allein  bezeugt.  Nur  im  Priestercodex 
wird  umgekehi't  das  Jobel  hie  und  da,  dagegen  das  Sabbatlijahr 
nie  berücksichtigt.  Da  nun  Lev.  26,  welches  deutlich  an  Kap.  25 
anknüpft,  in  diesem  letzteren  Kapitel  nur  von  Sabbathjahi-en  etwas 
gefunden  zu  haben  scheint,  so  könnte  man  vermuten,  dass  das 
Jobel  in  dem  gegenwärtigen  Texte  des  Kap.  25  überall  erst  auf 
die  Überarbeitung  zurückzufühi'en  wäre  und  dass  dort  ursprünglich 
die  Functionen  desselben,  wenn  auch  nicht  in  so  ausgebildeter 
Form,  vielmehr-  vom  Sabbathjahre  ausgesagt  gewesen  wären.  Sicher 
sind  dieselben  erst  dem  letzteren  entlehnt  und  dann  erweitert. 
Die  Freilassung  des  hebräischen  Knechts  hatte  ursprünglich  im 
7.  Jahre  des  Kaufes,  dann  im  7.  Jahre  schlechthin  zu  geschehen; 
in  Lev.  25,  40  ist  sie  auf  das  50.  Jahr  verlegt.  Analog  ist  das 
andere  Element  des  Jobel,  der  Rückfall  des  verpfändeten  Grund- 
besitzes an  den  Erbeigentümer,  erst  erwachsen  aus  dem  Schulden- 
erlass,  der  Deut.  15  für  das  Sabbatjahi-  gefordert  wird;  offenbar 
hängt  beides  wenigstens  sachlich  auf  das  engste  zusammen,  wie 
Lev.  25,  23  SS.  zeigt.  Dazu  halte  man  nun  noch,  dass,  wie  oben 
gezeigt,  das  Jobel  eine  auf  das  Sabbathjahr  aufgebaute  künstliche 
Nachahmung  des  Wochenfestes  ist,  und  dass  sein  Name  1"1"1"!  (25, 
10)  bei  Jeremias,  wo  er  34,  17  ganz  in  der  gleichen  Phrase  vor- 
kommt, vielmehr  das  Sabbathjahr  bedeutet ').  Wenn  also  die  Ver- 
mutung, dass  ursprünglich  Lev.  25  nicht  bloss  in  v.  2 — 7  vom 
Sabbathjahre  handelte,  nicht  aus  der  Luft  gegriffen  ist,  so  würde 
sich  plötzlich  die  sonderbare  Stellung  von  v.  19 — 22  sehr  einfach 
erklären.  Genau  genommen  lässt  auch  v.  23  s.  die  Beziehung  auf 
die  vorherstehenden  Verordnungen  vermissen. 

Über  26,  3 — 46  s.   Kuenen,   Godsdienst  11  92.     Jedenfalls  ist 
diese  Rede    mit    specieller    Absicht    auf   das    Nächstvorhergehende 
geschrieben.     Fasst  man  sie  nicht  als  Schlussrede  auf  wie  Exod.  23,  440 
20 — 33.     Deut.  28,  so  ist  ihre  Stellung,   an  einem  beliebigen  Orte 
des  Priestercodex,  ganz  unbegreiflich.    Sie  knüpft  denn  auch  sicht- 


^)  Nach  Hier.  34,  17  hat  sich  auch  das  Verständnis  von  Ezech.  46,  17 
zu  richten:  das  vom  Könige  einem  Diener  gegebene  Grundstück  bleibt  nur 
bis  zum  Sabbathjahre  in  dessen  Besitz.  —  Möglich,  dass  Exod.  23  die  Brache 
noch  nicht  in  einem  festen  siebenten  Jahre  für  alle  Grundstücke  gemeinsam 
stattfindet. 


][ßg  Die  Gesetzgebung. 

lieh  an  die  Gesetze  Kap.  17 — 25  an.  Das  Land  und  der  Ackerbau 
haben  hier  die  selbe  fundamentale  Bedeutung  füi-  die  Religion  wie 
Kap.  19.  23.  25,  die  Drohung  des  Ausspeiens  Kap.  18.  20  wird  hier 
ausfüluiicher  wiederholt,  das  einzige  namhaft  gemachte  Gebot  ist 
das  der  Brache  des  7.  Jahres  26,  34.  Mit  der  für  den  Verfasser 
von  Kap.  17ss.  so  charakteristischen,  wenn  auch  nicht  in  so 
stereotyper  Form  gebrauchten  Wendung  ^r\)'^r^  HNI  )2hr\  Tpnn  CX 
PiOtrn  beginnt  die  Rede,  etwas  abgewandelt  kehi*t  dieselbe  v.  15. 
43  wieder.  Hierzu  kommt  die  Untersclnift  26,  46,  welche  augen- 
scheinlich ein  Corpus  von  „Sätzen,  Rechten  und  Weisungen"  ab- 
schliesst.     Auf  dem  Berge  Sinai,  wie  25,  1. 

Wenn  die  Absicht  von  Lev.  26,  zu  Kap.  17 — 25  den  Schluss 
zu  bilden,  unbestreitbar  ist,  so  liegt  es  am  nächsten,  den  Verfasser 
jener  Sammlung  auch  für  den  Verfasser  der  Rede  anzusehen. 
Nun  meint  aber  Nöldeke,  die  Sprache  von  Lev.  26  weiche  dazu 
zu  sehr  von  Kap.  17 — 25  ab.  Jedoch  muss  er  selber  einige  und 
zwar  gewichtige  Berührungen  zugeben^),  —  andererseits  lassen 
sich  auch  bei  einzelnen  der  früheren  Kapitel  seltene  und  originelle 
Worte  zusammenstellen,  wenn  auch  in  geringerem  Umfange.  Was 
wirklich  von  Differenzen  bleibt,  erklärt  sich  genügend  aus  dem 
ITnterschied  des  Stoffes:  bisher  Gesetze  in  sachgemäss  trockener, 
jetzt  Prophetie  in  poetisch-pathetischer  Rede.  Dort  tritt  die  Sub- 
jectivität  des  Verfassers  meistens  hinter  dem  Objekt,  das  er  öfters 
sogar  geformt  vorgefunden  hat,  zurück;  hier  kann  sie  sich  frei 
äussern.  Es  ist  billig,  das  nicht  zu  übersehen.  Der  apriorischen 
Wahrscheinlichkeit,  dass  Kap.  26  nicht  bloss  an  Kap.  17 — 25  an- 
geleimt ist,  sondern  dazu  gehört,  muss  mit  stärkeren  Gegengründen 
begegnet  werden,  als  Nöldeke  sie  vorgebracht  hat. 

In  zwei  Hauptpunkten  möchte  ich  die  Gleichheit  von  Lev.  17 
bis  25  und  Kap.  26  noch  etwas  näher  begründen.  Jene  Gesetze 
berühren  sich  in  auffallendem  Masse  nach  Tendenz  und  Sprache 
mit  dem  Propheten  Ezechiel.  Die  Meinung  Grafs,  dass  derselbe 
der  Autor  sei,  ist  freilich  von  Nöldeke  und  Kuenen  hinlänglich 
widerlegt;  aber  die  Hauptsache  bleibt,  nämlich  die  nahe  Verwandt- 
441  Schaft^).     Um  diese  nun  richtig  zu  würdigen,  muss  daneben  fest- 

^)  Die  Erwähnung  der  Bamoth,  Gillulim  und  Hammanim  ist  eher  eine  Be- 
rührung als  eine  Differenz. 

^)  Kayser  a.  a.  0.,  p.  177—179.  Ich  hebe  noch  hervor  die  durch  Jahves 
Wohnung  bewirkte  Heiligkeit  des  Landes,  welche  zu  respectiren   die  Beligion 


Leviticus  17— 2fi.  169 

gehalten  werden,  1)  dass  diese  Gesetze  durchweg  —  und  zwar  aus- 
gesprochenermassen  —  auf  den  jehovistischen  fussen^),  2)  dass  sie 
selbige  etwa  in  der  Art  modificiren,  wie  es  im  Deuteronomium  ge- 
schieht, mit  welchem  Buche  sie  überhaupt  in  einem  fast  ebenso 
engen  Verhältnis  stehn  wie  mit  Ezechiel"),  3)  dass  sie  vom  Deu- 
teronomium zum  Priestercodex  hinneigen,  in  welchen  sie,  über- 
arbeitet und  mit  anderen  Elementen  versetzt,  samt  und  sonders 
aufgenommen  sind. 

Ebenso  ausgesprochen  ist  nun  aber  die  Verwandtschaft  des 
26.  Kap.  mit  Ezechiel  vgl.  v.  11.  15.  19.  26.  30.  33  und  vor  allem 
V.  39.  Der  dem  mörderischen  Schwerte  der  Feinde  entgang-ene 
Rest  des  Volkes  schmachtet  im  Exil,  nnter  dem  Druck  des  ver- 
gangenen Unglücks  und  der  gegenwärtigen  Leiden.  „Und  die 
Übrigen  von  euch  verfaulen  in  ihrer  Sündenschuld  in  den 
Ländern  eurer  Feinde,  und  auch  in  der  Sündenschuld  ihrer  Väter 
verfaulen  sie  —  dann  gestehn  sie  ihre  und  ihrer  Väter  Sünde 
ein  IT.  s.  w."  Bei  Ezechiel  erfolgt  dies  Eingeständnis  wirklich  von 
Seiten  seiner  Mitverbannten.  Sie  sprechen  33,  10:  „misere  Misse- 
taten und  Sünden  lasten  auf  uns  und  wir  verfaulen  darin  und 
können  nicht  aufleben."  Ähnlich  droht  24,  23  der  Prophet,  er 
werde  in  seiner  dumpfen  Trauer  über  den  Tod  seines  Weibes  das 
Vorbild  des  Volkes  sein:  „ihr  werdet  nicht  weinen  imd  klagen, 
ihr  werdet  verfaulen  in  eurer  Sündenschuld."  IMeugbar 
eine  sehr  significante  Parallele.  Auch  die  begleitenden  Erschei- 
nungen, die  wir  neben  der  ezechielischen  Färbung  bei  den  vorher- 
gehenden Gesetzen  constatirt  haben  ^),  fehlen  in  unserer  Rede  nicht. 


der  Bewohner  ist.  Das  Land  Jahves  ist  wichtiger  als  das  Volk  Jahves;  es 
ist,  als  ob  er  das  Land  nnd  nicht  das  Volk  erwählt  hätte. 

^)  Vgl.  meine  Bemerkungen  zu  Kap.  18 — 20.  Kap.  22.  23.  24.  25.  Kayser, 
p.  67.  Wie  man  das  hat  übersehen  oder  in  Abrede  stellen  können,  ist  mir 
platterdings  unbegreiflich. 

2)  Vgl.  besonders  die  Auswahl  der  Materien  und  beachte  dabei,  dass  in 
Kap.  20  auch  wol  einst  ein  Gesetz  über  Rein  oder  Unrein  gestanden  hat.  Da- 
neben die  Paränesen  und  die  dabei  gebrauchten  Wendungen,  z.  B.  der  Hinweis 
auf  die  Ausführung  aus  Ägypten,  wo  die  Israeliten  Knechte  und  Fremdlinge 
gewesen  seien. 

2)  Auf  Nöldeke  haben  einzelne  seltsame  und  öfters  wiederkehrende  Aus- 
drücke des  Kap.  26  einen  so  starken  Eindruck  gemacht,  dass  er  darnach  die 
Sprache  überhaupt  für  sehr  originell  hält,  während  sie  überall  an  Reminis- 
cenzen  sich  anlehnt. 


170  I^ie  Gesetzgebimg. 

442  1)  Wenn  sicli  von  einem  Einfluss  der  jeliovisti sehen  Gesetzgebung 
(abgesehen  davon,  dass  Exod.  23,  20ss.  das  Muster  wie  zu  Deut. 
28,  so  zu  Lev.  26  geAvesen  ist)  natürlicli  hier  nichts  spüren  lässt, 
so  wird  dies  dadurch  compensirt,  dass  der  Einfluss  der  Propheten 
um  so  deutlicher  ist,  auch  der  älteren,  wie  des  Arnos  v.  31.  So 
wenig  wie  das  Buch  Ezechiels,  ist  unser  Kapitel  denkbar  ohne 
die  Grundlage  der  vorhergehenden  prophetischen  und  prophetisch- 
geschichtlichen Literatur.  2)  Was  das  Yerhältnis  zum  Deilterono- 
mium  betrifft,  so  ist  die  Ähnlichkeit  von  Lev.  26  mit  Deut.  28 
sehr  gross,  nicht  bloss  im  Stoff,  sondern  auch  in  dem  Princip  der 
Anlage.  Lexikalische  Berührungen  giebt  es  zwar  nicht  viele,  aber 
die  wenigen  sind  gewichtig.  Die  Ausdrücke  26,  16  kehren  im 
A.  T.  nur  Deut.  28  (v.  22.  65)  wieder,  ebenso  auch  C^Jl^N"!  v.  46 
in  dieser  Bedeutung  nur  Deut.  19,  14  und  in  der  späteren  Lite- 
ratur (Isa.  61,  4).  Der  Tropus  ^nyn  Dn.n^  v.  41  kommt  im  Ge- 
setz gleichfalls  nur  an  einer  Stelle  des  Deuteronomium  noch  ein- 
mal vor,  ausserdem  in  der  gleichzeitigen  oder  etwas  späteren 
prophetischen  Literatur  Ezech.  44,  7.  9.  Hierem.  4,  4.  9,  24.  25. 
Anklänge  an  Jeremias  finden  sich  noch  mehrere,  meist  jedoch  un- 
bestimmtere. Hervorzuheben  ist  die  Beziehung  von  Hierem.  16,  18 
einerseits  zu  v.  30,  andererseits  zu  v.  18  unseres  Kapitels.  Hier 
wird  die  Sünde  siebenfach,  bei  Jeremias  wird  sie  doppelt  bestraft. 
So  auch  Isa.  40,  2.  61,  7:  mit  diesem  Propheten  hat  Lev.  26  ferner 
den  auffallenden  Gebrauch  von  niJ"!  (mit  Sünde  oder  Schuld  als 
Objekt)  gemeinsam.  Stünde  unser  Kapitel  nicht  im  Leviticus,  so 
wüi'de  man  es  ohne  Zweifel  füi*  eine  Reproduktion  zum  geringsten 
Teil  der  älteren,  zum  grössten  Teil  der  jeremianisch-ezechielischen 
Weissagungen    halten.      3)    Mit    dem    Priestercodex    berührt    sich 

Lev.  26  in  nn.m  HiD  v.  9,  nnü  cpn  V.  9,  n"inn,  "»^si  (nie  ^d:n)? 

in  der  übertriebenen  Anwendung  der  Akkusativpartikel  und  Ver- 
meidung der  Yerbalsuffixe,  in  der  Vorliebe  für  das  allgemeine  jHJ 
statt  speciellerer  Yerba  v.  11.  17.  31. 

Der  andere  Punkt,  w^orin  ich  Kap.  26  mit  Kap.  17 — 25  ver- 
gleiche, betrifft  die  reale  historische  Situation.  In  Kap.  26  scheint 
sie  klar  durch,  es  ist  die  des  Exils  und  zwar  des  babylonischen. 
Man  hofft  freilich  mit  dem  assyrischen  auszukommen,  aber  wo 
steckt  die  Verwandtschaft  unserer  Rede  mit  dem  alten  ächten 
Jesaias?  Wähi'end  zu  Ezechiels  Zeit  nachweislich  solche  Gedanken 
Gefühle  und  Ausdi-ücke  herrschten,  wie  sie  hier  vorliegen,  wird  es 


Leviticus  17—26.  171 

schwierig  sein  zu  zeigen,  dass  Samariens  Fall  diese  Art  von  De-  443 
pression  in  Jerusalem  hervorbrachte  —  denn  ausserhalb  Jerusalems 
ist  Lev.  26  nicht  geschrieben,  da  die  Einheit  des  Kultus  voraus- 
gesetzt wird.  Mir  scheint  es  sogar  gewiss,  dass  der  Verfasser  von 
Lev.  26  entweder  gegen  Ende  des  babylonischen  Exils  oder  nach 
demselben  lebte,  weil  er  nämlich  zum  Schluss  die  Restitution  in 
Aussicht  nimmt.  Bei  Propheten  wie  Jeremias  und  Ezechiel  hat 
eine  solche  Ausschau  in  die  fröhliche  Zukunft  Sinn,  hier  aber 
widerspricht  sie  dem  Zwecke  der  Drohung  und  scheint  am  natür- 
lichsten durch  den  Zufall,  d.  h.  durch  die  Wirklichkeit  sich  zu  er- 
klären. Indessen  braucht  darauf  kein  Gewicht  gelegt  zu  werden, 
sondern  nur  auf  den  exilischen  Ursprung  des  Kapitels  im  allge- 
meinen. In  dieser  Hinsicht  mache  ich  noch  aufmerksam  auf 
2.  Chron.  36,  22  (3  Esdr.  1,  55),  wo  Lev.  26,  34  citii-t  wird  als 
ein  Wort  des  Propheten  Jeremias:  dies  ist,  cum  grano  salis  ver- 
standen, ein  richtiger  und  unbefangener  Eindi'uck  von  der  Sachlage. 
Wäre  nun  Lev.  17 — 25  nicht  in  den  Priestercodex  aufgenommen, 
welcher  bekanntlich  nach  der  übereinstimmenden  Annahme  aller 
Einleitungen  in  das  A.  T.  lange  vor  dem  Exil  fertig  gewesen  sein 
muss,  so  sprächen  innere  und  sachliche  Gründe  nicht  dagegen, 
diesen  Gesetzen  die  gleiche  Abfassungszeit  zu  geben  wie  der  dazu 
gehörigen  Schlussrede.  Die  Centralisation  des  Kultus,  die  Polemik 
gegen  Seirim  (=  Bamoth)  und  Bilderdienst  führen  uns  auf  die 
Zeit  des  Königs  Josia.  Die  durch  das  Deuteronomium  geschaffenen 
Zustände  werden  als  gesetzlich  vorausgesetzt,  die  Verordnungen 
des  Bundesbuches  in  deuteronomischem  Sinn  verstanden.  Das 
"I^D^  1''!iyn  ist  vor  Jeremias  Zeit  als  Volkssitte  nirgends  nach- 
weisbar, spielt  dann  aber  bei  ihm  und  Ezechiel  eine  grosse  Rolle; 
die  Wertlegung  auf  exakte  Sabbathfeier  findet  sich  Isa.  56  ss.  und 
bei  andern  Schiiftstellern  des  Exils,  von  Jeremias  an.  Unter  die 
Zeit  des  Deuteronomiums  hinab  scheint  das  Verbot  der  Schwager- 
ehe in  Lev.  18.  20  zu  führen;  denn  diese  ist  jedenfalls  Volks- 
tradition, die  vom  Deuteronomium  noch  aufrecht  erhalten,  hier 
beseitigt  wird  —  auffallenderweise  in  einer  wenig  polemisch  ge- 
haltenen Form.  Unter  die  Zeit  Jeremias  führen  die  Trauerverbote, 
an  welche  dieses  Propheten  Seele  (Kap.  16)  noch  nicht  denkt.  Das 
Exil  selbst  wird,  wenn  auch  natürlich  nicht  so  ausfühilich  wie 
Lev.  26,  doch  in  nicht  misverständlicher  Weise  am  Ende  von 
Kap.   18  und  Kap.  20  gedroht,  und  überall  abstrahirt    schon  der 


172  I^ie  Gesetz gebuno-. 

Gedanke  der  Theokratie  von  der  notwendigen  Zugehörigkeit  des 
444  Volkes  zum  heiligen  Lande  und  der  heiligen  Wohnung.  Israel 
und  die  Kanaaniter  Averden  nicht  eben  verschieden  beurteilt,  vgl. 
Ezech.  16. 

Ich  will  hier  die  für  unübersteiglich  geltenden  literarischen 
Schwierigkeiten  nicht  leichtsinnig  übersteigen  und  darum,  unter 
Hervorhebung  der  literarischen  und  sachlichen  Gleichartigkeit  von 
Lev.  17 — 25  und  Lev.  26,  es  dahingestellt  sein  lassen,  was  daraus 
zu  folgern  ist.  Nur  das  bemerke  ich  noch,  einmal  dass  „das 
unbeschnittene  Herz"  seine  Genesis  bei  Jeremias  hat  und  sowol 
Deut.  10  als  auch  Lev.  26  als  fertiger  und  bekannter  Terminus 
übernommen  ist,  sodann,  dass  Ezechiel  die  bezeichnende  Phrase 
verfaulen  in  der  Sündenschuld  nicht  aus  Lev.  26,  sondern 
aus  dem  Volksmunde  entlehnt  hat,  endlich,  dass  die  Berührungen 
von  Kap.  17 — 26  mit  Ezechiel  nicht  für  sich  stehn  und  also  nicht 
aus  einer  individuellen  Vorliebe  dieses  Propheten  grade  für  dies 
kleine  Corpus  zu  erklären,  sondern  auf  einen  allgemeineren  Boden 
zu  stellen  sind. 

Das  27.  Kapitel  ist  mit  Recht  zum  Leviticus  gezogen,  es  will 
nach  V.  34  auch  noch  zu  den  Befehlen  auf  dem  Berge  Sinai  ge- 
hören, kommt  aber  freilich  hinter  26,  46  nach  Toresschluss.  Es 
ist  ganz  und  gar  in  der  Weise  des  Priestercodex  gehalten  und 
stammt  wol  von  der  Hand  dessen,  der  Lev.  17 — 26  in  diesen  auf- 
nahm. Eine  sprachliche  Reminiscenz  ist  "JO  v.  8,  deutlicher  jedoch 
die  inhaltliche  Anknüpfung.  Die  Verordnungen  über  die  Qodaschim, 
hauptsächlich  über  die  gelobten  und  lösbaren,  enthalten  gewisser- 
massen  einen  kasuistischen  Kommentar  zu  Kap.  22,  mit  besonderer 
Berücksichtigung  des  Einflusses  des  Jobeljahres  (Kap.  25)  auf  die 
Lösung.  Als  Anhang  werden  zum  Schluss  die  festen  Angaben  der 
Priester  behandelt,  Erstgeburten  (nicht  Erstlinge),  Zehnten  von  Feld 
und  Herde.  Über  das  Verhältnis  zu  Num.  18  s.  Kuenen  a.  0.  IL  268. 

Das  Lager  und  die  Leviten.  Die  Gesetzgebung  in  den 
Arboth  Moab.  Num.  1—10.  15—19.  26—36. 
Der  Leviticus  trägt  seinen  Namen  insofern  unpassend,  als 
darin  von  Leviten  nicht  die  Rede  ist.  Das  erste  Hauptstück  des 
Gesetzes  in  Q  (Exod.  25  —  Lev.  16)  hat  es  zu  tun  mit  der  Grün- 
dung des  Fundaments,  das  ist  die  Stiftshütte  und  das  Priestertum 
und   der   auf  beiden   ruhende    Kultus.     Daran    schliesst    sich    nun 


Numeri  1—10.  173 

zweitens:  das  Lager  und  die  Leviten,  der  Mittelpunkt  von 
Num.  1 — 19,  JE  abgerechnet.  Das  Lager  ist  die  äussere  Peripherie 
der  Hütte,  die  Leviten  ein  concentrischer  innerer  Eing;  nur  in 
Beziehung  zu  jenem  Centruni  der  Theokratie  haben  Volk  und  Le- 
viten Bedeutung.  Die  letzteren  sind  hier  nicht  der  natürliche  I^nter-  445 
grund,  woraus  Aharon  als  Spitze  hervorwächst,  sondern  nachträglich, 
nachdem  das  Priestertum  längst  besteht,  werden  sie  als  Abgabe 
an  Aharon  von  den  Laien  bezahlt.  Ihre  Stellung  in  der  Hierokratie 
nimmt  das  Hauptinteresse  dieser  Kapitel  in  Anspruch,  das  auch 
Kap.  16 — 18  wieder  durchbricht,  nachdem  schon  der  mit  JE  gleich- 
laufende geschichtliche  Faden  in  Q  wieder  aufgenommen  ist. 

Hineingestreut  in  diese  Hauptmaterie  finden  sich  andere  Ge- 
setze, die  nichts  oder  nur  wenig  damit  zu  tun  haben,  obwol  sie 
die  Art  und  Sprache  des  Priestercodex  unverkennbar  zeigen  —  eine 
Erscheinung,  die  dem  Buch  Numeri  eigentümlich  ist.  So  begegnet 
mitten  zwischen  der  Schwingung  der  Leviten  Kap.  8  und  der  An- 
weisung über  den  Aufbruch  des  Lagers  9,  15  ss.  eine  Verordnung 
über  die  nachträgliche  Feier  des  Osterfestes  9,  1 — 14.  Erst  ein 
Jahr  später,  als  das  Hauptgesetz  Exod.  12  gegeben  war,  machte 
ein  zufälliger  Anlass  diesen  Zusatz  nötig,  welcher  also  ganz  ab- 
sichtlich hier  steht,  weil  die  Anordnung  des  Priestercodex  nicht 
bloss  sachlich,  sondern  zugleich  historisch -clironistisch  sein  soll. 
Ähnlich  verhält  es  sich  mit  Kap.  5.  6.  15.  19;  nicht  aus  sachlichen, 
sondern  aus  occasionellen  Gründen  ist  die  Stellung  dieser  Stücke 
zu  erklären,  es  ist  eine  beabsichtigte  Unordnung.  Man  darf  z.  B. 
Kap.  19  nicht  verrücken,  denn  der  Priester  Eleazar  vertritt  hier 
schon  seinen  Vater,  der  bald  darauf  stirbt.  Daraus  folgt  indessen 
nicht,  dass  diese  Kapitel,  in  ihrer  Planlosigkeit,  aus  dem  Plan  des 
Autors  von  Q  entsprungen  sind.  Es  hat  etwas  Widersinniges,  an- 
zunehmen, dass  er  von  vornherein,  gleich  bei  der  ersten  Ausgabe 
seines  Werkes,  etwas  sollte  an  den  verkeilten  Ort  gestellt  haben, 
um  der  historischen  Zufälligkeit  den  gebülii'enden  Tribut  zu  bringen, 
die  allerdings  die  gesetzgeberische  Tätigkeit  des  wirklichen  Mose 
ganz  und  gar  bedingen  musste. 

Die  Gebote  Kap.  5.  6  sind  sämtlich  allein  an  Mose  geredet 
und  ausser  6,  22—27  für  das  Volk  bestimmt.  1)  5,  1 — 4.  Da  die 
Verordnung  den  Lagerbegriff  voraussetzt,  so  steht  sie  hier  ganz 
passend,  passender  als  ilii'es  Orts  Lev.  11 — 15.  Gonorrhoe  und  Be- 
rühi'ung  einer  Leiche  werden  5,  2  auf  die  gleiche  Stufe  gestellt  mit 


174  Die  Gesetzgebimg. 

dem  Aussatz  und  haben  die  selbe  Wirkung  der  Verbannung  aus 
dem  Lager;  dies  widerspricht  den  Bestimmungen  von  Lev.  15  (vgl. 
13,  46)  und  von  Num.  19.  Die  Rabbiner  haben  sich  dadurch  ge- 
holfen, dass  sie  den  Begriff  des  Lagers  für  den  Aussätzigen  ganz 
44G  anders  fassten  als  füi*  den  Samenflüssigen  und  Leichenbefleckten,  s. 
Raschi  zu  Num.  5,  2.  Was  der  Yerf.  realiter  unter  n3n?3  5,  2  ver- 
standen hat,  ist  unklar;  nach  b.  Baba  kamma  82b  durfte  in  Jeru- 
salem keine  Leiche  über  Nacht  bleiben.  —  2)  5,  5 — 10  Defrauda- 
tion, freiwillig  eingestanden,  soll  erstattet  und  ein  Fünfteil  darauf 
gegeben  werden ,  natürlich  an  den  Beschädigten.  Ist  aber  dieser 
ohne  Erben  gestorben,  so  fällt  das  Erstattete  dem  Priester  zu;  ab- 
gesehen von  dem  Sühnwidder,  der  in  jedem  Falle  an  diesen  zu  ent- 
richten ist.  In  der  Sache  herrscht  hier  zwar  insofern  Überein- 
stimmung mit  Lev.  5  (gegen  22, 14),  als  ausser  der  gesteigerten  Restitu- 
tion auch  noch  ein  Opfer  zu  bringen  ist;  aber  abweichend  ist,  dass 
dieses  Opfer  nicht  DiS^isN  sondern  CIDIDn  b\s*  heisst,  und  dass  mit 
Cti'N*  vielmehr  die  dem  betrogenen  Eigentümer  zu  bezahlende  Schuld 
bezeichnet  wird.  Auffallend  ist  ferner,  dass  nicht  das  Heiligtum 
oder  die  Priesterschaft,  sondern  der  fungirende  Priester  die  Ab- 
gaben empfängt  v.  8,  der,  dem  sie  der  Darbringer  geben  will,  wie 
V.  9.  10  als  allgemein  giltiger  Grundsatz  ausgesprochen  wird.  — 
3)  5,  11 — 31.  Die  Behandlung  der  des  Ehebruchs  verdächtigen 
Frau.  Eigentümlich  ist  ])V  mDV2  v.  15  (Ezech.  21,  28.  29.  29, 
16),  das  heilige  Wasser  v.  17,  und  im  Ritus  der  Mincha  v.  25  s., 
der  übrigens  nach  Lev.  2  sich  richtet,  die  nur  hier  vorkommende 
Thenupha.  Zur  Sache  vgl.  Globus  1872  p.  138  ss.,  1875  p.  285. 
—  4)  6,  1 — 21.  Die  Verpflichtungen  des  Nazir  v.  1 — 8,  Unter- 
brechung seines  Gelübdes  durch  zufällige  Berührung  einer  Leiche 
V.  9—12,  Ceremonie  der  Auf  lobung  v.  13 — 20.  Der  Eingang  6, 
1.  2  hat  die  Form  von  5,  5s.  In  v.  9  wird  die  Reinigung  von 
der  Leichenberührung  als  bekannt  vorausgesetzt,  aber  weder  mit 
5,  1 — 4  noch  mit  Kap.  19  herrscht  innere  Verbindung:  denn  von 
dem  Aschenwasser  ist  in  unserem  Kapitel,  vom  Taubenopfer  Num. 
19  nicht  die  Rede.  Vielmehr  ist  der  Ritus  6,  9 — 11  auf  Lev.  14, 
9.  15,  14s.  30  gegründet,  auch  n"nn  PN^T  6,  13.  21  (5,  29)  kommt 
ausser  Lev.  6.  7  nur  in  Lev.  11—15  vor,  "^'»in  Lev.  15,  31.  Ebenso 
wie  die  Wiederaufnahme  des  Aussätzigen  Lev.  14  ist  die  des  Nazir 
zum  freien  Mitgliede  der  Gemeinde  eine  abgeschwächte  Kopie  der 
Priesterweihe  Exod.  29,  vgl.  Num.  6,  15  mit  Exod.  29,  2.  3  —  nur 


Numeri  1—10.  15—19.  175 

wird  6,  15  sonderbarer  weise  noch  eine  Minclia  obendrein  gefordert. 
—  5)  6,  22 — 27.  Der  Priestersegen.  Man  hätte  ihn  Lev.  9,  23 
(üyri'HN  1D?'!'''!)  erwarten  sollen.  —  Über  8,  1 — 4,  welches  auch 
hierher  gehört,  ist  weiter  nichts  zu  bemerken;  vgl.  Lev.  24,  1 — 4. 
In  Betreff  von  Num.  9,  1 — 14  hat  zwar  Nöldeke  Recht,  dass  das 
Datum  (Paschamonat  des  2.  Jahres)  mit  der  Sache  zusammenhängt;  447 
dass  es  aber  darum  nicht  dem  von  1,  1  widerspricht,  vermag  ich 
nicht  einzusehen.  Die  Gleichartigkeit  mit  Q  ist  hier  so  wenig  wie 
sonst  gleichbedeutend  mit  ursprünglicher  organischer  Zugehörigkeit. 
Sonderbar  ist  die  Konstruktion  v.  1 — 3,  es  scheint,  als  wäre  v.  2 
von  Haus  aus  nicht  Befehl,  sondern  einfache  Erzählung  und  y\l/])^^ 
Präteritum  gewesen.  In  9,  6  wird  ebenso  wie  6,  9  ein  Gesetz  über 
die  Verunreinigung  durch  Leichen  vorausgesetzt. 

Kapitel  15  (an  Mose)  scheint  von  dem  Bearbeiter  (nicht  von 
dem  Autor)  der  Sammlung  Lev.  17 — 26  verfasst,  denn  es  finden 
sich  bemerkenswerte  Reminiscenzen  und  Ähnlichkeiten.  Die  Er- 
zählungen Num.  15,  32—36  und  Lev.  24,  10—14.  23  sind  völlig 
über  den  selben  Leisten  Q;eschlao;en,  auch  darin,  dass  sie  den  g-esetz- 
liehen  Tenor  zu  unterbrechen  scheinen  und  doch  zugleich  ein  fol- 
gendes Gesetz  motiviren;  denn  die  Zizith  sollen  nicht  zum  wenigsten 
an  das  Sabbathgebot  erinnern.  Weiter  vergleiche  den  im  Deute- 
ronomium  gewöhnlichen  Eingang  Num.  15,  2.  18  mit  Lev.  19,  23. 
23,  10.  25,  2  (in  Q  erst  Num.  34,  2),  ferner  Num.  15,  3  mit  Lev. 
22,  21  und  beachte  den  „jeho\dstischen"  (Knobel)  Ton  in  v.  31, 
die  Paränese  v.  40  s.  und  die  materielle  Verwandtschaft  von  v.  37 — 41 
mit  Deut.  22,  12^).  —  Kap.  19  (geredet  an  Mose  und  Aliaron) 
zerfällt  in  v.  1 — 13  und  14 — 22.  Die  Ceremonie  v.  1 — 13  ist  der 
von  Lev.  14,  Iss.  analog,  an  die  Stelle  des  Vogels  —  die  Araber 
stellten  so  das  Leben  oder  die  Seele  dar  —  tritt  die  Asche  von 
der  roten  Kuh,  an  arische  Reinigungsmittel  erinnernd.  Aber  von 
aller  Analogie  abweichend  und  höchst  auffallend  ist  es,  dass  hier 
bei  der  Wiederaufnahme  in  das  Lager  kein  Opfer  verlangt  wird,  s. 
zu  6,  1 — 21.  Eigentümliche  Ausdrücke  und  Wendungen  sind  HNiOn 
v.  9,  mj  ^D  Y.  9.  13,   „die  Wohnung  Jahves  hat  er  verum-einigt 


^)  Teile:  a)  15,  2—16.  Neder  und  Nedaba  als  die  beiden  ünterarteii  des 
Dankopfers  wechseln  mit  Neder  und  Schelem  v.  8.  b)  15,  17 — 21.  Darf  y.  20 
a.  E.  übersetzt  werden:  als  Abgabe  von  der  Tenne  (Sept.  Exod.  22,  28)  sollt 
ihr  sie  erheben?  c)  15,  22—31.  Dies  einen  Nachtrag  zu  Lev.  4  zu  nennen, 
ist  ein  eigentümliches  Deutsch,     d)  15,  32 — 36.     e)  15,  37 — 41. 


176  I^ie  Gesetzgebung. 

und  seine  Seele  werde  ausgerottet  aus  Israel"  v.  13  vgl.  20.  Zu 
dem  Hauptgesetze  ist  v.  14 — 22  eine  authentische  Erläuterung,  mit 
seltsamem  Hebräisch  beginnend.  Die  Technik  des  Reinigungsver- 
448  fahrens  war  dort  als  bekannt  genommen,  diese  wird  nun  hier  nach- 
träglich, in  einer  ausführlichen  Wiederholung,  genau  angegeben. 
Versteht  man  nach  v.  12,  der  Um^eine  solle  sich  selber  sprengen, 
so  sprengt  ihn  nach  v.  19  ein  anderer. 

Wir  kommen  nun  zurück  auf  das  Hauptthema  von  Num.  1  ss. 
Zuerst  die  Musterung  und  Gliederung  des  Volkes  nach  12  Stämmen 
unter  12  Füi'sten  und  die  Anordnung  des  die  Hütte  umgebenden, 
in  vier  Quartiere  geteilten  Lagers  Kap.  1.  2  (Am^ede  1,  1  an  Mose, 
1,  3  und  2,  1  kommt  Aharon  hinzu).  Der  genaue  Anschluss  an 
die  Stiftshüttengesetzgebung  und  an  den  historischen  Rahmen 
ist  unverkennbar,  daraus  folgt  die  Zugehörigkeit  zu  Q.  Schon  der 
Verfasser  von  Exod.  30,  11 — 16  hat  unsere  Kapitel  im  engen  Zu- 
sammenhange mit  Exod.  25 — 29.  Lev.  9,  16  vorgefunden.  Jedoch 
scheint  es,  dass  Num.  1,  17 — 47  secundär  sei.  Denn  1,  48 — 54 
lässt  sich  nicht  verstehn,  wenn  die  Zählung  bereits  erfolgt  ist, 
und  dass  nicht  diese  Verse  auf  späterem  Nachtrag  beruhen,  folgt 
aus  der  Rückbeziehung  darauf  2,  33  (wie  Jahve  dem  Mose  befahl). 
Ausserdem  weicht  die  Aufzählung  der  Stämme  in  1,  20 — 43  von 
der  in  v.  5 — 14  ab  und  richtet  sich  nach  der  Anordnung  derselben 
im  Lager  Kap.  2;  dies  ist  gegen  die  Natur  der  Sache  und  lässt 
sich  nur  bei  einem  Epigonen  erklären,  dem  Kap.  2  schon  fertig 
vorlag.  Endlich  wird  der  Inhalt  von  1,  20 — 43  in  Kap.  2  noch 
einmal  ganz  umständlich  wiederholt,  daher  die  Collision  von  2,  32 
mit  1,  44.  46  und  von  2,  33  mit  1,  47.  Die  Aii.gleichheit  von 
1,  17 — 47  mit  Q  beweist  nichts,  da  nichts  leichter  ist,  als  mit 
gegebenen  Elementen  die  Weise  von  Q,  wie  sie  etwa  Gen.  5  her- 
vortritt, nachzuahmen. 

Es  folgt  in  Kap.  3.  4  die  Bestellung  der  Leviten,  ein  mit  dem 
vorigen  eng  zusammengehöriges  Thema.  Auch  hier  ist  zu  dem 
ursprünglichen  Bestände  eine  jüngere  Schicht  hinzugekommen.  Ver- 
gleichen wii-  Kap.  4  und  3,  14 — 39.  In  beiden  handelt  es  sich 
einmal  um  den  Dienst  (müy),  sodann  um  die  Musterung  imp^) 
der  drei  Levitengeschlechter.  Nach  Kap.  4  (an  Mose  und  Aharon 
V.  1.  17.  34,  dagegen  21)  haben  die  Kehathiten  die  heiligsten 
Geräte  zu  besorgen.  Lade,  Tisch,  Leuchter  und  die  beiden  Altäre, 
unter  der  speciellsten  Aufsicht  des  Hohenpriesters  (Aharon-Eleazar) 


Numeri  1—10.  177 

selber  v.  4 — 20;  die  Gersoniten  das  Zeug  der  Hütte  und  des 
Hofes,  unter  der  Aufsicht  Ithamars  y.  21 — 28;  die  Merariten 
die  Holzgerüste,  ebenfalls  unter  der  Aufsicht  Ithamars  v.  29 — 33 
—  die  ersten  zählen  2750  Mann  im  dienstpflichtigen  Alter  von  30 
bis  50  Jahren,  die  zweiten  2630,  die  diitten  3200,  alle  zusammen 
8580  Mann  v.  34—49.  Nach  3,  14—39  (an  Mose  in  der  Wüste  449 
Sinai)  hat  es  Gerson  zu  tun  mit  dem  Zeuge,  Kehath  mit  den 
heiligsten  Geräten,  Merari  mit  dem  Holzwerk  des  Tabernakels; 
der  erste  zählt  7500  Mitglieder  männlichen  Geschlechts,  von  1  Monat 
alten  an  gerechnet,  der  zweite  8  300,  der  dritte  6200,  insgesamt 
22000  Mifglieder.  Es  steht  noch  allerlei  anderes  in  3,  14 — 39, 
aber  zugleich  der  ganze  Inhalt  von  Kap.  4  in  vollständiger  Analogie. 
Die  Verteilung  des  Dienstes  an  die  drei  Levitengeschlechter  ist 
beideroiis  materiell  ganz  gleich  —  so  sein-,  dass  die  Spannseile 
nach  dem  Muster  von  3,  26.  37  auch  in  4,  26.  32  sowol  Gerson 
als  Merari  zugewiesen  werden;  nur  ist  die  Ausführung  4,  1 — 33 
weitläufiger,  kleinlicher,  systematischer.  Bei  der  Musterung  werden 
in  Kap.  3  sämtliche  männliche  Leviten,  dagegen  in  Kap.  4  nur 
die  dienstpflichtigen  in  Anschlag  gebracht.  Um  diesen  Unterschied 
noch  anzubringen  hätte  aber  doch  der  originale  Autor  nicht  auch 
den  Dienst  in  der  grössten  Ausfühi-lichkeit  wiederholt.  Vielmehr 
ist  Kap.  4  eine  secundäre  und  fortentwickelnde  Ausführung  auf 
Grund  von  3,  14 — 39,  die  Unterschiede  sind  Korrekturen.  Die 
Zählung  der  Leviten  wird  bloss  aus  dem  Grunde  auf  das  dienst- 
pflichtige Alter  besclu'änkt,  um  eine  vollständige  Analogie  mit  der 
Zählung  des  Kriegsvolkes  Kap.  1.  2  zu  erhalten,  wie  denn  sogar 
der  Ausdi'uck  ND.lib  is*lL  4,  3.  35.  39.  43  von  dort  herüber  genommen 
wird.  Gegen  die  in  Kap.  3  eingehaltene  natüi4iche  Ordnung  wird 
Kehath  vorangestellt,  weil  Aharon  dazu  gehört;  bis  zur  Absurdität 
werden  die  Vorsichtsmassregeln  übertrieben,  dass  die  unglücklichen 
(4,  18)  Leviten  ja  nicht  etwa  mit  dem  Heiligen  in  direkte  Berührung 
kommen,  und  zu  dem  Ende  Bundeslade,  Tisch,  Leuchter,  Altäre 
von  Aharon  und  seinen  Söhnen  eigenhändig  eingewickelt  —  wobei 
die  Freihaltung  der  Ringe  für  die  Tragstangen  einige  Schwierigkeiten 
verursachen  musste. 

Zu  3,  14—39  ist  V.  40—51  der  richtige  Schluss.  An  Stelle 
des  (dadurch  abgelösten)  Opfers  aller  männlichen  Erstgeborenen 
wird  der  Stamm  Levi  dem  Heiligtum  und  den  Priestern  als  Abgabe 
von  Seiten  des  Volkes  dargebracht.     Vergleicht  man  nun  3,  5 — 13, 

Wellhau sen,    Comp.   d.   Hexateuchs.   3.    Aufl.  12 


178  I^ie  Gesetzgebung. 

SO  spielt  das  Yerhältnis,  welches  wir  zwischen  3,  14  ss.  und  Kap.  4 
gefunden  haben,  noch  einmal  zwischen  3,  5 — 13  und  3,  14 — 51. 
Das  erste  Stück  ist  die  Grundlage,  das  zweite  die  künstliche 
systematische  Ausarbeitung;  vergleiche  v.  10  mit  38,  v.  12  mit  41. 
Man  beachte :  v.  5  ss.  und  v.  14  ss.  verhalten  sich  nicht  einfach 
wie  Befehl  und  Vollzug,  sondern  beidemale  befiehlt  Jahve  und 
450  zwar  ganz  das  selbe  (v.  14  s.  40  ss.).  Aber  während  in  v.  5 — 13 
nur  eben  die  Idee  in  schicklicher  Allgemeinheit  ausgesprochen 
wird,  der  Stamm  Levi  solle  dem  Heiligtum  geschenkt  und  als 
Lösung  des  Opfers  der  Erstgeburt  angesehen  werden,  folgt  in  v.  14  ss. 
die  rechnungsmässige  Realisation  derselben  in  der  Weise,  dass  sämt- 
liche Leviten  und  sämtliche  Erstgeborene  männlichen  Geschlechtes 
(von  1  Monat  alten  an)  nachgezählt,  verglichen  und  füi'  den  Über- 
schuss  der  letzteren  auf  den  Kopf  fünf  Sekel  (18,  16)  Lösegeld 
nachbezahlt  werden.  Eine  Steigerung  dieser  ideenlosen  Phantasterei 
sollte  man  nicht  für  möglich  halten,  sie  ist  aber  dennoch  in  8,  5 — 26 
geleistet.  Es  wird  hier  zuerst  die  Reinigung  der  Leviten  befohlen, 
mehr  nach  den  Muster  der  Aussätzigen-  als  der  Priesterweihe,  so- 
dann ihre  Schwingung.  Da  sie  nämlich  an  die  Stelle  der  Erst- 
geborenen treten,  welche  Qodaschim  sind  (d.  h.  Abgaben,  die  nicht 
auf  den  Altar  gelangen,  sondern  den  Priestern  abgetreten  werden), 
so  wird  auch  der  charakteristische  Ritus  dieser  Art  von  Abgaben 
mit  ihnen  vorgenommen,  nämlich  das  scheinbare  Werfen  auf  den 
Altar,  die  Thenupha  —  nach  v.  13  von  Mose,  nach  v.  21  von 
Aharon.  In  einer  so  frivolen  Weise  ist  die  einfache  Idee  3,  5 — 13 
hier  auf  Grund  gesetzlicher  Vorstellungen  mechanisch  vergeschicht- 
licht,  noch  einen  Scliiitt  über  3,  14 — 51  hinaus  ^).  Für  den  Process 
des  Wachstums,  wodurch  die  Grundsclnift  Q,  mittels  consequenter 
Fortbildung;  und  Ausreckung  ihrer  eigenen  Elemente,  und  auf  dem 


1)  Für  die  Scheidung  der  sekundären  und  tertiären  Schichten  des  Priester- 
codex von  den  primären  habe  ich  hier  auf  diejenigen  Merkmale,  welche  die 
Untersuchung  von  Exod.  25 — 40  an  die  Hand  gegeben  hat,  mit  Absicht  ver- 
zichtet, um  nicht  zu  viel  auf  eine  Karte  zu  setzen.  Eines  anderen  höchst 
wertvollen  Kriteriums  dagegen,  nämlich  der  verschiedenen  Übersetzungsweisen 
der  Septuaginta  bediene  ich  mich  bloss  deshalb  nicht,  weil  mich  die  genauere 
Untersuchung  derselben  und  die  Sonderung  der  verschiedenen  Hände  zu  weit 
führen  würde.  —  Auf  den  Widerspruch  8,  23 — 25  zu  4,  3  ss.  aufmerksam 
zu  machen,  bin  ich  durch  die  glückliche  und  übereinstimmende  Beobachtung 
desselben  von  Seiten  meiner  Vorgänger  überhoben.  Vgl.  1.  Chron  23,  3. 
24.  26. 


Numeri  1—10.  179 

Boden  in  dem  sie  selbst  wurzelte,  zum  Priestercodex  sich  erweitert 
hat  sind  diese  Kapitel  in  hohem  Grade  lehrreich. 

Kap.  7  hängt  sachlich  eng  mit  Kap.  1 — 4  zusammen  und 
davon  ab,  fällt  aber  durch  die  Angaben  7,  1.  10.  84.  88s.  aus  dem 
chronologischen  Faden  (1,  1)  so  gänzlich  heraus,  dass  die  Unver- 
träglichkeit zwischen  Pragmatismus  und  Datum  unbedingt  die  Posthu- 
mität  des  Stückes  beweist,  welches  im  allgemeinen  nach  dem 
selben  Schema  fabricii-t  ist  wie  1,  20 — 43.  Auch  hier  zeigt  sich  451 
übrigens  vielfach  ein  weiteres  Ausspinnen  einfacherer  Vorstellungen, 
z.  B.  darin,  dass  den  Gersoniten  und  Merariten  füi*  den  Transport 
der  Stiftshütte  sechs  Wagen  mit  zwölf  Rindern  geliefert  werden, 
wähi'end  sie  die  zerlegbaren  Teile  derselben  sonst  einfach  tragen 
(4,  25.  31).  —  Die  di-ei  Stücke  9,  15 — 10,  28  mögen  zu  dem 
ursprünglichen  Kern  von  Q  gehören,  im  dritten  (10,  11 — 28)  lenkt 
diese  Schrift  wieder  in  die  eigentliche  Erzählung  ein.  Aber  die 
Geschichte  von  der  Rotte  Korah  (s.  oben  p.  105  ss.)  gab  einen 
passenden  Anlass,  auf  die  Leviten  und  Priester  zurückzukommen, 
ein  Anlass,  welcher  in  Kap.  17.  18  (Q)  benutzt  worden  ist.  Zuerst 
17,  1 — 5  der  Befehl,  den  Altar  mit  dem  Erz  der  Pfannen,  worauf 
sich  die  sacrilegischen  Leviten  zu  räuchern  unterfangen  hatten,  zu 
überziehen,  zum  warnenden  Andenken  an  den  tragischen  Ausgang 
ilner  Anmassung;  man  wii'd  an  die  Haut  des  ungerechten  Satrapen 
erinnert,  womit  der  Perserkönig  den  Richtstuhl  überziehen  Hess. 
Dann  17,  6 — 15  die  Bestrafung  der  Teilnahme  des  Volkes  füi'  die 
getöteten  Leviten  durch  die  Pest  und  die  Beseitigung  der  Plage 
durch  das  rechtmässige  hohepriesterliche  Räucheropfer:  die  Hervor- 
hebung der  Kraft  und  Bedeutung  des  letzteren  ist  in  diesem  Zu- 
sammenhange (nach  Kap.  16)  die  Hauptsache  und  die  eigentliche 
Pointe.  Weiter  17,  16 — 26  die  Geschichte  von  Aharons  grünendem 
Stabe.  Es  handelt  sich  darum,  nicht  gegen  die  Leviten,  sondern 
gegen  das  murrende  Volk  die  göttliche  Prärogative  Aharons  darzutun 
(s.  V.  20.  25),  und  insofern  erklärt  es  sich,  dass  den  elf  Mattoth 
(=  Stäbe  und  Stämme)  der  Laien  gegenüber  Aharon  durch  den 
Matte  (=  Stab  und  Stamm)  Levis  vertreten  wird.  Aber  die  jetzige 
Version,  die  von  Q,  führt  doch  beinahe  mit  Notwendigkeit  auf 
eine  ältere  und  ursprüngliche  zurück,  worin  in  der  Tat  nicht  bloss 
Aharon,  sondern  der  ganze  Stamm  Levi  auf  diese  Weise  sein 
Priesterrecht  gegenüber  den  elf  übrigen  Stämmen  bewiesen  hat; 
die  Natur  der  Sache,   die   innere  Anlage  dieser  Geschichte  fordert 

12* 


;lgO  I^iß  Gesetzgebung. 

das.  —  Das  folgende  Kapitel  fängt  an  mit  17,  27.  28  und  der 
erste  Absatz  (18,  1  zu  Aliaron)  erstreckt  sich  bis  18,  7.  Hier 
wird  in  Anlass  der  berechtigten  Angst  des  Volkes  vor  dem  Heilig- 
tum und  der  Gefahr  seiner  Berührung  eingeschärft,  nur  die  Aha- 
roniden  sollten  die  „Schuld"  (Verantwortung  und  Gefahi*)  des 
Heiligtums  und  des  Priestertums  tragen,  und  ihre  Brüder,  die 
Leviten,  sollten  sich  als  ihre  und  des  Zeltes  Wärter  ihnen  anschliessen, 
aber  nicht  mit  dem  Altar  und  dem  inneren  Tempel  (Qodesch)  in 
452  Berührung  kommen.  Der  zweite  Absatz  v.  8 — 20  (18,  8  an  Aharon) 
handelt  von  den  Einkünften  der  Priester.  Landesanteil  bekommen 
sie  nicht  v.  20,  dafür  aber  die  geweihten  Abgaben  v.  8,  indem  sie 
gewissermassen  Mahl-  und  Bundesgenossen  (rhu  n'i'IÜ  v.  19)  Gottes 
sind  und  darum  auch  die  heiligsten  Abgaben  vor  ihm  verzehren 
müssen.  Zu  den  Therumoth  gehören  1)  die  Qodsche  Qodaschim, 
die  von  den  Männern  im  Heiligtum  zu  verzehren  sind.  Speis-,  Sünd- 
und  Schuldopfer,  2)  die  Thenuphoth,  die  alle  reinen  Familien- 
glieder essen  dürfen,  das  sind  die  Aparchen.  Obwol  r^it^'N*!  das 
Beste  (nur  in  Q  und  im  spätesten  Hebräisch  der  Anfang)  und 
□'•IIDIl  das  Früheste  heisst,  so  scheint  doch  v.  12.  13  zwischen 
beiden  nicht  der  Unterschied  gemacht  zu  werden,  den  die  Halacha 
schon  bei  Philo  und  Josephus  (Sept.  diza^yai  und  TCpduxo-j'svvTjfiaTa?) 
macht,  um  des  Guten  lieber  zu  viel  als  zu  wenig  zu  tun.  Mit 
den  Thenuphoth  wird  v.  14  der  Oberem  gleichgesetzt,  ebenso  mit 
Recht  V.  15 — 18  die  Erstgeburten,  die  hier  trotz  der  scheinbar 
ein-  für  allemal  giltigen  Lösung  3,  5 — 13  doch  auch  wieder  von 
den  Menschen  gefordert  werden.  Nur  ganz  beiläufig  ist  v.  18  noch 
von  der  Webebrust  und  rechten  Keule  die  Rede.  Der  dritte  Ab- 
satz (v.  25  an  Mose)  handelt  von  den  Einkünften  der  Leviten, 
die  auch  kein  Landerbe  bekommen  v.  24,  dafür  aber  den  Zehnten 
V.  21 — 24'),  von  dem  sie  aber  ihrerseits  wiederum  den  Zehnten 
als  eine  den  Aparchen  der  Laien  entsprechende  Abgabe  dem  Priester 
bezahlen  müssen  V.  25 — 32.  —  Bemerkenswert  sind  18,  20.  23.  24. 
17,  25.  18,  23  die  Anklänge  an  das  Deuteronomium  und  besonders 
an  Ezechiel.  Der  Ausdruck  ^112^  ''in,  womit  17,  25  die  Israeliten  be- 
zeichnet werden,  ist  keineswegs  gewöhnliche  hebräische  Prosa  und 
erinnert  sofort  an  Ezech.  2,  5.  7.  8.   6,  3.  9.  26.  27.  12,  2.  3.  9. 


^)  Der  Zehnte   schlechthin  ist  nach   dem  Deuteronomium   der  vom  Felde 
und  nicht  vom  Vieh. 


Numeri  26—36.  131 

17,  12.  24,  3.  44,  6.     Noch  auffallender  ist  die  Ähnlichkeit  zwischen 

18,  23  ü:)V  INt^"»  cn  und  Ezech.  44,  10  n:)V  \N*iiOV  Beidemale  ist 
damit  die  selbe  Sache  gemeint,  aber  nur  im  Ezechiel  versteht  man 
die  Berechtigung  des  Ausdrucks:  die  Leviten,  d.  i.  die  Priester 
der  abgeschafften  Bamoth,  haben  sich  am  Dienst  der  Bamoth  be- 
teiligt und  sollen  zur  Strafe  dieser  ihrer  Schuld  zu  Tempel- 
dienern der  jerusalemischen  Priester  degradirt  werden  und  an  die 
Stelle  der  bisherigen  heidnischen  Tempelsklaven  treten.  An  gegen- 
seitige Unabhängigkeit  der  Stellen  kann  also  nicht  gedacht  werden, 
auch  darum  nicht,  weil  Num.  18,  22  zu  v.  23  sich  genau  so  ver-  453 
hält  wie  Ezech.  44,  9  zu  v:  10  —  nur  werden  Num.  18  die  Leviten 
bestellt,  weil  keine  Israeliten,  Ezech.  44  aber,  weil  keine 
Heiden  in  den  eigentlichen  Tempel  sich  nahen  sollen. 

2.  Mit  Num.  20  macht  Israel  sich  auf  den  Weg  zu  den  Arboth 
Moab  (22,  1),  wo  der  letzte  Akt')  der  Gesetzgebung  des  Priester- 
codex Num.  26  SS.  spielt,  vgl.  26,  3.  63.  33,  50.  35,  1.  36,  13. 
Zu  dem  schon  oben  p.  112ss.  Erörterten  trage  ich  hier  noch 
einige  wenige  Bemerkungen  nach.  Absehend  von  den  zu  der  histo- 
rischen Situation  nicht  in  Beziehung  stehenden  Stücken  Num.  28 
bis  30  und  33,  1—49  habe  ich  a.  0.  zu  zeigen  gesucht,  dass  der 
Faden  von  Q  sich  darstelle  in  Kap.  26.  27.  32  (JE  abgereclmet). 
33,  50 — 36,  13  (über  33,  50 — 56  s.  p.  115),  dass  dagegen  Kap.  31 
secundär  sei.  Über  Num.  28 — 30  kann  ich  nicht  anders  urteilen, 
als  über  die  in  der  ersten  Hälfte  unseres  Buches  eingestreuten 
Gesetze.  Die  Zugehörigkeit  des  Lagerverzeichnisses  33,  1 — 49  zu 
Q  wüi'de  ich,  obwol  ich  es  redlicher  Weise  nicht  kann,  doch  aus 
dem  Grunde  gerne  zugeben,  weil  dadurch  die  Posteriorität  dieser 
Schrift  im  Vergleich  zu  JE  klar  hervorginge;  denn  dass  hier  neben 
Q  jew eilen  auch  JE  benutzt  wird,  hat  Kayser,  wenigstens  für  eine 
Reihe  von  Fällen^),  constatirt.  Er  hält  das  Stück  übrigens  für 
ein  systematisches  Elaborat  „des  Sammlers  oder  eines  noch  Späteren" 
und  macht  es  wahrscheinlich,  dass  ursprünglich  40  Stationen  für 
die  40  Jahre  des  Wüstenzuges  angenommen  wurden.  Zu  seiner 
Widerlegung  sagt  Nöldeke,  Jahrbb.  für  prot.  Theol.  I  347 :   „Ähnlich 


^)  Der  Stiftshüttenkultiis  (Exodus,  Leviticus)  ist  auf  dem  Berge  Sinai 
geoifenbart,  die  Gesetze  Num.  1 — 19  in  der  Stiftshütte  in  der  Wüste 
Sinai.  Der  Unterschied  ist  jetzt  freilich  verwischt,  doch  tritt  das  Bewusstsein 
desselben  z.  B.  Num.  3,  1  gegen  3,  4  hervor. 

2)  Exod.  15,  22  s,  27.  Num.  11,  34  s,  21,  10  s. 


182  I^i^  Gesetz gebimg. 

wie  die  Genealogien  bilden  auch  die  Angaben  über  die  Stationen 
in  der  Wüste  ein  geschlossenes  System.  Das  Hauptverzeichnis 
Num.  33  weist  auch  Kayser  der  Grundschi'ift  (Q)  zu;  dagegen  will 
er  ihr  einige  der  zu  dieser  stimmenden,  im  Ausdruck  ganz  con- 
stanten  Einzelangaben  über  die  Züge  absprechen.  Er  hätte  ebenso 
gut  auch  die  fingirte  chronologische  Kette  der  Grundschrift  einiger 
Glieder  berauben  können."  Die  Yorstellung,  die  sich  Nöldeke  von 
Kaysers  Ansicht  macht,  ist  damit  vielleicht  treffend  Aviderleg-t, 
aber  sie  beruht  auf  mangelhafter  Information.  Kayser  sagt  auf 
454  p.  97  SS.  so  ziemlich  das  Gegenteil  von  dem,  was  Nöldeke  gelesen 
zu  haben  scheint.  —  Ausserdem  bleibt  nur  noch  übrig,  ein  paar 
Fragen  zu  beantworten,  welche  sich  über  das  Verhältnis  von  Kap.  26 
zu  der  und  jener  Parallele  aufdrängen. 

Zunächst  werden  in  diesem  Kapitel  die  Leviten  anders  auf- 
gezählt und  gruppirt  wie  an  zwei  anderen  Stellen  des  Priestercodex. 
In  Num.  26  wird  zwar  zuerst  v.  57  die  gewöhnliche  Dreiteilung 
Levis  gegeben:  Gerson,  Kehath,  Merari,  dann  aber  eine  der- 
selben .  beziehungslos  coordinirte,  ganz  selbständige  Sechsteilung, 
worin  Kehath  no ch  einmal  vorkommt :  Libni,  Hebroni,  Machli, 
Muschi^),  Kor  ah,  Kehath  (=  Amram);  von  dem  letzten  Ge- 
schlecht werden  die  Aharoniden  abgeleitet.  In  Num.  3,  14 ss.  be- 
herrscht die  vorangestellte  Dreiteilung  auch  wii'klich  den  folgenden 
Stoff:  Gerson  =  Libni  und  Schimi;  Kehath  =  Amram,  Izhar, 
Hebron,  Uzziel;  Merari  =  Machli  und  Muschi.  Damit  stimmt 
Exod.  6,  16s.  genau  überein,  nur  dass  hier  (v.  21.  22)  hinzugefügt 
wird:  Izhar  =  Korah,  Nepheg,  Zikri;  üzziel  =  Mischael 
Elsaphan,  Sitri.  Obwol  die  Materialien  von  Num.  26  auf  der 
einen,  von  Exod.  6.  Num.  3  auf  der  anderen  Seite  zum  grossen 
Teil  sich  decken,  so  ist  doch  nicht  anzunehmen,  sie  seien  von  der 
selben  Hand  und  in  dem  selben  Buche  bald  so  bald  so  geordnet. 
Peine  Willkür  ist  es  nicht  ob  man  z.  B.  Korah  direkt  oder  durch 
zwei  Mittelglieder  von  Levi  ableitet,    vielmehr  spricht  sich  darin 


^)  Wie  Sichemi  26,  31  von  Sichern,  so  sind  oifenbar  Libni  und  Hebroni 
von  den  jüdischen  Städten  Libna  Lind  Hebron  abgeleitet,  Muschi  dagegen  regel- 
recht von  Mose.  Die  Gentilformen  auf  i  sind  zum  Teil  in  ihrer  Anwendung 
auf  die  Leviten  die  ursprünglichen,  erst  später  wurden  die  hebronitischen 
Leviten  einfach  Hebron  genannt.  So  wird  auch  Korchi  ursprünglicher  sein 
als  Korah,  Korah  war  ein  judäisches  Geschlecht  und  dessen  Leviten  Messen 
die  korahitischen  Leviten. 


Numeri  26—36.  183 

ein  differentes  Urteil  über  seine  Bedeutung  aus.  Wir  haben  nun 
bereits  Exod.  6,  13 — 28  und  Num.  3,  14 ss.  als  secundäre  Erweite- 
rungen von  Q  beurteilt  und  entscheiden  uns  mithin  füi'  die  Ur- 
sprünglichkeit von  Num.  26,  57 — 62,  für  welche  auch  die  unent- 
wickelte Einfachheit  der  Genealogie  spricht.  —  Auch  der  Vergleich 
von  Num.  26  mit  Gen.  46,  8 — 27  fällt  zu  Gunsten  des  ersteren 
Stückes  aus.  Nach  der  Weise  späterer  Zeit  ist  der  Verfasser  von 
Gen.  46,  8ss.  beflissen,  die  70  Seelen,  welche  nach  alter  Tradition 
den  ursprünglichen  Bestand  Israels  in  Ägypten  ausmachen,  einzeln 
und  mit  Namen  nachzuweisen  und  sich  dabei  einigermassen  in  den 
Grenzen  der  Möglichkeit  zu  halten;  darum  tut  er  zu  dem,  was  er  455 
JN^um.  26  vorfand,  einiges  zu,  einiges  davon  ab  und  modificirt  an- 
deres, macht  z.  B.  Benjamins  Enkel  in  vermehi'ter  Anzahl  zu  Söhnen 
und  schweigt  von  Josephs  Enkeln,  welche  er  nicht  wol  zu  Söhnen 
machen  konnte.  —  Am  schwierigsten  ist  es,  sich  das  Verhältnis  von 
Num.  26  und  Num.  1.  2  zurecht  zu  legen.  Zwar  dass  die  Israe- 
liten zweimal  gezählt  werden,  einmal  zu  Anfang  und  einmal  am 
Ende  des  40jährigen  Wüstenzuges,  ist  ganz  in  der  Ordnung,  zumal 
das  zweite  Mal  der  Zweck  ist,  die  Zahl  und  Grösse  der  Geschlechter 
festzustellen,  um  daran  einen  Massstab  füi'  die  richtige  Verteilung 
des  Landes  zu  haben  (26,  52 ss.).  Jedoch  sehr  sonderbar  ist  es, 
dass  bei  der  zweiten  Zählung  auf  die  erste  gaT  keine  Rücksicht 
genommen  wird.  Jahve  hätte  doch  v.  2  wenigstens  sagen  sollen: 
)^W  )'2.W,  und  demgemäss  v.  3  füi*  lüb^b  •  •  •  -imil  stehn  sollen 
n^:i^'  ....  "i3t)''V  Aber  nicht  die  leiseste  Andeutung,  dass  es  sich 
um  Wiederholung  einer  schon  früher  einmal  geschehenen  Sache 
handelt!  Erst  zum  Schluss  heisst  es:  „dies  sind  die  von  Mose  und 
Eleazar  in  den  Arboth  Moab  gemusterten  Israeliten,  und  darunter 
befand  sich  keiner  der  von  Mose  und  Aharon  in  der  Wüste  Sinai 
gemusterten,  denn  nach  dem  Worte  Jahves  waren  sie  alle  in  der 
Wüste  gestorben  undnurKaleb  und  Josua  übrig  geblieben."  Aber 
das  steht  leider  nicht  im  Einklang  mit  v.  4.  5,  wo  es  heisst:  „Mose 
und  Eleazar  zählten  sie  in  den  Arboth  Moab,  von  20  Jahr  alt,  wie 
Jahve  befahl;  und  die  Kinder  Israel,  die  aus  Ägyptenland  aus- 
gezogen waren,  sind:  Rüben  u.  s.  w."  Wenn  auch  hier  C'HliC "ND"\1 
nicht  auf  die  einzelnen  damals  lebenden  Israeliten  sich  bezieht,  so 
würde  doch  nicht  so  gesagt  sein,  wenn  Nachdruck  darauf  liegen 
sollte,  dass  unter  den  Gemusterten  sich  keiner  von  den  aus  Ägypten 
Ausgewanderten  befunden  hätte.    Andererseits  ist  weder  Kap.  26  noch 


;j^34  I^iß  Gesetzgebimg. 

auch  Kap.  1.  2  für  Q  zu  entbehren  und  die  Anordnung  der  einzelnen 
Stämme  Kap.  26  scheint  in  der  Tat  von  der  Lagerordnung  Kap.  2  abhängig 
zu  sein.    Ich  überlasse  anderen  die  Lösung  dieser  Schwierigkeiten. 

Mit  der  Untersuchung  des  Priestercodex  sind  wir  zu  Ende. 
Wir  haben  gesehen,  sein  Kern  ist  Q,  aber  dieser  Kern  hat  sich 
vielfach  erweitert,  gewissermassen  in  organischer  aber  hypertro- 
phischer Weise,  sofern  die  Erweiterungen  überall  an  den  Kern 
anknüpfen  und  dorther  ihre  Tendenzen,  Vorstellungen,  Formeln  und 
Manieren  haben.  Es  ist  der  gleiche  Boden  des  Zeitalters  und  der 
456  Kreise,  woraus  Q  und  die  secundären  oder  tertiären  Nachwüchse 
hervorgegangen  sind.  Ich  füge  hinzu,  dass  Q  auch  im  erzählenden 
Teile  überarbeitet  worden  ist,  beschränke  mich  aber  hier  darauf, 
dies  an  Gen.  1  nachzuweisen. 

Die  Varianten  der  Sept.  zu  Gen.  1  beurteilt  man  am  besten 
nach  Ilgens  Emendationen,  die  sich  grösstenteils  nach  jenen  rich- 
ten, aber  konsequenter  sind.  Hgen  setzt  das  kurze  p  "'H^l  überall 
hinter  jeden  Befehl,  nicht  nurv.  9.  11.  15.  24  (MT),  sondern  auch 
V.  6.  20  (Sept.)  und  v.  26,  wälirend  er  es  v.  7  (nach  Sept.)  und 
V.  30  streicht.  Da  ferner  gewöhnlich  nach  p  \"1''1  trotzdem  der 
ausgefühiie  Bericht  folgt,  so  restituirt  er  ihn  auch  in  v.  9,  nach 
Sept.  Desgleichen  stellt  er  v.  14.  15,  nach  Anleitung  wenigstens 
der  Sept.,  die  vollkommene  Gleichförmigkeit  her,  indem  er  die  aus 
V.  15  entnommenen  Worte  |nNn~7y  "l\SP,b  zwischen  CDl^n  und 
b"'"innb  V.  14  einsetzt  und  den  Rest  des  v.  15,  bis  auf  ]D  \"1^1, 
streicht.  Aber  wenn  auch  Ilgen  mit  einzelnen  Emendationen  im 
Recht  ist,  so  ist  doch  eine  so  konsequente  Conformität  nicht  [das 
Princip  des  ursprünglichen  Textes.  In  v.  14 — 19  werden  die  Namen 
Sonne  und  Mond  so  auffällig  vermieden,  dass  man  unwillküidich 
denkt,  es  geschehe  darum,  weil  die  Benennung  erst  hinterher  durch 
Gott  gegeben  werden  soll.  Aber  diese  folgt  nicht  und  wer  hätte 
den  Mut,  sie  nachzutragen!  Also  die  Varianten  der  Sept.  beruhen 
auf  systematischer  Überarbeitung.  Diese  aber  ist  bereits  in  der 
hebräischen  Vorlage  vorgenommen,  wie  der  auf  xö  üöwp  (hebräisch 
Plural)  bezügliche  Plural  auxÄv  in  v.  9  klar  beweist.  Und  aus 
einer  Spur  lässt  sich  erkennen,  dass  die  Conformirung  auch  in  den 
MT  einzuschleichen  drohte;  denn  das  p  \"T'1  v.  7  muss  ursprüng- 
lich als  Randglosse  zu  v.  6  bestimmt  und  dann  an  falscher  Stelle 
recipirt  worden  sein.  Vielleicht  ist  auch  in  v.  30  ein  zu  v.  26 
bestimmtes  p  TT'l  geraten. 


Der  Priestercodex.  135 

Eine  andere  und  ältere  Überarbeitung  ist  auch  im  MT  durch- 
gedrungen. Die  von  Gabler  und  Ziegler  und  besonders  von  Ilgen 
erhobenen  Bedenken  gegen  die  Originalität  der  Einteilung  der 
Schöpfung  in  sechs  Tagewerke  sind  gegründet.  Sie  giebt  zwar  der 
Darstellung  Halt  und  ist  von  unleugbarer  ästhetischer  Wirkung, 
verträgt  sich  jedoch  nicht  mit  der  angelegten  jN^atur  des  Stoffes. 
Denn  1)  wird  dadurch  das  zusammengehörige  Scheidungswerk  der 
Wasser  v.  6 — 10  zerrissen  und  dagegen  werden  zwei  nicht  zusammen- 
gehörige Werke  und  zwei  Billigungsformeln  auf  den  dritten  und 
sechsten  Tag  vereinigt;  2)  tritt  der  Wechsel  von  Tag  und  Nacht  457 
ein,  bevor  die  Vorsteher  desselben  v.  14  ss.,  nämlich  Sonne,  Mond 
und  Sterne,  vorhanden  sind.  Zwar  ist  Licht  und  Finsternis  auch 
nach  dem  Original  das  erste  Werk,  und  Licht  nennt  Gott  Tag, 
Finsternis  Nacht,  aber  erst  durch  die  Tagerechnung  entsteht  daraus 
eine  empfindliche  Schwierigkeit:  ohne  diese  sind  Licht  und  Finsternis 
nur  überhaupt  existirende  Wesen,  der  regelmässige  Wechsel  aber 
wird  erst  durch  die  Gestirne,  die  sie  aus  ihren  Kammern  rufen, 
eingeleitet.  3)  H^l^'N**!!!  1,  1  collidirt  mit  dem  ersten  Tag  und 
auch  der  Inhalt  von  v.  2  passt  nicht  in  den  Rahmen  desselben-^). 
M.  E.  ist  dies  Bedenken  entscheidend. 

Mit  dem  Fachwerk  der  sechs  Tage  streicht  nun  Ilgen  auch  2, 
2.  3  und  gewinnt  mit  2,  1  einen  passenden  Schluss.  An  dieser 
Kritik  wird  uns  Exod.  20,  11.  31,  17  nicht  irre  machen,  aber  wenn 


^)  „Im  Anfange  schuf"  —  vor  dem  ersten  Tag?  „Und  die  Erde  war 
wüste"  —  das  dauert  längere  Zeit,  liegt  Yor  dem  ersten  Tag  und  ist  doch  im 
Anfange.  Man  könnte  hiergegen  seine  Zuflucht  zur  Konstruktion  Raschis 
nehmen,  aber  sie  ist  nicht  probabel.  Die  Schöpfung  des  seiner  Natur  nach 
ewigen  Chaos  ist  widerspruchsvoll,  ja  wol  —  aber  hebraisirtes  Heidentum. 
Himmel  und  Erde  bedeutet  sonst  nicht  das  Chaos,  sondern  den  Kosmos,  aber 
wie  sollten  die  Hebräer  das  Chaos  nennen?  potentielle  Welt?  vielmehr,  da 
sie  potentiell  nicht  hatten,  einfach  Welt:  für  Abwehr  jeglichen  Misverständ- 
nisses  sorgt  ja  die  Beschreibung  v.  2.  Ganz  verfehlt  sind  die  grammatischen 
Bedenken  gegen  die  absolute  Auffassung  des  Status  constr.  D^li'i^li-  Die  jü- 
dische Tradition  verstand  ^v  dp^^iß  Ixtigsv  %tX.  ,  es  stand  ihr  frei  baresith  zu 
sprechen,  sie  sprach  aber  bresith,  s.  Hieron.  Quaest.  zu  1,  1.  Will  man  auch 
im  Syrischen  die  Adverbia  in  der  Eorm  des  Status  constr.  corrigiren  und  z.  B. 
sagen  ^^^^ti^X*^^  statt  H^li^NI^?  Das  Aramäische  herbeizuziehen  hat  man 
um  so  mehr  Recht,  da  n"'t^'N'1  im  älteren  Hebräischen  nicht  den  Anfang, 
sondern  den  ersten,  besten  Teil  bedeutet  und  Gen.  1  noch  manche  andere  Spuren 
späterer  Sprache  und  aramäischer  Einflüsse  aufweist,  z.  B.  5<1^,  ])^p^i  ]''D, 
trn^,  HTin  WZ:,  "»^^nt^n  0^\  aS  statt  des  Yerbalsuffixes. 


186  Die  Gesetzgebimg. 

man  auf  die  innere  Brücliigkeit  von  2,  2  achtet,  so  ergiebt  sich 
eine  andere  Lösung.  Es  ist  ein  unzweifelhafter  Widerspruch,  wenn 
es  V.  2a  heisst:  er  machte  die  Arbeit  am  7.  Tage  fertigt)  —  und 
V.  2b:  er  feierte  am  7.  Tage  von  der  Arbeit.  Handgreiflich  ist 
V.  2b  das  Spätere,  aus  einem  sehr  deutlichen  Motiv  nachgetragen. 
Mit  V.  2b  fällt  nun  aber  auch  v.  3  a,  und  es  bleibt  v.  1 — 3:  „also 
458  wurden  Himmel  und  Erde  und  all  ihr  Heer  vollendet  und  Gott 
vollendete  sein  Werk,  das  er  machte,  am  7.  Tage  und  Gott  segnete 
den  7.  Tag  und  heiligte  ihn." 

Das  ist  auch  eine  Schöpfung  in  Tagen,  aber  nicht  in  sechs, 
sondern  in  sieben,  und  es  ist  etwas  anderes,  wenn  nur  am  Scliluss 
bemerkt  wird,  die  Schöpfung  sei  in  sieben  Tagen  fertig  geworden, 
als  wenn  das  nun  im  Einzelnen  von  vornherein  durchgeführt  wird: 
dabei  kommen  jene  l^nzuträgiichkeiten  nicht  vor  oder  doch  nicht 
zur  Empfindung.  Vor  Hgen  aber  haben  wir  den  Vorteil,  dass  der 
Anlass  und  das  Motiv  der  Eintragung  der  sechs  Tage  nun  deutlich 
erhellt.  Suchen  wir  nach  Andeutungen,  um  die  Schöpfung  in  sieben 
Akte  zu  zerlegen,  so  reden  die  sieben  Billigungeformeln  "^s  ^<"T'^ 
D-ltO  ""D  deutlich  genug.  Darnach  ist  der  Mensch  am  Sabbath  ge- 
schaffen, die  Yierfüssler  am  6.,  Fische  imd  Vögel  am  5.,  die  Ge- 
stirne am  4.,  die  Pflanzen  am  3.,  die  Scheidung  des  Wassers  (v.  6 — 10) 
am  2.,  die  des  Lichtes  und  der  Finsternis  am  1.  Tage.  Vgl.  Raschi 
zu  1,  7. 

Das  Buch  des  Gesetzes.     Deut.  1—31. 

Dass  diese  Schrift  von  einem  anderen  Verfasser  herrührt  als 
der  übrige  Pentateuch,  hat  schon  Vater  ^)  zur  Anerkennung  gebracht. 
Fraglich  ist  1)  ob  und  wie  ein  Urdeuteronomium  ausgeschieden 
werden  muss,  2)  ob  das  Deuteronomium  mit  JE  oder  mit  dem 
Pentateuch  (JE  +  Q)  verbunden  worden  ist. 

1.  Das  Deuteronomium  ist  ursprünglich  selbständig  als  eigene 
Schrift   herausgegeben   und    erst   hernach    einem  grösseren  Ganzen 


^)  Naiv  Sept.:  am  6.  Tage.  Je  näher  man  zusieht,  je  glänzender  bewährt 
sich  hier  die  relative  Reinheit  des  MT  nicht  von  Verderbnissen,  aber  von 
Verbesserungen. 

^)  Abhandlung  über  Moses  und  die  Verfasser  des  Pentateuchs.  §  40.  (III. 
493).  Auch  übrigens  verdanke  ich  Vater  für  diesen  Abschnitt  Anregung  und 
Belehrung,  s.  besonders  §§  54 — 60.  §  28.  —  Die  de  Wette 'sehe  Dissertation 
(1805)  steht  bei  weitem  nicht  auf  der  Höhe  der  glänzenden  Beiträge, 


Das  D eilte ronomium.  1§7 

einverleibt.  Unter  PN'in  n^nPH  wird  Kap.  1 — 4.  Kap.  27  ss. 
immer  nur  das  Deuteronomium  allein  und  nicht  der  ganze  Penta- 
teuch  verstanden  (4,  44),  und  da  mit  dem  Exemplar  dieses 
Gesetzes  17,  18  auch  nichts  anderes  gemeint  sein  kann,  so  existirte 
folglich  das  Deuteronomium  als  besonderes  Buch.  IS^m  ist  bekannt- 
lich unter  Josia  das  Buch  der  Thora  aufgefunden  und  feierlich 
als  Gesetz  publicirt.  Es  ist  gewiss,  bei  der  religiösen  Bewegung, 
die  sich  daran  knüpft,  dass  dasselbe  nicht  wieder  verloren  gegangen, 
sondern  im  jüdischen  Kanon,  zu  dessen  Entstehung  es  den  Grund 
legte,  erhalten  ist.  Das  selbstverständlich  im  Pentateuch  zu  suchende  459 
Buch  der  Thora  kann  nun  nicht  JE  sein,  denn  diese  Scln-ift  ist 
ein  Geschichtswerk;  auch  nicht  Q,  denn  aus  Q  erklären  sich  Josias 
reformatorische  Massregeln  nicht.  Sondern  nur  entweder  das  Deutero- 
nomium oder  der  ganze  Pentateuch,  und  zwar  der  ganze  Pentateuch 
bloss  darum  und  insofern,  als  er  das  Deuteronomium  einschliesst, 
auf  welches  letztere  die  Reformation  Josias  faktisch  allein  sich 
gründen  konnte. 

Beinahe  zwei  Jahrhunderte  nach  Josias  Regierungsantritt  ward 
abermals  das  Buch  des  Gesetzes  Mosisin  ganz  ähnlicher  Weise 
publicirt  und  durch  feierliche  Verpflichtung  zur  Constitution  der 
jüdischen  Gemeinde  erhoben.  Es  kann  nicht  bezweifelt  werden, 
dass  dies  Gesetz  den  ganzen  Pentateuch  umfasste.  Wenn  dieser 
aber  erst  durch  Ezra  public!  iuris  wurde,  so  kann  er  es  nicht  schon 
durch  Josia  geworden  sein.  Wendet  man  ein,  der  spätere  Akt  sei 
eine  einfache  Wiederholung  des  früheren  gewesen'und  darum  nötig 
geworden,  weil  das  Gesetzbuch  Josias  durch  das  Exil  in  Vergessen- 
heit geraten,  so  ignorirt  man  die  100  Jahre  zwischen  dem  Exil  und 
Ezra,  und  weiss  anderei'seits  mehr  als  der  sonst  wol  unterrichtete 
Erzähler  von  Nehem.  8 — 10  und  als  die  beteiligten  Zeitgenossen 
—  auch  mehr  als  walu'  ist,  denn  was  das  Deuteronomium  an- 
geht, so  ist  es  im  Exil  nicht  latent,  sondern  recht  wirksam  gewesen, 
wie  z.  B.  die  Überarbeitung  der  geschichtlichen  Bücher  bezeugt. 
Es  ist  dem  nicht  zu  entgehn,  dass  der  ganze  Pentateuch  erst  durch 
Ezra  zum  Bundesbuch  geworden  ist,  das  Bundesbuch  des  Josia  also 
nur  im  Deuteronomium  gesucht  werden  kann.  Es  wäre  auch  nicht 
praktisch  gewesen,  wenn  der  Gesetzgeber  dieses  Buch  worauf  es 
ihm  allein  ankam  und  das  jedenfalls  ursprünglich  selbständig  ex- 
istii-te,  in  der  Hülle  des  übrigen  Pentateuchs  versteckt  veröffent- 
licht hätte,  w^oraus  es  nur  durch  Divination  als  das  eigentlich  mass- 


188  Die  Gesetzgebung. 

gebende  Gesetz  erkannt  werden  konnte.  Ausserdem  erklärt  es  sich 
wol  durch  allerlei  geschichtliche  Vermittlungen,  wie  schliesslich 
der  ganze  Pentateuch  zu  dem  Namen  Thora  kam,  aber  von  vorn- 
herein konnte  er  schwerlich  als  Sepher  hatthora  bezeichnet  werden, 
und  so  viel  sich  aus  den  Citaten  ersehen  lässt,  versteht  das  Buch 
der  Könige  darunter  überall  nur  das  Deuteronomium^). 
460  Aber  so  wie   es  jetzt  vorliegt,  hat  das  Deuteronomium  nicht 

schon  im  Jahre  621  vor  Christus  existirt,  denn  die  Kapitel  29  und 
30  können  nicht  vor  dem  Exil  geschrieben  sein.  Es  gilt  hier  als 
selbstverständlich,  dass  zuerst  der  Fluch,  der  auf  den  Bundesbruch 
gesetzt  ist,  sich  erfüllt  und  dass  darnach,  nachdem  dies  geschehen  ist, 
auch  der  Segen  folgen  wird,  der  für  den  Gehorsam  gegen  Jahves 
Stimme  verheissen  ist.  Die  vorausgesetzte  Verwirklichung  des 
Fluches  ist  der  Standpunkt,  von  wo  aus  die  Bekehrung  und  der 
Segen  für  die  Folgezeit  erhofft  wird.  „Wenn  alles  dies  (der  ganze 
Fluch)  bei  dir  eingetroffen  ist,  so  wirst '  du  dein  Herz  bekehren 
unter  den  Völkern,  wohin  dich  Jahve  Verstössen  hat,  und  dich  zu 
Jahve  bekehren,  und  er  wird  deine  Gefangenschaft  wenden  und 
sich  deiner  erbarmen  und  dich  sammeln  aus  der  Zerstreuung  und 
dich  in  das  Land  bringen,  das  deine  Väter  besessen  haben,  und 
dich  mehren  über  deine  Väter,  und  dein  Herz  beschneiden,  dass 
du  ihn  liebest  und  lebest.  Und  er  wird  diese  Flüche  auf  deine 
Feinde  und  Hasser  legen,  die  dich  verfolgt  haben,  und  du  wirst 
dich  bekehren  und  der  Stimme  Jahves  gehorchen,  und  er  wird  dir 
Gedeihen  geben  in  allem  Tun,  in  der  Frucht  deines  Leibes,  in  der 
Frucht  deines  Viehes,  in  der  Frucht  deines  Feldes,  denn  er  wird 
sich  wieder  über  dich  freuen,  Avie  einst  über  deine  Väter."  Man 
sieht,  eine  Bekehrung  zu  Jahve  zur  Vermeidung  des  Fluches, 
die  doch  im  Jahre  621  das  einzig  naheliegende  war,  wird  hier  gar 
nicht  mehr  in  Aussicht  genommen.  Ich  weiss  wol,  dass  man  sich 
durch  Verweisuno;   auf  die   seit  721  exilirten  Israeliten  hilft;    aber 


1)  Vgl.  Corodi  bei  Vater  p.  592:  „Niemals  werden  Geschichten,  die 
im  Pentateuch  stehn,  mit  der  Formel  erwähnt:  es  steht  im  Gesetz  oder  im 
Buch  des  Gesetzes."  —  Ebendas.  p.  595:  „Auf  diesen  Teil  des  Pentateuchs 
(=  Deuteronomium)  führen  auf  eine  auffallende  Weise  fast  alle  bestimmten 
Erwähnungen  in  anderen  Büchern."  Daher  Du-Pin,  dissert.  prelim.  Paris  (1701) 
I,  62:  Le  livre  du  Deuteronome  est  plus  souvent  allegue  qu'aucun  autre, 
parce  qu'etant  un  abrege  de  toute  la  loi,  compose  pour  Pusage  ordinaire  du 
peuple,  il  etait  plus  naturel  de  le  citer  que  les  autres. 


Das  Deiiteronomiimi.  189 

das  Du  im  Deiiteronomium  redet  die  Juden  an,  und  das 
Solidaritätsbewusstsein  zwischen  den  Juden  und  den  seit  100  Jahren 
fortgeschleppten  Israeliten  war  nicht  so  gross,  dass  jene  bei  solchen 
Drohungen  an  diese  denken  konnten.  Solche  Ausflüchte  sollte  man 
denen  überlassen,  denen  es  auf  das,  was  schön  wäre,  mehr  ankommt 
als  auf  das,  was  wahr  ist. 

Man  ist  also  zur  Ausscheidung  eines  Urdeuteronomiums  ge- 
nötigt. Schon  Yater  (§  28)  hat  die  Aufmerksamkeit  auf  die  Über- 
sclii'ift  4,  "55 — 49  und  die  Schlussformel  28,  69  gerichtet  und  Graf 
darin  die  Marken  des  ursprünglichen  Buches  erkannt;  beide  haben 
auf  die  Unvereinbarkeit  der  Angaben  2,  29  und  23,  5  (4,  41 — 43 
und  19,  9;  2,  14  und  5,  3)  hingewiesen.  Einen  anderen  Weg  461 
schlägt  Hobbes  ein^).  Ea  sola  scripsit  Moses,  quae  a  scriptore 
Pentateuchi  scripsisse  dicitur,  nempe  volumen  legis,  quae  habetur 
in  Deuteronomio  a  capite  undecimo  usque  ad  finem  capitis  ^dce- 
simi  septimi  et  quam  in  aditu  terrae  Chananeae  lapidibus  inscribi 
iussit  cleus.  Das  Resultat  seiner  Abgrenzung  ist  unhaltbar,  wenn 
man  nicht  undecimo  für  ein  blosses  Versehen  statt  duodecimo  hält, 
das  Princip  derselben  aber  richtig.  In  Kap.  28 — 30  liegen  die  Ge- 
setze und  Rechte,  die  Mose  bis  dahin  nur  geredet,  aber  nicht  auf- 
geschrieben hat,  plötzlich  dem  Redner  selber  als  ein  sclmftliches 
Buch  „dieser  Thora"  vor  28,  58.  61.  30,  10.  In  31,  9  wird  dann 
zwar  berichtet,  Mose  habe  „diese  Thora"  aufgeschrieben,  aber  ein- 
mal kann  dies  zur  Motivii^ung  der  Ausdrücke  in  der  vorhergehen- 
den Rede  Moses  nichts  helfen  und  sodann  gehört  Kap.  31  sicher 
dem  Deuteronomisten  an,  d.  h.  dem  Schriftsteller,  der  das  Deutero- 
nomium  in  das  pentateuchische  Geschichtswerk  einarbeitete.  Es 
bleibt  nichts  übrig  als  eine  Verwechslung  anzunehmen.  Was  sich 
4,  45 — 26,  19  nur  als  eine  Rede  Moses  giebt,  das  lag  dem  Ver- 
fasser von  Kap.  28 — 30  bereits  als  abgeschlossenes  Buch  vor  und 
er  hielt  es  für  eine  Schrift  von  Moses  Hand  —  gegen  die  Meinung 
der  Einleitung  4,  45 — 5,  1,  wo  von  ihm  in  dritter  Person  erzälüt 
wird  und  zwar  vom  Standpunkte  Westpalästinas  aus  (4,  46).  In 
dem  selben  sekundären  Verhältnis  wie  Kap.  28 — 30  steht  aber  auch 
Kap.  27  zu  den  vorhergehenden  Gesetzen.     Wenn  in  Kap.  27  die 

1)  Leviathan  c.  33.  Vgl.  die  anderen  bei  Vater  p.  563  citirten  Schriften 
und  R.  Simon,  liv.  I.  chap.  6,  auch  Kuenen,  Onderzoek  P  p.  10  s.  Corodi 
hält  Deut.  12—28,  Vater  selbst  (p.  462)  Kap.  12—26  für  das  ursprüngliche 
Gesetzbuch. 


X90  I^iG  Gesetzgebimg. 

Erz  all  hing  wieder  beginnt,  so  muss  die  Rede  Moses  26,  19  ab- 
geschlossen sein.  Wenn  der  Befehl  gegeben  wird,  „dieses  Gesetz" 
nach  der  Ankunft  im  Lande  Kanaan  auf  12  Steinen  zu  verewigen 
so  kann  unter  diesem  Gesetz  nicht  auch  Kap.  27  selber  oder 
gar  das  Folgende  einbegriffen  sein^). 
462  Den  Ausdruck  diese  Thora  haben  Kap.  27  und  Kap.  28 — 30 

mit  einander  gemein,  sie  bezeichnen  beide  einen  Codex  damit  und 
nur  der  Unterschied  herrscht,  dass  Kap.  27  sich  selbst  nicht  mit 
zu  diesem  Codex  rechnet,  dagegen  Kap.  28  zwar  dazu  gerechnet 
sein  will,  sich  aber  unwillkürlich  als  posthum  dadurch  verrät,  dass 
es  den  Mose  mitten  im  Reden  seine  eigene  Rede  als  Schrift  an- 
führen lässt.  In  Deut.  5 — 26  kommt  der  Ausdruck  nicht  vor,  mit 
einer  demnächst  zu  besprechenden  Ausnahme;  hier  heisst  es  immer 
die  Rechte  und  Satzungen,  und  Thora  scheint  (wie  bei  den 
Propheten)  die  mündliche  und  lebendige  Lehre  in  Besitz  der 
Priester  zu  bedeuten  17,  11.  24,  8.  Wol  aber  findet  sich  n"^iinn 
PN'in  zweimal  in  Kap.  1 — 4,  und  auch  hier  wird  damit  auf  ein 
geschriebenes  Buch  hingewiesen,  dessen  Anfang  4,44  mit  n*nnn  PN*]! 
markirt  wird.  Hiernach  würde  sich  also  der  eigentliche  Codex  auf 
4,  45 — 26,  19  begrenzen. 

Nun  zerfällt  4,  45 — 26,  19  in  zwei  Hälften.  Die  Gesetze 
gehn  erst  Kap.  12  an,  vorher  will  zwar  Mose  immer  zur  Sache 
kommen,  kommt  aber  nicht  dazu.  Schon  5,  1  kündigt  er  die 
Satzungen  und  Rechte  an,  die  das  Volk  im  Lande  Kanaan  halten 
solle,  verwickelt  sich  aber  darauf  in  die  historische  Darstellung 
der  Gelegenheit,  bei  der  sie  ihm  selbst  einst  vor  40  Jahren  auf 
dem  Horeb  mitgeteilt  wurden,    da    das  Volk    ihn  bat,    als  Mittler 


1)  Man  wird  einwenden,  Kap.  27  sei  interpolirt.  Aber  die  Sache  steht 
vielmehr  so,  dass  Kap.  28  das  27.  Kap.  nicht  vor  sich  kennt  und  duldet  und 
dass  Kap.  27  das  28.  Kap.  nicht  hinter  sich  kennt  und  duldet,  d.  h.  es  sind 
zwei  von  einander  unabhängige  Anhänge  zu  dem  ursprünglichen  Deutero- 
nomium  aus  zwei  verschiedenen  Ausgaben,  die  dann  zusammengeworfen  wurden, 
obwol  sie  sich  ausschliessen.  Kap.  27  scheint  deuteronomistische  Überarbeitung 
einer  älteren  Grundlage.  —  Man  wird  ferner  einwenden,  Kap.  28  sei  unent- 
behrlich, weil  es  die  Flüche  enthalte,  die  auf  Josias  solchen  Eindruck  machten. 
Aber  diese  Flüche  (28,  36)  hat  Josias  schwerlich  gehört.  Ausserdem  ist  mit 
Recht  auf  die  Bemerkungen  von  J.  H.  Michaelis  zu  2  Reg.  22,  8  und  v.  16  auf- 
merksam gemacht.  Praedictio  (v.  16)  est  prophetica  non  legalis  (==  kommt 
im  Gesetz  nicht  vor),  ac  manifestum  satis  est  in  hoc  versu,  legisse  Josiam 
eiusmodi  comminationes,  quae  non  essent  condicionatae. 


Das  Deuteronomium.  191 

einzutreten.  Zu  Anfang  von  Kap.  6  macht  er  abermals  Miene,  die 
Satzungen  und  Rechte  mitzuteilen,  statt  dessen  aber  motivirt  er 
vielmehr  den  Gehorsam  gegen  sie  mit  der  Liebe  zum  Gesetzgeber. 
Und  so  wird  unsere  Geduld  auch  in  den  folgenden  Kapiteln  noch 
weiter  auf  die  Probe  gestellt.  Immer  ist  die  Rede  von  den 
Satzungen  und  Rechten,  die  ich  dir  heute  gebieten  werde, 
aber  man  erfälirt  nicht,  welche  es  sind.  In  Kap.  7  und  8  werden 
allerlei  drohende  Gefahren,  wodurch  dieselben  nach  der  Eroberung 
Kanaans  leicht  in  Nichtachtung  geraten  könnten,  zum  voraus  zu 
beseitigen  gesucht.  Jahves  Gnade,  deren  man  ausserhalb  der  Wüste 
entraten  zu  können  glauben  möchte,  habe  man  stets  nötig,  seinen 
Zorn  stets  zu  füi'chten.  Dabei  ergiebt  sich  der  Anlass  zu  einer 
grossen  Digression  über  das  goldene  Kalb;  erst  10,  12 ss.  wird  auf 
die  Einschärfung  der  Gebote  zurückgekommen  und  in  Kap.  11  zum 
Schluss  noch  einmal  hervorgehoben,  die  bisherige  Fürsorge  Jahves  463 
füi-  Israel  bedinge  Dank  und  Gehorsam  gegen  ihn,  sie  werde  aber 
künftig  durch  den  Besitz  des  Landes  nicht  überflüssig,  da  dessen 
Fruchtbarkeit  von  der  Gnade  des  Himmels  abhänge.  Schwerlich 
ist  diese  lange  Einleitung  Kap.  5 — 11,  diese  beständige  Aufforderung 
zum  Halten  noch  gar  nicht  bekannt  gemachter  und  nur  zum  Teil 
inhaltlich  antecipii'ter  Gebote  sachgemäss,  schwerlich  gehört  sie  zum 
ursprünglichen  Bestände  des  Gesetzbuches.  Ilir  Verfasser  scheint 
vielmehr  nur  deshalb  stets  zum  voraus  auf  „die  Befehle,  die  ich 
dir  heute  gebieten  werde",  hinweisen  zu  können,  statt  sie  mitzu- 
teilen, w^eil  sie  ihm  eben  auch  schon  als  Schrift  vorlagen,  die  er 
nur  mit  einer  Vorrede  versah.  Ist  es  sonst  zu  verstehn,  dass  er 
11,  26  SS.  sogar  den  Segen  und  den  Fluch  vorlegt  für  das  Halten 
oder  Übertreten  noch  gar  nicht  gegebener  Gesetze?  Ich  glaube 
nicht.  Dann  also  umfasst  das  Ur deuteronomium  nur  Kap.  12 
bis  26  und  beginnt  direkt  mit  dem  Hauptgesetz  über  den  Ort  des 
Kultus,  womit  auch  das  Bundesbuch  Exod.  20,  23 ss.,  die  Sammlung 
Lev.  17 — 26,  Ezechiel  Kap.  40 ss.  und  Q  Exod.  25  ss.  anfangen. 
Es  felilt  weder  die  Überschrift  12,  1,  noch  die  Unterscliiift^  26, 
16 SS.;  der  Umfang  ist  derart,  dass  er  etwa  auf  den  zwölf  dem 
Jordan  entnommenen  Steinen  Platz^  findet  27,  3.  8^). 

^)  Ebenso  wie  Kap.  27  und  Kap.  28  schliessen  sich  auch  Kap.  1—4  und 
Kap.  5 — 11  aus,  sie  haben  neben  anderen  Zwecken  den  gemeinsam,  der  deu- 
teronomischen  Gesetzgebung  eine  historische  Situation  anzuweisen;  es  sind 
eigentlich  zwei  verschiedene  A^'orreden  zweier  verschiedener  Ausgaben. 


192  .  ^i®  Gesetzgebimg. 

Ich  gehe  jedoch  noch  einen  Schritt  weiter.  Die  Tätigkeit  der 
Editoren  hat  sich  nicht  bloss  auf  Hinzufügung  von  Einleitung  und 
Schluss  beschränkt,  sondern  ist  auch  zur  Überarbeitung  des  eigent- 
lichen Kernes  fortgeschritten.  Eine  Spur  davon  ist  das  Königs- 
gesetz 17,  14 — 20.  Dasselbe  setzt  einen  Bericht  voraus,  der  erst 
Kap.  31,  9.  26  erstattet  wird,  und  gebraucht  den  Ausdruck  „Kopie" 
und  „Buch  der  Thora"  in  einem  Augenblick,  wo  Mose  noch  lange 
nicht  mit  seiner  Rede  fertig  ist.  Auch  16,  21  — 17,  7  steht 
mindestens  an  verkehrter  Stelle,  denn  über  den  Zusammenhang 
von  16,  18 — 20  mit  17,  8ss.  kann  kein  Zweifel  sein,  so  wenig  wie 
über  die  beabsichtigte  Reihenfolge  der  Autoritäten:  Richter,  Priester, 
Propheten.  Allem  Anschein  nach  sind  ferner  die  Verse  15,  4.  5 
eine  Glosse ;  dieser  unpraktische  Idealismus  widerspricht  dem  Gesetze 
selbst  total.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  möchte  man  sogar 
die  Ursprünglichkeit  von  Kap.  20  bezweifeln,  denn  nach  den  20, 
464  5 — 8  ausgesprochenen  Grundsätzen  hätte  König  Josia  schwerlich 
ein  Heer  aufbieten  können,  und  die  Anschauung  eines  wirklichen 
jüdischen  Reiches  scheint  hier  schon  gänzlich  zu  fehlen.  Indessen 
wird  sich  nur  in  wenigen  Fällen  die  Überarbeitung  positiv  nach- 
weisen lassen,  meist  wird  sie  in  nicht  weiter  störenden  Motivirungen 
bestehn.  Die  specifisch  „deuteronomischen"  Phrasen^)  finden  sich 
im  eigentlichen  Deuteronomium  (Kap.  12 — 26)  verhältnismässig  am 
wenigsten,  und  wo  sie  sich  finden,  scheinen  sie  teilweise  von  der 
überarbeitenden  Hand  des  Verf.  von  Kap.  5 — 11  herzurühren. 
Auch  z.  B.  23,  5 — 7  ist  wol  von  diesem  eingewoben.  Denn,  es 
heisst  26,  17.  18:  „dem  Jahve  hast  du  heute  sagen  lassen,  er  solle 
dir  Gott  sein  und  du  wollest  auf  seine  Stimme  hören,  und  Jahve 
hat  dir  heute  sagen  lassen,  du  sollest  sein  Eigentumsvolk  sein, 
wie  er  dir  verheissen."  Das  führt  auf  keine  andere  Situation  als 
auf  Exod.  19  und  Exod.  24.  Das  Deuteronomium  betrachtet  sich 
demnach  wol  ursprünglich  als  eine  erweiterte  Ausgabe  des  alten 
Bundesbuches  und  lässt  den  Mose  die  Gesetze  und  Rechte,   die  er 


^)  Die  Vorhaut  und  Beschneidung  des  Herzens  10,  16.  30,  6  ist 
wol  bei  Jeremias  ursprünglich,  denn  bei  ihm  sieht  man  den  Ausdruck  ent- 
stehn,  der  im  Deuteronomium  bereits  fertig  ist.  So  mögen  noch  andere  „deu- 
teronomische"  Phrasen  mit  dem  color  Hieremianus  aus  Jeremias  entlehnt  sein 
und  um  so  sicherer  der  Bearbeitung  angehören.  —  Zu  der  üblichen  Charak- 
teristik des  DeuteroiiiOmium  sind  die  Materialien  gewöhnlich  nicht  aus  Kap.  12 
bis  26  hergenommen. 


Das  Deuteroiiomium.  193 

auf  dem  Horeb  empfangen  hat,  nicht  40  Jahre  mit  sich  herum- 
tragen, sondern  sie  sogleich  dem  Volke  publiciren.  —  Einiges  von 
dem  ursprünglichen  Bestände  muss  endlich  durch  die  Veränderungen 
der  späteren  Ausgaben  verloren  gegangen  sein,  z.  B.  die  Flüche  in 
ihrer  echten  Gestalt. 

Ich  nehme  also  drei  "Stadien  für  den  literarischen  Entstehungs- 
process  des  5.  Buches  Mosis  an:  1)  das  Urdeuteronomium  (Kap. 
12 — 26),  2)  zwei  von  einander  unabhängige  vermehrte  Ausgaben 
(Kap.  1—4,  Kap.  12—26,  Kap.  27  und  Kap.  5—11,  Kap.  12—26, 
Kap.  28 — 30),  3)  Vereinigung  der  beiden  Ausgaben  und  Einsetzung 
des  so  entstandenen  Werkes  in  das  hexateuchische  Gesetzbuch.  Die 
letztere  Operation  ist  nur  nach  hinten  durch  äusserlich  hervor- 
tretende Bindemittel  (Kap.  31)  erfolgt,  nach  vorn  sind  solche  nicht 
sichtbar.  Denn  Kap.  1 — 4  hat  offenbar  nicht  den  Zweck,  an  die 
vorhergehende  Erzählung  anzuknüpfen,  vielmehr  sie  ausführlich  zu 
recapituliren,  d.  h.  zu  ersetzen.  Auf  das  dritte  Stadium  ist  viel- 
leicht Jos.  24,  26  zu  beziehen,  s.  R.  Simon  (Rotterd.  *1685)  p.  20. 

2.  Ist  nun  das  Deuteronomium,  als  ihm  in  einem  grösseren  465 
Geschichtswerk  eine  Stelle  angewiesen  wurde,  mit  JE  oder  mit 
JE-hQ  verbunden?  denn  nur  um  diese  Alternative  kann  es  sich 
handeln.  Zur  Entscheidung  derselben  können  zunächst  die  Unter- 
suchungen dienen,  die  man  angestellt  hat,  um  zu  sehen,  welche 
Gestalt  der  historischen  und  legislativen  Tradition  das  Deuterono- 
mium voraussetze.  Natürlich  das  Deuteronomium  in  seiner  gegen- 
wärtigen Gestalt,  in  welcher  es  zu  einem  Teil  des  Pentateuchs  ge- 
worden ist. 

Was  zuerst  die  (zumeist  aus  Kap.  1 — 11  zu  eruirenden)  histo- 
rischen Voraussetzungen  anlangt,  so  sagt  Kuenen,  Godsdienst  II  98, 
das  Deuteronomium  kenne  die  Erzählungen  von  Q  nicht,  und 
wälii'end  durchgehens  von  älteren,  speciell  von  den  jehovistischen 
Berichten  Gebrauch  gemacht  werde,  so  schimmere  die  eigenartige 
priesterliche  Auffassung  der  Tradition  nirgends  durch.  Dies  sei  er- 
wiesen von  W.  H.  Kosters,  De  historie-beschouwing  van  den  Deu- 
teronomist met  de  berichten  in  Genesis  —  Numeri  vergeleken, 
Leiden  1868.  Ahnliches  behauptet  und  sucht  zu  zeigen  Kayser 
a.  0.  p.  141 — 146.  Die  Thesis  ist  richtig,  JE,  nicht  Q  und  nicht 
JE-i-Q,  ist  für  die  geschichtliche  Anschauung  des  Deuteronomiums 
massgebend. 

Die  Situation  in  Kap.   1 — 11   ist  die  nach  der  Niederlassung 

Wellhausen,    Comp.   d.    Hexateuclis.   3.   Aufl.  13 


194  Die  Gesetzgebung. 

im  Reiche  Sihons,  kurz  vor  dem  Übergange  in  das  eigentliche 
Kanaan;  da  veröffentlicht  Mose  die  Gesetze,  die  nach  der  Ansiedlung 
im  heil.  Lande  Geltunsi;  haben  sollen.  Für  unseren  Zweck  kommen 
zunächst  Kap.  5  und  Kap.  9.  10  in  Betracht.  Bisher,  heisst  es 
hier,  ist  nur  das  unter  allen  Verhältnissen  giltige  und  darum  von 
Gott  selbst  am  Horeb  verkündigte  Grundgesetz  der  zehn  Gebote 
gegeben  worden.  Damals  verbat  sich  das  Volk  weitere  direkte 
Mitteilungen  von  Jahve  und  beauftragte  Mose  mit  der  Vermittlung, 
der  sich  demgemäss  auf  den  heil.  Berg  begab,  dort  40  Tage  und 
Nächte  verweilte  und  von  ihm  die  zwei  Tafeln  empfing,  ausserdem 
aber  die  Satzungen  und  Rechte,  welche  er  erst  jetzt  nach  40  Jahren 
zu  publiciren  in  Begriff  steht,  da  sie  erst  jetzt  praktisch  werden. 
So  etwa  muss  man  sich  die  bald  vorgreifende,  bald  zurück- 
springende und  weniger  nach  pragmatischen  als  nach  paränetischen 
Gesichtspunkten  geordnete  Erzählung  zurechtlegen,  vgl.  5,  19.  28  mit 

9,  9.  10.  Nachdem  inzwischen  unten  das  goldene  Kalb  gegossen 
worden,  steigt  Mose  vom  Berge  herab,  zerschmettert  im  Zorn  die 
Tafeln  und  zerstört  das  Idol.     Darauf  begiebt  er  sich  zum  zweiten 

^QQ  Male  wieder  40  Tage  und  40  Nächte  auf  den  Berg,  bittet  um 
Gnade  für  das  Volk  und  für  Aharon,  und  nachdem  er  nach  gött- 
lichem Geheiss  zwei  neue  Tafeln  und  eine  hölzerne  Lade  für  sie 
gemacht  hat,  schreibt  Jahve  den  Wortlaut  der  zerbrochenen  noch 
einmal  auf.  Bei  jener  Gelegenheit,  wird  10,  8  s.  Anlass  genommen 
zu  bemerken,   seien  auch  die  Leviten  zu  Priestern  bestellt.     Aus 

10,  10  (vgl.  9,  18.  25.  10,  1)  geht  hervor,  dass  nicht  ein  drei- 
maliger, sondern  nur  ein  zweimaliger  vierzigtägiger  Aufenthalt  Moses 
bei  Jahve  angenommen  wdrd,  und  dass  das  Flehen  für  das  ab- 
trünnige Volk  und  die  Restituirung  der  Tafeln  beides  in  die  zweiten 
vierzig  Tage  fällt,  welche  nur  durch  das  Herabsteigen  10,  1  einmal 
unterbrochen  werden.  Nicht  bloss  der  Darstellung,  sondern  auch 
der  Anschauung  fehlt  es  an  Einheit;  hier  jedoch  weniger  durch  die 
Schuld  des  Deuteronomiums,  als  seiner  Quelle. 

Dass  die  Quelle  Exod.  19.  20.  24.  32—34,   d.  h.  also  JE  ist, 
liegt  auf  der  Hand').     Hingegen  wird  Q  vollkommen  ignorirt.     Nur 

^)  Ein  Unterschied  gegen  JE  macht  sich  bemerklich.  Nach  Exod.  24 
werden  die  Worte  und  Rechte,  die  Mose  (nach  dem  Dekalog)  auf  dem  Berge 
empfangen  hat,  alsbald  nach  seiner  Herabkunft  feierlich  publicirt;  nach  dem 
Deuteronomiimi  geschieht  das  erst  40  Jahre  später.  Dieser  Unterschied  ist 
aber  bewusst  und  beabsichtigt.    Dass  der  Verf.  von  Deut.  5 — 11  das  alte  Bundes- 


Das  Deuteronomium.  195 

zwei  Gesetze  kennt  das  Deiiteronomium,  den  Dekalog,  den  das 
Yolk,  die  Satzungen  und  Rechte,  die  Mose  am  IToreb  empfing; 
beide  sind  zu  gleicher  Zeit  unmittelbar  hinter  einander  offenbart, 
aber  nur  der  Dekalog  bisher  publicirt.  Wo  bleibt  der  gesamte 
Priestercodex  von  Anfang  bis  zu  Ende?  wo  insonderheit  die  Ge- 
setzgebung von  der  Stiftshütte  aus  in  der  Wüste  Sinai  und  in 
den  Arboth  Moab?  Eine  wol  aufzuwerfende  Frage.  Kann  der 
deuteronomische  Erzähler  zwischen  Exod.  24  und  Kap.  32  das  ge- 
lesen haben,  was  wir  jetzt  lesen?  richtet  sich  etwa  seine  Vorstellung 
von  der  Bestellung  der  Leviten  zu  Priestern  (10,  8)  nach  Exod.  29? 
Aber  Nöldeke  (Jahrb.  für  protest.  Theologie  I  350)  findet  in  der 
Lade  von  Akazienholz  Deut.  10  eine  Reminiscenz  aus  Q.  Nun 
kommt  die  Lade  dort  in  einem  Zusammenhange  vor,  der  eine  reine 
Reproduction  von  JE  Exod.  32.  33  ist  und  der  Vorstellung  von 
Q,  wonach  dies  Heiligtum  nicht  erst  nach  der  Erwählung  des 
falschen  Idols,  sondern  gleich  zu  Anfang  als  der  Grundstein  der  467 
Theokratie  gestiftet  wird,  durchaus  widerspricht.  Es  ist  wahr,  wii' 
finden  gegenwärtig  in  Exod.  33  s.  die  Lade  nicht  erwähnt,  aber  in 
dem  nächsten  Stück  von  JE  (Num.  10,  33)  ist  sie  plötzlich  da, 
und  es  musste  doch  ursprünglich  gesagt  sein,  woher?  Auch  lässt 
sich  ohne  sie  der  Gegensatz  von  Symbol  ("[N'b-":D)  Jahves  und  Jahve 
selbst,  der  in  Kap.  33  solche  Bedeutung  hat,  nicht  verstehn,  so 
w^enig  wie  der  Zweck  des  Zeltes,  dessen  Stiftung  in  dem  selben 
Kapitel  berichtet  wird.  Ohne  all  und  jede  Rücksicht  auf  das  Deu- 
teronomium,  wie  vielleicht  nicht  überflüssig  ist  zu  versichern,  habe 
ich  darum  bereits  früher  (oben  p.  93  ss.)  angenommen,  dass  die 
Herrichtung  der  Lade  einst  zwischen  Exod.  33,  6  und  v.  7  erzählt 
und  vom  Redaktor  des  Pentateuchs  aus  Rücksicht  auf  Q  Exod.  25 
ausgelassen  worden  sei.  Mussten  nicht  —  trotz  aller  Weitherzig- 
keit von  R  —  manche  Wiederholungen,  die  zu  arg  collidirten,  der 
Zusammenstellung  von  JE  und  Q  zum  Opfer  fallen?  Kann  das 
der  Evidenz,  dass  der  deuteronomische  Erzähler  JE  und  nicht 
JE  +  Q  reproducirt,  entgegenstehn,  dass  er  JE  vor  der  Verar- 
beitung mit  Q  noch  vollständiger  vorgefunden  hat,  als  diese  Schrift 
uns  nach  der  Verarbeitung  vorliegt?  ist  diese  Annahme  so  schwierig. 


buch  sehr  wol  kennt,  erhellt  aus  Kap.  7  Ygl.  mit  Exod.  23.  So  sehr  benutzt 
er  jene  Quelle,  dass  ihm  in  7,  22  sogar  von  dort  her  (23,  29  s.)  etwas  in 
die   Feder    geflossen  ist,    was    seiner    eigenen  Anschauung    total  widerspricht, 

vgl.  9, 3  nriD. 

13* 


196  -Diö  Gesetzgebung. 

class  man  lieber  zu  den  allerunniöglichsten  greift?  Nach  Nöldeke 
nämlich  hat  der  Yerf.  von  Deut.  5 — 11  entweder  den  jetzigen 
Pentateuch  vor  sich  gehabt  und  es  dann  rätselhaft  gut  verstanden, 
JE  herauszudestilliren,  oder  er  hat  zwar  JE  als  selbständige  Schrift 
benutzt,  aber  doch  auch  Q  gelesen,  so  aber,  dass  seine  Anschauung 
nicht  im  mindesten  von  der  priesterlichen  beeinflusst  ist,  sondern 
derselben  total  und  (wolgemerkt !)  unbewusst  widerspricht,  da  sie 
ftLr  eine  ausser  dem  Dekalog  erfolgte  Kultusgesetzgebung,  d.  h.  für 
den  ganzen  wesentlichen  Inhalt  von  Q,  keinen  Platz  offen  lässt. 
Zu  diesem  Dilemma  sollte  man  sich  deshalb  verstehn,  weil  eine 
oder  die  andere  Anekdote  der  deuteronomischen  Darstellung,  die 
gegenwärtig  in  JE  nicht  nachweisbar  ist,  ebenso  in  Q  vorkommt? 
ist  denn,  unter  diesen  Umständen,  damit  bewiesen,  dass  sie 
dorther  stamme?  muss  man  nicht  billigerweise  einige  Rück- 
sicht auf  das  Ensemble  nehmen?  Vollends  nun  10,  6  für  eine 
Reminiscenz  aus  Q  zu  erklären,  dazu  liegt  auch  nicht  der  Schatten 
eines  Grundes  vor,  zumal  10,  8  folgt.  Aharon  der  Levit  ist  auch 
in  E  der  Priester  neben  Mose  (Exod.  4,  14  Kap.  32),  und  Eleazar 
ben  Aharon  auch  in  E  der  Priester  neben  Josua  (Josua  24,  33). 
Übrigens  steht  Deut.  10,  6.  7  sehr  lose  im  Zusammenhang,  viel 
468  loser  als  z.  B.  9,  22 — 24'),  denn  10,  8  sind  wir  wieder  am  Horeb. 
Der  historische  Faden,  der  Kap.  5.  9.  10  angesponnen  wird, 
lässt  sich  in  Kap.  1 — 4  weiter  verfolgen.  Vom  Horeb  aufbrechend 
kommen  die  Israeliten  direkt  (nach  der  Glosse  1,  2  in  elf  Tagen?) 
nach  Kades  Barnea  und  schicken  von  hier,  bevor  sie  den  befohlenen 


^)  Mit  Absicht  habe  ich  oben  die  Übereinstimmung  von  Deut.  10,  1.  3 
(Lade)  und  Deut.  10,  6.  7  (Aharon  Eleazar)  mit  den  betreffenden  Angaben  in 
Q  gelten  lassen,  weil  auch  sie  nicht  für  Nöldeke  beweist.  Sie  ist  aber  in  der 
Tat  nicht  vorhanden.  Es  gehört  viel  guter  Wille  dazu,  in  dem  Befehl,  „mach 
dir  eine  Lade  von  Holz"  eine  Erinnerung  an  die  Anweisung  der  Exod.  25 
beschriebenen  Lade  zu  sehen,  die  nach  Analogie  des  goldenen  Tisches  und 
Altars  viel  eher  eine  goldene  als  so  einfach  eine  hölzerne  Lade  zu  nennen 
war.  Noch  mehr  Voreingenommenheit  für  die  Originalität  von  Q  gehört  jedoch 
dazu,  das  Grab  Aharons  in  Mosera  auf  dasjenige  in  Hör  zurückzuführen. 
Allerdings  ist  in  JE  jetzt  der  Tod  und  das  Begräbnis  Aharons  nicht  erhalten. 
Billigerweise  aber  kann  man  von  R  nicht  verlangen,  dass  er  einen  zweimal 
sterben  lässt,  einmal  nach  Q  und  einmal  nach  JE.  Das  soll  gerne  zugestanden 
werden,  dass  R,  wenn  er  etwas  auslassen  muss,  lieber  Q  schont  als  JE,  und 
dass  seine  Anschauung  sich  überhaupt  in  Widerspruchsfällen  nach  Q  richtet. 
Vgl.  Gen.  7,  8.  9. 


Das  Denteronomliim.  X97 

Einfall  in  das  Bergland  der  Amoriter  wagen,  aus  eigener  von  Mose 
gebilligter  Vorsicht  zwölf  Kundschafter  zur  Recognoscirung  aus, 
unter  ihnen  Kaleb,  aber  nicht  Josua.  Nachdem  diese  bis  zum 
Bache  Eskol  vorgedrungen  sind,  kehren  sie  zurück,  und  obwol  sie 
die  Güte  des  Landes  preisen,  Mdrd  doch  das  Volk  durch  ihren  Bericht 
so  entmutigt,  dass  es  murrt  und  nicht  angreifen  mag.  Zornig  dar- 
über heisst  sie  Jahve  wieder  umkehren  in  die  Wüste,  da  sollen  sie 
sich  so  lange  umhertreiben,  bis  die  alte  Generation  ausgestorben 
und  eine  neue  herangewachsen  sei.  Als  sie  nun  doch  aus  falscher 
Scham  nachträglich  vordringen,  werden  sie  mit  blutigen  Köpfen 
heimgeschickt.  Nunmehr  wenden  sie  sich  zurück  zur  Wüste,  wo 
sie  lange  Jahre  in  der  Gegend  des  Gebirges  Seir  hin  und  her  ziehen, 
bis  sie  endlich,  38  Jahre  nach  dem  Aufbruch  von  Kades  (2,  14), 
Befehl  erhalten,  nach  Norden  vorzugehn,  jedoch  der  Moabiter  und 
Ammoniter  als  verwandter  Völker  zu  schonen.  Sie  erobern  das 
Land  der  Amoriterkönige  Sihon  von  Hesbon  und  Og  von  Basan, 
Mose  giebt  es  den  Stämmen  Rüben,  Gad  und  Halb-Manasse,  mit  der 
Massgabe,  dass  ihr  Heerbann  noch  ferner  am  Krieg  teilnehmen 
müsse.  Mit  der  Designirung  Josuas  zum  künftigen  Führer  des 
Volkes  wird  der  fortlaufende  Bericht  abgeschlossen. 

Man  kann  denselben,  wenn  man  die  hie  und  da  im  Deutero-  469 
nomium  zerstreuten  Einzelheiten  hinzunimmt  ^) ,  gradezu  als  Leit- 
faden zur  Ermittlung  von  JE  benutzen.  Allerdings  hat  der  Er- 
zähler von  Deut.  1 — 4  den  jehovistischen  Bericht  nicht  bloss  mit 
seinen  Motiven  durchwoben  und  gefärbt,  sondern  ihn  auch,  was 
den  Stoff  betrifft,  ziemlich  frei  behandelt.  Z.  B.  lässt  er  den  Ein- 
fall in  das  Ostjordanlaud  nicht  von  Kades  aus  erfolgen,  sondern 
wahrscheinlich  von  der  östlichen  Grenze  Seirs  aus,  38  Jahre  nach, 
dem  Aufbruch  von  Kades;  Edom  liegt  darum  bei  ihm  dem  Heere 
nicht  mehr  im  Wege,  sondern  nur  Moab  und  Ammon.  Aber  die 
Abhängigkeit  von  JE  zeigt  sich  hier  trotzdem  in  stehn  geblie- 
benen   Einzelheiten,    die    sich    der    Veränderung    nicht    angepasst 


^)  Einsetzung'  [von  ^Richtern  und  Pflegern  1,  9 — 18.  Tabeera,  Massa, 
Kibroth  Thaawa  9,  22.  Dathan  und  Abn-am  11,  6;  Bileam  23,  5.  Baal  Pheor 
4,  3.  Bloss  auf  die  jehovistische  Erzählung  Num.  12  scheint  nirgends  Bezug 
genommen  zu  sein.  Deut.  1,  9 — 18  spielt  noch  am  Horeb  wie  Exod.  18,  lässt 
aber  auch  Bekanntschaft  mit  Num.  11  durchblicken  und  benutzt  beide  Yer- 
sionen  zu  einer  neuen  und  etwas  andersartigen.  Vgl.  R.  Simon  (Rotterdam 
1685),  p.  36, 


2^98  l^i®  Gesetzgebung. 

haben.  Ein  solcher  nicht  aufgegangener  Rest  ist  1,46,  wo  es  nach 
dem  vergeblichen  Angriff  auf  den  Negeb  heisst:  und  ihr  bliebet  in 
Kades  lange  Tage.  Nach  J  verbringen  freilich  die  Israeliten  an 
40  Jahre  in  Kades,  die  deuteronomische  Vorstellung  ist  dies  aber 
gar  nicht,  und  nur  aus  der  Abhängigkeit  von  JE  ist  die  Incon- 
sequenz  zu  erklären.  Nicht  ganz  so,  doch  ähnlich  steht  es  mit 
2,  1:  wir  wandten  uns  zur  Wüste  und  umzogen  das  Gebirge  Seir 
lange  Tage.  Ursprünglich  hat  diese  TJmziehung  nur  in  JE  ihren 
Platz,  wo  die  Israeliten  von  Kades  gegen  Osten  aufbrechen  und, 
weil  der  Edomiterkönig  ihnen  den  Durchzug  verweigert,  sein  Land 
umgehn  müssen.  Der  deuteronomische  Erzähler  hat  der  Sache 
einen  ganz  anderen  Sinn  gegeben,  in  Anlehnung  an  Edom  verbringt 
bei  ihm  das  Volk  die  38  Jahre  (2,  14)  mit  Nomadisiren  um  das 
Gebirge  Seir  herum.  Eine  gewisse  formelle  Incongruenz  ferner  des 
Stoffes  zu  der  Auffassung,  welche  ebenfalls  die  Benutzung  fremder 
Elemente  lehrt,  zeigt  sich  2,  17  ss.  26 ss.,  und  zwar  darin,  class  das 
Du  und  Ich,  welches  nach  JE  und  nach  der  Natur  der  Sache  auf 
Israel  geht,  v.  17.  v.  26  auf  Mose  bezogen  wird. 

Was  Q  und  überhaupt  der  Priestercodex  vor  JE  voraus  hat, 
wird  auch  hier  mit  tiefem  Stillschweigen  übergangen  und  von 
Exod.  34  direkt  auf  Num.  10  übergesprungen.  Während  nicht 
wenige  Geschichten,  auf  die  im  Deuteronomium  zurückgekommen 
470  oder  angespielt  wird,  sich  bloss  in  JE  und  nicht  in  Q  finden, 
kommt  der  umgekehi'te  Fall  nicht  vor.  Und  bei  den  Erzählungen, 
welche  sowol  in  JE  als  auch  in  Q  vorhanden  sind,  befolgt  das 
Deuteronomium  in  allen  Fällen,  wo  man  eine  deutliche  Differenz 
zwischen  JE  und  Q  constatiren  kann,  immer  die  Version  von  JE. 
Die  Kundschafter  gehn  von  Kades  aus,  nicht  von  der  Wüste 
Pharan,  sie  gelangen  bis  nach  Hebron,  nicht  bis  beinah  nach 
Hamath,  Kaleb  gehört  zu  ihnen,  nicht  aber  Josua.  Die  Meuterer 
von  Num.  16  sind  die  Rubeniten  Dathan  und  Abiram,  nicht  Korah 
und  die  Leviten.  Nach  der  Niederlassung  im  Ostjordanland  hat 
das  Volk  es  mit  Moab  und  Ammon,  aber  nicht  mit  Midian  zu 
tun;  mit  jenen  und  nicht  mit  diesem  steht  Bileam  in  Verbindung 
und  ebenso  auch  Baal  Pheor,  denn  4,  3  stimmt  mit  Num.  25,  1 — 5 
und  nicht  mit  der  Anschauung  von  Q.  Da  die  Sachen  so  stehn, 
so  kann  man  nicht  mit  Nöldeke  in  der  Zwölfzahl  der  Kundschafter 
1,  23  eine  Spur  des  Einflusses  von  Q  (Num.  13,  2)  sehen.  Hätte 
der  Verf.  die  Erzählung  so   gelesen,  wie  sie  uns  jetzt   Num.    13.  14 


Das  Deuteronomium.  199 

vorliegt,  so  wäre  es  unverständlich,  dass,  wie  wir  soeben  gesehen 
haben,  nur  der  Bericht  von  JE  auf  ihn  Eindruck  gemacht  hat. 
Er  müsste  also  Q  als  besondere  Schrift  gekannt  haben,  aber  es  ist 
doch  ül:)erhaupt  höchst  bedenklich,  aus  einem  solchen  einzelnen 
Zuge  auf  die  Benutzung  einer  Quelle  zu  schliessen,  deren  Einfluss- 
losigkeit  und  Unbekanntschaft  übrigens  eine  vollständige  ist,  zumal 
die  Priorität  dieser  Quelle  keineswegs  an  sich  feststeht,  sondern 
erst  aus  dieser  Benutzung  bewiesen  wird.  Wäre  eine  Differenz 
zwischen  JE  und  Q  in  diesem  Punkte  nachw^eisbar,  könnte  man 
sagen,  nur  Q  lässt  zwölf,  JE  dagegen  drei  Männer  aussenden,  so 
stünde  es  schon  anders;  aber  der  Anfang  des  Berichtes  von  JE  ist 
Num.  13  durch  den  von  Q  ersetzt  und  uns  also  unbekannt,  man 
weiss  nicht,  wie  und  ob  JE  die  Zahl  angab.  In  diesem  Falle  ist 
es  doch  das  einzig  Rationelle,  aus  dem  Deuteronomium,  welches 
sonst  lediglich  JE  reproducirt,  das  Verlorene  zu  ergänzen  und  zu 
schliessen,  dass  auch  in  JE  der  Kundschafter  zwölf  gewesen  sind. 
Leider  ist  damit  die  Sache  nicht  abgemacht.  Denn  Nöldeke 
hat  Gründe,  die  Ursprünglichkeit  der  Zwölfzahl  für  Q  in  Anspruch 
zu  nehmen.  „Die  grundschriftliche  Erzählung  nennt  die  12  Männer 
mit  Namen."  Das  ausschliessliche  Besitzrecht  auf  diese  Namen 
soll  ihr  in  keiner  Weise  streitig  gemacht  werden.  Aber  es  ist 
gewiss,  dass  die  Summe  der  Männer  der  grossen  Synagoge  eher  fest- 
stand, als  man  die  Posten  namhaft  machte,  und  dass  die  70 
Seelen,  mit  denen  Israel  nach  Ägypten  kam,  eher  da  waren,  als  471 
man  sie  —  wahrlich  mit  Mühe  und  Not  —  einzeln  herzuzählen 
wusste.  So  sind  auch  Num.  13  die  zwölf  Namen  jedenfalls  das 
Späteste  und  Künstlichste  an  der  ganzen  Geschichte,  wie  Nöldeke 
selber  nicht  leuo-nen  wird.  Sein  eioentlicher  Grund,  den  Verfasser 
von  Q  für  den  Erfinder  der  Zwölfe  anzusehen,  ist  darum  w^ol 
ein  anderer.  Er  verwertet  solche  Zahlen  wie  12  und  70  manch- 
mal so,  als  kämen  sie  ausschliesslich  in  Q  vor.  Aber  ein  aus- 
schliessliches Eigentum  von  Q  ist  bloss  die  von  der  Schöpfung  der 
Welt  an  fortgeführte  Chronologie  und  die  Benutzung  der  Patri- 
archenjahre zu  diesem  Zweck  ^).  Sonst  kann  man  wol  sagen,  dass 
in  Q  mehr  Zahlensystematik  herrscht,  als  in  JE,  aber  unmöglich 
etwas  anderes.     Wie    Q  im  Anfang   der  Genesis    nach    der  Zehn, 

^)  Dies  nachgewiesen  zu  haben,  ist  ein  Hauptverdienst  von  Nöldekes  Unter- 
suchungen. Yorher  v?ar  schon  Ilgen  (p.  400.  436  s.)  auf  gutem  Wege.  Das 
Buch  des  alten  Rektors  ist  zu  sehr  in  Vergessenheit  geraten. 


200  ^i®  Gesetzgebung. 

so  griippirt  JE  nach  der  Sieben;  die  Zwölf  und  die  Vierzig  kommt 
in  JE  ebenso  oft,  wenn  nicht  öfter  vor,  als  in  Q,  die  Siebzig  nicht 
minder.  Es  ist  darum  wunderlich,  wie  Nöldeke  die  Erzählung  von 
den  12  Wasserquellen  und  70  Palmbäumen  zu  Elim  (Exod.  15,  27) 
bloss  wegen  12  und  70  zu  Q  rechnen  kann.  Nicht  einmal 
die  Angaben  über  das  Alter  der  Patriarchen  —  soweit  sie  nicht 
dem  chronologischen  Systeme  dienen  —  sind  ein  exklusives  Merk- 
mal von  Q.  Nöldeke  selbst  rechnet  die  Zahlen  Gen.  31,  18.  37, 
2.  41,  26.  50,  26  nicht  zu  seiner  Grundschrift.  Ebenso  wenig 
aber  wie  die  110  Jahre  Josephs  darf  man  die  120  Jahre  Moses 
Deut.  34,  7  und  die  110  Josuas  Jos.  24,  29  aus  ihrem  jehovistischen 
Zusammenhange  herausreissen  und  zu  Q  weisen.  Sogar  in  Gen.  5, 
einem  unzweifelhaft  zu  Q  gehörigen  Kapitel,  scheinen  die  Gesamt- 
summen des  Lebensalters  zum  Teil  von  dem  Verfasser  schon 
A^orgefunden  zu  sein;  denn  die  777  Jahre  Lamechs  sind  für  Kap.  5, 
wo  er  die  9.  Stelle  einnimmt,  nicht  motivirt,  sondern  erwachsen 
auf  Grund  der  jehovistischen  Genealogie,  wo  Lamech  der  7.  Erz- 
vater ist  und  sagt:  siebenmal  rächt  sich  Kain  und  Lamech  sieben- 
undsiebzigmal.  Auch  darin  kann  ich  Nöldeke  nicht  Recht  geben, 
dass  die  latente  Zahlensystematik,  welche  hinter  den  ethnogenea- 
logischen  und  anderen  Aufzählungen  versteckt  ist,  ein  so  sicheres 
Kennzeichen  von  Q  ist,  dass  dagegen  alle  anderen  Bedenken 
schweigen  müssen.  „Es  kann  doch  kein  Zufall  sein,  dass  die  Zahl 
70,  welche  bei  der  Einwanderung  in  Ägypten  ausdi'ücklich  genannt 
472  wird,  auch  bei  den  Kindern  Noahs  und  ebenso  durch  Summirung 
aller  übrigen  Genealogien  der  Abrahamiden  herauskommt."  Gewiss 
nicht;  ich  glaube  auch,  dass  Kayser  Recht  hat,  das  Mass  der 
Stationenzahl  Num.  33  in  den  40  (42  nach  Sept.  Jos.  5,  5)  Jahi'en 
des  Wüstenzuges  zu  sehen.  „Ist  das  aber  beabsichtigt,  so  muss 
alles  aus  einer  Quelle  stammen,  und  da  einige  dieser  Genealogien 
notwendig  zur  Grundschrift  gehören,  so  scheint  mir  ihrer  aller  Ab- 
kunft aus  dieser  gesichert  zu  sein."  Dieser  construktiven  Logik 
vermag  ich  nicht  zu  folgen,  da  ihr  philologische  Indicien  bestimmt 
widersprechen.  Gen.  10  ist  eine  Composition  von  Q  und  JE,  und 
erst  der  Component,  also  R,  hat  es  darauf  angelegt,  die  Zahl  70 
herauszubringen;  er  hat  dabei  auch  die  Philister  mitgezählt,  die 
nur  in  einer  alten  Glosse  vorkommen.  Ebenso  gehören,  nach 
philologischen  Merkmalen,  die  Genealogien  der  Abrahamiden  teils 
zu  Q,  teils  zu  JE;  ich  weiss  nicht,  was  darin  Widersinniges  liegen 


Das  Deuteronomiiim.  90J 

soll,  dass  der  Redaktor  (vielleicht  allerdings  bewogen  durch  die 
70  Seelen  Exod.  1)  sie  so  zusammengestellt  hat,  dass  die  Summe  der 
Glieder  70  beträgt.  Derjenige,  der  zuerst  in  unserer  Zeit  die  runde 
Zahl  als  Mass  dieser  Aufzählungen  erkannt  hat,  ist  nicht  Fürst,  wie 
Nöldeke  glaubt,  sondern  Bertheau,  und  zwar  im  Kommentar  zur 
Chronik.  Das  ist  ganz  bezeichnend;  es  sind  eben  die  Späteren, 
welche  das  von  überall  zusammengeholte  Material  heimlich  auf  so 
künstliche  Einheit  zu  bringen  belieben. 

Mit  dem  meisten  Rechte  lässt  sich  noch  die  Bekanntschaft 
des  Deuteronomiums  mit  der  Erzählung  von  Q  aus  10,  22  beweisen. 
Denn  die  70  Seelen,  die  den  Bestand  Israels  bei  der  Einwanderung 
in  Ägypten  ausmachen,  werden  in  JE  nicht  erwähnt,  und  eine 
Lücke  in  der  jehovistischen  Tradition  ist  in  dieser  Beziehung  nicht 
fühlbar.  Aber  sie  widersprechen  ihr  doch  keineswegs,  und  ich 
halte  Deut.  10,  22  füi*  einen  Beweis,  dass  sie  ursprünglich  auch 
in  dieser  ihre  Stelle  hatten^).  Will  man  die  Mücke  seigen,  so 
wird  man  den  Elephanten  verschlucken  müssen.  Es  muss  fest- 
stehn,  1)  dass  das  Deuteronomium  ausführlich  die  ältere  Ge- 
schichte von  Exod.  19  an  reproducirt,  2)  dass  es  dabei  aus- 
schliesslich der  jehovistischen  Anschauung  folgt  und  bei  allen 
Differenzen  die  priesterliche  vollkommen  ignorirt,  3)  dass  diese  473 
völlige  Einflusslosigkeit  von  Q  auf  das  Ganze  der  Anschauung  nur 
aus  Unbekanntschaft  mit  dieser  Sclirift  zu  erklären  ist,  und  4)  dass 
eine  mit  Q  sich  berülu'ende  Einzelheit,  die  nicht  der  jehovistischen 
Tradition  widerspricht,  sondern  in  den  uns  vorliegenden  Fragmenten 
derselben  nur  nicht  direkt  nachweisbar  ist,  unter  diesen  Umständen 
nichts  beweist. 

Was  nun  zweitens  die  legislativen  Voraussetzungen  des  Deu- 
teronomiums (Kap.  12 — 26)  betrifft,  so  scheint  schon  aus  Kap.  5 
bis  11,  wonach  Mose  im  Begriff  ist,  die  ihm  einst  nach  der  Ver- 
kündigung des  Dekalogs  auf  dem  Horeb  mitgeteilten  Gesetze  jetzt 
zu  publiciren,    zu  erhellen,    dass    das    Bundesbuch  (Exod.   20, 1 22 


1)  Man  könnte  denken,  dass  Gen.  46,  8 — 27  und  Exod.  1,  1 — 5  nahe  bei 
einander  in  der  selben  Quelle  sich  stossen.  An  Exod.  1,  1 — 5  =  Q  ist  nicht 
zu  zweifeln  und  daran  auch  nicht,  dass  Gen.  46,  8 — 27  auf  Q  beruht  und  nur 
vielleicht  von  R  noch  weiter  ausgeführt  ist.  Aber  R  könnte  mit  seiner  Aus- 
fühi-ung  eine  ältere  einfache  Angabe  von  JE  verdrängt  haben,  dann  würde 
sich  die  Wiederholung  Gen,  46  und  Exod.  1  und  die  Wahl  der  Stelle  Gen.  46 
erklären, 


202  I^ie  riresetzgebimg-. 

bis  23,  33)  zu  Grande  liegen  miiss,  an  dessen  Stelle  das  Deuterono- 
mium  treten  will.  Dass  dem  wirklich  so  sei,  hat  Graf  (p.  21 — 25) 
zu  zeigen  gesucht.  In  der  Tat  gründet  sich  die  Ansicht,  dass 
die  deuteronomische  Gesetzgebung  ein  Ersatz  für  die  nicht  mehr 
beobachtete  der  Bücher  Leviticus  und  Numeri  sei,  auf  apriorische 
Mutmassung;  eine  beobachtende  Vergleichung  ergiebt,  dass  sie  viel- 
mehr ein  Ersatz  der  jehovistischen  Gesetzgebung  ist.  Das  Deute- 
ronomium  richtet  sich  wie  JE^)  bloss  an  das  Volk  und  enthält 
nur  Verordnungen,  welche  dieses  zu  wissen  nötig  hat,  nicht  auch 
Anweisungen  an  die  Priester  über  die  Technik  des  Kultus  — 
Avährend  Q  sich  wesentlich  an  die  Priester  richtet  und  eine  Menge 
Stoff  enthält,  der  für  die  Laien  keine  praktische  Bedeutung  hat. 
Das  Deuteronomium  verzeichnet  wie  JE  Satzungen  und  Rechte, 
nicht  aber  Thora^),  welche  es  vielmehr  im  mündlichen  Besitz  der 
Priester  belässt,  die  Fragenden  auf  sie  verweisend  (17,  11.  24,  8); 
während  Q  wesentlich  Codification  der  Thora  ist.  Es  hängt  damit 
zusammen,  dass  der  Kultus  im  Deuteronomium  lange  nicht  so  in 
den  Vordergrund  tritt  wie  in  Q.  Israel  ist  im  Deuteronomium  wie 
in  JE  zwar  ein  frommes  Volk,  aber  doch  ein  Volk,  ein  bürger- 
liches Gemeinwesen  —  in  Q  ist  es  eine  Kirche,  eine  Gemeinde,  die 
rein  aufgeht  in  den  geistlichen  Angelegenheiten.  Mchts  ist  dafür 
charakteristischer  als  der  Gebrauch  von  my  (bnp)  in  Q,  welches 
nicht  die  Versammlung  bedeutet,  sondern  immer  füi*  das  ganze  Volk 
474  steht,  dasselbe  aber  nicht  als  ein  natürliches,  sondern  als  ein  geist- 
liches Gemeinwesen  bezeichnet,  ganz  dem  Begriffe  der  ecclesia 
entsprechend.  In  JE  und  im  Deuteronomium  kommt  dieser  Ge- 
brauch nicht  vor,  hier  bedeuten  die  Worte  einfach  die  wirkliche 
Panegyris,  z.  B.  Deut.  23,  4.  Von  selbst  versteht  sich  endlich, 
dass  das  Deuteronomium  (wie  JE)  einen  viel  praktischeren  und 
realistischeren  Zug  hat  als  Q;  die  weltlichen  Dinge  werden  (abge- 
sehen von  Kap.  20)  sachgemäss  behandelt  und  nicht  so  aus  der 
Vogelperspektive  wie  in  Q.  Ganz  bezeichnend  ist  es  in  dieser 
Hinsicht,  dass  Q  eine  Gesetzgebung  nicht  bloss  in  der  Wüste,  son- 
dern auch  für   die  Wüste  sein  will,   das  Deuteronomium   dagegen 


1)  Der  Kürze  wegen  bezeichne  ich  hier  mit  JE  die  jehovistische  Gesetz- 
gebung und  mit  Q  den  Priestercodex. 

2)  Darüber,  dass  das  eigentliche  Deuteronomium  sich  selber  nie  n^lirin 
nennt,  s.  das  p.  190  Gesagte.  Im  Priestercodex  ist  der  Name  Thora  vorzugs- 
weise für  die  Peinheitsgesetze  gebraucht. 


Das  Deuteronomiiini.  203 

SO  wenig  wie  das  alte  Bundesbucli  zu  verleugnen  sucht,  dass  seine 
Verordnungen  sich  auf  die  späteren  realen  Verhältnisse  des  an- 
sässigen Lebens  im  Lande  Kanaan  beziehen. 

Dies  genügt,  um  die  Gleichartigkeit  von  Deut.  12 — 26  mit  JE 
und  die  I^ngleichartigkeit  mit  Q  erkennen  zu  lassen.  Li  eine  Ver- 
gleichung  der  einzelnen  Gesetze  kann  ich  mich  hier  nur  oberfläch- 
lich einlassen  ^).  Deut.  12  polemisirt  gegen  den  durch  Exod.  20,  24 
sanktionirten  Zustand  und  hat  von  der  Stiftshütte,  als  dem 
alleinigen  Fundament  des  Kultus  seit  dem  Bunde  am  Sinai,  keine 
Ahnung.  „Ihr  sollt  nicht  so  tun,  wie  wir  heute  zu  tun  pflegen,  jeder 
nach  seinem  Belieben;  denn  ihr  seid  noch  nicht  zur  Ruhe  und  in 
das  Erbe  gekommen."  Wäln-end  in  Q  die  durch  einen  tragbaren 
Tempel  auch  in  der  Wüste  ermöglichte  Herstellung  des  einheit- 
lichen Centralkultus  mit  der  Gründung  der  Theokratie  selber  zu- 
sammenfällt, ist  sie  hier  von  zukünftigen  Verhältnissen  abhängig  475 
gemacht,  von  fester  Ansiedlung  und  einem  festen  Gotteshause :  kein 
Gedanke  an  die  Möglichkeit,  dass  es  auch  anders  und  früher  ginge. 
Deut.  13  bekämpft  den  Götzendienst  —  im  Priestercodex  wird  dies 
für  überflüssig  gehalten.  Deut.  14,  1 — 21  ist  die  Aufzeichnung 
eines  für  das  tägliche  Leben  ausnahmsweise  wichtigen  Stückes  der 
Thora,  der  Hauptsache  nach  mit  Lev.  11  beinahe  identisch.  AVel-^ 
dies  das  Original  sei,  kann  nur  durch  allgemeine  Gründe  und  nicht 
durch  eine  specielle  Vergleichung  entschieden  werden.     Deut.  14,  22 


1)  Übersicht  von  Deut.  12—26:  a)  Die  Sacra  12,  1—16,  17.  Monolatrie 
zu  Jerusalem  geboten  Kap.  12,  fremder  Dienst  verboten  Kap.  13.  Heiligkeit 
der  Laien  14,  1 — 21.  Die  Abgaben  und  die  Feste  14,  22 — 16,  17.  b)  Die 
theokratischen  Autoritäten  16,  18  —  18,  22.  Richter  16,  18  —  17,  20, 
Priester  18,  1—8,  Propheten  18,  9—22.  c)  Kriminaljustiz  19,  1—21,  9. 
Unfreiwillige  Tödtung  19,  1—10.  Mord  19,  11—13.  Grenzverrückung  19,  14. 
Falsche  Anklage  19,  15 — 21.  Sühne  nicht  zu  rächenden  Blutes  21,  1 — 9. 
d)  Familienrecht  21,  10—23,  1.  Kriegsgefangene  Beischläferin  21,  10 — 14. 
Kinder  der  vorgezogenen  und  zurückgesetzten  Frau  21,  15—17.  Widerspenstiger 
Sohn  21,  18—21.  Beweis  der  Jungfrauschaft  22,  13—21.  Ehebruch  22,  22. 
Schändung  einer  verlobten  Jungfrau  22,  23 — 27,  einer  unverlobten  22,  28.  29. 
Verbot  der  Heirat  mit  des  Vaters  Weibe  23,  1.  e)  Heiligkeit  der  gottesdienst- 
lichen Versammlung  23,  2 — 9  und  (v.  ,15)  des  Kriegslagers  23,  10 — 15. 
f)  Humanitätsgesetze  23,  16—25,  4.  g)  Nachträge  25,  5—19  und 
Kap.  26.  —  Die  Titel  der  Abteilungen  verstehn  sich  zum  Teil  a  potiori,  einige 
heterogene  Elemente  mögen  übrigens  erst  nachträglich  eingesetzt  sein,  z.  B. 
Kap.  20  und  16,  21—17,  7.  Denn  dass  17,  8  fortfährt,  wo  16,  20  aufhört, 
ist  nicht  zu  leusnen. 


204  I^ie  Gesetzgebung. 

bis  16,  17  enthält  die  positiven  kultischen  Verpflichtungen  des 
Volkes,  in  deren  Erfüllung  wesentlich  die  Religion  des  gemeinen 
Mannes  bestand.  Die  Abgaben  werden  verbunden  mit  den  Festen, 
man  soll  dreimal  nach  Jerusalem  kommen  und  sie  dort  in  Freude 
vor  Jahve  verzehren,  zu  Ostern  die  Erstgeburten,  zu  Pfingsten 
wahrscheinlich  den  Getreidezehnten,  zum  Herbstfest  wahrscheinlich 
den  Zehnten  von  Most  und  Öl.  Der  Zusammenhang  der  Feste  mit 
dem  Ackerbau  und  dass  sie  eigentlich  weiter  nichts  sind  als  der 
Dank  füi*  den  Segen  des  Landes  und  die  Fruchtbarkeit  des  Viehes, 
schimmert  hier  hoch  ebenso  deutlich  durch  wie  in  JE.  In  Q  hat 
sich  die  Darbringung  gänzlich  von  den  Festen  abgelöst,  sie  sind 
gewissermassen  auch  Wüstenfeste  mit  abstrakt  religiösem  Cha- 
rakter, während  höchstens  ein  stehn  gebliebener  Ritus  an  die 
Naturbedeutung  erinnert.  Rein  als  Modification  von  JE  erscheinen 
die  Verordnungen  15,  1 — 6  und  v.  12 — 18.  In  Deut.  16,  18  bis 
18,  22  wird  die  Ordnung  des  Gemeinwesens  auf  drei  Grundpfeilern 
aufgebaut,  Richter,  Priester,  Propheten.  Das  Nebeneinander  dieser 
drei  Autoritäten  wäre  in  JE  wenigstens  denkbar,  in  Q  weicht  es 
der  Alleinherrschaft  der  Priester.  Q  weiss  nichts  von  Propheten 
und  hält  nicht  ihr  lebendiges  und  nie  versiegendes  AVort,  sondern 
den  Kultus  und  die  Thora  für  den  göttlichen  Lebensodem  in  Israel. 
Wie  anders  ist  die  Auffassung  Moses  in  Deut.  18,  18,  als  in  Q! 
Aber  auch  die  Priester  haben  hier  andere  Bedeutung,  andere  Ein- 
künfte, andere  Namen  (Bne  Levi,  nicht  Bne  Aharon).  Deut.  19, 
1 — 21,  9  enthält  Kriminalrecht  und  ist  durch  die  Art  des  Inhalts 
mit  JE  verwandt.  Aber  eine  Einzelheit  berührt  sich  mit  Q,  näm- 
lich das  Gesetz  über  die  Asylstädte  19,  1 — 10  mit  dem  ähnlichen 
Num.  23.  Jos.  20.  Nöldeke  hält  das  letztere  für  das  Original. 
„Es  ist  doch  viel  wahrscheinlicher,  dass  die  ausgeführte,  in  der  um- 
ständlichen Gesetzessprache,  wie  wir  sie  in  der  Grundschrift  kennen, 
abgefasste  Darstellung  der  Grundschrift  das  Original  ist,  als  die  ge- 
legentlichen Worte  des  Deuteronomiums."  Gelegentlich  sind  die 
476  Worte  des  Deuteronomiums  nicht  ^),  und  was  die  Sache  betrifft,  so 
hat  sie  sogar  nur  im  Deuteronomium  ihre  Wurzeln.  Bis  dahin 
waren  die  Altäre  die  Asyle    (Exod.  21 ,  14.  1   Regum  2 ,  28),    das 


^)  Es  schemt,  dass  Nöldeke  so  urteilt  im  Hinblick  auf  Deut.  4,  41 — 43. 
Jedenfalls  aber-  haben  diese  Verse  mit  dem  eigentlichen  Gesetze  Deut.  19  nichts 
zu  tun.  Dort  überlässt  Mose  die  Wahl  der  bestimmten  Städte  der  Zukunft 
und  stellt  anheim,  ob   zu   den  drei    westjordanischen  vielleicht  irgend  wann 


Das  Deiiteronomiiim.  205 

Deuteronomium  schaffte  sie  ab,  wollte  aber  nicht  zugleich  die  Asyle 
abschaffen  und  griff  nun  zu  diesem  Ersätze.  Hier  sieht  man  also  in 
die  Genesis  der  Einrichtung,  die  mit  dem  Hauptgesetz  des  Deute- 
ronomiums  enge  zusammenhängt.  Yon  dem  Gesetze  in  Q  kann  man 
keineswegs  das  Gleiche  sagen,  da  ist  die  Sache  von  ihren  Gründen 
abgetreimt  und  auf  sich  selbst  gestellt.  Über  den  Grundsatz  aber, 
dass  das  Ausgeführtere  die  Präsumtion  der  Priorität  füi*  sich  habe, 
lässt  sich  rechten,  während  hingegen  feststeht,  dass  das  Deutero- 
nomium nicht  von  Num.  35  als  Prämisse  ausgehn  kann.  —  Das 
Familienrecht  21,  10 — 23,  1  ist  dem  Deuteronomium  eigentümlich, 
hat  aber,  als  büi'gerliche  Gesetzgebung,  jedenfalls  zu  JE  nähere 
Beziehungen  als  zu  Q.  Yon  Deut.  23,  2 — 15  gilt  allerdings  eher 
das  Umgekehrte,  obwol  der  Begriff  sowol  der  Versammlung  als  auch 
des  Lagers  hier  bestimmt  und  nicht  so  abgeblasst  ist  wie  in  Q. 
Dagegen  stehn  die  Humanitätsgesetze  23,  16 — 25,  4  wiederum  voll- 
kommen mit  denen  in  JE  gleich^). 

3.  Grader  als  auf  dem  so  eben  eingeschlagenen  Wege  lässt  sich 
die  Frage,  ob  das  Deuteronomium  mit  JE  oder  mit  JE  -|-  Q  ver- 
bunden wurde,  auf  einem  andern  Wege  entscheiden.  Der  Deute- 
ronomist, d.  h.  der  Scliriftst eller,  der  das  Deuteronomium  in  das 
hexateuchische  Geschichtsbuch  eingesetzt  hat,  hat  zugleich  das  letztere 
in  deuteronomischem  Sinne  überarbeitet;  von  dieser  Überarbeitung 
ist  nun  aber  nicht  Q,  sondern  vielmelii'  JE  betroffen.  Schon 
Gen.  26,  5  findet  sich  eine  Spur  derselben,  wie  Delitzsch  erkennt, 
der  zugleich  richtig  den  Unterschied  dieser  Redensarten  von  denen  477 
des  eigentlichen  Deuteronomiums  hervorhebt.  Stärker  werden  die 
Spuren  im  Exodus  seit  dem  Auszuge  aus  Ägypten  Exod.  13.  Kap.  16. 
Kap.  19—24  Kap.  32—34;  s.  die  Erörterungen  p.  75  s.  79.  86. 
89  s.  91  s.  Am  stärksten  hat  der  Deuteronomist  die  jehovistische 
Erzählung  im  Buche  Numeri  und    im  Josua    beeinflusst    und    ver- 


einmal noch  drei  andere  kommen  sollen.  Dagegen  bestimmt  er  Deut.  4  gerade 
diese  letzteren  drei  nominatim,  in  vollem  Widerspruch  zu  Kap.  19.  Übrigens 
stehn  die  Yerse  4,  41 — 43  so  vollkommen  verloren  und  zusammenhanglos,  dass 
es  an  sich  unerlaubt  ist,  sie  so  zu  benutzen,  wie  Nöldeke  tut. 

^)  Dass  die  dem  Priestercodex  einverleibte  Gesetzsammlung  Lev.  17 — 26 
eine  mittlere  Stellung  zwischen  Deuteronomium  und  Q  einnimmt,  ist  oben  zu 
zeigen  gesucht.  Die  Heiligkeit  Israels  als  Motiv  der  Gesetze  tritt  beim  Deute- 
ronomium lange  nicht  so  stark  hervor;  die  Heirat  mit  den  Weibern  des  Vaters 
scheint  einfach  aus  dem  sehr  praktischen  Grunde  verboten  zu  werden,  weil 
diese  im  Orient  vielfach  zur  Erbschaft  gehörten. 


206  I^iö  Gesetzgebung. 

mehrt  ^).  Ein  sicheres  Beispiel,  dass  er  auch  auf  Q  eingewirkt  habe, 
ist  nicht  aufzutreiben,  weder  im  Pentateuch  noch  auch  —  wo  man 
es  am  ehesten  zu  finden  erwarten  sollte  —  im  Josua.  Nach 
Nöldeke  zwar  (a.  0.  p.  350  s.)  ist  „der  deuteronomistische  Bericht 
über  den  Tod  Moses  Deut.  32,  48  ss.  Kap.  34  nicht  anders  aufzu- 
fassen, als  wie  eine  Erweiterung  des  fast  noch  im  genauen  Wort- 
laut erhaltenen  Berichts  der  Grundschrift",  aber  Deut.  34,  1  b — 7 
enthält  nichts  von  Q  und  32,  48 — 52  ist  nicht  deuteronomisch 
überarbeitet,  sondern  rein  =  Q.  Zu  Jos.  9,  27  verweise  ich  auf 
das  oben  p.  125  Bemerkte:  1  Hl^'p  ist  eine  (mit  der  Anschauung 
von  Q  übereinstimmende)  Korrektur  von  R.  Nach  Ezech.  44 
sollten  nicht  mehr  heidnische  Krieo-so-efang-ene  die  Hierodulen- 
dienste  im  Tempel  verrichten,  sondern  die  Leviten;  aus  diesem 
Grunde  nahm  man  späterhin  Anstoss  daran,  dass  Josua  die 
Gibeoniten  dem  Altare  und  Hause  Jahves  zuweist,  und  machte 
sie  vielmehr  zu  Knechten  der  Gemeinde.  Der  Ausdruck  Holz- 
hauer und  Wasserschöpfer  kommt  in  JE  (v.  23)  so  gut  vor 
wie  in  Q  (v.  21);  wo  er  ursprünglich  ist,  das  ist  die  Frage,  aber 
wenn  der  Deuteronomist  ihn  gebraucht,  so  hat  er  ihn  aus  JE. 
Über  Jos.  18,  3ss.,  worin  Nöldeke  ebenfalls  einen  deuteronomisti- 
schen  Zusatz  zu  dem  Bericht  der  Gruudschrift  erblickt,  habe  ich 
meine  Ansicht  oben  p.  128ss.  entwickelt;  wenn  die  Meinung,  dass 
Josua  gerade  sieben  Stämmen  erst  später  ihr  Land  zugeteilt  habe, 
überhaupt  die  Meinung  von  Q  ist,  so  ist  sie  ein  Erbteil  von  JE, 
wo  sie  allein  ihre  Wurzeln  hat.  Über  Jos.  20.  22  vgl.  oben 
p.  132  s.  Gesetzt  übrigens,  es  Hessen  sich  wirklich  einige  schein- 
bare Spuren  deuteronomistischer  Bearbeitung  in  Q  nachweisen,  so 
muss  doch  die  Erscheinung  erklärt  werden,  dass  sie  so  unverhält- 
478  nismässig  viel  mehr  in  JE  vorkommen  —  warum  z.  B.  überhaupt 
nicht  in  der  Gesetzesmasse  von  Q,  sondern  immer  in  dem  geschicht- 
lichen Stoffe  des  Hexateuchs?  Diese  sichere  und  durchgehende 
Erscheinung   muss    gegen  einzelne  Gegeninstanzen   von  vornherein 


^)  Wenn  Stähelin  den  Jehovisten  mit  dem  Deuteronomisten  identificirt 
hat,  so  ist  das  —  namentlich  wenn  man  den  Jehovisten  in  unserem  Sinne 
versteht  —  nicht  aus  der  Luft  gegriffen,  freilich  auch  nicht  richtig,  denn  das 
Deuteronomium  setzt  schon  J  +  E  =  JE  voraus.  Über  JE  hinaus  hat  sich 
die  deuteronomische  Bearbeitung  auf  die  mit  JE  gleichartigen  Bücher  Jud., 
Sam.,  Regum  erstreckt,  während  dagegen  in  der  Chronik  die  Geschichte  nach 
den  Voraussetzungen  von  Q  dargestellt  wird. 


Das  Deuterouomiiim.  207 

mistraiiiscli  machen,  um  so  mehr,  da  Jos.  20  zeigt,  dass  die  spä- 
teren Retouchen  des  kanonischen  Textes  manchmal  den  Ton  des 
Deuteronomisten  nachahmen  ^). 

Das  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  sowol  die  Gesetze  als 
die  Erzählungen  des  Deuteronomiums  von  JE  aus  einen  Scluitt 
weiter  tun  in  der  Richtung  nach  Q  zu.  Bei  den  Gesetzen  ist 
dies  am  deutlichsten,  namentlich  bei  Kap.  12.  19,  1 — 10.  Kap.  20. 
23,  1 — 15.  Hinsichtlich  der  Erzählung  möchte  ich  auf  1,  37.  38 
verweisen,  woraus  man  den  Übergang  zu  der  Version  in  Q  ver- 
steht, dass  nicht  bloss  Kaleb,  sondern  auch  Josua  sich  unter  den 
Kundschaftern  befunden  habe.  Ausserdem  kommt  die  Sprache  des 
Deuteronomiums  der  von  Q  schon  näher,  z.  B.  ^'^p^  Kades  Barnea, 
Pesah,  Sukkoth.  Auf  diese  oberflächlichen  Andeutungen  muss  ich 
mich  hier  beschränken.  Ich  füge  noch  hinzu,  dass  bei  der  Zu- 
sammensetzung von  JE  +  Dt  mit  Q  der  Redaktor  auch  im  Deute- 
ronomium  irgendAvie  tätig  gewesen  sein  muss.  So  z.  B.  Deut. 
1,  3.  Das  Deuteronomium  kennt  nicht  die  durchgeführte  Jahres- 
rechnung von  der  Epoche  des  Auszugs  an  und  nennt  die  Monate 
16,  1   noch  mit  ihren  althebräischen  Namen. 

Am  Schluss  meiner  Untersuchung  angelangt,  fasse  ich  ihre 
Ergebnisse  noch  einmal  kurz  zusammen.  Aus  J  und  E  ist  JE  zu- 
sammengeflossen und  mit  JE  das  Deuteronomium  verbunden;  ein 
selbständiges  Werk  daneben  ist  Q.  Erweitert  zum  Priestercodex 
ist  Q  mit  JE  +  Dt  vereinigt  und  daraus  der  Hexateuch  entstanden. 
Der  Einfachheit  wegen  abstrahire  ich  meistens  davon,  dass  der 
literarische  Process  in  Wirksamkeit  complicirter  gewesen  ist  und 
die  sogenannte  Ergänzungshypothese  in  untergeordneter  Weise  doch 
ihre  Anwenduno;  findet.  J  und  E  haben  wol  erst  mehrere  ver- 
mehrte  Ausgaben  (J '  J^  J^,  E^  E'^  E^')  erlebt  und  sind  nicht  als  J' 
und  E\  sondern  als  J^  und  E^  zusammengearbeitet;  Ähnliches  gilt 
von  JE,  Dt  und  Q,  bevor  sie  mit  den  betreffenden  grösseren  Ganzen 
vereinigt  wurden.  Doch  bin  ich  davon  überzeugt,  dass  abgesehen 
vom  Deuteronomium  nur  drei  selbständige  und  den  Zusammen-  479 
hang  vollständig  darstellende  Schriften  anzunehmen  sind,  J  und  E 
und  Q.     Freilich  ist  es  mir  nicht  gelungen,   den  Faden  von  J  und 


1)  Dass  auch  Deut.  1,  39  (vgl.  Sept.)  eine  solche  Retouche  des  MT  sei 
und  darum  nichts  für  die  Herkunft  von  Nnm.  14,  31  (s.  oben  p.  101)  beweist, 
bin  ich  von  Leiden  aus  freundlichst  belehrt  worden. 


208  Das  Buch  der  Richter. 

E  durch  das  Ganze  zu  verfolgen.  In  der  zweiten  Hälfte  des  Buches 
Numeri  und  im  Buche  Josua  tritt  ein  Element  auf,  das  unent- 
schieden zwischen  JE  und  Q  schwebt  und  sich  nicht  recht  be- 
stimmen lässt.  Den  Bericht  Nr.  2,  den  ich  in  Num.  16  und 
öfters  ausgeschieden  habe,  kennt  das  Deuteronomium  nicht  (11,  6), 
welches  hingegen  E  sehr  gut  kennt,  wie  die  Reproduction  von 
Exod.  19—24.  32—34  zeigt. 


Die  Composition  der  Mstorischeii  Bücher. 

Bleek*  Bei  dem  gänzlichen  Mangel  positiver  Angaben  über  die  Ent- 

1^^  stehung  der  Geschichtsbücher  des  Alten  Testaments,  die  ebenso  wie 
der  Hexateuch  allesamt  anonym  sind,  bleibt  nur  die  Analj'se  des 
Inhalts  übrig,  um  irgend  welchen  Aufschluss  zu  gewinnen.  Dabei 
lassen  sich  die  formalen  und  literarischen  Fragen  nicht  unter  Aus- 
schluss der  sachlichen  und  geschichtlichen  behandeln. 


I.  Das  Buch  der  Richter 

zerfällt  in  drei  Teile;  der  mittlere  ist  der  Hauptteil  und  steht 
selbständig  und  abgeschlossen  für  sich,  wodurch  die  beiden  anderen 
etwas  Zusammenhangloses  und  Fragmentarisches  erhalten. 

Die  Eroberung  Palästinas.     Kap.  1,  1 — 2,  5. 

1.  Durch  die  mit  Jos.  1,  1  gleichlautende  Einleitungsformel 
„und  es  geschah  nach  dem  Tode  Josuas"  wird  dies  Stück  an  das 
B.  Josua  angeknüpft.  Aber  in  Wahrheit  ist  es  keine  Fortsetzung, 
sondern  eine  Parallele  dazu,  die  sachlich  an  den  Pentateuch  an- 
schliesst  und  wol  die  Eroberung  des  ostjordanischen,  aber  nicht 
die  des  westjordanischen  Landes  voraussetzt,  diese  vielmehr  erst 
selber  erzählt,  und  zwar  in  einer  ganz  anderen  Weise  als  wie  es 
im  B.  Josua  geschieht. 

Dort  hat  Josua,  in  mehreren  von  ganz  Israel  gemeinschaftlich 
geführten  Feldzügen,  das  ganze  Land  von  Gilgal  aus  erobert  und 
es  zu  Silo  den  einzelnen  Stämmen  ausgeteilt,  von  denen  es  darauf 
ohne  weiteren  Kampf  in  Besitz  genommen  ist.     Hier  ist  zu  Anfang 


Kap.  1,  1-2,  5.  209 

(1,  1)  ganz  Israel  noch  im  Lager  zu  Gilgal  2,  1  (womit  1,  7.  10. 
16  SS.  und  1,  22  stimmen)  Ijeisammen,  von  da  ziehen  die  einzelnen 
Stämme  allein  aus,  um  sich,  wo  es  gelingt,  ein  Los  (1,  3.  18,  1) 
zu  erkämpfen,  zuerst^)  Juda  in  Gemeinschaft  mit  Simeon  und 
einigen  nicht  eigentlich  zu  Israel  gehörigen  Geschlechtern,  sodann 
Joseph,  an  den  sich  die  übrigen  westjordanischen  Stämme  anschliessen.  182 
Die  Einheit  Israels,  vertreten  durch  den  Mal'ak  2,  1  (Exod.  23,  20), 
ist  nur  eine  ideelle,  Josua  als  der  gemeinsame  Herzog  wird  gar 
nicht  erwähnt,  und  statt  dass  er  im  Auftrage  und  auf  direkte  Ein- 
gebung Jahves  handelt,  befragen  1,  1  die  Bne  Israel  das  Orakel 
—  was  im  B.  Josua  ebenso  unerhört  ist  wie  im  Pentateuch.  Wenn 
hierdurch  das  Nacheinander  von  Jos.  1 — 24  und  Jud.  1,  1 — 2,  5 
unmöglich  gemacht  und  das  Statteinander  gefordert  wird,  so  kommt 
noch  hinzu,  dass  nicht  wenige  Stellen  unseres  Kapitels  wörtlich 
oder  ähnlich  auch  im  Josua  vorkommen,  und  dass  es  gar  nicht  auf- 
fallen wüi'de,  das  ganze  Kapitel  darin  verarbeitet  zu  sehen.  Es 
scheint,  dass  in  der  gegenwärtigen  Gestalt  des  B.  Josua  eine  ältere 
Version  restweise  erhalten  ist,  die  mit  der  von  Jud.  1  näher  ver- 
wandt war.  Vgl.  Jos.  9,  4 — 7.  12 — 14,  wo  statt  Josua  vielmehr 
der  israelitische  Mann  handelt.  . 

Drei  Abschnitte.  A.  1,  4 — 21.  Die  Judäer  ziehen  gegen  die 
Kanaaniter  und  Phereziter  (=  die  städtische  und  ländliche  Be- 
völkerung) und  schlagen  den  Adonibezek  zu  Bezek  (in  der  Nähe 
von  Jerusalem  v.  7  und  Gibea  1.  Sam.  11,  8),  der  an  Adonisedek 
von  Jerusalem  (AöwvißsCex  Jos.  10,  1)  erinnert;  sie  erobern  Jeru- 
salem V.  8,  darauf  Hebron  v.  10,  und  weiter  den  Negeb  v.  16.  17, 
wo  sich  Kain  zu  Arad  und  Simeon  zu  Horma  niederlässt,  endlich 
sogar  Gaza,  Askalon  und  Akkaron.  Die  einzelnen  Züge  der  Erzählung 
sind  anekdotisch,  z.  T.  unhistorisch  (v.  8.  18)  und  ausserdem  sich 
nicht  ganz  gleichartig.  Der  9.  Vers  fällt  durch  die  Allgemeinheit 
der  Ausdrucksweise  auf,  v.  11 — 15  stimmt  im  Grunde  nicht  zu 
V.  10,  w^o  Juda  und  nicht  Kaleb  als  Eroberer  Hebrons  erscheint, 
V.  19 — 21  scheint  angehängt,  denn  v.  19  ist  Korrektur  zu  18, 
V.  20  zu  10,  V.  21  zu  8.  —  B.  1,  22—36.  Joseph  zieht  (von 
Gilgal  aus)  gegen  Bethel  und  gewinnt  die  Stadt  durch  Verrat; 
dies  ist  alles  was  von  der  Eroberung  des  mittleren  und  nördlichen 
Landes  gesagt  wird.    Von  den  übrigen  Stämmen  wird  im  Anschluss 


^)  nicht:  im  Yortrabe. 

Well  hausen,    Comp,    d,    Hexateuchs.    3.    Aufl.  ^4 


210  Das  Buch  der  Richter. 

an  Manasse  v.  27  und  Ephraim  v.  29  nur  angegeben,  welche  Städte 
ihres  Loses  im  Besitze  der  Kanaaniter  geblieben  und  erst,  als 
Israel  stark  ward  (d.  h.  in  der  Königszeit),  tributpflichtig  geworden 
seien;  Benjamin  und  Issachar  werden  ignorirt  oder  unter  Joseph 
mit  inbegriffen.  Dan  wohnt  v.  34s.  noch  nicht  unter  dem  Hermon, 
sondern  westlich  von  Juda  und  Ephraim,  die  Amoriter  (nicht  wie 
sonst  die  Kanaaniter,  aber  auch  nicht  die  Philister)  verdrängen 
ihn  aus  den  einst  von  ihm  besessenen  Städten  (anders  wie  y_  27 
29.  30.  31.  33),  die  nachgehens  von  Joseph  unter  israelitische 
Hoheit  zurückgebracht  werden.  Die  Angabe  v.  36,  das  Gebiet  der 
183  Amoriter  habe  sich  von  der  Südgrenze  Judas  an  weiter  aufwärts 
nach  Norden  erstreckt,  stimmt  nicht  zu  der  Anschauung  von 
V.  1 — 33  und  trägt  nichts  zur  Aufklärung  über  die  v.  34.  35 
gemeinten  Amoriter  bei,  welche  von  der  Ebene  her  den  Stamm 
Dan  in  das  Gebirge  drängen.  —  C.  2,  1 — 5.  Nachdem  von  Gilgal 
aus  das  Land  erobert  ist,  rückt  das  religiöse  Centrum  Israels  von 
da  weiter,  nicht  wie  im  B.  Josua  nach  Silo,  sondern  in  die  Nähe 
von  Bethel  1,  22  ss.,  wo  nach  Gen.  35,  8  D''D!1  zu  suchen  ist,  vgl. 
Sept.  2,  1  y.a\  avsßyj  ay^sXos  xupiou  airo  raXyaX  sttI  Baiör^X  (denn 
dass  xotl  sTül  yAaüOfxwva  Dublette  ist,  sieht  man  aus  dem  PL  vXau- 
0(xa>v£?  V.  5  =  CDU  2.  Sam.  5,  24).  Dort  wird  eine  Opferstätte 
errichtet.  Was  zwischen  v.  la  (bis  D^DÜH)  und  5b  ("»^b  Dl^*  lMn.n) 
in  der  Mitte  steht,  widerspricht  der  Anschauung  von  Kap.  1,  in- 
dem es  sich  der  deuteronomischen  nähert,  und  macht  die  Korrektur 
Bethel  (Sept.  v.  1)  fast  notwendig.  Auch  ist  das  Opfer  v.  5 
schwerlich  der  ursprüngliche  und  natürliche  Schluss  des  grossen 
Weinens  gewesen;  und  die  Aussprache  Bokim  statt  Bekaim  scheint 
künstlich. 

Die  Richter.     Kap.  2,  6—16,  31. 

2.  Der  Anfang  2,  6 — 10  knüpft  direkt  an  das  Buch  Josua 
24,  28—31  an  (vgl.  Esdr.  1,  1—3  mit  2.  Chrön.  36,  22s.)  und 
setzt  das  Stück  1,  1 — 2,  5  nicht  voraus,  obwol,  da  ja  letzteres  mit 
Josua  parallel  läuft,  die  durch  2,  6ss.  eingeleitete  Hauptpartie  des 
Richterbuchs  sachlich  und  zeitlich  ebenso  gut  auf  Kap.  1  wie  auf 
das  B.  Josua  folgen  kann. 

Die  Abgeschlossenheit  und  Zusammengehörigkeit  von  2,  6  bis 
16,  31  ergibt  sich  1)  aus  der  Gleichartigkeit  des  Stoffs,  sofern  nur 
hier  von  den  Richtern  gehandelt  wird  und  zwar  von  ihrer  zwölf 


Kap.  2,  G— 16,  31.  211 

(mit  Ausschluss  des  Abimelecli);  2)  aus  der  nur  hier  durchgeführten 
schematischen  Form  der  Chronologie  und  des  religiösen  Pragmatismus. 
Jedoch  sind  die  einzelnen  Erzählungen,  aus  denen  dieser  Hauptteil 
des  Richterbuchs  besteht,  hierdurch  nur  in  eine  äusserliche  und 
leicht  ablösbare  Verbindung;  o-ebracht,  während  sie  in  keiner  inner- 
liehen  und  sachlichen  Beziehung  zu  einander  stehn. 

3.  Folgendes  ist  das  chronologisch-religiöse  Schema,  welches 
indessen  nur  bei  den  sechs  s.  g.  grossen  Richtern,  nicht  bei  den 
sechs  kleinen  hervortritt.  „Und  die  Kinder  Israel  taten  was  böse 
ist  vor  Jahve  .  .  .  und  Jahves  Zorn  ergrimmte  über  Israel  und  er 
verkaufte  sie  in  die  Hand  Kusan-Risathaims  von  Aram  und  sie 
dienten  ihm  8  Jahre.  Und  die  Kinder  Israel  schrien  zu  Jahve 
und  Jahve  erweckte  ihnen  einen  Helfer  .  .  .  den  Othniel  .  .  .  Und 
das  Land  hatte  Ruhe  40  Jahre,  da  starb  Othniel  ben  Kenaz".  3,  7 
bis  11,  „Und  die  Kinder  Israel  taten  weiter  was  böse  ist  vor 
Jahve  und  Jahve  stärkte  ojeo'en  sie  den  Edon  von  Moab  .  .  .  und 
sie  dienten  ihm  18  Jahre.  Und  die  Kinder  Israel  schrien  zu  Jahve  184 
und  Jahve  erweckte  ihnen  einen  Helfer,  den  Ehud  .  .  .  Und  das 
Land  hatte  Ruhe  80  Jahre."  3,  12—30.  „Und  die  Kinder  Israel 
taten  weiter  was  böse  ist  vor  Jahve  nach  Ehuds  Tode  und  Jahve 
verkaufte  sie  in  die  Hand  Jabins  von  Kanaan  .  .  .  Und  die  Kinder 
Israel  schrien  zu  Jahve,  denn  er  ,  .  .  bedrängte  sie  20  Jahre  .  .  . 
(folgt  die  Hilfe  durch  Barak  und  Debora)  .  .  .  Und  das  Land  hatte 
Ruhe  40  Jahre."  4,  1 — 5,  31.  „Und  die  Kinder  Israel  taten 
weiter  was  böse  ist  vor  Jahve  und  er  gab  sie  in  die  Hand  Midians 
7  Jahre  .  .  .  Und  die  Kinder  Israels  schrien  zu  Jahve  ,  .  .  (folgt 
die  Hilfe  durch  Gideon)  .  .  .  und  das  Land  hatte  Ruhe  40  Jahre 
in  den  Tagen  Gideons."  6,  1 — 8,  28.  „Und  die  Kinder  Israel 
taten  weiter  was  böse  ist  vor  Jahve  .  .  .  und  Jahves  Zorn  er- 
grimmte über  Israel  und  er  verkaufte  sie  in  die  Hand  der  Philister 
und  Ammoniter  ...  18  Jahre  .  .  .  Und  die  Kinder  Israel  schrien 
zu  Jahve  .  .  .  (folgt  die  Hilfe  durch  Jephthah)  .  .  .  und  Jephthah 
richtete  Israel  6  Jahre  und  er  starb  und  waixl  begraben  in  den 
Städten  Gileads."  10,  6 — 12,  7.  „Und  die  Kinder  Israel  taten 
weiter  was  böse  ist  vor  Jahve  und  Jahve  gab  sie  in  die  Hand 
der  Philister  40  Jahre  .  .  .  (folgt  Simson)  ...  Und  er  richtete 
Israel  20  Jahre."     13,  1—16,  31. 

Die  innerhalb  dieses  Rahmens  vorkommenden  Zahlen  sind  von 
zweierlei  Ai't,    erstens    für  die  Regierungen    der  Richter    oder    die 

14* 


212  Das  Buch  der  Bichter, 

Ruliezeiten  des  Landes,  und  zweitens  für  die  Interregna  oder  die 
TTnterdrückungszeiten.  Letztere  betragen  bis  zum  Antritt  Jeplithalis, 
bei  dem  11,  26  ein  Abschnitt  gemacht  wird,  8+18+20-1-7+18 
=  71,  erstere  40  +  80+40  +  40=200,  beide  zusammen  also  271 
Jahre  von  Othniel  oder  301  Jahre  (11,  26)  von  Moses  Tode  bis 
Jephthah-,  denn  Josua  hat  30  Jahre  ^).  Da  nun  nach  1.  Reg.  6,  1 
im  Ganzen  480  Jahre,  d.  h.  zwölf  40jährige  Generationen,  ent- 
sprechend 12  Hohenpriestern^),  vom  Auszuge  aus  Ägypten  bis  zum 
Tempelbau  im  4.  Jahre  Salomos  herauskommen  müssen  und  zu 
den  301  Jahren  von  Josua  bis  Jephthah  einerseits  die  40  Jahre 
Moses,  andererseits  die  6  Jahre  Jephthahs,  die  40  Jahre  Davids  und 
die  3  ersten  Jahre  Salomos  als  klare  und  bestimmte  Grössen  hin- 
zukommen, so  bleiben  füi'  die  Pliilisterherrschaft  —  die  40  Jahre 
gedauert  hat  (13, 1)  und  auf  keinen  Fall  mit  den  20  Jahren  Simsons, 
den  40  JahrenElis  (1.  Sam.  4, 18)  und  dem  20jährigen  Interregnum 
(1.  Sam.  7,  2)  addirt  werden  darf,  vielmeln*  wahrscheinlich  Simson 
und  Eli  einbegreift  —  und  für  Samuel  und  Saul  zusammen 
90  Jahre  übrig. 

Die  sechs  kleinen  Richter  stehn  ausserhalb  dieses  Schemas;  in 
185  4, 1  (nc  "lIHNl)  wird  Samgar  ganz  ignorirt.  Gegenwärtig  sind  aber 
auch  sie  mit  Zeitangaben  bedacht;  sie  haben  zusammen  23+22 
+7+10+8=70  Jahre  (10,  2.  3.  12,  9.  11.  14),  was  mit  den  71 
Jahren  der  Interregna  nahezu  sich  deckt.  Derjenige,  der  diese 
kleinen  Richter  einfügte,  wird  also  die  Interregna  nicht  mitgerechnet 
haben,  sondern  bloss  die  Regierungen  oder  Ruhezeiten;  ausserdem 
aber  wird  er  die  Notiz,  dass  Salomo  in  seinem  4.  Jahre  den 
Tempelbau  begonnen  habe,  ungenau  dahin  verstanden  haben,  dass 
vier  Jahre  seiner  Regierung  damals  bereits  verflossen  gewesen  seien: 
so  kommen  auch  nach  dieser  Rechnung  die  480  Jahre  heraus. 
Die  Richtigkeit  der  ersten  Annahme  erhellt  daraus,  dass  die  Inter- 
regna bei  den  kleinen  Richtern  regelmässig  fehlen,  während  sie  bei 
den  grossen,  die  in  das  oben  ausgezogene  Schema  aufgenommen 
sind,  ausnahmslos  vorkommen ;  und  auch  vielleicht  daraus,  dass  nur 
fünf  von  den  kleinen  Richtern  (Samgar  3,  31  nicht)  mit  Zahlen 
versehen  sind,  wegen  der  fünf  Interregna,  denen  sie  substituirt 
werden.      Es  folgt  übrigens  von  selbst,    dass  die    kleinen  Richter 


^)  Giitschmid  bei  Nöldeke,  Untersuchungen  p.  192. 
2)  Bertheau,  Richter  und  Ruth  1883  p.  XIII. 


Kap.  2,  6— IG,  31.  213 

erst  später  zugesetzt  worden  sind,  um  das  Dutzend  voll  zu  machen. 
Sie  haben  auch  ihr  besonderes  Schema:  „und  nach  ihm  erhub  sich 
(richtete)  Thola  (Jair  Ibsan  Elon  Abdon,  vgl.  3,  31  Samgar)  und 
richtete  Israel  23  Jahre  und  starb  und  ward  begraben  zu 
Schamir"^). 

Der  Inhalt  der  kurzen  Angaben  ist  meist  ethnologisch,  s.  Nöldeke 
a.  0.  p.  181  SS.  Elon  der  Zebulonit  heisst  wie  eine  Stadt  in  Zebuion, 
in  der  er  auch  begraben  wird  12, 12;  Thola  ben  Phua  10, 1  erscheint 
Num.  26,  23  wieder.  Jaii*  ist  ein  bekanntes  gilead.  Geschlecht,  er 
hat  dreissig  Söhne,  die  entsprechen  di-eissig  Städten  und  durch  ein 
Misverständnis  auch  dreissig  Eseln;  das  Wort  für  Esel  und  Städte 
ist  im  Hebr.  das  selbe.  Wie  von  Jair  wird  auch  von  Ibsan  und 
Abdon  nur  mitgeteilt,  wie  viel  Kinder  sie  hatten,  und  welches  ilu* 
Stammsitz  war:  es  sind  also  wol  Geschlechter.  Die  Notiz  über 
Samgar  3,  31  erinnert  an  die  Anekdoten  2.  Sam.  21, 15ss.  23,  8ss.; 
als  Philisterkämpfer  ist  er  verfrüht. 

In  dem  Hauptschema,  mit  dessen  Form  und  Inhalt  wir  es 
fortan  allein  zu  tun  haben  werden,  tritt  zu  dem  chronologischen 
Element  das  religiöse^)  hinzu,  wie  denn  beides  genau  ebenso  in 
der  Epitome  des  B.  der  Könige  vereinigt  erscheint.  An  zwei 
Stellen  erweitert  sich  die  Darstellung  des  religiösen  Pragmatismus 
zu  principieller  Ausführlichkeit,  nämlich  10,  6 — 16  und  passender 
in  der  Einleitung  2 ,  6 — 3 ,  6.  In  dieser  letzteren  scheint  zugleich 
die  chronologische  Systematik  durch,  wenn  es  3,  6 — 10  heisst,  das 
erste  nachmosaische  Geschlecht  sei  Jahve  treu  geblieben,  dann 
aber,  nach  dem  Aussterben  Josuas  und  seiner  ihn  überlebenden 
Zeitgenossen,  sei  im  zweiten  Geschlecht  der  Abfall  erfolgt.  Den 
engen  Zusammenhang,  in  welchem  die  wie  eine  Art  Leitartikel  an  186 
die  Spitze  gestellte  grundsätzliche  Auseinandersetzung  mit  den 
Gesichtspunkten  und  Ausdrücken  des  Schemas  steht,  erkennt  man 
namentlich  aus  2,  12.  14.  16.  18:  „und  die  Kinder  Israel  taten 
was  böse  ist  vor  Jahve  .  .  .  und  Jahves  Zorn  entbrannte  über 
Israel  und  er  gab   sie  .  .  .  und  verkaufte  sie  in   die   Hand  ihrer 


1)  [Etwas  anders  habe  ich  in  den  Prolegomena  1895  p.  230  s.  die  arithme- 
tische Aufgabe  zu  lösen  gesucht.  Ich  habe  indessen  kein  grosses  Vertrauen 
mehr  zu  der  Richtigkeit  solcher  Lösungen.  Man  wird  die  Hoffnung  aufgeben 
müssen,  den  Schlüssel  zu  allen  Details  der  künstlichen  Rechnung  zu  finden.] 

2)  „der  fast  rhythmische  Wechsel  von  Götzendienst  und  Unterjochung, 
Bekehrung  zu  Jehova  und  Befreiung"  Yatke,  Bibl.  Theologie  p.  181. 


214  I^as  Buch  der  Richter. 

Feinde  .  .  .  und  Jalive  erweckte  Richter  .  .  .  und  half  ihnen  von 
ihren  Feinden  alle  Tage  des  Richters,  weil  ihr  Geschrei  vor  ihren 
Drängern  ihm  zu  viel  wurde,  aber  nach  dem  Tode  des  Richters 
fielen  sie  wieder  ab  u.  s.  w."  Nun  ist  es  klar,  dass  2,6 — 3,6  und 
ebenso  10,6 — 16  das  Werk  eines  deuteronomistischen  Bearbeiters  sind; 
es  wird  also  diesem  auch  das  chronologisch-religiöse  Schema  seine 
Entstehung  verdanken,  ebenso  wie  die  Epitome  des  B.  der  Könige 
von  dem  selben  Verfasser  herrührt,  der  die  Betrachtung  2.  Reg.  17 
geschrieben  hat.  Doch  wird  man  nicht  annehmen  dürfen,  dass 
erst  durch  diesen  deuteronomistischen  Bearbeiter  überhaupt  die  Ver- 
bindung der  einzelnen  Richtergeschichten  hergestellt  ist;  er  wird 
dieselbe  vielmehr  schon  vorgefunden  haben.  Nur  zu  Anfang  hat 
er  den  Othniel  hinzugefügt,  denn  3,  7 — 11  besteht  lediglich  aus 
den  schematischen  Wendungen. 

4.  Das  vordeuteronomistische  Richterbuch  enthielt  dann  die 
Erzählungen  von  Ehud,  Debora-Barak,  Gideon  (Abimelech),  Jeph- 
thah  und  Simson.  Es  scheint,  dass  schon  hier  gewisse  Andeutungen 
des  von  dem  letzten  Bearbeiter  dann  in  seiner  Weise  retouchirten 
Pragmatismus  (vielleicht  auch  die  ersten  Ansätze  zu  einer  Zeit- 
rechnung) sich  fanden,  beispielsweise  in  folgender  Form:  „da  ward 
die  Hand  Midians  stark  über  Israel  .  .  .  und  Israel  kam  sehr 
herunter  vor  Midian  und  sie  schrien  zu  Jahve.  Da  erschien  der 
Engel  Jahves  dem  Gideon  u.  s.  w.  .  .  .  und  Midian  ward  ge- 
demütigt vor  Israel  und  hob  nicht  mein*  das  Haupt  empor"  6,  2 — 6. 
11  SS.  8,  28.  Mit  Bertheau  (a.  0.  p.  132)  die  ganze  Partie  6,  1—10 
für  deuteronomistischen  Zusatz  zu  erklären,  geht  nicht  an,  denn  in 
V.  11  SS.  wii-d  V.  2 — 6  vorausgesetzt.  Nur  v.  7 — 10  sind,  wie 
man  auch  aus  der  Anflickung  von  v.  7  und  aus  dem  abrupten 
Schluss  V.  10  sieht,  vom  Deuteronomisten  zugesetzt  und  stimmen 
nicht  zu  der  Anschauung  von  v.  11  ss.;  denn  während  in  v.  7 — 10 
das  Unglück  bloss  als  Kehi'seite  des  sündigen  Abfalls  betrachtet 
und  den  Israeliten  selber  zur  Last  gelegt  wü'd,  wird  es  dagegen 
V.  11  SS.  (v.  13)  lediglich  dem  Jahve  zum  Vorwurf  gemacht.  In 
der  früheren  Gestalt  des  Richterbuches  scheint  die  Sünde  als  Ur- 
sache der  Kalamität  noch  nicht  hervorgehoben,  diese  vielmehr  erst 
vom  Deuteronomisten  zugetan  zu  sein,  wie  denn  auch  grade  sie  in 
den  stereotypsten  Formeln  und  immer  ganz  allgemein  als  Abfall  zu 
187  den  Baalim  und  Astaroth  auftritt.  Dagegen  das  Schreien  zu  Jahve 
als  Einleitung  der  von  ihm  gewährten  Hilfe  3,  15.  4,  3.  6,  6  ist 


Kap.  2,  6—16,  31.  215 

wol  älter.  Ebenso  die  Angabe  des  Resultats  zum  Scliluss  „und 
Moab  (Kanaan  Midian  Ammon)  ward  gedemütigt  unter  die  Hand 
Israels"  3,  30.  4,  24.  8,  28.  11,  33;  denn  dass  diese  nicht  eng  mit 
der  gegenwärtig  meistens  darauf  folgenden  chronologischen  Klausel 
zusammenhängt,  ergiebt  sich  aus  4,  24  vgl.  mit  5,  31  und  11,  33 
vgl.  mit  12,  7.  Gleichfalls  schon  dem  vordeuteronomistischen  Ver- 
fasser muss  die  Verallgemeinerung  der  sich  tatsächlich  fast  immer 
nur  auf  diesen  oder  jenen  Stamm  beziehenden  Bedrängnis  und 
Rettung  auf  ganz  Israel  zugeschrieben  werden.  Er  stellt  die  Richter- 
zeit als  Vorbereitung  auf  das  eigentlich  erst  die  Gesamtgeschichte 
Israels  eröffnende  Königtum  Sauls  dar,  was  besonders  bei  dem  von 
Simson  handelnden  Abschnitt  hervortritt.  An  sprachlichen  Eigen- 
tümlichkeiten, die  den  Erzählungen  des  älteren  Richterbuchs  ge- 
meinsam sind,  lässt  sich  anführen:  Israel,  selten  Bne  Israel,  \l/ 
statt  "1^\S%  Hjp  (preisen),  Neigung  zum  Gebrauch  von  El  oh  im.  An 
sachlichen:  die  ausschliessliche  Berücksichtigung  des  eigentlichen 
Israels  und  Ignorirung  Judas,  die  Auffassung  der  Richterzeit  als 
Vorbereitung  des  ephraimitischen  Königtums. 

5.  In  sachlicher  Verbindung  mit  einander  stehn  die  einzelnen 
Geschichten  nicht,  so  dass  es  sich  nicht  einmal  ausmachen  lässt, 
ob  ihre  Anordnung  der  historischen  Folge  der  Dinge  entspricht. 
Über  Ehud,  den  Befreier  des  Stammes  Benjamin  von  dem  Druck 
der  Moabiter,  die  damals  ihre  Macht  sogar  über  das  westjordanische 
Land  ausdehnten,  ist  nichts  zu  bemerken.  Debora-Barak  liegt  in 
zwei  Versionen  vor,  einer  primären  poetischen  Kap.  5,  und  einer 
sekundären  prosaischen  Kap.  4.  Sie  unterscheiden  sich  in  folgenden 
Punkten.  1)  In  Kap.  5  handelt  es  sich  um  eine  Vereinigung  der 
Könige  Kanaans,  Sisera  ist  der  Oberkönig.  Nicht  nur  würde  man 
dies  —  wäre  nicht  Kap.  4  —  aus  v.  19.  20  schliessen,  sondern 
namentlich  v.  28  ss.  erklärt  sich  nur  so.  Siseras  Mutter  wird 
erwähnt,  weil  die  Herrscher  nur  eine  Mutter  haben  und  diese  die 
angesehenste  Person  am  Hofe  ist.  Ihi'e  Dienerinnen  heissen  v.  29 
Fürstinnen,  also  ist  sie  selbst  die  Königinmutter.  Siseras  Gemahlin 
heisst  V.  30  b^I^  (so  mit  Ewald  statt  des  schliessenden  bbli^) 
d.  i.  the  queen.  Dagegen  in  Kap.  4  ist  von  dem  Könige 
Kanaans  die  Rede,  als  sei  Kanaan  nicht  ein  bloss  geographisch- 
ethnologischer, sondern  ein  politischer  Begriff.  Er  wird  Jabin  ge- 
nannt, Sisera  sei  nur  sein  Feldhauptmann  gewesen.  Aber  der  letztere 
ist  nicht  nur  die  einzige  handelnde  Person,  sondern  er  hat  sogar 


216  Das  Buch  der  Richter. 

seine  eigene  Residenz  4,  2,  was  denn  doch  für  den  Obersten  des 
Heeres  eine  bedenkliche  Sache  ist.  Jabin  von  Hasor  und  Sisera 
188  von  Haroseth  sind  durch  einen  harmonistischen  Kunstgriff  neben 
einander  möglich  gemacht,  eigentlich  sind  sie  Pendants.  Es  sind 
zwei  Geschichten,  die  sowol  örtlich  und  zeitlich  als  auch  inhalt- 
lich nahe  bei  einander  liegen,  confundirt;  die  von  Jabin  von  Hasor 
wird  selbständig  in  Jos.  11  erzählt.  2)  Aus  Kap.  5  erhalten  wii'^) 
weniger  das  Bild  eines  vom  Feinde  bereits  unterworfenen  und 
in  tributäre  Abhängigkeit  versetzten,  als  vielmehr  eines  von  ihm 
durch  Streifzüge  beunruhigten  und  unsicher  gewordenen  Landes; 
früher  hatte  Handel  und  Wandel  geblüht,  dann  aber  feierten  die 
Strassen.  Damit  vgl.  4,  2.  3:  „Jahve  verkaufte  sie  in  die  Hand 
Jabins  und  er  bedrückte  sie  mit  Härte."  3)  In  Kap.  5  sind  es 
Ephraim  mit  Benjamin,  Machir  (=  Westmanasse),  Zebuion,  Naph- 
thali  und  Issachar,  die  zum  Kampfe  ausziehen,  d.  h.  diejenigen 
Stämme,  die  in  der  Ebene  Jezreel  ihren  Mittelpunkt  haben  und 
sowol  nördlich  als  auch  namentlich  südlich  davon  wohnen.  Von 
dieser  Ebene  (offenbar  von  den  hier  gelegenen  festen  Städten)  geht 
also  der  Druck  der  Kanaaniter  aus,  und  der  am  meisten  davon 
betroffene  Stamm  ist  der  hier  wohnende  Issachar;  denn  ihm  ge- 
hören nach  dem  nicht  aus  Kap.  4,  sondern  aus  sich  selbst  zu  ver- 
stehenden Yerse  5,  15  die  beiden  Unternehmer  und  Führer  der 
Erhebung  an,  Barak  und  Debora.  Hingegen  in  Kap.  4  ziehen  nur 
Zebuion  und  Naphthali  in  den  Kampf,  die  zwar  auch  5,  18  er- 
wähnt werden,  aber  so,  als  ob  sie  eigentlich  ähnlich  wie  Kuben 
Gilead  Dan  und  Äser  der  Sache  ferner  stünden  und  daher  doppelt 
zu  loben  wären,  dass  sie  dennoch  daran  teilgenommen  hätten.  Ver- 
steht sich,  muss  zu  Gunsten  des  Liedes  entschieden  werden,  zumal 
da  auch  die  nur  in  die  Ebene  passenden  kanaanitischen  Kriegs- 
wagen am  wenigsten  gegen  die  galiläischen  Gebirgsstämme  anwend- 
bar sind.  Barak  selber  stammt  nach  Kap.  4  aus  Kedes  Naphthali 
—  wol  eine  Verwechslung  mit  Kedes  Issachar  (am  Thabor  4,  9), 
worauf  die  Niederlassung  der  Keniter  bei  Elon  Besaanim  4,  11  ein- 
gewirkt hat,  welche  letztere  aber  schwerlich  5,  24.  4,  17  gemeint 
sein  kann,  da  Jael  viel  näher  bei  Megiddo  und  in  der  Ebene 
Jezreel  gewohnt  haben  muss.     Debora  soll  gar  nach  4,  5  zwischen 


^)  Wie  Studer  in  seinem  zwar  fragmentarischen   aber  vortrefflichen  Kom- 
mentar zum  Buch  der  Richter  (Bern  1835)  zu  5,  6  bemerkt. 


Kap.  4,  1- 


1. 


217 


Rama  und  Bethel  auf  dem  Gebirge  Ephraim  gewohnt  haben  —  da 
gab  es  in  der  Tat  einen  Baum  der  Debora  (Gen.  35,  8.  1.  Sam. 
10,  3),  der  die  Veranlassung  geworden  ist,  unsere  Richterin  höchst 
unpassender  Weise  dort  anzusiedeln,  denn  offenbar  steht  sie  als 
die  Seherin  von  Issachar  dem  Barak  als  dem  Krieger  von  Issachar 
zur  Seite.  Übrigens  scheint  Barak  nach  5,  12,  wo  Luther  gewiss 
richtig  übersetzt  fange  deine  Fänger  und  die  Punktation  nur 
aus  harmonistischen  Gründen  vokalisirt  fange  deine  Gefange- 
nen, einen  persönlichen  Anlass  gegen  die  Kanaaniter  gehabt  und  189 
nicht  zögernd  der  Aufforderung  Deboras  gehorcht  zu  haben.  4)  Die 
Hauptdifferenz,  die  zugleich,  schlagend  die  Abhängigkeit  des  histo- 
rischen Kommentars  vom  Liede  erweist,  betrifft  die  Ermordung 
Siseras. 


5,  24.  Gepriesen  über  alle 
Weiber  sei  Jael,  das  Weib  He- 
bers des  Kernten,  über  die  Zelt- 
weiber sei  sie  gepriesen.  Wasser 
forderte  er,  Milch  gab  sie,  in 
prächtiger  Schale  brachte  sie 
Milch.  Ilii-e  Hand  streckte  sie 
nach  dem  Stiele  und  ilu'e  Rechte 
nach  dem  Werkhammer,  und 
schlug  den  Sisera,  traf  seinen 
Kopf,  zerschmetterte  und  zer- 
schlug seine  Schläfe.  Vor  ilii'e 
Füsse  sank  er  hin,  fiel  und  lag 
am  Boden,  vor  ihre  Füsse  sank 
er  hin  und  fiel,  blieb  erschlagen 
liegen,  wo  er  hingesunken. 


4,  19.  Sisera  ging  zu  Jael 
in  das  Zelt  und  sie  deckte  ihn 
zu  mit  dem  Netze  und  er  bat 
sie  um  etwas  Wasser  und  sie  gab 
ihm  Milch  aus  dem  Schlauche 
und  deckte  ihn  wieder  zu.  Und 
er  hiess  sie  Wache  halten  am 
Eingange  und  ihn  verleugnen, 
wenn  jemand  fragte.  Sie  aber 
nahm  den  Zeltpflock  und  den 
Hammer  in  die  Hand  und  trat 
leise  zu  ihm  und  schlug  den 
Pflock  durch  seine  Schläfen  und 
trieb  ihn  in  den  Boden,  Avährend 
er  fest  entsclilafen  war;  und  er 
ward  ohnmächtig  und  starb. 


Nach  Kap.  5  muss  man  sich  folgende  Vorstellung  machen. 
Während  Sisera  gierig  trinkt  und  die  gewaltige  Schale  sein  Gesicht 
bedeckt,  ergreift  Jael  den  Hammer  und  schlägt  ihn  damit  vor  die 
Schläfe,  so  dass  er  auf  der  Stelle  tot  bleibt;  natüidich  ist  er 
stehend  gedacht,  denn  sonst  kann  er  nicht  vor  ihr  zusammenbrechen 
und  zu  Boden  stüi'zen.  Ganz  anders  in  Kap.  4.  Da  liegt  Sisera 
und  schläft,  im  Schlaf  wii'cl  er  gemordet,  aber  nicht  mit  einem 
Hammerschlag,  sondern  so  dass  ein  Zeltpflock  mittels  eines  Hammers 


218  Das  Buch  der  Richter. 

ihm  durch  die  Schläfe  in  den  Boden  getrieben  wird  (n^i^m  4,  21 
schlägt  zurück  auf  HD^n  5,  26).  Diese  grausame  und  unsinnige 
Weitläufigkeit  —  zu  der  denn  auch  der  tiefe  Schlaf  und  das  Liegen 
Siseras  erforderlich  ist  —  beruht  auf  misverstandener  Differenzirung 
von  in''  und  m?obn  5,  26,  während  diese  Ausdrücke  dort  in 
Wahi-heit  ebenso  gleichbedeutend  sind  wie  Hl''  (nicht  nb>s?2t^)  und 
r{jV2"'  und  nur  des  poetischen  Parallelismus  wegen  variiren;  vgl. 
Zach.  9,  9  mit  Matth.  21,  2.  7.  Nur  in  Kap.  5  ist  Jaels  Tat 
heroisch,  in  Kap.  4  feige  und  heimtückisch.  5)  Das  Einzige,  was 
in  Kap.  4  nicht  aus  Misverständnis  oder  Ausspinnung,  sondern  aus 
Tradition  zu  erklären  ist,  ist  der  Name  von  Deboras  Manne,  Lappi- 
doth,  der  freilich  der  Bedeutung  nach  (Exod.  20,  18)  merkwürdig 
an  Barak  erinnert^). 
190  6.  Über  Gideons  Besiegung  der  Midianiter  besitzen  wir  gleich- 

falls zwei  ganz  verschiedene  Versionen,  von  denen  die  eine  voll- 
ständig und  sogar  mehr  als  vollständig  erhalten  ist  6,  1 — 8,  3, 
die  andere  aber  am  Anfange  verstümmelt.  Nach  der  ersten  wird 
Gideon  nicht  durch  einen  persönlichen  und  sachlichen  Anlass  be- 
wogen, den  Feinden  entgegen  zu  treten,  sondern  im  voraus,  ehe  die 
jMidianiter  ihren  diesjährigen  Einfall  gemacht  haben,  durch  eine 
Theophanie  zum  Helfer  Israels  designirt.  Wie  nun  wirklich  die 
Midianiter  kommen,  ergreift  den  also  Prädisponirten  der  Geist,  er 
stellt  sich  an  die  Spitze  seines  Geschlechtes  Abiezer  und  der  israe- 
litischen Bauerschaft  und  zieht,  nicht  ohne  vorher  noch  durch  ge- 
wisse Proben  seines  göttlichen  Auftrags  sich  versichert  zu  haben, 
gegen  den  im  Osten  der  Ebene  Jezreel  (7,  12)  am  Pass  nach 
Bethsean  zu  gelagerten  Feind.  Sein  anfangs  32,000  Mann  starkes 
Heer  schmilzt  durch  göttliche  Veranstaltung  auf  10,000  und  end- 


1)  Für  die  Gleichzeitigkeit  des  Liedes  ist  zunächst  5,  8  anzuführen,  wo 
die  Gesamtzahl  der  streitbaren  Männer  Israels  auf  40  000  (im  Pentat.  600  000) 
angegeben  wird,  sodann  die  Wildheit  des  Aifectes  5,  25  —  27  und  die  Freude 
über  die  getäuschten  Erwartungen  der  Mutter  5,  28  ss.  „Mit  diesem  glühenden 
Hass  kann  bloss  ein  Beteiligter,  der  den  Hohn  eines  übermütigen  Unterdrückers 
an  sich  selbst  erfahren  hat,  sich  über  einen  toten  Feind  aussprechen,  nicht 
ein  Jahrhunderte  später  lebender  Dichter"  (Studer  p.  166).  Die  Abfassung 
durch  Debora  ist  dagegen  unwahrscheinlich,  denn  in  5,  3  ist  ^2^5^  Israel  wie 
Exod.  15,  und  in  5,  15  wird  von  Debora  in  3.  Person  geredet.  Es  bleibt  nur 
V.  «7  übrig,  aber  da  ist  Tl^Dp  als  erste  Person  durch  den  Glauben,  Debora  sei 
die  Dichterin,  entständen  und  in  Wahrheit  entweder  als  dritte  oder  als  zweite 
Person  sg.,  fem.  gemeint. 


Kap.  6,  1-9,  57.  219 

lieh  auf  300  zusammen,  mit  diesen  wagt  er  einen  nächtlichen  Über- 
fall und  zersprengt  die  Nomaden.  Während  sie  dem  Jordan  zu 
fliehen,  bietet  Gideon  den  Heerbann  Israels  und  namentlich  Ephra- 
ims auf,  um  den  Flüchtigen  die  Furten  zu  verlegen-,  es  gelingt, 
und  unter  anderen  fallen  die  beiden  Fürsten  der  Midianiter,  Oreb 
und  Zeeb,  den  Ephi*aimiten  in  die  Hände.  Nachdem  so  weit  alles 
gut  gegangen,  droht  zum  Schluss  noch  ein  unangenehmes  Nach- 
spiel. Die  Ephraimiten,  übermütig  über  ihren  Erfolg,  sprachen  zu 
Gideon:  was  ist  das  für  ein  Streich,  den  du  uns  gespielt,  uns  nicht 
aufzubieten,  (gleich  anfangs)  als  du  in  den  Kampf  zogest  gegen 
Midian?  und  zankten  heftig  mit  ihm.  Aber  er  antwortete  ihnen: 
was  habe  ich  denn  jetzt  getan  im  Vergleich  zu  euch?  ist  nicht  die 
Nachlese  Ephraims  besser  als  die  Ernte  Abiezers?  in  eure  Hand 
hat  Gott  die  Fürsten  Mdians  gegeben  und  was  habe  ich  dagegen 
zu  tun  vermocht?  Da  liess  ihr  Zorn  ab  von  ihm,  als  er  so  redete 
(8,  1-3). 

Man  sollte  denken,  bemerkt  Studer  p.  212 — 215  mit  Recht, 
zu  einer  solchen  Erörterung  sei  erst  Zeit  gewesen,  nachdem  die 
Verfolgung  beendet,  der  Sieg  vollständig  und  seine  Früchte  ge- 
pflückt waren ;  wie  hätte  sonst  auch  das  Bild  von  der  Ernte  und 
gar  von  der  Naclilese  gebraucht  werden  können?  Statt  dessen  ist  191 
nun  im  Folgenden,  von  8,  4  an,  noch  beinah  alles  zu  tun  übrig. 
Da  setzt  Gideon  mit  seinen  300  jMann  in  rastloser  Verfolgung  den 
Midianitern  über  den  Jordan  nach;  auf  die  Bitte  um  Brot  für 
seine  erschöpften  Leute  fragen  ihn  die  Bürger  von  Sukkoth  und 
Plienuel  höhnisch,  ob  er  denn  etwa  schon  des  Erfolges  sicher  sei, 
so  dass  man  Ursach  habe,  für  ihn  Partei  zu  nehmen;  aber  un auf- 
gehalten setzt  er  seinen  Weg  nach  Osten  fort  und  erreicht  endlich 
am  Saum  der  Wüste,  bei  Karkor,  das  Lager  der  Nomaden.  Sie 
werden  vollständig  überrascht  und  ihi'e  beiden  Könige,  die  hier 
Zebah  und  Salmunah  heissen,  gefangen  genommen.  Auf  diese 
letzteren  hat  es  Gideon  eigentlich  abgesehen,  denn  wie  wir  nun  zum 
Schluss  erfahren,  hatten  sie  am  Thabor  Brüder  von  ihm  getötet, 
und  es  war  die  persönliche  Pflicht  der  Blutrache,  wegen  deren  er 
sich  mit  seinem  Geschlecht  zur  Verfolgung  aufmachte  und  nicht 
eher  ruhte,  als  bis  er  die  Schuldigen  in  seiner  Gewalt  hatte.  Die 
Rache  selbst  zu  vollstrecken,  schämt  sich  anfangs  der  männliche 
Held;  da  aber  sein  Erbe  sich  als  zu  jung  erweist,  kann  er  sich  der 
Pflicht  nicht  entziehen. 


220  Das  Buch  der  Richter. 

Nicht  bloss  ist  mit  8,  1 — 3  das  Vorhergehende  notwendig  ab- 
geschlossen, sondern  das  Folgende  8,  4 — 21  geht  auch  von  ganz 
anderen  Voraussetzungen  aus.  Während  nach  7,  23  ss.  der  Heer- 
bann Israels  und  Ephraims  aufgeboten  ist,  sind  8,  4ss.  nur  Gideon 
und  seine  300  Leute  unaufhaltsam  hinter  den  Feinden  her. 
Während  nach  8,  1 — 3  (vgl.  7,  24.  25)  schon  Lese  und  Nachlese 
gehalten  und  die  Verfolgung  zum  Ziel  gelangt  ist,  halten  es  die 
(kanaan.)  Bürger  von  Sukkoth  und  Phenuel  8,  6.  8  noch  für  zweifel- 
haft, wie  die  Sache  auslaufen  werde.     Die  beiden  Häuptlinge,   die 

7,  25.  8,  3  die  Fürsten  Zeeb  und  Oreb  heissen  und  bereits  ge- 
fangen sind,  heissen  8,  5ss.  die  Könige  Zebah  und  Salmunah  und 
■sind  noch  nicht  gefangen.  Die  Hauptsache  aber  ist,  dass  der  An- 
lass,  weshalb   Gideon,   hier  ein  vornehmer  und  königlicher  Mann 

8,  18  und  nicht  der  Unansehnlichste  seines  Geschlechts  6,  15,  in 
der  zweiten  Version  sich  gegen  die  Midianiter  aufmacht,  ein  ganz 
anderer  ist  als  in  der  ersten,  wie  wir  leider  nur  aus  8,  18 ss. 
schliessen  können,  da  uns  der  Anfang  der  mit  8,  4  einsetzenden 
Geschichte  nicht  erhalten  ist.  Dort  ist  es  der  Befehl  Jahves,  der 
ihn,  sehr  gegen  seinen  Willen,  zum  Retter  Israels  bestimmt-,  hier 
sind  es  natüidiche  und  menschliche  Motive,  die  ihn  antreiben,  den 
midianitischen  Königen  nachzusetzen  —  nicht  im  Interesse  des 
Ganzen,  sondern  seiner  Person,  nicht  an  der  Spitze  Israels,  sondern 
seiner  300  Leute,  die  bis  zuletzt  seine  einziehe  Mannschaft  bilden. 
Schon  bei  Barak  vermuteten  wir  in  Veranlassung  von  5,  12   eine 

192  ähnliche  Differenz,  wie  sie  hier  ungleich  klarer  vorliegt.  Harmo- 
nistische Klammern,  wodurch  die  beiden  Versionen  zusammenge- 
halten werden,  sind  in  7,  25  und  8,  10  zu  entdecken.  „Die  Köpfe 
Orebs  und  Zeebs  brachten  die  Ephraimiten  zu  Gideon  jenseit  des 
Jordans",  heisst  es  7,25.  Aber  erstens  geht  er  erst  8,4  hinüber 
und  ist  8,  1 — 3  noch  diesseits,  wie  denn  überhaupt  in  6,  1 — 8,  3 
sich  alles  im  westlichen  Lande  abspielt;  zweitens  ist  es  absurd, 
dass  die  aufsässigen  Ephraimiten  ihm  ihi'e  spolia  opima  aus  'freien 
Stücken  sollten  zu  Füssen  gelegt  haben.  Von  8,  10  sind  nur  die 
ersten  Worte  echt,  dagegen  passen  die  120,000  Erschlagenen  offen- 
bar nicht  zu  den  300  Mann,  welche  sie  nach  den  anderweitigen 
Voraussetzungen  von  8,  4ss.   hätten  erschlagen  müssen^). 


^)  Einer  dritten  Version  folgt  Isa.  10,  26.  Darnach  ist  der  Haiiptschlag  beim 
Felsen  Oreb  gefallen,   der  7,  25   nur  beiläufig   erwähnt  wird.     Studer  p.  215. 


Kap.  6,  1—9,  57  221 

Ohne  Zweifel  ist  die  natürliche  Version  8,  4 — 21  die  primäre 
und  die  religiöse  6 ,  1 — 8 ,  3  secundär.  Bei  der  letzteren  hat  sich 
übrigens  der  ursprüngliche  Kern  durch  spätere  Zusätze  sehr  er- 
weitert. Nach  6,  34  hat  Gideon  zunächst  bloss  sein  Geschlecht 
Abiezer  hinter  sich,  dann  aber  bietet  er  6,  35  auch  das  übrige  be- 
nachbarte Israel  auf.  Nachdem  jedoch  glücklich  32,000  j\Iann  bei 
einander  sind,  muss  auf  alle  Weise  dafür  gesorgt  werden,  sie  wieder 
auf  300  herabzubringen,  denn  nur  so  viel  zogen  nach  der  alten 
Tradition  (8,  4)  in  den  Kampf.  Der  Verdacht ,  dass  sowol  6,  35 
als  ein  grosser  Teil  von  Kap.  7  spätere,  aus  der  Tendenz,  wo- 
möglich immer  ganz  Israel  handeln  zu  lassen,  entsprungene  Zu- 
sätze seien,  wird  noch  verstärkt  durch  7,  23 — 8,  3.  Nämlich  hier 
bietet  Gideon  den  allgemeinen  Heerbann  erst  bei  der  Verfolgung 
auf,  offenbar  damals  zum  ersten,  nicht  zum  zweiten  Male;  denn 
die  Ephraimiten  zürnen  darauf,  dass  sie  nicht  gleich')  gerufen 
seien,  während  sie  doch  6,  35  gewiss  nicht  absichtlich  ausgeschlossen 
sind;  und  ebenso  hat  es  8,  1 — 3  den  Anschein,  als  ob  vor  7,  23 
dem  Gideon  niema^nd  weiter  gefolgt  sei,  als  eben  sein  eigenes  Ge- 
sclilecht  Abiezer.  Ein  ferneres  Supplement  ist  6,  25 — 32.  In  dem 
n.  p.  Jerubbaal  konnte  einer  einigermassen  alten  Tradition  —  und 
das  ist  in  iln-en  Grundlagen  auch  die  von  6,  1 — 8,  3  —  der  Name 
Baal  so  wenig  anstössig  vorkommen,  wie  in  den  ähnlichen  nn.  pp. 
Isbaal  oder  Meribaal.  Und  wozu  der  neue  Altar,  da  ja  gerade 
vorher  v.  24  schon  einer  errichtet  ist,  der  noch  heute  steht? 
Übrigens  ist  auch  schon  dieser  letztere  im  Vergleich  zu  6,  17 — 21 
ein  Nimium.  Denn  der  ursprüngliche  Altar  ist  der  als  Sitz  der 
Theophanie  gedachte  Stein  unter  der  Eiche,  auf  dem  Gideon  v.  19  s. 
opfert  und  aus  dem  v.  21  die  Flamme  schlägt  —  eine  altertüm-  193 
lichere  Vorstellung  als  das  Herabfallen  des  ersten  Opferfeuers  vom 
Himmel,  die  eine  gewisse  Identificii^ung  von  Stein  und  Gottheit 
voraussetzt.  Der  Altar  und  das  Opfer  von  v.  22 — 24  kommen 
post  festum,  obwol  es  deutlich  ist,  dass  v.  22  an  21  anknüpft. 
Man  beachte  auch,  dass  schon  in  v.  17  Gideon  ahnt,  wen  er  vor 
sich  hat,  und  grade  deshalb  opfert,  um  der  Sache  gewiss  zu  werden, 


^)  [Das  von  mir  Jiid.  8,1  siipplirte  „gleich  anfangs"  —  vgl.  p.  219,  10  — 
kann  zwar  mit  einigem  Recht  aus  riDvil  (als  du  in  den  Kampf  gingest)  her- 
aus gelesen  werden,  entspricht  aber  doch  vielleicht  nicht  der  ursprünglichen 
Meinung  des  Yerses.  Dann  würde  sich  der  schon  so  vorhandene  Widerspruch 
von  7,  23 — 8,  3  zu  dem  vorhergehenden  noch  verstärken]. 


222  Das  Buch  der  Richter. 

also  füglicli  nicht,  wie  in  v.  22,  erschrecken  kann,  da  die  Probe 
nach  Wunsch  ausfällt;  dass  ferner,  wenn  Jahve  v.  21  vor  ihm  ver- 
schwindet, er  nicht  mehr,  wie  in  v.  23,  mit  ihm  reden  kann.  — 
Es  ist  möglich,  dass  der  ursprüngliche  Erzähler  von  6,  1 — 8,  3 
(oder  viell.  überhaupt  der  vordeut.  Verfasser  des  Richterbuchs) 
Elohim  und  nicht  Jahve  gesagt  hat;  denn  in  6,  20  ist 
D\lbNn  "]iS*bo  gewiss  nicht  aus  dem  gewöhnlichen  mni  "D,  sondern 
umgekehrt  dieses  aus  jenem  hergestellt,  und  in  8,  1 — 3  sagt  Gideon 
Elohim.  Auf  6,  36 — 40  darf  man  sich  indessen  schwerlich  be- 
rufen, denn  diese  abermalige  Probe  steht  sehr  ungeschickt,  und 
der  Ausdruck  v.  39  stimmt  wörtlich  mit  einer  späten  Stelle  der 
Genesis  (18,  32).  Doch  mag  immerhin  6,  36 — -10  älter  sein  als 
6,  22 — 24.  25—32  und  7,  2 — 9,  und  andererseits  mag  der  Name  Jahve 
in  6, 11 — 21  und  in  Kap.  7  auf  späterer  Redaktion  beruhen. 

Was  den  Schluss  der  Geschichte  Gideons  betrifft  8,22 — 28, 
so  ist  derselbe,  sofern  er  die  Nachricht  über  das  Ephod  zu  Ophra 
enthält,  die  Fortsetzung  der  Version  8,  4 — 21,  denn  mit  den  letzten 
Worten  von  8,  21  ist  der  Ansatz  gemacht,  etwas  Näheres  über  die 
goldene  Beute  zu  berichten.  Aber  der  Zusammenhang,  worin  die 
Nachricht  jetzt  steht,  ist  jung.  Die  alte  Sage  kann  es  nur  als  einen 
schönen  Zug  von  Gideons  Uneigennützigkeit  berichtet  haben,  dass 
er  die  Beute  nicht  für  sich  behielt,  sondern  Gotte  weihte.  Das 
ursprüngliche  Motiv  hat  vielleicht  nachgewirkt  in  der  Ablehnung 
des  ihm  angetragenen  Königtums  v.  22,  die  von  einem  sehr  späten, 
zuerst  bei  dem  nordisraelitischen  Propheten  Hosea  auftauchenden 
Gegensatz  der  menschlichen  zur  göttlichen  Herrschaft  ausgeht  (Vatke, 
p.  263)  und  zudem,  obwol  auf  der  Parabel  Jothams  beruhend,  doch 
nicht  zu  der  Angabe  9,  2  stimmt,  wonach  Gideon  der  Sache  nach 
allerdings  König  von  Ephraim  und  Manasse  gewesen  ist  und  seine 
Herrschaft  auf  sein  Geschlecht  vererbt  hat  —  was  ältere  Ausleger 
vergebens  weg  zu  interpretiren  suchen. 

8,  29  —  35  ist  die  Einleitung  zu  Kap.  9,  eine  rein  re- 
daktionelle Arbeit,  grösstenteils  bis  auf  den  Ausdruck  aus  Kap. 
9  entlehnt.  Wenn  es  v.  39  heisst:  „als  nun  Gideon  starb,  hurten 
die  Kinder  Israel  wieder  hinter  den  Baalim  her  und  machten  sich 
den  Baal  Berith  zum  Gott",  so  ist  das  eine  ganz  unhistorische,  aber 
194  füi-  das  Verfahren  des  Redigenten  charakteristische  Verallgemeinerung 
der  Nachricht  von  Kap.  9,  dass  die  damals  noch  kanaanitischen 
Bürger  von  Sichem  einen  Tempel  des  Baal  Berith  besassen.      Das 


Kap.  11,  1-12,  7.  223 

9.  Kapitel  selber  zeichnet  sich  durch  Vermeidung  des  Namens  Jahve 
und  durch  den  Gebrauch  des  Namens  Jerubbaal  aus,  welcher 
letztere  sich  jetzt  in  Kap.  6 — 8  nur  hie  und  cla  findet,  ursprünglich 
aber  auch  in  einer  der  beiden  Versionen  über  Gideon,  und  zwar 
nicht  in  der  ersten,  der  6,  11 — 21  angehört,  regelmässig  gebraucht 
sein  muss,  da  sich  sonst  die  Interpolation  6,  25 — 32  und  ihre  Stelle 
nicht  wol  erklären  liesse.  Im  Ton  und  Geist  hat  Kap.  9  gar  keine 
Verwandtschaft  mit  der  ersten,  dagegen  eine  sehr  grosse  mit  der 
zweiten  Version.  „Der  theokratische  Pragmatismus  macht  hier  einer 
schlichten  Darstellung  des  Kausalnexus  der  Begebenheiten  Platz, 
der  nicht  wie  früher  durch  das  wunderbare  Einsekreiten  einer 
überirdischen  Macht  und  Leitung  aufgehoben  wird.  Die  religiöse 
Betrachtungsweise  des  Erzählers  bescheidet  sich,  in  dem  Schicksal 
des  freveln  Abimelech  und  der  ihm  zu  seinen  Schandtaten  behilf- 
lichen Sichemiten  die  Spuren  einer  moralischen  Weltordnung, 
welche  das  Böse  nicht  unbestraft  lässt,  sondern  früher  oder  später 
den  Frevler  mit  rächender  Hand  ereilt,  nachgewiesen  zu  haben 
(v.  20.  24.  56.  57).  Es  ist  der  Standpunkt  religiöser  Weltanschau- 
ung, auf  welchem  bei  den  Griechen  etwa  das  Zeitalter  des  Hero- 
dotos  und  der  gleichzeitigen  Tragiker  stand."  So  mit  Recht  Studer 
p.  231  s.  Merkwüi'dig  ist  in  dieser  Hinsicht  noch  die  dem  Prag- 
matismus zwar  nur  äusserlich  aufgeheftete,  aber  in  ihrem  Geist  zu 
dem  Ganzen  ausgezeichnet  stimmende  Parabel  des  Jotham ,  sofern 
sonst  zu  solchen  Blicken  in  die  Zukunft  stets  ein  Bote  Gottes 
erscheint,  hier  aber  ein  gewöhnliches  Menschenkind  ohne  alles 
religiöse  Pathos  vom  Standpunkt  der  moralischen  Wahrscheinlich- 
keit aus  redet.  Gewiss  gehört  Jud.  9  (ebenso  wie  8,  4 — 22)  zu 
den  allerältesten  Erzählungen  des  Alten  Testaments,  stammt  jedoch 
erst  aus  der  Königszeit ;  denn  in  9,2  gilt  die  Monarchie  im  Vergleich 
zur  patriarchalischen  Adelsherrschaft  im  Grunde  doch  als  eine 
höhere  Stufe. 

7.  Eine  eigene  Bewandtnis  hat  es  mit  Jephthah  11,1 — 12,7  '). 
Obwol  nicht  dem  Familienverb ande  Gileads  angehörig,  wird  er  doch 
zum  Häuptlinge  gemacht  behufs  des  Kampfes  gegen  die  Ammoniter. 


^)  Dass  10,  6 — 16  vom  Deiiteronomisten  stamme  (die  sieben  Götzen  10,  6 
entsprechen  den  sieben  Völkern  v.  11.  12),  'haben  wir  gesehen;  vgl.  1.  Reg. 
11,  5.  33.  Von  diesem  stammt  aber  auch  10,  17.  18,  womit  er  Anschluss 
sucht  an  Kap.  11.  Die  beiden  Verse  sind  ebenso  aus  Kap.  11  entlehnt  (11,4 
8  SS.),  wie  8,  30—35  aus  Kap.  9. 


224  Das  Buch  der  Richter. 

Das  erfahren  wir  aus  11,1 — IIa.  Der  Satz  „imdJeplithali  redete 
195  alle  seine  Worte  vor  Jahve  zu  Misplia"  v.  IIb  hat  erst  11,30  seine 
Konsequenz,  wodurch  er  verständlich  wird:  „und  gelobte  ein  Ge- 
lübde dem  Jahve  und  sprach  — ".  In  der  Mitte  steht  gegenwärtig 
eine  gelehrte  historische  Auseinandersetzung,  die  aus  dem  jeho- 
vistischen  Berichte  ^^um.  20.  21  entlehnt  ist  und  sich  in  Jephthahs 
Munde  sehr  sonderbar  ausnimmt,  zumal  wenn  er  damit  auf  die 
Ammoniter  Eindruck  machen  soll.  Für  den  Zusammenhang  ist 
dieselbe  nicht  allein  ganz  wertlos,  sondern  sie  passt  auch  nicht 
hinein.  Denn  sie  redet,  der  pentateuchischen  Erzählung  folgend, 
immer  bloss  von  den  Moabitern  und  ilii'en  unberechtigten  Ansprüchen; 
aber  hier  handelt  es  sich  ja  gar  nicht  um  die  Moabiter,  sondern 
um  die  Ammoniter  (Studer  zu  11,  24).  An  der  späteren  Ein- 
schiebung  des  Stückes  11,12 — 29  kann  man  um  so  weniger  zweifeln, 
als  auch  der  historische  Schluss  v.  28.  29  dem  Folgenden  sich  nicht 
gut  fügt;  denn  v.  29  —  der  etwas  sagen  will  und  doch  nichts  sagt 
—  greift  dem  v.  32  vor. 

Ist  dem  nun  so,  so  bleibt  von  Jephthah,  da  von  seinen  Kriegs- 
taten gegen  Ammon  gar  nichts  erzählt  wird,  eigentlich  nichts  übrig 
als  das  Opfer  seiner  Tochter,  welches  alle  Jalir  durch  ein  vier- 
tägiges Fest  gefeiert  wurde  (11,  40).  Mit  anderen  Worten  ist 
Jephthah  eine  Schattengestalt,  hat  keinen  Geburtsort,  kein  Geschlecht 
und  wird  begraben  „in  den  Städten  Gileads".  Seine  ganze  Ge- 
schichte hat  nur  ihre  Pointe  in  dem  Opfer  der  Jungfrau  und  dient 
zur  Erklärung  des  Festes,  welches  man  alljälndich  in  Gilead  zu 
Eln'en  der  Tochter  Jephthahs  feierte.  Darum  wol  richtet  er  nur 
6  Jahre  (12,  7).  An  diesem  Urteil  ändert  auch  12,  1 — 7  nichts. 
Denn  dies  ist  ein  posthumer  Nachtrag,  der  viel  zu  spät  kommt,  da 
Jephthah  bereits  11,  34  zu  Hause  gekommen  ist  und  seitdem  sogar 
zwei  Monate  (11,  39)  verflossen  sind.  Auch  passt  die  12,  2  aus 
freier  Hand  gemachte  Yoraussetzung  nicht  zu  Kap.  11,  und  über- 
haupt ist  das  Auftreten  der  Eplii'aimiten,  die  ja  jenseit  des  Jordans 
nichts  zu  suchen  hatten  und  nicht  durch  einen  eben  erfochtenen 
Sieg  aufgebläht  waren,  hier  völlig  unmotivii't,  ein  reiner  Abklatsch 
von  8,  1 — 3,  herrührend  von  einem,  der  Gideons  Nachgiebigkeit 
nicht  begriff  und  dem  hochmütigen  Stamme  eins  versetzen  wollte. 
Das  Schibboleth  12,  6  ist  ein  zur  Zeit  der  lebenden  Sprache  sehr 
billiger,  also  nicht  geschichtlicher  und  auch  für  den  besonderen 
Zweck  höchst  überflüssiger  Zug,    und   die    42  000  Gefallenen   von 


Kap.  13,  1—16,  31.  225 

Ephraim  flössen  ebenfalls  kein  Vertrauen  ein.      Die  zweite  Hälfte 
des  V.  4  von  n?3N  ""D  an  ist  Glosse  zu  v.  6. 

8.  In  den  Sagen  von  Simson  13,  1 — 16,  31,  die  sichtlich  von 
Einer  Hand  aufgezeichnet  sind,  stehn  der  derb  volkstümliche  Stoff 
und  die  religiös-nationale  Form,  so  eng  sie  verwachsen  sind,  doch 
in  einem  auffallenden  innerlichen  Kontrast:  der  Geist  Jahves  treibt  196 
ihn  und  dann  vollführt  er  tolle  Streiche,  die  Israel  nichts  nützen. 
Was  nun  zunächst  den  Stoff  angeht,  so  ist  Simson  offenbar  kein 
eigentlicher  Richter,  er  handelt  immer  allein  für  sich  und  steht 
nicht  an  der  Spitze  seines  Stammes.  Sein  Name  bedeutet  Sonne- 
mann (wie  ^2^ü^'  Esdr.  4,  8.  17)  und  schon  den  älteren  Auslegern 
(Studer  zu  15,  4)  ist  die  Ähnlichkeit  der  Geschichte  von  den  das 
Getreide  anzündenden  Füchsen  15,  1 — 8  mit  dem  Ritus  der  römi- 
schen Robigalien  aufgefallen,  die  in  Beziehung  zu  dem  schädlichen 
Einfluss  des  Sonnenbrandes  auf  das  Korn  zu  stehn  scheinen.  Von 
hier  aus  hat  H.  Steinthal ')  den  Versuch  gemacht,  auch  alles  übrige 
was  von  Simson  erzählt  wird,  mit  dem  Sonnenmythus  zu  combi- 
niren.  Man  kann  zugeben,  dass  die  langen  Haare  des  Naziräers 
eine  Metamorphose  der  Strahlen  des  Helios  sein  können  und  dass 
Delila  an  Omphale  oder  Deianira  erinnert;  sonst  aber  hat  Steinthal 
zu  viel  an  Einen  Nagel  gehängt.  Die  Geschichte  von  dem  Esels- 
kinnbacken —  wozu  St.  passend  "Ovoü  pa{}ov  xaTrsivTjv  ;(£pp6v/)aov 
Ivootspo)  TÄv  MaXsüJv  (Strabo  p.  363)  vergleicht  —  und  von  der 
aus  einem  Felszahn  desselben  springenden  Rephuhnsquelle  hat 
bereits  J.  D.  Michaelis^)  ziemlich  richtig  aufgefasst,  sie  erinnert  an 
Jakobs  Auftürmung  des  Gebirges  Gilead  als  Grenzwall  zwischen 
Israel  und  Aram  (wie  denn  überhaupt  Jakob  hie  und  da  mit 
Simson  Ähnlichkeit  hat),  hat  aber  mit  der  Sonne  nichts  Erkenn- 
bares zu  tun.  In  welcher  Beziehung  die  beiden  Säulen  des  Dagon- 
tempels,  die  Simson  16,  29  umstürzt,  oder  die  Türflügel  des  Stadt- 
tores, die  er  16,  3  den  Philistern  von  Gaza  samt  den  Pfosten 
auslieht  und  auf  einen  hohen  von  Hebron  aus  sichtbaren  Berg  trägt, 
zu  den  Säulen  des  Herkules  stehn,  ist  für  den  in  diese  Mysterien 
nicht  Eingew^eihten  rätselhaft.  Vollends  lächerlich  ist  die  Erklärung 
des  Bienenschwarmes,  der  aus  dem  Aase  des  Löwen  kommt  14,  8; 
wenn  die  Sonne  im  Löwen  stehe,  also  in  den  Hundstagen,  soTsei 
die  Bienenzucht  und  der  Honigbau  am  ergiebigsten.    Schon  Bochart 

^)  Zeitschr.  für  Völkerpsychologie  2,  129  ss. 
2)  Suppl.  ad  lex.  Hebr.  n.  1307. 

Well  hausen,    Comp.    d.    Hexateuchs.    3.    Aufl.  15 


226  Das  Buch  der  Richter. 

und  neuerdings  Studer  haben  auf  den  Volksaberglauben  der  Griechen 
-  und  Römer  Q-ewiesen,  wonach  die  Bienen  aus  dem  Aase  des  Ochsen 
entstehn  —  doch  wol  nicht,  wenn  die  Sonne  im  Ochsen  einkehrt. 
Einstweilen  wird  man  auch  die  höchst  unwahrscheinliche  Tatsache, 
dass  die  Hundstage  in  dem  heissen  Palästina,  wo  dann  bereits 
alles  abgeblüht  hat,  die  günstigste  Zeit  für  die  Bienen  sein  sollen, 
so  lange  zu  bezweifeln  haben,  bis  die  naturwissenschaftliche  Beob- 
achtung sie  bestätigt  hat.  Die  Geschichtlichkeit  der  Person  Simsons 
soll  nicht  gerade  mit  diesen  Bemerkungen  gerettet  werden.  Man 
197  sucht  sie  zwar  durch  Gen.  49,  16  zu  erweisen,  aber  die  Worte 
„Dan  wird  richten  sein  Volk  so  gut  wie  einer  der  Stämme  Israels" 
können  nicht  den  Sinn  haben  „Dan  wird  so  gut  einen  Richter  über 
Israel  stellen  wie  die  übrigen  Stämme" ;  Israel  kann  nicht  das  Volk 
des  Stammes  Dan  heissen,  Simson  war  kein  Richter,  und  Richter 
über  Israel  hat  es  nie  gegeben.  Es  kann  nur  gemeint  sein,  dass 
im  Gegensatz  zu  Rüben  Simeon  und  Levi  der  kleine  Stamm  Dan 
der  auch  ihm  di'ohenden  Gefahr  der  Auflösung;  ento-ehn  und  seine 
politische  Selbständigkeit  sich  bewahren  werde.  Dillmann  bemerkt, 
loy  sei  deshalb  nicht  das  Volk  Dans  selber,  weil  es  sich  ohnehin 
verstehe,  dass  der  Stamm  seine  eigene  Verwaltung  und  Gerichts- 
barkeit habe  ^).  Verstand  sich  das  bei  Simeon  und  Levi  auch  von 
selber?  war  nach  Jud.  17.  18  die  Gefahr  nicht  grade  bei  Dan  sehr 
gross,  dass  er  verschlungen  oder  zersplittert  wurde,  und  gehörte 
nicht  wirklich  eine  ungewöhnliche  Energie  dazu,  dass  er  sich  seine 
Existenz  als  selbständiger  Stamm  dennoch  erhielt?  Was  Simsons 
Vater  Manoah  betrifft,  so  ist  dies  der  Name  der  Bevölkerung  von 
Soraa.  Als  diese  Stadt  nach  dem  Exil  neu  besiedelt  war,  leitete 
sich  die  Hälfte  des  Manachthiten  von  Soraa  —  der  alte  Name  blieb 
—  von  Schobal  und  die  andere  Hälfte  von  Salma  ab,  was  von 
Haus  aus  zwei  kalibbäische  d.  i.  süd-judäische  Geschlechter  gewesen 
sein  sollen  1.  Chron.  2,52.  54.  Merkwürdigerweise  kommt  Ma- 
nachath  ben  Schobal  auch  bei  den  Edomitern  vor  (Gen.  36,  23). 
Die  Form  der  Schwanke  und  Sagen  ist  in  diesem  Falle  der 
religiöse  und  nationale  Geist,  woher  sie  zugleich  den  tragischen 
Zug  empfangen.  Sie  tritt  am  meisten  in  der  Einleitung  Kap.  13 
und  im  Scliluss  16,  23 — 31  hervor,  durchzieht  aber  auch  alles 
Übrige.  Sie  ist  es,  wodurch  die  grosse  Ähnlichkeit  der  Geschichte 
Simsons    mit  der  Gideons  (6,  1 — 8,  3)    entsteht,    vgl.    13,    9 — 23 

^)  Kommentar  zur  Genesis.     3.  Aufl.     In  den  späteren  Auflagen  korrigirt. 


Kap.  17.  18.  227 

(Elohiiü)  mit  6,  11—24:  8tuder  hat  Reclit  zu  vermuten,  dass  in 
13,  19  ursprünglich  ebenso  wie  in  6,  21  berichtet  wurde,  wie  der 
Engel  durch  Berührung  dem  Felsen  ein  Feuer  entlockt  habe,  durch 
welches  das  Opfer  verzehrt  worden  sei.  Wie  Gideon  und  Saul 
darin  übereinkommen  (6,  15.  1.  Sam.  9,  21),  dass  sie  beide  zuvor 
ihres  göttlichen  Rerufs  versichert  werden  und  dann,  wenn  der  Anlass 
zu  handeln  kommt,  tun,  wozu  der  Geist  sie  treibt,  so  ist  Simson 
sogar  ausgesprochenermaassen  (13,  5)  das  Vorspiel  zu  Saul.  Auch 
Saul  ist  leiblich  und  geistig  eine  elementare  Natur,  auch  er  widmet 
sein  Leben  dem  Kampfe  gegen  die  Philister  und  nimmt  ein 
tragisches  Ende,  seit  der  Geist  Jahves  von  ihm  gewichen  ist.  Man 
darf  wol  in  Simson,  sofern  er  der  patriotische  Streiter  gegen  den 
Erbfeind  ist,  den  Schatten  Sauls  erkennen.  Passend  wird  er  einem 
Stamme  zugesprochen,  von  dem  nur  eine  dunkle  Kunde  vorhanden 
war,  dass  er  einst  in  der  Nähe  Benjamins  und  Philisthäas  gewohnt 
hatte.  Die  Aufzeichnung  dessen,  was  man  sich  von  ihm  erzählte, 
ist  zwar  in  einer  vergleichsweise  alten  Zeit  geschehen,  wo  es  aber 
doch  schon  halb  verklungen  war,  dass  jemals  die  Philister  über 
Israel  geherrscht  hatten  (14,  4). 

Dan  und  Benjamin.     Kap.  17 — 21. 

9.  Wenn  der  kritische  Grundsatz  allgemeine  Geltung  hat,  dass 
wir  uns  imierhalb  der  Tradition  über  die  alte  Zeit  vorzugsweise 
an  solche  Punkte  zu  halten  haben,  welche  von  den  späteren  Vor- 
stellungen und  Gebräuchen  abweichen,  so  ist  die  Erzählung  Jud.  17. 18 
eine  der  historisch  wertvollsten  im  ganzen  Alten  Testament.  Die 
Art  und  Weise,  wie  die  einzelnen  Stämme  zu  ihrem  besonderen 
Gebiete  kommen,  ist  zwar  hier  in  Übereinstimmung  mit  Jud.  1, 
aber  ganz  anders  wie  im  Buch  Josua  dargestellt.  Vgl.  18,  1:  in 
jener  Zeit  suchte  sich  der  Stamm  Dan  (der  bis  dahin  in  einem 
Kriegslager  nach  Analogie  von  Gilgal  und  Silo,  zwischen  Soraa  und 
Esthaol,  gehaust  hatte)  ein  Erbe  zum  Wohnen,  denn  bis  dahin  war 
ihm  noch  keins  zum  Lose  gefallen  unter  den  Stämmen  Israels. 
Noch  viel  bedeutsamer  aber  weicht  der  Jahvekultus,  wie  er  hier 
geschildert  wird,  von  dem  Muster  des  pentateuchischen  Ritualgesetzes 
ab,  grade  so  wie  auch  die  übrigen  bezüglichen  Angaben  des  Richter- 
buchs, z.  B.  über  das  Opfern  Gideons  und  Manoahs  und  über  das 
goldüberzogene  Jahvebild  des  ersteren. 

Vatke  (p.  268)  ist  der  Meinung,  dass  unser  Stück  zwei  ein- 

15* 


228  Das  Buch  der  Richter. 

ander  im  Einzelnen  widersprechende  Relationen  enthalte,  weshalb 
bald  von  einem,  bald  von  zwei  oder  drei  oder  vier  Bildern  die 
Rede  zu  sein  scheine,  einem  geschnitzten,  gegossenen  oder  über- 
zogenen Bilde  und  von  Theraphim  (17,  3.  4.  5.  18,  14.  18.  30.  31). 
In  Wahrheit  finden  sich  aber  nur  an  einzelnen  Stellen  Glossen 
welche  von  Hass  und  Verachtung  gegen  den  ketzerischen  Kultus  zu 
Dan  eingegeben  sind.  So  schliesst  sich  in  Kap.  17  der  v.  5  un- 
mittelbar an  V.  1  und  setzt  v.  2 — 4  nicht  voraus,  namentlich  nicht 
HD^D  n^nn  v.  4.  Ferner  scheint  in  18,  14—18  der  Text,  z.  T.  von 
199  17,  2 — 4  aus,  gründlich  verderbt  zu  sein.  Man  muss  lesen  und 
übersetzen:  „Und  die  fünf  Kundschafter  hüben  an  und  sprachen 
zu  ilu'en  Brüdern:  wisst  ihr,  dass  in  diesem  Gehöft  ein  Ephod  und 
Theraphim  sich  befindet?  also  wisset,  w^as  ilu'  zu  tun  habt,  geht 
hinein  und  nehmt  das  Ephodbild  und  die  Theraphim!  Der  Priester 
aber  stand  vor  dem  Tore  und  sie  (die  ihm  von  18,  3  her  bekannten 
fünf  Männer)  traten  hinzu  und  gingen  in  das  Haus  des '  jungen 
Leviten  und  grüssten  ihn  freundlich  —  derweil  drangen  jene  (die 
übrigen  Daniten)  in  das  Gotteshaus  des  Micha  und  nalmaen  das 
Ephodbild  und  die  Theraphim."  Dass  v.  17  unmittelbar  an  v.  14  an- 
schliesst,  verrät  sowol  das  Subject  (17a  =  14a)  als  das  Asyndeton 
inpb  INIL?  welches  in  altem  Hebräisch  nur  bei  Imperativen  vor- 
kommt, die  dann  notwendig  1J71  v.  14.  fortsetzen.  Die  letzten 
Worte  in  v.  17,  von  ti'li^l  an,  gehören  als  (richtige)  Glosse  von 
r\b^)  zu  V.  18;  V.  15  folgt  auf  v.  14.  17;  v.  16  enthält  wertlose 
Rudera  aus  v.  17.  Es  wird  unterschieden  zwischen  den  fünf  Kund- 
schaftern, die  den  Priester  in  ein  Gespräch  verwickeln,  und  den 
übrigen  Daniten,  die  inzwischen  den  Raub  ausführen,  desgleichen 
zwischen  dem  Wohnhause  des  Priesters  und  dem  Gotteshause 
Michas.  —  Endlich  ist  auch  18,  30  vgl.  mit  18,  31  eine  Inter- 
polation. Ein  Widerspruch  zwischen  den  beiden  Angaben  besteht 
allerdings  nicht,  denn  es  handelt  sich  um  verschiedene  Dinge, 
nämlich  v.  31  um  das  Ephod  Michas,  welches  nur,  solange  der 
Tempel  zu  Silo  bestand  (d.  h.  bis  zum  Tode  des  Eli),  zu  Dan 
aufgestellt  war,  dagegen  v.  30  um  das  Priestergesclilecht  Jonathans, 
welches  bis  zur  Zerstörung  des  Heiligtums  durch  die  Assyrer  das 
heilige  Amt  zu  Dan  in  erblichem  Besitze  hatte.  Aber  der  Anfang 
von  V.  31  setzt  offenbar  den  Anfang  von  v.  30  nicht  voraus. 
Ausserdem  datirt  die  ursprüngliche  Aufzeichnung  von  Kap.  17.  18 
gewiss  nicht  erst  aus  der  Zeit  nach  dem  Untergange  Samariens. 


Kap.  19—21.  229 

10.  Ein  Anhang  ganz  anderer  Art  ist  Kap.  19 — 21;  er  wider- 
spricht allem,  was  wir  sonst  über  die  Richterzeit  wissen.  Wähi*end 
sonst  überall  nur  die  einzelnen  Geschlechter  und  Stämme  oder 
wechselnde  Verbindungen  derselben  auftreten,  so  ist  liier  Israel 
vollkommen  centralisii't ,  ein  einheitlicher  Automat.  Wie  Ein 
Mann  entrüsten  sie  sich,  kommen  zu  Häuf,  beraten  und  beschliessen, 
kämpfen  und  siegen,  weinen  und  klagen.  Nachdem  Benjamin 
aufgerieben  ist,  herrscht  grosse  Trauer,  dass  nun  ein  Stamm  am 
Dutzend  fehle  und  Israel  nicht  melir  vollständig  sei,  als  ob  die 
Zwölfteilung  je  praktische  Bedeutung  und  tatsäcliliche  Existenz 
gehabt  hätte.  Auch  die  grossen  und  genau  angegebenen  Zalilen 
hängen  mit  dieser  Anschauungsweise  zusammen:  400,000  Mann 
kommen  auf  die  blosse  Kunde  der  Schandtat  instinktiv  nach  Mispha 
zusammen,  von  Dan  bis  Beerseba  und  aus  dem  Lande  Gilead; 
26,700  Benjaminiten  stellen  sich  ihnen  entgegen,  ersclilagen  am 
ersten  Tage  22,000,  am  zweiten  18,000  Mann,  sind  am  dritten 
Tage  selber  noch  halbwegs  vollzählig,  werden  aber  schliesslich  bis 
auf  600  allesamt  niedergemacht. 

Die  Einheit  Israels  ist  eine  kii'chliche,  das  handelnde  Subjekt 
ist  die  Versammlung  des  Volkes  Gottes  (20,  2)  oder,  wie  der  ge- 
wöhnliche Ausdruck  lautet,  die  Gemeinde;  als  habe  es  damals  nicht  200 
tausende  von  Sakralvereinigungen,  sondern  nur  eine  einzige  gegeben, 
denn  mV  im  technischen  Sinn  ist  keine  politische,  sondern  eine 
sakrale  Gemeinde.  Es  hat  alles  einen  gesalbten,  aber  nicht  pro- 
phetisch -  ausserordentlichen ,  sondern  gesetzlich  -  ordnungsmässigen 
religiösen  Anstrich.  Man  fühlt  sich  wie  in  einer  geistlichen  Kon- 
ferenz, der  Gegensatz  gegen  die  höchst  natürlichen  und  frischen 
Triebe,  die  das  Volksleben  übrigens,  und  zwar  nicht  bloss  im 
Richterbuche,  sondern  auch  in  den  Bb.  Samuelis  und  der  Könige  zeigt, 
fällt  merkwürdio-  auf.  Voll  heilio-en  Ernstes  will  die  Gemeinde  die 
Sünde  in  iln-er  Mitte  nicht  dulden,  und  scheut  zu  diesem  Zwecke 
den  Kampf  mit  den  kriegerischen  Benjaminiten  nicht,  weinend 
über  die  anfänglichen  Niederlagen  setzt  sie  ihn  auf  Gottes  Befehl 
gehorsam  fort,  bis  sie  ihren  Beschlüssen  Vollziehung  verschafft  hat. 
Obwol  sich  die  Schwerter  in  den  Händen  dieser  Leute  etwas 
sonderbar  ausnehmen,  machen  sie  doch  gründlichen  Gebrauch  da- 
von und  lassen  aus  frommer  Konsequenz  nichts  übrig  von  allem 
was  ihnen  in  die  Hände  fällt.  Dann  erheben  sie  wieder  ihre  Stimme 
und  weinen  ein  grosses  Weinen  vor  dem  Herrn,  bis  sie  Mittel  und 


230  I^fis  Buch  der  Richter. 

Wege  gefuuden  haben,  den  Schaden  —  durch  abermalige  fromme 
Grausamkeit  21,  10^12  —  wieder  gut  zu  machen.  „Vom  mosai- 
schen Gesetze  kommt  nichts  in  unseren  Kapitehi  vor,  aber  wer 
könnte  es  verkennen,  dass  der  Geist,  welcher  seinen  Ausdruck  ge- 
funden hat  im  Gesetze,  die  so  handelnde  Gemeinde  erfüllte!  Ohne 
die  Nachrichten  von  der  Gemeinde  Israels  im  Hexateuch  würde 
unsere  Erzählung  ganz  abgerissen  und  unverständlich  dastehn; 
man  versuche  sie  zu  verstehn  ohne  sie.  Unser  Verfasser  klagt 
19,  1.  21,  25  über  die  Unordnung  der  damaligen  Verhältnisse  und 
wendet  sich  von  den  Kriegen  innerhalb  der  Gemeinde  ab,  um 
freudig  hinzuschauen  auf  die  Zeit  der  Ruhe  unter  königl.  Herrschaft. 
Freilich,  Krieg  führte  die  Gemeinde,  einen  furchtbaren  Krieg 
gegen  ihr  eigenes  Fleisch  und  Blut,  aber  wo  fänden  wir  unter 
den  Königen  ein  so  einiges,  kräftiges,  ernstes,  für  die  höchsten 
Güter  den  schweren  Kampf  so  willig  übernehmendes  Israel."  So 
äussert  sich  treffend  Bertheau^).  Nicht  bloss  unter  den  Königen 
sind  diese  Zustände  nicht  zu  finden,  sondern  erst  recht  nicht 
unter  den  Richtern,  überhaupt  nicht  im  alten  Israel,  sondern  erst 
bei  den  nach  exilischen  Juden,  wo  es  kein  Volk,  sondern  nur  noch 
eine  Kirche  gab.  Wenn  jedoch  Bertheau  fortfährt:  „Hätten  wir 
mehrere  Erzählungen  ähnlichen  Inhalts  aus  den  ersten  Jaludiun- 
derten  des  Wohnens  Israels  in  Palästina,  manches  Rätsel  des  Pen- 
tateuchs  würden  wir  lösen,  manche  vereinzelte  Erscheinung  der 
israelitischen  Geschichte  im  erwünschten  Zusammenhange  uns  deut- 
201  lieh  machen  können",  so  ist  das  eine  grosse  Undankbarkeit  gegen 
das  Buch  der  Chronik,  wo  es  ja  viele  solche  Erzählungen  giebt. 
Übrigens  ist  es  deutlich,  dass  sich  hier  im  Kleinen  die  Pentateuch- 
frage  wiederholt  —  sie  ist  auch  im  Kleinen  lösbar. 

In  Kap.  19  wird  der  Anlass  zu  dem  heiligen  Kriege  be- 
richtet. Ein  Levit  vom  Norden  Ephraims  hat  seine  Kebse  Ver- 
stössen (mim  19,  2),  sie  dann  jedoch  wieder  in  ilu^er  Heimat 
Bethlehem  aufgesucht  und  nach  langem  Schwelgen  in  ikres  Vaters 
Hause  sich  endlich  Abends  mit  ihr  auf  den  Heimweg  gemacht,  ohne 
vor  Nacht  weiter  als  bis  Gibea  zu  kommen.  Die  gottlosen  Buben 
von  Gibea  wollen  ihm  an  den  Leib,  er  aber  liefert  ihnen  in  der 
empörendsten  Weise  sein  Weib  aus,  die  sie  zu  Tode  mishandeln. 
Wegen  dieser  Schandtat  nun,  die  vor  allen  Dingen  seine  eigene  ist, 

^)  In  der  ersten  Auflage  seines  Kommentars  p.  213  s.  Abgeschwächt  in 
der  zweiten  p.  557, 


Kap.  19—21.  231 

soll  ganz  Israel  zu  seinen  Gunsten  eingeschritten  sein?  Man  be- 
urteilt die  alten  Israeliten  zu  sclileclit,  wenn  man  glaubt,  sie  hätten 
nicht  eher  den  heiligen  Mann  gesteinigt  als  die  Rotte  von  Gibea 
gezüchtigt.  Die  Ursache  steht  in  vollständigem  ^lisverhältnis  zur 
Wirkung,  sie  kann  so  erschütternde  Ereignisse  nicht  erklären.  Sonst 
ist  in  den  Büchern  der  Richter  und  Samuelis  die  Masse  ziemlich 
unbeweglich,  sie  lässt  sich  von  den  Feinden  schinden  und  plagen 
und  rafft  sich  nicht  auf,  bis  einer,  dem  die  Galle  überläuft,  sich 
an  die  Spitze  stellt  und  sein  Geist  die  Übrigen  mit  sich  fortreisst 
—  und  hier  sollte  ein  vergleichsweise  geringfügiger  Vorfall  eine  so 
ungeheure  Metamorphose  des  Volkes  bewirkt  haben?  Es  hätte  doch 
wenigstens,  nach  allen  Analogien,  ein  Einzelner  die  Seele  des  Ganzen 
gewesen  sein  müssen;  wie  können  400,000  Mann  so  empfinden  und 
handeln!  Aber  vor  nichts  hat  unser  Erzähler  eine  so  grosse  Scheu 
wie  vor  Namen.  Keine  einzige  Person  Avird  namhaft  gemacht,  was 
doch  bei  einem  solchen,  wenn  geschichtlich,  sich  notwendig  tief  ins 
Gedächtnis  prägenden  Unternehmen  Verwunderung  erregt').  Auch 
in  Kap.  19  sind  alle  Agirenden  anonym,  sowol  der  Levit  (der  nicht 
einmal  den  Namen  seiner  Stadt  weiss,  sondern  auf  Befragen  die 
äusserste  Ecke  Ephraims  als  seine  Heimat  angiebt  19,  18),  als  seine 
Kebse  und  iln*  Vater,  als  endlich  auch  der  alte  Mann,  der  vom  Gebirge 
Ephraim  gebürtig  und  darum  (!)  ein  Fremdling  zu  Gibea  ist.  Die  202 
scheinbar  grössere  Lebendigkeit  von  Kap.  ,19,  durch  die  Studer  an 
Kap.  17.  18  erinnert  wird,  ist  lediglich  genremässiger  Natur  und 
ähnlich  zu  beurteilen  wie  z.  B.  die  Anschaulichkeit  der  freilich 
sonst  ganz  unvergleichlichen  Geschichte  Gen.  24.  Die  Pointe  in 
Kap.  19  ist  einfache  Reminiscenz  von  Gen.  19,  die  Übereinstimmung 
erstreckt  sich  bis  ins  Kleine.  Ähnliche  Reminiscenzen  kommen 
öfters  vor  und  nicht  bloss  in  Kap.  19;  insbesondere  ist  die  Beschreibung 
des  Kampfes  gegen  Gibea  Kap.  20  nahezu  eine  Kopie  der  Be- 
schreibung des  Kampfes  gegen  Ai  (Jos.  8).     Sonst  vgl.  19,27  mit 

•)  In  20,  27.  28  ist  die  Parenthese  zwischen  mn'':i  v.  27  und  l^^b 
V.  28  offenbares  Glossem,  denn  sonst  miisste  sie  bei  v.  18  stehn,  auch  kann 
IaOn'?  nicht  so  von  DNI^''')  getrennt  werden.  Also  fällt  Phinehas  der  Hohe- 
priester fort  und  damit  der  angebliche  Anhalt  zur  Zeitbestimmung.  Ebenfalls 
zu  streichen  ist  v.  35  und  der  erste  Satz  von  v.  36;  )2r\^)  v.  36  schliesst  an 
V.  34.  Diese  Interpolation  ist  Korrektur  zu  v.  46  und  es  ist  wahrscheinlich, 
dass  der  erste  Satz  von  v.  36  eigentlich  v.  47  einleitet.  In  v.  46  fallen  von  den 
25700  Benjaminiten  (lies  20, 15  nt^^n)  25000  und  600  entrinnen;  dableiben 
100  übrig,  die  nach  v.  35  auch  noch  mit  gefallen  sind. 


232  I^as  Buch  der  Richter. 

1.  Sam:  3, 15;  19,  29  mit  1.  Sam.  11,  7;  20, 13  mit  1.  Sam.  11,  12; 
20,  16  mit  3,  15;  20,  26  mit  2,  4.  5,  wo  der  Ort  der  gleiche; 
20,  45  mit  8,  2;  20,  47  mit  2.  Sam.  2,  25;  21,  15  mit  2.  Sam.  6,  8. 
Audi  die  Sprache  dieser  Kapitel  weicht  von  der  gewöhnlichen 
der  geschichtlichen  Bücher  ab  und  enthält  manches  Spätere.  Zu 
■  20,13  n-iyn.:  vgl.  Deut.  13,6.  17,12.  22,22;  zu  20,6.  nbüJI  noT 
Lev.  18,17.  Deut.  22,21.  Besonders  finden  sich  manche  Aus- 
drücke die  dem  Priestercodex  und  der  Chronik  eigentümlich  sind, 
z.  B.  -iDi  und  "1  2.22^12  21,  11.  12,  b  in  Ansehung  von  21,  12, 
□^1^0  ^\L':  21,  23  (statt  npb^  nur  in  der  Chronik),  yn:i  :i^V^r2  20,  33 
(nur  in  der  Chronik),  n.-in  ?)V^  20, 1. 15.  17.  25.  35.  46;  wozu  noch 
die  beständigen  Zahlangaben  kommen,  grade  wie  im  Priestercodex 
und  in  der  Chronik.  Völlig  unhebräisch  ist  der  Ausdruck  nW^n 
nn^^:r\  20,4  und  Dnün  "ihn  ^\ND  20, 11,  ebenso  Verstössen  gegen 
den  alten  Sprachgebrauch  die  Asyndeta  20,  43  und  die  poetischen 
Wendungen  D.nyb  19,  9,  b.sn^"'  p'pni  .""nt^  20,  6,  n'':^,  20,  33  (quoll 
hervor  lob.  38,  8),  DPD  ^^V  (die  Männerstadt  lob.  24, 12).  Hiezu 
füge  man  19,  16  „die  Bewohner  von  Gibea  waren  Benjaminiten", 
21, 19  „Silo  im  Norden  von  Bethel  östlich  von  der  Strasse,  welche 
von  Bethel  nach  Sichem  führt",  19,  12  „die  Stadt  der  Jebusiter, 
Ausländer,  welche  nicht  zu  den  Kindern  Israel  gehören",  21,  12 
„das  Lager  von  Silo  im  Lande  Kanaan"  —  Erklärungen,  bei  denen 
man  im  Zweifel  ist,  ob  sie  aufrichtig  gemeint  sind  oder  einen 
Schein  der  Altertümlichkeit  (wie  in  Gen.  14)  erwecken  sollen. 

Man  wird  zweifeln  düi'fen,  ob  füi^  Jud.  19 — 21  überhaupt  ein 
historisches  Faktum  zu  Grunde  liegt.  Irgendwelche  Nachwirkung 
in  der  Geschichte  hat  dasselbe  jedenfalls  nicht  geäussert,  denn 
hernach  ist  grade  Benjamin  der  Mittelpunkt,  von  dem  die  Neu- 
schöpfung Israels  zu  einem  einigen  Yolk  und  Königreich  ausge- 
gegangen  ist  —  ausserdem  fehlt  im  Segen  Jakobs  jede  Andeutung, 
dass  dem  jüngsten  und  kleinsten,  aber  zugleich  edelsten  Stamme 
einst  die  Gefahr ,  der  Simeon  und  Levi  erlegen  sind ,  so  nahe  ge- 
203  wesen  ist.  Unsere  Erzählung  scheint  nicht  auf  naiver  Überlieferung 
zu  beruhen,  sondern  künstlich  zurecht  gemacht  zu  sein.  Die  her- 
vortretenden Orte  sind  fast  lauter  solche,  die  in  der  Zeit  der 
Genesis  des  Königtums  historisch  bedeutsam  gewesen  sind.  Gibea 
war  die  Heimat  Sauls,  von  dort  erliess  er  das  gleiche  Aufgebot 
wie  der  Levit  19,  29.  Unter  dem  Heere  befanden  sich  die  Jabe- 
siten  nicht,  denn  sie  wm'den  von  den  Ammonitern  belagert.     Wie 


Kap.  19—21.  23B 

in  Kap.  21  Benjamin  durch  Jabes  und  Silo  in  seiner  Existenz 
als  Stamm  erhalten  wird,  so  ging  von  Silo  die  Vorbereitung  des 
Königtums,  der  historischen  Tat  des  Stammes  Benjamin,  aus,  und 
die  Befreiung  der  Stadt  Jabes  war  der  direkte  Anlass  zur  Erhe- 
bung Sauls.  Die  Beziehung  yon  Gibea  zur  Bethlehemitin,  wie 
sie  in  Kap.  19  sich  findet,  könnte  an  Sauls  Verhältnis  zu  David 
anklingen,  vgl.  die  16  Monate  19,  2  mit  1.  Sam.  27,  7.  Mispha 
als  gegebener  (20,  1)  Centralpunkt  der  Gemeinde  ist  lediglich  Sub- 
stitut des  noch  nicht  vorhandenen  Jerusalems,  wie  nach  Hierem. 
40,  6  SS.  auch  1.  Sam.  7,  5ss.  und  1.  Macc.  3,  46 ss.  Aber  die 
historischen  Elemente,  die  hier  benutzt  sein  mögen,  sind  in  einer 
"Weise  combinirt,  deren  Sinn  wir  nicht  zu  erraten  im  Stande  sind; 
nur  dass  der  jüdische  Hass  gegen  die  vordavidische  Hegemonie 
Benjamins  dabei  im  Spiel  gewesen  ist,  scheint  klar.  Möglicher- 
weise nimmt  unsere  Erzählung  von  Os.  10,  9  ihren  Ausgang-^). 

Wenn  übrigens  die  gänzliche  Artverschiedenheit  von  Jud.  17.  18. 
und  Jud.  19 — 21  hiernach  ausser  allem  Zweifel  steht,  so  folgt, 
dass  die  Wendung  bxit^n  l^bü  ]\S'  Dnn  D''D^'2.  17,  6.  18,  1.  19,  1. 
21,  25  erst  von  einer  nachträglichen  Redaktion  in  beiden  Stücken 
durchgefühi't  ist. 


Anhang:  Das  Buch  Ruth  204 

enthält  die  Geschichte  von  der  Moabiterin  Ruth,  die  nach  ihres  in 
Moab  weilenden  Mannes  Tode  aus  Anhänglichkeit  zu  ihrer  Schwieger- 
mutter Noomi  mitzieht  nach  deren  Heimatsorte  Bethlehem  und 
durch  ihre  Heirat  mit  Boaz  die  Stammmutter  Davids  wird,  dessen 
Genealogie  zum  Schlüsse  4,  18 — 22  mitgeteilt  ist.  Weil  diese  Ge- 
schichte in  die  Richterzeit  fällt  (1,  1)  wird  sie  seit  alters  als  Anhang 
zum  Richterbuch  behandelt.  Die  bei  Josephus  contra  Apion.  1,  38 
und  mehrfach    bei  Kirchenvätern    sich    findende  Zählung:    von    22 


^)  Sicher  wenigstens  nimmt  nicht  umgekehrt  der  Prophet  Eücksicht  auf 
Jud.  19  SS.  Denn  die  dort  erzählte  Schandtat  kann  doch  nicht  dem  ganzen 
Yolke  zur  Last  gelegt  werden,  im  Gegenteil  ist  das  Benehemen  Gesamtisraels 
bei  dieser  Gelegenheit  untadelhaft.  Ausserdem  hat  jenes  Ereignis  in  keiner 
Weise  Epoche  gemacht,  so  dass  von  da  ab  die  Sünde  Israels  gerechnet  werden 
könnte.  Es  bleibt  nur  übrig  sich  dem  Verständnis  des  Targiims  anzuschliessen, 
wonach  die  Tage  Gibeas  (Os.  10,  9)  zu  verstehn  sind  von  der  Erwählung 
Sauls.  Dies  ist  durchaus  im  Sinne  Hoseas,  der  es  beständig  als  gleichmässige 
Felonie  in  Parallele  stellt,  dass  Israel  1)  andere  Götter  und  2)  andere  Könige 
dem  Jahve  an  die  Seite  setzt. 


234  I>as  Buch  Ruth. 

(statt  24)  Bücliern  des  A.  T.  fasst  Eutli  und  Richter  zusammen. 
Aber  in  unserem  hebräischen  Kanon  steht  die  Erzählung  unter  den 
Hagiographen ,  und  dass  dies  das  Ursprüngliche  ist,  folgt  daraus, 
dass  eine  Versetzung  von  dort  her  sich  sehr  avoI,  nach  dort  hin 
aber  sich  nicht  erklärt,  dass  also  diese  Stellung  (so  gut  wie  die 
des  Daniel)  historische  Gründe  haben  muss,  welche  nur  darin  liegen 
können,  dass  der  Kanon  der  Propheten  bereits  abgeschlossen  war, 
als  Ruth  recipirt  wurde.  Ausserdem  hat  die  Zahl  22  den  Verdacht  der 
Künstlichkeit  gegen  sich,  weil  sie  mit  den  Buchstaben  des  Alphabets 
übereinkommen  soll  und  nicht  bloss  die  Zusammenfassung  von  Ruth 
und  Richter,  sondern  auch  von  Klagelieder  und  Jeremias  nötig  macht. 
Auf  eine  späte  Abfassungszeit  führt  nicht  bloss  das  antiqua- 
rische Interesse  an  dem  Verfahren  bei  der  Leviratsehe  5,  1 — 12 
(v.  7),  einer  Sitte,  die  noch  zur  Zeit  des  Deuteronomiums  lebendig 
gewesen  sein  muss'),  sondern  auch  die  Sprache:  D^lODt^'H  ü^\l/  *'ü''^ 

1,  1,  n:nnCT  jn'?  und  n::vr)  ]rh  1,  13,  ^-t^'  1,20.  21,  n'^pü  y^) 

2,  3,  der  Gruss  2,  4,  r\)b:^,r2  3,  4.  7.  8.  14,  D^p  4,  7  und  andere 
Erscheinungen^).  Wenn  ferner  das  Buch  der  Richter  einen  zu- 
verlässigen Eindruck  von  der  Periode  giebt,  über  die  es  handelt, 
so  ist  dies  Idyll  vollständig  unhistorisch.  „Lässt  man  auch  den 
von  wilden  Elementen  bewegten  Vordergrund  (der  Richterzeit)  zu- 
rück und  den  Hintergrund  divinatorisch  hervortreten,  so  wird  man 
darin  doch  keineswegs  ein  so  gesittetes  und  religiöses  Leben  ent- 
decken, wie  die  Schilderungen  des  Buches  Ruth  vermuten  lassen." 
Das  wichtigste  Merkmal  der  Zeit  ist  aber  die  Genealogie  Davids. 
Wie  in  1.  Clii'on.  2  wird  über  Isai  Obed  Boaz  auf  Salma  zurück- 
gegangen. Salma  nun  ist  deswegen  der  Vater  Davids,  weil  er  der 
Vater  Bethlehems    (und    anderer   Städte    der  Landschaft  Ephrath) 

205  ist  (1.  Chron.  2,  54).  Aber  Salma  ist  der  Vater  Bethlehems  nach 
dem  Exil.  Er  gehört  nämlich  zu  Kaleb  Abi  Hur,  und  wenn  irgend 
etwas  gewiss  ist,  so  ist  es  das,  dass  in  der  alten  Zeit  die  Kalibäer 
im  Süden  und  nicht  im  Norden  Judas  wohnten  und  dass  speciell 

^)  Deut.  25,  5 — 10.     Vgl.   allerdings   dagegen  schon  Lev.  18,  16.  20,  21. 

2)  Sehr  auffallend  ist  auch  Noomi,  Femininum  zu  Nooman,  als  Name 
eines  Weibes  aus  Bethlehem  in  yordavidischer  Zeit.  Man  könnte  nach  dem 
Arabischen  erklären  (Nu' man  Nu'mä,  Ewald  gramm.  arab.  I  §  287),  oder 
vielleicht  besser  nach  dem  Aramäischen,  wo  ochorän  ochori  eine  vollkommene 
Parallele  zu  Nooman  Noomi  abgiebt.  Im  Hebräischen  wird  bekanntlich  das 
schliessende  Tau  bei  den  Femininendungen  auf  it  und  üt  niemals  abgeworfen. 
Meine  Huld  bedeutet  Noomi  o-ewiss  nicht. 


Kap.  1—4.  235 

David  durch  seine  Geburt  nicht  zu  ihnen,  sondern  viehneln-  zu 
dem  älteren  Teile  Judas  gehörte,  der  gegen  das  eigentliche  Israel 
gravitirte  und  mit  Benjamin  in  nächster  Verbindung  stand.  Von  den 
übrigen  Gliedern  der  Genealogie  sind  Nahson  und  Amminadab  die 
Fürsten  Judas  im  Priestercodex,  die  passend  als  die  Ahnen  ihres  Nach- 
folgers angesehen  werden;  Ram  aber  ist  der  Erstgeborene  des  Erst- 
geborenen Hesrons  (1.  Chron.  2,  25)  und  auch  durch  die  Bedeutung 
seines  Namens  (der  Hohe)  wie  Abram  zum  Ausgangspunkte  der 
fürstlichen  Linie  qualificirt.  Das  Buch  Samuelis  weiss  nur  von 
Davids  Vater  Isai,  während  dagegen  Sauls  Geschlecht  höher  hinauf 
verfolgt  wird  und  kein  Grund  war,  dies  bei  seinem  berühmteren 
Nachfolger  zu  unterlassen.  Vgl.  meine  dissertatio  de  gentibus  et 
familiis  ludaeis  (1870)  p.  17. 

Die  Erzählung  sieht  es  keinesfalls  darauf  ab,  die  Levii*atsehe 
zu  empfehlen,  die  vielmehr  nur  als  ein  interessantes  Stück  Alter- 
tum behandelt  wii-d.  Vielmehr  scheint  der  genealogische  Zweck 
die  Hauptsache  zu  sein  und  dabei  wiederum  die  Pointe  (deren 
historischer  Anhalt  in  1.  Sam.  22,  3  zu  suchen  ist)  dies,  dass  das 
vornehmste  Geschlecht  in  Israel  von  einer  moabitischen  Proselytin 
abstammt.  Aus  diesem  Grunde  schliesst  Kuenen  (Onderzoek^  I 
p.  212.  214),  dass  das  Buch  Ruth  vor  der  Reformation  Ezras  und 
Nehemias  (ungefähr  444  v.  Ch.)  gesclnieben  sein  müsse,  wodurch  die 
Heiraten  mit  fremden,  auch  moabitischen  Weibern  auf  das  streng^ste 
untersagt  wurden.  Aber  auf  die  Weise  könnte  man  am  Ende  die 
Abfassung  in  der  vordeuteronomischen  Zeit  ansetzen,  was  sicher 
unrichtig  ist. 


II.  Das  Buch  Samuelis.  206 

Wähi'end  das  Buch  der  Richter  einzelne  Erzählungen  enthält, 
welche  nicht  pragmatisch  zusammenhangen,  wird  mit  dem  Buch 
Samuelis  der  Geschichtsfaden  fortlaufend  und,  wenngleich  vielfach 
sehr  dünn,  reisst  er  doch  nicht  ab  bis  zum  Schluss  des  Buches  der 
Könige.  Die  durch  das  Königtum  bewirkte  Centralisirung  hat  dem 
Volke  ein  politisches  Gesamtb ewusstsein  und  Simi  für  seine  Ge- 
schichte gegeben.  Aber  einheitliche  schriftstellerische  Konceptioneu 
sind  die  Bücher  Samuelis  und  der  Könige  dennoch  nicht,  vielmelu" 
ebenfalls  Kompilationen  aus  verschiedenen  Quellen.  Wie  in  den 
Bb.  der  Richter  und  der  Könicre  ist  auch  im  Buch   Samuelis  die 


236  Das  Buch  Samuelis. 

ScHussredaktion  naclideiiteronomiscli ;  jedoch  ist  dieselbe  hier  bei 
weitem  nicht  so  konsequent  und  systematisch  durchgeführt  wie  dort. 
Es  ist  darum  besser,  gleich  mit  der  Untersuchung  der  einzelnen 
Abschnitte  vorzugehn  und  erst  zum  Schluss  von  der  Redaktion  zu 
handeln. 

Eli,  Samuel,  Saul.     1.  Sam.  1 — 14. 

1.  Bei  der  Jugendgeschichte  Samuels  1.  Sam.  1 — 3  ist  die 
Erzählung  zu  Anfang  unvollständig,  denn  wenn  1,  3  gesagt  wird: 
dort  waren  die  beiden  Söhne  Elis  Priester,  Hophni  und  Phinehas, 
so  gilt  Eli  selber  als  bekannt  und  es  muss  schon  früher  von  ihm, 
von  seiner  Stellung  am  Tempel  zu  Silo  und  seinem  Yerhältnis  zu 
Israel,  die  Rede  gewesen  sein.  Die  Septuaginta  hat  den  Anstoss 
durch  Korrektur  beseitigt,  indem  sie  liest:  dort  waren  Eli  und  seine 
beiden  Söhne  Priester. 

Silo  gilt  hier  als  der  Mittelpunkt  Israels  in  der  das  Königtum 
negativ  vorbereitenden  Periode;  aber  nur  im  üntergehn  wdrd  dieser 
Mittelpunkt  vorgeführt,  um  denjenigen  dazu  in  Beziehung  zu  setzen, 
der  aus  dem  untergegangenen  alten  zu  einem  neuen  Zustande  hin- 
überfüln'te.  Samuel,  aus  der  später  Ramathaim  (Sept.  und  MT  1,  1 
vgl.  1.  Macc.  11,  34.  Marc.  15,  43.  Joh.  19,  38)  genannten  Stadt 
Rama  in  der  unweit  der  benjaminitischen  Grenze  gelegenen  südwest- 
207  liehen  Landschaft  Epliraims  gebürtig,  wird  als  kleiner  Knabe  von 
seiner  Mutter  zum  Priester  (keineswegs  zum  Nazir)  geweiht,  dient 
mit  dem  Priesterornat  bekleidet  (2,  18.  19)  unter  der  Aufsicht 
Elis  (2,  11.  3,  1,  wie  Num.  3,  4)  am  Heiligtum  zu  Silo  und  schläft 
als  Aedituus  im  Tempel  bei  der  Lade  Gottes  3,  3.  Er  ist  der 
wählte  von  Jahve  bestimmte  Erbe  Elis  und  wird  als  solcher  dessen 
leiblichen  Erben  entgegengesetzt  2,  11.  18 — 21.  26,  welche  letzteren, 
weil  sie  das  Opfer  Jahves  in  Verachtung  bringen,  den  LTntergang 
Silos  und  des  dortigen  Priestertums  verschulden,  dessen  geistige 
Bedeutung  füi-  Israel  dann  durch  Samuel  in  viel  höherem  Sinne 
aufgenommen  und  fortgesetzt  wird.  Passend  ist  es  Samuel  selbst, 
dem  zum  Schluss  in  Kap.  3  die  göttliche  Offenbarung  über  den 
drohenden  Sturz  des  Alten  zu  teil  Avird,  aus  dessen  Ruinen  er  dann 
das  Neue  vorzubereiten  berufen  ist. 

Zwei  spätere  Einsätze  grösseren  Umfangs  lassen  sich  in 
Kap.  1 — 3  erkennen.  Der  Psalm  der  Hanna  2,  1 — 10  handelt  von 
ganz  anderen  Dingen  als  die  in  die  Situation  passen,   und  ist   gar 


1.  Sam.  1—6.  237 

keine  dem  Zusammenhange  sich  anfügende  Ergänzung,  sondern  eine 
fremdartige  und  späte  Interpolation.  Anders  steht  es  mit  der 
Drohung  des  prophetischen  Anonymus  an  Eli  2,  27 — 36.  Dies  ist 
ein  zur  Sache  sprechender  Nachtrag  aus  weit  früherer  Zeit,  der 
jedoch  schwerlich  älter  ist  als  das  Deuteronomium  und  die  Refor- 
mation des  Josia  (621  v.  Chr.).     Man  erkennt  dies  schon  aus  der 

Sprache  (-[r^^mx  n.nisbi  "]^:^y  nx  m^Db  2, 33  und  nnDN  vxb  t^'w 

als  Transitivum  von  t2^\S  "|7  H'ID''  nS),  aber  weit  mehr  aus  dem 
Inhalte.  Es  wird,  von  einem  spezifisch  judäisch -jerusalemischen 
Standpunkte  aus,  der  sonst  in  Kap.  1 — 3  sich  nicht  geltend  macht, 
herabgesehen  auf  eine  lange  Dauer  der  Davidischen  Dynastie, 
welcher,  in  gleich  ununterbrochener  Succession,  das  Priestertum 
„eines  festen  Hauses"  zur  Seite  geht.  Auch  wenn  1.  Reg.  2,  27 
nicht  wäre,  würde  es  nicht  möglich  sein,  die  Worte:  ich  will  mir 
einen  verlässigen  Priester  erwecken,  der  nach  meinem  Herzen  handeln 
wird,  und  will  ihm  ein  verlässiges  Haus  gründen,  das  vor  meinem 
Könige  allezeit  wandeln  soll  (2,  35)  —  anders  zu  verstehn  als  von 
dem  Geschlechte  Sadok,  das  seit  Salomo  ununterbrochen  den 
heiligen  Dienst  am  königlichen  Tempel  zu  Jerusalem  inne  hatte; 
die  Deutung  auf  Samuel,  die  allerdings,  wenn  2,  26 — 36  in  wahrem 
Zusammenhange  mit  Kap.  1 — 3  stünde,  angezeigt  wäre,  ist  durch 
das  feste  Haus,  das  alle  Tage  im  Dienste  des  Gesalbten  Jahves  das 
Priestertum  besitzen  werde,  ganz  unmöglich  gemacht.  Silo  wird  wie 
bei  Jeremias  (7,  12.  26,  6)  als  Vorgängerin  Jerusalems  aufgefasst, 
weil  es  die  alte  Stätte  der  Lade  Jahves  war;  das  Haus  Elis  ist 
dasjenige,  dem  alle  Opfer  der  Kinder  Israel  gegeben  sind  (2,  28); 
die  Centralisation  des  Opferdienstes,  welche  in  Jerusalem  seit  dem 
Fall  Samariens  angebahnt  und  durch  Josia  Gesetz  geworden  ist,  208 
wird  wenigstens  der  Theorie  nach  in  die  graue  Vorzeit  übertragen. 
Darnach  ist  es  auch  gar  nicht  unwahrscheinlich,  dass  2,  36  auf  die 
nicht  zur  jerusalemischen  Priesterschaft  gehörigen  Leviten  geht, 
welche  durch  die  Abschaffung  der  Höhen  ausser  Dienst  gesetzt  und 
gezwungen  wurden,  sich  den  Söhnen  Sadoks,  den  Emporkömm- 
lingen aus  der  Zeit  Salomos  (1.  Reg.  2,  35),  unterzuordnen  und 
von  ilu'er  Gnade  zu  leben.  —  Abgesehen  hiervon  ist  es  übrigens 
an  sich  klar,  dass  die  vorausgehende  Drohung  2,  27 — 36  der  fol- 
genden 3,  2 — 18,  worin  viel  passender  das  als  das  Wesentliche 
gilt,  was  2,  34  nur  als  das  Zeichen  verkündigt  wird,  die  Luft 
raubt,    die  Pointe  vorwegnimmt  und  ilii'en   Eindruck  auf  Eli  ver- 


238  ^^^  ß^ch  Samuelis. 

niclitet,  der  ja  dann  schon  alles  und  nocli  viel  mehr  zum  voraus 
weiss.  Ausserdem  sind  alle  anonyme  Männer  Gottes  (2,  27)  stets 
ad  hoc  eingeschoben,  um  ihren  Spruch  zu  sagen  und  dann  wieder 
zu  verschwinden. 

Kleinere  Interpolationen,  die  in  der  Septuaginta  fehlen  oder 
ganz  anders  lauten,  sind  2,  22  b  und  3,  20.  21.  4,  1  (bis  zum 
Athnach),  ausserdem  einige  Sätze  in  2,  31 — 33. 

2.  Während  ohne  Zweifel  die  Kapp.  1 — 3  im  Hinblick  auf 
Kap.  4  geschrieben  sind,  und  ohne  dasselbe  des  Abschlusses  ent- 
behren würden,  ist  es  nicht  so  sicher,  dass  die  Kapp.  4 — 6  die 
Erzählung  von  Kap.  1 — 3,  in  ihrer  uns  vorliegenden  Gestalt,  vor- 
aussetzen. Die  Lade  Gottes,  um  die  sich  hier  alles  dreht,  ist  dort 
nur  emmal  und  ganz  beiläufig  erwähnt;  die  Person  Samuels  aber, 
die  dort  im  Mittelpunkte  steht,  ist  hier  (vgl.  besonders  4,  4  mit 
3,  3  und  1,  3)  verschwunden^).  Es  hängt  damit  ein  anderes  Mis- 
verhältnis  zusammen.  Nämlich  nach  Kap.  1 — 3  wüi'de  das  Familien- 
unglück Elis  als  die  Hauptsache  in  Kap.  4  hervortreten  müssen, 
aber  in  der  Tat  ist  dies  hier  nur  begleitende  Folge  des  eigentlichen, 
ganz  Israel  treffenden  Hauptschlages,  und  der  besteht  in  der 
Gefangennahme  der  Lade  durch  die  Philister,  welche  in  Kap.  4 — 6 
krasser  wie  sonst  im  A.  T.  mit  Jahve  selber  gleichgesetzt  wird 
(4,  18  SS.  5,  3  SS.  6,  8.  9)  und  sichtlich  ganz  etwas  anderes  ist 
als  ein  blosser  Kasten  für  die  Gesetzestafeln.  Obendi'ein  wird  das 
Geschick  der  Lade  gar  nicht  ausschliesslich,  wie  man  nach  Kap.  2.  3 
erwarten  sollte,  unter  den  Gesichtspunkt  der  Katastrophe  gestellt, 
sondern  eigentlich  mehr  unter  den  des  Triumphes  des  Gottes  Israels, 
209  der  den  Philistern  und  ilii"em  Gott  ebenso  übel  mitspielt  wie  einst 
den  Ägyptern,  die  ihn  auch  glaubten  zurückhalten  zu  können^). 
In  sprachlicher  Hinsicht  darf  man  vielleicht  einigen  Wert  darauf 
legen,  dass  in  Kap.  1 — 3  fast  nur  Jahve  gesagt  wird,   dagegen  in 


^)  In  Kap.  4 — 6  haben  wir  Geschichte,  in  Kap.  1 — 3  ein  bedeutsames 
Idyll.  Was  von  solchen  Jugendgescliichten  historisch  zn  halten  ist,  weiss  man: 
Samuels  Kindheit  liegt  in  hellem  und  charakteristischem  Lichte,  darnach  schlägt 
das  Dunkel  über  ihm  zusammen  und  er  erscheint  wieder  als  alter  Mann,  der 
in  Saul  den  Mann  der  Zeit  erkennt  und  seine  Autorität  als  Seher  für  ihn  in 
die  Wage  wirft. 

^)  In  4,  8.  6,  6  finden  sich  Beziehungen  auf  die  jehovistische  Erzählung 
im  Exodus. 


1.  Sam.  7.  239 

Kap.  4 — 6  ebenso  oft  Elohim.  Allerdings  ist  ausserhalb  des  Pen- 
tateuchs  auf  treue  Erhaltung  des  ursprünglichen  Textes  in  solchen 
Dingen  nicht  zu  rechnen;  doch  wird  man  a  potiori  immerhin  vor- 
sichtige Schlüsse  machen  können. 

Der  Redaktion  gehört  an  der  letzte  Satz  von  4,  18,  wozu  viel- 
leicht 4,  15  (fehlt  in  Sept.,  teilweise  schwer  zu  vereinigen  mit 
n^liC  V.  13)  in  Beziehung  steht.  Glossen  verschiedenen  Ursprungs 
sind  4,  21b.  22;  ferner  6,  5  a  (bis  VimTi^)  und  6,  17.  18  a  (bis 
zum  Athnach);  endlich  6,  15  (bis  mby  )bvn  =  ^^b  rhv  )bvn  v.  14) 
und  teilweise  6,  19. 

3.  In  7,  2 — 17  tritt  Samuel  wieder  auf,  aber  erst  nach  einem 
Zeitraum  von  20  Jahren  der  Philisterherrschaft  7,  2.  Da  bekehrt 
sich  das  Yolk  vom  Götzendienst,  der  Schuld,  die  wie  im  Richter- 
buche als  selbstverständliche  Ursache  des  Unglücks  vorausgesetzt 
wird,  hält  auf  Samuels  Anordnung  ein  grosses  Fasten  zu  Mispha, 
und  als  die  Philister  gegen  die  Betversammlung  zu  Felde  ziehen 
und  diese  ängstigen,  werden  sie,  auf  Samuels  Opfer  und  Gebet,  von 
Jahve  in  panischen  Schrecken  gesetzt  und  von  den  Israeliten  weit- 
hin verfolgt,  worauf  Samuel  den  Stein  Ebenhaezer  bei  Mispha  auf- 
richtet als  Zeugen  dafür,  dass  Jahve  geholfen.  „Die  Philister  aber 
wurden  gedemütigt  und  kamen  nicht  wieder  ins  Gebiet  Israels, 
und  Jahves  Hand  war  wider  sie  alle  Tage  Samuels,  und  die 
Städte,  welche  die  Philister  erobert  hatten,  kamen  wieder  zu  Israel." 
7,  13  s. 

Abgesehen  von  der  inneren  Unwahrscheinlichkeit  dieser  Legende 
widerspricht  sie  vollkommen  dem,  was  wir  von  der  Folgezeit  wissen. 
Da  ist  nämlich  die  Philisterherrschaft  nicht  beseitio-t  sondern  drückend 
vorhanden;  sie  gerade  bewirkt  die  Zusammenfassung  der  bis  dahin 
zersplitterten  Kräfte  Israels  zum  Königtum,  der  Kampf  gegen  sie 
ist  der  eigentliche  Zweck,  zu  dem  Saul  gesalbt  und  gewählt  wurde. 
Was  1.  Sam.  7  dem  Samuel  zugeschrieben  wird,  war  in  Wahrheit 
das  Verdienst  Sauls  und  Davids. 

Nach  7 ,  2 — 4  —  welche  Verse  von  v.  5  ss.  unablösbar  sind  — 
haben  wir  es  mit  einem  nachdeuteronomischen  Schriftsteller  zu  tun. 
Dazu  stimmt  der  geistliche  Ton  v.  5 — 10,  das  allgemeine  Fasten 
(Jud.  20,  26)  zu  Mispha,  der  Stellvertreterin  Jerusalems.  Dass  an 
der  Mehrheit  der  Altäre  kein  Anstoss  genommen  wird  (7,  17), 
entspricht  dem  Grundsatz  1.  Reg.  3,  2,  wonach  bis  zum  Tempelbau 
Salomos  die  Höhen  erlaubt  waren:   die  Vorstellung   der  Stiftshütte 


240  I^as  Buch  Samuelis. 

210  als  vorsalomonischen  Centrallieiligtiims  ist  noch  unbekannt. 
Auch  der  Ritus  (v.  6.  9)  erweist  die  Unbekanntschaft  mit  dem 
Priestercodex. 

Zu  den  Philisterkämpfen,  welche  die  ganze  Regierung  Sauls 
und  den  Anfang  der  Regierung  Davids  ausfüllten,  mangelt  jetzt 
eine  entsprechende  Darlegung  ihrer  Voraussetzung,  nämlich  der  seit 
Elis  Tode  datirenden  Philisterherrschaft;  wir  wünschen  zu  wissen, 
wie  der  philisthäische  Statthalter  zu  Gibea,  mit  dessen  Erschlagung 
Jonathan  das  Signal  zur  Erhebung  gab  (13,  3),  dorthin  gelangt,  Avie 
der  13,  19  ss.  bescluiebene  Zustand  eingerissen,  wie  es  gekommen 
ist,  dass  Silo,  bis  dahin  das  Centrum  Israels,  plötzlich  seine  Be- 
deutung verloren  hat  und  die  dortige  Priesterschaft  nach  Nob  (bei 
Jerusalem)  übergesiedelt  ist.  Es  lässt  sich  vermuten,  dass  dies 
alles  die  Folge  der  1.  Sam.  4  erzählten  Schlacht  war;  aber  es  ist 
nicht  in  der  Ordnung,  dass  man  das  nur  vermuten  kann.  Es  muss 
ursprünglich  gesagt  sein  und  zwar  wol  an  der  Stelle,  die  jetzt 
Kap.  7  einnimmt.  Es  fällt  nämlich  auf,  dass  der  Ort,  wo  Samuel 
siegt,  von  ihm  Ebenhaezer  genannt  wii'd.  Nach  4,  1  bestand  dieser 
Name  schon  früher,  und  es  war  der  Name  eben  des  Ortes,  wo  die 
entscheidende  Niederlage  der  Israeliten  statt  fand  (angeblich  bei 
Mispha,  in  der  Tat  in  der  Ebene  Saron).  Also  ist  Kap.  7,  wie  es 
scheint,  eine  an  die  appellative  Bedeutung  von  Ebenhaezer  ge- 
knüpfte ümdichtung  einer  ursprünglich  an  die  Niederlage  von  Eben- 
haezer angeschlossenen  Erzählung  über  die  Niederwerfung  von 
Joseph  und  Benjamin  durch  die  Philister.  Yiell eicht  hat  noch  der 
Prophet  Jeremias  die  Zerstörung  des  Tempels  zu  Silo,  die  damals 
stattgefunden  haben  muss  (1.  Sam.  22,  6  ss.  Hier.  7,  14.  Am.  5,  5. 
1.  Reg.  12,  29),  an  dieser  Stelle  vorgefunden.  Denn  daraus,  dass 
er  19,  3  die  Worte  1.  Sam.  3,  11  anwendet  auf  die  Zerstörung 
des  Gotteshauses  in  Jerusalem  —  vgl.  ähnlich  2.  Reg.  21,  12.  13 
—  wird  es  wahrscheinlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  ihm  die  Stadt 
Jerusalem  als  rechtmässige  Erbin  von  Silo  und  ilir  Schicksal  in  dem 
der  Vorgängerin  vorgezeiclmet*  erscheint,  dass  er  1.  Sam.  3,  11 
nicht  auf  den  blossen  Untergang  des  Hauses  Eli,  sondern  auf  den 
des  alten  Jahvesitzes  in  Silo  bezogen  hat.  Das  konnte  er  aber 
nicht,  wenn  ihm  1.  Sam.  4 — 7  nichts  Weiteres  vorlag,  als  was  uns 
jetzt  vorliegt. 

4.  Geschichte  Sauls  Kap.  8 — 14.  Über  die  Weise  wie  er 
König  geworden,   haben  wir  zwei  Versionen.     Die   eine  knüpft  an 


1.  Sam.  4—7.  241 

Kap.  7  an  und  ist  in  Kap.  8.  10,  17 — 27  [Kap.  11  und]  Kap.  12 
enthalten.  Nach  Zerbrechung  des  Jochs  der  Pliilister  führte  Samuel 
von  da  ab  ein  ruhiges  und  glückliches  Regiment,  bis  in  sein  Alter, 
wo  seine  ihm  beigeordneten  Söhne  das  Richteramt  nicht  gut  ver- 
walteten. Das  nalimen  die  Ältesten  Israels  zum  Anlass,  sich  von 
ihm,  dem  Stellvertreter  Jahves,  einen  König  zu  erbitten;  es  war  211 
aber  nur  ein  Vorwand  füi*  ihr  Gelüste,  die  göttliche  Herrschaft  ab- 
zuschütteln und  zu  werden,  wie  die  Heiden.  Samuel,  höchst  auf- 
gebracht über  die  Undankbarkeit,  wird  von  Jahve  erinnert:  „sie 
haben  nicht  deine  sondern  meine  Herrschaft  verschmäht",  und  an- 
gewiesen dem  Yolk  zu  ^\^llen  zu  sein.  Nachdem  er  vergebens 
durch  eine  Schilderung  der  Schattenseiten  des  menschlichen  König- 
tums die  Ältesten  von  iln-em  Plane  abzubringen  gesucht  hat,  be- 
ruft er  10,  17  eine  Volksversammlung  vor  Jahve  nach  Mispha. 
Dort  wird  um  den  König  gelost  und  Saul  getroffen,  worauf  Samuel 
noch  das  Königsgesetz  sclu*eibt  und  es  vor  Jahve  deponirt.  Dann 
geht  man  nach  Hause  und  alles  bleibt  beim  Alten.  Wirklicher 
König  wird  Saul  erst  in  Kap.  11,  nachdem  er  sich  durch  die  Be- 
freiung der  Stadt  Jabes  von  den  Ammonitern  erprobt  hat.  Darauf 
wird  ihm  zu  Gilgal  „das  Königtum  erneuert"  11,  14,  und  nun  erst 
tritt  ihm  Samuel  in  langer  feierlicher  Rede  die  Regierung  ab  Kap.  12. 
Dass  Kap.  11  in  diese  Version  aufgenommen  ist,  erhellt  nicht 
bloss  aus  12,  12,  sondern  auch  aus  11,  12.  13  vgl.  mit  10,  27,  und 
aus  11,  14  Win^'  Aber  noch  viel  klarer  ist  es  allerdings,  dass 
Kap.  11  nicht  ursprünglich  füi'  diesen  Zusammenhang  berechnet  ist. 
Denn  von  den  Kriegsmännern,  die  Saul  nach  10,  26  begleitet  haben 
sollen,  merkt  man  11,  1  ss.  nichts;  die  Boten  von  Jabes  kommen 
nicht  seinetwegen  nach  Gibea;  in  v.  5,  wo  der  vermeintliche  König 
mit  den  Rindern  vom  Pflügen  zu  Hause  kommt,  wird  gar  nicht 
getan,  als  gehe  ihn  die  Botschaft  näher  an  als  andere:  niemand 
teilt  sie  ihm  mit,  er  muss  sich  nach  der  Ursache  des  allgemeinen 
Weinens  erst  erkundigen.  Nicht  ki'aft  seines  Amtes  als  König, 
sondern  in  der  Autorität  des  Geistes  bietet  er  den  Heerbann  Israels 
auf  und  findet  begeisterten  Gehorsam.  Erst  nachdem  er  seine  Kraft 
gezeigt  und  die  Ammoniter  geschlagen  hat,  wird  er  11,  15  vom 
A^olk  zum  Könige  gemacht  —  die  Erneuerung  des  Königtums 
V.  14  ist  eine  höchst  durchsichtio'e  Naivetät  des  Verfassers  von 
Kap.  8.  10,  17 — 27.  Kap.  12,  der  auf  diese  Weise  das  ältere  Stück 
Kap.  11  seiner  Version  einverleibte. 

Wellhaus'eu,    Comp.   d.   Hexateuchs.      3,   Aufl.  \Q 


242  ^^^  Buch  Samuelis. 

Der  Ziisammenliang,  worin  1.  Sam.  11  ursprünglich  stand  — 
die  Notwendigkeit  von  Prämissen  folgt  aus  dem  Anfang:  und  etwa 
nach  einem  Monat  (Sept.)  zog  Nahas  10,  27.  11,  1  —  ist  die 
andere  Version  über  das  Königtum  Sauls  9,  1 — 10,  16.  Hier  ist 
Samuel  ein  Seher "),  in  Rama  angesehen,  aber  darüber  hinaus  nicht 
212  weit  bekannt  9,  6  ss.,  nicht  der  theokratische  Herrscher  über  Israel, 
der  das  Volk  aus  der  Knechtschaft  der  Philister  erlöst  hat.  Die 
Fremdherrschaft  lastet  vielmehr  auf  Israel  und  Samuel  ist  es,  der 
sie  am  tiefsten  empfindet,  im  Königtum  die  Rettung  erblickt  und 
nach  der  Persönlichkeit  ausschaut,  die  seinen  Gedanken  verwirk- 
lichen kann.  Zufällig  wird  er  von  Saul,  einem  edlen  Benjaminiten 
aus  Gibea,  der  Residenz  des  Philister vogtes,  aufgesucht  und  erkennt 
durch  göttliche  Inspiration  in  ihm  sogleich  den  Mann  der  Zeit. 
Wie  Elisa  dem  Hazael,  so  setzt  Samuel  kraft  seiner  Autorität  als 
Seher  dem  Saul  in  den  Sinn,  er  sei  von  Jahve  ausersehen  zum 
König  und  Helfer  Israels.  Weiter  tut  er  nichts,  ihn  zu  seinem 
„Nachfolger  in  der  Regierung"  (wie  Kap.  8.  12)  zu  ernennen,  steht 
nicht  in  seiner  Gewalt;  nur  die  Mahnung  giebt  er  ihm  mit  auf  den 
Weg:  wenn  Gelegenheit  zu  handeln  komme,  so  solle  er  sie  in  dem 
Bewusstsein  brauchen,  dass  Gott  mit  ihm  sei.  Auf  dem  Heimwege 
durch  das  Eintreffen  dreier  Zeichen  von  der  Zuverlässigkeit  der  An- 
kündigung versichert  kommt  Saul  nach  Gibea,  und  obwol  durch 
sein  seltsam  verändertes  Wesen  (10,  10)  den  Leuten  auffallend, 
verrät  er  zu  Hause  (nn''!in  st.  n?3Iin  10,  13)  doch  keinem,  was 
ihm  Samuel  gesagt,  sondern  bestellt  nach  wie  vor  den  Acker.  Aber 
etwa  nach  einem  Monate,  als  die  Jabesiten,  unter  der  Bedingung 
sich  alle  das  rechte  Auge  ausstechen  zu  lassen,  sich  binnen  sieben 
Tagen  dem  Ammoniter  ergeben  wollen,  zuvor  aber  noch,  mit  der 
höhnischen  Erlaubnis  des  Belagerers,  ihre  Landsleute  zur  Hilfe  auf- 
bieten,  da  überfällt,  während  alle  anderen  weinen,   den  Saul  der 


^)  In  der  Glosse  9,  9  wird  Seher  als  identisch  mit  Nabi  gefasst,  aber  nicht 
im  Sinne  unseres  Verfassers,  der  auch  Nebiim  kennt  und  erwähnt,  darunter 
jedoch  bandenweis  auftretende  religiös-patriotische  Bacchanten  versteht,  deren 
Raserei  ansteckend  wirkt.  In  19,  18 — 24  erscheint  zwar  Samuel  an  der  Spitze 
eines  solchen  ekstatischen  Haufens,  aber  die  dortige  Erklärung  des  Sprich- 
worts widerspricht  der  hier  (10,  11)  gegebenen,  und  es  ist  nicht  zweifelhaft, 
dass  hier  der  Seher  oder  Mann  Gottes  von  den  Nebiim  deutlich  unterschieden 
wird.  Nabi  ist  kein  hebräisches  Wort  (dies  ist  wichtiger  als  alle  Etymologien) 
und  ursprünglich  wol  auch,  grade  in  der  ältesten  Anwendung  für  pluralische 
Ekstatiker,  keine  hebräische  Sache.     Vgl.  Kuenen,  de  profeten  2,   322  —  330. 


1.  Sam.  8—14.  243 

Geist  Jahves;  er  hcat  von  jener  Unterredung  her  den  Stachel  im 
Herzen  und  eingedenk  der  Mahnung  des  Sehers  tut  er,  was  seine 
Hand  findet.  Der  Erfolg  ist  überraschend;  der  Yorhersagung  Samuels 
gemäss,  aber  auf  die  natürlichste  Weise  von  der  Welt,  mrd  Saul 
König  von  Israel. 

Man  fühlt  sich  wie  aus  der  Judenschule  in  die  freie  Luft  ver- 
setzt, wenn  man  von  jener  ersten  zu  dieser  zweiten  Erzählung, 
deren  Ähnlichkeit  mit  Jud.  6  schon  p.  227  hervorgehoben  ist^ 
übergeht.  Sie  allein  hat  historischen  Wert,  wenn  gleich  materiell 
nur  in  dem  darum  auch  in  die  andere  Relation  übergegangenen 
Kap.  11;  doch  ist  auch  von  9,  1 — 10,  16  jedenfalls  die  charakte- 
ristische Verbindung  des  Kriegers  mit  dem  inspirii*enden  Seher  fest-  213 
zuhalten  (Jud.  4.  5.  2  Reg.  8,  13.  9,  3);  und  nur  die  idyllische 
Form  der  Begegnung  und  die  Vorstellung,  als  sei  Saul,  dem  von 
Anfang  an  Jonathan  zur  Seite  stand  (13,  2),  damals  noch  ein  nicht 
ganz  mündiger  Haussohn  gewesen,  ist  aufzugeben.  Die  andere 
Relation  macht  aus  dieser  primären,  von  der  sie  abhängig  ist  (ausser 
Kap.  11  vgl.  10,  23  mit  9,  2)  bis  zum  Widerspruch  gegen  sich 
selber  (12,  12),  heilige  Geschichte'  nach  dem  späteren  Geschmack, 
indem  sie  das  Los  an  Stelle  der  Motive  setzt  und  den  die  Zukunft 
kündenden  Seher  in  den  Reichsverweser  Jahves  verwandelt,  der 
auf  die  Bitte  der  Ältesten  die  Reo-ieruno;  an  einen  mehr  oder  weniofer 
von  ihm  selbst  ernannten  König  abtritt.  Sie  steht  im  engsten  Zu- 
sammenhange mit  Kap.  7  (Mispha  10,  17.  7,  5),  und  ist  gleich- 
falls nachdeuteronomisch.  Vgl.  die  Entwicklung  des  grundgesetz- 
lichen Schemas  der  theokratischen  Geschichte  12,  7 — 25,  den  Rück- 
blick auf  das  deuteronomistische  Richterbuch  v.  9 — 11  und  die  Aus- 
di'ücke  V.  20 — 25.  Es  ist  darum  nicht  unwalu'scheinlich,  dass  mit 
nd^t^il  nsti^D  10,  25  das  Königsgesetz  des  Deuter onomiums  gemeint 
ist,  welches  dort  (17,  14 — 20)  jedenfalls  erst  nachgetragen  ist.  Die 
Abfassung  von  1.  Sam.  8  mit  Zubehör  ist  schwerlich  in  eine  Zeit 
zu  setzen,  wo  noch  das  judäische  Königtum  bestand.  Denn  zwar 
hat  schon  der  Prophet  Hosea  ähnliche  Gedanken  über  den  Wert 
des  menschlichen  Königtums  geäussert,  aber  er  hatte  Nordisrael 
vor  Augen  und  scluieb  angesichts  des  Untergangs  Samariens;  da- 
gegen hat  in  Juda,  solange  das  Reich  Davids  bestand,  keine  solche 
Anschauung  in  ii'gend  welchen  Kreisen  bestanden,  und  darüber 
kann  kein  Zweifel  sein,  dass  alle  deuteronomistischen  Erzählungen 
spezifisch  jüdisch  sind. 

16* 


244  Das  Buch  Samuelis. 

Kap.  13  und  14  setzen  die  genuine  Version  über  König  Saul 
fort  und  brino-en  sie  zum  Abschluss.  Allerdings  ojehört  13,  1,  ein 
in  der  Septuaginta  fehlender  Vers,  erst  der  chronologischen  Redak- 
tion an,  aber  13,  2  schliesst  unmittelbar  an  11,  15.  Die  Königs- 
wahl an  sich  und  deren  durch  die  Erschlagung  des  Philistervogtes 
klar  gewordene  Bedeutung  veranlassen  die  Philister  mit  Heeres- 
macht gegen  den  Herd  des  Aufstandes  vorzurücken.  Sie  lagern 
bei  Michmas,  nur  durch  eine  schwer  zu  passirende  Schlucht  von 
dem  gegenüber  liegenden  Gibea  getrennt;  von  da  aus  verbreiten 
sie  sich  in  drei  Haufen  verwüstend  über  das  Land  und  lassen  bloss 
eine  kleine  Abteilung  bei  der  Schlucht  auf  Wache.  Ohne  jemandes 
Yorwissen  nun  klettert  Jonathan  mit  seinem  Waffenträger  auf 
Händen  und  Füssen  an  der  steilsten  Stelle  der  Schlucht  herunter 
und  wieder  hinauf,  und  steht  plötzlich  in  Waffen  vor  den  erstarrten 
Vorposten  der  Feinde,  die,  in  dem  Glauben,  dass  ihm  andere 
214  folgen,  sich  zur  Flucht  wenden  und  den  Schrecken  in  das  Lager 
tragen,  von  wo  er  sich  weiter  unter  den  raubenden  Haufen  ver- 
breitet. Drüben  in  Gibea  wird  die  Verwirrung  bemerkt  und  von 
Saul  zu  einem  raschen  Überfall "  des  Lagers  benutzt,  der  vollständig 
gelingt.  Doch  wird  der  Vorteil  nicht  weiter  verfolgt,  die  Philister 
ziehen  sich  unbehelligt  in  ihr  Land  zurück.  Der  Schluss  dieser 
Erzählung  lautet:  „Da  Hess  Saul  ab  von  den  Philistern  und  die 
Philister  zogen  an  ilu^en  Ort.  Iiid  Saul,  nachdem  er  das  Königtum 
gewonnen  hatte,  stritt  wider  alle  Feinde  Israels  ringsum,  wider 
Moab  und  Ammon  und  Edom  und  die  Könige  von  Soba  und  wider 
die  Philister,  und  wohin  er  sich  wandte,  war  er  siegreich  und  be- 
wies seine  Kraft;  und  er  schlug  die  Amalekiter  und  rettete  Israel 
von  seinen  Plünderern.  LTnd  die  Söhne  Sauls  waren  Jonathan 
und  Isjahu  und  Malchisua;  und  seine  beiden  Töchter  Messen  Merab 
und  Micha! ,  und  sein  Weib  Ahinoam  bath  Ahimaas,  sein  Feld- 
hauptmann aber  Abner"  14,  46 — 51.  Dies  muss  zugleich  der  Ab- 
schluss der  Geschichte  Sauls  selber  sein,  deren  Summe  und  Resultat 
hier  angegeben  wird.  Dass  das  Folgende  nirgend  als  Fortsetzung 
dazu  angesehen  werden  kann,  geht  auch  aus  dem  IMerschiede  der 
Betrachtungsweise  hervor.  Denn  während  die  sämtlichen  folgenden 
Erzählungen  ihr  Interesse  dem  David  zukehren,  ist  der  Verfasser 
von  14,  46 — 51  ganz  für  Saul  eingenommen.  Er  schreibt  ihm 
eine  Menge  Grosstaten  zu,  an  denen  er  unschuldig  gewesen  ist. 
Erst   David  hat   die  Kriege    mit  Moab   Ammon   Edom   und  Aram 


1.  Sam.  8—14.  245 

Soba  geführt.  Saiü  hat,  al)geselien  von  der  Entsetzung  von  Jabes 
und  der  Züchtigung  Amaleks,  sein  Lebetage  lang  sich  gegen  die 
Philister  zu  wehren  gehabt  und  in  diesem  Kampf  ist  er  erlegen. 
Dies  wird  hier  verschwiegen  (v.  47  V^'V)  und  dafüi'  das  andere 
hinzugetan  ^). 

Der  Gang  der  Erzählung  in  Kap.  13.  14  wird  durch  einige 
ziemlich  umfangreiche  Einsätze  in  störender  Weise  unterbrochen. 
Zu  Anfang  von  Kap.  13  ist  Saul  von  Gilgal  (11,  15)  zurückgekelnt 
nach  Gibea  (vgl.  v.  16  C^tJ^"").  Dann  jedoch  finden  wir  ilm  plötz- 
lich, ohne  dass  der  Ortswechsel  erwähnt  ist,  in  Gilgal,  wo  der 
israelitische  Heerbann  zu  ihm  stösst.  Aber  die  Philister  setzen 
trotzdem  voraus,  dass  er  und  seine  Männer  sich  in  Gibea  befinden, 
demi  sonst  hätten  sie  nicht  vor  Gibea  halt  gemacht,  sondern  den 
Mittelpunkt  der  Erhebung  selbst  besetzt.  Noch  viel  bedenklicher 
wie  hierdurch  wird  die  Digression  Sauls  nach  Gilgal  durch  den 
Bruch  mit  Samuel,  der  in  diesem  kritischen  Augenblick  daselbst 
vorgefallen  sein  soll.  Samuel  soll  dem  Könige  befohlen  haben, 
sieben  Tage  auf  ihn  zu  warten,  ehe  er  von  Gilgal  den  Pliilistern  215 
entgegen  zöge.  Da  nun  die  Frist  verstreicht  13,  8  und  das  Kiiegs- 
volk  sich  verläuft,  will  Saul  nicht  länger  sich  aufhalten,  sondern 
aufbrechen.  Wie  er  nun  eben  das  jeden  Feldzug  eröffnende  Opfer 
darbringt,  erscheint  Samuel  und  sagt  ihm,  er  sei  wegen  seines  Un- 
gehorsams von  Jahve  als  König  verworfen.  War  Samuel  bei  Sinnen? 
wozu  die  Wartezeit  von  sieben  Tagen,  wenn  auch  nach  deren  Ab- 
lauf weiter  gewartet  werden  musste.f^  und  es  war  doch  walndiaftig 
Gefahr  im  Verzuge.  In  Kap.  14  verrät  nicht  die  geringste  Spur, 
dass  das  ominöse  Ereignis  auf  Sauls,  des  Volkes  und  des  Schrift- 
stellers Seele  laste.  Es  ist  eine  einfache  Vorschiebung  der  Ge- 
schichte 1.  Sam.  15  —  daher  auch  Gilgal  als  der  notwendige  ob- 
wol  unmögliche  Schauplatz  der  Scene.  Diesem  Interpolator  kam 
der  Bruch  zwischen  Samuel  und  Saul,  wie  er  in  Kap.  15  erzählt 
wird,  viel  zu  spät;  er  hatte  Eile  mit  der  Verw^erfung  des  nicht- 
davidischen  Königs  und  setzte  sie  gleich  an  die  Schwelle  von  dessen 
Regierung.  Er  ist  es  natüidich  auch,  der  zur  Vorbereitung  von 
13,  7  b — 15  den  Vers  1.  Sam.  10,8  eingeschoben  hat,  der  in  dem 


^)  Wie  es  mit  14,  52  steht,  ist  zunächst  unklar.  Der  Vers  kann  (wegen 
''C  v!D)  mit  zu  dem  vorhergehenden  Resume  gehört  haben,  er  kann  aber  anch 
ein  Übergang  zu  David  gewesen  sein.     Ygl.  p.  252.  255  s. 


246  ^^^  Buch  Samuelis. 

dortigen  Zusammenhange  absolut  unverständlicli  ist.  —  Unscliuldi- 
gerer  Natur  ist  13,  19 — 22,  gieichwol  nicht  ursprünglich,  eben  so 
wenig  wie  die  damit  in  Beziehung  stehenden  vier  letzten  Worte 
von  14,  14.  In  Kap.  14  ist  v.  36 — 45  dem  echten  Zusammen- 
hange fremd,  ausserdem  muss  v.  31  bis  zum  Atlinach  gestrichen 
werden,  da  NIHH  DV!!  es  verbietet,  den  Satz  als  Schluss  der  Rede 
Jonathans  aufzufassen. 


Erste  Geschichte  Davids.     1  Sam.  15 — 2  Sam.  8. 

Durch  das  Zwischenstück  Kap.  15  (v.  28)  wird  es  motivirt, 
dass  von  Kap.  16  an  David  noch  bei  Lebzeiten  Sauls  die  Haupt- 
person ist.  Die  Erzählung  gehört  einer  Schicht  an,  welche  zwischen 
der  von  9,  1—10,  16.  Kap.  11.  13.   14  und   der  von  Kap.   7.   8. 

10,  17—27.  Kap.  [11]  12  in  der  Mitte  steht.  Jene  setzt  sie  vor- 
aus, denn  die  Salbung  Sauls  15,  1.  17  kommt  nur  10,  1  vor  und 
der  Ausdruck  15,  19  beruht  auf  14,  32  —  aber  der  Standpunkt 
ist  ein  ganz  anderer,  vgl.  14,  48  mit  15,  2.  Diese  kennt  sie  noch 
nicht,  denn  nach  10,  17 — 27  wird  Saul  nicht  gesalbt,  und  nach 
den  Prämissen  von  Kap.  8.  12  würde  Samuel  weder  sein  Recht, 
ihm  zu  befehlen,  zu  motiviren  brauchen  wie  in  15,  1,  noch  auch 
über  seine  Verwerfung  Yaterschmerz  empfinden  können  wie  in  15, 

11.  35  —  gieichwol  ist  der  Standpunkt  ein  mehr  verwandter.  Der 
König  als  Stellvertreter  Jahves  hat  dem  Worte  Jahves  zu  gehorchen, 
das  ist  das  von  ihm  selbst  anerkannte  Gesetz  seiner  Regierung 
(15,  13.  18.  20).  Samuel  ist  eine  ihm  übergeordnete  Persönlich- 
keit. Er  ist  nicht  mehr  der  Zukunft  kündende  Seher,  aber  auch 
nur  teilweise  (15,  33)  der  Heros  vom  Schlage  Elias  und  Elisa,  viel- 

216  mehr  seinem  geistigen  Gehalt  nach  ein  Prophet  von  der  specifischen 
Art  des  Amos  Hosea  und  ihrer  Nachfolger.  Dies  tritt  bes.  in 
V.  22.  23  hervor,  vgl.  z.  B.  mit  26,  19.  19,  13;  D^Dim  Jl^^  =  "m  1)B^ 
Os.  3,  5.  Jud.  17.  18.  Die  Moral  der  ganzen  Geschichte  ist,  Jahve 
wolle  keine  Opfer,  sondern  Gehorsam  (Hierem.  7,  21 — 26).  Ein 
anderes  Zeichen  der  Zeit  ist,  dass  der  Yertilgungskrieg,  den  Saul 
gegen  die  Amalekiter  unternahm  um  Israel  von  seinen  Plünderern 
zu  befreien  14,  48,  hier  theoretisch  motivirt  wird  (v.  2.  6)  —  als 
sei  die  Erzählung  Exod.  17  ein  tatsächlich  auf  das  damalige  Ge- 
scHecht  wirkender  Faktor  gewesen.  Dies  hat  mehr  auf  sich  als 
einfache  Reminiscenzen    an    das  jehovistische  Geschichtsbuch,    wie 


1.  Sam.  13—15.  247 

sie  im  Buch  der  Richter  sehr  häufig  und  in  1.  Sam.  nicht  selten 
sind.  Eine  solche  kommt  15,  29  (Num.  23,  19)  vor,  veranhisst 
durch  die  Beziehung,  welche  im  Segen  Bileams  auf  den  Sieg  über 
Amalek  genommen  wird,  der  al)er  dort  (24,  7)  rein  als  Triumph 
Sauls,  ohne  trübe  Beimischung,  aufgefasst  wird.  Von  1.  Sam.  7.  8 
nebst  Zubehör  unterscheidet  sich  1.  Sam.  15  hauptsächlich  dadurch, 
dass  es  keine  gemachte,  sondern  wirkliche  Geschichte  enthält  und 
dieselbe  nur  von  fremdartigen  Motiven  aus  beleuchtet.  Daran 
braucht  man  nicht  zu  zweifeln,  dass  Saul  wirklich  die  Amalekiter 
gezüchtigt  und  Samuel  wirklich  den  Agag  als  beste  Kriegsbeute  dem 
Jahve  zu  Gilgal  geopfert  hat. 

6.  David  wird  auf  zweifache  Weise  in  die  Geschichte  einge- 
fülirt.  Zunächst  16,  14 — 23.  Hier  ist  er  schon  ehe  er  zu  Saul 
kommt,  bekannt  als  ein  tapferer  und  kriegsgeübter  Mann,  von  an- 
sehnlicher Gestalt,  treffender  Rede  und  glücklicher  Hand;  an  den 
Hof  wird  er  seiner  musikalischen  Begabung  wegen  gezogen,  um 
Saul  zu  erheitern,  wenn  ein  Anfall  des  bösen  Geistes  über  ihn 
kommt.  Er  tritt  alsbald  in  ein  nahes  Verhältnis  zum  Könige  und 
wird  sein  Waffenträger. 

Ganz  anders  16,  1 — 13  und  Kap.  17,  1 — 18,  5.  Hier  wie  dort 
ist  David  ein  friedlicher  Hirtenknabe,  der  wegen  seiner  Jugend 
noch  gar  nicht  in  Betracht  kommt  und  nichts  weniger  als  kriegs- 
gewolint  ist.  Ob  man  iii  Kap.  17  dem  Text  der  Masora  oder  der 
Sept.  folgt,  macht  in  dieser  Hinsicht  keinen  Unterschied;  17,  38  ss. 
genügt,  um  die  Unvereinbarkeit  mit  16,  18  zu  erweisen.  Noch 
deutlicher  wird  allerdings  der  Widerspruch  zu  16,  14 — 23  durch 
17,  12 — 31.  17,  55 — 18,  5,  wo  David  dem  Saul  noch  ganz  unbe- 
kannt ist.     Die  Septuaginta  freilich  lässt  diese  Verse  aus^). 

Sowol  nach  16,  1 — 13  als  nach  17,  1 — 18,  5  ist  David  Isais 
Jüngster,  der,  noch  halb  Kind,  seines  Vaters  Schafe  hütet,  als  er 
plötzlich  hinter  der  Herde  weg  zu  hohen  Dingen  berufen  wird 
(2.  Sam.  7,  8).  Aber  16,  1 — 12  wird  vom  Verfasser  des  17.  Kap.  217 
nach  V.  12 — 31  nicht  vorausgesetzt.  Es  kommt  liinzu,  dass  Isai 
16,  10  sieben  Söhne  ausser  David  hat,  17,  14  sichtlich  nur  di-ei, 
und  dass  offenbar  Davids  Brüder  17,  28  von  seiner  Salbung  keine 
Ahnung  haben.  Wenn  nun  Kap.  17  von  16,  1 — 13  unabhängig 
ist,  so  kann  das  Umgekehi'te  nicht  der  Fall  sein;  denn  sonst  würde 


1)  Vgl.  Text  der  Bücher  Samuelis  (1S71)  p.  104  s. 


248  ^^^  Buch  Samuelis. 

sich  weder  die  allgemeine  Gleichartigkeit  der  Anschauung  von 
David  noch  die  bestimmte  Berührung  im  Ausdruck  (16,  12.  17,  42) 
erklären.  Also  ist  16,  1 — 13  später  als  Kap.  17  und  giebt  der 
dortigen  weltlichen  Einführung  Davids  gleichsam  die  geistliche 
Weihe. 

Handelt  es  sich  um  die  Wahl  zwischen  16,  14 — 23,  wo  David 
als  fertiger  Mann  zu  Saul  in  Beziehung  tritt,  und  17,  1 — 18,  5, 
wo  eine  legendarische  Jugendgeschichte  darüber  erzählt  wird,  so 
kann  die  Entscheidung  nicht  zweifelhaft  sein,  zumal  da  nach 
2  Sam.  21,  19  Goliath  von  Gath,  dessen  Speerschaft  dick  wie  ein 
Webebaum  war,  nicht  in  den  Philisterkriegen  Sauls,  sondern  seines 
Nachfolgers  auftrat,  und  nicht  von  David,  sondern  von  Elhanan 
aus  Bethlehem  erlegt  wurde.  Damit  ist  zugleich  über  16,  1 — 15 
das  Urteil  gefällt,  welches  auch  durch  den  Inhalt  dieses  Stücks  be- 
stätigt wird.  Es  ist  eine  Imitation  von  10,  1  ss.,  aber  wie  magisch 
ist  hier  die  Inspiration  des  Sehers,  wie  wirkungslos  die  Salbung, 
auch  an  psychologischem  Einfluss  auf  David!  Samuel  steht  in 
so  füi'chterlichem  Ansehen,  dass  ihm  die  Altesten  Bethlehems  ent- 
gegen zittern  16,  4.  Das  geht  noch  über  Kap.  15  hinaus.  Zwar 
schliesst  die  Einsetzung  des  Nachfolgers  deutlich  an  die  Verwerfung 
des  Vorgängers  an,  aber  weder  passt  die  Furcht  Samuels  vor 
Saul  16,  2  zu  dem  Verhältnis,  wie  es  nach  Kap.  15  erscheint; 
noch  ist  die  Anknüpfung  von  16,  1  an  15,  35  eine  mehr  als  äusser- 
liche.  „Samuel  sah  Saul  nie  wieder,  bis  an  seinen  Tod,  denn  er 
trauerte  über  ihn,  da  es  Jahve  gereute,  dass  er  ihn  zum  König 
über  Israel  gemacht  hatte.  Und  Jahve  sprach  zu  ihm:  wie  lange 
willst  du  über  Saul  trauern,  da  ich  ihn  doch  verworfen  habe?" 
Offenbar  muss  der  Grund  ebenso  lange  dauern  als  die  Folge,  und 
also  zieht  Samuel  sich  nicht  bloss  bis  an  seinen  Tod  zurück, 
sondern  trauert  auch  bis  an  seinen  Tod.  Der  Verfasser  von  16,  1 
hat  15,  35  bloss  als  Haken  benutzt  und  übrigens  den  grossartigen 
Geist  von  Kap.  15  materialisirt ').  Die  walii'e  Fortsetzung  von 
Kap.  15  könnte  16,  14  ss.   sein,   obwol  der  böse  Geist  von  Jahve 


1)  Das  Motiv  der  „Ergänzung"  16,  1 — 13  ist  klar.  Wenn  Saul  vom  Seher 
zum  Königtum  berufen  war,  so  durfte  David  nicht  rein  als  self-made  man  er- 
scheinen. Ein  Schritt  weiter  ist  es,  dass  Saul  nicht  gesalbt  wird  10,  22  ss. 
Geschichtlich  hat  man  ebensowenig  Grund,  Samuels  Beziehung  zu  Saul  zu  be- 
zweifeln, als  seine  Beziehung  zu  David  zu  glauben. 


1.  8am.  15—17.  249 

hier  eigentlich  gar  nicht  als  Schuld,  sondern  nur  als  Unglück  auf- 
gefasst  wird;   so   dass   es  auch  denkbar  wäre,   dass  16,  14  ss.   ur-  218 
sprünglich  an  14,  52  anschloss  und  Kap.  15  erst  später  eingesetzt 
ward.     Ygl.  weiter  zu  Kap.  28. 

7.  Die  Entstehung  der  Furcht  Sauls  vor  David  18,  6 — 30. 
Das  Hauptstück  ist  v.  17—29.  Wenn  hier  Saul  in  v.  22.  23  den 
David  heimlich  durch  dritte  Hand  auf  seine  zweite  Tochter  Michal 
aufmerksam  macht,  so  hat  er  sie  ihm  nicht  vorher  direkt  ange- 
boten-, also  ist  V.  21b  eingeschoben.  Wenn  ferner  DaA-id  den  Ge- 
danken des  Königs  Eidam  zu  werden  füi'  absurd  und  unmöglich 
ansieht  v.  23,  so  weiss  er  nicht,  dass  er  bereits  mit  der  älteren 
Tochter  verlobt  gewesen  ist;  also  wird  das  Stück  v.  17 — 19,  womit 
V.  21b  zusammenhängt,  in  v.  20  ss.  nicht  vorausgesetzt.  In  der 
Sept.  fehlt  V.  17—19  (vgl.  2.  Sam.  21.  8)  und  v.  21  b.  Die  Ge- 
schichte nun  von  Da^dds  Yerschwägerung  mit  dem  Könige,  wie  sie 
gegenwärtig  —  gewiss  nicht  ursprünglich  —  erzählt  wird,  hat  schon 
die  Furcht  Sauls  vor  ihm  zur  Prämisse,  vgl.  =^ö>^''1  v.  29.  Der 
Anlass  zu  dieser  Furcht  muss  also  vorher  berichtet  sein.  Aber 
David  darf  von  der  Gesinnung  des  Königs  gegen  ihn  noch  nichts 
wissen,  der  eklatante  Ausbruch  v.  10.  11  (der  aus  19,  9s.  leicht 
zu  entlehnen  war)  kann  nicht  vorhergegangen  sein.  Die  Septuaginta 
hat  V.  10—12  mit  Ausnahme  von  12  a  nicht  gelesen^).  An  harmo- 
nistische  Kritik  ist  nicht  zu  denken,  denn  dann  würde  auch  v.  12  a 
gestrichen  worden  sein.  Sie  hat  überhaupt  den  besseren  Text  und 
man  wird  nach  ihr  auch  v.  29  b  und  v.  30  zu  streichen  haben. 
Es  entstehn  dann  cbei  Absätze  a)  v.  ß — 8.  12  a;  b)  v.  13.  14.  15; 
c)  V.  16.  20 — 29  a;  der  erste  schliesst  mit  und  Saul  fürchtete 
sich  vor  David,  der  zweite  mit  und  er  graute  sich  vor  ihm, 
der  dritte  und  er  fürchtete  sich  noch  mehr  vor  ihm. 

Schwierig  ist  die  Anknüpfung  von  18,  6  ss.  an  das  Vorher- 
gehende. Die  in  v.  6  versuchte  Verbindung  mit  Kap.  17  ist  rein 
äusserlich,  denn  wenn  Saul  seine  (des  Philisters)  Tausende  und 
David  seine  Myriaden  gesclilagen  hat,  so  ist  der  letztere  nicht  der 
unbekannte  Hirtenknabe,  der  mit  der  Schleuder  den  Riesen  erlegt 
hat,  sondern  neben  Saul  der  Führer  Israels,  offenbar  überall  in 
18,  6  SS.  ein  völlig  ausgewachsener  Kriegsmann,  wie  16,  18.  Es 
kommt  hinzu,   dass  die  Sept.   den  Anfang  von  v.  6  nicht  hat  — 

^)   [Der  Yers   18,  9  ist  in   der  Sixtina  nur  diircli  Versehen  ausgefallen, 
s.  Nestle  in  Stades  Ztsch.  1892  p.  29  s.]. 


250  Das  Buch  Samuelis. 

was  nicht  im  Ziisammenliang  mit  dem  Fehlen  von  17,  12 — 31 
und  17,  55  SS.  stehn  kann.  Aber  wenn  nicht  das  gegenwärtige 
Kap.  17,  so  mnss  doch  etwas  anderes  zwischen  18,  6  ss.  und  16, 
14 — 23  gestanden  haben  über  die  Lorberen,  die  David  sich  im 
Kampfe  gegen  die  Philister  erwarb :  sonst  würde  sich  der  Triumph- 
gesang der  Weiber  und  Sauls  Eifersucht  nicht  erklären.  Eine 
219  leise  Spur  davon  kann  in  17,54  erhalten  sein,  wo  David,  im  Gegen- 
satz zu  der  übrigen  Anschauung  des  Kap.  17,  bereits  sein  eigenes 
Haus  hat  —  doch  ist  dieser  Vers  wol  wahrscheinlich  eine  Glosse. 

8.  Der  Ausbruch  der  Feindschaft  Sauls  und  Davids  Flucht 
wird  in  Kap.  19.  20  recht  verworren  erzählt.  Nach  Sauls  Speer- 
wurf entflieht  David  zum  ersten  Male  19,  10;  v.  11  ist  er  aber 
noch  zu  Hause.  Zum  zweiten  Male  entflieht  ßr  v.  12  und  ge- 
winnt durch  Michals  List  Zeit  zu  einem  Yorsprunge  v.  13 — 17. 
Bei  Samuel  in  Rama  angelangt  wartet  er  die  sich  wiederholenden 
Verfolgungen  ruhig  ab  ohne  sich  aus  dem  Staube  zu  machen  (v.  18 
bis  24)  und  ist  in  Kap.  20  nach  wie  vor  zu  Gibea.  Es  fällt  dem 
Saul  auf,  dass  er  hier  nicht  an  der  königlichen  Tafel  erscheint; 
Jonathan  versichert  ihn  der  Gewogenheit  seines  Vaters,  an  der 
David  allerdings  zweifelt  ohne  indes  vom  Gegenteil  deutliche  Be- 
weise zu  haben,  so  dass  die  Ausforschung  Sauls  in  dieser  Hinsicht 
noch  nötig  und  sogar  die  Pointe  des  Kapitels  ist.  Nachdem  der 
tödliche  Hass  des  Königs  konstatii't  ist,  macht  David  nun  endlich 
Ernst  mit  der  Flucht  (über  Nob  nach  Juda),  aber  merkwürdiger 
Weise  steht  21,  1  nur  "jb""!  □p''l,  und  bloss  aus  den  Äusserungen 
des  Priesters  erschliesst  man  die  Verfassung,  in  der  David  ankam. 

Dass  19,  18 — 24  und  Kap.  20  sich  störend  eindrängen,  liegt 
auf  der  Hand.  Es  ist  ganz  ungeschickt,  dass  David  wie  zum  Spass 
erst  nach  Rama  (im  Norden)  flieht  und  dort  unter  Samuels  Schutz 
den  Häschern  Sauls  und  ihm  selber  ein  Schnippchen  schlägt;  vgl. 
übrigens  1.  Sam.  10,  11.  15,  35  und  2.  Reg.  1.  Das  20.  Kap.  ist 
ein  Pendant  zu  19,  1 — 7  und  stünde  dort  an  der  richtigen  Stelle, 
indessen  hat  auch  19,  1 — 7  keine  pragmatische  Bedeutung,  sondern 
hält  nur  auf.  Nach  der  ursprünglichen  Version  ist  die  Flucht 
Davids  von  Gibea  gleich  nach  Nob  und  weiter  nach  Adullam  ge- 
gangen, so  dass  LD^D^I  mü  im  19,  18  durch  nD.3  NU'"!  21,  2  fort- 
gesetzt wurde.  Fraglich  kann  nur  sein,  ob  die  Fluchtberichte  19, 
8 — 10  und  V.  11 — 17  zusammengehören  („und  es  geschah  in  sel- 
biger Nacht,  da  sandte"   Sept.  zu  v.  10.  11),   oder   ob  nur  einer 


'     1.  Sam.  18—22.  251 

von  den  beiden  die  Prämisse  zu  Kap.  21  ist,  nämlich  der  zweite. 
Vgl.  n-in.^1  22,  20.  23,  6  wie  19,  12.  18,  gegen  ^:  19,  10. 

Der  historische  Faden  setzt  sich  von  21,  2  —  7  her  fort  in 
Kap.  22.  Denn  nicht  nur  ist  21,  10 — 16  ebenso  zu  beurteilen  wie 
19,  18 — 24  (vgl.  27,  1),  sondern  auch  21,  8  und  9  sind  spätere 
Zutaten,  v.  8  abstrahii't  aus  22,  9  —  wo  Doeg  durch  den  Satz 
"U)  niii  Nim  zum  ersten  Male  vorgestellt  wird  —  und  v.  9  zurück- 
greifend auf  Kap.  17;  vgl.  17,  54,  wo  Jerusalem  an  Stelle  des  be- 
nachbarten Nob  gesetzt  ist. 

9.  Da^dd    als  Bandenführer  Kap.   23  —  27.      Zusammenhang 
lässt  sich  darin  erkennen,  dass  David  zunächst  auf  der  Warte  von  220 
Adullam  sich  aufhält  (ühlV  nil^D  22,  1 ;  22,  5  ist  verdächtig),  so- 
dann in  der  Stadt  Kegila  weiter  im  Südwesten  23,  1 — 13,  endlich 

im  Negeb  Juda  an  verschiedenen  Orten,  besonders  in  der  Wüste 
von  Maon  (25,  2 — 43,  vgl.  23,  24),  bis  er  um  vor  Sauls  Verfol- 
gungen sicher  zu  sein  auf  philisthäisches  Gebiet  übertritt  Kap.  27. 
Das  Übrige  (23,  14—24,  23  und  26,  1  —  25)  ist  anekdotenhaft; 
23,  19 — 24,  23  kehrt  in  einer  etwas  andren  und  wie  es  scheint 
älteren  Version  in  26,  1 — 25  wieder,  z.  T.  mit  wörtlichen  Wieder- 
holungen. Der  Abstand  von  Kap.  25  dagegen  ist  sehr  auffallend. 
—  In  Kap.  27  ist  v.  7 — 12  ein  später  Zusatz,  der  an  unübermnd- 
lichen  inneren  Schwierigkeiten  leidet  und,  sofern  nicht  Siklag,  sondern 
Gath  als  Ausgangspunkt  der  Razzien  vorausgesetzt  wird,  dem  Vor- 
hergehenden und  dem  Folgenden  widerspricht^).  Zur  Motivirung 
von  Kap.  30  ist  keineswegs  das  hier  Erzählte  notwendig. 

10.  Sauls  letzter  Kampf  gegen  die  Philister  und  Davids  Ver- 
halten dabei  1.  Sam.  28 —  2.  Sam.  1.  Der  Faden  von  28,  1.  2, 
anscliliessend  an  Kap.  27,  wird  29,  1  ss.  fortgesetzt.  Inzwischen 
ist  28,  3 — 25  eingeschoben.  Nach  28,  4  sind  die  Philister  schon 
zu  Sunem  (in  Jezreel),  nach  29,  1  sind  sie  noch  in  Aphek  und 
ziehen  erst  29,  11  von  da  weiter  nach  JezreeP).  Ebenso  lagern 
die  Israeliten  29,  1  nicht,  wie  28,  4,  auf  dem  kahlen  Gilboa,  sondern 


')  27,  7  beruht  auf  29,  3.  Ähnlich  25,  1  auf  28,  3;  25,  44  auf  2.  Sam.  3, 15 
(zur  Hinzufügung  Yon  Gallini  zu  Lais,  Ygl.  Isa.  10,  30).  In  solchen  Zusätzen 
die,  dem  Folgenden  entnommen,  das  Folgende  vorbereiten  sollen,  zeigt  sich 
die  Redaktion. 

2)  Jezreel  ist  29,  1.  11.  2  Sam.  2,  9.  4,  4  noch  nicht  Name  einer  Stadt, 
sondern  nur  der  Landschaft.  Aphek  hat  nach  29,  11  auf  dem  Wege  zwischen 
Philisthäa  und  Jezreel  gelegen,  also  in  Saron  Jos.  12,  28.     Eusebius,   der  es 


252  r_)as  Buch  Saimielis. 

bei  der  Quelle  in  Jezreel,  und  in  der  Schlaclit  werden  sie  auf  den 
Gilboa  zurückgetrieben  31,  1  —  was  28,  4  übel  antecipirt  wird. 
Da  also  28,  3 — 25  deutlich  auf  späterer  Ergänzung  beruht,  worin 
in  üblicher,  hier  höchst  wirksamer  Weise  das  drohende  Ereignis 
seinen  Schatten  vorauswirft,  so  wird  es  bei  der  ausgesprochenen 
Verwandtschaft  dieses  Stückes  mit  Kap.  15  wahrscheinlich,  dass 
auch  die  letztere  Erzählung  ein  Supplement  ist,  und  dass  in  der 
Tat,  wie  p.  245  vermutet  worden,  der  Yers  14,  52  den  alten  Über- 
gang von  der  mit  14,  51  abschliessenden  Geschichte  Sauls  zu  der 
16,  14 — 23  beginnenden  Geschichte  Davids  gemacht  hat. 
221  Zu  Kap.  29  ist  Kap.  30  imd  31  die  Fortsetzung.     Das  letztere 

Kapitel  ist  als  Schluss  hier  ganz  unentbehrlich  und  kann  auf  keine 
Weise  durch  2.  Sam.  1  ersetzt  werden,  zumal  da  auch  2.  Sam.  2 
(v.  4 — 8)  sonst  in  der  Luft  schwebte.  Allerdings  scheint  2.  Sam.  1 
ebenso  durch  2.  Sam.  4,  10  vorausgesetzt  zu  werden.  Man  könnte 
allenfalls  1.  Sam.  31  und  2.  Sam.  1  mit  einander  vereinigen,  wenn 
man  die  Erzählung  des  Amalekiters  für  erlogen  hielte;  aber  das 
wäre  doch  nur  ein  Notbehelf.  Wenn  die  beiden  Kapitel  sich  aus- 
schliessen,  so  hat  man  sich  für  1.  Sam.  31  zu  entscheiden;  denn 
während  2.  Sam.  2,  4 — 7  ohne  1.  Sam.  31  unverständlich  wäre,  so 
kann  man  das  von  2.  Sam.  4,  10  im  Verhältnis  zu  2.  Sam.  1  nicht 
behaupten.  Und  jedenfalls  ist  der  Bericht  von  1.  Sam.  31  glaub- 
würdiger als  der  von  2.  Sam.  1.  Wenn  man  es  auch  für  möglich 
hält,  dass  der  Amalekiter  gerade  in  diesem  Augenblicke  (1.  Sam.  30) 
David  unter  die  Augen  zu  treten  wagt,  so  ist  es  doch  nicht  recht 
wahrscheinlich,  dass  er  sich  zufällig  (1,  5)  in  das  dichteste  Kampf- 
gewühl, das  Saul  umgab,  verirrt  hat  und  ungestört  mit  Diadem 
und  Spange  davon  gekommen  ist.  Dass  er  vollens  David  als 
geborenen  Nachfolger  Sauls  ansieht  und  ihm  die  Insignien  der 
Herrschaft  überbringt,  erscheint  gar  zu  bedeutungsvoll,  es  würde 
ausserdem  den  David  bei  seinem  philisthäischen  Lehnsherrn,  mit 
dem  er  es  die  nächsten  Jahre  noch  keineswegs  (5,  17)  verdarb, 
in  schlimmen  Verdacht  gebracht  haben.  2.  Sam.  1,  1 — 15  ist, 
allerdings  sehr  passend  und  vielleicht  an   Stelle   eines   älteren  Be- 


in die  Nähe  von  Enclor  verlegt,  hat  29,  1  mit  Kap.  28  combinirt.  Auch  4,  1 
ist  Aphek  in  Saron  gemeint,  desgl.  1.  Reg.  20,  26  wegen  v.  23  ll^iDj  und  2. 
Reg.  13,  17  wegen  12,  18  und  Sept.  (codd.  19.  82.  93.  108)  zu  13,  22: 
xai  eXaßsv  ACar]X  xov  dXXdcpuXov  i'A  yzipoQ  auxoü  aTTO  ^aXaaar];  zfig  xa^'  eGTiepav 
£ü)S  Acpex. 


1.  Sam.  23  —  2.  Sara.  1.  253 

richtes  von  einem  späteren  Bearbeiter  eingeschaltet,  der  wol 
auch  das  Lied  v.  16  ss.  aus  dem  Buche  des  Redlichen  herge- 
setzt hat. 

Vgl.  noch  29,  5  mit  18,  6;  30,  5  mit  27,  3;  30,  7  ss.  mit 
22,  20  SS.  23,  9  ss. ;  30,  26  ss.  mit  25,  2  ss. :  die  Ehen  mit  Abi- 
gail  und  Ahinoam  bereiten  die  politische  A^erbindung  mit  den  süd- 
judäischen  Edeln  vor.  Dahingegen  existiert  kein  ursprünglicher  lite- 
rarischer Zusammenhang  von  Kap.  31  mit  Kap.  11.  Denn  Sauls  Ent- 
setzung der  Stadt  Jabes,  worauf  31,  11 — 13  stillschweigendRücksicht 
genommen  wird,  ist  ein  Ereignis  der  Wirklichkeit,  welches  nicht 
bloss  durch  1.  Sam.  11  bekannt  war.  Und  der  31,  2  als  Sohn 
Sauls  aufgeführte  Abinadab  ist  14,  49  (aus  gleicher  Quelle  wie 
Kap.  11)  nicht  erwähnt;  dort  hat  Saul  überhaupt  nur  drei  Söhne, 
während  hier  ihrer  drei,  die  mit  in  den  Streit  gezogen  sind,  fallen 
und  doch  noch  einer  übrig  bleibt,  der  zu  Hause  gebliebene  Isbaal 
(=  Isjahu  14,  49). 

11.  Nach  Sauls  Tode  wird  David  König  von  Juda  zu  Hebron 
und  nach  Isbaals  Tode  König  von  Israel  zu  Jerusalem,  worauf 
dann  eine  Gesamtübersicht  über  seine  Regierungstaten  den  Schluss 
bildet  2.  Sam.  2 — 8.  Die  seit  1.  Sam.  14,  52  laufende  Geschichte 
Davids  kann  nicht  mit  1.  Sam.  31  abbrechen,  sondern  muss  ihren 
Helden  weiter  begleiten,  bis  er  am  Ziel  steht.  Es  ist  denn  auch  222 
klar,  dass  Davids  Übersiedlung  nach  Hebron  und  seine  Königs- 
salbung seitens  der  Ältesten  Judas  2,  1 — 4  zu  den  Geschenken, 
die  er  vielleicht  erst  nach  dem  Tode  Sauls  den  letzteren  übersandt 
hat  1.  Sam.  30,  26  ss.,  in  direkter  Beziehung  steht,  dass  ferner 
seine  Botschaft  an  die  Bürger  von  Jabes  2,  4 — 7  von  dem  selben 
Verfasser  erzählt  wird,  der  1.  Sam.  31,  11 — 13  ihre  Veranlassung 
berichtet  hat,  und  dass  endlich  2,  8  der  Faden  da  aufgenommen 
wird,  wo  er  1.  Sam.  31  fallen  gelassen  ist.  Von  da  an  setzt  sich 
dieser  Faden  in  Kap.  2 — 5  ununterbrochen  fort.  Vgl.  noch  2,  1. 
5,  19  mit  1.  Sam.  23,  2.  30,  8;  und  3,  14  mit  1.  Sam.  18,  25.  27 
(Sept.) 

Der  Fortschritt  der  einzelnen  Akte  in  Kap.  2 — 5  ist  beinah 
di-amatisch,  Stufe  für  Stufe  werden  wir  über  die  Hindernisse  hin- 
weg bis  zur  Höhe  fortgeführt.  Hie  und  da  findet  sich  ein  redak- 
tioneller Zusatz.  Da  2,  10b  unmittelbar  an  v.  9  anschliesst,  so 
ist  V.  10a  eingeschoben.  In  Wahrheit  ist  Isbaal  nicht  40  Jahre 
alt   gewesen,  sondern  noch  ziemlich  unmündig  und  wie   es  scheint 


254  Das  Buch  Samuel is. 

iTiiverlieiratet.  Auch  2,  11  ist  eingearbeitet,  denn  v.  10b  wird 
durch  V.  12  fortgesetzt.  Schwerlich  stehn  ferner  3,  2 — 5  hier  am 
richtigen  Orte,  denn  v.  6b  schliesst  an  v.  1,  und  6a  verdeckt 
die  Fuge.  Ebenso  ist  in  4,  2  b  (nach  dem  Athnach)  v.  3.  4  ein 
aus  verschiedenen  Elementen  bestehender  Einsatz  zu  erkennen,  der 
jedenfalls  nicht  in  den  Zusammenhang  gehört.  Woher  die  An- 
gab'en  stammen,  ist  schwer  zu  sagen;  teilweise  mögen  sie  durch 
den  Redaktor  versetzt  sein.  So  hat  Adelleicht  3,  2 — 5  (nebst  5, 
13 — 15)  in  Kap.  8,  und  4,  4  wahrscheinlich  hinter  9,  3  gestanden. 

In  Kap.  5  scheint  der  urspr.  Bestand  durch  ein  grösseres  Stück 
erweitert  zu  sein.  Nämlich  v.  17  greift  nicht  bloss  auf  v.  3  zurück, 
sondern  ignorirt  auch  das  Dazwischenliegende,  wie  aus  den 
Worten  und  David  zog  auf  die  Burg  hervorgeht.  Denn 
versteht  man,  wie  man  nach  v.  7.  9  müsste,  unter  der  Burg  den 
Sion,  so  tritt  "n%  ein  Yerbum  der  Bewegung,  in  Widerspruch  dazu, 
dass  David  nach  v.  9  ss.  längst  auf  dem  Sion  wohnte;  ist  aber  die 
Burg  nicht  der  Sion  (23,  13),  so  kann  nicht  ein  und  der  selbe 
Schriftsteller  mit  dem  gleichen  Worte  (v.  7.9)  bald  dies. bald  jenes 
meinen.  Übrigens  fallen  auch  der  Zeit  nach  wenigstens  die 
Bauten  des  Königs  ohne  Zweifel  später,  als  der  Philisterkrieg,  der 
gleich  auf  Davids  (wie  auf  Sauls)  Salbung  zum  Könige  über 
Israel  folgte  (5,  17). 

Kap.  6  und  7,  die  an  die  Einrichtung  der  Residenz  zu 
Jerusalem  und  an  den  Bau  des  Cederpalastes  anknüpfen,  sind  gleich- 
falls supplirt.  Dies  wird  dadurch  bestätigt,  dass  in  8,  1  da  fort- 
gefahren wird,  wo  in  5,  25  aufgehört  ist.  Die  Beziehung  von  Kap.  6 
223  zu  1.  Sam.  4,  1 — 7,  1  ist  nur  eine  sachliche,  keine  literarische; 
denn  Kiriathjearim  heisst  hier  Baale  Juda  und  Eleazar  abgekürzt 
Uzza.  Das  7.  Kapitel  ist  abhängig  von  Kap.  6  und  ziemlich  jungen 
Datums.  Die  durch  die  Interpolation  7,  13  verdunkelte  Pointe') 
ist  nicht  die,  dass  erst  Salomo  und  nicht  David  den  Tempel 
bauen  solle,  sondern  die,  dass  nicht  David  dem  Jahve,  sondern 
Jahve  dem  David  ein  Haus  bauen  werde,  nämlich  das  feste  Königs- 


^)  Vgl.  den  Text  der  Bb.  Samuelis  p.  171s.,  wo  ich  mich  leider  durch 
1.  Reg.  5,  19  habe  abhalten  lassen,  aus  meinen  Gründen  den  Schluss  zu  ziehen. 
Denn  ich  habe  dort  nachgewiesen,  dass  der  Same  Dayids  v.  12.  14  ss.  nicht 
Salomo,  sondern  seine  ganze  Descendenz  ist,  und  dass  die  Ader  der  Pointe 
nicht  du  mir,  sondern  ich  dir  ein  Haus  durch  v.  13  durchschnitten  wird. 


2.  Sam.  2—8.  255 

haus  der  Davicliden.  „Ich  will  ihm  (dem  Samen  =  dem  Hause) 
Vater  sein  und  er  soll  mir  Sohn  sein,  so  dass  wenn  er  sich  ver- 
fehlt, ich  ihn  mit  Kindesrute  und  mit  menschlichen  Schlägen 
züchtige,  aber  meine  Gnade  ihm  nicht  entziehe."  Der  Verfasser 
sieht  also  auf  eine  lange  Dauer  der  david.  Dynastie  zurück  (v.  19) 
und  kennt  darunter  böse  und  gute  Glieder;  aber  trotz  der  jeweilig 
notwendigen  Schläge  wechselt  Jahve  doch  nicht,  wie  im  Reiche 
Israel,  das  Objekt  der  Erziehung;  er  erzieht  eben,  vernichtet  und 
verwirft  nicht.  Man  wird  an  1.  Sam.  2,  27 — 36  erinnert,  wo  den 
Söhnen  Sadoks  verheissen  wird,  dass  sie  am  Stamme  Davids  sich 
heraufranken  (v.  35)  und  ein  ebenso  beständiges  Haus  haben  sollen. 
Es  ist  wol  der  gleiche  Concipient  füi*  beide  Weissagungen  anzu- 
nehmen; er  muss  noch  während  des  jüdischen  Königtums  geschrieben 
haben,  aber  ziemlich  spät,  vielleicht  unter  Josias,  wo  man  trotz 
der  bösen  Vergangenheit  doch  für  die  Zukunft  neue  Hoffnung  fasste. 
Vgl  7,  8  mit  1.  Sam.  16,  1—13.  17,  1  ss. 

Das  8.  Kapitel  wird  einerseits  durch  v.  1  mit  dem  vorher- 
gehenden Hauptfaden  5,  17 — 25  verbunden,  andererseits  durch  das 
Folgende  nicht  fortgesetzt,  dessen  Inhalt  es  z.  T.  antecipii't; 
vgl.  8,  2  ss.  mit  Kap.  10 — 12,  und  5,  15  mit  12,  25.  Es  bildet 
genau  ebenso  den  Schluss  der  mit  1.  Sam.  14,  52.  16,  14  ss.  ein- 
setzenden Geschichte  Davids,  wie  1.  Sam.  14,  46 — 51  den  Schluss 
der  Geschichte  Sauls.  Die  Anlage  dieser  beiden  Schriften  ist  ganz 
ähnlich.  Am  ausführlichsten  w^ird  erzählt,  auf  welchem  Wege  die 
Helden  bis  zum  Gipfel  des  Königtums  gelangt  sind,  Saul  auf  eine 
mehi*  ideale  und  rasche,  David  auf  eine  recht  menschliche  Weise 
und  durch  viele  Zwischenstufen.  Sodann  folgt  ilii'e  kriegerische 
Haupttat,  zu  deren  Erfüllung  ihnen  zunächst  der  hohe  Beruf  über- 
tragen ist  (1  Sam.  9,  16.  2  Sam.  3,  18.  19,  10),  worauf  alsbald 
mit  einer  kurzen  Übersicht  über  das  sonst  noch  Bemerkenswerte 
abgeschlossen  wird.  Vielleicht  haben  einst  in  2.  Sam.  8  (vor  224 
V.  16)  ebenso  wie  in  1.  Sam.  14,  49.  50  auch  die  Familiennach- 
richten gestanden,  die  sich  jetzt  3,  2 — 5  und  5,  13 — 16  an  wenig 
passender  Stelle  finden.  Übrigens  scheinen  diese  kurzen  Nachrichten 
keineswegs  alle  zuverlässig  und  einige  auch  später  (p'2.D  v.  11) 
interpolirt  zu  sein. 

Zweite  Geschichte  Davids.     2.  Sam.  19 — 20  (1.  Reg.  1.  2). 
12.     Diese  Kapitel  haben  das  mit  einander  gemein,    dass  sie 


256  Das  Buch  Samiielis. 

ZU.  Jerusalem  spielen  und  Hofgescliiclite  erzählen.  Sie  werden 
durch  Kap.  8,  und  auch  durch  ihre  eigene  Art,  von  dem  Vorher- 
gehenden geschieden,  enthalten  jedoch  sachlich  eine  Art  Fortsetzung 
dazu,  ebenso  wie  1.  Sam.  15  ss.  zu  1.  Sam.  9  — 14;  vgl.  1.  Reg. 
2,  32.  Der  Anfang  ist  nicht  erhalten;  man  könnte  meinen,  dass 
ursprünglich  noch  Kap.  6  dazu  gehört  habe.  Vgl.  die  Lade  Gottes 
11,  11.  15,  24  SS.  (dagegen  1.  Reg.  2,  26  wie  1.  Sam.  14,  18  l)^m 
zu  lesen)  und  das  Zelt  1.  Reg.  2,  28  =  2.  Sam.  6,  17. 

13.  Das  Hauptstück  ist  Kap.  13  —  20.  Hierzu  steht  Kap.  9 
in  notwendiger  Beziehung,  s.  16,  1—4.  19,  25—31  und  vgl.  19,  18 
mit  9,  10;  17,  27  mit  9,  5.  Schwieriger  ist  es  die  Zugehörigkeit 
von  Kap.  10 — 12  zu  erweisen.  Sie  wüi-de  allerdings  aus  12,  10—12 
sich  klar  ergeben,  wonach  das  häusliche  Unglück  Davids  und  der 
Aufstand  Absaloms  als  Strafe  des  Ehebruchs  mit  der  Bathseba 
erscheint.  Aber  diese  Verse  sind  interpolirt.  Denn  weder  nimmt 
ni?on  t^b  V.  13  auf  die  Strafandrohungen  v.  10 — 12  irgend  welche 
Rücksicht,  noch  lässt  v.  14  die  Annahme  offen,  dass  ausser  der 
Strafe,  welche  dort  ausdrücklich  als  einzige  bezeichnet  wird,  auch 
alle  die  anderen  in  v.  10 — 12  aufgezählten  über  DaNdd  kommen 
sollen.  Diese  Annahme  aber  wäre  deshalb  notwendig,  weil  die 
Drohungen  v.  10 — 12  sich  in  Wirklichkeit  alle  erfüllten.  Übrigens 
ist  auch  "jnxion  "n''Iiyn  V.  13  nicht  eine  Vergebung  der  Schuld 
ohne  Annullirung  der  Strafe  —  ein  so  wie  so  im  Alten  Testamente 
unmöglicher  Gedanke  — ,  sondern  es  wird  deutlich  durch  moH  ^h 
und  durch  die  Exception  v.  14  als  Aufhebung  der  Strafe  bestimmt. 
Ästhetisch  endlich  lässt  sich  geltend  machen,  dass  Nathan  unmöglich 
einer  so  furchtbaren  Drohung,  wie  er  sie  v.  10 — -12  ausgesprochen 
hat,  in  Einem  Atem  die  Versicherung  folgen  lassen  kann,  es  solle 
nichts  daraus  werden,  sobald  nur  David  TIN'^n  gesagt  hat;  so  im 
Handumdrehen  darf  die  Tonart  nicht  wechseln.  Wenn  nun 
die  Verse  12,  10 — 12  hier  nicht  integriren,  so  fällt  damit  die 
äussere  Verbindung  zwischen  Kap.  10 — 12  und  Kap.  13 — 20 
fort.  Aber  eine  innere  lässt  sich  nichtsdestoweniger  aufzeigen. 
Nämlich  nachdem  in  Kap.  10 — 12  die  eigentümlichen  Umstände 
der  Geburt  Salomos  erzählt  worden  sind,  haben  nun  sowol 
Kap.  13.  14  als  auch  Kap.  15 — 20  eine  indirecte  Pointe,  welche 
225  auf  die  Thronfolge  dieses  Sohnes  zielt:  wie  man  das  namentlich 
1.  Reg.  1.  2  aus  der  Parallele  Adonias  mit  Absalom  erkennt. 
Der  Erstgeborene  Davids,  also  sein  eigentlicher  Erbe,    war  Amnon 


2.  Sam.  9  ss.  257 

ben  Ahinocam:  der  wird,  teils  aus  Rache  teils  aus  Neid,  von  Ab- 
salom  erschlagen.  Darauf  ist  Absalom,  von  seinem  Vater  wieder 
zu  Gnaden  angenommen,  der  präsumtive  Thronfolger  15,  1  ss. :  der 
erhebt  den  Aufstand  und  kommt  darin  um.  Nun  ist  Adonia  ben 
Haggith  der  rechtmässige  Erbe  1.  Reg.  2,  22,  sieht  sich  mit  tat- 
sächlicher Billigung  Davids  selber  als  solchen  an  1,  5.  6  und  wird 
von  ganz  Israel  dafüi*  gehalten  2,  15,  insbesondere  von  den  Haupt- 
würdenträgern des  Reichs,  Joab  und  Abiathar,  und  von  den  Prinzen 
des  königlichen  Hauses  1,  9.  Der  aber  fällt  durch  eine  Koalition, 
deren  Seele  der  Prophet  Nathan  ist  und  wozu  ausserdem  Sadok 
und  Benaja  gehören,  die  mit  Abiathar  und  Joab  rivalisiren  und 
an  deren  Stelle  zu  kommen  hoffen:  durch  Nathan  und  Bathseba  ver- 
fügt diese  Koalition  über  den  altersschwachen  David,  und  durch  Be- 
naja über  die  600  Leibwächter,  mit  denen  sich  unter  den  Umständen 
der  damaligen  Zeit  alles  durchsetzen  Hess.  So  also  wird  Salomo 
König,  über  Amnon,  Absalom,  Adonia  hinweg;  und  dies  ist  in 
Waln-heit  das  Band,  welches  2.  Sam.  10 — 12  mit  dem  Folgenden 
verknüpft^).  Vgl.  noch  10,  1  ss.  (Hanun  ben  Nahas  1.  Chron.  19,  1) 
mit  17,  27. 

14.  Der  enge  Zusammenhang  der  Kapitel  13 — 20  unter  sich 
braucht  nicht  näher  nachgewiesen  zu  werden.  Die  statistischen 
Notizen  20,  23 — 26  scheinen  den  formellen  Abschluss  der  von 
2.  Sam.  9  an  verfolgbaren  Schrift  über  David  als  König  zu  Jerusalem 
zu  bilden.  Aber  sie  sind  sehr  äusserlich  angeleimt,  nicht  so 
natürlich  angewachsen  wie  8,  16 — 18  und  1.  Sam.  14,  51;  und  es  ist 
unverkennbar,  dass  die  Erzählung  1.  Reg.  1.  2  nicht  allein  die  be- 
absichtigte Fortsetzung  der  Hofgeschichte  Davids  enthält,  sondern 
auch  von  der  gleichen  Hand  wie  jene  verfasst  ist.  Vgl.  1,  5.  6: 
und  Adonia    ben  Haggith  war    stolz  in    dem  Gedanken,    er  werde 


1)  Irgendwo  habe  ich  die  Vermutimg  gelesen,  dass  Eliam  der  Vater  Bath- 
sebas  der  23,  34  genannte  Hauptmann  Davids  sei;  auf  diese  Weise  würde  sich 
Urias  Bekanntschaft  mit  ihr  leicht  erklären.  Nun  war  Eliam  nach  23,  34  der 
Sohn  Ahithophels  von  Gilo,  der  also  wegen  des  Mordes  seines  Schwiegerenkels 
und  der  Verführung  seiner  Grosstochter  Ursach  gehabt  hätte,  David  zu  hassen. 
In  Kap.  15 — 17  tritt  dieser  Mann  als  eine  höchst  bedeutende  Persönlichkeit 
und  als  der  intellektuelle  Urheber  des  Aufstandes  hervor,  ohne  dass  seine 
Feindschaft  gegen  David  irgendwie  motivirt  wird.  Es  ist  allerdings  möglich, 
dass  der  Erzähler  voraussetzt,  das  man  wisse,  er  sei  der  Vater  Eliams  und 
Grossvater  Bathsebas.  Das  wäre  ein  abermaliges  Band  zwischen  Kap.  10 — 12 
und  Kap.  13—20. 

Well  hau  seil,    Comp,   d.   Hexateuchs.    3.    Aufl.  17 


258  Das  Buch  Sarauelis. 

König  werden,  und  hielt  sich  Wagen  und  Rosse  und  fünfzig 
Trabanten,  und  sein  Vater  schalt  ihn  niemals  weshalb  er  das  tue, 
226  und  er  war  auch  sehr  schöner  Gestalt  und  ihn  hatte  er  gezeugt 
nach  Absalom  —  mit  2.  Sam.  14,  25:  und  wie  Absalom  war  kein 
anderer  Mann  in  Israel  so  schön,  15,  1:  und  Absalom  hielt  sich 
Wagen  und  Pferde  und  fünfzig  Trabanten,  13,  21  (Sept.):  und 
David  schalt  den  Amnon  nicht,  denn  er  hatte  ihn  lieb,  weil  er  sein 
Erstgeborener  war.  Desgleichen  1.  Reg.  1,  23:  Nathan  warf  sich  vor 
dem  König  mit  dem  Gesicht  zur  Erde  —  mit  2.  Sam.  14,  22.  23: 
Joab  (bez.  Absalom)  warf  sich  vor  dem  Könige  mit  dem  Gesicht  zur 
Erde.  Ferner  1.  Reg.  2,  28  n.sD.  nV)J2:^n)  mit  2.  Sam.  13,  30  nyiDt^m 
nN:i;n-;nsn  1,  33  mit  nir^  13,  29.  18,  9-,  mn''D  2,  15  mit 
r\)}i  mni  16,  10.  17,  14;  die  Zeitbestimmung  2,  39  mit  13,  23. 
14,  28.  15,  7  (sonst  äusserst  selten).  In  sachlicher  Beziehung  be- 
achte noch  das  Gastmahl  beim  Königssohn  als  Scenerie  1.  Reg.  1,  9 
(2.  Sam.  13,  23  ss.  15,  10  ss.),  die  Vorliebe  Nathans  für  den  Sohn 
der  Bathseba  1,  11  ss.  (12,  1  ss.  25),  das  Personal:  Nathan  Bathseba 
Salomo,  Joab  Abiathar  Jonathan  1,  42  (18,  17),  Sadok  Benaja 
Krethi  und  Plethi.  Endlich  fällt  auch  noch  ins  Gewicht,  dass  in 
gewissem  Sinne,  wie  oben  dargelegt  worden,  1.  Reg.  1.  2  die  dritte 
Stufe  zu  2.  Sam.  Kap.  13  s.  Kap.  14 — 20  und  das  Finale  zu 
2.  Sam.  12  ist.  Wie  Isaak  den  Inhalt  des  Lebens  Abrahams  ausmacht 
und  David  seit  1.  Sam.  15  den  der  Regierung  Sauls,  so  nimmt 
ähnlich,  wenn  auch  in  geringerem  Grade,  Davids  Beerbung  schon  bei 
seinen  Lebzeiten  das  Interesse  der  Erzählung  in  Anspruch  und  mit 
Salomos  Thronbesteigung  endigt  seine  Geschichte-^). 

15.  Wenn  wir  2.  Sam.  21,  1 — 24,  25  vor  der  Hand  aus- 
nehmen, so  ist  der  behaglich  ausgesponnene  Faden  2.  Sam.  9 — 1. 
Reg.  2  verhältnismässig  wenig  durch  fremdartige  Einschaltungen 
unterbrochen.  Der  einzige  grössere  Einsatz  ist  1.  Reg.  2,  1 — 12. 
Die  letzten  Worte  Davids  tragen  zur  Motivirung  des  Folgenden 
nichts  bei,  denn  nicht  durch  Rücksicht  auf  sie  wurde  Salomo  bei 
seinem  Verfahren  gegen  Adonia  Abiathar  Joab  und  Simei  geleitet. 
Sie  sind  gewiss  von  keinem  belauscht,  lassen  sich  dagegen  mit 
Leichtigkeit  konstruiren  und  charakterisiren  sich  durch  v.  2 — 4  als 
deuteronomistisch,  wozu  die  Chronologie  v.  11   und  der  Ausdruck 


^)  Dass  Davids  Yerspreclien  1.  Reg.  1,  13.   17  bisher  nicht    erwähnt    ist, 
kann  nicht  befremden,    da  er  selber  und  alle  Welt  nichts   davon  weiss.     Vgl. 

1,  14  -jnn-i-ntN*  ^n^bov 


2.  Sam.  9  SS.  259 

imD^O  V.  12  stimmt.  Von  kleineren  Interpolationen  sind  ausser 
2.  Sam.  12,  10—12  und  1.  Reg.  2,  27  bemerkenswert:  11,  21  die 
Bezugnahme  auf  Abimelech  ben  Jerubbaal,  eine  im  Munde  des 
Königs  hier  sehr  überflüssige  historische  Gelehrsamkeit;  13,  18  die 
Bemerkung  über  die  ehemalige  (D^lyp  statt  C^P'^y^)  Tracht  der 
Prinzessinnen,  eine  Glosse  zu  v.  19;  14,  26  die  Gewichtsangabe 
von  Absaloms  Haar  nach  dem  Stein  des  (Gross-)  Königs;  16,  24  227 
IHv^  G"'lbn  ^Dl  und  16,  27  t^'N^n  ]n2n  (so  statt  n^)^n  "DH);  18, 
15  die  Nachricht,  dass  Absalom,  schon  halbtot  vom  Hängen  und 
mit  drei  Speeren  im  Herzen,  von  den  zehn  Wafi'enträgern  Joabs  — 
—  Saul  und  Jonathan  haben  je  nur  einen  —  vollens  getötet  sei; 
18,  18  die  wie  es  scheint  im  Widerspruch  zu  14,  27  befindliche 
Angabe,  Absalom  habe  keinen  Sohn  gehabt.  In  16,  13b  scheint 
r\DVh  Zeichen  der  Interpolation  zu  sein. 

16.  Dass  wir  in  2.  Sam.  9 — 20.  1.  Reg.  1.  2  eine  sehr  gute 
historische  Quelle  besitzen,  bedarf  keines  Beweises.  Bei  aller  Partei- 
nahme für  David  und  Salomo  wird  doch  der  Hergang  der  Dinge 
mit  sichtlicher  Objektivität  und  mit  grossem  Interesse  für  das  stoff- 
liche Detail  berichtet;  aus  keiner  Periode  der  israelitischen  Ge- 
schichte haben  wir  so  viele  historische  Namen.  David  erscheint 
liebeuswüi'dig  und  ungewöhnlich  und  wird  mit  begeisterter  Hingabe 
von  seinen  Leuten  verehrt,  unter  denen  sich  viele  Ausländer  be- 
finden. Aber  er  hat  nicht  erst  im  Alter  angefangen  schwach  zu 
werden  (13,  21.  14,  24.  15,  1.  14.  19,  6.  12.  14),  Joab,  dessen 
Rücksichtslosigkeit  durch  beispiellose  Treue  gegen  seinen  Herrn 
geadelt  wird,  ist  die  imponirendere  Gestalt.  Mit  einer  uns  fast  bos- 
haft vorkommenden  Aufrichtigkeit  ist  die  Palastintrigue  erzählt, 
wodurch  es  erreicht  wird,  dass  Salomo  statt  Adonias  von  David 
zu  seinem  Nachfolger  ernannt  wird.  Auf  das  hier  stärker  wie 
anderswo  und  mit  unleugbarem  Geschicke  eingestreute  dialogische 
Element  darf  man  sich  übrigens  nicht  berufen  um  die  genaue  In- 
formation des  Berichterstatters  zu  erweisen.  Die  Dicta  des  Königs 
David  (5,  8)  12,  23.  15,  19.  16,  10s.  18,  5.  19,  1  (ausgezeiclmet 
das  malerische  inDT>^)  mögen  allerdings  Eindruck  gemacht  ()illi 
"lin  1.  Sam.  16,  18)  haben  und  auf  wirklicher  wenn  auch  nicht 
wörtlicher  (18,  5.  12)  Tradition  beruhen.  Dagegen  lässt  es  nur 
auf  die  poetische  Freiheit  des  Schriftseilers  schliessen,  dass  nicht 
selten  die  intimsten  Gespräche  dramatisch  reproducirt  werden;  das 
gehört  zur  Form  und  nicht  zum  Stoffe  der  Überlieferung. 

17* 


260  Das  Buch  Samuelis. 

Wie  liocli  hinauf  diese  Form  reiche,  d.  h.  also  die  uns  vor- 
liegende schriftliche  Darstellung,  ist  in  diesem  Falle  so  wenig  zu 
sagen  wie  in  anderen.  Für  erheblich  alt  und  den  Dingen  nahe- 
stehend wird  man  sie  halten  müssen,  doch  sie  macht  nicht  einen 
so  antiken  Eindruck  wie  Jud.  9;  der  religiöse  Standpunkt,  obwol 
nirgend  den  Pragmatismus  fremdartig  beeinflussend,  ist  in  den 
Reden  sehr  ausgeprägt,  das  Ganze  uns  vollkommen  zugänglich  und 
verständlich^).  Auch  die  Sprache  ist  reich  und  flüssig,  wo  nicht 
228  der  Text  verdorben  ist.  Auffallend  ist  12,  20  mn^  n^D.,  desgl.  die 
Übereinstimmung  von  20,  1  mit  1.  Reg.  12,  16.  Die  Abhängigkeit 
ist  auf  Seiten  der  letzteren  Stelle,  obgleich  gewiss  schon  der  Verf. 
von  2.  Sam.  20  den  Aufsand  des  Seba  ben  Bikri  eben  als  Vorspiel 
der  späteren  Trennung  erzählt  hat.  Ein  Interesse,  das  über  das 
bloss  historische  hinauszugehn  und  auf  zeitgenössischen  Motiven  zu 
beruhen  scheint,  tut  sich  kund  für  Meribaal  (1.  Chron.  9,  40)  und 
seinen  Sohn  Micha,  für  die  aus  Gilead  nach  Jerusalem  übergesiedelte 
Familie  Barzillais  (19,  38),  und  für  Absaloms  schöne  Tochter 
Thamar  (14,  27);  letztere  ward  das  Weib  Rehabeams  und  die 
Stammmutter  des  jüdischen  Königshauses.  Auf  das  vor  Alters 
13,  18  und  noch  heutigen  Tages  18,  18  darf  kein  Gewicht  gelegt 
werden,  sowie  auch  nicht  auf  HD^v  16,  13  oder  H'lp  17,  11. 

Anhang.     2.  Sam.  21 — 24.     Endergebnis. 

17.  Diese  Kapitel  sind  ähnlich  wie  Jud.  17 — 21  ein  Anhang 
am  Schluss.  Sie  bestehn  aus  verschiedenen  Elementen;  21,  1 — 14 
gehört  zusammen  mit  24,  1 — 25;  21,  15 — 22  ist  verwandt  mit  23, 
8 — 39;  in  der  Mitte  bleiben  die  beiden  Lieder  22,  1 — 51  und  23, 
1 — 7  übrig. 

Die  Erzählung  21,  1 — 14  setzt  weder  den  Faden  von  Kap.  20 
fort  noch  steht  sie  überhaupt  in  einer  erkennbaren  Beziehung  dazu. 
Sie  fällt  wol  bedeutend  früher,  denn  passend  darf  die  Rache  für 
Sauls  Frevel  gegen  die  Gibeoniter  —  von  dem  uns  im  A^orher- 
gehenden  nichts  mitgeteilt  ist  —  nicht  gar  zu  lange  verschoben 
werden.  Es  scheint,  dass  nicht  bloss  Simei  16,  7.  8  auf  die 
Opferung  der  Söhne  und  Enkel  Sauls  21,  8.  9  Bezug  nimmt,  sondern 


^)  Obwol  keineswegs  in  allen  Punkten  dem  hergebrachten  Schematismus 
sich  fügend.  Ephraim  ist  Landesname  20,  21;  Benjamin  gehört  zum  Hause 
Joseph  19,  21;  Israel  ist  „erstgeborener"  als  Juda  19,  44. 


2.  Sam.  21—24.  261 

dass  auch  die  Verschonung  Meribaals  21,  7  sich  deckt  mit  dem  in 
Kap.  9  gegebeneu  ausführlicheren  Berichte.  An  21,  1 — 14  schliesst 
24,  Iss.  unmittelbar  an.  Darauf  führt  24,  1  vgl.  mit  21,  1  und 
24,  25  vgl.  mit  21,  14,  desgleichen  der  verwandte  Inhalt,  betreffend 
eine  durch  die  Schuld  des  Königs  (Sauls  Kap.  21,  Davids  Kap.  24) 
verursachte  Landplage  und  die  Sühne  der  zürnenden  Gottheit. 
Die  Theophanie  auf  der  Tenne  Araunas  inaugurirt  den  späteren 
Altar  von  Jerusalem,  ähnlich  wie  es  in  den  Geschichten  der  Erz- 
väter, Josuas  (5,  15),  Gideons  und  Manoahs  geschieht.  Hiedurch 
ebenso  wie  durch  den  Mangel  eines  eigentlich  historischen  Zu- 
sammenhangs bekommt  unsere  Erzählung  einen  von  2.  Sam.  9 — 20 
doch  sehr  verschiedenen,  mehr  volkstümlichen  und  sagenhaften 
Charakter,  der  an  den  Jehovisten  und  das  Richterbuch  erinnert. 
Auffällig  ist  die  Zusammenstellung  der  heiligen  Stätte  zu  Gibeon  229 
(21,9)  mit  der  späteren  zu  Jerusalem  (24,  25);  vgl.  1.  Reg.  3. 

Die  beiden  Stücke  21,  15—22  und  23,  8—39  werden,  obwol 
formell  nicht  zu  einander  gehörig,  doch  durch  die  Gleichartigkeit 
ihres  Stoffes  verbunden.  Das  erste  erscheint  am  Anfang  abge- 
brochen, wenn  nicht  DV  21,  15  zu  streichen  ist;  es  enthält  vier 
immer  mit  der  gleichen  Formel  eingeleitete  Einzelkämpfe  mit 
Riesen,  die  wie  andere  solche  Geschichten  (Jud.  3,  31)  in  die  is- 
raelitische Heldenzeit  der  Philisterkriege  verlegt  werden.  Der 
Schauplatz  scheint  überall  der  gleiche  zu  sein,  nämlich  Gob,  wofüi- 
V.  16  Nob  und  v.  20  Gath  geschrieben  wird.  In  23,  8 — 39  lassen 
sich  zwei  einander  ergänzende  Hälften  unterscheiden,  die  erste 
handelt  von  den  Drei,  die  andern  von  den  Dreissig.  Zunächst 
werden  die  drei  grössten  Philisterkämpfer  aufgeführt  v.  8 — 18; 
jedoch  ist  v.  13  bis  17  a  (bis  zum  Athnach)  ein  späterer  Einsatz, 
der  vorgreift  und  die  Anordnung  zerstört.  Sodann  folgen  die 
dreissig  anderen  Helden,  anfangend  mit  v.  18:  Abisai  war  der  erste 
von  den  Dreissig  und  hervorragend  unter  den  Dreissig;  von  den 
Dreissig  war  er  berühmt,  aber  an  die  Drei  reichte  er  nicht.  Vgl. 
V.  23,  wonach  auch  v.  22  zu  verbessern.  Der  Text  ist  früh  ver- 
derbt, schon  die  Unterschrift  23,  39  zählt  37  statt  33  Helden. 

Die  Lieder  Kap.  22  und  23,  1 — 7  sind  an  möglichst  unpassen- 
der Stelle  eingeschaltet  und  man  hat  für  ihr  Alter  keineswegs  die 
Gewähr  früher  Aufnahme  in  den  historischen  Zusammenhang;  sie 
stehn  im  Gegenteil  vollkommen  ausserhalb  desselben. 

18.  Fassen  wir  zum  Schlüsse  das  Ergebnis  der  einzelnen  Unter- 


262  Das  Buch  Samuelis. 

sucliimgen  zusammen,  so  zeigt  sich,  class  die  letzte  Hand  erst  spät 
an  das  Buch  Samuelis  gelegt  ist,  auch  abgesehen  von  den  Glossen, 
die  sich  übrigens  z.  T.  sehr  schwer  (1.  Sam.  10,  8.  13,  1  Sept.) 
von  den  Redaktionszusätzen  unterscheiden  lassen,  wie  denn  über- 
haupt zwischen  vorkanonischer  und  nachkanonischer  Diaskeue  kaum 
eine  Grenze  zu  ziehen  ist  (1.  Sam.  18).  Nicht  in  dem  von  der 
Bearbeitung  der  Bb.  der  Richter  und  der  Könige  geltenden  Sinne 
deuteronomistisch,  aber  doch  vom  Gesetze  Josias  beeinflusst  wenn 
auch  noch  vorexilisch  ist  1.  Sam.  2,  27 — 36  und  vielleicht  2.  Sam. 
7,  1 — 29.  Aus  bedeutend  späterer  Zeit  stammen  die  zusammen- 
gehörigen Kapitel  1.  Sam.  7,  2—8,  22.  10,  17—27.  11,  12 
bis  14.  12,  1 — 25  (13,  8 — 15);  sie  enthalten  eine  Entstellung  der 
echten  Überlieferung  von  Motiven  des  königslosen  Judentums  aus, 
welche  in  Abhängigkeit  steht  von  der  deuteronomischen  Bear- 
beitung des  Richterbuches,  wie  man  aus  7,  2ss.  und  12,  9ss.  und 
aus  der  Auffassung  Samuels  als  regierenden  Richters  ersieht.  — 
Zu  einer  chi'onologischen  Eingliederung  der  Periode  Elis  Samuels 
230  Sauls  und  Davids  ist  nur  der  Ansatz  gemacht;  vgl.  1.  Sam.  4,  18, 
7,  2.  13,  1.  27,  7.  2.  Sam.  2,  10.  IL  5,  4.  5.  1.  Reg.  2,  11.  Be- 
zeichnender Weise  ist  1.  Sam.  13,  1  nur  das  Schema  angegeben: 
Saul  war  .  . .  Jahre  alt  und  .  .  .  Jalu*e  regierte  er;  aber  die  Zahlen  sind 
nicht  ausgefüllt;  denn  die  Zwei  an  der  zweiten  Stelle  ist  deutlich 
falsch  und  einfach  aus  CJt^  geflossen.  Ähnlich  2.  Sam.  2,  10: 
Isbaal  war  40  Jalii'e  alt  und  2  Jahi-e  regierte  er;  auch  hier  ist  die 
Zwei,  die  gleich  dem  folgenden  Verse  widerspricht,  aus  CJt^'  ge- 
flossen, die  Vierzig  aber  vollkommen  absurd,  und  die  ganze  An- 
gabe deutlich-  erst  nachträglich  zwischen  v.  9  und  10  b  eingesetzt, 
ebenso  wie  v.  11  zwischen  v.  10  b  und  12.  Die  Septuaginta  hat 
den  Vers  1.  Sam.  13,  1  noch  gar  nicht  gelesen,  so  jung  ist  hier 
die  chronologische  Redaktion.  Wie  bei  Saul  ist  dieselbe  auch  bei 
Samuel  nicht  durchgeführt;  denn  die  20  Jahre  1.  Sam.  7,  2  gehn 
auf  das  der  Regierung  Samuels  vorhergehende  Interregnum.  Da- 
gegen wiederholt  sich  bei  David  die  Angabe  2.  Sam.  2,  11  noch 
5,  4.  5  und  1.  Reg.  2,  11.  Vgl.  Jud.  15,  20.  16,  31.  —  Eine  ge- 
wisse verknüpfende,  Späteres  im  Früherem  vorbereitende  Tätigkeit 
hat  die  Redaktion  entwickelt  durch  die  Zusätze,  von  denen  p.  251 
n.  1  und  p.  253  s.  die  Rede  gewesen  ist. 

Es  braucht  nicht  noch  einmal  hervorgehoben  zu  werden,   dass 
von    der    systematischen    und    durchgeführten    moralisch  -  chrono- 


2.  Sam.  21—24.  263 

logischen  Bearbeitung  des  Richter-  und  des  Königsbuchs  im  Buche 
Samuelis  nicht  viel  zu  bemerken  ist.  Es  ist  das  wol  zu  erklären 
mit  der  zusammenhängenden  Ausfülirlichkeit  des  Stoffes,  der  nicht 
gut  in  schematische  Fächer  zu  zerlegen  war.  Dass  kein  Anstoss 
an  den  Bamoth  geäussert  wird  —  was  im  Buche  der  Richter  auch 
nicht  der  Fall  ist  —  muss  nach  der  zu  1.  Reg.  3,  2  gegebenen 
Aufklärung  beurteilt  werden,  dass  vor  dem  Tempelbau  die  Höhen 
erlaubt  gewesen  seien.  Von  der  Stiftshütte  als  vorsalomonischem 
Centralheiligtume  hat  die  deuteronomistische  Bearbeitung  eben  keine 
Ahnung;  sie  basirt  noch  nicht  auf  dem  Priestercodex  wie  die 
Chi'onik. 

Im  Übrigen  haben  wir  drei  Teile  im  Buche  Samuelis  unter- 
schieden 1.  Sam.  1—14.  1.  Sam.  14,  52  —  2.  Sam.  8,  18.  2.  Sam. 
9 — 1.  Reg.  2.  Der  letzte  Teil  ist,  wenn  man  2.  Sam.  21 — 24  als 
Appendix  ausnimmt,  eine  deutliche  literarische  Einheit,  wenn  gleich 
zu  Anfang  nicht  vollständig  erhalten;  ebenso  auch  der  mittlere, 
wo  aber  der  fortlaufende  Faden  häufig  durch  Fremdartiges  unter- 
brochen wird.  Ohne  Zweifel  sind  dies  spätere  Einsätze,  Er- 
gänzungen, welche  dem  älteren  Zusammenhang  sich  anschmiegen 
oder  auch  wol  eine  Neubearbeitung  an  Stelle  eines  echten  Gliedes 
desselben  setzen.  Der  erste  Teil  vereinigt  drei  nicht  aus  einer  und 
der  selben  Conception  entsprungene,  aber  doch  historisch  zu  ein-  231 
ander  gehörige  Stücke  a)  1.  Sam.  1 — 3.  b)  4,  1 — 7,  2.  c)  9,  1  bis 
10,  16.  11,  1—11.  15.  13,  2—14,  51.  Die  Geschichte  Sauls  scheint 
zu  der  Gideons  und  Simsons  in  Beziehung  zu  stehn,  wie  auch  1,  3 
auf  ausserhalb  des  gegenwärtigen  Buches  Samuelis  liegende  Prä- 
missen hinweist.  Die  Verbindung  der  drei  Teile  (1.  Sam.  14,  52), 
die  ursprünglich  unabhängig  von  einander  verfasst  worden  sind,  ist 
gewiss  schon  in  ziemlich  früher  Zeit  bewirkt  und  hat  dem  deut. 
Redactor  längst  vorgelegen. 


III.  Das  Buch  der  Könige. 

Salomo.     1.  Reg.  1 — 11. 

1.  Über  Kap.  1.  2  ist  schon  gehandelt  worden.  Mit  der  Rück- 
beziehung dieser  Erzählung  auf  das  Vorhergehende  hängt  es  zu- 
sammen, dass  sie  dem  Folgenden  vorgreift;  s.  2,  39 — 46. 


264  ^^^  Buch  der  Könige. 

Die  Geschichte  Salomos,  wie  sie  in  Kap.  3 — 11  erzählt  wird, 
dreht  sich  fast  nur  um  seine  Bauten,  insbesondere  den  Tempelbau 
5,  16  —  9,  28.  Der  Kern  ist  Kap.  6.  7 ;  nicht  eigentlich  Historie, 
sondern  vielmehr  Beschreibung,  und  zwar  7,  13 — 51  der  Tempel- 
geräte, die  der  tyrische  Meister  Hiram  goss,  und  6,  1  —  7,  12  des 
Gebäudes  selber.  In  7,  13 — 51  wird  jetzt  merkwürdigerweise  das 
Hauptgerät  vermisst,  nämlich  der  eherne  Altar;  auch  in  der  Schluss- 
übersicht. Derselbe  kann  nach  8,  64.  2.  Reg.  16,  14.  15  ursprüng- 
lich hier  nicht  gefehlt  haben,  sondern  ist  absichtlich  ausgelassen, 
mit  Rücksicht  auf  den  nach  dem  Priester  codex  ja  längst  vorhandenen 
ehernen  Attas  Moses,  den  Salomo  wie  die  Lade  nur  einfach  um- 
setzen durfte;  s.  zu  8,  4.  In  dem  Abschnitt  6,  1  —  7,12  scheint 
sich  die  Beschreibung  der  Hofburgbauten  an  verkehrtem  Orte 
232  zwischen  die  des  Tempels  und  seiner  Geräte  einzudrängen.  Die 
Sept.  hat  darum  die  Verse  7,  1 — 12  umgestellt,  hinter  7,  51.  Aber 
dies  ist  Korrektur;  denn  mit  6,  36:  „er  ummauerte  den  inneren 
Yorhof  mit  drei  Lagen  Quadern  und  einer  Lage  Cedernbalken" 
kann  die  Sache  (d.  i.  hier  der  Tempelbau)  nicht  abgetan  sein; 
der  innere  Vorhof  fordert  einen  äusseren  zur  Ergänzung.  Wirklich 
wird  nun  bei  den  Hofburgbauten  der  äussere  Vorhof  7,  8.  9  er- 
wähnt und  zum  Schluss  ausdrücklich  beschrieben  7,  12.  Nun  können 
freilich  bloss  dann  die  Hofburgbauten  in  der  Mitte  zwischen  der 
inneren  und  der  äusseren  Vorhofsmauer  6,  36.  7,  12  behandelt 
werden,  wenn  sie  tatsächlich  dazwischen  lagen,  wenn  wie  der  Tempel 
vom  inneren,  so  der  Königshof  vom  äusseren  Vorhofe  umgeben 
war.  Dass  dies  aber  allerdings  der  Fall  war,  wird  schon  aus 
2.  Reg.  11  wahrscheinlich  und  aus  Ezech.  43,  7.  8  ganz  gewiss:  die 
Könige  Judas,  spricht  Jahve,  haben  ihre  Schwelle  neben  meine 
Schwelle  und  ihre  Pfosten  neben  meine  Pfosten  gesetzt,  so  dass 
nur  die  Wand  zwischen  mir  und  ihnen  ist. 

Wird  nun  6,  36  durch  7,  1 — 12  in  der  Tat  unmittelbar  fort- 
gesetzt, so  dürfen  die  Verse  6,  37.  38  (die  genauesten  Data  der 
alten  hebräischen  Geschichte)  nicht  in  die  Mitte  treten.  Die  Sept. 
lässt  sie  auf  5,  31.  32  folgen  und  vor  6,  2  ss.  voraufgehn,  an  Stelle 
des  masorethischen  Verses  6,  1.  Diesen  hat  sie  nicht  gelesen;  in 
unseren  Handschiiften  ist  er  an  einer  ganz  unglücklichen  Stelle 
zwischen  5,  30  und  31  nachgetragen;  um  so  unpassender,  da  er 
ja  durch  6,  37.  38  vollkommen  ersetzt  wird.  In  diesem  Falle  wird 
die   Sept.   das  Ursprüngliche   erhalten  haben,     Denn  es   steht    fest, 


1.  Reg.  3-11.  265 

nicht  nur  dass  im  MT.  6,  37.  38  versetzt  ist,  sondern  auch,  dass 
6,  1  von  6,  37  abhängt  und  von  einem  anderen  Verfasser  hermlii't. 
Denn  wie  man  aus  6,  37.  38.  8,  2  ersieht,  sagt  der  alte  Schrift- 
steller rn"»  für  Monat  und  der  Bearbeiter  in  seinen  angefügten  Er- 
klärungen der  Daten  sagt  l^'in ;  nun  aber  heisst  es  6,  1  nicht  bloss 
''it^'^  ti^inn,  sondern  auch  1]  ^nr\  (statt  11  nn""),  wodurch  der  Be- 
arbeiter sich  unwillkürlich  selbst  verrät.  Dass  die  480  Jahre  der 
Periode  vom  Auszuge  aus  Ägypten  bis  zum  Tempelbau  künstlich 
sind,  weiss  man  ohnehin;  interessant  aber  ist  es  zu  sehen,  wie 
spät  dieser  Schlüssel  zur  systematischen  Chi'onologie  des  Alten 
Testaments  hier,  uns  sehr  zu  Dank,  eingetragen  ist. 

Was  wir  eben  gefunden  haben,  führt  darauf,  die  ursprüngliche 
Grundlage  der  Kap.  6.  7  von  einer  wahrscheinlich  in  mehreren 
Stufen  (6,  11  — 13  deuteronomistisch)  verlaufenen  späteren  Be- 
arbeitung zu  unterscheiden.  Das  wichtigste  Merkmal  dafür  ist  die 
Datirung,  dort  Jerach  Ziv  Bul  Ethanim,  hier  der  zweite  achte  siebte 
Chodesch.  Die  letztere  Bezeichnung,  nach  Zahlen  die  den  babylo- 
nischen Jahresenfang  im  Frühling  voraussetzen,  findet  sich  zuerst  233 
bei  Jeremias  in  gewissen  nicht  von  ihm  selbst  redigirten  Teilen 
seines  Buches,  sodann  bei  Ezechiel,  Haggai,  Zacharias  und  im  Priester- 
codex ^),  und  macht  dann  selbst  wieder  allmählich  der  syrischen 
Platz.  In  der  älteren  hebräischen  Literatur  bezeichnet  das  Herbst- 
fest den  Abschluss  des  Jahres  Exod.  23, 16.  34,  22.  1.  Sam.  1,  20.  21. 
Isa.  29,  1.  32,  10,  und  die  Monate  haben  eigene  Namen,  nicht  bloss 
Exod.  23,  15.  34,  18,  sondern  auch  noch  Deut.  16,  1  —  während 
Deut.  1,  4  der  letzten  Redaktion  angehört.  Eine  reinliche  Sonderung 
des  Alten  und  des  Neuen  in  1.  Reg.  6.  7  ist  freilich  unmöglich; 
wollte  man  sie  versuchen,  so  wüi'de  die  Kritik  sehr  weit  auszu- 
greifen sich  genötigt  sehen.  Denn  nicht  bloss  durch  zufällige  Be- 
schädigung, sondern  wol  auch  durch  förmliche  Überarbeitung  ist 
der  Text  so  corrupt  geworden  wie  er  vorliegt.  Das  Interesse  für 
grösstmö gliche  Ausführlichkeit  in  der  Beschreibung  aller  Teile  muss 
im  Exil,  gleich  nach  der  Zerstörung  des  Tempels,  am ,  lebhaftesten 
gewesen  sein.  Vgl.  n\"i  7,  8  (fuit  statt  est),  DD^'?  «''5  19,  den 
Mangel  des  Artikels  beim  Nomen  nnns^n  "li^n,  nbn:n  lün  7,  8.  12. 

2.     Im  Anschluss  an  Kap.  6.  7  untersuchen  wir  zunächst  8,  1 
bis  9,  9.     Der  erste  Abschnitt  läuft  von  8,  1 — 10.     Die  Sept.  ist 


^)  Vgl.  Exod,  12,  1   die  Einführung  der  neuen  Ära, 


266  Das  Buch  der  Könige. 

liier  zu  Anfang  (8,  1 — 5)  viel  kürzer  als  der  masorethische  Text. 
„Da  versammelte  der  König  Salomo  alle  Ältesten  von  Israel  nach 
Jerusalem,  um  die  Gesetzeslade  Jahves  aus  der  Stadt  Davids  d.  i. 
Sion  lierüberzuliolen,  im  Monat  Etlianim.  Und  die  Priester  trugen 
die  Lade  und  die  Stiftsliütte,  und  die  heiligen  Geräte  in  der  Stifts- 
hütte, und  der  König  und  ganz  Israel  waren  vor  der  Lade  und 
opferten  Schafe,  Rinder  ohne  Zahl."  Yon  dem  Plus  des  MT.  ge- 
hört "'yni^'n  znriil  Nin  v.  2  unzweifelhaft  einer  späteren  Über- 
arbeitung an,   die   Sept.   hat  es  nicht.     Ebenso  unzweifelhaft  sind 

mnsM  \s^t^:  mioDH  ^u;^i  v.  l,  D''ibm  cjnDn  v.  4,  b^^\i^^  my  b^ 

V.  5  Ausdrücke,  die  in  den  älteren  historischen  und  prophetischen 
Büchern  nie,  sondern  erst  im  Priestercodex  und  in  der  Clii'onik  vor- 
kommen; der  Sept.  fehlen  sie.  Endlich  ist  nob^*  "jb^H'^N*  v.  1 
dem  Schriftsteller,  der  im  Flusse  der  ursprünglichen  Conception 
schrieb  und  grade  vorher  HD/tJ^  als  Subject  genannt  hatte,  nicht  zu- 
zutrauen: auch  hier  fällt  in  der  Sept.  der  Anstoss  weg.  In  v.  6 
bis  10  stimmt  die  Sept.  so  ziemlich  mit  dem  MT.  Nur  mangelt 
ihr  der  Schluss  v.  8  Hin  DVn  IV  D'^'  V^^^^  Derselbe  muss  in  der 
Tat  später  zugesetzt  sein,  denn  et  fuerunt  ibi  adhuc  ist  eine 
234  contradictio  in  adjecto,  wodurch  sich  der  imitirende  Epigone  verrät. 
In  V.  9  dagegen  steht  in  der  Sept.  hinter  Di^ÜNH  mn'P  noch  die 
Apposition  nimn  mn^,  welche  im  MT.  selber  durch  den  zweiten 
Relativsatz  n"lD  "ItJ^K  vorausgesetzt  wird,  da  dieser  sich  nur  auf 
rrilD-H  beziehen  kann.  Aber  obwol  die  Sept.  durchschnittlich  einen 
älteren  Text  giebt  als  der  MT.,  so  giebt  sie  doch  auch  nicht  den 
alten,  sondern  vielmehr  nur  die  erste  Stufe  der  Überarbeitung,  die 
im  MT.  dann  noch  einen  Schritt  weitergegangen  ist. 

Was  zunächst  v.  6 — 10  betrifft,  so  ist  D^t^lpH  ^\l/1p  b^  deutlich 
eine  Glosse  zu  n^ÜH  "^''Ü"]  ^N%  der  Ausdruck  das  All  erheiligste 
für  Debir  stammt  aus  dem  Priestercodex.  Ebenso  ist  aber  auch 
das  Heilige  v.  8,  das  hier  im  Gegensatz  zum  Allerheiligsten 
den  Naos  bezeichnet,  dem  älteren  Sprachgebrauch  vollkommen 
fremd  und  zeigt  (zusammen  mit  der  zu  der  Beschreibung  des 
6.  Kapitels  keineswegs  stimmenden  Vorstellung,  als  ob  das  Alier- 
heiligste  vom  Heiligen  durch  eine  Art  Wand  abgeschieden  und 
nur  durch  eine  offene  Tüi'  damit  verbunden  gewesen  wäre),  dass 
V.  7.  8  nachtäglich  eingeschoben  ist.  Der  9.  Vers  ist  zwar  anderer 
Natur  als  die  übrigen  Interpolationen,  nämlich  deuteronomistisch; 
aber    er    steht    ganz    abgerissen    und    ist    unhistorischen    Inhalts. 


1.  Reg.  3-n.  267 

Denn  so  lange  die  Lade  wirklich  existirte,  war  sie  die  Lade 
Jalives  und  ward  erst  später  die  Lade  des  Bundes.  Lässt  man 
V.  7 — 9  aus,  so  tritt  der  enge  Anscliluss  von  v.  10.  11  an  v.  6 
hervor.  Sowie  die  Lade  ins  Debir  gelangt,  bezieht  auch  Jahve 
sein  neues  Haus.  Die  Erfüllung  mit  Rauch  (Isa.  6,  4)  ist  bei  der 
Einweihung  des  Hauses  das  selbe,  was  bei  der  Einweihung  des 
Altars  das  Herabfallen  des  Feuers. 

Was  aber  8,  1 — 5  betrifft,  so  ist  hier  die  wichtigste  Zutat, 
die  sich  schon  in  der  Sept.  findet,  in  v.  4  die  Hinzufügung  des 
Ohel  Moed  und  aller  ihrer  Geräte  zu  der  Lade,  Die 
Ausleger  schwanken,  ob  sie  unter  dem  Ohel  Moed  das  Zelt  der 
Lade  auf  dem  Sion  verstehn  sollen,  von  dem  bisher  allein  die 
Rede  gewesen  (1.  Reg.  1,  39.  2,  28 — 30.  2.  Sam.  6,  17),  oder  das 
mosaische  Zelt,  das  nach  der  Cln-onik  in  Gibeon  stand,  von  dem  aber 
das  Buch  der  Könige  nichts  berichtet  und  auch  nichts  weiss  (3,  2 — 4). 
Dem  Verfasser  der  betreffenden  Worte  8,  4  wird  wahrscheinlich 
beides  in  einand ergeflossen  sein,  wir  aber  sind  vor  folgende  AI-  235 
ternative  gestellt.  Entweder  steht  die  Notiz  im  Zusammenhange 
der  Erzählung  des  Buchs,  dann  kann  der  Ohel  Moed  nur  das  Zelt 
auf  dem  Sion  sein  —  oder  der  Ohel  Moed  8,  4  ist  die  mosaische 
Stiftshütte,  die  von  Gibeon  in  den  salomonischen  Tempel  über- 
geführt wurde:  dann  steht  die  Angabe  ausserhalb  des  Zusammen- 
hangs und  geht  nicht  von  den  Prämissen  aus,  die  dieser  an  die 
Hand  giebt,  dann  ist  sie  mit  anderen  Worten  von  einem  Späteren 
eingeschoben.  Die  erstere  Möglichkeit  ist  unwahrscheinlich,  denn 
der  Name  Ohel  Moed  kommt  abgesehen  von  der  Interpolation 
1.  Sam.  2,  22  b  in  den  Büchern  Judicum  Samuelis  und  Reo'um 
Überhaupt  nicht  vor  und  insonderheit  nicht  für  das  Zelt  Davids 
auf  dem  Sion;  dasselbe  war  auch  zu  wenig  durch  das  Alter  ge- 
heiligt und  nach  2.  Sam.  7  zu  unansehnlich  und  provisorisch,  um 
der  Aufbewahrung  im  Tempel  gewüi'digt  zu  werden.  Wenn  aber 
der  Ohel  Moed  hier  wie  immer  die  Stiftshütte  ist,  worauf  auch  die 
heiligen  Geräte  führen,  so  sind  die  betreffenden  Worte  eben  auch 
Interpolation.  Die  Veranlassung  dazu  ist,  auf  Grund  des  mosai- 
schen Gesetzes,  leicht  zu  begreifen.  L^numgänglich  war  die  Stifts- 
hütte, falls  es  sie  gab,  zu  erwähnen,  als  der  Tempel  au  ihre  Stätte 
trat.  Für  einen  Juden,  der  vom  Priestercodex  ausging,  lag  es 
darum  sehr  nahe,  sie  hier  zu  suchen  und,  wenn  er  sie  nicht  fand, 
zu  ergänzen.     Doch  auch  die  Interpolation  beseitigt  die  Schwierig- 


268  Das  Buch  der  Könige. 

keit  nicht.  Wo  bleibt  der  mosaische  Brandopferaltar?  er  war 
ebenso  wichtig  und  heilig  als  das  Tabernakel  selber,  wird  auch  in 
der  Chronik  stets  daneben  aufgeführt  und  verdiente  nicht,  dass 
man  ihn  in  Gibeon  verkommen  Hess.  Ferner,  wenn  die  heiligen 
Geräte  aus  der  Stiftshütte  in  den  Tempel  übertragen  wurden, 
warum  goss  denn  Salomo  nach  Kap.  7  alles  neu?  Kostbar  genug 
waren  auch  die  alten  Geräte,  zum  Teil  noch  kostbarer  als  die 
neuen,  dazu  durch  ihr  Alter  geheiligt.  Endlich  hat  dieser  Einsatz 
in  8,  4  gerade  so  wenig  Konsequenz  im  Folgenden,  wie  am  Schluss 
das  neben  jnxH  PN  D"'jnDn  )^\L^^)  v.  3  tautologische  DHw^  )bv^) 
D''1/m  D''jnDn5  welches  deutlich  (vgl.  DHN)  damit  zusammenhängt. 

Darüber,  dass  sowol  8,  14 — 66  als  auch  9,  1 — 9  von  Anfang 
bis  zu  Ende  deutoronomistisch  sind,  braucht  mau  kaum  ein  Wort 
zu  verlieren.  In  dem  ersteren  Abschnitte  vgl.  8,  16  ss.  mit  Deut. 
12,  5.  9.  2  Sam.  7,  1,  die  Weissagung  8,  25  mit  Hier.  33,  17,  das 
siebentägige  Fest  8,  65  mit  Deut.  16,  13,  dazu  die  sich  stets 
wiederholenden  deuteronomistischen  Ausdrücke  und  Vorstellungen 
der  Predigt;  weiter  das  Misverständnis  8,  17  (=  2.  Sam.  7,  13),  die 
Kibla,  eine  Einrichtung  des  Exils  8,  44,  und  besonders  die  Worte 
236  8,  46  SS. :  „wenn  sie  an  dir  sündigen  und  du  sie  dem  Feinde  hin- 
gibst und  sie  gefangen  geführt  werden  in  Feindes  Land,  wenn  sie 
sich  dann  bekehren  in  dem  Lande  ihrer  Gefangenschaft  und  zu 
dir  flehen  und  sich  zu  dir  zurückwenden  von  ganzem  Herzen  und 
von  ganzer  Seele  und  zu  dir  beten,  nach  der  erwählten  Stadt  und 
dem  Tempel  zugewandt,  so  erhöre  du  ihr  Gebet  und  vergib 
deinem  Volke  und  verleih  ihnen  Erbarmen  bei  ihren  Zwingherrn." 
Die  beliebte  Auskunft,  es  werde  nicht  an  das  babylonische  Exil 
der  Judäer,  sondern  an  die  assyrische  Gefangenschaft  der  Nord- 
israeliten gedacht,  versagt  hier,  denn  diese  hatten  mit  dem  Tempel 
von  Jerusalem  nichts  zu  schaffen.  —  Der  andere  Abschnitt,  ein 
späteres  Gegenstück  zu  3,  5  ss,  von  sehr  verschiedener  Gesinnung, 
ist  dem  ersten  gleichartig  (s.  9,  6.  8,  25.  Hier.  33,  17  und  die 
Wendungen  in  v.  4.  6.  9)  und  ebenfalls  exilisch  9,  7  ss.  Er  sollte 
wol  eigentlich  wie  3,  5  ss.  direkt  auf  das  grosse  Opfer  8,  63  ss. 
folgen,  ist  aber  durch  9,  1  in  spätere  Zeit  verlegt,  wol  um  den 
Stimmungswechsel  Jahves  zu  erklären. 

Es  bleiben  noch  übrig  die  beiden  Verse  8,  11.  12.  Das  ist 
auch  eine  Einweihungsrede  Salomos,  die  mit  der  deuteronomisti- 
schen 8,  14  SS.  collidirt,  wie  nicht  nur  aus  dem  Anfange  von  8, 14, 


1.  Reg,  3-11.  269 

sondern  aucli  daraus  hervorgeht,  dass  diese  l^eiden  Verse  in  der 
Septuaginta  nicht  vor,  sondern  am  Schlüsse  der  letzteren  stehn, 
hinter  8,  53.  Sie  lauten  daselbst,  nach  n^^bl^  "lOX  IvX,  folgender- 
massen:  "HXiov  h(V(iipiaE\>  sv  oupavco  xupioc,  sItts  tou  xaxoixsTv  Iv 
•yvocptp*  oi/oSofir^Oiov  olxov  [jiou,  oixov  cUTrpsTrri  aau-u)  tou  xaTOixsTv 
£7rl  xaivoxrjTo?.  oux  looh  auT"/^  ^s^paTiTCd  £v  ßißXi'o)  xr^?  (ijÖY)?.  Es  ist 
lyvcupiösv  )in.n  verwechselt  mit  )"'^n,  su-äps-n:^  HU  =  "pi:!!  des  MT. 
8,  13,  £711  xaivotr^TO?  D''Olby  staxt  DiD^ly,  ty]?  wor^?  ^^\i^r\  statt  "1tr^^• 
Was  oTxov  {lou  TlilL  betrifft,  so  entspricht  es  dem  masorethischen 
TT'Jn  und  stimmt  nicht  zu  aaüx(5  '°j'p;  aber  mit  Rücksicht  auf  den 
Sinn  des  Ganzen  ist  es  für  wahrscheinlicher  zu  halten,  dass  "j?  in 
'>b  zu  verwandeln  ist,  als  ^r^in  in  "»H'»::!.  Also:  n)r\^  ü^üll^^ri  yon  t^'Dli^ 

n'^)DD  iS\i  N'bn  DV2^v  nüt^^  ^b  m:  n^ü  ^n"":!  n^n^  b^^^v  p^b  "idx 

*1t^\"l  ~lDt)!l  =  die  Sonne  am  Himmel  hat  er  geschaffen, 
Jahve,  doch  hat  er  wollen  wohnen  im  Dunkeln  und  ge- 
sprochen: bau  mir  ein  Haus,  ein  Haus  meiner  Heimstatt, 
dass  ich  dort  ewiglich  wohne  —  siehe  es  steht  ge- 
schrieben im  Buche  des  Redlichen.  Diese  im  Ton  sich  so  sehr 
von  der  deuteronomistischen  Rede  unterscheidenden  kurzen  Worte 
sind  deshalb  interessant,  weil  daraus  hervorgeht,  dass  die  „das 
Buch  des  Redlichen"  betitelte  Liedersammlung  in  Juda  angelegt 
ist  und  zwar  nicht  in  der  allerältesten  Zeit  des  judäischen  Königtums. 
3.  Der  Bericht  über  den  Tempel,  seine  Geräte  und  seine  Ein- 
weihung wird  vorn  und  hinten  von  gleichartigen  Nachrichten  ein-  237 
gefasst,  die  über  allerlei  bezügliche  Massregeln  Salomos  handeln, 
namentlich  über  seine  Verbindung  mit  dem  tyrischen  Könige  Hiram 
5,  15 — 32.  9,  10 — 38.  Der  erstere  Abschnitt  ist  stark  deuterono- 
mistisch  überarbeitet,  namentlich  in  v.  15 — 21,  vgl.  5,  18.  19  mit 
8,  16  SS.  2.  Sam.  7,  13.  Gegen  Ende  fallen  in  5,  29.  30.  die  un- 
heuren  Zahlen  der  Arbeiter  am  Libanon  auf:  70,000  Lastträger  und 
80,000  Steinhauer  unter  3600  Aufsehern.  Um  so  mehr,  da 
gerade  vorher  in  v.  27.  28  gesagt  ist,  der  König  habe  Fron- 
arbeiter aus  ganz  Israel  ausgehoben,  30,000  Mann,  und  davon  immer 
10,000  zur  Zeit  im  Libanon  beschäftigt,  so  dass  die  Leute  je  einen 
Monat  arbeiteten  und  je  zwei  zu  Hause  waren.  Die  differenten 
Angaben  vertragen  sich  schwerlich.  Wenn  bereits  die  3600  Auf- 
seher (t^t^  statt  \L^b\^'  mit  Sept.  und  Chron.,  vgl.  Num.  3,  28)  auf 
150,000  +  30,000  berechnet  sind,  so  zeigt  sich  gerade  darin  die 
Posteriorität  mindestens  des  v.  30:  denn  nach  v.  27.   28  arbeiten 


270  Das  Buch  der  Könige. 

ja  gar  -nicht  30,000,  sondern  immer  nur  10,000  ^lann.  Natürlich 
ist  die  Nachlicht,  wonach  der  König  nur  10,000  Mann  am  Libanon 
hat  arbeiten  lassen,  die  ältere;  schon  diese  Zahl  ist  für  die  keines- 
wegs so^  umfangreichen  Bauten  reichlich  gross,  aber  doch  nicht  un- 
glaubwürdig, zumal  da  sie  in  einem  detaillirten  Zusammenhange 
auftritt.  —  Der  andere  Abschnitt  9,  10 — 28  ist  ein  Geröll  von 
allerlei  Notizen,  die  allerdings  allesamt  zu  den  königlichen  Bauten 
in  irgend  einer  Beziehung  stehn,  aber  sehr  verschiedenartigen 
Ursprungs  und  Wertes  sind  und  erst  durch  eine  sehr  späte  Redak- 
tion') so  zusammengestellt.  Der  v.  10  steht  ganz  verbindungslos, 
daher  in  der  Septuaginta  nicht  an  dieser  Stelle  (denn  Iv  xat?  7;{i£- 
paic  ixsivai?  9,  9  gehört  zusammen  mit  v.  .11  Xipati),  sondern  8,  1. 
Ebenso  ist  v.  11  (bis  zum  Athnach)  ein  plusquamperfectiscber  Nach- 
trag. Der  ältere  Anfang  scheint  jH"'  i^<  v.  11  zu  sein,  vgl.  3,  16. 
8,  1.  8,  12.  11,  7.  Die  120  Talente  Goldes  9,  14  kommen  wiederum 
post  festum,  vgl.  10,  10.  Auf  9,  15  folgt  zuerst  in  v.  16  eine 
zwar  höchst  wertvolle,  aber  gewiss  erst  spät  hieher  verschlagene 
Parenthese;  sodann  wird  der  Schluss  des  v.  15  in  v.  17  wieder  auf- 
genommen und  mit  der  Aufzählung  der  Bauten  fortgefahren,  aber 
erst  V.  20  kommt  die  eigentliche  Einlösung  der  Hinweisung  mi 
öon  ^TlI  V.  15.  Es  ist  unnatürlich  und  ohne  Zweifel  nicht  ur- 
sprünglich, dass  die  so  wichtigen  Angaben  v.  17 — 19  nur  in  einem 
untergeordneten  und  unbehilflichen  Nebensatz  zu  mjüb  v.  15  einge- 
schachtelt werden.  Was  dagegen  den  durch  die  Ankündigung 
V.  15  jetzt  zur  Hauptsache  gemachten  Inhalt  von  v.  20 — 23 
238  betrifft,  so  ist  trotz  Hin  DVH  "ly  kein  wahres  Wort  an  der  Naclnicht, 
dass  Salomo  bloss  Nichtisraeliten  zum  Frondienste  gepresst  habe. 
Nach  5,  27.  28  hat  er  aus  Israel  seine  Arbeiter  ausgehoben,  nach 
11,  28  war  Jerobeam  Aufseher  über  die  Fron  des  Hauses  Joseph, 
nach  12,  4  war  das  harte  Joch  Salomos  der  Anlass  zum  Abfall 
nach  seinem  Tode^).  Der  Yers  9,  24  ist  an  anderen  Stellen  halb 
oder  ganz  vorausgenommen  (3,  1.  7,  8.  9,  16),  vgl.  9,  15  mit  dem 
Schlüsse.  Mit  den  Bauten  hängt  auch  diese  Notiz  zusammen,  ebenso 
wie  die  9,  25  und  9,   26  ss.,  letztere  wenigstens  insofern,  als  die 


1)  Vgl.  die  Septuaginta  hier  und  zu  Kap.  3.  4.  Im  cod.  Alex,  sind  9, 15 — 25 
aus  Theodotion  ergänzt,  der  den  Aquila  benutzt  hat. 

-)  Die  beiden  Yerse  5,  29.  30  scheinen  dem  Verfasser  von  9,  20 — 23  noch 
unbekannt  zu  sein,  denn  er  giebt  die  Zahl  der  Aufseher  auf  550  an. 


■      1.  Reg.  3—11.  271 

Verbindung  mit  Hiram   vom  Tempelbau  herstammt.     Die   Septua- 
ginta  springt  von  9,  14  auf  9,  2ß. 

4.  Wie  5,  15 — 32  und  9,  10 — 28,  so  entsprechen  sich  ähnlich 
die  davon  kaum  ablösbaren  Abschnitte  3,  1 — 5,  14  und  10, 
1 — 29,  gleichsam  die  zusammengehörigen  Hälften  eines  zweiten, 
äusseren  Gehäuses  für  den  Kern  der  Geschichte  Salomos,  nämlich 
den  Tempelbau.  Jenes  grösste  Ruhmeswerk  wird  hier  auf  eine 
allgemeinere  Grundlage  gestellt  und,  in  ausgesprochener  Absicht, 
Salomos  Weisheit  einerseits  und  seine  Herrlichkeit  andrerseits  an 
bedeutenden  Beispielen  aufgezeigt.  Der  Anfang,  vor  3,  1,  fehlt, 
aber  nur  der  formelle,  denn  sachlich  eröffnet  das  grosse  Antritts- 
opfer zu  Gibeon  3,  4  um  so  sicherer  diese  Erzählung,  als  darauf 
dann  gleich  das  Programm  derselben  folgt:  in  der  durch  das  Opfer 
veranlassten  Traum-Offenbarung,  welche  der  deuteronomistische  Be- 
arbeiter sich  zum  Muster  seines  so  ganz  andersartigen  Gegenstückes 
9,  2 — 9  genommen  hat.  Aufs  engste  schliesst  sich  weiter  der  Be- 
richt über  Salomos  Entscheidung  in  dem  Handel  der  beiden  Huren 
an,  ein  Beispiel  der  ihm  so  eben  verliehenen  Weisheit,  Gericht  zu 
hören.  Einiges  Deuteronomistische  läuft  in  Kap.  3  mit  unter,  nämlich 
die  successive  eingesetzten  Yerse  2  und  3,  und  ausserdem  v.  14 
und  15.  Sodann  ist  das  4.  Kap.,  insbesondere  das  alte  und  viel- 
leicht authentische  Verzeichnis  der  —  keineswegs  über  die  „zwölf 
Stämme"  gesetzten  —  zwölf  Statthalter  Salomos  derartig  in  den 
Zusammenhang  eingefügt,  dass  es  die  Herrlichkeit  des  Königs 
zeigen  soll;  demi  diese  Statthalter  haben  hier  nur  die  Aufgabe, 
jeder    einen  Monat    im  Jahre  für  den  Tisch  des  Königs  zu  sorgen 

4,  7.  5,  7.  Es  ist  klar,  dass  5,  7.  8  unmittelbar  (wie  in  der  Sept.) 
auf  4,  7 — 19  folgen  und  dass  das  Wort  min"'  4,  20  noch  als  Ge- 
nitiv zum  Stat.  constr.  Vl^  4,  19  gezogen  werden  muss.  Dadurch 
erscheint  ohne  weiteres  4,  20  — 5 ,  6  als  spätere  Einlage.  Die 
Elemente  derselben  sind  ungleich,  grösstenteils  aber  generalisirender 
Natur  und  sehr  späten  Ursprungs,  wie  man  besonders  aus  5,  4 
erkennt,  wo  Palästina  von  babylonisch-persischem  Standpunkte  aus  239 
als  die  Provinz  jenseit  des  Euphrat  bezeichnet  ist,  wie  Esdr.  8,  36. 
Neh.  2,  7.  9.  3,  7.     Die  Notiz  5,  6  gehört  zusammen  mit  10,  28.  29; 

es    ist    bei    der  willkürlichen  und  unordentlichen  Redaktion    ganz 
gleichgiltig,    ob    etwas    in  3,  1 — 5,  14    oder    in  10,  1 — 29,    ob  in 

5,  15—32  oder   in  9,  10—28    steht.     Die    Chronik    (H  1,  14  ss.) 
scheint  10,  28.  29  sowol  an  der  jetzigen  Stelle  wie  auch  bei  5,  6 


272  Das  Buch  der  Könige. 

vorgefunden  zu  haben  (vgl.  3,  1.  7,  8  mit  9,  24;  9,  15  mit  9,  24; 
5,  27—30  mit  9,  20—23;  9,  26—28  mit  10,  22);  die  Sept.  liest 
4,  20  — 5,  6  an  anderer  Stelle,  wie  sie  auch  die  Notizen  9,  15 — 25 
teils  in  Kap.  3  teils  in  Kap.  10  darbietet.  —  Das  noch  übrige 
Stück  5,  9 — 14  kann  4,  7 — 19.  5,  7.  8  fortsetzen,  wahrscheinlicher 
jedoch  ist  es  gleichartig  mit  4,  20 — 5,  6,  woran  es  in  der  Sept.  an- 
schliesst.  An  5,  13  hat  die  Aggada  angesetzt;  denn  indem  ^V  und 
bi<.  nach  späterer  Sitte  verwechselt  ward,  ist  aus  der  Angabe, 
Salomo  habe  über  alles  Vieh  und  über  alle  A^ögel  und  Fische  ge- 
redet, geworden,  dass  er  zu  allen  Tieren  geredet  und  ihre  Sprache 
verstanden  habe^). 

Die  Erzählung  von  der  Königin  von  Saba  10,  1 — 13,  die  sich 
einigermassen  fremdartig  zwischen  den  kurzen  Notizen  9,  10  bis 
11,  29  ausnimmt,  will  ebenfalls  die  Weisheit  und  Herrlichkeit 
Salomos  zur  Vorstellung  bringen.  Unter  dem  gleichen  Gesichts- 
punkte sind  auch  die  übrigen  Nachrichten  des  10.  Kapitels  zu- 
sammengestellt. 

5.  In  Kap.  11  wird  zu  all  dem  Glanz  der  bisher  geschilderten 
Herrlichkeit  ein  wenig  Schatten  nachgetragen.  Es  ist  keineswegs 
an  dem,  dass  das  was  hier  berichtet  wird  der  Zeit  nach  auf  das 
Vorhergehende  folgte  und  in  Salomos  Alter  fiele.  Die  Losreissung 
Edoms  vom  Reiche  Davids  fand  vielmehr  nach  11,  21.  22  zu  An- 
fang der  Regierung  Salomos  statt  ^),  ebenso  die  Errichtung  des 
damascenischen  Königtums  durch  Reson  ben  Eljada  v.  25,  endlich 
auch  die  Flucht  Jerobeams  zu  der  Zeit,  wo  Salomo  die  grosse 
Böschungsmauer  des  Tempelberges  baute  11,  27.  9,  15.  24.  Also 
ist  die  Betrachtungsweise,  wonach  alles  dies  Strafen  dafür  gewesen 
seien,  dass  Salomo  ausländische  Weiber  genommen  und  ihnen  zu 
lieb  Götzendienst  getrieben  habe,  unmöglich  die  des  ursprüng- 
lichen Erzählers;  denn  der  kann  doch  die  Strafe  nicht  der  Schuld 
vorausgehn  lassen.  In  der  Tat  lässt  sich  nun  auch  an  den 
deuterpnomistischen  Wendungen  und  Vorstellungen  leicht  erkennen, 
dass  11,  1 — 13  total  überarbeitet  ist.  Vordeuteronomisch  ist  sicher 
der  Satz  v.  7:  da  baute  Salomo  dem  Kamos  eine  Bama  auf  dem 
Berge  gegenüber  Jerusalem  — ,  sodann  vielleicht  eine  jedoch 
keinesfalls    tadelnde    Angabe    über    die  Menge    der  Weiber.     Aber 

^)  Ygl.  ein  ähnliches  Beispiel  im  Text  der  Bb.  Samuelis  p.  13. 
2)  Hinter  v.  22  stellt  Sept.   -IIH    nm   "l'^X    H^nH   PNI    IIJ^N^   2.1^^1 
D"IX  bv  "j^D^T  ^Snti'^2.   Yp-»);  vgl.  MT.  V.  25. 


1.  Reg.  3-11.  273 

die  Generalisirung  der  l)estimmt  lokalisirten  Angabe  y.  7  a  zum  240 
allgemeinen  Götzendienst,  die  Motivirung  desselben  durch  die 
Weiber,  und  der  Anstoss,  der  an  den  Heiraten  mit  Ausländerinnen 
genommen  wird,  gehören  ebenso  gewiss  der  Bearbeitung  an,  wie 
die  Meinung,  diese  Verschuldung  sei  in  Salomos  alten  Tagen  vor- 
gekommen und  die  Ursache  der  folgenden  Kalamitäten  geworden. 
Vgl.  übrigens  schon  9,  2 — 9.  In  der  Vorgeschichte  Jerobeams 
V.  26—40"  lässt  sich  v.  26—28.  40  von  v.  29—39  scheiden.  Es 
ist  klar,  erstens,  dass  v.  40  im  gegenwärtigen  Zusammenhange  un- 
motivirt  ist,  zweitens,  dass  man  nach  v.  26  —  28  von  einer 
Empörung  Jerobeams  zu  hören  erwartet:  davon  ist  aber  nicht  die 
Eede,  sondern  statt  dessen  wird  nun  v.  29—39  eine  Propheten- 
geschichte (=  1.  Sam.  15,  27  s.  24,  12)  erzählt,  welche  den  ursprüng- 
lichen Bericht  von  dem  misglückten  Aufstande  verdrängt  hat  und 
sich  durch  v.  32 — 39  als  deuteronomistisch  bekundet.  —  11,  41 
bis  43  ist  die  stehende  Klausel  des  moralisch  -  chronologischen 
Schemas  der  Epitome. 

6.  Es  scheint  aus  unserer  Untersuchung  von  1.  Reg.  3  — 11 
hervorzugehn,  dass  ein  älteres  Werk  (nr^b^'  ""i:!"  ISt)  11,  41?) 
zu  Grunde  liegt,  welches  aber  die  Geschichte  Salomos  nicht  nach 
der  zeitlichen  Folge  erzählt,  sondern  mehr  eine  Sachordnung  be- 
folgt und  vom  Tempelbau  ausgehend  zu  beiden  Seiten  die  übrigen 
Beispiele  von  Salomos  Glanz  und  Weisheit  gruppirt  hat.  Hierdurch 
ist  das  eigentümliche  Schwanken  der  Redaktion  ermöglicht,  denn 
die  Notizen,  nicht  durch  den  natürlichen  Pragmatismus  gehalten, 
konnten  zu  lehrhaften  Zwecken  hier  wie  dort  gebraucht  werden, 
und  sind  in  der  Tat  in  den  Recensionen  versetzt,  wiederholt  und 
interpolirt.  Von  dieser  älteren  Schrift,  welche  übrigens  gewiss 
die  von  ihr  benutzten  Materialien  vielfach  schon  geformt  vorfand, 
hat  man  keinen  Grund  Kap.  11  auszuschliessen.  Auch  hier  finden 
sich  kurze  geschichtliche  Nachrichten  nicht  nach  der  Zeitfolge, 
sondern  nach  ihrer  inhaltlichen  Art  zusammengestellt,  natürlich 
nicht  unter  dem  selben  Gesichtspunkte  wie  Kap.  3 — 10,  aber  doch 
ebenso  wenig  unter  einem  damit  unvereinbaren.  Denn  wir  haben 
gesehen,  dass  der  alte  Erzähler  nicht  beabsichtigt,  Salomos  Weiber 
und  den  Bau  der  Kamos-Bama  als  Verschuldung  und  andrerseits 
seine  politischen  Miserfolge  als  Strafe  darzustellen;  die  Worte 
Jahve  erweckte  ihm  einen  Widersacher  sind  arglos  gesagt, 
sofern  Jahve  eben  alles  tut. 

Wellhausen,    Comp.   d.   Hexateuchs.   3.  Aufl.  X3 


274  ^^^  Buch  der  Könige. 

Diese  Gruiidsclirift  ist  nun  hauptsäclilicli  deuteronomistiscli  er- 
weitert 3,  3  s.  14  s.  5,  16—20.  6,  11—13.  8,  14—9,  9.  11,  1—13. 
32 — 39.  41 — 43;  wahrscheinlicli  successive,  vgl.  3,  2  mit  3,  3. 
Ausserdem  beweisen  die  Auslassung  des  ehernen  Alters  in  Kap.  7, 
241  die  Hinzufügung  der  Stiftsliütte  und  ihrer  Geräte  zu  der  Lade,  der 
Leviten  zu  den  Priestern  in  8,  4,  die  Ausdrücke  Allerheiligstes 
und  Heiliges  und  andere  in  8,  1 — 8,  der  goldene  Altar  7,  48,  dass^ 
auch,  aber  in  viel  geringerem  Umfange  (und  in  der  Sept.  noch 
weniger  als  im  MT)  eine  Art  Superrevision  vom  Standpunkte  des 
Priestercodex  aus  stattgefunden  hat.  Nicht  zu  reclmen  sind  aller- 
hand naive  Zusätze  aus  späterer  Zeit,  welche  sich  vermutlich  in 
Kap.  5  und  in  Kap.  9.  10  eingeschlichen  haben. 

Israel  und  Juda.  1.  Reg.  12  —  2.  Reg.  17. 
Juda.  2.  Reg.  18—25. 
7.  In  diesen  beiden  letzten  Teilen  des- Buchs  der  Könige  tritt 
die  Bearbeitung  zwar  nicht  breiter  und  stärker  auf  als  im  ersten, 
aber  mit  einem  viel  deutlicher  in  die  Augen  springenden  Schema. 
Die  Anfangsformel  desselben  lautet  bei  den  Königen  von  Juda 
(ausgenommem  Athalia):  Im  Jahre  27  des  Königs  Jerobeam  von 
Israel  ward  Azaria  ben  Amasia  König  von  Juda;  16  Jahr 
alt  war  er  beim  Antritt,  und  52  Jahre  regierte  er  zu  Je- 
rusalem, und  seine  Mutter  hiess  Jecholia  aus  Jerusalem  — 
zwei  eng  verbundene  Sätze,  deren  erster  eingliedriger  den  Synchro- 
nismus, der  zweite  dreigliedrige  zuerst  das  Alter,  sodann  die  Re- 
gierungsdauer und  drittens  den  Mutternamen  angibt').  Bei  den 
Königen  von  Israel  fehlt  das  Alter  und  die  Mutter  und  es  heisst: 
Im  Jahre  15  des  Königs  Amasia  ben  Joas  von  Juda  ward 
(war)  Jerobeam  ben  Jehoas  König  über  Israel  in  Samarien 
41  Jahre  —  ein  einziger  etwas  zeugmatischer  Satz,  worin  das  Verbum 
für  alles,  was  dahinter  steht,  bedeutet:  er  führte  die  Herrschaft;  allein 


1)  Der  Synchronismus  im  ersten  Satz  fehlt  natürlich  bei  Rehabeam  I  14,  21, 
Joas  (in  II  12,  2  nachgetragen)  und  seit  Manasse;  bei  Josaphat  steht  er  nicht 
an  der  Spitze  I  22,  41.  Für  (miH"')  "j^D  steht  I  14,  21.  15,  1.  8.  22,  51 
7V  oder  ^5  es  ist  also  wol  Nominativ,  nicht  Genitiv.  Im  zweiten  Satze  gibt 
das  erste  Glied,  welches  bei  Abia  und  Asa  nicht  von  ungefähr  ausgelassen  ist, 
den  vollen  Eigennamen,  falls  der  Synchronismus  fehlt;  aber  auch  I  22,  41. 
II  8,  26.  16,  2.  Das  dritte  Glied  fehlt  bei  Joram  ben  Josaphat  und  Ahaz  II 
8,  17.  16,  2.  Es  wird  gesagt,  wessen  Tochter  oder  woher  gebürtig  die  Mutter 
sei,  öfters  beides,  bei  Manasse  keins  II  21,  2. 


1.  Reg.  12  SS.  275 

für  das  vorhergeliende   synchronist.    Datum:  er  gelangte  zur  Herr- 
schaft ^). 

Die  Schlussformel  lautet  bei  den  Königen  von  Juda:  Und 
der  Rest  der  Geschichte  Azarias  und  was  er  alles  getan  242 
.  .  .  das  steht  geschrieben  im  Buch  der  Chronik  der 
Könige  Judas;  und  Azaria  legte  sich  zu  seinen  Vätern 
und  ward  bei  seinen  Tätern  begraben  in  der  Davidsburg  — 
wiederum  zwei  Sätze,  deren  erster  die  Verweisung  auf  die  Quelle 
enthält,  der  zweite,  selten  vom  ersten  durch  Einschaltungen  unter- 
brochen (I  14,  30.  15,  7,  23.  22,  46—50.  II  15,  36),  in  cbei 
Gliedern  den  Tod,  das  Begräbnis  und  die  Nachfolge^).  Bei  den 
Königen  von  Israel  heisst  es  ganz  ähnlich,  nur  mit  charakteristischer 
Auslassung  des  zweiten  TTIiats*  ÜV'  Und  der  Rest  der  Ge- 
schichte Jerobeams  und  was  er  alles  getan  ....  das  steht 
geschrieben  im  Buch  der  Chronik  der  Könige  Israels;  und 
Jerobeam  legte  sich  zu  seinen  Vätern  und  ward  begraben  in 
Samarien  und  sein  Sohn  Zacharia  ward  König  an  seiner  statt  ^). 

Durch  diese  Eingangs-  und  Schlussformel  wird  nun  für  jede 
Regierung  ein  Fach  gebildet  und  darin  alles  untergebracht,  was 
wälirend  derselben  vorgefallen  ist,  wenn  es  auch,  wie  z.  B.  die 
Geschichten  II  4.  5.,    in    gar  keiner  Beziehung  zu   der  Herrschaft 


1)  Das  Zeugma  ist  I  15,  25.  16,  29.  22,  52.  II  3,  1.  15,  13  aufgelöst  in 
"j^Q  und  "ite"""!.  Der  Vatersname  fehlt  bei  Zimri  und  Omri  I  16,  15.  23- 
Bei  Zimri  und  Sallum  ist,  nicht  ohne  Absicht,  7X1^'"'  bV  (statt  dessen  II 
14,  23  "^  "IvD)  ausgelassen;  bei  Jerobeam  I  und  Nadab  die  Residenz;;  welche 
von  Ahab  an  Samarien,  vorher  Thirsa  ist,  während  Omri  den  Übergang  macht. 

2)  Die  Schlussformel  fehlt  gänzlich  bei  Ahazia  ben  Joram,  Joahaz  ben 
Josia,  Jojachin  und  Sedekia,  lauter  gestürzten  Königen,  deren  Sohn  nicht  an 
ihrer  statt  folgte.  Vom  zweiten  Satz  fehlt  das  erste  Glied,  ^DU^^I;  bei  den 
Königen,  die  ein  gewaltsames  Ende  gefunden  haben  II  12,  22.  14,  20.  21,  26. 
23,  30,  es  wird  dann  durch  eine  ausführlichere  Relation  ersetzt.  Als  Begräbnis- 
ort ist  bis  auf  Ahaz  die  Davidsburg,  von  da  an  der  Garten  Uzza  genannt,  der 
nach  Ezech.  43,  7  dicht  beim  Tempel  gelegen  haben  muss.  Dies  ist  wol 
der  Grund,  warum  beim  frommen  Josia  der  Ort,  bei  Hizkia  das 
ganze  Begräbnis  verschwiegen  wird.  Bei  Jojakim  ist  dasselbe  deshalb 
nicht  erwähnt,  weil  er  wie  ein  Esel  begraben  ward  Hier.  22,  19.  [Vgl.  aber 
Stade  Gesch.  des  Volkes  Isr.  1,  679  n.] 

2)  Bei  Joram  ben  Ahab  und  Hosea  ben  Ela  ist,  wegen  des  ausführlichen 
Berichts  über  ihren  Ausgang,  die  Schlussformel  weggeblieben;  sonst  aber, 
auch  bei  Zimri  und  Sallum,  nicht.  Veränderte  Ordnung  I  14,  19  s.  16,  27  s. 
Dem  ersten  Satze  werden  öfter  als  bei  den  Königen  von  Juda  noch  positive 

18* 


276  I^^s  Buch  der  Könige. 

irgend  eines  Königes  steht.  Die  Klausel  macht  die  Türe  zu,  dann 
kann  höchstens  noch  eine  vereinzelte  Notiz  nachgetragen  werden. 
Nur  die  Erzählung  2.  Reg.  2  schwebt  unentschieden  zwischen  Ahazia 
und  Joram  von  Israel.  Dagegen  muss  es  l^eanstandet  werden,  dass 
bei  Jehoas  von  Israel  Anfangs-  und  Schlussformel  dicht  bei  ein- 
ander stehn  und  dann  erst  der  Inhalt  der  Regierung  folgt.  Die 
Verse  II  13,  12.  13  sind  interpolirt,  da  sie  sowol  im  Ausdruck 
als  in  der  Anordnung  der  Glieder  des  zweiten  Satzes  vom  Schema 
243  abweichen.  Wenn  also  die  auch  durch  v.  17  beglaubigten  Yerse 
14,  15.  16  richtig  stehn,  so  ist  hier  bloss  der  ungewöhnliche  Fall 
eingetreten,  dass  die  Geschichte  zweier  gleichzeitigen  Könige  von 
Israel  und  Juda  nicht  nach  einander  abgehandelt,  sondern  in  ein- 
ander verschränkt  ist ').  Dies  ist  allerdings  eine  Ausnahme.  Sonst 
richtet  sich  die  Aufzählung  mechanisch  nach  dem  Datum  der 
Thronbesteigung,  in  der  Weise,  dass  die  Könige  der  beiden  Reiche 
gemischt  an  die  Reihe  kommen,  und  wer  zuerst  angetreten  ist, 
auch  zuerst  und  zwar  vollständig  abgehandelt  wird.  Z.  B.  ist  im 
Ganzen  die  Regierung  Josaphats  von  Juda  mit  der  Ahabs  von 
Israel  gleichzeitig;  weil  er  aber  etwas  später  angetreten  ist,  wird 
er,  trotz  22,  Iss.,  erst  nachgebracht,  nachdem  Ahab  bestattet  ist 
I  22,  41 — 51,  und  dann  auch  gleich  abgemacht,  obwol  er  noch 
den  Ahazia  von  Israel  überlebt  hat.  In  der  Sept.  tritt  Josaphat 
früher  als  Ahab  an,  also  steht  er  auch  vor  jenem;  in  richtiger 
Einsicht  in  das  Prinzip  dieser  Anordnung. 

8.  Ausgefüllt  wird  dies  Fachwerk  durch  zweierlei,  freilich 
in  einander  greifendes  und  sich  ergänzendes  Material,  ausführliche 
Erzählungen  und  zusammengestellte  Notizen.  Jene  werden  eröffnet 
durch  I  12,  1 — 24.  Das  Stück  beginnt  nicht  selbständig,  sondern 
setzt  11,  43  fort,  woran  sich  12,  2,  da  y^t^'D  den  Tod  Salomos  zum 
Objekt  hat,  unmittelbar  anschliesst,  dann  v.  1  und  v.  3b.  Nach 
der  Septuaginta  (vgl.  v.  20)  ist  am  Schluss  von  v.  2  D'^'l^^ö 
(rediit  ex  Aegypto)  zu  lesen  und  v.  3  a  bis  zum  Athnach  zu 
streichen.     Der  Berichterstatter  misst   dem  Rehabeam    die    Schuld 


Angaben  hinzugefügt.  Der  zweite  Satz  findet  sich  bloss  bei  den  eines  ruhigen 
Todes  gestorbenen  Königen  und  bei  Ahab  I  22,  40.  Das  zweite  Glied  des- 
selben fehlt  I  14,  20.  22,  40.  II  14,  29.  15,  22:  als  Ort  des  Begräbnisses  wird 
ausser  bei  Baesa  nur  Samarien  angegeben. 

1)  Die  sachliche  Erklärung,  welche  0.  Wolff  in  den  Stud.  und  Krit.  1858 
p.  625 — 688  davon  giebt,  ist  gewiss  nicht  richtig. 


1.  Reg.  12  s.S.  277 

zu  und  findet  das  in  der  Tat  doch  trotzige  und  auffällige  Vor- 
gelin  der  Israliten  ganz  selbstverständlich,  dass  sie  in  Erinnerung 
an  die  Wahl  Sauls  und  Davids  sich  in  Sichern  versammeln  und 
von  dort  aus  ihre  Forderungen  an  den  neuen  König  stellen,  indem 
sie  nicht  zu  ihm  gehn,  sondern  ihn  zu  sich  kommen  lassen.  Gleich- 
wol  steht  er  nach  v.  15  nicht  auf  ephraimitischen  Standpunkte  und 
ist  ausserdem  abhängig  von  der  offenbar  echt  judäischen  Geschichte 
Davids  2.  Sam.  9  —  1.  Reg.  2.  Denn  der  Sohn  Isais  hat  sicht- 
lich 2.  Sam.  20,  1  und  nicht  1.  Reg.  12,  16  seine  ursprüngliche 
Stelle,  und  auch  das  b^^\l/^  "(''Snxb  lässt  sich  nur  dort  im  eigentlichen 
Sinne  verstehn,  da  ja  hier  die  Versammlung  in  Sichem  sich  be- 
findet und  ruhig  bei  einander  bleibt.  Vgl.  12,  16  mit  2,  15.  2  Sam. 
16,  10.  17,  14.  Der  17.  Yers  mangelt  der  Sept.,  erbringt  an  ver- 
frühter Stelle  eine  auf  v.  20  bezügliche  Ausnahme  und  ist  zu 
streichen.  Die  Yerse  21 — 24  enthalten  einen  späten  Zusatz,  wie 
sie  in  der  Chronik  sehr  häufig  vorkommen;  vgl.  die  ungeheure  Zahl 
12,  21  und  den  unbedingten  Gehorsam  des  Königs  gegen  das  Wort 
des  Propheten  Semaia  (noch  dazu  debar  Elohim).  Nach  14,  30  244 
war  Krieg  zwischen   Jerobeam  und  Rehabeam  alle  Zeit. 

Die  nächste  Erzählung,  Kap.  13,  knüpft  an  die  kurzen  No- 
tizen 12,  25 — 31  an  und  zwar  vermittelst  der  stark  interpolirten 
Verse  12,  32.  33:  als  Jerobeam  festfeierte  und  um  zu  opfern  auf 
den  Altar  gegangen  war,  da  kam  ein  Mann  Gottes  aus  Juda  — 
eben  in  diesem  Moment  (vgl.  v.  4  vom  Altar  herab).  Nach- 
dem der  häretische  Kultus  kaum  seinen  Anfang  genommen,  wird 
ihm  der  Untergang  angesagt,  natürlich  durch  einen  Judäer.  Die 
Weissagung  13,  2.  3  ist  ein  vaticinium  ex  eventu,  so  handgreiflich, 
dass  sich  Keil  ihrer  schämt  und  den  Namen  Josia  wegdeutet;  so- 
gar die  Auscbücke  sind  fast  wörtlich  aus  II  23,  15—20  entnommen. 
Die  Sprache  (mn*'  n:i":i  13,  1.  9.  17  vgl.  20,  35.  1.  Sam.  3, 
21,  .Xin  12,  33,  "»PN^.^'  und  "IS"!  13,  9.  17),  die  Namenlosigkeit 
der  handelnden  Personen,  die  Abenteuerlichkeit  der  Scene  v.  24, 
die  geistlose  Mache  der  ganzen  Geschichte  geben  das  Urteil  über 
sie  an  tlie  Hand.  Es  ist  eine  Legende  im  Stil  des  Midrasch,  viel- 
leicht entstanden  daraus,  dass  man  wirklich  in  Bethel  das  Grab 
eines  angeblichen  judäischen  Propheten  zeigte  und  dazu  nun  die 
Entstehungsgeschichte  erzählte  ^) ;  wobei  eine  Reminiscenz  mit  unter- 

1)  Jedoch  ist  2.  Reg.    23,   16—18    iuterpolirt,    s.    Thenius,    die    Bb.    der 
Könige  2.  Aufl.  p.  445  s. 


278  I^^s  Buch  der  Könige. 

gelaufen  sein  mag  an  Arnos  von  Thekoa,  der  auch  zur  Zeit  eines 
Jerobeam  aus  Juda  nach  Bethel  kam,  um  den  Untergang  des  dor- 
tigen Heiligtums  zu  verkündigen  und  ebenfalls  geheissen  wurde, 
sein  Brot  zu  essen,  wo  er  zu  Hause  sei.  Zum  Schluss  ist  noch  zu 
bemerken,  dass  13,  33  b  zu  12,  31  die  Fortsetzung  ist. 

Das  Stück  14,  1 — 18  ist  zwar  anderen  und  weit  älteren,  aber 
in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  doch  erst  nachdeuteronomischen 
Ursprungs.  Das  geht  aus  der  Weissagung  14,  7 — 16  hervor,  die 
ganz  ähnlich  wie  Kap.  13  und  gleichfalls  an  12,  25 — 31.  13,  33.  34 
angeknüpft,  gleich  am  Anfang  den  Untergang  des  Zehnstämmereichs 
andi-oht  (v.  16)  und  zwar  von  judäischem  Standpunkte  aus,  als 
Strafe  für  den  schismatischen  Kultus,  der  nach  dem  Gesetze  Josias 
als  fremder  Dienst,  als  Erzürnung  Jahves,  als  schlimme  Erfindung 
Jerobeams,  womit  er  Israel  angesteckt  habe,  beurteilt  wird.  Vgl. 
die  Sprache  v.  8.  9.  IV^  v.  10.  15.  16;  die  Ausdrücke  in  v.  10. 
11  sind  zwar  originell,  aber  zugleich  stereotyp  16,  13.  21,  21. 
II  9,  8.  14,  28;  sehr  wenig  hier  passend  ist  ']'<:Bb  "lt^'^?  bDü  j;"im 
V.  9  und  die  Drohung  v.  13,  beides  mechanisch  angewandt.  Zu- 
gestehn  lässt  sich,  dass  eine  kurze  vordeuteronomische  Erzählung 
zu  Grunde  liegen  kann,  wo  aber  Ahia  in  seiner  Antwort  nicht  über 
die  Frage  hinausging. 
245  9.     Wir  treffen  nun    erst  wieder  in  Kap.  17   auf  eigentliche 

Erzählungen  und  zwar  hier  auf  eine  grössere  Gruppe,  wo  der  König 
Ahab  und  sein  Nachfolger  Joram,  und  der  Prophet  Elias  und  sein 
Nachfolger  Elisa  im  Mittelpunkte  stehn.  Hier  gehören  zunächst 
die  Kapp.  17.  18  eng  zusammen:  Elias  vorläufiger  Triumph  über 
den  Baal.  Der  Anfang  des  Dramas  ist  abgekürzt,  die  Exposition 
auf  17,  1  zusammengeschrumpft.  Zwar  ist  das  Auftreten  des  Pro- 
pheten 17,  1  nach  16,  30 — 33  nicht  unmotivirt,  aber  die  An- 
knüpfung der  Erzählung  an  diese  Notizen  ist  sicher  erst  das  Werk 
dessen,  der  dieselbe  recipirte,  nicht  dessen,  der  sie  verfasste.  Auch 
genügt  das  nicht;  wir  vermissen  den  Ort,  worauf  sich  niD  17,  3 
bezieht,  den  Grund,  warum  Elias  der  Agitator  Israels  genannt  und 
vorzugsweise  verfolgt  wird  18,  10.  17,  eine  Angabe  über  den  Pro- 
phetenmord der  Izebel  18,  13.  Doch  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass 
die  plötzliche  Einführung  des  Thisbiters  seinem  blitzartigen  Wesen 
entspricht,  und  dass  es  eine  durch  die  Abkürzung  erreichte  Schön- 
heit ist,  weim  der  erste  Akt  sich  auf  die  Worte  beschränkt:  und 
es  sprach  Elias  der  Thisbiter,  von  Thisbe  Gilead,  zu  Ahab:   beim 


1.  Reg.  17  SS.  279 

Leben  Jalives  des  Gottes  Israels,   vor  dem  ich  stehe,   es  soll  diese 
Jahre    nicht    tauen    noch    regnen,    ausser    auf  mein  Wort.  —  Im 
zweiten  Akt   wird  nun   die  Erfüllung   der  Drohung  nicht   an  dem 
allgemeinen  Jammer,  sondern,   klug  und  einfach,   an   dem   eigenen 
Beispiele  des  unversehens  wie  er  gekommen  auch  der  Welt  wieder 
entrückten  Propheten  geschildert,    wie   er  zuerst  am  Bache  Krith 
von  den  Raben,  sodann  im  Lande  Baals  selber  von   einer  Wittwe 
ernährt  wird  17,  2 — 24.  —  Nach   geraumer  Frist  tritt  schliesslich 
der  überall  vergeblich  Gesuchte  unvermutet  dem  Könige  unter  die 
Augen,  während  dieser  gerade  sich  in  einer  ziemlich  demütigenden 
Situation  befindet,   und   fordert   ihn  nach  einem  effektvollen   Zu- 
sammenstoss    auf,  eine  Ai't  religiösen  Zweikampfes  zwischen  Baal 
und  Jahve  zu  veranstalten,  eine  Zumutung,  auf  welche  Aliab  ein- 
geht.    Die  Sache  wird  durch  die  450  Propheten  Baals  ^)  und  den 
einzigen  noch  übrigen  Propheten  Jahves  ausgefochten,  im  Beisein  246 
des  Königs  und  des  Volkes ;   die  Opferprobe  auf  dem  Karmel  ent- 
scheidet für  Elias.     Das  Volk,  bis  dahin  geteilten  Herzens,  tritt  ganz 
auf  die  Seite  des  Eiferers  und  schlachtet  die  Baalspropheten  unten 
am  Berge:  alsbald  tränkt  ein  überraschender  Platzregen  das  Land. 
Das  19.  Kap.  enthält  hierzu  eine  Fortsetzung.     Elias  Triumph 
ist  nur  ein  Vorspiel,   gleich  darauf  flüchtet  er  um  sein  Leben  nach 
dem  alten  auch  von  Israel  aus  vielbesuchten  Heiliojtum  von  Beer- 
seba  im  südlichen  Juda:   mismutig  bittet   er,  unter  dem  Ginster- 
buscli  in  der  Wüste,    um    seinen  Tod.     Da  wird    er    durch    einen 
himmlischen  Boten    auf   den  Berg  Gottes  Horeb   beschieden;  und 
wie  er  dort  ano-elansft  in  eine  Höhle  sich  zurückQ;ezog;en  hat,  rauscht 
es  an  ihm  vorüber:  Sturm  und  Beben  und  Blitze  sind  Jahves  Yor- 
reiter,  darnach  kommt  er  selbst  im  leisen  Säuseln  hinter  dem  Ge- 
witter.    Verhüllten  Hauptes  tritt  Elias  aus  der  Höhle   heraus  und 
hört  eine  Stimme  fragen,    was  ihm  sei.     Nachdem    er    sein  Herz 

1)  Die  400  Ascherapropheten  v.  19  (beachte  den  Mangel  des  ^^s)  sind  zu 
streichen,  nach  v.  22  und  v.  40,  wo  sie  weder  versammelt  noch  geschlachtet 
werden.  Ascheren  sind  im  Alten  Testament  eine  Art  künstlicher  Bäume,  die 
in  älterer  Zeit  nebst  den  Masseboth  mit  zum  Inventar  auch  der  Bamoth  Jahves 
gehörten  Deut.  16,  21.  12,  3  ss,  2.  Reg.  13,  6.  Nur  selten  und  erst  in  sehr 
später  Zeit  wird  Aschera  mit  Astoreth  verwechselt,  von  dem  letzten  Bearbeiter 
der  geschichtlichen  Bücher;  vgl.  Jud.  3,  7  mit  10,  6.  1.  Sam.  7,  3.  4.  12,  10. 
—  In  18,  5  1.  nonü  l^^/O  n"13''  ^bl  ue  deficiant  nobis  iumenta.  —  In 
18,  41  ist  das  Explicitum  )n^b^  verkehrt  und  Ü)1'-]V)  item  D110nti^''l  auszu- 
sprechen; s.  Text  der  Bb,  Samuelis  p.  22  s. 


280  '^'^^  Buch  der  Könige. 

ausgeschüttet,  wird  ihm  der  göttliche  Trost  zu  teil,  dass  keines- 
wegs seine  Sache  verloren  sei,  vielmehr  die  grimmigste  Rache, 
deren  Vollstrecker  er  selber  berufen  solle,  über  alle  Verehrer  Baals 
ergehn,  und  diejenigen  sieben  Tausend  in  Israel  das  Feld  behaupten 
werden,  die  ihre  Knie  nicht  dem  Abgotte  gebeugt^).  „Du  sollst 
Hazael  zum  Könige  über  Damaskus  salben  und  Jehu  ben  Nimsi 
zum  Könige  über  Israel  und  Elisa  ben  Saphat  zum  Propheten  an 
247  deiner  statt,  und  wer  dem  Schwerte  Hazaels  entrinnt,  den  wird 
Jehu,  und  wer  dem  ScliM^erte  Jehus  entrinnt,  den  wird  Elisa  töten." 
Aus  dieser  Ankündigung  können  wir  einige  literarische  Schlüsse 
ziehen.  Der  ideelle  Abschluss  unserer  Geschichte  ist  hiernach  der 
definitive  Triumph  Jahves  und  des  Propheten  über  Baal,  über  den 
König  und  das  Volk,  d.  h.  also  der  Sache  nach  das,  was  wir  in 
2.  Reg.  9.  10  lesen.  Aber  der  Form  nach  kann  es  nicht  dieser 
Bericht  sein,  auf  den  hier  vorausgeblickt  wird,  weil  dort  Jehu  nicht 
durch  Elias,  sondern  durch  Elisa  gesalbt  wird.  Ahnlich  werden 
durch  19,  15  ss.  die  Syrerkriege  vorausgesetzt,  so  aber,  dass  sie, 
äusserst  unglücklich  verlaufend,  als  Strafe  für  den  Baalsdiener  er- 
scheinen und  von  Hazael  geführt  werden,  der  von  Elias  zu  dem 
Zweck  gesalbt  ist.  Diesen  Bedingungen  entsprechen  nun  wiederum 
die  in  Kap.  20.  22.  II  6.  8  folgenden  Syrerkriege  gar  nicht,  die- 
selben sind  vielmehr  von  national  israelitischem  Standpunkte  aus 
erzählt  und  werden  vom  Hause  Ahab  keineswegs  mit  so  ungünstigem 


^)  Durch  die  sentimentale  Ausdeutung  der  rein  sinnlichen  und  malerischen 
Folge  von  Sturm  Beben  Blitzen  und  Säuseln  —  eine  Ausdeutung,  welche  zu 
dem  Inhalt  der  Rede  Jahves  in  klaffendem  Widerspruch  steht  —  wird  ge- 
wöhnlich ein  abscheuliches  Misverständnis  dieser  schönen  Theophanie  erzielt. 
Mit  verschuldet  ist  dasselbe  freilich  durch  eine  starke  Yerunstaltung  des  Textes. 
A'"on  V.  9  b  (nach  dem  Athnach)  an  bis  v.  11  a  (rijm  excl.)  ist  alles  zu  strei- 
chen, als  falsche  Vorausnähme  von  v.  14  nebst  deren  bösen  Folgen.  Äusser- 
lich  fällt  am  meisten  auf  der  Widerspruch  zwischen  v.  IIa  und  v.  lob;  nach 
V.  11  hätte  man  zu  denken,  dass  Elias  zuerst  aus  der  Höhle  herausgetreten 
und  dann  die  Theophanie  erfolgt  wäre,  aber  nach  v.  13  ist  erst  das  Hören 
der  Theophanie  die  Veranlassung,  dass  er  aus  der  Höhle  tritt,  in  der  er  sich 
bis  dahin  aufgehalten.  Wesentlicher  aber  ist,  dass  ja  die  Vision  in  Wahrheit 
die  erste  Einführung  der  Gottheit  ist,  und  in  dieser  ihrer  Bedeutung  ganz 
verdorben  wird,  wenn  schon  vorher  Jahve  privatim  mit  Elias  geredet  und 
gleichsam  gesagt  hat:  warte  nur,  gleich  erscheine  ich  officiell,  dann  trag  deine 
Klage  noch  einmal  vor  und  dann  will  ich  antworten.  Das  Geheimnis  und  die 
Spannung  geht  auf  diese  Weise  davon. 


1.  Reg.  17  SS.  281 

Erfolge  geführt;  Hazael  wird  nicht  von  Elias,  sondern  S'On  Elisa 
gesalbt  und  die  schlimme  Wendung,  die  er  herbeiführt,  beginnt 
erst  unter  Jehu,  dem  Werkzeuge  der  Propheten,  nach  der  Aus- 
rottung des  Baaldienstes.  Es  lässt  sich  also  mindestens  das  sagen, 
dass  in  19,  15  ss.  nicht  auf  diejenigen  Berichte  hingesehen  wird, 
die  uns  jetzt  über  die  Syrerkriege  Ahabs  und  Jorams  und  über 
den  Sturz  der  Dynastie  Omri  durch  Jehu  vorliegen,  dass  folglich 
jene  Berichte  nicht  zu  der  Quelle  gehören,  aus  der  Kap.  17 — 19 
entnommen  sind.  Dass  diese  Quelle  selber  andersartige  Berichte 
über  die  betreffenden  Fakta  enthielt,  ist  nicht  so  gewiss,  doch  aber 
wenigstens  das  wahrscheinlich,  dass  ursprünglich,  wie  19,  19  ss. 
die  Salbung  Elisas,  so  vorher  die  Ausführung  der  v.  15.  16  ja  eben- 
falls befohlenen  Salbung  Hazaels  und  Jehus  erzählt  worden  ist. 
A^or  V.  19  ist  eine  Lücke,  denn  N'HD''1  C^'D  "jb^l  hat  keine  ordent- 
liche Beziehung. 

Aus  der  Quelle  Kap.  17 — 19,  deren  nichtjudäischer  Ursprung 
zum  Überfluss  durch  min'''?  "1t^\S  19,  3  bewiesen  wii'd,  stammt 
ausserdem  noch  das  21.  Kap.,  welches  sich  störend  (die  Sept.  ver- 
setzt deshalb,  vgl.  jedoch  20,  43  mit  21,  4)  zwischen  Kap.  20  und 
Kap.  22  eindrängt.  Sachliche  Ähnlichkeit:  Elias  als  Hauptperson, 
sein  adlerartiges  Stossen  auf  Ahab  im  richtigen  Moment;  formelle: 
21,  1  vgl.  mit  17,  17;  21,  17  vgl  mit  18,  1.  Mit  Kap.  22  hängt 
diese  Erzählung  von  Naboth  nicht  zusammen,  denn  die  Worte 
21,  19,  dass  an  dem  Orte,  wo  die  Hunde  das  Blut  Naboths  geleckt 
haben,  sie  auch  Ahabs  Blut  lecken  sollen,  beziehen  sich,  da  dieser 
Ort  nur  Jezreel  sein  kann,  auf  das  Blutbad  Jehus  zu  Jezreel 
2.  Reg.  9;  Ahabs  Blut  ist  nicht  bloss  das,  was  in  seinen  eigenen, 
sondern  auch  das,  was  in  seiner  Kinder  Adern  fliesst,  und  in  v.  29 
heisst  es  ausdrücklich,  die  Drohung  Elias  solle  sich  erst  an  Ahabs 
Sohne  erfüllen.  Indessen  obwol  unsere  Perikope  auf  die  2.  Reg.  9  248 
berichtete  Sache  Bezug  nimmt,  so  steht  sie  doch  auch  damit  nicht 
in  formeller  Verbindung,  da  in  2.  Reg.  9,  25.  26  eine  erheblich 
andere  Version  über  Naboth  vorausgesetzt  wird.  Darnach  handelte 
es  sich  nämlich  nicht  um  den  Weinberg,  sondern  um  den  Acker 
Naboths;  der  Acker  lag  nicht  beim  Palaste,  sondern  vor  der  Stadt 
an  einer  genau  bezeichneten  Stelle;  nicht  Nal^oth  allein,  sondern 
auch  seine  Familie  wurden  hingerichtet  (daher  II  6,  32  n^^?on); 
am  folgenden  Tage,  als  Ahab  in  Begleitung  Jehus  und  Bidekars 
(1.  Reg.   4,  9)  hinausritt,    um    den  Acker    in  Besitz  zu  nehmen, 


282  ^'^^  Buch  der  Könige. 

traf  ihn  das  Wort  des  Propheten:  fürwahr  das  Blut  Naboths  und 
seiner  Kinder  habe  ich  gesehen,  gestern  Abend,  und  werde  es  dir 
vergelten  auf  diesem  Acker!  Nach  dieser  Version  hat  der  Justizmord 
von  Jezreel,  wie  Ewald  feinfühlig  bemerkt,  eine  viel  grössere  Auf- 
regung im  Volke  hervorgerufen  und  für  das  Haus  Omri  eine  viel 
verhängnisvollere  Bedeutung  gehabt,  als  der  Baalsdienst:  ganz  anders 
als  wie  es  nach  19,  15  ss.,  21,  27 — 29  den  Anschein  hat.  Übrigens 
ist  in  unserem  Kapitel  die  gleiche  nachdeuteronomische  Hand,  wie 
in  14,  1 — 18,  tätig  gewesen  und  hat  namentlich  v.  20  b — 26  ein- 
gelegt. Die  Wirkung  des  unerwarteten,  grimmigen  ntJ^I''  D^ll  nriH^in 
V.  19  wird  nicht  der  originale  Verfasser,  ein  Meister  im  Effekt, 
durch  fortgesetztes  Hin"'  "ION'  HD   A^erdorben  haben. 

Die  Kapitel  2.  Reg.  1  und  2  haben  mit  1.  Reg.  17  —  19.  21 
zwar  das  gemein,  dass  sie  sich  auch  um  Elias  drehen,  sind  aber 
doch  wesentlich  anders  geartet.  Bei  Kap.  1  ist  dies  zugestanden. 
In  der  Tat  besteht  ein  klaffender  unterschied  zwischen  der  Grösse 
des  echten  und  dem  Auftrumpfen  dieses  entstellten  Elias.  Gott 
ist  in  die  Ferne  gerückt  und  redet  durch  einen  Engel  (1,  3.  15; 
ganz  anders  wie  I  19,  15),  dafür  ist  der  Prophet  zu  einem  über- 
menschlichen Popanz  geworden.  Die  Erzählung  ist  wol  abhängig 
von  1.  Sam.  19,  18 — 24;  auch  formell  enthält  sie  viel  Unmotivirtes 
und  reicht  nicht  an  die  Vollendung  von  I  17 — 19.  Anders  ver- 
hält es  sich  mit  der  Himmelfahrt  Elias'  2.  Reg.  2;  jedoch  steht 
man  auch  hier  nicht  auf  dem  Boden  von  I  17 — 19.  21.  Elias  und 
Elisa  erscheinen  in  unzertrennlicher  Einheit,  wohnhaft  zu  Gilgal 
2,  1,  inmitten  der  Prophetenjünger  daselbst,  welche  um  den  Zweck 
des  geheimnisvollen  Weges  Bescheid  wissen  v.  2  und  die  beiden 
Meister  sogar  dabei  begleiten  v.  7.  Allerdings  auch  nach  I  19,  21 
folgt  Elisa  dem  Elias  und  dient  ihm,  aber  trotzdem  tritt  letzterer 
hinterher  (21,  18)  gerade  so  einsam  und  meteorisch  auf  wie  vorher 
und  wird  gewiss  nicht  vorgestellt  als  an  einem  festen  Orte  sess- 
haft,  geschweige  als  Haupt  zahlreicher  Jünger.  Durch  diese  Unter- 
schiede gegen  I  17 — 19.  21  wird  nun  andererseits  eine  Ahnlich- 
249  keit  unseres  Stückes  mit  den  nachfolgenden  Erzählungen  über 
Elisa  begründet,  die  namentlich  in  2,  19  ss.  deutlich  hervortritt 
und  dazu  veranlasst,  dasselbe  mit  jenen  in  gleiche  Gruppe  zu 
setzen.  Der  Ort  der  Himmelfalii-t  scheint  durch  Moses  Grab  bedingt 
zu  sein.     Mit  2,  12  vgl.  13,  14. 

10.     Ahabs  Kampf   gegen    Benhadad    1.  Reg.  20.  22    eröffnet 


1.  Reg.  20.  22.  283 

eine  andere  Reihe  von  Erzählungen.  Es  sind  drei  Feklzüge  a)  die 
Belagerung  Samariens  20,  1 — 21,  I))  die  Niederlage  der  Syrer  in 
der  Ebene  von  Aphek  20,  22 — 34,  c)  Ahabs  Tod  in  der  Schlacht 
von  Ramath^)  Gilead  20,  35—43.  22,  1—38'^).  DieYerse  20,  35 
bis  43  beziehen  sich  gerade  so  auf  22,  1  ss.,  wie  20,  22  auf  20,  23  ss., 
vgl.  V.  13.  14.  28.  Aber  sie  sind  erst  später  eingesetzt,  da  sie, 
wie  20,  43  vgl.  mit  21,  4  zeigt,  das  21.  Kap.  zwischen  dem  20. 
und  22.  voraussetzen.  Diese  Weissagung  eines  Anonymus  unter  250 
den  Prophetenjüngern  unterbricht  ausserdem  den  innigen  Anschluss 
von  22,  1  an  20,  34  und  ist  lediglich  ein  schattenhaftes  Vorspiel 
dessen,  was  hinterher  wirklich  Q-eschieht.     Ebenso  ist  der  namenlose 


^)  St.  abs.  non  2.  Reg.  8,  29. 

2)  Nach  20,  7 — 9  ist  die  anfängliche  Forderung  Benhadads  viel  milder 
gewesen  als^  die  schliessliche;  die  erste  hat  Ahab  auf  der  Stelle  bewilligt,  die 
zweite  bringt  ihn  in  Entrüstung.  Dagegen  lässt  sich  zwischen  dem  Inhalt  des 
Ansinnens  in  v.  3  und  dessen  in  v.  5.  6  kein  Unterschied  entdecken;  es  ist 
ein  Akt  exegetischer  Verzweiflung,  dass  man  das  gar  nicht  hervortretende 
"]''1!iy  "Tl^  V.  6  krampfhaft  betont.  Auf  das  Richtige  führt  die  Septuaginta 
zu  V.  7,  welche  1  vor  i^y  auslässt:  „nun  sendet  er  zu  mir  um  meine  Weiber 
und  Kinder;  mein  Silber  und  Gold  habe  ich  ihm  nicht  geweigert."  Darnach 
wird  man  in  v.  3  zunächst  D'^lLlLOn  mit  Sept.  streichen  und  ferner  CH  l? 
(behalt  du)  lesen  müssen.  —  20,  33  13^D  mtO^n^l  sie  griffen  das  Wort  von 
ihm  auf  und  fragten:  dein  Bruder  ist  B.?  —  20,  34 '»jnbti^n  nnnn  ""JiNUind 
ich  —  auf  Kapitulation  sollst  du  mich  frei  lassen.  Das  absolute  ^JX  ist 
fälschlich  als  Subject  aufgefasst,    geradeso   wie  Ps.  91,  9   das   absolute  nDS^« 

—  22,  10  ist  nach  Sept.  pJ3.  Dikographie,  CIJID.  sind  nach  v.  30  die 
königlichen  Gewänder.  —  22,  28  ist  D^D  Ü^ÜV  ^V^^^  ION"»!  aus  Mich.  1,  2 
genommen  und  mit  Sept.  zu  streichen.  — 22,30  ND.N1  li'D^^^^.  —  22,35 — 38 
„Ahab  war  verwundet  und  wollte  umwenden,  aber  das  Gefecht  rückte  vor  und 
er  war  gezwungen,  im  Wagen  stehn  zu  bleiben  den  Syrern  gegenüber,  und  er 
starb  am  Abend  und  das  Blut  der  Wunde  floss  hinein  in  den  Wagen. 

—  Und  gegen  Sonnenuntergang  erhub  sich  im  Heere  der  Ruf:  jeder  in  seine 
Stadt  und  seine  Heimat,  denn  (flD  ""D)  der  König  ist  tot.  Und  sie  kamen 
heim  nach  Samarien  und  begruben  den  König  in  Samarien  und  sie  spülten 
den  Wagen  am  Teich  von  Samarien  und  die  Hunde  leckten  sein 
Blut  und  die  Huren  badeten  darin  nach  dem  Worte,  das  Jahve  ge- 
redet hatte."  Die  gesperrten  Worte  (v.  38)  sind  interpolirt.  Sie  wollen  die 
buchstäbliche  Erfüllung  der  Drohung  21,  19  nachweisen  und  es  erklären,  wie 
die  Hunde  zu  Samarien  das  seit  der  Schlacht  natürlich  längst  eingetrocknete 
Blut  haben  lecken  können.  Aber  der  rabbinische  Scharfsinn  ist  unnütz  ver- 
schwendet, denn  nach  21,  19  sollen  die  Hunde  nicht  zu  Samarien,  sondern 
zu  Jezreel,  auf  dem  Acker  Naboths,  des  Königs  Blut  lecken.  Vgl.  ÜD1 
gegen    H^-DID  v.  36. 


284  Das  Buch  der  Könige. 

proplieta  ex  macliina  20,  13.  14.  22.  28  bloss  zum  Zwecke  eines 
cletaillirten  A^aticinium  ex  eventu  eingelegt;  am  besten  gliedern 
sich  V.  13.  14  dem  pragmatischen  Zusammenhange  ein,  stimmen 
indessen  gleichwol  nicht  dazu,  denn  wenn  hier  Ahab  auf  gött- 
lichen Befehl  die  Initiative  ergreift,  so  ist  nach  v.  12  vielmehr  das 
Ausrücken  der  Syrer  zum  Angriff  (l^D"":^')  das  Motiv  zu  seinem 
Ausfall  ihnen  entgegen.  Wie  anders  das  Bild  sich  ausnimmt, 
welches  die  ursprüngliche  Erzählung  von  dem  Yerhältnisse  der 
Propheten  zum  Könige  entwirft,  sieht  man  aus  Kap.  22.  —  Die 
Anschauungsweise  und  Stimmung  von  Kap.  20.  22  unterscheidet 
sich  merklich  von  der  in  Kap.  17 — 19.  21  herrschenden.  Von  Elias 
ist  keine  Rede,  dahingegen  von  400  anderen  Propheten  Jahves  22,  5.  6, 
die  Ahab  vor  seinem  letzten  Feldzuge  befragt.  Der  König  ist 
durchaus  die  Hauptperson  und  erscheint  in  einem  viel  günstigeren 
Lichte.  Obwol  er  für  seine  Gemahlin  den  Dienst  des  tyrischen 
Baals  in  der  Hauptstadt  eingeführt"  und  sich  dadurch  die  Feind- 
schaft von  Männern  wie  Micha  ben  Jimla  zugezogen  haben  mag, 
so  hält  er  darum  doch  für  sich  und  für  Israel  an  Jahve  fest  — 
wie  das  denn  auch  durch  die  Namen  seiner  Söhne  Ahazja  und 
Joram  und  durch  die  Freundschaft  mit  Josaphat  aufs  unzweideutigste 
bezeugt  wird.  Er  ist  ein  Mensch  20,  31  und  ein  Mann  22,  34  s., 
dem  Feinde  furchtbarer  als  ein  Heer  22,  32;  was  er  getan,  wird 
gesagt,  nicht  wie  er  gewiesen. 

Von  dem  Verfasser,  der  Kap.  20.  22  geschrieben  hat,  stammt 
auch  2.  Reg.  3,  der  Zug  Jorams  ben  Ahab  gegen  Mesa  von  Moab. 
Vgl.  die  auffallenden  Berührungen  3,  7.  11.  22,  4.  5.  7,  die  Ver- 
meidung der  Eigennamen  der  Könige  (auch  bei  den  doch  jedenfalls 
dem  Erzähler  bekannten  des  Ahab  und  Joram),  mit  einziger  Aus- 
nahme Josaphats  A^on  Juda.  Die  Verhältnisse  haben  eine  sicht- 
liche Familienähnlichkeit  mit  denen  A^on  Kap.  22:  Juda  steht  im 
Bunde  mit  Israel,  Jahve  hat  vor  dem  Feldzuge  Erfolg  geweissagt, 
jedoch  Avie  es  3,  10  dem  Joram  scheint  „durch  den  Lügengeist'', 
ein  Prophet  von  der  Opposition  (3,  13)  Avird  auf  Josaphats  Veran- 
lassung nachträglich  befragt,  hier  nicht  Micha  ben  Jimla,  sondern 
Elisa  ben  Saphat,  der  auf  Elias'  Hände  Wasser  gegossen  hat  (nicht: 
der  Elias'  Mantel  trägt).  Die  Taten  der  Könige  stehn  im  Vorder- 
grund, für  die  Propheten  herrscht  avoI  auch  Interesse,  Avelches 
aber  nicht  das  Ganze  färbt  und  die  Linie  des  Volkstümlichen  nicht 
251  überschreitet.     Volkstümlich,   nicht  Avie   2.   Sam.  9  —  20  historisch 


2.  Eeg.  3.  7.  9  s.  285 

aus  überlegener  Sachkenntnis,  ist  überhaupt  der  Charakter  sowol 
unserer  als  der  damit  zusammenhangenden  Geschichten,  die  trotz 
der  Parteinahme  Elisas  für  den  König  von  Juda  3,  14  zweifellos 
samarischen  Ursprungs  sind.  Das  Wunder,  dass  in  dem  Wadi  an 
der  Südgrenze  Moabs  Gruben  angelegt  werden  und  voll  Wasser 
laufen,  verrät  Lokalkenntnis  in  der  Gegend  al- Alisa;  s.  Wetzstein 
bei  Delitzsch,  Genesis  4.  Aufl.  p.  567.  Die  Inschrift  des  Mesa  deckt 
sich  mit  der  kurzen  Angabe  3,  5  und  erzählt  weitläufig  den  näheren 
Verlauf  des  Abfalles,  der  später  die  Ursache  unserer  Expedition 
wurde.     Sie  ist  offenbar  vor  dieser  letzteren  verfasst. 

In  die  Reihe  I  20.  22.  II  3  ist  ferner  6,  24—7,  20  zu  stellen, 
die  mit  dem  Vorhergehenden  nicht  zusammenhangende  (6,  24 
gegen  6,  23)  wunderbare  Befreiung  Samariens  von  der  Belagerung 
der  Syrer.  Vgl.  6,  24  mit  20,  1;  7,  9  mit  22,  2;  7,  12  mit  20,  18; 
die  sympathische  Schilderung  (6,  30)  und  die  Namenlosigkeit  des 
Königs,  der  jedoch  durch  6,  31  wde  3,  5.  13  als  Sohn  Ahabs  zu 
erkennen  ist;  das  Verhältnis  Elisas  zu  ihm,  ganz  wie  in  Kap.  3; 
die  grosse  Anschaulichkeit  des  Details''')  ohne  dass  man  über  den 
realen  Zusammenhang  ins  Klare  kommt;  es  sind  Historien  und 
zwar  sehr  wertvolle,  aber  keine  Geschichte,  obwohl  wahrscheinlich 
die  Abgerissenheit  jetzt  grösser  ist  als  in  der  originalen  Schrift, 
indem  z.B.  6,  31.  33  (vgl.  3,  10)  auf  uns  vorenthaltene  Prämissen 
(dass  Elisa  zum  Kampf  und  zum  Aushalten  darin  getrieben  hatte) 
hinweist.  Der  oft  vorkommende  Zug  6,  26 — 29  ist  hier  gleicliAvol 
von  individueller  Originalität.  Für  die  Zeit  der  Abfassung  dieser 
offenbar  samarischen  Erzählung    ist   7,  6  wichtig:    Jahve  Hess  die 


1)  Die  Anschaulichkeit  des  Details  ist  allerdings  im  gegenwärtigen  MT.' 
getrübt,  namentlich  in  2.  Reg.  6,  32.  33.  Es  muss  heissen:  „Elisa  aber  sass 
in  seinem  Hause  und  die  Ältesten  waren  bei  ihm  versammelt;  ehe  noch  der 
König  zu  ihm  kam,  sagte  er  zu  den  Ältesten:  wisst  ihr,  dass  dieser  Mörders- 
sohn Auftrag  gegeben  hat,  mir  das  Haupt  abzuschlagen?  Während  er  noch 
redete,  da  kam  der  König  zu  ihm  herab  und  sprach:  siehe  in  so  grosses  Un- 
glück hat  uns  Jahve  gestürzt,  was  soll  ich  noch  seiner  harren!"  Nach  7,  17 
(vgl.  Sept.)  ist  6,  33  "jNvOn  falsche  Auflösung  für  "7 vOH,  veranlasst  durch 
Misverstänclnis  von  VbW  v.  32:  ebenso  auch  v.  32  a.  Die  Corruptel  hat  weiter 
die  Prämisse  TiJD^^  t^1^<  TöVl/^)  v.  32  und  den  Zusatz  am  Schluss  von  v.  32 
erzeugt  (U1  IN"]),  letzteren,  um  den  Boten,  da  er  nur  im  Wege  ist,  dadurch 
mundtot  zu  machen,  dass  er  hinter  die  Türe  gedrängt  wird.  —  In  7,  13  ist 
eine  Zeile  zweimal  geschrieben.  —  Was  zwischen  "Ipti^Il  D^n  nO""!  7,  17.  20 
steht,  ist  interpolirt;  bezeichnend. 


286  Das  Buch  der  Könige. 

Syrer  ein  Geräusch  von  Wagen  und  Pferden  und  Truppen  hören, 
und  sie  sprachen  einer  zum  andern:  siehe  der  König  von  Israel 
hat  gegen  uns  die  Könige  der  Hitthäer  und  der  Ägypter  gedungen, 
uns  zu  überfallen.  In  Wahrheit  kann  es  nur  die  Kunde  von  einem 
der  damals  schlag  auf  schlag  sich  wiederholenden  Einfälle  der  As- 
252  Syrer  in  Syrien  gewesen  sein,  welcher  die  Belagerer  bewog,  plötzlich 
abzuziehen;  wenn  statt  dieser  ganz  unbestimmte  Könige  der 
Hitthäer  und  Ägypter  genannt  werden,  so  ist  das  wol  ein  Beweis 
dafür,  dass  dem  Erzähler  die  assyrische  Gefalir  noch  ziemlich  un- 
bekannt ist. 

Es  ist  wol  nicht  allzu  kühn,  anzunehmen,  dass  auch  2.  Reg. 
9.  10  zu  dieser  Quelle  gehört,  der  Sturz  der  Dynastie  Omri  durch 
Jehu  ben  Josaphat  ben  Mmsi.  Der  grössere  historische  Wert 
dieser  prachtvollen  Erzählung  kann  nicht  dagegen  sprechen;  die 
dramatische  Lebendigkeit  der  Scenen  ist  auch  6,  24 — 7,  20.  I  22 
bewundernswert.     Man    darf   aber  Gewicht    legen    auf  *l"in!l  lin 

9,  2.  20,  30.  22,  25;  nsn  zaudern  9,  3.  7,  9;  t)Tön  ÜD^  9,  18, 
7,  14;  in^  -|5:n  9,  23.  22,  34;  ^n  t^DH  10,  14.  7,  12.  20,  18;  wSnn 

10,  27.  6,  25  —  auf  die  Stellung  Elisas  zu  Joram  (wie  in  Kap.  3 
6,  24ss.);  auf  den  \l^'^bw  9,  25.  7,  2;  auf  die  Freundschaft  der 
Könige  von  Juda  und  Israel;  am  meisten  aber  auf  die  allgemeine 
Art  der  Darstellung,  die  Freude  an  den  Sachen,  das  Abwesen  des 
Urteils.  Die  nach  Os.  1  lange  fortlebende  Teilnahme  des  Yolks 
an  dem  schaurigen  Untergange  der  bedeutendsten  Dynastie  Israels 
kommt  hier  noch  deutlicher,  wenn  auch  durch  rein  sachliche  Mittel, 
zum  Ausdruck,  als  in  6,  24  ss.  die  Sympathie  für  Joram  und 
I  20.  22  für  Ahab.  Das  Interesse  an  den  Propheten  in  dieser 
Quelle  ist  nicht  gleichbedeutend  mit  prophetischer  Tendenz;  wahr- 
scheinlich tritt  es  dadurch  verhältnissmässig  stark  hervor,  weil  sich 
die  Auswahl  der  aufgenommenen  Stücke  darnach  gerichtet  hat,  ob 
die  Männer  Gottes  darin  eine  Rolle  spielen  (II  17,  13).  Denn  dass 
die  Quelle  mehr  enthielt  als  uns  jetzt  daraus  mitgeteilt  wird,  ist 
unzweifelhaft.  Auch  2.  Reg.  9.  10  (wozu  8.  28  s.  nur  in  sachlicher 
aber  nicht  in  formeller  Beziehung  steht)  hat  einst  Prämissen  ge- 
habt, die  gegenwärtig  abgeschnitten  sind.  Die  dadurch  erwachsenen 
Schwierigkeiten  des  Verständnisses  hat  der  Bearbeiter  durch 
Parenthesen  zu  heben  gesucht;  9,  14.  15a  sprengen  den  notwendigen 
Zusammenhang  zwischen  V.  13  und  v.  15b  und  stossen  sich  mit 
der    kurzen  Notiz    v.  16    denn  Joram    lag    dort.     Ähnlich    hat 


2.  Reg.  2-G.  287 

man  über  9,  28.  29  zu  urteilen,  vgl.  das  zwiefache  iHS*.  Die  Bear- 
beitung hat  sich  indess  nicht  hierauf  beschränkt,  sondern  weiter 
gegriffen.  So  enthalten  9,  7 — 10a  die  stehenden  Phrasen;  auf 
V.  5  muss  sogleich  t)i''l  nb"in  nnD"»!  V.  10  folgen,  sonst  wird  die 
überraschende  Plötzlichkeit  der  Erscheinung  verdorben.  Insonder- 
heit haben  einige  Zusätze  den  Zw^eck,  unsere  Geschichte  als  Er- 
füllung der  Weissagung  Elias  1.  Reg.  21  zu  erweisen:  9,  36.  37. 
10,  10.  28  SS.  Aber  obwol  in  der  Tat  eine  faktische  Beziehung 
waltet,  so  doch  keine  literarische  zwischen  2.  Reg.  9.  10  und 
1.  Reg.  21;  s.  p.  282.  Dass  10,  28  ss.  nicht  der  organische  Schluss  253 
unserer  Erzählung  ist,  steht  ohnehin  fest.  Eine  simple  Glosse 
scheint  der  Satz  10,  6  b  (hinter  dem  Athnach)  zu  sein.  Für  Zeit 
und  Ort  der  Abfassung  kommt  die  Notiz  10,  27  in  Betracht,  man 
habe  den  Tempel  des  tyrischen  Baal  in  Samarien  zum  Immon- 
dezzajo    gemacht    bis    heute    (Dm  "ly,    nicht    das  stereotype    IV 

nin  Dvri). 

Es  scheint,  dass  auch  14,  8 — 14  ursprünglich  eine  samarische 
und  keine  judäische  Erzählung  gewesen  ist,  vgl.  v.  9.  10  und  "^li^^s 
rnirT'^P  v.  11.  l.  Reg.  19,  3.  Doch  lassen  sich  keine  Berührungs- 
punkte mit  den  so  eben  behandelten  Historien  von  Ahab  Joram 
und  Jehu  nachweisen. 

11.  Schon  bisher  ist  uns  einigemale  der  Prophet  Elisa  be- 
gegnet, nicht  wie  Elias  nur  momentan  von  einsamer  Höhe  sein 
nacktes  Wort  in  die  dunstige  Atmosphäre  blitzend,  sondern  viel  tiefer 
in  die  irdischen  Angelegenheiten  verwickelt,  eine  politischere  und 
wenn  man  will  realere  Grösse,  einflussreicher,  aber  in  dem  selben 
Grade  niedriger.  In  einer  anderen  Gruppe  lose  verbundener 
Erzählungen  ist  nun  Elisa  die  Hauptperson.  Eine  Reihe  davon 
sind  kurze  Legenden  aus  den  Kreisen  der  Prophetenjünger,  in  deren 
Mitte  er  erscheint  2,  19—25.  4,  1—7.  38—44.  6,  1—7.  Als  Schau- 
platz ist  hier  überall  Gilgal  vorausgesetzt,  ein  Ort,  zwischen  dem 
und  Jericho  in  der  Mitte  Bethel  liegt  2,  1.  2.  Das  Stück  6,  1 — 7 
wird  nicht  bloss  durch  die  Prophetenjünger  und  die  Art,  wie  Elisa 
für  sie  sorgt,  sondern  ebenso  durch  das  Lokal  mit  4,  38 — 44  ver- 
bunden, vgl.  6, 1  y:Bb  D*^  D'^ii'ii/''  ):n:^  "Tl^n  cipon  mit  4,"  38 

V:iBb  D'in.l^''  □\S^:i:n  "»Jm;  dagegen  ist  in  5,  1—27  Samarien  Elisas 
Wohnort.  Die  beiden  Geschichtchen  4,  38 — 44  werden  durch  die 
Hungersnot,  auf  der  auch  die  Pointe  von  4,  42 — 44  beruht,  in 
gegenseitige  Beziehung  gesetzt.     Da  es  nun  4.  38  heisst:  und  Elisa 


288  Das  Buch,  der  Könige. 

kehrte  zurück  nach  Gilgal,  so  ist,  vor  dem  Scenenwechsel  von 
4,  8 — 37,  in  4,  1 — 7  Gilgal  wiederum  der  Schauphitz,  und  wiederum 
befindet  sich  hier  der  Meister  in  der  ^Mitte  seiner  Jünger.  Es  scheint 
darnach  die  Annahme  nicht  gewagt,  dass,  da  die  Gleichartigkeit 
dieser  Anekdoten  mit  denen  2,  19 — 2b  ins  Auge  fällt,  in  2,  25 
p^l^ti'  iL'i^'  eine  auf  3,  11  hinblickende  redaktionelle  Korrektur  für 
ursprüngliches  n'p:i'p:in  Üti^  (4,  38)  sei,  zumal  da  nach  2,  1  gar  nicht 
Samarien,  sondern  eben   Gilgal  der  Ausgangspunkt  gewesen  ist.  - 

Von  diesen  kurzen  und  gewiss  nicht  jungen  Erzählungen  unter- 
scheidet sich  die  vom  sunamitischen  Weibe  4,  8 — 27  durch  ihre 
Ausführlichkeit,  durch  die  A^orstellung  von  Elisa  als  einem  hohen 
und  unnahbaren  Herrn  4,  13.  27,  von  Gehazi  als  seinem  Minister. 
Aber  sie  ist  w^ol  von  vornherein  als  Supplement  auf  diese  Stelle 
berechnet,  da  sie  annimmt,  dass  der  Prophet  auf  dem  Wege 
254  von  Gilgal  nach  dem  Karmel  öfters  über  Sunem  kam.  Die  Folge 
von  4,  37.  4,  38  ss.  wird  schon  8,  1  (Ankündigung  der  4,  38  ein- 
tretenden Hungersnot)  vorausgesetzt,  andrerseits  entspricht  die  Folge 
von  4,  1 — 7.  4  8  ss.  derjenigen  der  ähnlichen  Wunder  Elias  1  17,  10 
bis  16.  17 — 24.  Ygl.  die  Reminiscenzen  4,  25  i:i:d  mit  2,  7.  15; 
4,  30  mit  2,  4.  6;  4,  31  mit  I  18,  26.  29;  4,  34.  35  ^n:  mit  18.  42; 
die  Bekanntschaft  mit  dem  Jehovisten  4,  16.  Gen.  18,  10.  14. 

In  5,  1 — 27  (Heilung  Naemans)  ist,  wie  gesagt,  Samarien  des 
Propheten  Wohnort  (6,  32);  dem  entsprechend  ist  der  Horizont 
nicht  so  idyllisch  begrenzt.  Aus  dieser  Erzählung  stammt  wahr- 
scheinlich Gehazi  in  4,  8 — 36.  Nach  6,  23  vgl.  5,  2  könnte  man 
an  einen  engeren  Zusammenhang  von  5,  1 — 27  mit  6,  8 — 24  denken, 
aber  in  diesem  letzteren  Stück  ist  nicht  Samarien  der  Sitz  Elisas; 
dass  ebenso  Gehazi  nicht  der  Diener  ist,  würde  in  5,  27  eine 
Erklärung  finden,  die  jedoch  beanstandet  werden  kann.  Die 
Erzählung  8,  1—6,  noch  jüngeren  Ursprungs  als  4,  8 — 36,  ist  darum 
von  Interesse,  weil  sie  bereits  einen  Kreis  von  Wundergeschichten 
Elisas  kennt,  und  darauf  das  Siegel  drückt,  dass  Gehazi  der 
Referent  sei 8,  4  s.  Anderer,  mehr  geschichtlicher  Natur  ist  8,7 — 15, 
die  Salbung  Hazaels  durch  Elisa,  die  ebenso  wie  die  Salbung  Jehus 
anderwärts  dem  Elias  zugeschrieben  wird.  Doch  ist  auch  diese 
Geschichte  eine  von  denen,  die  sich  um  Elisa  als  Mittelpunkt 
drehen ;  er  wird  hier,  sogar  von  Ausländern,  als  eine  Art  höheren 
Wesens  behandelt,  in  einer  Weise,  die  den  p.  284 — 286  zusammen- 
gestellten Erzählungen  fern  liegt.  Endlich  gehört  hierhier  noch  13, 14 


2.  Eeg.  18—20.  289 

bis  21.  Obwol  jetzt  durch  13,  25  und  durch  den  Namen  Joas 
13,  14  an  seiner  Stelle  fixirt,  macht  dies  Stück  doch  keine  Aus- 
nahme von  den  verwandten  darin,  dass  es  gleichgiltig  ist,  Aver  der 
in  Rede  stehende  König  von  Israel  ist.  Drei  Schlachten,  darunter 
eine  bei  Aphek  13,  17,  schlug  auch  Ahab  gegen  die  SjTer,  freilich 
die  letzte  nicht  glücklich;  auch  er  schmiedete  das  Eisen  nicht,  da 
es  heiss  war. 

12.  Yon  Juda  handeln  sehr  wenige  Geschichten,  2.  Reg.  11, 1 
bis  12,  17.  16,  10  SS.  18,  13—20,  15.  22,  3—23,  27.  Auffallender 
Weise  ist  darunter  nur  eine,  worin  ein  Prophet  bedeutsam  hervor- 
tritt; doch  aber  ist  auch  bei  den  anderen  der  Grund  der  Auswahl 
religiöses  Interesse  gewesen,  wie  demnächst  gezeigt  werden  soll.  Unter- 
suchen wir  zuerst  die  durch  das  mächtige  Eingreifen  des  Propheten 
Jesaias  charakterisirte  Erzählung  über  die  Befreiung  Jerusalems 
von  den  Assyrern  im  14.  Jahre  Hiskias  18,  13 — 19,  37.  Für 
ihre  Abfassuns^szeit  kommen  zunächst  die  dem  Jesaias  in  den  Mund 
gelegten  Worte  19,  7  in  Betracht:  siehe  ich  will  ihn  ein  Gerücht  255 
hören  lassen,  dass  er  umkehre  in  sein  Land,  und  will  ihn  durchs 
Schwert  fällen  in  seinem  Lande.  Die  Meinung  ist  hier  beim  Re- 
ferenten jedenfalls  die,  dass  Sanherib  bald  nach  dem  vergeblichen 
Feldzuge  gegen  Hizkia  im  J.  701  ermordet  worden  sei;  in  Wahr- 
heit hat  er  aber  bis  mindestens  684,  wahrscheinlich  bis  681  regiert 
(Smith,  the  assyrian  eponym  canon  p.  90.  170).  Unser  Bericht- 
erstatter hat  also  nicht  bloss  20  Jahre  nach  den  Ereignissen  ge- 
schrieben, sondern  noch  um  so  viel  später  als  erforderlich  ist, 
damit  sich  jene  20  Jahre  so  stark  verkürzen  konnten.  Die  Yor- 
stellung  in  19,  35 — ^37  weicht  von  der  in  19,  7  (vgl.  7,  6)  etwas 
ab,  aber  auch  hier  verrät  sich  durch  nichts  ein  Bewusstsein  davon, 
wie  gross  in  der  Tat  der  Zwischenraum  zwischen  Sanheribs  Rück- 
kehr und  seiner  Ermordung  gewesen  ist ,  und  auch  hier  erfahren 
wir  über  die  wirklichen  Gründe  des  plötzlichen  Abzuges  der  Assyrer 
etwa  ebenso  viel  wie  Herodot  (II  141)  von  den  ägyptischen 
Priestern.  Bestimmter  können  wir  auf  Grund  von  18,  22  sagen, 
dass  unsere  Erzählung  erst  nach  der  Reformation  des  Josias  ge- 
schrieben sein  kann.  Denn  es  steht  fest,  dass  der  Prophet  Jesaias 
nicht  auf  die  Beseitigung  der  Jahvealtäre  hingearbeitet,  diese  also 
nicht  in  den  Tendenzen  der  Zeit  gelegen  hat.  In  einer  seiner 
spätesten  Reden  erwartet  er  von  der  Zeit  der  Gerechtigkeit  und 
der  Gottesfurcht,  welche  nach  der  assyrischen l^ri^s  anbricht:  dann 

Wellhausen,    Comp.   d.    Hexateuchs.   3.    Aufl. 


290  ^^^  Buch  der  Könige. 

werdet  ihr  eure  silberbezogeiien  Schnitzwerke  und  eure  gold- 
beschlagenen Gussbilder  verunehren;  hinaus  damit,  werdet  ihr  sagen! 
Hofft  er  also  auf  eine  Säuberung  der  Anbetungsstätten  Jahves  — 
denn  dass  er  von  Götzendienst  redet,  erhellt  nirgends;  yielmeln* 
waren  nach  Kap.  2  die  Jahveheiligtümer  voll  goldener  und  silberner 
Machwerke  der  Menschenhand  —  von  abergläubischem  Wust, 
so  ist  es  klar,  dass  er  sie  nicht  selber  abgetan  wissen  will.  Die 
Nachricht  18,  4.  22  muss  also  auf  einer  falschen  Generalisirung  be- 
ruhen, die  ihrerseits  vor  der  deuteronomischen  Centralisation  des 
Kultus  nicht  denkbar  ist. 

Die  Verse  18,  14 — 16  fehlen  in  der  Parallele  Isa.  36,  wo  viel- 
melu'  18,  13  gleich  durch  18,17  fortgesetzt  wird.  Kuenen  ^)  macht 
darauf  aufmerksam,  dass  Hizkia  hier  nicht  weniger  als  fünf  mal 
rr^pin  geschrieben  werde,  während  sonst  v.  13.  v.  17  ss.  stets 
trr'pin,  dass  ferner  die  schändliche  Treulosigkeit  Sanheribs,  welche 
man  in  Folge  der  Verbindung  von  18,  14 — 16  mit  18,  17  ss. 
zwischen  den  Zeilen  lesen  müsste,  im  Folgenden  durchaus  unbekannt 
sei.  Darnach  ist  es  in  der  Tat  wahrscheinlich,  dass  diese  drei  Verse 
später  eingeschaltet  sind;  wie  sich  zeigen  wird,  aus  keiner  schlechten 
Quelle.  Wenn  dem  so  ist,  so  wird  es  nun  aber  fraglich,  ob  sie 
256  an  richtiger  Stelle  eingesetzt  seien:  man  könnte  denken,  Hizkia 
habe  sich  in  Folge  der  assyrischen  Demonstrationen  18,  17  ss.  doch 
schliesslich  zur  Unterwerfung  bequemt.  Doch  ist  diese  Vermutung 
wol  unrichtig. 

Was  Sanherib  selber  über  seinen  Feldzug  gegen  die  abtrünnigen 
Vasallen  in  Palästina  sagt  (Smith  a.  0.  p.  67.  88.  131  —  136), 
läuft  parallel  mit  18,  14 — 16.  Nachdem  er  melii'ere  phönicische 
Städte  eingenommen  und  von  einer  Reihe  von  Königen  Tribut 
empfangen  hat,  setzt  er  zunächst  in  Askalon  den  verjagten  assyrischen 
Füi'sten  mit  Gewalt  wieder  ein  und  wendet  sich  dann  gegen  Ekron, 
welche  Stadt  ihi*en  dem  Oberherrn  treuen  König  Padi  in  Fesseln 
gelegt  und  dem  Hizkia  überantwortet  hat;  denn  der  letztere  er- 
scheint als  die  Seele  des  Aufstandes  in  diesen  Gegenden.  Die  Ägypter, 
die  wie  immer  ihre  Hand  im  Spiele  haben,  rücken  zum  Entsatz 
der  belagerten  Stadt  mit  einem  Heere  an,  werden  aber  in  deren 
Nähe,  bei  Eltheke,  abgeschlagen;  Ekron  fällt,  wird  grausam  be- 
staft  und  muss  Padi  wieder    zum  Könige    annehmen.     Diesen   hat 


1)  Onderzoeki  I  269  s. 


2.  Reg.  18—20.  Kap.  11s.  16.  23  s.  291 

nämlich  Hizkia  inzwischen  ausgeliefert,  und  im  Schrecken  über  die 
Eroberung  seiner  Festungen  und  die  Entvölkerung  und  A^erwüstung 
des  Landes  (Isa.  1)  sich  wieder  als  tributären  Vasallen  bekannt 
und  eine  hohe  Strafe  gezahlt,  unter  anderem  30  Talente  Gold  und 
800  Talente  Silber.  Dies  der  assyrische  Bericht.  Er  füllt,  wenn 
man  die  300  Silbertalente  18, 14  als  syrische  ansieht  (=  800  babyl.) 
die  vagen  Angaben  18,  14 — 16  vollkommen  passend  aus,  und  indem 
er  ihre  Position  hinter  18,  13  bestätigt,  korrigirt  er  sie  vielleicht 
nur  in  dem  Punkte,  dass  die  Unterwerfung  —  die  keineswegs  mit 
Auslieferung  der  Hauptstadt  gleichbedeutend  ist  —  wahrscheinlich 
erfolgt  ist,  als  Sanherib  noch  vor  Ekron  stand,  nicht  schon  weiter 
gen  Süden  nach  Libna  gegangen  war.  Über  das  weitere  Vordringen 
gegen  Ägypten  zu  und  über  die  Gründe  des  plötzlichen  Abzuges 
schweigt  der  Grosskönig  sich  aus,  weil  nicht  damit  zu  prahlen 
war.  Die  Schlacht  von  Eltheke,  die  nur  als  Zwischenspiel  in  der 
Belagerung  von  Ekron,  als  Abwehr  des  ägyptischen  Entsatzheeres 
erscheint,  '  ist  kein  bedeutendes  Ereignis  gewesen  und  weder 
mit  19,  9  noch  mit  19,  35  zu  combiniren;  Sanheribs  Inschrift  redet 
nur  von  der  ersten,  nicht  von  der  letzten  und  entscheidenden  Phase 
des  Feldzuges,  wie  das  namentlich  aus  dem  Lokal  erhellt.  Scln^ader 
Sayce  Duncker  identificiren  auf  Grund  fehlender  Vergleichungs- 
punkte und  tun  dabei  dem  assyrischen  Bericht  noch  mein*  Gewalt 
an  als  dem  biblischen.  Man  kann  mit  dem  gleichen  Rechte  Mesas 
Stele  mit  2.  Reg.  3,  6  ss.  (statt  mit  3,  5),  wie  Sanheribs  mit  2.  Reg. 
18,  17—19,  36  (statt  mit  18,  13—16)  combiniren. 

An  die  Belagerung  Jerusalems  im  14.  Jahre  Hizkias  ist  an- 
geschlossen die  Krankheit  des  Königs  und  die  babylonische  Gesandt-  257 
Schaft  in  dem  selben  Jahre  20,  1 — 19.  Das  späte  Alter  dieser  Er- 
zählung folgt  zunächst  daraus,  dass  sie  zu  der  vorhergehenden  ein 
nachgetragener  Anhang  ist,  denn  die  Association  der  beiden  in 
20,  6  geweissagten  Fakta  erklärt  sich  nur  aus  ihrer  Zusammen- 
gehörigkeit, wie  sie  denn  auch  in  das  gleiche  Jahr  fallen;  die 
Rettung  von  der  Krankheit  ist  geradezu  als  Vorspiel  (HIN*)  der  Rettung 
von  den  Assyrern  aufgefasst.  In  20,  3  spricht  Hizkia  so,  als  ob  er 
die  gegenwärtige  Bearbeitung  des  Buchs  der  Könige  gelesen  und 
daraus  sein  Urteil  über  sich  selber  geschöpft  habe.  Durch  20, 
16—17  werden  wir  in  die  Zeit  des  babylonischen  Exils  geführt. 
Die  Gesandtschaft  Merodachbaladans  ist  wol  historisch,  hat  jedoch 
einen  ganz  anderen  Anlass  und  Zweck  gehabt. 

19* 


292  ^^^  Buch  der  Könij^^e. 

Was  den  Paralleltext  Isa.  36,  1—39,  8  betrifft,  worin  20,  4—11 
(==  38,  4 — 22)  anders  redigirt  und  mit  einem  Liede  Hizkias  ver- 
mehrt ist,  so  denkt  man  am  natüriiclisten,  dass  er  aus  dem  Buch 
der  Könige  in  das  Buch  Isa.  übertragen  sei,  allerdings  zu  einer 
Zeit,  wo  letzteres  noch  nicht  um  Kap.  40 — 66  vermehrt  war.  Das 
Lied  Hizldas  beweist  nicht  gegen,  allerdings  aber  andrerseits  die 
Yergleichung  der  Texte  nicht  für  diese  Annahme^). 

Die  übrigen  judäischen  Erzählungen  drehen  sich  alle  um  den 
Tempel  und  um  die  Massnahmen  der  Könige  in  diesem  ihrem 
Heiligtum,  welches  eine  Art  Dependance  ihrer  Hofburg  gewesen  zu 
sein  scheint.  An  ästhetischem  und  ideellem  Werte  stehn  sie  sehr 
weit  hinter  den  samarischen  zurück,  aber  historisch  sind  sie  zu- 
verlässiger, nicht  aus  der  Tradition,  sondern  wol  aus  schriftlichen 
und  amtlichen  Quellen  geflossen,  wenn  auch  so  wie  sie  uns  vor- 
liegen erst  gegen  Ende  des  7.  Jahrhunderts  geschrieben.  In  2.  Reg.  11 
wird,  unter  Voraussetzung  der  Prämissen  von  Kap.  9,  berichtet, 
wie  der  Priester  Jojada  den  sechs  Jahre  versteckt  gehaltenen  jungen 
Prinzen  Joas  unter  dem  Schutz  der  von  ihm  gewonnenen  Leib- 
wächter an  einem  Sabbath  vor  allem  Volke  innerhalb  des  Tempels 
258  zum  Könige  proklamirt  und  die  Tyrannin  Athalia  abgetan  habe^). 
Daran  schliesst  sich  12,  5 — 17  ein  Bericht,  dass  Joas,  nachdem  er 


1)  Gegenseitige  Unabhängigkeit  der  Parallele  2.  Reg.  18  ss.  Isa.  36  ss.  wird 
durch  gemeinsame  Corruptelen  ausgeschlossen.  In  19,  26.  27  (=  37,  27.  28) 
muss  man  abteilen  ^jH^t^'l  Tipp  i^D7  vor  mir  ist  dein  Stehn  und  Liegen, 
deinen^Ausgang  und  Eingang  kenne  ich.  Dem  Ausdrucke  „Brandkorn 
vor  der  Saat"  einen  Sinn  abzugewinnen  ist  eine  undankbare  Aufgabe;  anderer- 
seits steht  initial  dem  sich  ergänzenden  Paare  "l^sm  IHi'^i^  gegenüber  auf 
Einem  Beine. 

2)  Der  2.  Reg.  11,  5  ss.  erzählte  Sachverhalt  ist  gegenwärtig  durch  Ver- 
derbnis des  Textes  verdunkelt  und  von  keinem  Ausleger  verstanden.  Der 
Yers  11,  6  ist  zu  streichen.  Denn  er  stösst  sich  mit  seinem  durch  v.  9  be- 
glaubigten Nachfolger,  welcher  abermals  über  die  bereits  v.  6  verausgabten 
zwei  anderen  Drittel  verfügt.  Auch  wird  der  v.  6  gegebene  Befehl  in  der 
doch  ausdrücklich  als  ganz  exact  bezeichneten  Ausführung  v.  9  nicht  berück- 
sichtigt, ist  zudem  völlig  unverständlich  und  wahrscheinlich  ein  Geröll  ver- 
fehlter Glossen.  Die  eine  Compagnie,  welche  die  Woche  über  die  Wache  im 
Tempel  gehabt  hat,  geht  ordnungsmässig  am  Sabbath  heim  (=  nn.^n  ""i^Il) 
und  hat  die  Wache  im  Palaste;  die  beiden  anderen  Compagnien,  welche  die 
Woche  über  die  Wache  im  Palaste  gehabt  haben,  ziehen  am  Sabbath  auf 
(  =  rütiTi  ^^IJ'')  und  haben  die  Wache  im  Tempel,  so'  dass  für  gewöhnlich  zwei 
Compagnien  im  Palast  und  eine  im  Tempel,  am  Sabbath  aber  umgekehrt  eine 


Die  Epitome.  293 

allerlei  einlaufende  Tempelgelder  zuerst  den  Priestern  zugewiesen 
und  ihnen  dafür  die  Last  der  von  Zeit  zu  Zeit  nötigen  Reparaturen 
auferlegt  hatte,  später  wegen  der  Pflichtversäumnis  des  Jojada  und 
seiner  Amtsgenossen  eine  andere  Einrichtung  traf,  indem  er  nämlich 
die  betreffenden  Gelder  in  eine  Art  Gotteskasten  werfen  und 
diesen,  wenn  es  nötig  ward,  ausschütten  Hess,  um  die  Bauarbeiten 
am  Heiligtum  zu  bezahlen.  Mit  diesem  letzteren  Stücke  hängt  aufs 
engste  die  Erzählung  über  die  Reformation  Josias  Kap.  22.  23  zu- 
sammen, deren  hauptsächlicher  Schauplatz  ebenfalls  der  Tempel 
ist.  Nämlich  die  Gelegenheit,  dass  der  König  Josia  dem  12,  11 
angegebenen  Brauche  gemäss  seinen  Schreiber  abschickt,  um  bei 
der  Ausschüttung  des  Gotteskastens  zur  Löhnung  der  Maurer  und 
Zimmerleute  zugegen  zu  sein,  wird  von  dem.  Hohenpriester  Hilkia 
benutzt,  um  ihm  das  Gesetzbuch  als  einen  zufälligen  Fund  zu 
insinuiren.  Die  Verbindung  ist  nicht  bloss  eine  sachliche,  sondern 
auch  die  Ausdrücke  von  Kap.  12  kehren  in  Kap.  22  wieder,  und 
es  kann  nicht  der  geringste  Zweifel  w^ alten,  dass  2.  Reg.  11.  12. 
22.  23  aus  der  selben  Feder  geflossen  und  folglich  erst  nach  dem 
Jahi-e  621,  vielleicht  erst  nach  dem  Tode  Josias  geschrieben  sind. 
Ein  Gleiches  muss  auch  von  der  schwer  abzugrenzenden  Erzählung  259 
16,  10  SS.  gelten,  die  ganz  in  dem  selben  Geiste  und  Stile  von 
König  und  Priester  und  Tempel  handelt.  Die  Vermutung  liegt 
nahe,  dass  zwischen  diesen  Stücken  und  der  Beschreibung  des 
salomonischen  Tempelbaus  ein  enger  Zusammenhang  statt  finde. 

13.  Neben  den  ausführlichen  Erzählungen  stehn  die  bereits 
p.  274ss.  erwähnten  kurzen  und  ziemlich  locker  zusammengestellten 
Notizen,  und  sie  bilden  den  regelmässigen  und  notwendigen  Inhalt 


im  Palast  und  zwei  im  Tempel  sich  befinden.  Die  Ausdrücke  J^D.  und  NIJ^ 
beziehen  sich  auf  den  natürlichen  Standort  der  königlichen  Leibwache,  auf 
den  Palast,  und  bedeuten  heimgehn  und  aufziehen.  Die  Pointe  ist,  dass 
auch  die  eine  Compagnie,  die  Sabbaths  im  Palast  den  Dienst  hat,  diesmal  im 
Tempel  bleibt,  damit  der  Athalia  gar  keine  Truppen  zur  Hand  seien.  Die 
Aktion  ist  auf  den  Sabbath  verlegt,  weil  nur  da  Gelegenheit  war,  sämtliche 
Truppen  im  Tempel  zu  vereinigen,  und  auch  wegen  des  öffentlichen  Eindracks 
auf  das  Volk.  In  v.  7  lies  i"lDti^1  im  Participium.  Also ;  das  Drittel  von  euch, 
die  am  Sabbath  heimgehn  und  den  Dienst  im  Königshause  versehen  und  die 
zwei  anderen  Drittel  von  euch,  die  Sabbaths  aufziehen  und  den  Dienst  im  Jahve- 
hause  haben  bei  dem  Könige:  ihr  (alle)  sollt  den  König  rings  umgeben  u.  s,  w. 
V.  5.  7.  8.  —  Der  10.  Vers  ist  wiederum  eine  Interpolation,  und  zwar  eine 
recht  törichte.  —  In  v.  12  lies  nn^lJn  (die  Spangen  2.  Sam.  1, 10)  statt  nn^H- 


294  ^^^  Buch  der  Könige. 

des  schematischen  Fachwerks-,  vgl.  I  14,  21 — 16,  34.  II  13,  1 — 15,  38. 
Ihre  Auswahl  ist  durch  die  gleichen  religiösen  Gesichtspunkte  ge- 
leitet. Auf  den  chronologischen  Eingang  des  Schemas  folgt  stehend 
der  Satz,  der  das  Urteil  über  den  Wert  des  Königs  hinsichtlich 
des  Gottesdienstes  ausspricht:  er  tat  was  Jahve  wol  bez.  übel  ge- 
fällt; auch  bei  den  allerkürzesten  Regierungen,  über  die  kaum  ein 
Urteil  möglich  war,  fehlt  derselbe  nicht.  Bei  den  Königen  von 
Juda  nun  wird  nicht  bloss  im  Allgemeinen  zwischen  frommen  und 
gottlosen  unterschieden,  sondern  noch  specieller  zwischen  Hizkia 
und  Josia  einerseits,  die  ganz  waren  wie  ihr  Vater  David  (Sirac. 
49,  4),  und  Asa  Josaphat  Joas  Amasia  Azaria  Jotham  andrerseits, 
die  zwar  auch  taten  was  recht  ist,  aber  die  Höhen  nicht  abschafften. 
Sodann  werden  tatsächliche  Angaben  über  das  Tun  und  Lassen 
der  Könige  in  Hinsicht  auf  den  Kultus  des  jerusalemischen 
Tempels  angeschlossen,  namentlich  bei  Rehabeam  Asa  Josaphat 
Ahaz  Hizkia  Manasse.  Nicht  selten  kommen  Nachrichten  über 
Kriege  und  auswärtige  Beziehungen  hinzu,  auch  hier  schimmert 
die  besondere  Teilnahme  an  dem  Ergehn  des  Tempels  und  seiner 
Schätze  durch.  Notwendig  ist  am  Schluss  eine  eventuelle  Mitteilung 
über  den  gewaltsamen  Tod  des  Königs,  mit  Rücksicht  auf  das 
nDIi^^"»!  der  Klausel,  welches  dann  ausbleibt.  Die  Könige  von 
Israel  sind  allzusammen  gottlos,  doch  erscheint  der  Baalsdienst 
noch  als  Steigerung  des  Kälberdienstes.  Gewöhnlich  steht  nur  das 
allgemeine  Urteil  und  die  einförmige  Angabe,  der  betreffende  König 
habe  gewandelt  in  der  Sünde  Jerobeams,  der  Israel  sündigen  machte; 
selten  erfährt  man  sparsame  Details  (bei  Ahab,  Joram,  Joahaz 
(=  Ahaz  Sept.),  in  drei  auf  einander  bezüglichen  Yersen  I  16,  32. 
II  3,  2.  13,  6).  Die  übrigen  Mitteilungen  sind  analog  aber  gleich- 
falls viel  magerer  als  bei  den  Königen  von  Juda  und  beziehen 
sich,  bis  gegen  den  Schluss,  wo  die  Assyrer  auftreten,  beinah  nur 
auf  gewaltsame  Regierungswechsel.  Ein  gleichmässiges  und  sach- 
liches Interesse  für  den  historisches  Stoff  zeigt  sich  nirgends;  von 
den  wichtigsten  Herrschern,  wie  Omri  und  Jerobeam  II,  erfahren 
wir  so  gut  wie  nichts.  In  nicht  wenigen  Fällen  beschränkt  sich 
260  die  Kunde,  die  wir  über  einen  Regenten  erhalten,  auf  die  Namen 
des  Vorgängers  und  des  Naclifolgers,  d.  h.  auf  den  Inhalt  der  An- 
fangs- und  Schlussformel  des  Schemas,  dessen  inniger  Zusammen- 
hang mit  dieser  Epitome  somit  auf  der  Hand  liegt. 

Der  Schriftsteller,  der  dies  Skelett  des  Buchs    der  Könige  ge- 


Die  Epitome.  295 

bildet  hat,  steht  mit  Leib  und  Seele  zu  der  Reformation  Josias. 
Die  frühere  Geschichte  erscheint  ihm  beinah  nur  wie  die  negative 
Vorbereitung  jener  Epoche.  Ohne  zwischen  Juda  und  Israel  einen 
Unterschied  zu  machen,  legt  er  an  die  frühere  so  gut  wie  an  die 
spätere  Zeit  den  gleichen  Massstab  der  deuteronomischen  Gesetz- 
gebung; ja  grade  am  allermeisten  tut  er  es  bei  den  ersten  Herr- 
schern, die  er  als  Typen  ihrer  Nachfolger  ansieht  und  als  die 
Urheber  tatsächlich  allgemeiner,  nach  seiner  Meinung  aber  auf 
individuellem  Abfall  beruhender  Zustände  I  12,  25 — 31.  14,  21 — 31. 
Dass  das  Schisma  der  Nordisraeliten  nicht  bloss  als  politisches, 
sondern  vor  allen  Dingen  als  kirchliches  aufgefasst  wird,  ist  das 
natürliche  Ergebnis  dieser  judaistischen  Betrachtungsweise.  Charakte- 
ristisch ist  dabei  noch  das  Vergleichen  der  Herrscher  sowol  aus 
der  selben  als  auch  aus  den  beiden  verschiedenen  Reihen.  Ahab 
hat  es  schlimmer  getrieben  als  seine  Vorgänger,  Hosea  ist  verhält- 
nismässig besser  gewesen;  Hizkia  und  Josia  werden  über  alle  ilii'e 
Väter  und  David  selber  gleich  gesetzt,  dagegen  die  gottlosen  Könige 
Judas  mit  den  verworfenen  Herrschern  Israels  auf  gleiche  Stufe 
gestellt  (II  21,  13).  Ein  Pascha  wie  das  im  18.  Jalu-e  des  Königs 
Josia,  heisst  es  II  23,  22,  sei  nicht  gefeiert  worden  von  den  Tagen 
der  Richter  an  und  alle  Tage  der  Könige  von  Israel  und  von  Juda. 
Es  wird  auf  diese  Tage  vom  Standpunkte  einer  neuen  Zeit  zurück- 
geblickt wie  auf  eine  abgeschlossene  Vergangenheit. 

Woher  hat  aber  dieser  späte  Scluiftsteller  seine  sichtlich  gute 
Information?  Aus  den  jedesmal  in  der  Klausel  von  ihm  citirten 
Chroniken  der  Könige  von  Israel  und  von  Juda?  AVir  wissen  über 
den  Inhalt  dieser  Werke  nicht  viel  mehr,  als  was  sich  schon  aus 
dem  Titel  ergibt,  nämlich  erstens,  dass  sie  aus  offiziellen  Quellen 
geflossen  sein  müssen,  zweitens,  dass  sie  nicht  diesen  Quellen  gleich- 
bedeutend sein  können.  Denn  es  wird  verwiesen  nicht  auf  die 
Dibre  hajjamim  selber,  die  für  jeden  König  zu  besondern  gewesen 
wären,  sondern  auf  das  Buch  der  Dibre  hajjamim,  welches  die 
ganze  Königsreihe  umfasst  und  sich  etwa  so  von  ihnen  unter- 
scheidet wie  Fabius  Pictor  von  den  Annalen  der  Priester.  Dies 
Wenige  reicht  nun  hin,  um  die  sämtlichen  ausgefülu'ten  Erzählungen, 
so  weit  sie  Samarien  betreifen,  von  der  israelitischen  Chronik  aus- 
zuschliessen ;  denn  dieselben  enthalten  teils  prophetische  teils  naive 
Tradition,  zeichnen  sich  aus  durch  blühende  Darstellung  und  ent- 
behren ganz  des  trockenen  Tons  der  Akten.     Auch  zu  Gunsten  von  261 


296  Das  Buch  der  Könige. 

II  14,  8  SS.  hat  man  keine  Ausnalime  zu  machen,  da  der  Vers 
13,  12,  durch  welchen  jenes  Stück  allerdings  für  die  israelitische 
Chronik  reklamirt  zu  werden  scheint,  in  der  Interpolation  13,  12.  13 
vorkommt  und  keine  Autorität  hat;  s.  p.  276.  Unter  den  judäischen 
Erzählungen  wird  die  über  die  assyrische  Belagerung  Jerusalems, 
nebst  Anhang,  ebenfalls  durch  ihren  keineswegs  offiziellen  Charakter 
von  der  judäischen  Chronik  ausgeschlossen.  Dagegen  was  die 
excerpirten  Notizen  betrifft,  so  passen  sie  sehr  gut  zu  dem  ver- 
mutlichen Charakter  jener  Clii'oniken,  sowol  ihrem  Inhalte  nach, 
der  sich  lediglich  mit  den  Königen,  deren  Kultuseinrichtungen, 
Kriegen  und  Bauten  befasst,  als  auch  ihrer  Form  nach,  die  sich 
nicht  frei  ergeht,  sondern  auf  knappe  faktische  Data  beschränkt  —  ab- 
gesehen natürlich  von  den  leicht  abzuscheidenden  deuteronomistischen 
Zutaten.  Es  ist  doch  auch  zwar  nicht  notwendig,  aber  wol  das 
natürlichste,  die  Schlussformel  des  Epitomators,  die  übrige  Geschichte 
des  vorhin  abgehandelten  Königs  sei  da  und  da  zu  lesen,  als  eine 
Verweisung  auf  eben  das  Buch  zu  verstehn,  woher  er  seine  un- 
vollständigen Excerpte  genommen  hat.  Dass  insbesondere  die  gottes- 
dienstlichen Massnahmen  der  Herrscher  mit  zum  Inhalte  der  Dibre 
hajjamim  gehörten,  ergiebt  sich  aus  2.  Reg.  21,  17,  wo  es  in  einer 
beachtenswerten  Variante  von  dem  gewöhnlichen  Ausdrucke  heisst, 
die  sonstigen  Taten  Manasses  und  seine  Sünde,  welche  er  ge- 
sündigt habe,  stehe  geschrieben  u.  s.  w.  Die  Sünde,  welche  er 
sündigte,  kann  sich  im  Munde  dieses  Bearbeiters  auf  nichts  anderes 
beziehen  als  auf  die  Einrichtungen  im  offiziellen  Kultus,  die  Manasse 
traf,  von  denen  er  einige,  aber  eben  nicht  alle  berichtet  hat  (21  2,  ss.). 
Schliesslich  scheint  es,  dass  auch  die  Geschichten  von  Joas  ben 
Ahazia,  Ahaz  und  Josia  wenigstens  ihrer  Grundlage  nach  aus  der 
judäischen  Chronik  stammen,  da  sie  jedenfalls  auf  die  gleiche  Quelle 
zurückgehn  wie  die  auf  den  Tempeldienst  bezüglichen  Data  der 
Epitome  ^). 

Betreffend  das  literarische  Verhältnis  der  Epitome  zu  den  in 


^)  Wie  oben  p.  293  ein  Znsammenhang  zwischen  1.  Reg.  6.  7  nnd  den 
späteren  Tempelgeschichten  vermutet  ist,  so  besteht  eine  formelle  Ähnlichkeit 
zwischen  den  locker  zusammengestellten  Notizen  über  Salomo  und  denen  der 
folgenden  Epitome.  Mit  Recht  macht  Ewald  I  ^  244  aufmerksam  auf  das  häufige 
IN  (meist  cum  imperf.  =  hoc  anno?)  3,  16.  8,  1.  12.  9,  11.  11,  7.  16,  21.  22,  50. 
II  8,  22.  12,  18.  14,  8.  15,  16.  16,  5.  Das  Buch  der  Dibre  Schelomo  I  11,  41 
ist  vielleicht  der  Kopf  der  judäischen  Chronik, 


Abfa.ssiing'.szeit.  291 

extenso  mitgeteilten  Erzählungen,  so  ist  es  die  gleiche  Hand,  welche 
jene  geformt  und  diese  recipii^t  und  bearbeitet  hat.  Auch  bei  den 
letzteren  richtet  sich  die  Auswahl  oder  Aufnahme  nach  einem  262 
religiösen  Interesse,  sei  es  füi-  die  Propheten  oder  für  den  Kultus, 
auch  hier  findet  sich  die  Bezugnahme  der  judäischen  auf  die  israe- 
litischen Stücke,  vgl.  II  11,  1  SS.  mit  9,  27.  10,  12—14.  Die  deu- 
teronomistischen  Zusätze,  gelegentlich  zu  langen  Betrachtungen  an- 
schwellend n  17,  7  SS.  34  SS.,  sind  gleichmässig  hier  wie  dort  ein- 
gewoben und  berühren  sich  formell,  z.  B.  I  16,  2 — 4  mit  14,  7  ss. 
21,  20  SS.  II  9,  7  SS.;  16,  30  mit  14,  9;  E  8,  18.  27.  17, 17.  21,  13 
mit  I  21,  20  SS.  Die  Hauptsache  ist,  dass  die  beiden  in  der  Form 
verschiedenartigen  Elemente  gegeniv artig  nicht  ohne  einander  be- 
stehn  können,  sondern  auf  gegenseitige  Ergänzung  berechnet  sind. 
In  der  israelitschen  Reihe  versteht  man  Ahias  Strafrede  I  14  nicht 
ohne  12,  25  ss.,  Elias  Auftreten  17,  1  nicht  ohne  16,  29  ss.,  den 
Aufstand  Jehus  II  9  nicht  ohne  8,  28  s. ;  der  Schluss  der  Epitome 
setzt  bei  Ahab  dii-ekt  an  die  vorhergegangene  Erzählung  an  und 
wird  bei  Joram  ben  Ahab  geradezu  durch  dieselbe  ersetzt.  Da 
nun  die  ausführlichen  Darstellungen  nicht  ihrerseits  von  Haus  aus 
die  Epitome  zur  Prämisse  haben,  so  ist  der  Epitomator  als  der- 
jenige anzusehen,  welcher  sie  recipirt  und  darauf  von  vornherein 
seine  Excerpte  angelegt  hat;  d.  h.  mit  anderen  Worten,  er  ist  der 
eigentliche  Verfasser  des  Buches  der  Könige.  In  der  jüdischen 
Reihe  ist  der  Sachverhalt  bei  II  18,  13 — 19,  37  ein  ähnlicher, 
dagegen  ist  bei  den  Tempelgeschichten  die  Beziehung  zu  den  Ex- 
cerpten  noch  weit  enger  und  zwar  so,  dass  es  unmöglich  ist  z.  B. 
in  n  16  die  beiden  Bestandteile  zu  scheiden  oder  Kap.  22.  23 
einer  anderen  Quelle  zuzuschi'eiben  als  derjenigen,  aus  der  21,  1  ss. 
18,  1 — 7  hergenommen  sind.  Thenius  Behauptung  (a.  0.  p.  XYII), 
dass  die  Epitome  ursprünglich  als  besonderes  Schriftwerk  bestanden 
habe  und  erst  nachträglich  mit  den  unverkürzten  Erzählungen  ver- 
schmolzen sei,  ist  wenig  überlegt'). 

14.  Wann  hat  nun  der  Schriftsteller,  der  dem  Buche  der 
Könige  seine  jetzige  Gestalt  gegeben  hat,  geschrieben?  Nach  II  25 
(=  Hierem.  52)  könnte  man  denken,  erst  am  Ende  des  babylo- 
nischen Exils,  nach  dem  Tode  Jojachins,  vgl.  V^Fi  ^C  ^D  25,  30. 
Damit  scheinen  allerlei  sonstige  Stellen    zu  stimmen,  welche   die 


^)  Kuenen,  Onderzoek^  I  p.  266 


298  I^as  Buch  der  Könige. 

Zerstörung  des  Reiches  Jucla  voraussetzen,  z.  B.  II  17,  19.  20.  21, 
10—15.  (22,  20?)  23,  26.  27,  um  von  I  8,  46  ss.  liier  zu  schweigen. 
Aber  bei  näherer  Betrachtung  sind  diese  Stellen  eher  ein  Beweis 
dafür,  dass  die  eigentliche  Abfassung  des  Buches  der  Könige  noch 
vor  dem  Exil  statt  gefunden  hat  und  nur  nachträglich  noch  eine 
exilische  oder  (wenn  nicht  und)  nachexilische  Überarbeitung  hin- 
zugekommen ist.  Sie  sind  nämlich  allzusammen,  man  kann  nicht 
sagen  interpolirt,  aber  doch  nachträglich  in  die  ältere  deuterono- 
mistische  Ai'beit  eingeschaltet.  Am  deutlichsten  sieht  man  das  bei 
263  17,  19.  20;  der  ursprüngliche  Verfasser  sieht  Juda,  im  Gegensatz 
zu  Israel,  noch  nicht  als  exilirt  an,  v.  21  schliesst  unmittelbar  an 
V.  18,  mit  Überspringung  von  v.  19.  20.  Wer  diese  beiden  Yerse 
eingelegt  hat,  hat  auch  v.  34  b  von  nilHDI  an  zugesetzt  und 
V.  35 — 41  angehängt,  ohne  zu  beachten,  dass  vorher  gar  nicht 
mehr  von  der  israelitischen,  sondern  von  der  späteren  Misch- 
bevölkerung Samariens  die  Rede  gewesen.  Nachdeuteronomisch 
sind  beide  Schriftsteller,  aber  es  ist  ein  Unterschied  zwischen  ihnen 
wahrzunehmen  z.  B.  in  der  Anschauung  der  Thora  17,  13.  17,  37. 
Dort  heisst  es  ganz  jeremianisch  (vgl.  17,  15  mit  Hier.  2,  5):  Jahve 
bezeugte  Israel  (und  Juda)  durch  alle  Propheten  und  Seher  also: 
bekehrt  euch  von  eurem  argen  Wandel  und  haltet  meine  Gebote 
und  Sätze,  nach  all  der  Thora,  die  ich  euren  Vätern  befohlen 
und  euch  entboten  habe  durch  meine  Knechte  die  Propheten 
(Esdr.  9,  10.  11).  Hier  dagegen:  die  Sätze  und  Rechte  und  die 
Thora  und  das  Gebot,  welche  er  euch  geschrieben  hat,  sollt 
ihr  halten  —  die  Thora  ist  hier  ein  anderer  und  viel  unlebendigerer 
Begriff.  In  Betreff  von  21,  10 — 15  ist  wenigstens  das  nicht  zu 
leugnen,  dass  v.  16  da  fortfährt,  wo  v.  9  aufgehört  hat,  und  dass 
die  dazwischen  liegenden  Verse  diese  Verbindung  unterbrechen. 
Das  selbe  gilt  von  23,  26.  27.  Die  ursprüngliche  Absicht  von 
Kap.  22.  23  ist  eher  die,  zu  erzählen,  wie  das  drohende  Unheil 
noch  in  zwölfter  Stunde  durch  Josia  abgewandt  sei;  doch  kann  man 
sich  allenfalls  22,  20  von  einem  unter  Jojakim  schreibenden  Ver- 
fasser gefallen  lassen,  schwerlich  aber  23,  26.  27. 

Dass  die  wesentliche  Formung  des  Buches  der  Könige  noch 
während  des  Bestehns  des  jüdischen  Reichs  erfolgt  ist,  wird  man 
ferner  aus  mn  DVn  IV  II  8,  22.  14,  7.  16,  6  (Kuenen  a.  0.  p.  263), 
was  hier  ohne  Zweifel  vom  Epitomator  und  nicht  aus  seiner  Quelle 
stammt,  schliessen;  desgleichen  aus  den  genauen  Angaben  über  die 


Das  Buch  der  Könige.  299 

Samariter  II  17,  24 — 34,  welche  einesteils  von  dem  deuteronom. 
Interesse  für  den  legitimen  Kultus  ausgehn,  anderenteils  auf  einer 
präsentisclien  Anschauung  beruhen,  wie  sie  im  babylonischen  Exil 
nicht  wol  zu  haben  war.  Dagegen  wird  die  Zerstörung  des  Reiches 
Israel  von  vornherein  vorausgesetzt  I  14,  14  ss.  („dies  schon  jetzt 
und  was  erst  nun!")  II  13,  23  („vor  der  Hand"),  woran  man  sich 
durch  II  13,  5.  23  (V'^l^  wie  Jud.  3,  9  u.  s.  w.)  nicht  irre  machen 
lassen  darf. 

Mit  Recht  unterscheidet  also  Ewald ')  zwischen  einem  primären 
und  secundären  Stadium  der  letzten  Gestaltung  unseres  Buches. 
Dem  letzten  Bearbeiter  gehören  ausser  dem  Schluss  allerlei  durch 
ihre  lockere  Einfügung  bemerkliche  kleinere  und  grössere  Zusätze 
an;  so  wol  auch  I  12,  32 — 13,  32.  Vor  allem  aber  ist  er  es  ge-  264 
wesen,  der  die  chronologischen  Angaben  in  den  Anfangsformeln 
des  Schemas  —  sie  sind  in  beiden  Reihen  doppelter  Art:  Synchro- 
nismen und  Summen  der  Regierungsjahre  —  so  zurecht  gemacht 
hat,  wie  sie  jetzt  vorliegen.  Yon  ihm  stammen  zunächst  die  Syn- 
chronismen, die  auf  gewissermassen  gelehrter  Vergleichung  eines 
Epigonen  beruhen  und  einfach  durch  Rechnung  aus  den  Summen 
abgeleitet  sind^).  Aber  auch  bei  den  Summen  hat  er  seine  Hand 
mindestens  stark  im  Spiele  gehabt.  Denn  schwerlich  ist  es  Zufall, 
dass  von  der  Epoche  des  Tempelbaues  im  4.  Jahre  Salomos  an, 
durch  welche  die  alte  Geschichte  halbirt  wird  (1.  Reg.  6,  1),  die 
Gesamtsumme  der  jüdischen  Königsreihe  bis  zur  Zerstörung  Jerusalems 
sich  beläuft  auf  37  +  17  +  3  -^  41  -f  25  +  8  +  1  +  6  +  40  + 
29  4-  52  +  16  +  16  -f-  29  4-  55  +  2+31  -f  11  +  11  =  430  Jalu-e, 
zusammen  mit  den  50  Jahren  des  Exils,  die  bis  zur  neuen  Epoche 
(=  Gründung  der  zweiten  Theokratie)  hinzukommen,  auf  480  Jahi'e. 
Ebenso  lange  dauert  bekanntlich  auch  die  erste  dem  deuterono- 
mistischen  Schema  des  Richterbuchs  zu  Grunde  liegende  Periode 
der  alten  Geschichte,  von  der  Epoche  des  Auszugs  bis  zu  der  des 
Tempelbaues;  und  wie  sich  die  480  Jahre  der  tempellosen  Zeit  auf 
12  Hohepriester  und  12  Generationen  zu  je  40  Jahren  verteilen, 
so  werden  1.  Chron.  5  von  Azaria,  der  zuerst  im  Tempel  fun- 
girte,  bis  auf  Josadak,  der  in  die  Gefangenschaft  wanderte,  11  Hohe- 
priester, inclusive  des  Exils  also   wol   12   Generationen  gerechnet. 


1)  Geschichte  des  Volkes  Israel^  I  227  ss. 

^)  Jahrbücher  für  Deutsche  Theologie  1875  p.  607  ss. 


300 

Von  liier  aus  fällt  nun  aber  weiter  ein  eigentümliches  Licht  darauf, 
dass  auf  die  nordisraelit.  Reihe  240  Jahre  fallen,  d.  i.  die  Hälfte 
der  480  jährigen  Periode.  Nämlich  von  Jerobeam  I  bis  Joram 
kommen  98,  von  Jehu  bis  Hosea  144  Jahre.  Aber  die  98  ersten 
Jahre  entsprechen  96  judäischen  von  Rehabeam  bis  Ahazia,  und 
wenn  man  demgemäss  die  24  Jahre  Baesas  in  22  corrigirt,  so  er- 
hält man 

Jerobeam  22       Baesa  22       Omri  12     Ahab       22     Joram  12 
Nadab  2       Ela         2  Ahazia      2 

D.  h.  die  8  Könige  haben  96,  die  4  und  4  je  48  Jahre,  zwei  die 
Durchschnittssumme  12,  drei  die  man  für  unverhältnismässig  wich- 
tiger ansah  als  ihre  Nachfolger,  haben  jedesmal  den  Löwenanteil 
von  2  mal  12  und  lassen  jenen  nur  den  Rest  von  2  Jahren.  An 
den  144  Jahren  von  Jehu  bis  Hosea  participiren  9  Könige;  die  Ai't 
der  Yerteilung  ist  hier  noch  unklar;  doch  ist  Gewicht  darauf  zu 
legen,  dass  144  durch  9  aufgeht  und  16  ergiebt^). 

Daraus   würde   sich    ergeben,    dass    die    Chronologie   in    ihrer 

265  jetzigen  systematischen  Gestalt  das  allerjüngste  im  Buch  der  Könige 
wäre '). 

266  Schluss.  ' 

Die  Untersuchung  der  drei  historischen  Bücher  des  Alten 
Testaments  hat  gezeigt,  dass  die  ursprünglichen  Quellen  nicht  un- 
bestimmt viele  selbständige  Erzählungen,  sondern  wenige  grössere 
und  zusammenhängende  Sclniften  gewesen  sind,  die  allerdings  eine 


^)  Schürers  Theol.  L.  Z.  1876  p.  540  s.  imd  besonders  E.  Krey  in  Hilgen- 
felds  Ztschr.  1877  p.  404—408. 

2)  Die  mit  dem  System  ausser  Beziehung  stehenden  Daten,  die  wol  ans 
den  Dibre  hajjamim  selber  stammen,  werden  natürlich  von  dieser  Kritik  nicht 
betroffen.  Es  sind  aber  auch  nicht  alle  innerhalb  desselben  vorkommenden 
Posten  künstlich.  Diejenigen  von  Josia  bis  Sedekia  werden  durch  Angaben 
Jeremias  beglaubigt: 

2.  Reg.    25,  8      586  —  11.  Sedekia  —  19.  Nebukadnezar 

Hier.  33,  1       587  —  10.       -     -     —  18. 
2.  Reg.   24,  12     597  —  11.  Jojakim  —     8.         -         -         ' 
Hier.  25,  1       604  —     4.  Jojakim  —     1.  Neb.  23.  Jeremia. 
Hier.  25,  1.  3  626  —  13.  Josia        —     1.  Jeremia. 
Wie   hoch  hinauf   die   chronologische   Tradition  reiche,    lässt  sich  nicht  aus- 
machen, doch  wird  noch  bei  Amos   nach   dem   „grossen  Erdbeben",   erst  bei 
Jeremias  u.nd  den  proph.  Epigonen  nach  Königs  jähren  datirt. 


Chronologie.  301 

oder  mehrere  verbesserte  und  vermehrte  Ausgaben  durchlaufen 
haben.  Was  die  Provenienz  derselben  betrifft,  so  lässt  sie  sich 
aus  dem  Inhalt  erschliessen.  Darnach  wird  die  erstere  grössere 
Quelle,  welche  die  Geschichten  von  Gideon,  Simson  und  Saul  er- 
zählt, im  eigentlichen  Israel  geschrieben  sein,  dagegen  die  beiden 
folgenden,  die  von  David  handeln  (1.  Sam.  15 — 2.  Sam.  8.  2  Sam. 
9  bis  1 .  Reg.  2),  in  Juda  oder  Jerusalem ;  nach  dem  gleichen  Prinzip 
lassen  sich,  mit  einigen  leicht  bemerklichen  Ausnahmen,  die  Quellen 
des  Buchs  der  Könige  dem  einen  oder  dem  andern  Reiche  zu- 
weisen. Von  ephraimitischer  oder  judäischer  Tendenz  ist  jedoch 
in  diesen  älteren  Schriften  eigentlich  gar  nichts  zu  spüren.  Was 
die  Zeit  ihres  Ursprungs  anbetrifft,  so  scheinen  sie  durchschnittlich 
nicht  allzuweit  von  den  Ereignissen  abzuliegen;  näheres  lässt  sich 
im  Allgemeinen  nicht  ausmachen.  Die  Zusammensetzung  zu  grossen 
Geschichtsbüchern  hat  wol  schon  vor  der  frühesten  deuteronomistischen 
Bearbeitung  statt  gefunden,  wenigstens  in  den  Büchern  der  Richter 
und  Samuelis.  Die  deuteronomistische  Bearbeitung  dagegen  scheint 
es  gewesen  zu  sein,  welche  in  Richter,  David  (denn  das  wäre  der 
passende  Name  für  Samuelis),  und  Könige  abgeteilt  hat;  denn  die 
Anhänge  Jud.  1,  1—2,  5.  17,  1—21,  24.  2.  Sam.  21,  1—24,  25 
setzen  einesteils  diese  Abteilung  voraus  und  sind  andererseits  nicht 
mehr  von  der  deuteronomistischen  Bearbeitung  betroffen.  Die  letztere 
erstreckt  sich  im  übrigen  über  alle  drei  Bücher  und  verbindet  sie 
mit  dem  Hexateuch.  Ob  sie  überall  von  der  selben  Hand  oder  von 
den  selben  Händen  herrührt,  ist  gleichgiltig ;  jedoch  sind  die  Be- 
rührungen in  dem  chronologisch -moralischen  Schema  der  Bücher 
der  Richter  und  Könige  so  auffällig,  dass  man  dies  wol  annehmen 
muss  und  dann  auch  das  dazwischen  liegende  Buch  Samuelis  nicht 
gut  ausnehmen  kann. 


NACHTRÄGE. 


Gen.  2—4. 

Eduard  Bölimer  hat  bereits  1860  (Liber  Genesis,  Halis)  den 
Baum  des  Lebens  Gen.  2,  9  für  ein  Zuviel  erklärt,  weil  nach  3, 
5  der  Baum  der  Erkenntnis  in  der  Mitte  des  Gartens  steht  und 
neben  ihm  kein  zweiter.  Er  hat  dann  auch  3,  22 — 24  einer 
anderen  Hand  zugeschrieben.  Vielleicht  braucht  man  aber  von 
3,  24  nur  die  letzten  Worte  aufzuo-eben.  Dann  würde  sich  auch 
3,  21  halten  lassen,  durch  Verbindung  mit  v.  24.  Die  Vorstellung 
vom  Baume  des  Lebens  ist  natüidich  älter  und  echter  als  die  vom 
Baum  der  Erkenntnis,  aber  der  Verfasser  von  Gen.  2.  3  hat  den 
Baum  der  Erkenntnis  seinen  Absichten  mehr  entsprechend  ge- 
funden. Er  hat  den  Stoff  überhaupt  schöpferisch  behandelt  und 
ihm  seinen  Atem  eingehaucht. 

Böhmer  hat  ebenfalls  erkannt,  dass  die  Geschichte  von  Kain 
und  Abel  keine  ursprüngliche  Fortsetzung  der  Paradiesesgeschichte 
sei,  und  infolge  davon  3,  20  für  die  Klammer  eines  Redaktors  an- 
gesehen. Über  den  Namen  der  Eva  (Schlange)  vgl.  Evang.  hieros. 
unter  o^pic,  Midrasch  rabba  zu  Gen.  3,  20,  Philo  de  agr.  Noe  §  21, 
Clem.  AI.  protrept.  p.  9  und  besonders  die  syrische  Schatzhöhle 
p.  24:  Satan  verkleidete  sich  in  eine  Schlange,  um  ebenso  auszusehen 
wie  Eva  und  sie  dadurch  kirre  zu  machen;  sowie  jemand,  um  einen 
Papagei  sprechen  zulelu'en,  hinter  einem  Spiegel  spricht,  damit  der 
Papagei  glaube,  sein  Ebenbild  im  Spiegel  spreche  (DMZ  1877  p.  581). 
Hauva,  die  Schlange,  war  wol  die  Ahnfrau  der  Heviten  (Hauviten); 
von  diesen  könnten  die  Israeliten  den  Namen  der  Mutter  des 
Menschengeschlechts  bekommen  haben. 

In  der  Genealogie  von  Gen.  4  fällt  der  Doppelname  Thubal 
Kain  auf.  Er  scheint  eine  Gleichung  zu  enthalten,  wie  Jahve- 
Elohim,  Kanaan-Ham.     Thubal  ist  sonst  der  Name  der  Tibarener; 

Well  hausen,    Comp.   d.   Hexateuchs.    3.   Aufl.  20 


306  Nachträge. 

warum  niclit  auch  liier?  Die  Eisengewinnung  ist  ja  die  Spezialität 
der  Tibarener.  So  könnten  die  Griechen  etwa  Ohalyps  zum  Vater 
der  Schmiede  machen.  Kain  (in  der  der  Septuaginta  fehlend)  muss 
dann  ein  nachgetragenes  Äquivalent  von  Thubal  sein.  Im  Arabischen 
bedeutet  es  iin  Masculin  (Plural  qujün)  den  Handwerker  über- 
haupt (Hudh.  21,  15  schol.)  und  besonders  den  Schmied.  So 
Hudh.  21,  15.  93,  9.  142,  5.  Aus  b.  Hagar  49,  1  (im  Lisan  17, 
231).  Arab.  Provv.  1,  155.  Hälik  b.  Amr  von  Asad  galt  als  der 
erste  qain  und  seine  Nachkommen  wurden  damit  geneckt 
(Baladh.  284.  Agh.  7,  189),  Chabbäb  b.  Aratt,  einer  der  ältesten 
Anhänger  IMuhammads,  war  auch  qain  (B.  Hischam  234.  Tab.  1, 
3347),  in  der  Regel  aber  waren  die  qujün  fahrende  Leute.  Das 
Femininum  qaina  bedeutet  die  Magd  (Hudh.  107,  30)  namentlich 
im  Plural  (aqiän  Zuh.  10,  2  =  Alq.  13,  4.  Hudh.  140,  2),  im 
Singular  gewöhnlich  die  Sängerin  oder  Musikantin.  Man  hält  nun 
meistens  das  Wort  für  ein  richtiges  Appellativ  und  sieht  Knecht 
oder  Magd  als_  die  Grundbedeutung  an.  Aber  es  hat  keine  Wurzel, 
denn  von  Hjp  lässt  es  sich  schwerlich  ableiten.  Es  kommt  auch 
niemals  neben  abd  taim  schaf  salm  als  erster  Bestandteil  in 
theophoren  Eigennamen  vor.  Im  Hebräischen  ist  Qain  nicht 
Appellativ,  sondern  Eigenname  des  Stammvaters  der  Schmiede. 
Das  aramäische  qainäja^)  setzt  ebenfalls  Qain  als  Eigennamen 
voraus.  Und  dies  scheint  auch  im  Arabischen  der  Ausgangspunkt 
zu  sein.  Denn  Zuhair  (16,  2  ed.  Ahlwardt)  nennt  einen  Sattel 
qaini,  einen  qainitischen,  so  dass  Qain  der  Eigenname  eines  be- 
rühmten Handwerkers  oder  einer  Handwerkerzunft^)  ist.  Die 
Plurale  qujün  und  aqiän  können  ebenso  gut  von  qaini  wie  von 
qain  abgeleitet  werden.  Qain  wäre  dann  eigentlich  ein  Stamm- 
name und  zwar  der  Name  eines  fahrenden  Volkes,  vergleichbar 
den  von  Doughty  geschilderten  Solubba  im  jetzigen  Syrien  und 
Arabien.  Die  Männer  wären  Schwertfeger,  Kesselflicker  und  der- 
gleichen gewesen,  die  Mädchen  zu  Sklavinnen  oder  Chanteusen  ge- 
braucht: neckisch  ist  im  letzteren  Falle  die  Ähnlichkeit  von  qaina 
mit    dem  hebräischen  qina  und  qonen.     Dem  Eigennamen  Qain, 

1)  Im  Plural  qainäje  bei  Vogüe  Palm.  23.  Es  ist  niclit  qainaija  zu 
sprechen,  wegen  des  folgenden  'ab de. 

2)  In  Sa'  d  alQain  liegt  die  Passung  des  Genetivs  als  partitiv  am  nächsten, 
so  dass  zu  übersetzen  wäre  SaMus  fabrorum,  nicht  Sa'dus  faber.  Vgl,  Arab. 
ProYv.  8,  18.  Tab.  2,  1299. 


Gen.  2-4.  307 

der  auch  sonst  vorkommt  (mit  und  ohne  Artikel,  für  Stämme  und 
Personen,  vgl.  Hamasa  221  v.  3.  Tab.  2,  286  und  Euting  Sin.  553), 
könnte  ein  Gott  entsprochen  haben;  Qainän  wenigstens  scheint 
ein   solcher  gewesen  zu  sein. 

Das  Lied  Lamechs  pflegt  man  als  Schwertlied  zu  bezeichnen, 
in  der  Meinung,  es  sei  veranlasst  durch  die  vorher  berichtete  Er- 
findung der  (Waffen-)  Schmiedekunst.  Man  muss  sich  jedoch  hüten, 
diese  Trümmer  aus  dem  Zusammenhange  zu  verstehn.  Durch  den 
Wortlaut  des  Liedes  selber  wird  jene  Motivirung  nicht  angezeigt. 
Wenn  darin  auf  die  Schmiedekunst  hingeblickt  würde,  so  hätte 
sich  billigerweise  Kain  zu  rühmen.  Wie  könnte  Lamech  auf 
Grund  der  Erfindung  des  Schwertes  sich  über  den  Erfinder  selbst 
(v.  24)  überheben?  Die  Verse  enthalten  eine  gar  keiner  besonderen 
Veranlassung  bedüi-ftige  Prahlerei  eines  Stammes  (StammA^aters) 
gegen  den  anderen.  Und  wie  die  Araber  sich  besonders  gern 
ihren  Weibern  gegenüber  als  grosse  Eisenfresser  rühmen,  so  macht 
es  hier  auch  Lamech. 

Die  Namen  Henoch  und  Seth  entsprechen  den  südarabischen 
Hanäk  und  That  (Hamd.  90,  9.  Bai.  106,  6.  382,  13.  395,  18). 
„Enos  begann^)  den  Namen  Jahves  anzurufen",  d.  h.  er  war  der 
Anfänger  des  Gottesdienstes  wie  Noah  des  Ackerbaus  und  Nimrod 
der  Reichsgründung  —  Jahve  ist  hier  nicht  im  Gegensatz  zu 
anderen  Göttern,  sondern  ganz  allgemein  zu  verstehn;  ähnlich 
wie  10,  9. 

Gen.  6,  1—4. 

Nach  dem  Zusammenhange  mit  6,  1.  2  kann  Jahve  in  6,  3 
nur  sagen,  er  wolle  die  Vermischung  von  Gottessöhnen,  d.  i.  Engeln, 
und  Menschen  nicht  länger  dulden.  Darnach  ist  Tin  auf  die 
Engel  zu  beziehen,  auf  den  spirituellen  Stoff,  aus  dem  sie  ebenso 
wie  Jahve  selber  bestehn,  während  der  Mensch  Fleisch  ist.  Dieser 
Deutung  von  nn  widerspricht  nun  der  letzte  Satz:  es  sollen  seine 
Tage  120  Jahre  sein.  Damit  ist  eine  Herabsetzung  der  (bisher 
höheren  Lebensdauer)  der  Menschen  ausgesprochen:  wenn  dies  die 
praktische  Folge  der  vorhergehenden  Erwägung  ist,  so  kann  man 
TiTn  nicht  von  dem  Stoffe  der  Götter  und  Göttersöhne  verstehn, 
sondern  nur  von  dem  die  Kreaturen  durchhauchenden  Atem  des 


^)  So  nach  Sept.     Man  erwartet  allerdings  hu  für  ze. 

20^ 


308  Nachträge. 

Allmäclitigen,  mit  dessen  Zurückziehung  ihrem  Leben  die  Grenze 
gesetzt  wird.  Dann  aber  fehlt  eine  logische  Verbindung  zwischen 
V.  3  und  V.  1.  2;  die  Konsequenz  v.  3  entspricht  nicht  ihren 
Prämissen  v.  1.  2.  Die  Worte:  es  sollen  seine  Tage  120  Jahre 
sein  —  sind  eine  misverstehende  Glosse  zu  übvh  D"IN!1  TIP  isb- 
Die  Menschen  leben  ja  schon  vorher  nicht  ewig;  800 — 900  Jahr 
und  120  Jahr  ist  kein  prinzipieller  Unterschied.  Und  durch 
Herabsetzung  der  Lebensdauer  würde  das  übvh  xb  durchaus  nicht 
erreicht;  in  dem  Geschlechte  (0"IX)  bliebe  der  Atem  Gottes  darum 
nicht  minder  ewig,  weil  er  den  Einzelnen  nicht  mehr  so  lange 
belebt.  Endlich  ist  nach  der  Stellung  von  6,  1 — 4  zu  erwarten, 
dass  der  Entschluss  v.  3  seine  Ausführung  finde  in  der  Yertilgung 
des  ganzen  Menschengeschlechts  ohne  jede  Ausnahme. 

Von  der  Rücksicht  auf  die  Glosse  entbunden,  können  wir  als 
den  allgemeinen  Sinn  des  göttlichen  Ausspruches  in  v.  3  erkennen, 
dass  der  Fortpflanzung  des  Menschengeschlechtes  ein  gewaltsames 
Ende  gesetzt  werden  soll.  Denn  pflanzte  es  sich  fort,  so  würde 
die  Vermischung  des  Götterstoffes,  des  Geistes,  mit  dem  Menschen- 
stoffe, dem  Fleische,  in  alle  Ewigkeit  nicht  aufhören.  Auch  wenn 
die  Gottessöhne  sich  nicht  weiter  mit  den  Menschentöchtern  ein- 
liessen,  so  blieben  sie  doch  die  Ahnherren  des  Geschlechts;  ihr 
Blut  —  das  in  diesem  Falle  allerdings  nicht  Blut,  sondern  Geist 
ist  —  bliebe  in  der  Race. 

Im  Einzelnen  bereiten  die  beiden  Worte  Jl"]''  und  D^t^'Il  v.  3 
dem  Verständnisse  unüberwindliche  Schwierigkeiten.  Für  jn^  Nv 
bietet  die  Septuaginta  ou  [xyj  xaTajiei'v^],  und  dieser  Sinn  (oder  ein 
ähnlicher  wie:  es  soll  sich  nicht  vermischen)  wird  durch  den  Zu- 
sammenhang gefordert.  Aus  )1"1''  aber  kann  er  nicht  herausgelesen 
werden,  man  wird  also  eine  Verderbnis  des  hebräischen  Wortes 
anerkennen  müssen.  Emendationen  lassen  sich  nicht  kommandieren, 
jikkon  würde  nicht  passen,  jakün  oder  jado^n  nur  dann,  wenn 
der  Text  arabisch  statt  hebräisch  wäre.  Ebenso  muss  ü^Wü  ver- 
derbt sein.  Der  Sinn  des  durch  c:it^!l  eingeleiteten  Satzes  ist  in 
^^^^  nt^D.  vollständig  enthalten:  die  Grenze  zwischen  göttlichem 
und  menschlichem  Geschlecht  darf  nicht  verrückt  werden;  die  gött- 
liche Substanz,  der  Geist,  soll  deshalb  nicht  im  Menschengeschlechte 
bleiben,  weil  die  menschliche  Substanz  Fleisch  ist.  In  D^\l^:i 
muss  eine  Kausalpartikel  stecken  (8ia  xo  sTvoti  auxou?  Sept.),  und 
es  ist  nicht  nötig,  wenngleich  möglich,  dass  noch  mehr  darin  steckt. 


Gen.  6,  1—4.  309 

Einen  Verbesseriingsvorsclilag  habe  ich  auch  in  diesem  Falle  nicht 
zu  machen;  es  muss  genügen,  die  Korruptel  festzustellen.  Doch 
will  ich  noch  die  zwei  hauptsächlichen  Meinungen  der  Exegeten 
über  D^l^^Ü  zu  widerlegen  suchen. 

Einige  sehen  darin  eine  Zusammensetzung  aus  der  Präposition 
3.5  dem  Relativum  \L^  und  der  Partikel  C)l  und  übersetzen:  „weil 
auch  er  Fleisch  ist".  Aber  I5^:i  kommt  im  Hebräischen  nicht  so 
wie  "12.  im  Syrischen  für  weil  vor,  und  ü^  ist  hier  nicht  bloss 
sinnlos,  sondern  sinnwicbig.  „Mein  Geist  soll  nicht  ewig  im 
Menschengeschlechte  sich  fortpflanzen,  weil  es  ebenfalls  Fleisch 
ist"  enthält  einen  absurden  Widerspruch. 

Andere  leiten  üy\l/'2.  von  dem  Verbum  :i:i^*  ab  und  übersetzen: 
„bei  (wegen)  ihrer  Verirrung  ist  er  Fleisch".  Sie  sind  nicht  etwa 
die  Engel,  sondern  die  Menschen,  ganz  das  selbe  wie  er.  Eine 
solche  Enallage  Numeri,  innerhalb  eines  allerkürzesten  Satzes,  soll 
im  Hebräische  unanstössig  sein.  Aber  welchen  Sinn  hat  denn  die 
mit  einer  solchen  Ungeheuerlichkeit  belastete  Übersetzung?  „Weil 
das  Menschengeschlecht  ein  dem  Irrtum  unterworfenes  sündiges 
Geschlecht  ist,  deshalb  ist  es  Fleisch"  (Tuch)  ist  eine  nicht  in  den 
Zusammenhang  gehörige  Walu'heit  —  oder  richtiger  Unwahrheit, 
denn  es  ist  eine  Umkehrung  von  Ursache  und  Wirkung.  Delitzsch 
erläutert:  „bei  jener  Verirrung  zu  widergöttlicher  Lust  geht  der 
Mensch,  das  geistleibliche  Wesen,  wdder  seine  ursprüngliche  Be- 
schaffenheit und  Bestimmung  ganz  im  Fleische  auf".  Dogmatik, 
keine  Exegese.  Wenn  ein  solcher  Beo-riff  in  diesem  Zusammen- 
hange  überhaupt  zulässig  wäre,  so  wäre  die  Yerirrung  auf  Seiten 
der  Gottessöhne,  nicht  auf  Seiten  der  Menschentöchter,  die  sich 
jenen  kaum  widersetzen  können,  geschweige  auf  Seiten  des  aus  den 
ungleichen  Verbindungen  hervorgegangenen  Geschlechtes,  welches 
hier  allein  in  Rede  steht.  Abo-esehen  aber  davon  —  wie  kann  der 
Mensch  dadurch  ganz  im  Fleische  aufgehn,  dass  er  sich  nicht  mit 
Fleische,  sondern  mit  Geiste  vermischt?  Er  wird  ja  nicht  zu  sehr 
Fleisch  durch  jene  Vermischung,  sondern  er  bleibt  es  zu  wenig; 
er  überspringt  die  Schranken  seiner  Gattung,  Fleisch  zu  sein.  Das 
ist  seine  Schuld,  d.  h.  sein  Unglück.  Die  moralische  Schuld 
haben  die  Gottessöhne,  er  büsst  nur  die  Folgen.  Die  Moral  hat  in 
Gen.  6,  1 — 4  nichts  mit  der  Schuld  zu  tun;  von  Moral  ist  hier 
keine  Spur  und  zu  Moralpredigt  keine  Veranlassung. 

Auch  V.  4  gibt  zu  Bedenken  Anlass.     „Die  Nephilim  waren 


310  Nachträge, 

auf  Erden  in  jenen  Tagen  und  aucli  noch  später,  indem  die  Gottes- 
söhne eingingen  zu  den  Menschentöchtern  und  diese  ihnen  gebaren 
—  das  sind  die  Gewaltigen,  die  vor  Alters  waren,  die  hochbe- 
rühmten  Männer".  Diese  Bemerkung,  an  sich  zu  wichtig,  um  so 
lose  beigefügt  zu  werden,  ist  hinter  v.  3  nicht  mehr  am  Platze. 
Sie  erscheint  erst  allmählich  zu  ilu'em  jetzigen  Umfange  herange- 
wachsen zu  sein.  Das  ]D  ''^nx  Dril  sieht  aus  wie  eine  Korrektur 
zu  cnn  CO""^,  entsprungen  aus  der  Erwägung,  dass  ja  noch  zur 
Zeit  Moses  solche  Nephilim  in  Kanaan  lebten.  Der  Schlusssatz 
Ij)  D'''i:i;in  r\^n  enthält  eine  euhemeristische  Begriffsbestimmung 
der  Nephilim.  Ursprünglich  sind  diese  nicht  gleichbedeutend  mit 
kriegerischen  und  berühmten  Männern;  eher  mögen  sie  mit  den 
Rephaim  (Totengeistern)  verwandt  sein. 

Man  hat  den  Eindi'uck,  dass  Gen.  6,  1 — 4  stark  verstümmelt 
ist,  und  dass  daran  die  Absicht  mehr  Schuld  trägt  als  der  Zufall. 


Gen.  10,  8—12. 

Durch  den  Nachweis,  dass  in  Gen.  10  nicht  bloss  eine  Yölker- 
tafel  aus  Q,  sondern  auch  eine  aus  JE  steckt,  ist  die  Stellung  der 
Verse  8 — 12,  die  man  hier  herausnahm  und  nirgendwo  wieder  ein- 
fügte, zugleich  erklärt  und  gesichert.  Die  Genealogie  von  Q  baut 
nur  Namen  und  Zahlen  auf  und  hat  keinen  Raum  für  etwas  anderes. 
Dahinein  passt  Nimrod  allerdings  nicht,  wol  aber  in  die  jehovistische 
Genealogie.  Diese  knüpft,  wo  sie  kann,  inhaltliche  Notizen  an  die 
Namen  und  hat  keine  Angst,  dass  dadurch  die  Form  gesprengt 
werden  könnte.  Wir  können  uns  am  besten  einen  Begriff  davon 
machen  nach  Gen.  4,  17  ss. 

Dort  dient  die  Genealogie  zugleich  dazu,  den  Fortschritt  der 
Civilisation  zu  verfolgen,  die  Gründer  und  Erfinder  der  wichtigsten 
Eimichtungen  und  Künste  stufenweise  vorzuführen  (Kain,  Jabal, 
Jubal,  Thubal).  Wenn  von  Noah  nicht  eine  ausführliche  Erzählung 
handelte,  so  wüi'de  er  in  der  jehovistischen  Genealogie  wahrschein- 
lich auch  als  Stifter  des  Weinbaues  oder  als  erster  Schiffer  figuriren. 

So  ist  Nimrod  der  erste  Reichsgründer  auf  Erden,  und  nach 
Art  der  alten  morgenländischen  Herrscher  zugleich  ein  grosser  Jäger. 
„Und  Kusch  zeugte  Nimrod,  der  begann  ein  Gewaltiger  zu  sein  auf 
Erden,  und  der  erste  Teil  seines  Reiches  war  Babel  und  Erech  und 
Akkad  und  Kalne  im  Lande  Sinear;  von  da  zog  er  aus  nach  Assur 


Gen.  10    8— 12.  311 

und  baute  Nineve  u.  s.  w."  Den  Hebräern  war  das  babylonisch- 
assyrische  Reich  das  Reich,  und  Nimrod  als  Gründer  dieses  Reichs 
—  nicht  des  vorgeschichtlichen,  sondern  des  geschichtlichen,  wie 
aus  der  Aufzählung  der  Städte  und  auch  aus  der  allgemeinen  Art 
von  Gen.  10  erhellt  —  war  das  Prototyp  des  Grossherrschers.  Er 
repräsentirt  zugleich  König  und  Volk;  das  Volk  ist  die  Familie  des 
ersten  Königs.  Die  Genealogie  macht  keinen  Unterschied  zwischen 
beiden,  Heroen  und  Nationen  stehn  bei  ihr  auf  gleicher  Linie.  AVas 
von  Mmrod  gilt,  gilt  auch  von  Babel  und  Assur.  Wenn  also  Nimrod 
von  Kusch  abstammen  soll,  so  wird  die  mächtige  Nation  von  Babel 
und  Assur  zu  Kusch  gewiesen.  Kusch  aber  ist  ein  sehr  umfassender 
und  vager  Name,  der  eine  klare  geographische  und  ethnologische 
Definition  nicht  zulässt. 

Das  Präformativ  N  scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  Nimrod 
den  Hebräern  durch  Vermittlung  der  mesopotamischen  Aramäer 
zugekommen  ist.  Diese  hatten  später  einen  Gott  Marri  (Mari?), 
mit  den  Hunden,  der  wol  auch  ein  Jägersmann  war. 

Ich  schliesse  noch  ein  paar  andere  Bemerkungen  an,  die  sich 
auf  die  Völkertafel  beziehen.  Der  Name  J  er  ach  ist  arabisch 
Varach  (Hamd.  99,  23.  101,  12).  Bei  den  Söhnen  Japheths  sucht 
man  die  Perser  vergebens^);  sie  sind  vielleicht  unter  dem  Namen 
Elam  an  die  Spitze  der  Söhne  Sems  gestellt.  Beachtung  verdient, 
dass  Cyprus  nicht  den  Phöniziern,  sondern  den  Griechen  zuge- 
wiesen wird,  unter  den  Namen  Kittim,  der  nicht  der  alte  zu  sein 
scheint. 


Gen.  14. 

Ein  sehi*  wichtiges  Beispiel  der  Nachtragung  einer  ganzen  Er- 
zählung in  die  fertige  Genesis.  Wenn  sich  ergeben  hat,  dass  das 
Kapitel  weder  zu  dem  ursprünglichen  Bestände  einer  der  fort- 
laufenden Quellen  gehört  noch  nachträglich  in  eine  derselben  auf- 
genommen ist,  so  folgt,  dass  es  sehr  spät  recipirt  und  ein  äusserst 
junges  Stück  ist. 

Der  Glaube  an  die  Geschichtlichkeit  der  Erzählung  von  Abra- 
hams Siege  über  den  Elamiterkönig  Kedarlaomer,  der  durch  Nöldeke 
den  Todesstoss   empfangen  zu  haben  schien,  ist  neuerdings  durch 


^)  Sie  finden  sich  überhaupt  erst  in  der  Chronik  (Esel.  Neh.)  und  im  Daniel. 


312  Nachträge. 

die  Ergebnisse  der  Keilforschung  wieder  belebt  worden.  Die  Namen 
der  Könige  des  Ostens  sind  zwar  nicht  so  wie  sie  lauten  auf  den 
Monumenten  wieder  gefunden,  wol  aber,  wenigstens  teilweise,  die 
Elemente,  aus  denen  sie  zusammengesetzt  sind,  auch  wol  Analogieen 
ihrer  Komposition.  Es  hat  sich  herausgestellt,  dass  Lagamar  Name 
einer  elamitischen  Gottheit  gewesen  ist,  und  dass  es  schon  „zur 
Zeit  Abrahams"  ein  elamitisches  Reich  gegeben  hat.  Was  hilft  das 
aber  zur  Rettung  von  Gen.  14?  Wie  babylonische  und  elamitische 
Königsnamen  etwa  lauteten,  konnte  man  noch  zur  Zeit  des  Berosus 
sehr  gut  Avissen.  Man  kann  —  wie  schon  Nöldeke  selber  getan  hat 
—  ruhig  die  Möglichkeit  zugeben,  dass  Amraphel,  Arioch,  Kedor- 
laomer  und  Tid'al  wirklich  einmal  über  ihre  Länder  geherrscht 
haben,  ohne  dass  daraus  im  mindesten  die  Wahrheit  dessen  folgt, 
was  in  Gen.  14  über  sie  erzählt  wird.  Wenn  das  Subjekt  nicht 
existirt,  so  fällt  die  Aussage  von  selber,  das  ist  wahi\  Aber  man 
darf  die  Sache  nicht  umkehren  und  aus  der  Wirklichkeit  des  Sub- 
jekts auf  die  Richtigkeit  der  Aussage  schliessen. 

'Nöldekes  Kritik  ist  unerschüttert  und  unumstösslich.  Dass 
„zur  Zeit  Abrahams"  vier  Könige  vom  persischen  Meerbusen  her 
eine  Razzia  bis  in  die  Halbinsel  des  Sinai  machen,  dass  sie  bei 
der  Gelegenheit  fünf  Stadtfürsten,  welche  im  Toten  Meere  hausen, 
überfallen  und  gefangen  fortschleppen,  dass  endlich  Abraham  mit 
318  Knechten  den  abziehenden  Siegern  nachsetzt  und  ihnen  den 
Raub  abjagt  —  das  sind  einfach  Unmöglichkeiten.  Sie  werden 
dadurch  nicht  zutrauenswürdiger,  dass  sie  mit  grosser  Geflissentlich- 
keit in  eine  untergangene  Welt  placirt  werden.  Der  Erzähler  baut 
diese  untergegangene  Welt  grösstenteils  aus  zerstreuten  Materialien 
des  Alten  Testamentes  auf.  Adma  und  Seboim  ist  bei  Hosea,  d.  h. 
in  Israel,  das  selbe  wie  Sodom"  und  Gomorrha  bei  Amos,  d.  h.  in 
Juda;  der  Verfasser  von  Gen.  14  scharrt  die  vier  Namen  zusammen. 
Seiner  Phantastik  liegt  die  Schrift  gel  ehrsamkeit  zu  Grunde.  Die 
Glossen,  die  antiquarischen  Notizen  charakterisiren  ihn.  Die  An- 
gabe, dass  im  Toten  Meere  sich  eine  Asphaltquelle  bei  der  anderen 
finde,  ist  für  den  Zusammenhang  ganz  wertlos  —  denn  die  Flüch- 
tigen fallen  nicht  etwa  in  die  Pechgruben  hinein,  wie  einige  ingeniöse 
Ausleger  annehmen;  sie  verdankt  ihre  Entstehung  dem  Lacus 
Asphaltitis,  schildert  das  Aussehen  der  Gegend  desselben,  ehe  er 
selber  da  war  und  soll  den  Schein  der  Gegenwart  über  das  höchste 
Altertum  werfen.     Den  selben  Zweck  hat  es,  wenn  v.  13  ein  wild- 


Gen.  14.  313 

fremder  Mann  namens  Abraham  uns  vorgestellt  wird  als  Eidgenosse 
der  bekannten  Amoriter  von  Hebron,  Mamre,  Eskol  und  Aner. 

Alles  das  hilft  natüidich  nichts,  um  die  wahre  Zeit  des  Er- 
zählers zu  verdecken.  Nicht  bloss  dadurch,  dass  er  Dan  für  Laisch 
sagt,  verrät  er  sich.  Am  durchsichtigsten  ist  der  Priesterkönig  von 
Salem,  dem  Abraham  den  Zehnten  gibt,  nicht  von  der  Kriegsbeute 
—  das  wäre  pragmatisch  zu  fordern  — ,  sondern  von  allem,  was 
er  hat.  Salem  steht  archaistisch  für  Jerusalem.  In  Walii'heit  hat 
Jerusalem  niemals  so  geheissen,  sondern  immer  Jerusalem,  nicht  erst 
seit  David,  sondern  seit  viel  früheren  Zeiten,  wie  wir  jetzt  wissen. 

Auf  eine  Deutung  der  Namen  der  fünf  Könige  des  Toten  Meeres 
darf  man  sich  liicht  einlassen.  Wer  weiss,  woher  der  Verfasser  sie 
Jiat!  Hätte  er  sie  selbst  gemacht,  so  wäre  der  fünfte  König  nicht 
namenlos.  Denn  obwol  Bela  (Bileam)  sonst  Personenname  ist,  so 
ist  doch  eine  zweimalige  Emendation:  „und  Bela  König  von  Soar" 
ausgeschlossen.  Wol  möglich  aber  ist  es,  dass  die  318  Knechte  aus 
dem  Zahlenwert  von  Eliezer  geflossen  sind. 

Unrecht  hat  Nöldeke  darin,  dass  Gen.  14  alt  sei  und  uns  die 
Gestalt  Abrahams  in  einer  zwar  andersartigen  aber  gleichzeitigen 
Auffassung  zeige  wie  der  Jehovist.  Abraham  konnte  nicht  zu 
gleicher  Zeit  so  gänzlich  verschieden  aufgefasst  werden;  die  Sage 
hat  nur  einen  einzigen  Ausgangspunkt,  und  zwischen  Sage  und 
künstlicher  Geschichte  liegt  ein  weiter  Zwischenraum.  Die  lite- 
rarische Kritik  beweist  das  späteste  Alter  von  Gen.  14;  Psalm  110 
dagegen  beweist  nicht  das  geringste.  Unrecht  hat  Nöldeke  ferner 
darin,  dass  Gen.  14  mit  grossem  Geschick  angelegt  und  vortrefflich 
erzählt  sei.  Vielmehr'  wird  die  Erzählung  überwuchert  durch  Neben- 
umstände, die  gar  keinen  pragmatischen  Nutzen  haben  und  nur 
dem  antiquarischen  Scheine  dienen.  Ist  es  geschickt,  dass  gar 
nicht  gesagt  Avird,  dass  die  drei  Männer  von  Hebron  mit  Abraham 
gegen  die  Könige  des  Ostens  ausgezogen  sind,  und  dass  es  dann 
doch  V.  24  vorausgesetzt  wird!  Die  Gestalt  des  Melchisedek,  die 
Nöldeke  grossartig  erfunden  nennt,  ist  nur  grossartig,  wenn  man 
an  ihre  Romantik  glaubt;  aber  wenn  sie  erfunden  ist,  so  ist  sie 
tendenziös  erfunden.  Mit  anderen  Worten:  mit  dem  Uralter  fällt 
auch  der  Zauber  der  Erzählung.  Die  Juden  konnten  auch  in 
später  Zeit  schön  erzählen,  allerdings  nicht  im  Stil  des  Jehovisten, 
aber  weit  effektvoller,  wie  Dan.  5  zeigt.  Allein  Gen.  14  ist  kein 
Beweis  dafür. 


314  Nachträge. 


Gen.  34. 


Eine  Reihe  meiner  Analysen  hat  Kiienen  einer  sehr  frucht- 
baren Kritik  unterzogen,  in  den  Bijdragen  tot  de  critiek  van  Penta- 
teuch  en  Joziia,  welche  in  der  Leidener  Theol.  Tijdschrift^)  ver- 
öffentlicht sind.  Er  hat  vorzugsweise  gewisse  Erzählungen  auf  das 
Korn  genommen,  in  denen  ein  mir  unklar  gebliebenes  weder  zu 
JE  noch  zu  Q  gehöriges  Element  vorkommt.  Ei'  weist  dies  Element 
„der  —  noch  nach  der  Vereinigung  von  JE  --}-  D  -f-  Q  —  fortge- 
setzten Diaskeuase"  zu,  die  sich  im  allgemeinen  in  den  Gleisen 
von  Q  hält,  jedoch  auch  die  differirenden  Yorstellmigen  und  Aus- 
drücke von  JE  -|-  D  kennt  und  gelegentlich  einmischt,  die  den  be- 
stehenden Zusammenhang,  Mielchen  sie  voraussetzt,  manchmal  nur 
retouchirt,  manchmal  gänzlich  umarbeitet,  manchmal  durch  grössere 
Einsätze  eigener  Erfindung  ergänzt  —  genau  so  wie  es  die  Chronik 
mit  den  älteren  geschichtlichen  Büchern  macht.  „Dass  diese  Aus- 
kunft an  sich  annehmlich  ist  —  sagt  Kuenen  — ,  wird  am  wenigsten 
Wellhausen  leugnen,  der  uns,  besonders  im  letzten  Teil  seiner  Ab- 
handlung^), so  deutlich  gezeigt  hat,  dass  manche  Perikope,  die  wir 
zu  Q  zu  rechnen  pflegten,  als  spätere  Erweiterung  dieses  Buches 
betrachtet  werden  muss." 

Ich  bin  von  der  Textkritik  auf  die  literarische  Kritik  geführt 
worden,  weil  sich  ergab,  dass  manchmal  die  Grenze  nicht  zu  finden 
Avar,  wo  die  Arbeit  des  Glossators  aufhörte  und  die  des  Literators 
anfing.  Ich  bin  dadurch  früh  mistrauisch  geworden  gegen  die 
Manier,  die  hebräischen  Geschichtsbücher  als  reines  Mosaik  zu  be- 
trachten,  und   habe    diesem  Mistrauen    schon   in   der  Vorrede  zu 


1.     De  aanwijzing  der  Yrijsteden  in  Joz.  20  1877  p.  467. 


9 


De  stam  Manasse  1877  p.  478. 

3.  De  uitzending  der  verspieders  in  Num.  13  s.  1877  p.  545. 

4.  De  opstand  van  Korach  Dathan  en  Abiram  1878  p.  139. 

5.  De  godsdienstige  Yergadering  bij  Ebal  en  Gerizim  1878  p.  297. 

6.  Dina  en  Sichern  (Gen.  34)  1880  p.  257. 

7.  Manna  en  Kwakkelen  (Exod.  16)  1880  p.  281. 

8.  Israel  bij  den  Sinai  1881  p.  164. 

9.  De  geboortegeschiedenis  van  Gen.  1 — 9  3  884  p.  121. 
10.    Bileam  1884  p.  497. 

2)  S.  oben  p.  134  ss. 


Gen.  34.  315 

dem  Text  der  Bücher  Samuelis  Ausdruck  gegeben').  Bei  der 
Untersuchung  der  Komposition  des  Hexateuchs  hat  sich  mir  dann 
herausgestellt,  dass  hier  allerdings  di-ei  selbständige^)  Erzählungs- 
fäden fortlaufen,  dass  aber  diese  grossen  Zusammenhänge  nicht  bloss 
zugeschnitten  und  leicht  vernäht,  sondern,  vor,  bei,  und  nach  ihrer 
(nicht  zugleich  erfolgten)  Vereinigung  erheblich  vermehrt  und  über- 
arbeitet worden  sind,  dass  mit  anderen  Worten  der  literarische 
Prozess,  wodurch  der  Hexateuch  entstanden  ist,  sehr  komplizirt  ge- 
wesen ist,  und  dass  die  sogenannte  Ergänzungshypothese,  in  einem 
anderen  Sinne,  als  wie  sie  ursprünglich  aufgestellt  ist,  in  der  Tat 
ihre  Anwendung  findet ''').  Jedoch  das  letzte  Sediment,  welches 
sich  über  das  ganze  Geschiebe  oberflächlich  lagert,  habe  ich, 
wenigstens  in  den  erzählenden  Partieen,  nicht  gehörig  gewürdigt, 
namentlich  da  nicht,  wo  es  auffallend  stark  hervortritt.  Hier  hat 
mich  Kuenen,  wie  ich  bereits  an  anderer  Stelle  dankbar  gesagt 
habe,  befreit  von  hangen  gebliebenen  Resten  des  alten  Sauerteiges 
der  mechanischen  Quellenscheidung.  Dieser  Anerkennung  tut  es 
keinen  Abbruch,  dass  ich  in  der  Bestimmung  des  ümfanges  des 
Eingreifens  der  spätesten  Diaskeue  nicht  immer  mit  ihm  einver- 
standen bin. 

Was  Gen.  34  betrifft,    so  schliesst  sich  Kuenen  (a.   0.   1880 
p.   257  SS.)  meiner  Analyse  im  Wesentlichen  an    und  rechtfertigt 


^)  „Auf  eine  so  mechanische  Weise,  wie  man  es  sich  jetzt  im  Gegensatz 
zn  Ewald  gewöhnlich  vorstellt,  sind  überhaupt  die  geschichtlichen  Bücher  des 
Alten  Testaments  nicht  entstanden.  Auch  im  Pentateuch  sind  nicht  zwei  oder 
mehrere  grosse  geschichtliche  Zusammenhänge,  die  den  selben  Gegenstand 
haben,  ursprünglich  unabhängig  von  einander  geschrieben,  so  dass  der  spätere 
von  dem  früheren  keine  Notiz  nimmt.  Vielmehr  an  einen  Kern,  in  welchem 
zum  ersten  male  die  bis  dahin  vereinzelten  Geschichten  an  einander  gefügt 
wurden,  setzten  sich  teils  kleinere  Stücke  an,  teils  wurde  das  Ganze  im 
Zusammenhange  neu  bearbeitet,  vielleicht  so,  dass  es  selbst  seinem  wesent- 
lichen Inhalte  nach  der  neuen  Bearbeitung  von  Anfang  an  einverleibt  blieb, 
oder  so,  dass  nur  die  Grundlinien  seines  Planes  für  diese  massgebend  waren, 
wodurch  es  einem  späteren  Redaktor  möglich  wurde,  Altes  und  Neues  zu  kom- 
biniren." 

2)  Selbständig  durchaus  nicht  in  dem  Sinne,  dass  sie  unabhängig  von 
einander  entstanden  sind,  sondern  nur  in  dem  Sinne,  dass  sie  für  sich  einen 
vollständigen  Zusammenhang  darstellen,  für  sich  verstanden  werden  können 
und  müssen. 

3)  S.  oben  p.  9  s.  203.  p.  135.  181s.  184  ss,  und  vgl.  Prolegomena  1895 
p.  229,  299  s.  364—8. 


316  Nachträge. 

die  Gesiclitsp unkte  derselben  gegen  Dillmann ').  Die  Bruchstücke 
weist  auch  er  zu  J,  den  dominirenden  Zusammenhang  (=  X)  aber, 
mit  dem  ich  nicht  recht  hin  wusste,  setzt  er  ganz  auf  Rechnung 
eines  sehr  späten  Diaskeuasten,  der  an  der  Erzählung  von  J  An- 
stoss  nahm  und  sie  von  seinen  korrekten  Anschauungen  aus  gänz- 
lich umgestaltete,  aber  dabei  einige  Brocken  unverdaut  lassen  musste. 
Er  argumentirt  so: 

1.  Die  Sprache  von  X  ist  mit  der  von  Q  sehr  nahe  ver- 
wandt, die  Geistesart  doch  wieder  nicht  identisch;  man  erkennt 
also  in  dem  Schreiben  einen  im  Stile  von  Q  arbeitenden  Epigonen. 
2.  X  gehört  zu  keiner  der  fortlaufenden  Quellenschriften,  in- 
sonderheit nicht  zu  E;  denn  35,  5  ist  Glosse,  und  48,  22  beweist 
nichts.  3.  Spuren  einer  Redaktion  von  dritter  Hand,  welche  J 
mit  X  verband,  sind  nicht  vorhanden;  der  Verfasser  von  X  selber 
ist  zugleich  auch  der  Redaktor.  Die  Teile  von  J,  welche  er,  als 
zur  Festhaltung  der  Identität  der  Geschichte  unentbehrlich,  auf- 
nahm, können  nicht  melii'  herausgenommen  werden,  ohne  dass  in 
X  etwas  fehlt. 

Über  das  innere  Verhältnis  der  beiden  Relationen  lässt  sich 
Kuenen  folgendermassen  aus.  J  hat  wegen  seiner  Übereinkunft 
mit  Gen.  49,  5 — 7  (nur  Simeon  und  Levi  verantwortlich  für  den 
Frevel)  das  Präjudiz  höheren  Alters  für  sich;  X  ist  eine  Korrektur 
von  J.  Als  Inhalt  von  J  lässt  sich  aus  den  Fragmenten  erschliessen : 
Jakob  und  seine  Söhne  beruhigen  sich  über  die  Missetat  gegen 
Dina,  sie  legen  Sichem  eine  schwere  Busse  (aber  nicht  die  Be- 
schneidung!) auf  und  geben  ihre  Zustimmung  zu  seiner  Ehe  mit 
Dina;  Simeon  und  Levi  ermorden  Sichem  verräterisch  und  erregen 
dadurch  den  heftigen  Zorn  ihres  Vaters.  An  diesem  Berichte  nahm 
der  Verfasser  von  X  Anstoss.  Wie?  Der  Stammvater  von  Israel 
und  die  Mehrheit  seiner  Söhne  sollten  die  Ehre  von  Israels  Tochter 
ungerächt  gelassen,  in  ihre  Heirat  mit  einem  Kanaaniter  gewilligt, 
und  über  den  nationalen  Eifer  von  Simeon  und  Levi  sich  entrüstet 
haben?  LTnbedenklich  nahm  er  für  die  beiden  Eiferer  Partei,  zumal 
einer  von  ihnen  Levi  war.  Aber  dadurch  war  das  Ärgernis  nicht 
beseitigt.     Dazu  gehörte  eine  radikale  Umgestaltung  des  alten  Be- 


^)  Genesis,  3.  Aufl.  1875.  In  der  4.  Auflage  1882  verändert  Dillmann 
seine  Position  wesentlich  und  fährt  dann  fort:  „gegen  das  Ergebnis  erheben 
Wellhausen  und  Kuenen  Einsprache".  Auf  solche  Weise  ist  es  leicht,  Recht 
zu  behalten. 


Gen.  34.  317 

richts,  und  zwar  gerade  eine  solche,  wie  sie  jetzt  in  Gen.  34  vor- 
liegt. Denn  darin  stellen  die  Söhne  Jakobs  die  gesetzmässige  Be- 
dingung, unter  der  man  in  der  Theorie  die  Proselyten  zuliess:  keine 
Heiratsgemeinschaft  als  mit  Beschnittenen.  Aber  der  Vollzug  dieser 
Bedingung  ist  ihnen  noch  keine  Sühne  für  die  geschändete  Ehre 
Israels,  sie  legen  es  von  vorn  herein  auf  das  A^erderben  des  Ver- 
führers und  seines  Geschlechtes  an  und  benutzen  die  Beschneidung 
zugleich  zu  diesem  Zwecke.  Bezeichnend  ist  der  öfters  wiederholte 
Ausdruck  ^ü\2,  der  nicht  bloss  entehren,  sondern  besudeln 
heisst  und  auf  eine  ganz  bestimmte,  in  und  nach  dem  Exil  herrschende 
Anschauungsweise  leitet. 

Ich  kaim  mich  dieser  einfachen  Lösung  nicht  ganz  anschliessen. 
Zu  dem  ersten  Punkt  der  Beweisfülu'ung  habe  ich  zwar  nichts  zu 
erinnern,  als  dass  durch  die  nahe  Verwandschaft  zwischen  X  und 
Q  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen  wird,  dass  in  X  eine  ältere 
Quelle  (neben  J)  zu  Grunde  liegt,  die  später  in  der  Manier  des 
Priestercodex  überarbeitet  wurde.  Geo-en  die  beiden  übrio-en  Punkte 
aber  habe  ich  Einwendungen  zu  machen. 

Daraus  dass  in  Gen.  35,  1 — 4  von  gefährdeter  Lage  Jakobs 
nichts  zu  merken  ist  und  erst  in  v.  5  erklärt  wird,  weshalb  er  sich 
nicht  zu  füixhten  braucht,  zu  schliessen,  dass  35,  5  Glosse  sei,  ist 
gewagt.  Folgerichtig  müsste  dann  auch  Gen.  37,  13.  14  gestrichen 
werden,  wo  die  Söhne  Jakobs  friedlich  als  sei  nichts  geschehen  bei 
Sichem  weiden:  denn  ob  etwas  längere  oder  kürzere  Zeit  seit  dem 
Frevel  vergangen  ist,  macht  füi'  die  Rache  nichts  aus.  Übrigens 
steckt  nicht  bloss  in  35,  5  eine  Rückbeziehung,  sondern  auch  in 
33,  18 — 20  —  wie  mir  scheint  —  eine  Vorbeziehung  aus  E  auf 
Gen.  34'). 


1)  Ich  habe  (oben  p.  48)  33,  19  wegen  seines  Widersprachs  mit  48,  22  E 
abgesprochen,  jedoch  mit  Unrecht,  wie  Jos.  24,  32  beweist.  Mit  Recht  aber 
habe  ich  33,  18  nach  Abzug  der  Worte  „als  er  von  Paddan  Aram  kam"  zu 
E  gerechnet.  Man  darf  nicht  ohne  Not  einen  geschlossenen  sachlichen  Zu- 
sammenhang zerreissen;  stammt  v.  19  s.  aus  E,  so  muss  man  auch  die  unent- 
behrliche Prämisse  v.  18  für  E  festzuhalten  suchen.  Es  ist  ja  auch  gar  nicht 
die  Art  von  Q,  so  zu  lokalisiren  wie  es  33,  18  geschieht:  vgl.  37,  1.  Also 
33,  18—20  ist  ganz  aus  E.  Nun  lässt  sich  ch'sl/  v.  18  nicht  verstehn;  denn 
„Jakob  kam  wolbehalten  nach  der  Stadt  Sichems"  ist  eine  unmögliche  Über- 
setzung. Es  ist  D'DW  zu  lesen:  Jakob  kam  nach  Sichem,  der  Stadt  des  Sichem. 
Diese  auffallende  Hervorhebung  der  Person  des  Sichem  (auch  in  v.  19  DDl^^^N) 


318  Nachträge. 

Der  Art,  wie  Kuenen  die  Aussage  Gen.  48,  22  durch  die 
widersprechende  33,  19  zu  paralysiren  sucht,  kann  ich  ebenfalls 
keinen  Beifall  schenken.  Richtig  ist,  dass  der  Verfasser  von  Jos.  24,  32 
beide  Aussagen  in  der  selben  Quelle  vorgefunden  und  geglaubt  hat, 
sie  reimen  zu  können.  Aber  wegen  Jos.  24,  32  anzunehmen,  dass 
in  Gen.  48,  12  ursprünglich  von  gewaltsamer  Eroberung  Sichems 
nichts  berichtet  gewesen  sei,  ist  ein  verzweifelter  Schritt;  weit 
wahrscheinlicher  ist  es,  dass  der  Verfasser  von  Jos.  24  das  ''^'nn:i 
''nirp:n  (48,  22)  nicht  berücksichtigt  hat,  weil  es  mit  33,  19  nicht 
zu  stimmen  schien^).  Nun  passt  freilich,  auch  wenn  man  an  dem 
Wortlaute  nichts  ändert,  trotzdem  Gen.  48,  22  formell  —  ganz 
abgesehen  von  i^lDJ^n  und  licn  ""^D.  —  nicht  gut  zu  Kap.  34. 
Auf  Grund  dessen,  dass  alle  seine  Söhne  gemeinschaftlich  Sichem 
überfallen  haben,  kann  Jakob  unmöglich  behaupten,  er  habe  die 
Stadt  mit  Gewalt  in  Besitz  genommen  und  dadurch  das  Recht 
gewonnen,  über  sie  zu  gunsten  eines  seiner  Söhne  mit  Ausschluss 
der  übrigen  zu  verfügen.  Aber  wenngleich  Gen.  48,  22  keine 
formelle  Beziehung  auf  Kap.  34  hat,  so  reicht  der  Vers  doch  aus, 
zu  beweisen,  dass  es  eine  alte  Version  gab,  nach  welcher  Israel 
Sichern  erobert  hatte,  nicht  Simeon  und  Levi. 

Am  allerwenigsten  gelungen  scheint  mii'  aber  der  dritte  Punkt 
von  Kuenens  Argumentation.  Er  wirft  die  Frage  auf,  wie  der  Ver- 
fasser von  X  in  v.  27  von  „den  Erschlagenen"  reden  könne,  wemi 
nicht  mit  Rücksicht  auf  die  Fragmente  von  J  in  v.  25.  26,  welche 
er  also  vorausgesetzt  und  in  seine  eigene  Erzählung  aufgenommen 
habe.  Es  ist  allerdings  klar,  dass  in  v.  27  etwas  Ahnliches  wie 
V.  25  s.  vorausgesetzt  wird,  aber  ebenso  klar,  dass  v.  27  nicht  von 
jemand  geschrieben  ist,  welcher  v.  25  s.  fortsetzen  wollte.  Denn 
der  hätte  in  v.  27  gesagt:  die  übrigen  Söhne  Jakobs,  und  in 
V.  25  s.  hätte  er  nicht  die  widersprechenden  Angaben  ^)  in  die 
Fragmente  von  J  hineingebracht.  Von  dieser  Evidenz  ist  ja  die 
ganze  Kritik  von  Gen.  34  ausgegangen.     Der  vollkommen  abrupte 


^)  Der  Verfasser  von  E  wird  die  Objekte  in  33,  19  und  48,  22  als  ver- 
schieden angesehen  haben,  als  handle  es  sich  dort  nur  um  das  Temenos,  hier 
um  die  ganze  Stadt  und  ihr  Gebiet.  Ursprünglich  sind  es  natürlich  sich  aus- 
schliessende  Varianten  der  selben  Sage;  48,  22  hat  einen  dichterischen  Anflug, 
ist  schwerlich  von  E  verfasst,  sondern  nur  aufgenommen. 

-)  Richtig  ist  nur  Kuenens  Bemerkung,  dass  v.  27  auch  an  diese  wider- 
sprechenden Angaben  in  v.  25  s.  keinen  vollständigen  Anschluss  hat. 


Gen.  34.  319 

Einsatz  von  v.  27  spricht  auf  das  stärkste  gegen  Kuenens  Meinung. 
Überhaupt  ist  es  nicht  zu  begreifen,  warum  die  von  Kuenen  her- 
vorgehobene mangelhafte  Redaktion  von  Gen.  34  beweisen  soll, 
dass  nicht  ein  Dritter  die  Hand  im  Spiel  gehabt,  sondern  der 
zweite  Erzähler  selber  die  Sache  besorgt  habe.  Der  hätte  ja,  nach 
Kuenen,  so  frei  wie  möglich  mit  dem  Stoffe  geschaltet,  also  auch 
kein  Bedenken  getragen,  alle  Anstösse,  Brüche  und  Unebenheiten 
zu  beseitigen  und  auszugleichen.  Wenn  dagegen  harte  Übergänge 
und  schlecht  verdeckte  Fugen  vorkommen,  so  weist  eben  das  auf 
einen  Dritten,  der  an  gegebene  Stoffe  gebunden  war  und  darum 
ungeschickt,  weil  zaghaft,  redigiren  musste. 

Was  endlich  Kuenens  Yorstellunsj  über  das  innere  Verhältnis 
der  beiden  Relationen  betrifft,  so  bestreite  ich  ilu-e  Möglichkeit  nicht, 
finde  sie  aber  nicht  evident.  Yon  der  Tendenz  aus,  die  Kuenen 
dem  Verfasser  von  X  zusclu'eibt,  konnte  dieser  allerdings  in  das 
Yerdammungsurteil  über  Simeon  und  Levi  nicht  einstimmen,  brauchte 
aber  gar  nicht  alle  Sölme  Jakobs  an  ihi'e  Stelle  zu  setzen.  Es 
hätte  ihm  sogar  näher  gelegen,  Levi  allein  das  Verdienst  des  Eiferns 
zuzusclu'eiben  (Exod.  32.  Num.  25). 

Nach  alle  dem  komme  ich  jetzt  zu  folgendem  Scliluss.  Mit 
der  Annahme  einer  starken  Überarbeitung  von  Gen.  34  durch  einen 
Epigonen  hat  Kuenen  Recht.  Aber  der  Überarbeiter  fand  schon 
eine  durch  einen  früheren  Redaktor  aus  zwei  verschiedenen  Ele- 
menten zusammengesetzte  Erzähluno;  vor.  Ausser  den  bereits  an- 
gefühlten  Gründen  spricht  dafür  auch  die  in  v.  13  s.  eingeschobene 
Parenthese  Dnn.X  riji"!  P^  ^ü^  ^\l/^  nD-T"!,  welche  jedenfalls  dem 
Diaskeuasten,  aber  keinenfalls  dem  Verfasser  von  v.  13  s.  angehört'). 
Die  beiden  Quellen  sind  J  und  E.  Der  Kern  ihrer  Differenz  liegt 
lediglich  darin,  dass  E  Gesamtisrael  an  Stelle  von  Simeon  und 
Levi  treten  lässt.  Davon  hängt  es  ab,  dass  die  Bedingung  der  Be- 
schneidung hier  von  Anfang  an  in  verräterischer  Absicht  gestellt 
wird;  denn  die  gute  Treue  von  Gesamtisrael  in  dem  Verfahren 
gegen  Sichem  lässt  sich  nur  wahren,  wenn  Simeon  und  Levi  allein 
den  Vertraojsbruch  beo-ehn.     Wenn  dem  nun  aber  so  ist,  so  ist  die 


1)  „Und  die  Söhne  Jakobs  antworteten  dem  Sichem  und  seinem  Vater 
Hamor  mit  Trug  —  sie  meinten  nämlich,  er  habe  ja  ihre  Schwester  Dina  be- 
sudelt —  und  sagten  zu  ihm."  Die  Parenthese  soll  riD'HD^.  rechtfertigen; 
unter  solchen  Umständen  war,  ebenso  wie  im  Kriege,  Trug  erlaubt. 


320  Nachträge. 

Beschneidung  für  E  eigentlich  unbequem.  Sie  hat  hier  nur  als 
Mittel  des  Truges  eine  Stelle:  das  kann  nicht  das  Ursprüngliche 
sein.  Vielmehr  wird  es  wahrscheinlich,  dass  E  die  Beschneidung 
aus  J  nolens  volens  herübernahm,  und  dass  sie  in  J  ihre  ursprüng- 
liche Stelle  hatte,  wo  sie  bona  fide  dem  Sichem  auferlegt  werden 
konnte.  Allerdings  birgt  diese  Annahme  grosse  Schwierigkeiten, 
die  mich  früher  bewogen  haben,  sie  völlig  von  der  Hand  zu  weisen  ^). 
Aber  man  muss  bedenken,  dass  die  Forderung,  die  nach  meiner 
Meinung  in  J  gestellt  war,  nicht  die  allgemeine  Kinderbeschneidung 
ist,  sondern  die  Beschneidung  des  Bräutigams  vor  der  Hochzeit,  in 
einem  ganz  bestimmten  einzelnen  Falle.  Das  verträgt  sich  mit 
Exod.  4,  25  s.  und  stimmt  zu  der  Art  von  J,  solche  alten  Sitten 
gelegentlich  auf  ungezwungene  Weise  einzuführen. 

Man  hat  Gen.  34  mit  Judic.  9  in  Verbindung  bringen  wollen, 
wo  die  Vorgänge  erzählt  werden,  in  Folge  deren  Sichem  als  kanaani- 
tische  Stadt  zerstört  und  definitiv  für  Israel  gewonnen  wurde.  Für 
die  ältere  Version,  die  von  J,  die  durch  Gen.  49,  5 — 7  beglaubigt 
wird,  ist  dies  nun  jedenfalls  nicht  möglich.  Denn  hier  lässt  sich  etwa 
folgender  historischer  Hintergrund  erkennen.  Simeon  und  Levi 
haben  sich  auf  dem  Gebirge  Ephraim  eingenistet.  Eins  ihrer  Ge- 
schlechter, Dina  bat  Lea,  hat  in  der  Stadt  Sichem  Aufnahme  ge- 
funden und  steht  in  Gefahr,  sich  unter  den  Kanaanitern  aufzulösen ; 
es  ist  also  bereits  ein  friedliches  Verhältnis  zwischen  den  alten 
Landeskindern  und  den  neuen  Ankömmlingen  angebahnt.  Darauf 
aber  brechen  die  beiden  Brüder  den  Frieden,  indem  sie,  wol  im 
Einverständnis  mit  „ihrer  Schwester"  Dina  die  Sichemiten  über- 
fallen und  ein  Blutbad  unter  ihnen  anrichten.  Es  bekommt  ihnen 
schlecht.  Die  Kanaaniter  der  Umgegend  vereinigen  sich  gegen  sie 
und  reiben  sie  völlig  auf.  An  der  Glaub^\ürdigkeit  dieser  allerdings 
etwas  dunklen  Naclnichten  ist  kein  Zweifel;  nur  so  lässt  sich  be- 
greifen, warum  Simeon  und  Levi,  die  ursprünglich  ebenbüi'tig  mit 
Rüben  und  Juda  in  die  Geschichte  Israels  eingetreten  sind,  schon 
in  der  frühesten  Richterzeit  als  selbständige  Stämme  verschwunden 
sind.  Aber  est  ist  klar,  dass  dieser  verunglückte  Überfall  Sichems 
durch  Simeon  und  Levi  mit  der  Zerstörung  der  Stadt  durch  den 
Manassiten  Abimelech  ben  Jerubbaal  auch  nicht  das  geringste  gemein 


^)  Oben  p.  47:  „was  dem  Sichem   in  J   als  Kaufpreis    auferlegt   wird,   ist 
nicht  zu  ermitteln,  jedenfalls  nicht  die  Beschneidung". 


Gen.  34.  321 

hat.  Freilich  kann  das  verhängnisvolle  Ereignis  auch  nicht  als  vor- 
mosaisch angesehen  werden.  Es  muss  in  die  sogenannte  Richter- 
periode fallen,  jedoch  in  die  Zeit  vor  der  Eroberung  des  Landes 
Ephraim  durch  Joseph,  da  es  sonst  nicht  zu  verstehn  wäre,  wie  die 
beiden  Leastämme  überhaupt  in  jener  Gegend  hätten  Platz  greifen 
können. 

Nun  wissen  wir  aus  Jud.  1,  dass  die  Einwanderung  der 
israelitischen  Stämme  von  den  Arboth  Moab  in  das  Westjordanland 
in  zwei  Absätzen  erfolgt  ist.  Gemeiniglich  ist  nur  von  der  zweiten 
Einwanderung  die  Rede,  die  unter  der  Führung  des  Stammes  Joseph 
statt  fand  und  vollständigen  Erfolg  hatte ;  sie  wird  im  Buche  Josua 
als  Unternehmen  Gesamtisraels  vorgestellt.  Aber  schon  vorher 
hatte  eine  Einwanderung  statt  gefunden:  vor  Joseph  ging  Juda 
über  den  Jordan  und  stritt  wider  die  Kanaaniter.  Mit  Juda  sind 
ohne  Zweifel  auch  Simeon  und  Levi  gezogen;  natüidich  braucht 
man  sich  die  Gemeinschaft  der  drei  von  Rüben  sich  losreissenden 
Brüder  nicht  so  eng  zu  denken,  dass  nicht  trotzdem  jeder  die  volle 
Freiheit  der  Aktion  sich  bewahrt  hätte.  Dass  Simeon  sich  Juda 
anschloss,  wird  ausdrücklich  berichtet.  Von  Levi  mrd  nichts  ge- 
sagt, er  ist  aber  durch  sein  Schicksal  bei  der  Niederlassung  unauf- 
löslich an  Simeon  gebunden.  Dass  der  Berichterstatter  von  Jud.  I 
über  ihn  schweigt,  ist  nicht  zu  verwundern,  da  es  den  Späteren 
schwer  fiel,  sich  ihn  als  einen  Stamm  wie  die  anderen  Stämme 
vorzustellen. 

Mit  diesem  Zuge,  an  den  sich  in  Jud.  1  nur  eine  ganz  schwache 
Erinnerung  erhalten  hat,  muss  man  die  ältere  Version  von  Gen.  34. 
49,  5 — 7  kombiniren.  Er  fiel  unglücklich  aus.  Simeon  und  Levi 
konnten  sich  nicht  im  Lande  Epln^aim  behaupten  und  wurden  sogar 
gänzlich  zertrümmert.  Aber  auch  Juda  scheint  von  schweren 
Schlägen  betroffen  und  der  Vernichtung  nahe  gebracht  zu  sein.  A^on 
seinen  drei  alten  Zweigen,  Er  Onan  und  Schela,  blieb  nur  einer 
übrig;  und  erst  durch  den  Zutritt  fremder  Elemente  kam  der  Stamm 
wieder  zu  Kräften,  durch  das  frische  Blut,  welches  ihm  die  Kainiter 
des  Negeb  zuführten. 

Dagegen  wäre  es  nicht  unmöglich,  in  der  jüngeren  Version, 
von  Gen.  34  (E)  einen  Nachhall  von  Jud.  9  zu  erkennen.  Dadurch, 
dass  in  beiden  Relationen  der  Anlass,  die  Schändimg  der  Dina, 
der  gleiche  ist,  scheint  es  allerdings  formell  ausgeschlossen  zu 
werden,  dass  sie  sich  auf  verschiedene  Ereignisse  beziehen.     Trotzdem 

Wellhausen,    Comp.    d.    Hexateuchs.    3.   Aufl.  21 


322  Nachträge. 

aber  könnte  eine  Art  Contamination  stattgefunden  haben  und  eine 
Einwirkung  der  definitiven  Eroberung  Sicliems  (Jud.  9)  auf  den 
Bericht  von  E  angenommen  werden. 

Gen.  35. 

In  den  drei  ersten  Auflagen  der  Prolegomena  habe  ich  mit 
Unrecht  35,  16a.  19  zu  Q  gewiesen,  in  Rücksicht  auf  48,  7.  Aber 
48,  7  wäre  gar  nicht  nötig  gewesen,  wenn  die  Sache  an  richtiger 
Stelle  in  Q  wäre  erzählt  worden.  Jakob  muss  sie  an  ungeschickter 
Stelle  nachtragen. 

Auch  35,  14  kann  nicht  zu  Q  gerechnet  werden.  Nämlich 
wenn  der  Vers  zu  Q  gehörte,  so  wäre  das  ein  schwerer  Anstoss  für 
die  Pentateuchkritik.  Der  Verfasser  von  Q  müsste  sich  einmal  völlig 
selber  vergessen  haben  —  was  ihm  nicht  zuzutrauen  ist.  Nun  konnte 
der  Passus  IHX  "ID."!  "ll^N*  Dlp-^n,  welcher  den  Grund  abgibt,  um 
V.  14  zu  Q  zu  rechnen,  leicht  aus  der  Umgebung  eindringen  oder 
eingesetzt  werden,  da  er  in  v.  13  und  v.  15  noch  einmal  vorkommt. 
Streicht  man  ihn,  so  steht  nichts  im  Wege,  v.  14  entweder  als 
ein  Fragment  aus  J  oder  als  Original  von  n^lD  Dli'  ):i''l  (E)  v.  7 
anzusehen,  welche  letzteren  Worte  dann  spätere  Korrektur  wären. 

Gen.  49. 
„Die  Zeit  von  Gen.  49  ergibt  sich  aus  dem  Spruche  über  Juda 
und  Joseph.  Auf  Juda  geht  das  von  Rüben,  Simeon  und  Levi  ver- 
wirkte Recht  der  Erstgeburt  über.  Er  soll  der  Herrscher  über  seine 
Brüder  sein,  dem  sie  huldigen,  ein  vorzugsweise  kriegerischer  Stamm, 
der  seine  Faust  den  Feinden  in  den  Nacken  schlägt  und  sich  mit 
der  Beute  in  seine  Berge  zurückzieht,  wie  ein  Löwe,  der  vom  Raube 
heimgekehrt  nun  unnahbar  und  trotzig  in  seiner  Felsenfeste  lagert 
(v.  8  s.).  In  V.  10  wird  die  Hoffnung  ausgesprochen,  es  werde  das 
Scepter  von  Juda  nicht  aufhören,  noch  ein  Befehlshaber  aus  seinem 
Samen,  bis  dass  der  komme,  dem  der  Gehorsam  der  Völker  ge- 
bühre, d.  h.  der  Messias:  nb''l^  als  Ort  aufgefasst  ergibt  Wider- 
sinn, man  lese  rh''2^  nach  Ezech.  21,  32  und  tilge  ibv  Da  v.  11 
über  V.  10  hinweg  an  v.  9  anknüpft,  so  wird  allerdings  v.  10 
später  eingesetzt  sein;  aber  auch  abgesehen  davon  hängt  die  Be- 
deutung, welche  Juda  hier  hat,  ganz  und  gar  und  lediglich  von 
Da^dd  ab.   —   Joseph   heisst   49,  26    der   Gekrönte    seiner    Brüder 


Gen.  49.  323 

natürlich  weil  an  ihm  das  Königtum  über  Nordisrael  haftet.  Die 
Pfeilschützen,  die  ihn  arg  bedrängen,  aber  nicht  ihn  zu  überwältigen 
vermögen,  können  nur  die  Aramäer  von  Damaskus  sein,  deren  An- 
griffen er  ein  Jahrhundert  lang  ausgesetzt  war." 

So  lautet  eine  in  den  späteren  Ausgaben  der  Prolegomena  nicht 
wiederholte  Anmerkung  in  der  Geschichte  Israels  I  p.  375,  die  zur 
Begründung  der  Behauptung  dient,  dass  erst  mit  dem  Königtum 
Israel  zu  sich  selber  kommt,  dass  auch  das  geteilte  Königtum  noch 
nicht  den  Verfall  bedeutet,  und  dass  eben  aus  dieser  Zeit  die 
Literatur  stammt,  in  der  das  Volk  sein  eigenes  Bild  auf  weite  Ferne 
abspiegelt.  Ich  füge  einige  Erläuterungen  hinzu  und  beginne  mit 
V.  10.  Silo  als  Ortsname  ist  im  Zusammenhange  nicht  zu  gebrauchen, 
mag  man  nun  die  unmögliche  Übersetzung  „so  lange  man  kommt 
nach  Silo"  oder  die  mögliche  „bis  er  kommt  nach  Silo"  vorziehen. 
Denn  Silo  war  der  heilige  Mittelpunkt  Josephs  in  der  Richterzeit, 
der  Stamm  Juda  wurde  in  dieser  Zeit  kaum  mitgerechnet  in  Israel, 
geschweige  dass  er  die  Fülu-erschaft  gehabt  hätte,  „so  lange  man 
Jahve  in  Silo  verehrte",  oder  gar  „bis  er  nach  Niederwerfung  der 
Kanaaniter  triumphirend  in  Silo  einzog".  Juda  ist  erst  in  die 
israelitische  Geschichte  eingetreten,  als  Silo  längst  zerstört  und  be- 
deutungslos war.  Aber  nicht  bloss  dieser,  sondern  jeder  geschicht- 
liche Termin  passt  nicht  hierher.  Es  muss  ein  idealer  Termin  ge- 
stellt sein:  bis  der  Messias  kommt.  Mit  Recht  hat  so  die  gesamte 
alte  Exegese  verstanden;  vgl.  Credner,  Beiträge  II  p.  52  ss.  Die 
von  mir  vorgeschlagene  Emendation  flösst  mir  allerdings  selber  kein 
Vertrauen  mehr  ein.  Man  versteht  nicht,  warum  )b)  hinter  nb^ 
hätte  eingesetzt  sein  sollen;  eher  wäre  rÖV/  als  Glosse  zu  )b)  zu 
begreifen.  Aquila  übersetzt:  lo)?  av  IXötj  (Subjekt  =  der  unge- 
nannte Bekannte)  x«i  auxtp  Goazruia.  Xauiv  (Euseb.  dem.  ev.  p.  372). 
Aber  dass  er  rih\^  in  seinem  Texte  nicht  vorgefunden  haben  sollte, 
ist  auf  keine  Weise  denkbar. 

V.  10  bedeutet:  die  Herrschaft  Davids  bleibt  bestehn  (niD"'  N^), 
bis  sie  übergeht  in  die  des  Messias.  Nun  zieht  dieser  Vers  aller- 
dings nicht  für  das  Ganze;  er  gehört  nicht  in  diesen  Zusammen- 
hang, wenngleich  er  wegen  des  seltenen  nnp""  kaum  als  eine  ge- 
wöhnliche Interpolation  sich  betrachten  lässt.  Denn  nachdem  gesagt 
ist:  das  Scepter  wird  von  Juda  nicht  weichen,  bis  der  kommt,  dem 
die  Völker  gehorchen  —  erwartet  man  nicht  zu  hören:  er  bindet 
seinen  Esel  an    den  Weinstock;    noch    dazu    mit  Subjektswechsel. 

21* 


324  Nachträge. 

Aber  auch  wenn  man  von  v.  10  al:)sieht,  so  gelten  doch  die  Aus- 
sagen V.  8  und  9  nur  von  dem  durch  David  geschaffenen  Juda. 
Vor  David  war  Juda  nichts  weniger  als  der  siegreiche  Herrscher- 
stamm,  dem  seine  Brüder  huldigten,  vielmehr  ebenso  herunter- 
gekommen wie  Rüben,  Simeon  und  Levi.  Was  ist  überhaupt  Juda 
ohne  David! 

Wie  Juda  wird  auch  Joseph  mit  dem  Königtum  gesegnet;  er 
heisst  der  Gekrönte  unter  seinen  Brüdern.  Wir  befinden  uns  also 
in  der  Zeit  des  geteilten  Reiches.  In  diese  Zeit  werden  auch  die 
Kämpfe  v.  23  s.  fallen,  in  denen  Joseph  zwar  sehr  bedrängt  wird, 
aber  doch  tapfer  aushält.  Es  ist  ein  Verteidigungskrieg  —  an  die 
Eroberung  Kanaans  kann  man  somit  nicht  denken;  auch  nicht  an 
Jud.  5,  wo  Joseph  nur  mittelbar  beteiligt  ist.  Die  Lage  ist  kritisch 
—  die  Razzien  der  Midianiter,  denen  durch  Gideon  und  300  Mann 
ein  Ende  gemacht  wurde,  genügen  nicht  sie  zu  erklären.  Der  Aus- 
gang aber  ist  ehrenvoll  —  die  Feinde  sind  also  nicht  die  Philister, 
denen  Joseph  erlag.  Es  bleiben  nur  die  Aramäerkriege  übrig,  das 
Hauptereignis  in  der  Geschichte  des  Reiches  Israel.  Alle  Zeichen 
(auch  der  Pfeilkampf)  weisen  darauf  hin,  vgl.  Prolegomena*  p.  327. 
Dass  die  Ausleger  diese  Zeichen  nicht  erkannt  haben,  erklärt  sich 
bei  den  einen  aus  der  Schwäche  ihres  Glaubens  an  ferntreffende 
Weissagungen,  bei  den  anderen  aus  dem  Streben,  noch  immer 
zwischen  der  aufgegebenen  Tradition  und  den  inneren  Indicien  zu 
vermitteln,  statt  letztere  allein  entscheiden  zu  lassen. 

In  V.  22  wird  Joseph  n*1D  ]!!  genannt.  Die  Aussprache  phorat 
will  das  Wort  offenbar  der  Form  und  der  Bedeutung  von  phorijja 
annähern.  Aber  warum  ist  Joseph  bloss  ein  Zweig  des  Frucht- 
baums am  Quell  und  nicht  der  Fruchtbaum  selber?  Es  wird  füi'  n"l5 
die  Bedeutung  Fruchtland  gefordert.  Auszusprechen  aber  ist  es 
rrjö  =  ^"3?^*  ^  D^5^*•  Es  ist  eine  Anspielung  auf  den  alten 
Namen  des  fruchtbaren  Berglandes,  worin  Benjamin  und  Joseph 
wohnen  und  von  dem  der  Hauptteil  Josephs  sogar  seinen  Namen 
Ephraim  erhalten  hat.  Die  urspründliche  Identität  von  Ephrat  und 
Ephraim  erhellt  daraus,  dass  das  von  Ephraim  abgeleitete  Adjec- 
tivum  Ephrati  lautet. 

Zum  Schluss  mögen  noch  einige  charakteristische  Auslassungen 
Dillmanns  (Genesis^  p.  457.  464.  466)  angeführt  werden.  Er  wider- 
setzt sich  dem  Eindruck,  dass  in  v.  8 — 10  die  Grosstaten  Davids 
vorausgesetzt   werden.      „Von   einer  Herrschaft    Judas    über    seine 


Gen.  49.  325 

Brüder,  einer  Hegemonie  desselben  sagt  Yerf.  nichts;  dadurch  dass 
Mose  aus  Levi  und  Josua  aus  Ephraim  die  persönlichen  Häupter 
und  Führer  der  Gesamtgemeinde  waren,  wird  nicht  ausgeschlossen, 
dass  Juda  in  erster  Linie  im  Kampfe  stand;  die  ruhmvollen  Yor- 
kämpfe  Judas  in  den  Kriegen  um  den  Besitz  Kanaans  sind  keines- 
wegs das  einzige,  was  Verf.  an  Juda  preist,  sondern  nur  ein  ge- 
schichtlicher Beweis  für  die  sieghafte,  ihm  inne  wohnende  Löwen- 
kraft, um  deren  willen  ihn  seine  Brüder  loben  und  verehi-en  müssen. 
Auffallend  ist  nur  der  Anachronismus,  dass  Jakob  vom  Kommen 
nach  Silo  spricht,  überhaupt  die  Nennung  eines  Ortseigennamens 
in  diesen  sonst  allgemein  gehaltenen  Sprüchen."  Er  leugnet,  dass 
mit  V.  23  s.  auf  die  Aramäerkriege  Bezug  genommen  werde.  „Da 
namentlich  die  arabischen  Völker  berühmte  Bogenschützen  waren, 
so  denken  jetzt  die  Meisten  an  Befeindung  Eplu'aims  und  Manasses 
durch  arabische  Nachbarn  und  Eindringlinge,  sowie  diu'cli  Kanaanäer 
in  der  Richterzeit;  weniger  passend  an  die  Kriege  mit  anderen 
israelitischen  Stämmen,  die  vielmehr*  durch  Ephraims  Übermut  ver- 
anlasst waren.  Übrigens  setzt  die  Anknüpfung  an  v.  22  vielleicht 
Eifersucht  der  Feinde  voraus;  wenn  demnach  Alte  und  Neuere  an 
die  Gen.  37  ss.  erzählten  Befeindungen  Josephs  in  Kanaan  und 
Ägypten  dachten,  so  erlauben  freilich  die  gebrauchten  Auschiicke 
diese  Beziehungen  nicht,  aber  dennoch  könnten  in  einem  so  alten 
Texte  noch  Erinnerungen  an  alte  stammgeschichtliche  Feindschaften, 
von  welchen  die  Gen.  37  ss.  geschilderten  nur  die  jüngste  L^m- 
bildung  wären,  zu  Grunde  liegen.  Die  Deutung  auf  die  Kriege 
der  Syrer  ist  ebenso  willkürlich,  wie  sie  völlig  ausserhalb  des  Ge- 
sichtskreises dieses  alten  Gedichtes  liegt."  Er  will  nichts  davon 
wissen,  dass,  wenn  Joseph  der  Gekrönte  seiner  Brüder  heisse,  damit 
auf  das  Königtum  im  Josephstamme  angespielt  werde.  „Denn  das 
Königtum  Nordisraels  haftete  gar  nicht  am  Josephstamme,  wenn- 
gleich dieser  immer  der  wichtigste  Bestandteil  des  Nordreichs  war." 
Kurz,  Dillmann  leugnet  die  Tatsachen  und  stellt  dafür  alle 
beliebigen  Möglichkeiten  und  Unmöglichkeiten  zur  Wahl  —  weil 
er  Anachronismen  in  der  Genesis  auffallend  findet.  Über  dergleichen 
sollten  wir  hinaus  sein. 

Exod,  16. 
Kuenen,  Theol.   Tijdsclmft  1880  p.  281  ss.     Ebenso  wie  bei 
Gen.  34,  stimme  ich  auch  hier  Kuenen  darin  bei,  dass  eine  starke 


326  Nachträge. 

Überarbeitung  stattgefunden  hat,  gebe  aber  nicht  zu,  dass  dieselbe 
nur  einen  Bericht  von  Q  getroffen  hat,  und  dass  von  JE  in  Exod.  16 
keine  Spur  zu  finden  ist. 

1.  Kuenen  beginnt  damit,  Exod.  16  von  Num.  11  (JE)  los 
zu  haken:  Exod.  16  werde  in  Num.  11  nicht  vorausgesetzt,  sondern 
in  Num.  11  zum  ersten  male  nicht  bloss  von  den  Wachteln,  sondern 
auch  von  dem  Manna  erzählt.  Aber  die  Wachteln  sind  in  Num.  11 
eine  Ausnahme  von  der  Regel,  eine  Unterbrechung  in  dem  ewigen 
Einerlei  des  Manna ;  wenn  die  Pointe  nicht  verloren  gehn  soll,  so 
muss  also  über  das  Manna  längst  vorher  berichtet  sein.  Kuenen  be- 
hauptet nun  freilich,  das  Manna  als  das  tägliche  Brod  Israels  wähi*end 
der  Wüstenwanderung  könne  ohne  besonderen  Bericht  einfach  vor- 
ausgesetzt werden,  als  bekannt  aus  der  mündlichen  Überlieferung. 
Also  die  Hauptsache,  die  Regel,  soll  ausgelassen  und  bloss  eine 
vorübergehende  Ausnahme  erzählt  sein?  Wenn  der  Jehovist  es 
nicht  füi'  nötig  hielt,  dem  Manna  einen  besonderen  Bericht  zu 
widmen,  so  hätte  er  überhaupt  nicht  zu  schi*eiben  brauchen,  sondern 
alles  der  mündlichen  Überlieferung  überlassen  können  ^).  Dass  die 
ausführliche  Beschreibung  des  Mannas  Num.  11,  7 — 9  nur  am 
Platze  ist,  wenn  zum  ersten  mal  davon  die  Rede  ist,  muss  aller- 
dings zugestanden  werden;  aber  dergleichen  Erklärungen  lexikalischer 
Natur  stehn  sehi'  locker  im  Zusammenhange  und  lassen  sich  leicht 
einsetzen  und  versetzen.  Dieser  Einwand  wird  schon  dadurch 
parirt,  dass  in  v.  6  ]0n  den  Artikel  hat.  Jedenfalls  bleibt  es  dabei: 
der  Jehovist  durfte  die  Herabkunft  des  Manna  nicht  in  Num.  11 
erzählen,  musste  sie  aber  überhaupt  erzählen  und  zwar  notwendig 
an  früherer  Stelle,  hat  sie  also  wahi'scheinlich  in  Exod.  16  erzählt. 

Kuenen  meint  freilich,  das  Manna  stehe  dort  nicht  am  richtigen 
Orte.  Aber  es  kann  nirgend  anders  stehn  als  sofort  am  Anfange  der 
Wüstenwanderung;  überall  sonst  ist  es  deplacirt  und  um  so  stärker 
deplacirt,  je  näher  es  an  Num.  11  heranrückt:  denn  ehe  es  den 
Geniessenden  zum  Ekel  werden  kann,  muss  doch  notwendig  eine 
Zeit  vergehn.  Richtig  ist  nur,  dass  der  Verfasser  von  Q  seine  Er- 
zählung über  das  Manna  nicht  für  die  Stelle  von  Exod.  16,  sondern 
für  eine  spätere  Stelle  bestimmt  hat;  und  zwar  einfach  aus  dem 
Grunde,   weil  er  Manna  und  Wachteln  auf  eine  Linie  setzte  und 


')  Z.  B.  die  Bundeslade,  von  der  doch  Kuenen  a.  0.  1881  p.  172   selber 
sagt,  sie  hätte  in  JE  nicht  fehlen  können. 


Exod.  IG.  327 

dadurch  die  Pointe  seiner  jehovistischen  Vorlage  verdarb.  Ich  möchte 
übrigens  Kuenen  fragen,  aus  welchem  Grunde  der  Redaktor  sich 
veranlasst  fühlte,  den  Mannabericht  von  Q  von  seiner  ursprünglichen 
Stelle  weg  nach  Exod.  16  zu  rücken?  Er  hatte  ja  nur  Unbequemlich- 
keiten davon  und  musste  unter  anderem  16, 10  und  16,  34  korrigiren. 
Der  Grund  ist  einfach  der,  dass  Exod.  16  der  richtige  alte  Platz 
für  die  Erzählung  vom  Anfange  des  Mannas  war. 

2.  Dass  von  JE  in  Exod.  16  nichts  stecke,  beweist  Kuenen 
ferner  daraus,  dass  das  Deuteronomium  nichts  von  diesem  Kapitel 
kenne  und  vom  Manna  eine  ganz  andere  Vorstellung  habe  als  die 
dort  herrschende.  Im  Deuteronomium  (8,  3.  5.  16.  29,  5)  sei  das 
Manna  kein  Brod,  keine  Woltat  Jahves,  sondern  eine  schlechte 
Speise,  bestimmt,  das  Volk  Hunger  leiden  zu  lassen,  es  zu  prüfen 
und  zu  züchtigen.  Dagegen  in  Exod.  16  sei  es,  wie  in  Ps.  105, 
Brot,  Brot  vom  Himmel,  Segnung  Jahves,  damit  das  Volk  sich 
sättige.  Im  Deuteronomium  sei  das  wirkliche  Manna  noch  zu  er- 
kennen, in  Exod.  16  sei  dasselbe  ganz  aus  den  Augen  verloren 
und  ein  Gewächs  der  Einbildung  an  die  Stelle  getreten.  Wäre 
diese  Ansicht  richtig,  so  wäre  der  Deuteronomiker  der  richtige 
Rationalist.  Sie  ist  aber  viel  zu  scharf,  und  allzu  scharf  macht 
schartig.  Manna  kann  ja  allerdings  dem  gewöhnlichen  Brote  ent- 
gegengesetzt werden,  aber  doch  ist  es  Brot  (d.  h.  Speise)  und  eine 
Woltat  Jahves:  wunderbares  Himmelsbrot  —  wie  auch  der  Tau, 
der  es  mit  sich  bringt,  vom  Himmel  kommt  —  und  natüidich  be- 
stimmt, den  Hunger  zu  stillen,  nicht  ihn  hervorzurufen.  Wo  es 
zum  ersten  mal  herabkommt,  da  werden  nur  seine  guten  Eigen- 
schaften empfunden,  und  nur  diese  dürfen  darum  Exod.  16  hervor- 
gehoben werden.  Wenn  es  aber  40  Jalii-e  lang  in  einem  fort  ge- 
sammelt und  gegessen  werden  muss,  so  wird  es  einem  zum  Ekel 
und  dient  zur  Prüfung:  das  ist  der  Übergang  von  Exod.  16  zu 
Num.  11.  21.  Das  Deuteronomium  blickt  eben  zurück  auf  das 
40  jährige  toujours  perdrix:  daraus  erklärt  sich  der  von  Kuenen 
viel  zu  stark  aufgebauschte  Widerspruch.  Es  fällt  zugleich  sein 
Hauptgrund  füi-  die  wesentliche  Einheit  von  Exod.  16:  es  gehe  da 
überall  eine  und  die  selbe  Vorstellung  vom  Manna  durch  und  zwar 
nicht  die  des  Jehovisten  und  des  Deuteronomikers ,  sondern  die 
nachexilische. 

3.  Die  aus  der  Analyse  von  Exod.  16  selber  geschöpften 
Gründe,  dass  hier  neben  Q  auch  noch  Fragmente  einer  jehovistischen 


328  Nachträge. 

Version  vorkommen,  vermag  Kuenen  nicht  zu  entkräften.  Eine 
scheinbare  Bruchstelle  hat  er  allerdings  glücklich  geheilt,  dadurch 
dass  er  einfach  v.  9  — 12  vor  v.  6.  7  stellt  und  v.  8  streicht. 
Offenbar  ist  v.  8  eine  Glosse  zu  v.  6.  7;  sie  kann  v.  6.  7  mit  an 
den  Rand  gezogen  haben,  so  dass  sie  dann  später  mit  v.  8  an 
falscher  Stelle  eingetragen  und  an  der  richtigen  getilgt  wurden. 
Auch  darin  mag  Kuenen  Recht  haben,  dass  die  Inconcinnität  in 
V.  27  nur  auf  ungeschickte  Darstellung  zurückgeht.  Andere 
Differenzen  leugnet  er  jedoch  vergebens.  Ich  habe  eine  solche 
darin  erkannt,  dass  nach  v.  16a  jeder  sammelt  so  viel  er  nötig 
hat,  nach  v.  16b  jeder  immer  ein  ümer.  „Sehr  wahr,  —  ruft  Kuenen 
aus  —  aber  wenn  nun  eines  jeden  Bedürfnis  immer  grade  ein 
Omer  war?"  Diese  an  sich  wie  mir  scheint  recht  notdürftige 
Harmonisii'ung  versagt  hier  darum  gänzlich,  weil  sich  in  v.  16  nicht 
zwei  erzählende  Aussagen,  sondern  zwei  Befehle  gegenüber  stehn: 
sammelt,  soviel  ihr  essen  mögt!  sammelt  für  den  Kopf  ein  Omer! 
Zu  V.  16a  gehört  v.  18:  es  stellt  sich  nachträglich  heraus,  dass 
jeder  genau  ein  Omer  gesammelt  hat  —  wenn  das  Befehl  war 
(v.  16b),  was  wäre  es  Wunders?  Ich  habe  ferner  darauf  auf- 
merksam gemacht,  dass  in  v.  23  das  Manna  nicht  roh  gegessen, 
sondern  gebacken  und  gesotten  wird,  während  es  doch  nach  v.  21 
schmolz,  sobald  die  Sonne  heiss  wurde.  Kuenen  findet  auch  darin 
keinen  Widerspruch;  es  bleibt  indessen  ein  Widerspruch,  welcher 
Gewicht  erhält  durch  das  Sekundäre  der  auch  in  der  Glosse 
Num.  11,  7  —  9  herrschenden  Vorstellung,  dass  das  Himmelsbrot 
überhaupt  noch  erst  menschlich  präparirt  werden  muss.  Ich  habe 
endlich  in  v.  14  s.  und  v.  31  eine  nicht  dem  selben  Schriftsteller 
zuzutrauende  Wiederholung  gefunden.  Kuenen  hält  v.  15  a  füi* 
interpolirt;  ich  sehe  nicht  ein,  warum;  jedenfalls  ist  der  sonderbare 
Aramaismus  )D  kein  zureichender  Grund  ^).  Aber  gibt  man  die 
Interpolation  auch  zu,  so  fällt  nur  die  doppelte  Benennung,  nicht 
die  doppelte  Beschreibung  des  Manna  in  v.  14  s.  und  v.  31. 

Die  Anstösse,  die  auch  dann  noch  verbleiben,  meint  Kuenen 
auf  Rechnung  seines  Diaskeuasten  nehmen  zu  können.  Aber  wie 
kommt  derselbe  dazu,  in  einen  einheitlichen  Bericht  der  ganz  nach 


')  Das  Sonderbarste  ist,  dass  jD  als  H^  gedeutet  wird,  während  doch"^ 
bekanntlich  man  (was)  eine  junge  Kontraktion  des  Syrischen  ist,  die  im  West- 
aramäischen nicht  vorkommt. 


Exod.  19—34.  329 

seinem  Sinn  war  und  seine  eigene  Anschauung  völlig  bestimmte, 
allerhand  unbedeutende  Einträge  zu  machen,  die  gar  keinen  Zweck 
haben,  als  den,  Unordnung  zu  stiften  und  die  Einheit  der  Vorlage 
zu  zerstören? 

4.  Auf  den  weitaus  bedeutendsten  inneren  Widerspruch  in 
Exod.  16  geht  Kuenen  nicht  näher  ein.  In  Q.  v.  3.  6 — 14  ist  von 
Brot  und  Fleisch  (Manna  und  Wachteln)  die  Rede,  in  v.  4.  5  aber 
nur  von  Brot  (Manna).  Diese  beiden  Verse  sind  der  harte  Knochen, 
welcher  sich  der  Auflösung  in  Diaskeuase  entzieht.  Es  lässt  sich 
nicht  zweifeln,  dass  das  Zusammenwerfen  von  Manna  und  Wachteln, 
wie  es  in  Q  geschieht,  ungehörig  und  nicht  ursprünglich  ist;  das 
Brot  ist  die  Regel  und  das  Fleisch  ist  die  Ausnahme.  Ja  bei  Q 
selber  passen  die  der  Küi'ze  wegen  mit  dem  Manna  zusammen- 
gepackten Wachteln  nicht  in  den  Verlauf  der  Geschichte  und 
müssen  zum  Schluss  spurlos  verschMdnden.  Sollte  nun  der  Diaskeuast 
aus  dem  Berichte  von  Q  das  iTsprüngliche  heraus  divinii't  und  es 
in  V.  4.5  vorangestellt  haben?  Dergleichen  kritische  Spürkraft  lässt 
sich  ihm  doch  wol  nicht  zutrauen. 

Exod.  16,  4.  5  ist  ein  Bruchstück  aus  JE.  Auch  die  Sprache 
ist  jehovistisch:  DVn,  1^t>;N  (Verb alsuf fix) ,  I^Ti^.  G1^  "in"  DV  ü)\ 
Das  Gleiche  ist  der  Fall  in  v.  25—31,  wie  besonders  die  Verbal- 
suffixe beweisen.  Das  Sabbatsgebot  hindert  nicht,  diesen  Abschnitt 
zu  JE  zu  ziehen.  Wenn  das  jehovistische  Werk  in  einem  grossen 
Teile  der  Genesis  lauter  ätiologische  Kultussage  enthält,  warum 
sollte  es  nicht  auch  im  Buche  Exodus  die  historische  Veranlassung 
von  allerhand  wichtigen  Eim'ichtungen  des  Kultus  in  seiner  Weise 
erzählen  dürfen?  Was  in  v.  16 — 24  zu  JE  gehört  —  v.  6 — 15  ist 
Q  —  lässt  sich  nicht  mehr  ermitteln.  Die  Prämissen  für  v.  4.  5 
aus  JE  sind  ersetzt  durch  ähnliche  aus  Q. 

Der  Diaskeuast,  den  Kuenen  mit  Recht  annimmt,  hat  schon 
die  Komposition  von  JE-i-Q  vor  sich  gehabt  und  sie  einer  erneuten 
Bearbeitung  unterworfen.  JE  scheint  vor  der  Vereinigung  mit  Q 
durch  die  Hand  eines  deuteronomistischen  Redaktors  gegangen  zu 
sein.  Ich  glaube  aber  nicht,  dass  das  Sabbatsgebot  erst  von  diesem 
Redaktor  herrührt. 

Exod.  19—34. 
Mit  meiner  Herstellung  der  Dekalogerzählung,  d.  h.   des  ge- 
schichtlichen Zusammenhanges,  in  welchem  die  zehn   Gebote  von 


330  Nachträge. 

Exod.  20  ursprünglich  gestanden  haben  (E),  ist  Knenen  (Theol. 
Tijdschrift  1881  p.  164  ss.)  im  wesentlichen  einverstanden.  Die 
wichtigste  Änderung,  die  er  anbringt,  ist,  dass  er  Exod.  20,  18 — 21 
dazu  rechnet  und  hinter  19,  15 — 19  versetzt.  Das  ist  eine  durch- 
aus einleuchtende  Verbesserung. 

Kuenen  ist  auch  damit  einverstanden,  dass  das  s.  g.  Bundes- 
buch mit  der  Dekalogerzählung  nichts  zu  tun  hat.  Er  geht  aber 
einen  Schritt  weiter  als  ich  und  leugnet,  dass  dasselbe  überhaupt 
hier  im  Zusammenhange  irgend  einer  Erzählung  von  JE  seine 
Stelle  habe.  In  der  Tat  sprengt  das  Corpus  den  historischen  Rahmen, 
und  nur  durch  Künstelei  gelingt  es,  es  mit  Exod.  19,  20 — 25.  24, 
1.  2.  9 — 11  in  Verbindung  zu  bringen. 

Gehört  das  Bundesbuch  nicht  zu  J,  wenigstens  nicht  an  diese 
Stelle  von  J,  so  wii'd  dadurch  der  Platz  füi'  Exod.  34  frei,  den  ich 
vergeben  hatte. 

Meine  Untersuchung  hat  eine  bekannte  Beobachtung  des  jugend- 
lichen Goethe^)  bestätigt.  Wir  haben  in  Exod.  34  ein  anderes 
Zehnwort  auf  zwei  Tafeln  in  einer  Erzählung,  die  genau  ebenso 
anhebt  wie  die  zu  Exod.  20  gehörige  und  auch  ebenso  abschliesst, 
mit  einem  vierzigtägigen  Aufenthalt  Moses  bei  Jahve  auf  dem  Sinai, 
nach  Empfang  der  zehn  Gebote.  Kuenen  nimmt  dies  Ergebnis  zum 
teil  an,  zum  teil  verwirft  er  es.  Er  gibt  zu,  dass  in  Exod.  34  ein 
selbständiger  Bericht  über  die  Bundschliessung  am  Sinai,  eine  voll- 
kommene und  ausschliessende  Parallele  zu  Exod.  19  enthalten  sei, 
aber  er  leugnet,  dass  die  Parallele  sich  auch  über  Exod.  20  er- 
strecke. Wenigstens  das  leugnet  er,  dass  die  in  Exod.  34  mitge- 
teilten Gebote  ebenfalls  ein  Zehnwort  auf  zwei  Tafeln  seien. 

Man  sollte  meinen,  das  stehe  doch  in  v.  27.  28  nicht  un- 
deutlich zu  lesen.  Nachdem  Jahve  die  betreffenden  Gebote  geredet 
hat,  heisst  es  in  unmittelbarem  Anschluss  daran  v.  27  s.:  „Und 
Jahve  sprach  zu  Mose:  schreib  dir  diese  Worte  auf  ....  und  er 
war  dort  bei  Jahve  40  Tage  und  40  Nächte  und  schrieb  auf  die 
Tafeln  die  zehn  Worte."  Mose  erhält  also  den  Befehl,  diese  d.  h. 
die  eben  vorher  mitgeteilten  Worte  aufzuschreiben,  und  er  vollzieht 
denselben,  indem  er  die  zehn  Worte  auf  die  Tafeln  schreibt.  So 
muss   man  verstehn,   wenn  man  v.   27.   28  hinter  einander  liest. 


')  Der   junge    Goethe  2,  230  ss.    (Hirzel    1875).     Vgl.  B.  G.  Niebuhr   bei 
Dora  Ilensler  1,  493. 


Exod.  19—34,  331 

Kiieneii  aber  nimmt  y.  1.  4.  28  aus  Exod.  34  heraus  und  sieht 
darin  den  Schkiss  der  Dekalogerzählung  Exod.  19 — 33  (E),  wodurch 
dann  v.  28  nicht  auf  v.  27,  sondern  auf  v.  1  zurückschlägt. 
„Jahve  sprach  zu  Mose:  hau  dir  zwei  Tafeln  von  Steinen  wie  die 
ersten,  und  ich  will  auf  die  Tafeln  die  Worte  schreiben,  die  auf 
den  ersten  Tafeln  standen,  welche  du  zerbrochen  hast  (v.  1).  Und 
er  hieb  zwei  Tafeln  von  Steinen  wie  die  ersten,  und  Mose  machte 
sich  am  anderen  Morgen  früh  auf  und  stieg  auf  den  Berg  Sinai, 
wie  ihm  Jahve  befohlen  hatte,  und  nahm  zwei  Tafeln  von  Steinen 
mit  sich  (v.  4).  Und  er  war  dort  bei  Jahve  40  Tage  und  40  Nächte, 
ass  nicht  und  trank  kein  Wasser,  und  er  schrieb  auf  die  Tafeln 
die  zehn  Worte  (v.  28)."  So  erreicht  Kuenen,  dass  die  zehn 
Worte  V.  28,  die  auf  die  Tafeln  geschrieben  werden,  nicht  diese 
Worte  V.  27,  d.  h.  die  Worte  v.  14 — 26,  sind,  und  dass  als 
Subjekt  von  er  schrieb  v.  28  zur  Not  Jahve  angesehen  werden 
kann. 

Kuenen  ist  seiner  Sache  sehr  sicher,  mii*  kommt  seine  Ki'itik 
unmöglich  vor.  Ich  begreife  schon  nicht,  wie  34,  1.  4.  28  den 
Schluss  zu  Kap,  32.  33  (E)  bilden  sollen.  Es  ist  überhaupt  nicht 
nötig,  dass  in  E  die  Herstellung  der  zerbrochenen  Tafeln  erzählt 
wurde.  Wenn  es  aber  geschah,  so  musste  es  bei  der  Einführung 
der  Lade  geschehen,  zwischen  33,  6  und  33,  7.  Am  Schluss  von 
Kap.  33  kann  nichts  anderes  folgen  als  der  Aufbruch  vom  Sinai  ^). 

Hätte  Kuenen  Recht,  so  hätte  der  Redaktor  dadurch,  dass  er 
V.  28  von  V.  1.  4  löste  und  hinter  v.  27  stellte,  seinerseits  das 
Verständnis  hervorgerufen,  dass  die  Gebote  34,  14  ss.  die  zehn  auf 
die  zwei  Tafeln  geschriebenen  Worte  gewesen  seien.  Denn  er 
rechnet  natüidich  nicht  auf  das  durch  Quellenscheidung  zu  er- 
zielende Verständnis,  macht  ein  solches  vielmehr,  soweit  an  ihm 
liegt,  unmöglich  und  will,  dass  man  den  Zusammenhang  so,  wie 
er  ihn  gestaltet,  nehmen,  in  unserem  Falle  v.  28  mit  v.  27  ver- 
binden soll.  Statt  zu  harmonisiren  hätte  also  hier  der  Redaktor 
selber  den  bösesten  Widerspruch  verschuldet,  der  im  Alten  Testamente 
vorkommt. 

K.  wird  ferner  zu  der  Annahme  gezwungen,  dass  in  der  selben 
Erzählung  von  dem  selben  Verfasser  zweimal  nach   einander    be- 


^)   S.   oben  p.   93  s.  96.     Zu  den  patristischen  r  Citaten    p.  98    lässt    sich 
noch  C^em.  Recogn.  I  36  Aphhr.  318  s.  hinzufügen, 


332  Nachträge, 

richtet  gewesen  sei,  Mose  habe  sich  40  Tage  auf  dem  Sinai  bei 
Jahve  aufgehalten  (24,  18  +  31,  18  =  34,  28).  Aber  dieser  zwei- 
malige 40tägige  Aufenthalt  Moses  bei  Jahve  auf  dem  Sinai  ist  in 
der  selben  Quelle  doch  ebenso  anstössig,  wie  die  von  Kuenen  selber 
als  anstössig  empfundene  zweimalige  Vorbereitung  dazu  (Kap.  19 
=  Kap.  34  init.).  Nur  aus  Zusammenschweissung  zweier  Parallel- 
berichte lässt  sich  diese  Dublette  begreifen;  als  wiederholter  Zug 
einer  originalen  Erzählung  ist  sie  höchst  unwahrscheinlich  und 
jedenfalls  durchaus  unannehmbar  auf  Grund  eines  so  gewaltsamen 
Schnittes,  wie  Kuenen  ihn  macht,  um  v.  28  von  v.  27  zu  trennen^). 

Meine  Bedenken  sind  noch  nicht  erschöpft.  Bei  Kuenen  steht 
V.  27  in  der  Luft,  und  der  Befehl  ILPD  hat  keine  Folge.  Der 
Subjektswechsel  bei  üPZil  v.  28  ist  sehr  hart  und  vor  allem  sehr 
unvorsichtig;  wenn  irgendwo,  so  war  es  hier  geboten,  das  Explicitum 
einzusetzen  und  den  Leser  nicht  zu  dem  Irrtum  zu  veranlassen, 
dass  Mose,  wie  vorher,  so  auch  bei  D-n^""!  der  handelnde  sei"). 
Ausserdem:  wenn  Jahve  die  Tafeln  mit  eigenem  Finger  beschreibt, 
so  braucht  er  sie  sich  auch  nicht  von  Mose  hauen  und  mitbringen 
zu  lassen;  und  umgekehrt,  wenn  Mose  die  Tafeln  schafft, 
so  schafft  er  auch  die  Schrift.  Und  gräbt  etwa  Jahve  40  Tage 
lang  die  zehn  Worte  in  Stein?  wähi'end  Mose  müssig  zuschaut 
und  doch  vor  Eifer  Essen  und  Trinken  vergisst?  Auch  der  Zwang, 
34,  4  mit  V.  1  gehn  zu  lassen  und  aus  dem  Zusammenhang  her- 
auszunehmen, ist  keine  Empfehlung  für  Kuenens  Kritik.  Denn  der 
Vers  ist  für  v.  5  unentbehrlich,  und  zerreissen  lässt  er  sich  nicht. 

Nach  alle  dem  scheint  mir  der  Versuch,  v.  1.  4.  28  aus 
Kap.  34  herauszuheben,  gänzlich  verunglückt.  Freilich  ist  es,  wenn 
man  diese  Verse  stehn  lässt,  notwendig  anzunehmen,  dass  der 
Redaktor  durch  Hinzufügung  von  v.  Ib  und  von  D''Jl^^S'*lJ  v.  la.  4 
die  Brücke  geschlagen  hat,  die  von  Kap.  32.  33  zu  Kap.  34  hiii- 
überfülii't  ^).  Ist  diese  Annahme  so  willküidich  und  unwahrschein- 
lich, dass  sie  auf  jeden  Fall  vermieden  werden  muss?  Sie  ist  viel- 


0  Dass  der  Deiiteronomiker  einen  zweimaligen  -40  tägigen  Aufenthalt 
Moses  auf  dem  Sinai  annimmt,  beweist,  dass  er  Exod.  34  an  der  jetzigen  Stelle 
kannte..  Über  den  Dekalog  in  Exod.  34  musste  er  wol  oder  übel  still- 
schweigen. 

2)  Man  vergleiche,  wie  ausdrücklich  31,  18.  32,  16  hervorgehoben  wird 
dass  Gott  mit  seinem  Finger  die  Tafeln  beschrieben  habe. 

3)  Auch  die  Änderung  von    niiniDI    v.  1  in  ""niinDI   kann  dem  Redaktor 


Exod.  19—34.  333 

mehr  äusserst  'luilieliegend.  A¥eiin  Kcip.  34  überhaupt  mit  dem 
Vorhergehenden  in  eine  Verbindung  gesetzt  werden  sollte,  so  mussten 
die  hier  noch  einmal  erscheinenden  zehn  Worte  auf  zwei  Tafeln 
notwendig  mit  den  früheren  verselbigt  werden;  denn  ein  doppeltes 
Zehngebot,  ein  doppeltes  Zweitafelgesetz  liess  sich  unmöglich  zu- 
geben. Der  Redaktor  gab  also  das  Zweitafelgesetz  Exod.  34  für 
einen  Ersatz  des  früheren  zerbrochenen  aus;  nach  einem  öfters  an- 
gewandten Recepte  (Jos.  5,  2.  1.  Sam.  11,  14).  Wenn  das  nicht 
gelten  soll,  so  gilt  die  gesamte  Kritik  der  erzählenden  Bücher 
des  Alten  Testamentes  nicht;  denn  diese  fusst  überall  auf  der  An- 
nahme eines  die  verschiedenen  Stücke  in  notdürftige  Verbindung 
bringenden  Redaktors. 

Steht  es  nun  fest,  dass  in  Exod.  34  ein  zweiter  Dekalog  steckt, 
so  muss  der  Versuch  gemacht  werden,  ihn  heraus  zu  holen.  Der 
Versuch  wird  durch  die  starke  und  in  mehreren  Stufen  vor  sich 
gegangene  Überarbeitung  des  seltsamen  Kapitels^)  erschwert,  in- 
dessen kaum  in  höherem  Grade  als  es  auch  bei  Exod.  20  der  Fall 
ist.  Es  lösen  sich  aus  Exod.  34,  14^26  zunächst  sehr  einfach 
folgende  zwölf  Worte  aus^); 

1.  Du  sollst  keinen  fremden  Gott  anbeten. 

2.  Gussgötter  sollst  du  dir  nicht  machen. 

3.  Das  Massothfest  sollst  du  feiern. 

4.  Alle  Erstgeburt  ist  mein. 

(5).  Sechs  Tage  sollst  du  arbeiten  und  am  siebten  Tage  ruhen. 

6.  Das  Fest  der  Wochen  sollst  du  halten. 

7.  Und  das  Fest  der  Lese  beim  Wechsel  des  Jahres. 

(8).  Dreimal  im  Jahre  sollen  alle  deine  Männer  vor  dem  Herrn 
Jahve  dem  Gotte  Israels  erscheinen. 
9.  Du  sollst  nicht  mit  Saurem  das  Blut  meines   Opfers  ver- 
mischen. 


zugeschrieben  werden.  In  v.  4  hat  er  vielleicht  den  ganzen  ersten  Satz  ge- 
schrieben —  wegen  der  Artikellosigkeit  des  zweiten  DiJ^-i^  nn> 

')  Vgl.  oben  p.  85  s.  Ich  bin  aber  jetzt  nicht  mehr  davon  überzeugt, 
dass  in  der  originalen  Erzählung  von  einer  Bundschliessung  die  Rede  war. 
Denn  in  v.  28  stossen  sich  „die  Worte  des  Bundes"  und  „die  zehn  Worte"; 
die  letzteren  sind  älter,  weil  sie   kein  fi^s   vor  sich  haben. 

-)  Die  Art,  wie  ich  vor  24  Jahren  den  Dekalog  von  Exod.  34  rekonstruirt 
habe  (oben  p.  85  n.  1),  ist  nicht  genug  überlegt. 


334  Nachtrüge. 

10.  Das  Fett  meines  Festes  ^)  soll  nicht  bis  zum  anderen  Morgen 
übrig  bleiben. 

11.  Das  Beste  der  Erstlinge  deiner  Flur  sollst   du  zum  Hause 
Jahves  deines  Gottes  bringen. 

12.  Da  sollst  das  Böcklein   nicht   in  der  Milch  seiner  Mutter 
kochen. 

Um  diese  zwölf  Worte  auf  zehn  zu  reduciren,  müssen  No.  5 
und  No.  8  herausgenommen  werden.  Das  Sabbatsgebot  drängt  sich 
störend  zwischen  das  Osterfest  und  die  beiden  anderen  Feste  ein. 
No.  8  ist  eine  vollkommen  überflüssige  Wiederholung  der  vorange- 
gangenen Spezialgebote  in  allgemeiner  Form  und  kann  neben  den- 
selben nicht  als  besondere  Nummer  gezählt  werden.  Sowol  No.  5 
als  No.  8  konnten  leicht  anders  woher  entlehnt  und  hier  zugesetzt 
werden. 


Exod.  34  ist  die  Dekalogerzählung  von  J.  Sie  ist  liintange- 
stellt  und  gleichsam  in  die  Rumpelkammer  geworfen,  weil  es  un- 
möglich war,  sie  mit  der  Dekalogerzählung  von  E  (Exod.  19  ss.) 
zu  vereinigen^).  Die  Korrespondenz  der  Parallelen  von  J  und  E 
legt  bei  dieser  allerwichtigsten  Perikope  die  Frage  nahe,  welches 
die  ältere  Yersion  ist  und  welches  die  jüngere. 

E  dominirt,  J  ist  verdrängt.  Das  Vorurteil  für  die  Priorität 
von  J,  welches  damit  erweckt  wird,  wird  bestärkt  dadurch,  dass 
die  Form  der  Offenbarung  in  J  altertümlicher  und  zugleich  ein- 
facher ist  als  in  E:  Mose,  nicht  Jahve  haut  und  beschreibt  die 
Tafeln;  der  Gedanke  eines  Sprechens  der  Gottheit  zu  dem  ganzen 
Volk  liegt  fern,  Jahve  redet  nur  mit  Mose,  wenngleich  seine  Worte 
für  das  ganze  Volk  bestimmt  sind.  Weiter  dadurch,  dass  die 
40  Tage,  welche  Mose  in  J  braucht,  um  die  zehn  Worte  in  Stein 
zu  meisseln,  in  E  keinen  rechten  Zweck  haben,  bis  sie  dann  vom 
Deuteronomiker  zu  seiner  Antithese  von  thora  explicita  und  im- 
plicita  benutzt  werden  (p.  88.  189).  Die  Entscheidung  wird  ge- 
geben durch  die  Vergleichung  der  beiden  Dekaloge. 

Die  beiden  ersten  Gebote  von  Exod.  34  sind  nahezu  identisch 


')  Vgl.  Exod.  23,  18.     Prolegomena  4  p.  84  n.  1. 

2)  Einige  Trümmer  von  J  mögen  allerdings  in  den  Hauptfaden  (E)  hin- 
eingearbeitet sein.  Ich  verzichte  aber  darauf,  den  Zusammenhang  von  Exod.  34 
nach  vorn  und  hinten  zu  verfolgen  und  zu  vervollständigen.     Vgl.  p.  93  s. 


Exod.  19—34.  335 

mit  den  beiden  ersten  von  Exod.  20,  nur  ist  in  Nr.  2  das  Verbot 
von  Gussgöttern  Exod.  34  erweitert  zu  dem  Verbot  jeder  Art  von 
Abbildern  in  Exod.  20.  Über  den  Festkultus,  der  den  ganzen  Rest 
von  Exod.  34  ausfüllt,  steht  in  Exod.  20  kein  Wort;  er  ist  ver- 
drängt durch  den  Sabbat.  Umgekehrt  fehlen  in  Exod.  34  die 
moralischen  Gebote  vollständig,  welche  in  Exod.  20  die  Hauptsache 
sind.  Aus  diesem  Tatbestande  folgt  mit  Sicherheit,  dass  in  Exod.  34 
der  ältere  Dekalog  erhalten  ist  —  nach  den  Gründen,  welche  schon 
p.  85  n.  1  entAvickelt  worden  sind. 

Vgl.  Encyclop.  Brit.  XIE  (1881)  p.  399.  If  the  legislation  of 
the  Pentateuch  cease  as  a  whole  to  be  regarded  as  an  authentic 
source  for  our  knowledge  of  what  Mosaism  w^as,  it  becomes  a 
somewhat  precarious  matter  to  make  any  exception  in  favour  of 
the  Decalogue.  In  particular,  the  following  arguments  against  its 
authenticity  must  be  taken  into  account.  1.  According  to  Exod.  34 
the  commandments  which  stood  upon  the  two  tables  were  quite 
different.  2.  The  prohibition  of  images  was  during  the  older  period 
quite  unknown;  Moses  himself  is  said  to  have  made  a  brazen 
serpent  which  down  to  Hezekiahs  time  continued  to  be  worshipped 
at  Jerusalem  as  an  image  of  Jehovah.  3.  The  essentially  and 
necessarily  national  character  of  the  older  phases  of  the  religion 
of  Jehovah  completely  disappears  in  the  quite  universal  code  of 
morals  which  is  given  in  the  Decalogue  as  the  fundamental  law 
of  Israel;  but  the  entii'e  series  of  reügious  personalities  throughout 
the  period  of  the  judges  and  the  kings  makes  it  very  difficult  to 
believe  that  the  religion  of  Israel  was  from  the  outset  one  of  a 
specifically  moral  character.  The  true  spirit  of  the  old  religion 
may  be  gathered  much  more  truly  from  Judg.  5  than  from  Exod.  20. 
4.  It  is  extremely  doubtful  whether  the  actual  monotheism  which 
is  undoubtedly  presupposed  in  the  universal  moral  precepts  of  the 
Decalogue  could  have  formed  the  foundation  ofa  national  religion. 
It  was  first  developed  out  of  the  national  religion  at  the  down- 
fall  of  the  nation,  and  thereupon  kept  its  hold  upon  the  people 
in  an  artificial  manner  by  means  of  the  idea  of  a  covenant  formed 
by  the  God  of  the  universe  with,  in  the  first  instance,  Israel  alone. 

Zum  Leviticus. 
1.     Die    drei    Stücke   Lev.  4,   1—35    (Chattath),    5,   1  —  13 
(Chattath-Ascham),  5,  14 — 26  (Ascham)  sind  von  Haus  aus  nicht 


3B6  Nachträo-e. 

koordinirte  Teile  eines  Ganzen,  sondern  selbständige  Aufsätze  aus 
der  selben  Schule.  Denn  5,  1 — 13  ist  keine  Fortsetzung  oder  Nach- 
trag zu  4,  27  —  35,  sondern  eine  völlig  unabhängige  Darstellung 
der  selben  Materie,  mit  erheblichen  Unterschieden  der  Form.  An 
die  Stelle  der  allgemeinen  Systematik  des  Kap.  4  tritt  hier  der 
einzelne  bestimmte  Fall  und  seine  Analogie,  der  Ritus  wird  weniger 
genau  angegeben,  die  hierarchische  Rangordnung  kommt  bei  dem 
Yergehn  nicht  in  Betracht.  Auch  wechseln  in  diesem  Stück 
Ascham  und  Chattath  mit  einander  in  gleicher  Bedeutung.  In  dem 
dritten  Stück  wird  füi'  den  selben  Fall  ein  Widder  als  Ascham 
gefordert  5,  17 — 19,  für  den  im  ersten  ein  Bock  resp.  eine  Ziege 
als  Chattath  vorgeschrieben  ist  4,  22.  27.  Mit  dem  mittleren  hat 
das  dritte  Stück  zwar  formell  grössere  Ähnlichkeit,  aber  als  wahre 
Ergänzung  desselben  lässt  es  sich  schon  deshalb  nicht  ansehen, 
weil  jenes  nicht  zwischen  Chattath  und  Ascham  unterscheidet.  — 
Wenn  man  sich  nach  Lev.  5,  13 — 16.  20 — 26  richtet  und  in  v.  17 
bis  19  nicht  in  Betracht  zieht,  so  tritt  das  Ascham  nur  ein  bei 
freiwilliger  Erstattung  widerrechtlich  zurückbehaltenen  oder  ange- 
eigneten Besitzes,  namentlich  der  heiligen  Abgaben.  Die  Sachen 
müssen  dem  Eigentümer  mit  einem  Aufgelde  von  einem  Fünfteil 
ihres  Wertes  erstattet  werden,  als  Ascham  kommt  ein  Widder  dazu, 
der  an  das  Heiligtum  fällt.  In  Num.  5,  5—10  ist  die  Sache  zwar 
ebenso,  aber  der  Sprachgebrauch  anders,  denn  hier  wird  das  zu- 
rückerstattete Eigentum  Ascham  genannt  und  der  Widder  heisst 
onDDH  b^^.     Vgl.  Lev.  22.  14. 

2.  Es  möge  hier  noch  eine  in  der  Geschichte  Israels  I  p.  66  s. 
angestellte,  in  den  späteren  Ausgaben  der  Prolegomena  aber  weg- 
gelassene Untersuchung  Platz  finden,  über  die  Bedeutung  eines  für 
die  Sprache  des  Priestercodex  sehr  wichtigen  Terminus. 

Bei  der  Feststellung  des  Begriffs  von  "IDD  (Piel)  wird  man 
von  Isa.  28,  18  absehen  müssen,  da  das  Wort  hier  ganz  seltsam 
steht  und  die  ad  hoc  angenommene  Bedeutung  obliterare  sich  nicht 
erweisen  lässt;  wahrscheinlich  ist  "iDm  zu  lesen,  zumal  n"*")!! 
Femininum  ist.  Überall  sonst  kommt  kapp  er  nur  in  einer  dem 
Subst.  kopher  entsprechenden  Bedeutung  vor.  Das  Etymon  heisst 
decken. 

Der  ursprüngliche  Sprachgebrauch  —  der  religiöse  ist  immer 
abgeleitet  —  erhellt  aus  folgenden  Beispielen.  1.  Sam.  12,  3:  „von 
niemand  habe   ich    (der  Richter  Samuel)  Kopher   empfangen  und 


Zum  Leviticus.  337 

meine  Augen  damit  verhüllt".  Gen.  32,11:  „ich  will  sein  Gesicht 
mit  der  vorausgesandten  Gabe  kapp  er".  2.  Sam.  21,  3  s.  „was 
soll  ich  euch  tun  und  womit  kapp  er?  —  wir  wollen  kein  Silber 
und  Gold".  Ygl.  von  dem  verwandten,  aber  nicht  so  specifischen 
n'OD  und  mt)!!  Gen.  20,  26:  „die  1000  Silberlinge  seien  dir  eine 
Decke  der  Augen"  und  lob.  9,  24:  „das  Gesicht  der  Richter  be- 
deckt er".  Das  Bedecken  ist  s.  v.  a.  eine  Schuld  unangesehen 
machen;  das  sprachliche  Objekt  desselben  ist  indessen  nicht  die 
Schuld,  sondern  das  Gesicht,  die  Augen  (tropisch  auch  der  Zorn) 
dessen,  der  sie  rächen  müsste.  Hinsichtlich  der  Wirkung  ist  es 
zwar  eins,  ob  die  Decke  über  dem  Gegenstande  liegt,  der  nicht 
gesehen  werden  soll,  oder  über  den  Augen  der  Person,  die  ihn  nicht 
sehen  soll,  aber  die  ursprüngliche  Anschauung  der  Sprache 
stellt  doch  eben  das  Kopher  nicht  wie  ein  Kleid  des  Schuldigen, 
um  seine  Schuldblösse  zu  decken,  sondern  wie  eine  Augenbinde 
des  Rächers  vor.  Das  Subjekt  des  Bedeckens  ist  natürlich  der 
Beleidiger,  oder  sein  Vertreter.  Das  Mittel  der  Satisfaktion,  d.  h. 
das  Kopher,  ist  eine  Gabe;  das  Geschenk  macht  den  Sehenden 
blind  ^).  —  Die  Etymologie  gerät  bei  dem  Substantivum  vor  dem 
materiellen  Inhalt  mehr  und  mehr  in  Vergessenheit;  es  heisst  Be- 
stechung, Lösegeld  (Amos  5,  12.  Exod.  21,  30.  30,  12.  Num.  35,  32), 
sogar  einfach  Äquivalent  Isa.  43,  3.  Soweit  scheint  es  sich  aller- 
dings von  dem  ursprünglichen  Tropus  nicht  zu  entfernen,  dass  es 
Strafvertretung  bedeutet;  doch  streift  Prov.  21,  18  nahe  an  diesen 
Sinn  heran;  vgl.  2.  Sam.  21,  3 — 6. 

Der  religiöse  Sprachgebrauch  a)  des  Alten  Testaments  a  po- 
tior! unterscheidet  sich  dadurch,  dass  das  Subjekt  des  Bedeckens 
(nt)D5  "^sn)  nicht  der  Schuldige,  sondern  der  Beleidigte  ist,  nämlich 
Gott,  und  dass  das  Objekt  nicht  das  Gesicht  Gottes,  sondern  die 
Schuld  des  Beleidigers  ist.  Bedecken  bedeutet  hier  nicht:  be- 
deckt machen,  sondern:  als  bedeckt  ansehen.  Das  Mittel  der  Be- 
deckung, das  Kopher,  fällt  dadurch  von  selbst  dahin,  b)  Im  Priester- 
codex ist  der  Priester  das  Subjekt  des  Bedeckens  (stets  ISD),  das 
Mittel  ist  das  Opfer.  Da  dies  dem  ursprünglichen  profanen  Gebrauch 
entspricht,  so  sollte  man  nun  auch  erwarten,  das  Objekt  sei  mrr'  "»JD? 
und  dies  ist  gewiss  das  Ursprüngliche  gewesen,  um  so  mehr  da 
ausserhalb  des  Priestercodex  im  gleichen  Sinne  immer  gesagt  wird 


^)  Vgl.  Doughty,  Travels   in  Arabia  Deserta,    1,  349:    he    could   not    see 
through  sixty  reals. 

Wellhausen,    Comp.   d.   Hexateuclis.      3.   Aufl.  22 


3B8  Nachträg-e. 

mn''  1:15  rhr\-  Statt  dessen  ist  das  Objekt  —  aiicli  nicht  die  Schuld 
(wie  1.  Sam.  3,  14),  sondern  der  Schuldige,  wenn  anders  bv 
und  "lyn  einfach  das  Objekt  einführen.  Wahrscheinlich  haben 
diese  Präpositionen  aber  die  Bedeutung  für,  zum  besten,  wo 
dann  kapper  absolut  zu  nehmen  wäre  =  die  Sühnungsgebräuche 
(kippurim)  vollziehen.  Dieser  Sprachgebrauch  entfernt  sich  am 
weitesten  von  dem  Ursprünglichen,  wie  er  auch  die  Scheidung  des 
Priesters  und  des  Darbringers  voraussetzt.  Man  ist  freilich  zu  seiner 
Erklärung  unmittelbar  auf  das  Etymon  zurückgegangen:  es  kann 
al^er  nichts  Verkehrteres  geben.  Das  Mittel  der  Sühne  ist  hier 
Adelleicht  zum  Teil  die  Gabe,  hauptsächlich  aber  das  Blut,  das  ge- 
opferte Leben  (Lev.  17,  11).  —  Ursprünglich  scheint  die  Blut- 
sprengung vielmehr  Zeichen  der  Bundschliessung  gewesen  zu  sein 
wie  Exod.  24,  6.  Eine  richtige  stellvertretende  Himichtung  eines 
Tiers  statt  eines  Menschen  findet  sich  Deut.  21,  1 — 9;  sie  ist 
aber  nicht  Opfer.     Auch  D^^  ist  eigentlich  kein  Opfer. 

Num.  13.  14. 

Kuenen  (Theol.  Tijdschrift  1877  p.  545  ss.)  weist  überzeugend 
nach,  dass  in  dem  Stücke  Num.  14,  26 — 38  nichts  von  JE  ent- 
halten ist.  Mit  den  Gründen,  worauf  die  irrtümliche  Ansicht,  der 
auch  ich  mich  angeschlossen  habe,  beruht,  räumt  er  in  folgender 
Weise  auf. 

Deut.  1,  39  hat  im  MT  den  gleichen  Eingang  wie  Num.  14,  31: 
n\1''  nS  oniON*  lli'vS*  DD?:01-  Da  der  Deuteronomist  Q  nicht  kennt, 
so  würde  das  beweisen,  dass  Num.  14,  31  zu  JE  gehöre.  Aber  in 
der  Septuaginta  Deut.  1 ,  39  fehlen  die  entscheidenden  Worte '). 
Ein  Beispiel,  wie  die  Textkritik  eingreift  in  die  literarische ;  ähnlich 
wie  Jos.  20. 

In  Jos.  14,  6 — 15,  einem  mit  Deut.  1,  19 — 46  genau  ver- 
wandten Stücke,  ist  "jTmN'vpl  v.  6  (woraus  hervorgehn  würde, 
dass  der  Deuteronomist  auch  Josua  neben  Kaleb  zu  den  Kund- 
schaftern gezählt  hätte)  ein  leicht  begreiflicher  Einsatz  eines  Späteren. 

Num.  32,  6 — 15  darf  als  Leitfaden  zur  Scheidung  der  Quellen 
nicht  benutzt  werden,  da  dies  Stück  die  Vorstellungen  und  Aus- 
drücke der  verschiedenen  Quellen  mischt  und  somit  der  spätesten 
Diaskeuase  angehört. 


^)  In  den  Cod.  Alex,  sind  sie  nach  dem  MT  eingesetzt. 


Num.  13.  14.  339 

Ohne  die  Annahme  einer  späteren  Überarbeitung  von  Q  14, 
26 — 38  wird  man  allerdings  nicht  auskommen. 

Noch  ein  Wort  über  Kaleb.  Dass  er  als  Kundschafter  älter 
ist  wie  Josua,  und  wie  es  gekommen  ist,  dass  Josua  ihm  beigesellt 
wurde,  hat  Kuenen  gezeigt  und  damit  die  Priorität  von  JE  vor  Q 
erwiesen.  Aber  auch  Kaleb  selber  ist  als  Kundschafter,  so  wie  er 
in  JE  erscheint,  sehr  jung.  Der  historische  Kaleb,  der  Bruder 
Jerachmeels  und  Othniels,  gehört  gar  nicht  zu  Israel,  sondern  zu 
Kenaz  oder  Kain.  Während  die  Israeliten  nur  auf  dem  Umwege 
über  das  Ostjordanland  in  das  eigentliche  Palästina  gelangten,  drang 
Kaleb  von  seinen  ursprünglichen  Sitzen  im  südlichen  Negeb  grades 
weges  nach  Norden  vor  und  bemächtigte  sich  insbesondere  der  Stadt 
Hebron.  Zur  Zeit  Davids  wurde  er  noch  von  Juda  unterschieden, 
hinterher  aber  verschmolz  er  mit  diesem  Stamme  und  erlangie 
darin  wie  es  scheint  sogar  das  Übergewicht.  Was  ist  nun  in  JE 
Num.  13.  14  aus  diesem  Kaleb  geworden?  Er  befindet  sich  als 
Vertreter  des  Stammes  Juda  mit  unter  den  zwölf  Kundschaftern 
und  ist  der  einzige  unter  ihnen  und  unter  allem  Volke ,  der  den 
Mut  nicht  sinken  lässt  und  das  direkte  Vorgehn  von  Kades  aus 
gegen  Norden  fordert.  Zum  Lohne  dafür-  soll  er  allein  von  der 
ganzen  Generation  die  Eroberung  des  gelobten  Landes  erleben  und 
den  Teil  desselben  zum  Erbe  erhalten,  bis  zu  welchem  ihn  seine 
Reise  geführt  hat,  nämlich  die  Stadt  Hebron  und  ilu'e  Umgebung. 
Die  dreiste  Behauptung,  dass  das  nichtjudäische  Geschlecht  Kaleb 
und  der  judäische  Kundschafter  Kaleb  nichts  mit  einander  zu  tun 
haben,  schafft  die  auffälligen  Berührungspunkte  zAvischen  beiden 
nicht  aus  der  Luft  und  scheitert  völlig  an  Jos.  14. 

Wir  haben  damit  zugleich  einen  Blick  getan  in  die  Entstehung 
von  Num.  13  s.  Der  Gegensatz,  dass  Kaleb  vom  Negeb  her  direkt 
nach  Hebron  vordringt,  und  dass  die  Israeliten  um  das  Tote  Meer 
herum  müssen  und  über  den  Jordan  gehn,  gehört  zu  den  Elementen 
der  Geschichte  von  den  Kundschaftern.  Ihr  eigentliches  Problem 
aber  ist  die  Erklärung  des  langjährigen  Aufenthaltes  des  Volkes  in 
der  Wüste  bei  Kades,  welcher  am  allerfestesten  in  der  Erinnerung 
an  die  Zeit  Moses  haftet.  Da  schliesslich  das  westliche  Palästina 
das  Land  wurde,  worin  sich  die  Israeliten,  ihrer  Hauptmasse  nach, 
auf  die  Dauer  niederliessen,  so  schien  es  sich  von  selbst  zu  ver- 
stelin,  dass  sie  von  Anfang  an  kein  anderes  Ziel  in  das  Auge  ge- 
fasst  hatten.     Wenn  sie  nun,  statt  sofort  darauf  los  zu  gehn,  lange 

22* 


340  Nachträge. 

Jahre  in  der  Gegend  von  Kades  schwärmten,  so  war  dies  Haltmachen 
vor  dem  Tore  völlig  unnatürlich  und  nur  begreiflich  in  Folge  gött- 
licher Hemmung  zur  Strafe  einer  Schuld.  Um  so  mehr  musste 
das  so  scheinen,  da  man  ja  immer  ein  Volk  von  drittehalb  Millionen 
und  ausserdem  ein  Kulturvolk  im  Sinne  hatte.  Für  ein  solches 
wäre  allerdings  der  Aufenthalt  in  jener  Gegend  eine  Strafe  der 
allerschlimmsten  Art  gewesen,  während  er  den  Ansprüchen  der 
Hirten  von  Gosen,  die  wenig  zahlreich  und  an  die  Wüste  gewöhnt 
waren,  zur  Not  genügte'). 

Es  ist  natürlich  die  ünwalu-scheinlichkeit  selber,  dass  die 
Israeliten  unfreiwillig,  bloss  um  ihre  Strafe  abzubüssen,  sich  so 
lange  haben  in  der  Wüste  zurückhalten  lassen,  bis  die  ganze  Gene- 
ration der  Ungehorsamen  ausgestorben  war.  Welche  Mittel  konnte 
Moses  haben,  sie  dazu  zu  zwingen?  Man  hat  keinen  Grund,  anzu- 
nehmen, dass  es  nicht  im  Plane  der  Auswanderer  gelegen  hätte, 
dort  zu  bleiben,  wo  sie  in  Wirklichkeit  wäln-end  der  ersten  Gene- 
ration geblieben  sind.  Die  Wüste  von  Kades  hat  sie  nicht  gegen 
ihi'en  Willen  festgehalten,  sondern  ist  einfach  das  Ziel  gewesen,  auf 
das  sie  ihr  Absehen  gerichtet  hatten.  Es  ist  sogar  sehr  die  Frage, 
ob  sie,  anstatt  sogleich  den  graden  Weg  auf  dies  Ziel  einzuschlagen, 
vorher  noch  den  Zug  nach  dem  Sinai  unternommen  haben,  der  elf 
Tagemärsche  südöstlich  von  Kades  liegt. 

Num.  16. 

Mit  meiner  Bestimmung  des  Charakters  und  der  Aufeinander- 
folge der  drei  Versionen  ist  Kuenen  (Theol.  Tijdschrift  1878  p.  139 ss.) 
einverstanden,  auch  in  dem  wichtigen  Punkte,  dass  in  der  zweiten 
Version  Korah  kein  Levit  ist,  sondern  ein  nichtlevitischer  Rädels- 
führer meuterischer  Laien  aus  allen  Stämmen  gegen  die  Häupter 
Levis,  Moses  und  Aharon.  Aber  er  weist  nach,  dass  die  zweite  Version 
nicht  zu  JE  gehört,  sondern  zu  Q,  und  dass  meine  dritte  Version  nicht 
selbständig,  sondern  parasitisch  ist,  indem  sie  sich  der  Erzählung 
von  Q  anschmiegt  und  sie  korrigirt.  Im  Zusammenhang  damit 
wird  die  Analyse  etwas  alterirt;  einiges,  was  ich  zu  Nr.  2  gerechnet 


^)  Ein  Jahr  bei  Kades  oder  vierzig  Jahr  bei  Kades  macht,  hinsichtlich  der 
Schwierigkeit  der  Ernährung  von  Menschen  und  Vieh,  keinen  wesentlichen 
Unterschied.  Die  Apologeten  verwandeln  die  Wüste  in  einen  fruchtbaren 
Garten;  es  sind  eben  jämmerliche  Glaubenshelden. 


Num.  16.  341 

habe,  gehört  zu  Nr.  1,  und  einiges,  was  ich  zu  Nr.  3  gewiesen 
habe,  gehört  zu  Nr.  2.  Ich  befinde  mich  hier  in  der  angenehmen 
Lage,  jedes  Wort  Kuenens  unterschreiben  zu  können. 

Nr  2  zu  JE  zu  reclmen,  verbietet  die  Sprache  und  die  Rück- 
sicht auf  Deut.  11,  6,  wo  Korah  unbekannt  ist.  Dass  es  zu  Q  ge- 
hört, ergiebt  sich  aus  Num.  17,  6  ss.  In  Num.  17,  16 — 26  ist  der 
Gegensatz  nicht  der  zwischen  Levi  und  Aharon  wie  in  Nr.  3,  sondern 
wie  in  Nr.  2  der  zwischen  den  übrigen  Stämmen  und  Levi,  dessen 
geborener  Vertreter  nach  v.  18  Aharon  ist'").  Ebenso  17,  6 — 15: 
das  Volk  d.  h.  die  Laien,  nicht  die  Leviten  sind  die  Schuldigen, 
haben  Strafe  erlitten  und  erleiden  noch  fernere  Strafe.  Ebenso 
17,  27  s.  20,  3  und  27,  3.  An  letzterer  Stelle  wird  von  Selophchad 
gerühmt,  er  habe  nicht  mit  zur  Rotte  Korahs  gehört;  da  er  Manassit 
war,  so  bestand  die  Rotte  Korahs  nicht  aus  Leviten. 

Nr.  3  gehört  also  nicht  zu  Q,  sondern  zu  einer  sekundären 
Schicht  des  Priestercodex,  ebenso  wie  Num.  17,  1 — 5,  wo  der  Same 
Aharons  sich  nicht  mit  Levi  deckt,  und  26,  9 — 11,  wo  die  gegen- 
wärtige Form  von  Kap.  16  vorausgesetzt  wii'd. 

Den  Umfang  der  drei  verschiedenen  Bestandteile  von  Num.  16 
bestimmt  Kuenen  so: 

Nr.  1  (JE)  =  v.  1.12— 15.  25— 33,  mit  Ausnahme  von  V.  15  a. 
27  a.  32  b.  Der  Anfang  ist  nicht  heil,  sonst  ist  die  Erzählung  voll- 
ständig. 

Nr.  2  (Q)  =  V.  2  —  7  ^ib  IJn.  DdS  m  v.  7  gehört  an  die 
Stelle  von  Dd'?  D.*1  v.  3,  wo  der  Vokativ  vielleicht  absichtlich  aus- 
gelassen ist)  und  V.  19—24.  27  a  (lies  mn"»  ]D12^0  v.  24  und  v.  27  a). 
Der  Übergang  von  v.  7  auf  v.  18  ist  abrupt;  man  erwartet  in- 
zwischen die  Mitteilung,  dass  Korah  und  die  Seinen,  gemäss  der 
Aufforderung  Moses,  sich  am  folgenden  Tage  nach  der  Stiftshütte 
begaben.  Es  ist  möglich,  dass  auch  v.  15  a  und  vielleicht  einige 
Teile  von  v.  16 — 18,  die  aber  nicht  mein-  auszulösen  sind,  noch 
zu  Q  gehören. 

Dem  Diaskeuasten  (Nr.  3)  gehören  v.  8 — 11.  16 — 18  (worin 
wie  gesagt  vielleicht  noch  ein  paar  Brocken  von  Q  stecken)  und 
V.  23  b.     In  V.  24  und  v.  27  a  hat  derselbe  den  mn''  jJti^O  von  Q 


1)  Ich  habe  das  selber  gemerkt  (oben  p.  179),  aber  nicht  die  nötige  Konse- 
quenz daraus  gezogen  und  überhaupt  den  Konnex  zwischen  Num.  17  und  16 
nicht  gehörig  beachtet. 


342  Nachträge. 

in  einen  D"1^nN1  )m  n"lp  pW12  verwandelt,  um  Nr.  1  und  Nr.  2 
zu  vereinigen.  Dadurch  fällt  der  Anlass  weg,  anzunehmen,  so  wie 
ich  getan  habe,  dass  in  Nr.  2  Korah,  ebenso  wie  Dathan  und  Abiram 
in  Nr.  1,  in  seiner  Wohnung  verderbt  und  ebenso  wie  diese 
von  der  Erde  verschlungen  sei.  Mischkan  ist  ein  eigentümlicher 
Ausdruck  für  die  Stiftshütte  und  bedeutet  nicht  einfach  Wohnung, 
die  Kotte  Korah  Avohnte  auch  nicht  mit  einander  in  einer  und  der 
selben  Wohnung.  Ausserdem  ist  Nr.  2  ganz  darauf  angelegt,  dass 
Korah  und  die  Seinen  von  dem  Feuer,  welches  sie  bei  der  Stifts- 
hütte auf  ihre  Räucherpfannen  bringen,  verzehrt  werden. 

Die  Integrität  der  zu  JE  gehörigen  Yerse  v.  31 — 33  (ausge- 
nommen V.  32b)  wird  durch  Deut.  11,  6  gewährleistet.  In  Bezug 
auf  die  von  mir  vorgebrachten  Einwände  dagegen  schliesst  sich 
Kuenen  der  Meinung  Colensos  an:  these  instances,  which  might  help 
to  show  duplicity,  if  supported  by  other  evidence,  here  show  only 
J's  copiousness  and  vivacity  of  style. 

Das  wichtigste  Ergebnis  der  Kritik  von  Num.  16  durch  Kuenen 
ist,  dass  hinsichtlich  der  Auffassung  des  Verhältnisses  von  Aharoniden 
und  Leviten  ein  Unterschied  herrscht  zwischen  den  primären  und 
den  sekundären  Bestandteilen  des  Priestercodex.  Nach  Q  besteht 
zwischen  Aharon  und  Levi  das  beste  Einvernehmen  in  der  mosaischen 
Zeit;  über  dem  Unterschiede  wird  die  Zusammengehörigkeit  nicht 
übersehen,  eine  ausgesprochene  Sympathie  mit  den  Leviten  giebt 
sich  kund.  So  ausser  in  Num.  16.  17  auch  in  Num.  18.  Sehr 
bezeichnend  ist  es,  dass  die  so  drohende  Älisserung  Ezechiels  über 
die  Leviten  Ez.  44,  10  in  Num.  18,  23  zwar  wiederholt  wird, 
aber  mit  Unterlegung  eines  ganz  anderen  harmlosen  Sinnes^).  In 
den  sekundären  Stücken  des  Priestercodex  wird  die  Kluft  zwischen 
clerus  major  und  minor  weit  stärker  betont,  die  Leviten  werden 
möglichst  herabgedrückt.  So  besonders  in  Num.  3.  4.  8.  Die 
Differenz  besteht  allerdings  weniger  in  der  Sache,  als  in  der 
Stimmung.     Trotzdem  darf  sie  nicht  übersehen  werden. 


'&• 


Die  Eroberung  des  Amoriterreichs  (Num.  21). 

Die  Amoriter  wohnen  nicht  bloss  östlich,  sondern  auch  westlich 
des   Jordans.     Ich  habe   oben  p.    133.    134   hervorgehoben,    dieser 

^)   ])V  N*t^^  heisst  bei  Ezechiel  die  Schuld  büssen,  iu  Num.  18  das  Risiko 
tragen.     Vgl.  oben  p.  181. 


Die  Eroberung  des  Amoriterreichs,  3-43 

Name  sei  in  E  der  allgemeine  der  Urbevölkerung.  Ebenso  bei 
Arnos  und  sonst.  Er  wird  freilich  nicht  in  so  weitem  Sinne  ge- 
braucht wie  der  der  Kanaaniter,  die  sich  ja  nach  Gen.  10  bis  an 
den  Euphrat  erstrecken;  er  l:)eschränkt  sich  auf  die  Vorgänger  der 
Hebräer  in  Palästina.  Für  diese  wdrd  er  aber  völlig  allgemein  an- 
gewandt; das  vorisraelitische  Palästina,  welches  im  Pentateuch  das 
Land  Kanaans  heisst,  heisst  beim  Propheten  Arnos  das  Land  des 
Amoriters,  Während  indessen  die  Kanaaniter  noch  in  der  Gegen- 
wart der  biblischen  Erzähler  im  Lande  wohnen,  nämlich  in  den 
von  den  Israeliten  nicht  okkupii'ten  Städten  der  Ebene,  haben  die 
Amoriter  vor  Zeiten  da  gewohnt,  wo  jetzt  die  Israeliten  wohnen, 
in  dem  Gebirgsland  östlich  und  westlich  vom  Jordan.  Sie  gehören 
lediglich  der  Vergangenheit  an,  sie  sind  ausgerottet,  als  ihre  Schuld 
voll  war  (Gen.  15).  Es  erklärt  sich  daraus,  dass,  wenn  unter  ge- 
W'öhnlichen  friedlichen  Verhältnissen  die  Kanaaniter  als  die  alten 
Bewohner  des  Landes  genannt  werden,  die  Amoriter  doch  sofort  an 
ihre  Stelle  treten,  wo  von  Krieg  und  Eroberung  die  Rede  ist 
(Gen.  48,  22).  Sihon  und  Og,  gegen  die  Moses  kämpft,  sind  Könige 
der  Amoriter,  ebenso  hat  es  Josua  im  diesseitigen  Lande  mit  den 
zwölf  Königen  der  Amoriter  zu  tun.  Man  versteht  ferner,  dass  die 
Amoriter,  als  untergegangene  Bevölkerung,  einen  mythischen 
Charakter  angenommen  haben  und  wie  Riesen  vorgestellt  werden, 
so  hoch  wde  Cedern  und  so  stark  wie  Eichen. 

Wenn  nun  ein  ethnologischer  Unterschied  zwischen  Amoritern 
und  Kanaanitern  nicht  besteht,  so  w^ar  also  auch  im  Ostjordanlande 
die  amoritische  Urbevölkerung  kanaanitisch.  Daraus  erklärt  sich, 
dass  nicht  bloss  die  Israeliten,  sondern  auch  die  Moabiter  und 
zweifellos  ebenso  die  Edomiter  und  Ammoniter  die  Sprache  Kanaans 
redeten.  Dass  Hebräisch  nicht  Phönicisch  ist,  ist  kein  Einwand 
daojeQjen.  Das  Phönicische  ist  nur  Ein  kanaanitischer  Dialekt  und 
wird  sich  vom  Hamoritischen,  Hevitischen,  Amoritischen  ebenso 
unterschieden  haben  wie  vom  Hebräischen.  Es  ist  möglich,  dass 
sich  die  Sprache  Kanaans  in  grauer  Vorzeit  auch  über  die  Nomaden- 
stämme im  Süden  Palästinas  erstreckt  hat.  Wenn  das  aber  nicht 
der  Fall  ist,  so  ist  sie  jedenfalls  von  den  Israeliten  schon  in  der 
Zeit  angenommen,  als  sie  noch  mit  ihren  Vettern  vereinigt  waren, 
also  nicht  erst  nach  dem  Auszuge  aus  Ägypten.  Ein  religiöser 
Einfluss  Kanaans  auf  Moab  zeiget  sich  in  dem  Kultus  des  Baal 
Pheor. 


344  Nachträge. 

Num.  21,  27 — 30  wü'd  von  Eduard  Meyer  und  Bernhard  Stade 
auf  weit  spätere  Ereignisse  bezogen.  Ich  stimme  dieser  Meinung 
zu,  obwol  ich  mit  der  Begründung  nicht  ganz  einverstanden  bin. 
Hätte  das  Lied  hier  seine  richtige  Stelle,  so  wäre  es  künstlich  ge- 
macht. Diesen  Eindruck  macht  es  durchaus  nicht.  Ist  es  aber 
echt,  so  ist  es  nicht  mosaisch.  Trotzdem  ich  nun  auf  dies  Zeugnis 
verzichte,  halte  ich  doch  an  den  Grundzügen  der  Tradition  über 
das  Eindringen  der  Israeliten  in  Palästina  fest,  weil  ich  glaube, 
dass  sie  sich  nicht  anders  erklären  lassen  als  aus  Fakten  und  iln-er- 
seits  eine  genügende  Erklärung  der  anderweit  feststehenden  Tat- 
sachen bieten. 

Aus  dem  Konglomerat  der  hebräischen  Geschlechter,  stelle  ich 
mir  vor,  erwuchsen  mit  ihrer  Ansiedelung  im  Ostjordanlande 
mehrere  Volksgebilde  und  verfestigten  sich  zu  selbständigem  Leben. 
Zuerst  trennten  sich  Lot  und  Isaak^);  der  eine  fasste  im  Norden, 
der  andere  im  Süden  des  Wüstenbaches  Wurzel,  der  von  Osten  her 
in  das  untere  Ende  des  Toten  Meeres  einfällt.  Innerhalb  Lots  ge- 
langte dann  ein  Teil  früher  zu  sesshafter  Geschlossenheit  als  der 
andere;  Moab  sonderte  sich  auf  diese  Weise  von  Ammon,  dem 
weniger  begünstigten  Reste,  welcher  in  näherer  Verbindung  mit 
der  Wüste  und  dem  Wüstenleben  blieb.  Ähnlich  war  in  Isaak 
das  Verhältnis  von  Edom  und  IraeP).  Nachdem  Edom  sich  kon- 
solidirt  hatte,  blieb  noch  unverbrauchtes  Material  zurück,  wie  ein 
lockerer  Schweif  an  einem  festen  Körper;  gewisse  Familien  fanden 
im  Lande  Seir  keinen  Platz  oder  waren  aus  anderen  Gründen  in 
der  edomitischen  Volksbildung  nicht  aufgegangen.  Das  war  Israel 
im  embryonischen  Zustande^).  Die  wahre  Heimat  der  Erzväter 
liegt  zwischen  Edom  und  Ägypten,  wo  der  Süden  Palästinas  in  die 
Wüste  übergeht. 

Von  da  nach  Ägypten  ist  kein  grosser  Schritt.  In  dem  Ml- 
lande  sind  die  Israeliten  nach  der  echten  Überlieferung  nie  ge- 
wesen, sondern  im  Lande  Gosen,  welches  noch  nach  Palästina  hin- 
eim-eicht  (Jos.  10,  41.  11,  16),  von  den  Griechen  zu  Arabien  ge- 
rechnet wird,    und  obzwar    den  Pharaonen  unterworfen,    doch  zu 


^)  Abraham  ist  nicht  mehr  als  Isaak;  wäre  er  ursprünglich,  so  müsste  er 
Lot  und  Isaak  zusammenfassen,  was  er  bekanntlich  nicht  tut. 

2)  Es  ist  die  ewig  sich  wiederholende  Zwieteilung  von  .^oL^-  und  ob. 
^)  damals  wol  noch  nicht  unterschieden  von  Kain,  Kenaz,  Amalek. 


Die  Eroberung  des  Amoriterreichs.  345 

allen  Zeiten  von  semitischen  Nomaden  beweidet  worden  ist.  Es 
scheint  aber,  dass  auch  im  Lande  Gosen,  unter  ägyptischer  Herr- 
schaft, nicht  alle  israelitischen  Stämme  sich  aufgehalten  haben. 
Die  Söhne  Jakobs  stehn  sich  nach  der  Genesis  hinsichtlich  ihrer 
Beziehung  zu  Ägypten  nicht  gleich,  Joseph  hat  ein  weit  näheres 
Verhältnis  zu  jenem  Lande  als  seine  Brüder.  Dass  diese  ihm  später 
naclifolgen,  ist  die  notwendige  Konsequenz  der  Vorstellung,  dass 
Israel  bereits  Jahrhunderte  vor  Moses  existirt  habe  und  Jakob  älter 
sei,  als  seine  zwölf  Söhne.  In  Wirklichkeit  sind  vielleicht  die  Lea- 
stämme  nie  in  Ägypten  gewesen,  sondern  haben  von  ihren  östlich 
angrenzenden  Sitzen  den  stammverwandten  Söhnen  Raheis  in  Gosen, 
zur  Zeit  des  Auszuges,  die  Hand  geboten  und  sich  erst  damals  zu 
einem  Volke  mit  ihnen  vereinigt.  Dann  würde  sich  auf  eine  ein- 
fache Weise  erklären,  warum  Moses  von  di'üben  her  nach  Gosen 
kam,  um  die  Erhebung  anzustiften,  und  warum  er  dort  schlechthin 
der  Levit  genannt  wurde,  ein  Name,  der  in  Lea  oder  in  Levi  selber 
kaum  hätte  aufkommen  können.  Auch  die  überlegene  Sonder- 
stellung, welche  Joseph  als  der  eigentliche  Träger  der  Geschichte 
Israels  von  Anfang  an  einnimmt,  wäre  dann  kein  Rätsel  mein-, 
wälu'end  man  zugleich  den  Anspruch  der  Bne  Lea  auf  höheres 
Alter  und  ihi-es  Erstgeborenen  Rüben  auf  die  Hegemonie  wol  be- 
greifen könnte. 

Wie  dem  auch  sei,  die  Grenzgegend  Palästinas  zwischen  Ägypten 
und  Edom,  wie  sie  vielleicht  die  Urheimat  des  embryonischen 
Israels  gewesen  ist,  war  sicher  die  Stätte,  wo  in  der  mosaischen 
Zeit  das  geschichtliche  Israel  aus  dem  ethnischen  Chaos  sich  aus- 
scliied  und  zu  einer  wie  immer  beschaffenen  nationalen  Einheit 
zusammenschloss.  Ebenso  unzweifelhaft  aber  ist  es,  dass  die  Israe- 
liten nicht  von  da  aus  direkt  nach  Norden  in  ihre  spätere  Heimat 
eingedrungen  sind^).  Diese  Tatsache  kann  nicht  erdichtet,  sie 
muss  überliefert  sein  —  schon  deshalb,  weil  sie  den  Späteren  so 
sonderbar  und  rätselhaft  vorkam,  dass  sie  die  Geschichte  von  den 
Kundschaftern  erfanden,  um  sie  zu  erklären.  Auch  Juda  hat  sein 
Land  nicht  von  Süden  aus  erobert.  Denn  einmal  ist  es  schwer 
mögHch,  ihn  von  Rüben,  Simeon  und  Levi  zu  trennen;  sodann 
steht  es  fest,  dass  der  südliche  Teil  seines  Landes  am    spätesten 


^)  Dass  sie  Versuche  dazu    gemacht  haben,    braucht    natürlich    nicht    ge- 
leugnet zu  werden.     Sie  sind  dann  aber  nicht  gelungen. 


346  Nachträge. 

in  seinen  Besitz  gelangt  ist.  Nicht  Jnda  hat  Hebron  erobert,  son- 
dern Kaleb.  Erst  in  Folge  der  Politik  Davids  verwuchsen  Kaleb, 
Othniel,  Jerachmeel  und  die  übrigen  Kainiten,  die  im  Negeb  wohn- 
ten, völlig  mit  Juda,  und  dadurch  wurde  Hebron  die  Hauptstadt 
des  Stammes.  Seine  ältesten  Sitze  aber  hatte  er  oben  im  Norden, 
in  der  Gegend  von  Thekoa,  Bethlehem,  Baal  Juda. 

Also  zogen  die  Israeliten  östlich  um  das  Tote  Meer  herum 
und  Hessen  sich  nördlich  vom  Ai'non,  zwischen  Moab  und  Ammon, 
nieder.  Das  kann  nun  nur  im  Einverständnis  mit  Edom,  Moab  und 
Ammon  geschehen  sein.  Von  Kades  aus  an  den  Arnon  zu  ge- 
langen, ohne  diese  Völker  zu  berühren,  war  für  ein  Heer  ein  Ding 
der  Unmöglichkeit.  In  der  Angabe  Num.  20, 14.  21,  dass  die  Israe- 
liten durch  die  Feindseligkeit  ihrer  Vettern  gezwungen  seien,  den 
Umweg  südlich  um  Seir  herum  durch  die  Wüste  zu  nehmen,  zeigt 
sich  die  Stimmung  späterer  Zeiten.  Diese  Feindseligkeit  ist  erst 
eine  Folge  der  Taten  Davids;  zur  Zeit  Moses  hat  sie  schwerlich 
bestanden.  Vielmehr  ist  die  Wahl  der  ostjordanischen  Land- 
schaft, welche  die  zweite  Etappe  der  israelitischen  Wanderung  war, 
nur  erklärlich,  wenn  damals  noch  ein  lebendiges  Gemeinschafts- 
gefühl zwischen  den  vier  Brudervölkern  bestand.  Zufällig  kann  es 
nicht  sein,  dass  die  Israeliten  gerade  die  Lücke  zwischen  Moab 
und  Ammon  stopften. 

Dass  diese  Lücke  von  dem  Wiedereindringen  der  Amoriter 
herrührte,  hat  man  ebenfalls  keinen  Anlass  zu  bezweifeln.  Sie 
kann  nicht  immer  zwischen  Moab  und  Ammon  vorhanden  gewesen 
sein;  die  Ansprüche,  welche  die  Moabiter  später  auf  das  Land 
nördlich  vom  Arnon  als  auf  ihr  altes  Eigentum  machten,  sind  ohne 
Zweifel  begründet.  Sie  kann  aber  auch  nicht  erst  durch  die  Israe- 
liten gerissen  sein;  denn  die  konnten,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht 
als  Feinde  der  Moabiter  dahin  gelangen.  Es  bleibt  mithin  nur  übrig, 
sich  bei  der  Überlieferung  zu  beruhigen,  dass  die  Amoriter  damals 
Herren  des  Landes  nördlich  vom  Arnon  waren,  und  dass  es  ihnen 
von  den  Israeliten  entrissen  wurde.  Es  war  also  im  Ostjordan- 
lande eine  Art  Rückschlag  der  Kanaaniter  eingetreten  gegen  die 
hebräischen  Stämme,  welche  sie  unterworfen  hatten.  Sie  hatten 
die  Ammoniter  aus  Gilead  verdrängt  und  den  Moabitern  die  Nord- 
hälfte ihres  Landes  abgenommen.  Das  war  die  Gelegenheit,  wo- 
durch die  Israeliten  in  diese  Gegend  geführt  wurden.  Sie  handel- 
ten zugleich  im  eigenen  Interesse  und  im  Interesse  ihrer  Stamm- 


Num.  22—24.  347 

verwandten,  indem  sie  Sihon  von  Hesbon  angriffen  und  sein  Reich 
zerstörten.  Wie  sie  auf  andere  Weise  dazu  kommen  sollten,  den 
Sprung  von  Kades  nach  Ilesbon  zu  machen,  wäre  schwer  zu  erklären. 
Dass  die  Moabiter  und  Ammoniter  ihre  Helfer  hernach  wieder  los  zu 
werden  sich  bestrebten,  ist  nicht  zu  verwundern. 

Die  israelitische  Ü)) erlief erung  besteht  in  diesem  Punkte  die 
Prüfung.  Wenn  sie  auch  nur  möglich  ist,  so  wäre  es  Torheit, 
ihr  eine  andere  Möglichkeit  vorzuziehen.  Jedenfalls  ist  eine  zur 
Zeit  Moses  begründete  vorpolitische  Einheit  der  \vichtigsten  israe- 
litischen Stämme  zum  Verständnis  der  folgenden  Geschichte  unent- 
behrlich. 


Num.  22—24. 

Kuenen  (Theol.  Tijdschrift  1884  p.  497  ss.)  bestreitet,  dass  sich 
in  der  Haupterzählung  (E),  abgesehen  von  der  Geschichte  von  der 
Eselin  (J),  noch  andere  disparate  Elemente  und  Spuren  von  Zu- 
sammenstückung finden.  Er  ist  der  Meinung,  dass  der  Verfasser 
von  E  selber  das  aus  J  stammende  Stück  seiner  Erzählung  einver- 
leibt habe.  Was  ich  an  Wiederholungen  und  Unebenheiten  nach- 
gewiesen habe,  sucht  er  zu  verwischen. 

Zeichen  von  Komposition  habe  ich  zunächst  entdeckt  im  An- 
fange A^^on  Kap.  22.  „Denn  v.  3  a  ist  =  v.  3b;  der  letzte  Satz 
von  V.  4  setzt  den  v.  2  nicht  voraus;  in  v.  5  ist  )b  J<"lp'p  )ÜV  "'^11  V*^^< 
eine  sehr  fremdartige  Apposition,  und  es  steigt  der  Verdacht  auf, 
dass  wol  die  Söhne  Ammons  gemeint  sein  möchten."  Kuenen 
erklärt  „die  Pleonasmen"  in  v.  2 — 4  aus  Überarbeitung;  als  ob 
nicht  ein  Überarbeiter  diese  Pleonasmen' eher  gestrichen  hätte,  als 
so  ganz  unmotivirt  zugesetzt.  In  Bezug  auf  v.  5  findet  er  es  un- 
anstössig,  dass  hervorgehoben  werde,  Pethor  sei  nicht  der  zufällige 
Aufenthalt,  sondern  die  Heimat  Bileams.  Mag  sein.  Aber  )DV  ""-^  Y^.^ 
lässt  sich  von  )b  Nipb  nicht  trennen,  und  es  ist  zweifellos,  dass 
der  Passus  )h  N"lp^  'V  'ü  pi<  sich  unpassend  zwischen  "in^rrby 
und  "IDi^b  eindrängt.  Dazu  kommt,  dass  die  Septuaginta  wirklich 
]'\12V  ""ü  Y^i<  las  statt  )DV  "2.  'N;  dass  dieser  Widerspruch  erst 
hineingetragen  wurde,  ist  offenbar  schwieriger  anzunehmen,  als  dass 
er  durch  Streichung  des  Schlussbuchstabens  beseitigt  wurde.  An 
sich  ist  ein  Schwanken  der  Sage  über  die  Herkunft  Bileams  nichts 
weniger  als  verwunderlich.     Bela  ben  Beor  Gen.  36,  32  ist  doch 


348  Nachträge. 

gewiss  mit  Bileam  ben  Beor  ursprünglich  identiscli,  trotzdem  er 
ein  Edomit  ist,  der  erste  König  von  Edom. 

Dillmann,  der  mir  hier  gegen  Kuenen  beitritt,  meint,  dass  J 
das  Land  Ammon  oder  jedenfalls  ein  Moab  benachbartes  Land  als 
Heimat  Bileams  genannt  habe.  Er  beruft  sich  darauf,  dass  in  dem 
Stück  über  die  Eselin,  welches  auch  Kuenen  als  aus  J  eingesprengt 
betrachtet,  die  Reise  Bileams  nicht  durch  die  Wüste,  sondern  durch 
Weinbergsmauern  geht.  Obwol  dieser  Grund  nur  bei  gutem  Willen 
füi'  beweiskräftig  gehalten  werden  kann,  so  schliesse  ich  mich  doch 
der  Meinung  Dillmanns  an.  Und  zwar  deshalb,  weil  in  J  (22,  22 ss.) 
Bileam  allein  reist:  einen  Weg  wie  von  Pethor  an  den  Jordan 
kann  man  nicht  ohne  Begleitung  unternehmen  und  gegen  eine 
solche  Regel  kann  der  alte  Erzähler  nicht  Verstössen^). 

Ich  habe  es  ferner  als  einen  nicht  zu  dem  Hauptberichte  von 
E  passenden  Zug  bezeichnet,  dass  nach  22,  37  Balak  nach  den 
ersten  Boten  keine  weiteren  schickt,  sondern  da  Bileam  vergeblich 
auf  sich  warten  lässt,  sich  endlich  persönlich  aufmacht,  um  ihn 
zu  holen  ^),  und  ich  habe  darum  22,  37  zu  J  gewiesen.  Kuenen 
sucht  mich  zu  widerlegen,  indem  er  den  Sinn  von  v.  37  nach 
V.  38  bestimmt,  welchen  letzteren  Vers  ich  keineswegs  auch  noch 
zu  J  gezogen  habe.  Natürlich  ist  das  keine  Widerlegung;  v.  37 
muss  aus  sich  selbst  interpretirt  und  nach  seinem  eigenen  Wort- 
laute verstanden  werden.  Wenn  Kuenen  behauptet,  mit  dem  hin- 
zugefügten Lifinitivus  absolutus  TH'p^  mbl^  werde  unverkennbar 
angedeutet,  dass  Balak  mehr  als  einmal  Boten  zu  Bileam  ge- 
sandt habe,  und  v.  37  sehe  also  auf  den  Bericht  von  E  zurück,  so 
weiss  ich  nichts  von  einer  solchen  unverkennbaren  Bedeutung  des 
Infinitivus  absolutus.  Wenn  er  ferner  meint,  aus  Balaks  Vorwurf: 
warum  bist  du  nicht  zu  mir  gekommen?  folge  nicht,  dass 
Bileam  wirklich  noch  nicht  zu  ihm  gekommen  sei,  so  versteh  ich 

^)  Gegenwärtig  würde  ein  solcher  Weg  auch  nicht  z u  E  s  e  1  unternommen. 
Die  Araber  bezeichnen  sprichwörtlich  eine  kurze  Strecke  als  Eselsdurst.  Aber 
Jakobs  Söhne  ziehen  mit  Eseln  durch  die  Wüste  nach  Ägypten,  und  auch  in 
Isa.  30,  6  erscheinen  die  Esel  neben  den  Kamelen.  Der  Karawanenhandel 
über  Palmyra  wurde  ebenfalls  nicht  bloss  mit  Kamelen,  sondern  auch  mit  Eseln 
betrieben.     Vgl.  Doughty  1,  281.  428. 

2)  Bileam  hat  in  J  den  Boten  Balaks  keinen  abschlägigen  Bescheid  ge- 
geben, sondern  sie  ziehen  lassen  mit  ungewisser  Aussicht,  dass  er  nachkäme. 
So  kommt  es  mir  jetzt  vor,  etwas  anders  als  wie  ich  es  oben  p.  109  s.  dar- 
gestellt habe. 


Niim.  22—24.  349 

das  cauch  nicht.  Kuenen  kann  doch  unmöglich  glauben,  „warum 
bist  du  nicht  zu  mir  gekommen?"  sei  eben  so  viel  wie  „warum 
bist  du  nicht  gleich  das  erste  mal,  sondern  erst  jetzt,  auf  wieder- 
holtes Drängen,  zu  mir  gekommen?"  Die  Negation  gilt  dem  Satz 
und  nicht  einem  (gar  nicht  vorhandenen)  Adverbium  der  Zeit. 
Wenn  nun,  nach  dem  allein  zulässigen  Sinne  des  Wortlautes  von 

22,  37,  der  Prophet  nicht  zu  Balak  gekommen  ist  und  beide  doch 
bei  einander  sind,  so  ist  Balak  zum  Propheten  gekommen.  Die 
Voraussetzung  ist,  dass  derselbe  nicht  so  weit  entfernt  wohnt.  In 
E  geht  Balak  ihm  nur  bis  zur  äussersten  Grenze  seines  Landes 
entgegen:  das  ist  eine  Abschwächung,  die  dadurch  nötig  gemacht 
ist,  dass  Bileam  nach  E  am  Euphrat  wohnt  —  so  weit  konnte  der 
Moabiterkönig  nicht  wol  gehn.  Weiter  folgt  mit  Notwendigkeit, 
dass  Bileam  in  J  auf  das  Widerstreben  der  Eselin  umkehrte,  dann 
den  Besuch  des  Königs  selber  empfing  und  mit  diesem  zu  gehn 
Erlaubnis  erhielt. 

Ich  habe  endlich  zwischen  Kap.  23  und  Kap.  24  eine  durch 

23,  26 — 24,  1  verputzte  Fuge  entdeckt  und  die  beiden  Kapitel 
für  parallel  erklärt.  Die  Gründe,  welche  ich  dafüi'  oben  p.  110  s. 
angeführt  habe ,  '  machen  auf  Kuenen  keinen  Eindruck.  Er  ent- 
kräftet sie  aber  nicht  im  geringsten^),  sie  lassen  sich  sogar  noch 
verstärken.  Die  ausfühidiche  Wiederholung  der  Opfervorbereitung 
in  23,  29  s.,  wörtlich  übereinstimmend  mit  23,  Is.,  fällt  um  so 
mehr  auf,  da  schon  in  23,  14  die  Fassung  viel  kürzer  gewesen  ist 
(Dillmann).  Der  Übergang  von  24,  1  zu  24,  2  ist  hart,  die  Nen- 
nung Bileams  in  v.  2  durch  keinen  Subjektswechsel  motivirt. 

Wenn  in  J  die  Geschichte  der  Eselin  enthalten  gewesen  ist, 
so  auch  die  ganze  Geschichte  Bileams.  Dadurch  erhalten  auch 
kleine  Hemmnisse  im  Flusse  der  Erzählung  Bedeutung,  und  Nuancen 
das  Gewicht  von  Widersprüchen.  Auf  jeden  Fall  ist  die  Aufgabe 
nicht  die,  die  Spuren  von  J  zu  verwischen,  sondern  sie  aufzu- 
decken. Dass  die  Aufgabe  gelingt,  habe  ich  gezeigt.  Damit  ist 
Kuenens  Behauptung  widerlegt,  dass  in  Num.  22 — 24  J  und  E  nicht 


^)  Dem  Nachweis,  dass  der  Pisga  der  dominirende  Berg  über  der  Ebene 
Jeschimon  ist,  sucht  Kuenen  dadurch  zu  entgehn,  dass  er  Jeschimon  mit 
Wüste  übersetzt.  Über  der  Wüste  ragen  allerdings  viele  Berge  hervor.  Aber 
Jeschimon  ist  Eigenname  einer  ganz  bestimmten  Lokalität,  nicht  Appellativ 
für  Wüste.  Der  Berg,  der  die  Ebene  Jeschimon  beherrscht,  ist  mit  sich  selber 
identisch. 


350  Nachträge. 

durch  einen  Dritten,  d.  Ii.  durch  den  Jehovisten,  sondern  durch 
den  Verfasser  A^on  E  selber  zusammengefügt  seien.  Die  auch  von 
mir  anerkannte  Glätte  der  Erzählung  führt  durchaus  nicht  vom 
Jehovisten,  als  dem  Verfasser  derselben  in  ihrer  gegenwärtigen  Ge- 
stalt, ab.  Den  Eindruck  aus  einem  Gusse  zu  sein  macht  bei  ober- 
flächlicher Betrachtung  nicht  bloss  die  Geschichte  von  Bileam,  son- 
dern noch  manches  andere  zu  JE  gehörige  Stück.  Warum  also 
soll  die  gelungene  Verschmelzung  von  J+E  hier  nicht  eben  so 
wol  wie  anderwärts  dem  Jehovisten  zugeschrieben  werden?  warum 
soll  hier  seine  Tätigkeit  überhaupt  geleugnet  und  ein  einzelner 
Fall  der  Analogie  entzogen  werden? 

Es  bleibt  noch  die  Frage  übrig,  ob  Kap.  23  zu  J  und  Kap.  24 
zu  E  gehört,  wie  ich  angenommen  habe,  oder  ob  es  sich  umge- 
kehrt verhält,  wie  Dillmann  annimmt^).  Ich  habe  meine  Ansicht 
gestützt  auf  die  am  ehesten  J  zuzutrauende  heidnische  Weise ,  wie 
in  Kap.  23  Jahve  durch  Opfer  veranlasst  wird,  dem  Seher  zu  er- 
scheinen. Aber  dieser  allgemeine  Grund  fällt  doch  nicht  in  das 
Gewicht  gegenüber  den  besonderen,  welche  für  Dillmanns  Ansicht 
sprechen.  Nach  23,  7  ist  Bileam  aus  Ar  am  geholt  worden,  also 
gehört  Ivap.  23  zu  E.  Dagegen  24,  12  s.  stimmt  mit  22,  18,  wel- 
chen Vers  ich  oben  p.  110  mit  Recht  zu  J  gerechnet  habe;  also 
gehört  Kap.  24  zu  J^).  Allerdings  liegt  die  Erwartung  nahe,  dass 
der  spätere  Erzähler  die  Orakelsprüche,  die  er  bei  dem  älteren 
vorfand,  nicht  änderte,  sondern  einfach  übernahm.  Aber  er  scheint 
doch  nicht  so  verfahren  zu  sein.  Ganz  ins  Reine  wird  die  Sache 
wol  schwerlich  je  gebracht  werden. 

Zum  Schlüsse  erlaube  ich  mir  noch,    einige  textkritische  und 


1)  Die  Gottesnamen  mn''  nncl  DTi^^^H  wechseln  so  willkürlich,  dass  dar- 
aus kein  Kriterium  entnommen  werden  kann. 

2)  Nach  24,  11  kann  man  nun  umgekehrt  schliessen,  dass  auch  22,  16.  17 
zu  J  gehören.  Dagegen  lässt  sich  aus  24,  12  s.  nicht  folgern,  dass  in  J  doch 
nicht  Balak  persönlich  den  Seher  geholt  habe.  Denn  wenn  dies  in  24,  12  s. 
ursprünglich  erwähnt  war,  so  musste  der  Jehovist  es  streichen,  weil  es,  in 
der  Antithese  zur  Sendung  der  Boten,  schlechterdings  nicht  miszuverstehn  war. 
Wir  sind  geneigt,  zu  verlangen,  dass  ein  Redaktor  immer  schlafe,  weil  wir 
niu-  aus  Stellen,  wo  er  wirklich  geschlafen  hat,  argumentiren  können:  aber  in 
Wahrheit  schläft  er  doch  nur  zuweilen.  Jedenfalls :  an  dem  Sinne  von  22,  37 
lässt  sich  nicht  rütteln,  die  Negation  daselbst  lässt  sich  durch  keinen  Kunst- 
griff wegdeuten. 


Num.  22—24.  351 

exegetische  Bemerkungen  hinzuzufügen,  die  zum  teil  auch  für  die 
literarische  Kritik  einige  Bedeutung  haben.  Wenn  22,  41  und  23, 13 
in  echtem  Zusammenhange  stehn,  so  ist  das  DVn  Hi^p  22,  41  auf- 
fällig. Man  erwartet  „das  ganze  Volk";  diesen  Sinn  schreiben 
Gesenius  und  Ewald  wirklich  den  Worten  zu,  aber  D^H  iDip  ist 
nicht  das  selbe  wie  IHlipD  D^n-  Die  absteigende  Klimax  22,  41. 
23,  13  scheint  sich  zu  vollenden  in  24,  1;  denn  V:©  nD."IDn~bwX  C^'>^ 
kann  kaum  etwas  anderes  bedeuten  als:  er  drehte  dem  Lager 
Israels  den  Rücken  zu.  —  In  "iB^l/  "jb'^'I  23,  3  hat  Kuenen  die  A^er- 
derbnis  erkannt  und  sie  durch  die  Emendation  D''St^D  HN'lp'/  zu 
heilen  gesucht;  dass  □''^t^'D  auf  Omina  übertragen  werden  kann, 
ist  freilich  nicht  nachweisbar,  aber  vielleicht  nicht  unmöglich,  da 
die  Etymologie  verblasst  war.  —  23,  4  kann  vb^  ^.Di^i)  nach  v.  1.  2 
nichts  anderes  bedeuten  als:  Balak  sagte  zu  Bileam.  Der  mit  diesen 
Worten  eingeleitete  Satz  scheint  also  verstellt  zu  sein;  die  Folge 
der  Verstellung  ist  der  Einsatz  D^'^'^i  p^^  v.  2,  welcher  in  der 
Septuaginta  fehlt.  —  23,  7  G^i^  =  Dip  """l^in  ist  sonderbar,  wenn- 
gleich es  Hügel  in  der  Nähe  von  Pethor  giebt.  Ich  bezweifle,  dass 
der  Ausdruck  hier  anders  verstanden  w^ erden  darf  als  Deut.  33,  15. 
—  23,  15  ist  nip^  mit  Bileam  als  Subjekt  wol  nicht  der  selbe 
Stamm  der  Wurzel  wie  v.  3  s.  16  1p">)  mit  Jahve  als  Subjekt, 
Vielleicht  ist  n^pi^  Mphal,  dagegen  "ip""!  Kai.  —  23,  21  liest  Kuenen 
mit  Recht  tO''3.N*  und  nx"1N*  statt  ID^^n  und  HNI.  —  23,  20  habe 
ich  richtig  "j"i:iNT  (und  ich  habe  gesegnet)  erkannt  in  "|"in.1;  des- 
gleichen 24,  3.  15  pi?  ncnw  (schettamma)  in  jiyn  nri'\l/-  Aber  statt 
des  allerdings  völlig  sinnlosen  nophel  24,  4.  16  kann  nicht  neplial 
gesprochen  werden,  weil  es  kein  Mphal  von  bbü  gibt,  weil  die  ge- 
forderte Bedeutung  von  bbs  sich  nicht  erweisen  lässt,  und  weil 
ein  so  weit  von  seinem  Genetiv  getrennter  Status  constructus  auf 
Konjektur  nicht  acceptabel  ist.  —  24,  8  habe  ich  früher  auch  an 
Viirb  statt  V^n  gedacht,  wie  Dillmann  scln^eiben  will,  jetzt  glaube 
ich  aber,  dass  □»T'^^n,  entsprechend  dem  vorhergehenden  Gn'>mDiiy, 
das  richtige  ist  (Deut.  33,  11).  —  24,  17  ist  nil  (dvaxelsX  Sept.) 
zu  emendii'en  statt  "|*n-  Als  Prädikat  zu  ^2.3)3  ist  "["n  durchaus 
nicht  zu  gebrauchen;  es  ist  durch  Hörirrtum  entstanden,  da  "1  wie 
I  und  D  wie  D  ausgesprochen  wii'd  ^).     Am  Schluss  muss  man  ent- 

1)  A^gl.  in^tJD  für  in''t)nPs.  143, 9;  'HD  füi-i^D  Isa.  5,  13;  OßsCa&r^s 
Waddington  1977.  BeCs^a  oder  Be&sCoc  ist  allerdings  nur  dann  Neuhaus  (Bell. 
lud.  2,   350)  wenn  ^^mPl  n''rL   statt  N*mn  Nn'>n  möglich  ist. 


352  Nachträge. 

weder  HNb'  ''311  b'D  "Ip"Ip  lesen  oder  genau  nacli  Hier.  48,  45  (vgl. 
Am.  2,  2)  ]\S*^"  1:3.  'D  'p.  Eine  Form  ni<*^  =  ])^\y  ist  unmöglich. 
Die  Verweisung  auf  Lament.  3,  47  hilft  nichts,  um  sie  möglicher 
zu  machen,  zumal  dort  die  Bedeutung  jl^^l^'  gar  nicht  einmal  passt. 
Auch  in  24,  18.  19  ist  der  Text  nicht  überall  in  Ordnung.  —  Die 
letzten  Sprüche  machen  einen  apokalyptischen  Eindruck,  die  Namen 
sind  gekünstelt  altertümlich.  In  v.  22  wird  Obad.  3  benutzt.  Das 
gemeinte  Land  ist  jedenfalls  die  Gebalene,  das  Volk  aber  nicht 
mehr  Edom,  sondern  Qain,  d.  h.  vielleicht  die  Nabatäer;  von  einer 
Gefangenführung  derselben  durch  Assur  ist  freilich  nichts  bekannt. 
In  bwNIDl^  V.  23  entdeckt  DHMüller  (Propheten  p.  215)  den 
Landesnamen  Sam'al,  mit  dem  man  meines  Erachtens  hier  nichts 
anfangen  kann.  Unter  DTiD  v.  24  scheint  der  Vf.  des  Daniel 
(11,  30)  die  Römer  verstanden  zu  haben;  aber  das  Wort  bezeichnet 
kein  Volk,  sondern  ein  Land,  wegen  der  Präposition  1^^-  Was  D""!? 
bedeutet,  steht  nicht  fest;  w^enn  von  einer  Invasion  zu  Schiff  von 
Westen  her  die  Rede  wäre,  so  würden  wir  in  späte  Zeit  herabge- 
führt. Mit  Assur  und  Eber  scheint  „ganz  Asien"  gemeint  zu  sein. 
Eber  hält  Dillmann  für  Transeuphratene ;  in  dieser  Bedeutung  ist 
es  nicht  alt,  vgl.  auf  p.  271  die  Bemerkung  zu  1.  Reg.  5,  4,  die 
nicht  von  Eduard  Meyer  herrührt.  Assur  könnte  an  sich  wol  all- 
gemeine Bezeichnung  der  asiatischen  Grossmacht  sein,  sei  es  der 
persischen  oder  seleucidischen;  seltsam  wäre  aber  dann  die  Coordi- 
nation  mit  Eber,  der  erwarten  lässt,  dass  Eber  und  Assur  zwei 
Hälften  eines  Ganzen  sind.  Man  kommt  über  Fragen  und  Zweifel 
nicht  hinaus. 


Num.  32.  Jos.  20.  22. 

Das  Stück  Num.  32,  6 — 15  weist  Kuenen,  wegen  seines  hy- 
briden Charakters,  mit  Recht  der  spätesten  Diaskeuase  zu;  desgleichen 
Jos.  22,  9—34.  Ebenfalls  mit  Recht  streicht  er  in  Num.  32,  33 
die  auf  das  voraufgegangene  Pronomen  folgende  Explicirung:  Gad, 
Rüben  und  halb  Manasse.  Vgl.  Theol.  Tijdschr.  1877  p.  478  ss. 
559  SS. 

Jos.  20  (oben  p.  132)  ist  ein  locus  classicus  für  die  Be- 
stimmung der  Beschaffenheit  und  der  Zeitgrenze  der  epigonischen 
Diaskeuase.  Sie  hat  keine  Eigenart,  sondert  schillert  im  Reflex 
des  ihr  vorliegenden  Gemisches  von  Quellen,   so  aber,   dass  sie  in 


Deut.  12—26.  353 

der  Sache  besonders  von  Q,  im  Ton  daneben  auch  vom  Deute- 
ronomisten  beeinflusst  ist.  Sie  hat  sich  fortgesetzt  bis  unter  die 
Zeit  der  Entstehung  der  Septuaginta.  Man  kann  die  Septuagmta 
als  Grenze  zwischen  Textkritik  und  Literarkritik  benutzen,  muss 
dabei  aber  eingedenk  bleiben,  dass  diese  Grenze  eine  rein  zufällige 
ist,  und  dass  ein  innerer  Unterschied  zwischen  Ergänzen,  Redigiren 
und  Glossiren  auf  diesem  Gebiete  nicht  besteht. 


Deut.  12—26. 

Da  die  kurze  Übersicht  p.  203  nicht  genügt,  so  trage  ich  hier 
eine  ausführlichere  Inhaltsangabe  des  eigentlichen  deut  er  onomischen 
Gesetzes  nach^).  Die  Anrede  mit  Du  ist  die  Regel,  die  mit  Ihr 
ist  vereinzelt^);  sie  beruht  zum  Teil  auf  Versehen  wie  12,  16. 
14,  21  oder  findet  sich  in  Nachträgen  wie  13,  4—6.  20,  2—4. 
Nur  zwei  Stücke  gibt  es,  in  denen  die  pluralische  Anrede  dm'ch- 
geht,  nämlich  14,  1 — 20  und  12,  1 — 12.  In  dem  letzteren  Stück, 
das  als  Anfang  des  Ganzen  das  wichtigste  ist,  ist  HDIS^  HN*!!"!  am 
Schluss  von  v.  6  aus  dem  unmittelbar  folgenden  HDt^  □^^<^m  am 
Anfang  von  v.  7  versehentlich  verdoppelt.  Drei  Relativsätze  mit 
singularischer  Am-ede  in  v.  1.  7.  9  sind  nachgetragen.  Der  letzte 
(Ul  nbn^n  b^l  v.  9)  zeigt  eine  falsche  Auffassung  von  nmjon, 
woran  er  anschliesst.  Denn  damit  ist  nicht  die  erste  Ansiedlung 
in  Palästina  unter  Mose  und  Josua  gemeint,  sondern  die  Gründung 
des  Reichs  und  des  politisch-religiösen  Centrums  .unter  David  und 
Salomo,  wie  ich  in  den  Prolegomena  dargelegt  habe  (1895  p.  20. 
256  vgl.  Ps.  132,  8).  Bis  dahin  erstreckt  sich  eine  Übergangszeit, 
in  der  es  nicht  so  genau  genommen  werden  kann  (12,8).  Erst 
mit  der  Erwählung  Jerusalems  soll  das  Gesetz  der  Einheit  der 
Cultusstätte  in  Kraft  treten;  im  Gegensatz  zu  der  Anschauung  des 
Priestercodex,  wonach  es  schon  seit  der  Einrichtung  der  Stiftshütte 
durch  Mose  gilt,  nicht  bloss  de  iure,  sondern  auch  de  facto. 

12,  1 — 13,  1  Yerbot  des  Jahve-Dienstes  ausserhalb  Jerusalems. 
1)  Ihr  (2.  pl.)  sollt  die  heidnischen  Cultusstätten,  die  ihr  vorfindet, 
nebst  allem  Zubehör   zerstören  und  selber  nur  an   dem  Orte,   den 


^)  Ein  alter  Zuhörer,  Herr  Krause,  hat  die  Güte  gehabt,  mir  die  Nach- 
schrift einer  Vorlesung  zur  Verfügimg  zu  stellen,  die  ich  in  Halle  einmal  über 
das  Deuteronomium  gehalten  habe. 

2)  Vgl.  oben  p.  89  s.  153  s.  166. 

Wellhausen,    Comp.   d.    Hexateuchs.    3.    Aufl.  23 


354  Nachträge. 

Jalive  erwählt,  nachdem  ihr  zu  Ruhe  und  Sicherheit  gelangt  seid, 
eure  Opfer,  Abgaben  und  Gelübde  darbringen  und  dort  die  heiligen 
Freudenmahle  halten,  zu  denen  ihr  auch  eure  Familie,  euer  Gesinde 
und  eure  LcAdten  mit  nehmen  sollt  (12,  1 — 12).  2)  Du  darfst  an 
jedem  beliebigen  Orte,  nur  unter  Beobachtung  des  Blutritus,  profane 
Schlachtungen  vornehmen  und  davon  Mahlzeiten  veranstalten,  an 
denen  Rein  und  Unreiner  sich  beteiligen  kann;  jedoch  die  Freuden- 
mahle, die  mit  der  Darbringung  des  Zehnten  und  der  Erstgeburten 
und  der  Gelübde  verbunden  sind,  dürfen  ihi-en  Opfercharakter 
nicht  verlieren  und  müssen  an  der  einen  heiligen  Stätte 
gefeiert  werden,  mit  Hinzuziehung  der  Familie,  des  Gesindes 
und  der  Leviten  (12,  13 — 19).  3)  Du  darfst,  wenn  das 
Centralheiligtum  zu  weit  ist,  auch  überall  sonst,  unter  Aus- 
schüttung des  Blutes,  Schafe  und  Rinder  schlachten  zum  Zweck 
profaner  Mahlzeiten,  an  denen  Rein  und  Um^einer  teilnehmen  kann; 
aber  die  Qodaschim  und  Nedarim,  die  vorgeschriebenen  und  die 
gelobten  Opfer,  müssen  mit  Festhaltung  des  Opferritus ^)  an  der 
einen  heiligen  Stätte  dargebracht  und  dort  verzehrt  werden.  (12, 
20 — 28).  4)  Du  sollst,  nach  der  Eroberung  des  heiligen  Landes, 
nicht  fragen,  wie  die  früheren  Bewohner  ihi*e  Götter  verehrt  haben, 
um  die  selbe  Weise  auf  den  Dienst  Jahves  zu  übertragen,  denn  sie 
ist  ihm  greulich  (12,  29 — 13,  1).  Nr.  3  ist  eine  blosse  Variante 
zu  Nr.  2.  In  Nr.  4  tritt  das  eigentliche  Motiv  des  Gesetzgebers 
zu  Tage:  die  heidnischen  Stätten  sollen  deshalb  von  den  Israeliten 
nicht  übernommen  werden,  damit  nicht  auch  die  dort  geübten 
heidnischen  Bräuche  auf  den  Cultus  des  israelitischen  Gottes  über- 
gehn.  Der  Deuteronomiker  ist  nicht  fern  von  der  richtigen  Erkennt- 
nis, dass  die  Lokalculte  eigentlich  Culte  sehr  verschiedener  Lokal- 
götter sind,  die  erst  nachträglich  auf  den  Namen  Jahve  getauft 
wurden.     Vgl.  oben  p.  151  s.  zu  Lev.  17,  7. 

13,  2 — 19  Verbot  des  Dienstes  fremder  Götter,  oder  vielmelu- 
Consequenzen,  die  aus  diesem  selbstverständlichen  Verbote  fliessen  ^). 
Du  sollst  dich  weder  von  einem  Propheten,  mag  er  sich  auch  durch 


1)  Bei  den  gewöhnlichen  Opfern  wird  nach  v.  27  bloss  das  Blut  auf  den 
Altar  geschüttet,  aber  auf  eine  gewisse  Anzahl  derselben  scheint  eine  ola  zu 
kommen,  deren  Fleisch  ganz  verbrannt  wird.  Es  ist  klar,  dass  in  dem  Aus- 
schütten des  Bluts  auch  bei  den  profanen  Schlachtungen  der  alte  Opferritus 
in  der  Tat  beibehalten  ist. 

2)  Ungenau  Driver:  eh.  13  continues  the  subject  of  12,  29—31.     Denn  in 


Deut.  12—26.  355 

Zeichen  und  Wunder  legitimiren,  zu  Götzendienst  verleiten  lassen, 
noch  von  dem  leiblichen  Bruder  oder  der  eigenen  Frau.  Die  Ver- 
fülu'er  sind  des  Todes  schuldig  und  müssen  angezeigt  werden,  wenn 
es  auch  die  nächsten  Verwandten  sind.  Eine  ganze  Stadt,  die  der 
Verführung  erlegen  ist,  soll  dem  Banne  verfallen  und  als  ewiger 
Trümmerhaufe  liegen  bleiben. 

14,  1 — 21.  Andere  religiöse  Verbote  für  die  Bürger  der  Ge- 
meinde. Ihr  (2.  pl.)  seid  Söhne  Jahves,  ihr  sollt  euch  keine 
Schnitte  beibringen  und  keine  Tonsur  auf  der  Stirne  wegen  eines 
Toten  (14,  1.  2).  Dies  sind  die  Tiere,  die  ilu*  essen  dürft,  nämlich 
.  .  .;  und  dies  sind  die,  die  ihr  nicht  essen  dürft,  nämlich  .  .  . 
(14,  4 — 20).  Gefallenes  darfst  du  (2  sg.)  nicht  essen,  du  magst  es 
dem  Aufenthalter  schenken  oder  einem  Fremden  verkaufen');  du 
sollst  den  Bock  nicht  in  der  Milch  seiner  Mutter  kochen  (14,  3.  21). 

14,  22  — 16,  17  Zehnten,  Erstgeburten,  Feste  und  Perioden. 
1)  Du  sollst  alle  Jalu'e  vom  ganzen  Ertrag  deines  Feldbaus  den 
Zehnten  geben  und  ihn  an  dem  Orte,  den  Jahve  erwählen  wird, 
verzehren,  darfst  aber  auch,  wenn  es  dir  bequemer  ist,  ihn  ver- 
kaufen und  für  den  Erlös  Freudenmahle  am  heiligen  Orte  veran- 
stalten, zu  denen  du  nicht  vergessen  musst,  deinen  Leviten  mitzu- 
nehmen (14,  22 — 27).  2)  Alle  drei  Jahi'e  sollst  du  den  ganzen 
Zehnten  (nicht  selber  essen,  sondern)  herausgeben  für*  die  Leviten 
und  Aufenthalter  und  Witwen  und  Waisen  (14,  28.  29).  3)  Alle 
sieben  Jahr  sollst  du  eine  Sch'mitta  machen,  d.  h.  kein  Darlehen 
eintreiben  (15,  1 — 11).  4)  Ein  hebräischer  Knecht  kann  sich  dir 
nur  auf  sechs  Jahre  verkaufen,  im  siebten  musst  du  ihn  frei  lassen; 
wenn  er  aber  nicht  von  dir  weg  will,  sollst  du  ihm  das  Oln*  am 
Türpfosten^)  durchbolu*en,  dadurch  wird  er  dein  ewiger  Knecht 
(15,  12 — 18).  5)  Alle  männliche  Erstgeburt  von  Rindern  und 
Schafen  sollst  du  dem  Jahve  weihen  und  jähiiich  zu  heiligen  jMahlen 

12,  29  SS.  ist  nicht  vom  Dienst  fremder  Götter  die  Rede,  sondern  von  der 
Einführung  fremder  Riten  in  den  Dienst  Jahves. 

^)  Weder  der  Ger  noch  der  Nokri  sind  Israeliten;  aber  der  Ger  steht  dem 
Israeliten  doch  um  eine  Stufe  näher  und  ist  auf  dem  Wege,  sich  zu  assimiliren. 
Der  Grad  der  religiösen  Verpflichtung  entspricht  dem  Grade  der  politischen 
Zugehörigkeit.     Zu  den  Opfermahlzeiten  wird  der  Ger  als  Gast  zugezogen. 

2)  des  Hauses,  nicht  (wie  Exod.  21)  des  Heiligtums;  eine  durch  das 
deuteronomische  Hauptgesetz  bewirkte  Änderung,  wodurch  die  Ceremonie  den 
Charakter  der  Öffentlichkeit  einbüsste.  In  einer  weit  späteren  Zeit  geschah 
die  manumissio  in  der  Synagoge  (Latyschew  Inscr.  Euxin.  n.  52). 

23* 


356  Nachträge. 

verwenden  an  dem  Orte,  den  Jahve  erwählen  wird;  nur  die  mit 
Fehl  behaftete  Erstgeburt  soll  daheim  geschlachtet  und  von  Rein 
und  Unrein  verzehrt  werden  (15,  19 — 23).  6)  Im  Monat  Abib 
sollst  du  das  Pascha  feiern,  mit  Opfern  von  Schafen  und  Rindern 
an  dem  heiligen  Orte,  die  daselbst  sofort  binnen  der  ersten  Nacht 
verzehrt  werden  müssen,  und  nach  der  Heimkehr  mit  noch  sechs- 
tägiger Enthaltung  von  Gesäuertem  in  deinem  ganzen  Gebiete  und 
einer  Nachfeier  am  letzten  Tage  (16, 1 — 8).  Sieben  Wochen  nach 
dem  Anhieb  der  Sichel  in  die  Saat  sollst  du  Pfingsten  feiern  auf 
Grund  freiwilliger  Gaben,  mit  Freudenmahlen  vor  Jahve,  wozu  die 
Familie,  das  Gesinde,  die  Leviten,  Aufenthalter,  Witwen  und  Waisen 
mitzunehmen  sind  (16,  9 — 12).  Sieben  Tage  sollst  du  das  Laub- 
hüttenfest feiern  auf  Grund  des  Herbstes  von  Tenne  und  Kelter, 
und  Freudenmahle  veranstalten  sieben  Tage  lang  an  dem  Orte,  den 
Jahve  erwählen  wird.  Drei  mal  im  Jahr  haben  alle  deine  Männer 
die  Pflicht,  vor  Jahve  an  dem  heiligen  Orte  zu  erscheinen,  an  den 
genannten  drei  Festen,  und  nicht  mit  leeren  Händen  (16,  13 — 17). 
Durch  die  Zusammenstellung  der  Materien  in  diesem  Abschnitt 
verrät  sich  noch  der  alte  Zusammenhang  der  Abgaben  und  der 
Feste,  der  indessen  schon  gelockert  ist.  Die  Heptaeteris  in  Nr.  3 
lehnt  sich  an  die  Trieteris  in  Nr.  2.  Diese  erscheint  als  eine 
Steigerung  des  jähi'lichen  Zehnten,  an  den  sie  angeschlossen  ist. 
Sie  ist  aber  in  Wirklichkeit  auch  iln-erseits  ein  Ersatz  der  alten 
Preisgabe  des  Ertrags  von  Acker  und  Obstgarten  im  siebten  Jahre, 
ebenso  wie  die  Sch'mitta  in  Nr.  3,  nur  mit  dem  Unterschied,  dass 
bei  der  letzteren  das  siebte  Jahr  beibehalten  und  nicht  das  dritte 
an  die  Stelle  gesetzt  ist.  In  14,  23  ist  die  Erwähnung  der  Erst- 
geburten verfrüht ;  auch  wird  in  Nr.  5  der  Verkauf  der  Erstgeburten 
gar  nicht  in  der  selben  Weise  gestattet  wie  in  Nr.  1  der  des 
Zehntens.  In  Nr.  3  findet  sich  ein  Zusatz,  worin  Mose  sagt,  Pro- 
longirung  der  Schulden  sei  eigentlich  ganz  überflüssig,  da  es  keine 
Schuldner  in  Israel  gebe;  derselbe  geht  von  der  ganz  richtigen 
Empfindung  aus,  dass  das  Gebot  nur  für  die  schlechte  Gegenwart, 
aber  nicht  für  die  mosaische  Vergangenheit  passe  ^);  es  ist  in  der 
Tat  die   zeitgemässe  Umgestaltung    eines  veralteten  Brauches  von 


^)  Arm  waren  nur  die  Nicht-Israeliten,  die  keinen  Grundbesitz  hatten, 
und  die  Witwen  und  Waisen.  Die  Worte  pi^N  und  t^NI  scheinen  beide 
ursprünglich  etwas  Anderes  als  arm  bedeutet  zu  haben;  die  Etymologie  ist 
ganz  unklar,   wie   auch  bei   dem  aramäischen  |D^D- 


Deut.  12—26.  357 

ganz  anderer  Natur.  Zwischen  15,  4  und  15,  11  herrscht  ein  un- 
begreiflicher Widerspruch-,  vielleicht  aber  kannte  der  Verfasser  von 
15,  4  den  Passus  15,  7—11  noch  nicht. 

16,  18 — 18,  22.  Richter,  Priester  und  Propheten.  Eine  Art 
Verfassungsgesetz  (welches  freilich  das  Bestehende  voraussetzt  und 
wenig  daran  ändert),  während  im  Ganzen  nur  das  Recht  codificii-t 
und  der  Cultus  ausserhalb  Jerusalems  verboten  wird.  1)  Richter 
und  Ordner  sollst  du  dii'  setzen  in  allen  Provinzialstädten  und  für 
gerechtes  Gericht  die  grösste  Sorge  tragen.  Die  Richter  sind  hier 
gesetzte  Beamte,  aber  hernach  erscheinen  doch  gewöhnlich  die  ge- 
borenen Richter,  die  Ältesten,  in  den  Provinzialstädten  (16,  18 — 20). 
Streitsachen,  die  füi*  die  Provinzialbehörden  zu  schwer  sind,  sollst  du 
nach  Jerusalem  bringen  zu  den  levitischen  Priestern  und  zu  dem  jeweils 
fungirenden  Richter  und  deren  Entscheidung  annehmen;  wer  dem 
dortigen  Priester  oder  dem  Richter  trotzt,  soll  getötet  werden  (17, 
8 — 13).  Wenn  du  nach  der  Ansiedlung  im  gelobten  Lande  einen 
König  zu  haben  wünschest,  wie  die  Völker  rings  um,  so  magst  du 
einen  Mann  aus  deinen  Brüdern,  den  Jahve  erwählen  wird,  dir 
zum  Könige  setzen;  er  darf  aber  nicht  viel  Rosse  und  Weiber 
halten  und  keine  Schätze  häufen;  und  wenn  er  auf  den  Thron  ge- 
langt ist,  soll  er  sich  ein  Exemplar  dieses  Gesetzes  abschreiben 
lassen  und  täglich  darin  lesen  und  sich  darnach  richten  (17, 14 — 20). 

2)  Die  levitischen  Priester  sollen  keinen  Grundbesitz  haben  wie  die 
übrigen  Israeliten,  sondern  sich  von  den  Opfern  Jahves  nälu'en. 
Und  zwar  gebülu't  ihnen  davon  Bug,  Kinnlade  und  Magen,  ausserdem 
sollen  sie  die  Aparche  von  Most,  Öl  und  Wolle  (nicht  von  Korn) 
bekommen.  Jeder  proräziale  Levit  hat  das  Recht,  in  Jerusalem 
zu  opfern,  so  gut  wie  die  dort  eingesessenen  Leviten  (18,  1 — 8). 

3)  Du  sollst  nicht  wie  die  Heiden  allerhand  des  Zaubers  und  der 
schwarzen  Künste  sich  bedienende  Wahrsager  und  Beschwörer  haben, 
Jahve  hasst  solche  Medien,  er  wird  dir  stets  einen  Propheten  wie 
mich  erwecken  und  dir  durch  ihn  entbieten,  was  er  dir  zu  sagen 
hat  (18,  9 — 22).  Ich  habe  bereits  oben  p.  192  bemerkt,  dass  die 
notwendige  Verbindung  zwischen  16,  20  und  17,  8  durch  ein  nicht 
her  gehöriges  Stück  gesprengt  ist;  16,  21.  22  stellt  sich  zu  12,  29 — 31, 
17,  1  —  7  zu  Kap.  13.  Anderes  ist  Erweiterung  und  Korrektur. 
In  18,  1 — 8  machen  sich  mehrere  Zusätze  durch  die  Vorstellung 
von  Levi  als  einem  geistlichen  Stamme  kenntlich.  In  17,  8 — 13 
entdeckt  man  die  Tendenz,  dem  jeweiligen  regierenden  Richter  von 


358  Nachträge. 

Jerusalem,  d.  h.  dem  Könige,  die  Priester  (v.  9)  oder  auch  den 
Hohenpriester  (v.  12)  zu  substituiren ;  das  geschieht,  um  das  Deute- 
ronomium  den  Verhältnissen  der  nachexilischen  Zeit  anzupassen, 
in  denen  es  eigentlich  erst  zu  rechter  Wirkung  gelangte^).  Vgl. 
19,  17.  20,  2.  21,  5.  26,  3  und  meine  Anzeige  von  Dillmanns 
Kommentar  in  der  Deutschen  Literaturzeitung  vom  2.  April  1887. 
Über  das  Königsgesetz  17,  14 — 20  habe  ich  mich  schon  p.  192 
geäussert.  Yielleicht  wird  1.  Sam.  10,  25  angedeutet,  dass  dasselbe 
erst  von  Samuel  hinzugefügt  sei.  Ob  17,  14s.  von  1.  Sam.  8  ab- 
hängt oder  umgekehi't,  ist  zweifelhaft;  sicherer  lässt  sich  in  17,  16 
eine  Bezugnahme  auf  das  Buch  Hosea  erkennen. 

19,  1 — 21,  9  Blutrecht.  1)  Du  sollst  drei  oder,  wenn  diese 
Zahl  nicht  mein-  ausreicht,  sechs  Asylstädte  bestimmen,  in  denen 
der  unfreiwillige  Blutvergiesser  Zuflucht  vor  dem  Bluträcher  findet. 
Die  private  Blutrache  wird  nicht  aufgehoben,  auch  dann  nicht, 
wenn  das  Blut  ohne  Absicht  vergossen  ist;  aber  sie  wird  in  diesem 
Falle  unwirksam  gemacht  durch  die  Einrichtung  der  Asylstädte, 
die  an  Stelle  der  abgeschafften  Altäre  mit  Asylrecht  treten  (19, 
1 — 10).  2)  Wer  aber  einen  Mord  begangen  hat,  findet  keinen  Schutz 
in  den  Asylstädten,  sondern  ist  den  Ältesten  seiner  Stadt  auszu- 
liefern und  von  diesem  dem  Bluträcher  zu  übergeben;  er  muss 
unter  allen  Umständen  getötet  werden ,  damit  keine  Schuld  auf 
Israel  laste  (19,  11 — 13).  3)  Wenn  ein  (schwer)  Beschuldigter 
die  Schuld  in  Abrede  stellt,  so  soll  die  Sache  an  die  höhere  Instanz 
gehn;  wird  dort  der  Ankläger  der  Lüge  überführt,  so  soll  er  die 
Strafe  erleiden,  die  er  eventuell  dem  Anderen  zugezogen  haben 
würde.  Der  Grundsatz  19,  15  stimmt  nicht  mit  der  Praxis  des 
folgenden  Beispiels.  Wie  in  18,  8  ss.,  so  tritt  auch  hier  das  Streben 
hervor,  die  Rechtsprechung  zu  vereinheitlichen  und  die  schweren 
Fälle  nach  Jerusalem  zu  ziehen,  während  man  im  Altertum  wol 
ausnahmsweise  an  den  König  appellirte,  aber  eine  regelmässige  In- 
stanz über  den  Ältestengerichten  nicht  kannte  (19,  15  —  21). 
4)  Wenn  ein  Erschlagener  auf  dem  Felde  gefunden  wird  und  der 
Mörder  nicht  zu  ermitteln  ist,  so  fällt  die  Blutschuld  auf  die  nächst- 
gelegene Stadt.  Die  Ältesten  derselben  sollen  dann  anstatt  des  un- 
bekannten Verbrechers  ein  Rind  himichten,   an  einem  fliessenden 

^)  Wenn  das  Gericht  in  der  späteren  Königszeit  überhaupt  in  den  Händen 
der  Priester  gewesen  wäre,  so  doch  auch,  und  erst  recht,  in  den  Provinzial- 
■städten:  davon  ist  aber  nirgend  die  Rede. 


Deut.  12—26.  359 

Bach  in  unbebauter  Gegend,  und  beten,  dass  Jahve  die  Sühne  an- 
nehmen möge.  Von  der  Himichtung  am  Wasser  (1.  Reg.  18,  40. 
2.  R.  10,  14)  finden  sich  viele  Beispiele  bei  den  Arabern;  der  ur- 
sprüngliche Grund  war  vielleicht,  dass  das  Blut  fortgespült  und 
aufgelöst  werden  sollte,  damit  es  nicht  um  Rache  schreien  könnte 
(21,  1 — 9).  Das  Verbot  der  Grenzverrückung  erscheint  19,  14 
verschlagen;  der  Widerspruch  fällt  auf,  dass  nach  dem  zweiten  Satze 
die  Israeliten  das  Land  erst  noch  in  Besitz  nehmen  sollen,  während 
nach  dem  ersten  die  Ackerverteilung  aus  grauer  Vorzeit  stammt. 
Dass  Nr.  4  mit  Nr.  1 — 3  in  enger  Verbindung  steht,  leuchtet  ein. 
Das  20.  Kapitel  trennt  Zusammengehöriges.  Vielleicht  sollte  es 
eigentlich  nicht  vor,  sondern  hinter  Nr.  4  zu  stehn  kommen,  und 
den  Anlass,  es  an  dieser  Stelle  einzusetzen ,  gab  der  Anfang  von 
21,  10,  der  in  20,  1  wörtlich  wiederholt  wird.  Einzelne  Bestim- 
mungen mögen  alt  sein;  so  20,  7  vgl.  24,  5  Arrians  Anab.  1,  24, 
und  20,  19  s.  vgl.  Sur.  59,  5.  Tabari  1,  1850.  Das  Ganze  kann 
aber  kaum  vor  dem  Exil  geschrieben  sein,  s.  oben  p.  192;  es 
werden  keineswegs  bloss  theoretische  Grundsätze  aufgestellt  füi*  eine 
Zeit,  die  eigentlich  vergangen  war  (die  Josuas).  In  19,  17  sind 
die  Priester  neben  den  Richtern  nachgetragen,  in  v.  18  fehlen  sie. 
Ebenso  21,  5  neben  den  Ältesten:  sie  kommen  post  festum,  haben 
gar  nichts  zu  tun,  sondern  sollen  nur  nicht  fehlen;  das  Gebet  sprechen 
nicht  sie,  sondern  die  Ältesten.  Endlich  auch  in  20,  3.  4.  Diese 
Verse  verraten  sich  nicht  bloss  durch  die  pluralische  Anrede  als 
Einsatz,  sondern  auch  durch  iln*  Vorgreifen :  hier  sind  wir  schon  un- 
mittelbar vor  der  Schlacht,  im  Folgenden  dagegen,  wo  die  Friedens- 
beamten den  Befehl  an  die  Kriegsobersten  übergeben,  erst  beim 
Ausmarsch  des  Heeres. 

21,  10 — 23,  1  Familienrecht.  1)  Verfahren  (sehi-  altertümlich) 
bei  der  Erhebung  einer  Kriegsgefangenen  zur  Ehefrau  (21,  10 — 14). 
2)  Verbot,  einem  anderen  Sohn  den  Vorzugsanteil  am  Erbe  zu 
geben  als  dem  Erstgeborenen,  wenn  er  auch  von  einer  minder  ge- 
liebten Frau  stammt  (21,  15.  17).  3)  Die  Eltern  haben  zwar  selbst 
nicht  mehr  das  Recht,  einen  ungeratenen  Sohn  zu  töten,  aber  auf 
ihi'en  Antrag  müssen  die  Ältesten  veranlassen,  dass  alle  Männer 
der  Stadt  ihn  steinigen.  Die  Steinigung  ist  die  Strafe  der  Verbrechen, 
welche  gegen  die  guten  Sitten  in  der  Gemeinde  sich  richten,  und 
muss  wol  unterschieden  werden  von  der  Talio,  die  auf  die  Blut- 
rache zurückgeht   und   eigentlich   keine  Strafe   ist    (21,   18 — 21). 


360  Nachträge. 

4)  Wenn  ein  Mann  seiner  jungen  Frau  nachsagt:  er  liabe  sie  nicht 
als  Jungfer  erfunden,  und  es  ihrem  Vater  gelingt,  den  Gegenbeweis 
vor  den  Ältesten  zu  führen,  so  niuss  ihm  der  Eidam  100  Silber- 
linge  Busse  zahlen  und  verliert  das  Recht,  die  Frau  jemals  zu  ent- 
lassen. Wenn  aber  der  Vorwurf  sich  als  wahr  erweist,  so  soll  die 
Frau  vor  der  Tür  ihres  Vaters  von  den  Männern  der  Stadt  ge- 
steinigt werden  (22,  13 — 21).  5)  Auf  Ehebruch  mit  einer  ver- 
heirateten Frau  steht  die  Todesstrafe  für  beide  Teile.  Ebenso  auf 
Beischlaf  mit  einer  einem  Anderen  verlobten  Jungfrau  innerhalb 
der  Stadt;  ist  aber  die  Sache  draussen  geschehen,  so  geht  der  weib- 
liche Teil  frei  aus,  und  nur  der  männliche  wird  gesteinigt.  Schwächt 
ein  Mann  eine  unverlobte  Jungfrau,  so  hat  er  dem  Vater  50  Silber- 
linge  zu  zahlen,  muss  die  Geschwächte  zur  Frau  nehmen  und  darf 
sie  niemals  entlassen  (22,  22 — 29).  6)  Der  Sohn  darf  die  Witwe 
seines  Vaters  (die  nicht  seine  Mutter  ist)  nicht  heiraten  (23,  1). 
Zwischen  Nr.  3  und  4  hat  sich  ein  fremdes  Stück  eingedrängt  (21, 
22 — 22,  12),  welches  durch  Form  und  Inhalt  zu  dem  Sclilussteil 
23,  16  SS.  gewiesen  wird. 

23,  2 — 15.  Die  Gemeinde  und  das  Heerlager.  1)  Ein  für 
alle  mal  ausgeschlossen  sind  von  der  Gemeinde,  d.  h.  von  dem 
religiösen  und  politischen  Vollbüi'gerrecht,  die  nicht  zeugungsfähigen 
Männer,  die  Mamzerim  (Asdodier),  die  Ammoniter  und  Moabiter. 
Dagegen  wachsen  edomitische  und  ägyptische  Gerim  im  dritten  Ge- 
schlecht in  die  Gemeinde  hinein  (23,  2 — 9).  2)  Das  Kriegslager 
ist  heilig,  die  Notdurft  darf  nur  ausserhalb  desselben  verrichtet 
werden.  Verunreinigte  müssen  Tags  über  draussen  bleiben  (23, 
10 — 15).  Die  Begriffe  der  Gemeinde  und  des  Heeres  deckten  sich 
zwar  in  der  Urzeit;  früh  aber  wurde  das  Heer,  als  Gesamtisrael, 
der  Gemeinde,  welche  Ortsgemeinde  blieb,  übergeordnet,  bis  zum 
Schluss  der  Unterschied  sich  wieder  ausglich  und  die  Gemeinde 
Kirche  wurde.  Die  historische  Motivirung  v.  5  ss.  besteht  aus  zwei 
durch  Ihr  und  Du  geschiedenen  Sätze;  dem  zweiten  fehlt  das  Subjekt. 

Zum  Schluss  wird  der  Rest  ausgeschüttet,  der  vorher  keinen 
Platz  fand;  ich  ziehe  dazu  auch  21,  22 — 22,  12.  Es  befinden  sich 
darunter  nur  wenige  ausgeführtere  Stücke,  und  zwar  sind  das  ge- 
wöhnlich solche,  von  denen  man  den  Eindruck  hat,  dass  der  alte 
Autor  sie  im  systematischen  Teile  würde  untergebracht  haben. 
Zum  Familienrechte  stellen  sich  die  moderne  Forderung  eines 
Scheidebriefs  mit  dem  Verbot,  die  Geschiedene  wieder  zu  heiraten, 


Deut.  12—26.  361 

nachdem  sie  Frau  eines  Anderen  geworden  (24,  1 — 4),  und  die 
merkwürdig  archaistische  Aufrechterhaltung  der  Leviratsehe  (25, 
5 — 10).  Das  26.  Kapitel  ist  ein  Nachtrag  nicht  zu  18,  3,  wo  die 
Reschith  in  einer  Abgabe  von  Most,  Öl  und  Wolle  und  nicht  in 
einem  Korb  voll  Früchten  besteht,  sondern  zu  dem  Abschnitt  über 
Zehnten  und  Feste.  Es  wird  eine  Liturgie  vorgeschrieben,  die  der 
Laie  alljährlich  vor  dem  Altar  vollziehen,  und  eine  Deklaration, 
die  er  am  Schluss  der  di-eijährigen  Periode  vor  dem  Altar  ablegen 
muss.  Beides  geschieht  am  Ende  des  Jahres,  d.  h.  am  Laubhütten- 
feste. Die  Yerse  3.  4  stören;  der  Hohepriester  —  denn  er  müsste 
unter  dem  gewählten  Ausdruck  verstanden  werden  —  hat  hier  nichts 
zu  tun,  sondern  der  Darbringer  selber  tritt  vor  den  Altar,  setzt 
den  Korb  darauf  nieder  (v.  10)  und  spricht  das  Gebet.  Die  dem 
Kap.  26  vorhergehende  Einschärfung  der  Rache  gegen  Amalek 
(25,  15 — 17)  steht  ganz  verloren;  sie  wüi'de  zu  Kap.  20  gehören, 
wenn  dieses  selber  zum  alten  Bestände  zu  rechnen  wäre. 

Die  übrigen  Gebote  sind  kurz  und  lose  an  einander  gereiht. 
Sie  betreffen  zum  Teil  den  religiösen  und  moralischen  Anstand. 
Das  von  Natur  Geschiedene  soll  getrennt  bleiben,  ein  Mann  nicht 
Frauentracht  anlegen  und  umgekehrt,  Ochs  und  Esel  nicht  vor  einem 
Pflug  gespannt ,  Wolle  und  Flachs  nicht  zusammengewoben,  ein 
Weinberg  nicht  auch  noch  besät  werden  (widiigenfalls  der  ganze 
Ertrag  heilig  wird  d.  h.  verfällt)  22,  5.  9 — 11.  Israeliten  sollen 
keine  Hierodulen  sein,  Preisgabe  des  eigenen  Leibes  in  Folge  Ge- 
lübdes ist  ein  Greuel  flu'  Jahve  23,  18.  19.  Übrigens  müssen  Ge- 
lübde gemäss  dem  Wortlaut  gehalten,  sollen  aber  nicht  empfohlen 
werden  23,  22 — 24.  Einer  Frau,  die,  um  ihren  Mann  im  Streit 
beizustehn,  nach  der  Scham  des  Gegners  packt,  soll  die  Hand  ab- 
gehauen werden  25,  11.  12.  Der  Aussätzige  soll  sich  genau  nach 
den  Vorschriften  des  Priesters  richten  24,  8.  9.  Jeder  Israelit  soll 
an  den  vier  Zipfeln  des  Obergewandes  Quasten  tragen  22,  12. 

Meist  sind  es  Forderungen  der  Milde  und  Billio-keit.  Der  Ge- 
henkte  soll  nicht  über  Nacht  am  Galgen  bleiben  (sondern  begraben 
werden)  22,  22.  23.  Es  dürfen  nicht  mehr  als  40  Hiebe  verhängt 
werden  25,  1 — 4.  Die  Söhne  sollen  nicht  mit  dem  Vater  und  der 
Vater  nicht  mit  den  Söhnen  hingerichtet  werden  24,  16.  Beim 
Ausnehmen  eines  Nestes  soll  nicht  auch  die  Mutter  mit  den  Eiern 
oder  den  Jungen  genommen  werden  22,  6.  7.  Dem  Dreschochsen 
soll  das  Maul  nicht  verbunden  werden  25,  4.     Verlaufener  Tiere 


362  Nachträge. 

soll  man  sicli  annelimen  und  sie  dem  Besitzer  wieder  zuführen, 
einen  gefallenen  Esel  oder  Ochsen  aufrichten  helfen  22,  1—4.  Um 
das  Dach  herum  muss  eine  Schutzvorrichtung  laufen,  damit  niemand 
herabfalle  22,  8.  Der  junge  Ehemann  ist  das  erste  Jahr  nicht 
kriegspflichtig  24,  5. 

Yorzugsweise  hat  der  Gesetzgeber  bei  der  Empfehlung  von 
Milde  und  Billigkeit  die  Hilf-  und  Besitzlosen  im  Auge.  Er  ver- 
bietet die  Auslieferung  entlaufener  Sklaven  23,  16  und  bei  Todes^- 
strafe  den  Menschenraub  24,  7.  Er  erlaubt,  Trauben  im  Weinberg 
eines  Anderen  zu  pflücken  und  Ähi'en  aus  der  Saat  zu  raufen; 
nur  soll  man  nichts  in  den  Korb  tun  und  nicht  die  Sichel  ge- 
brauchen 23,  25.  26.  Die  Nachlese  auf  dem  Saatfeld  und  im 
Oliven-  oder  Weingarten  soll  man  den  Armen  überlassen  24,  19 — 22. 
Das  Recht  der  Schwachen  soll  man  nicht  beugen,  den  Lohn  des 
Arbeiters  sofort  auszahlen,  mit  Mass  und  Gewicht  (welches  bei  der 
Naturalwirtschaft  vorzugsweise  gegenüber  den  Grundbesitzlosen 
zur  Anwendung  kam)  nicht  betrügen  24,  14  s.  17.  25,  13 — 16. 
Zinsnehmen  ist  verboten  23,  20.  21;  das  Pfandrecht  soll  mit 
Milde  geübt  werden  24,  6.  10  —  18.  Die  Mühle  darf  nicht 
gepfändet  werden,  auch  das  Obergewand  nicht,  oder  es  muss 
doch  vor  Nacht  zurückgegeben  werden,  weil  es  als  Schlafdecke 
dient.  Zuweilen  werden  inhaltlich  gleichartige  Vorschriften  wieder- 
holt, vielleicht  weil  sie  von  dem  deuteronomischen  Gesetzgeber 
nicht  selber  geschöpft,  sondern  in  verschiedener  Form  vorgefunden 
sind.  So  decken  sich  die  Stücke  24,  10 — 15  und  24,  17.  18  in  der 
Sache,  unterscheiden  sich  aber  ziemlich  stark  in  der  Form.  Be- 
sonders darin,  dass  dort  allgemein  von  den  Armen  oder  höchstens 
von  Tagelöhnern  die  Rede  ist,  hier  dagegen  in  der  alten  Weise 
von  Aufenthaltern,  Witwen  und  Waisen.  Aber  auch  darin,  dass 
Pfänden  dort  tOüy,  hier  'PD.n  heisst.  Letzteres  ist  das  alte  he- 
bräische Wort,  jenes  aber  das  aramäische  Äquivalent  für  arab.  La;^; 
vgl.  gegen  Gesenius  meine  Bemerkungen  zu  Amb.  2,  6.  Joel  2,  7. 
Amos  8,  5. 

Ich  schliesse  noch  einige  Bemerkungen  über  Deut.  27  an.  Y.  9s. 
setzt  den  vorhergehenden  Zusammenhang  nicht  fort;  Ewald  hat 
darin  eine  Überleitung  von  Kap.  26  auf  Kap.  28  entdeckt  und 
Andere  sind  ihm  gefolgt,  vgl.  Driver  ad  loc.  Aber  auch  v.  1 — 8 
ist  nicht  aus  einem  Guss.  Y.  4  wiederholt  Yorhergesagtes ,  um 
etwas  Fremdartiges  anzuhängen.    Denn  in  v.  1 — 3  ist  von  Steinen 


Deut.  12— 2ß.  363 

die  Rede,  auf  die  das  deuteron.  Gesetz  geschrieben  werden  soll,  in 
V.  5 — 7  aber  von  Steinen,  aus  denen,  ganz  undeuteronomiscli,  auf 
dem  Ebal  ein  Altar  gebaut  werden  soll:  dazwischen  sucht  ein 
Redaktor  durch  v.  4  und  v.  8  vergeblich  eine  Brücke  zu  schlagen. 
—  Darauf,  dass  v.  14  ss.  nicht  die  wahre  Fortsetzung  von  v.  11 — 13 
sein  könne,  hat  Kuenen  aufmerksam  gemacht  (Th.  T.  1878  p. 
297  SS.).  Es  zeigt  sich  hier  ein  auffallender  Fortschritt  im  Verbot 
der  Yerwandtschaftsehen  über  23,  1  und  25,  5 — 9  hinaus.  Aus 
Deut.  27,  13  (Sept.)  und  nicht  aus  Lev.  17,  18  stammt  das  kirch- 
liche Verbot  der  Ehe  mit  der  Schwägerin  im  Codex  Theodosianus, 
wie  die  Collatio  Legum  Mosaicarum  beweist,  die  sich  auf  die 
deuteronomische  Stelle  beruft^). 

Darnach  ist  Deut.  27  ein  buntscheckiges  und  im  Ganzen  junges 
Stück,  es  bildet  nicht  in  der  Weise  den  Schluss  einer  alten  Aus- 
gabe des  Gesetzes,  wie  ich  oben  p.  193  angenommen  habe.  Die 
Vorstellung,  dass  Mose  befohlen  habe,  das  Deuteronomium  auf 
grosse  öffentlich  auszustellende  Steine  zu  schreiben,  ist  freilich  älter 
als  die,  dass  er  es  als  Buch  in  der  Lade  niederlegen  Hess.  Letztere 
mag  aus  2.  Reg.  22  stammen. 

Judicum  17.  18. 

über  die  literarische  Beschaffenheit  dieses  Stücks  bin  ich  in- 
zwischen zu  einer  anderen  Meinung  gelangt.  Ich  habe  das  bereits 
in  der  isr.  und  jüd.  Geschichte  1895  p.  40  n.  1  kurz  angedeutet. 
Die  merkwüi'dio-e  Erzählung;  verdient  aber  eino-ehend  behandelt  zu 
werden.     Ich  setze  zunächst  ihren  Wortlaut  in  Übersetzung  her. 

17,  1.  „Es  war  ein  Mann  vom  Gebirge  Ephraim  namens 
Micha.  2.  Der  sagte  zu  seiner  Mutter:  die  elf  hundert  Silberlinge, 
die  dir  weggenommen  sind,  und  wegen  deren  du  einen  Fluch  vor 
meinen  Ohren  ausgesprochen  hast,  die  sind  bei  mir,  ich  selber  habe 
sie  genommen.  [Da  sprach  seine  Mutter:  gesegnet  von  Jahve  sei 
mein  Sohn^).  3.  Und  er  gab  die  elf  hundert  Silberlinge  seiner 
Mutter  zurück  und  seine  Mutter  sagte:  ich  weihe  das  Silber  dem 
Jahve,  von  mir  aus  zum  Besten  meines  Sohnes,  damit  daraus  ein 


1)  Wenn  also  auch  Lev.  17,  18  fällt,  so  lässt  sich  das  betreffende  Verbot 
dennoch  auf  die  Bibel  gründen. 

2)  Sie  hebt  den  condicionellen  Fluch  förmlich  auf,  nachdem  der  Zweck 
erreicht  ist,  dadurch  ein  Geständnis  oder  eine  Anzeige  zu  erpressen.  Vgl. 
Reste  arab.  Heidentums  1897  p.  192. 


364  Nachträge. 

Giissbild  ^)  gemacht  werde]  und  nun  gebe  ich  sie  dir  zurück,  4.  und 
er  gab  das  Silber  seiner  Mutter  zurück.  Und  seine  Mutter  nahm 
zweihundert  Silberlinge  und  gab  sie  ihm.  [Und  sie  gab  sie  dem 
Giesser,  und  der  machte  daraus  ein  Gussbild,  und  das  war  im  Hause 
Micha.]  5.  Und  der  Mann  Micha  bekam  ein  Gotteshaus  und  er 
machte  ein  Ephod  und  Theraphim  [und  er  füllte  die  Hand  eines 
seiner  Söhne  an  und  er  ward  ihm  Priester.] 

6.  In  jenen  Tagen  war  kein  König  in  Israel,  jeder  tat,  was 
ihm  gut  dünkte. 

7.  Und  es  war  ein  junger  Mann  von  Bethlehem  Juda,  aus 
dem  Geschlecht  Juda,  ein  Levit,  der  sich  dort  aufhielt.  8.  Und 
der  Mann  ging  fort  aus  der  Stadt,  aus  Bethlehem  Juda,  um 
anderswo  Aufenthalt  zu  suchen,  und  kam  auf  das  Gebirge  Ephraim 
nach  Beth  Micha,  um  seinen  Weg  zu  machen.  9.  Fragte  ihn 
Micha:  woher  kommst  du?  und  er  antwortete  ihm:  ich  bin 
ein  Levit  aus  Bethlehem  Juda,  ich  bin  auf  der  Wanderschaft,  um 
zu  sehen,  wo  ich  Aufenthalt  finde.  10.  Da  sagte  ihm  Micha:  bleibe 
bei  mir,  und  sei  mir  Yater  und  Priester,  so  will  ich  dir  jährlich 
zehn  Silberlinge  geben  und  einen  vollständigen  Anzug  und  deinen 
Unterhalt^).  11.  Und  der  Levit  willigte  ein,  bei  dem  Manne  zu 
bleiben,  und  der  junge  Mann  ward  ihm  wie  einer  seiner  Söhne. 
12.  Und  Micha  füllte  die  Hand  des  Leviten  und  der  junge  Mann 
wurde  ihm  Priester  und  er  war  im  Hause  Michas.  13.  Und  Micha 
sagte:  nun  weiss  ich,  dass  mir  Jahve  Gutes  tun  wird,  denn  der 
Levit  ist  mir  Priester  geworden. 

18,  1.     In  jenen  Tagen  war  kein  König  in  Israel. 

Und  in  jenen  Tagen  suchte  der  Stamm  der  Daniten  sich  Land 
zu  wohnen,  denn  bis  dahin  war  ihm  noch  keins  zugefallen  unter 
den  Stämmen  Israels.  2.  Und  die  Kinder  Dan  schickten  aus  ihrem 
Geschlecht-  fünf  Männer  aus  ihrer  Mitte,  kriegstüchtige  Männer  von 
Soraa  und  Esthaol,  das  Land  auszukundschaften  und  zu  erforschen, 
und  sagten  zu  ihnen:  geht  erforscht  das  Land!  Und  sie  kamen 
auf  das  Gebirge  Ephraim  nach  Beth  Micha  und  übernachteten  dort. 


1)  Phesel  und  Masseka  ist  ein  Hendiadys,  beides  wird  vom  Giesser  ge- 
macht, der  das  Metall  um  einen  Holzkern  schlägt  oder  giesst.  In  18,  17.  18 
ist  das  Znsammengehörige  durch  Misverständnis  getrennt. 

2)  Die  beiden  letzten  Worte  von  v.  10  könnten  aus  den  beiden  ersten  von 
V.  11  falsch  wiederholt  sein.  Indessen  wäre  an  dieser  Stelle  eine  Dublette  nicht 
auffallend,  nur  müsste  ursprünglich  das  Subjekt  verschieden  ausgedrückt  sein. 


Jiidiciim  17.  18.  .365 

3.  Als  sie  in  der  Nähe  des  Hauses  Michas  waren,  erkannten  sie 
die  Stimme  des  jungen  Mannes,  des  Leviten '),  und  sie  bogen  dort- 
hin ab  und  fragten  ihn:  wer  hat  dich  hieher  gebracht,  was  machst 
du  hier,  was  hast  du  hier  zu  tun?  4.  Und  er  antwortete  ihnen: 
so  und  so  hat  mir  Micha  getan,  er  hat  mich  gedungen  und  ich 
bin  ihm  Priester  geworden.  5.  Da  sagten  sie  zu  ihm:  hol  uns 
Gottesbescheid  ein,  dass  wir  erfahren,  ob  der  Weg  zu  gutem  Ziel 
führen  wird,  auf  dem  wir  gehn!  6.  Und  der  Priester  sagte  zu 
ihnen:  geht  mit  Glück;  der  Weg,  auf  dem  ihr  geht,  ist  Jahves  Be- 
schlüsse). 7.  Da  gingen  die  fünf  Männer  und  kamen  nach  Lais 
und  sahen,  dass  die  Leute  darin  [sorglos  wohnten  ^)  in  der  Weise 
der  Sidonier]  ruhig  und  sorglos  waren  [und  kein  Mangel  war  an 
allem,  was  es  auf  Erden  gibt],  und  dass  sie  fern  waren  von  den 
Sidoniern  und  keine  Gemeinschaft  hatten  mit  den  Aramäern^). 
8.  Und  sie  kamen  zu  ihren  Brüdern  nach  Soraa  und  Esthaol,  und 
sie  fragten  sie:  was  bringt  ihr  mit^)?  9.  Und  sie  antworteten: 
kommt,  lasst  uns  gegen  sie  heraufziehen^),  denn  wir  haben  gesehen, 
dass  das  Land  sehr  gut  ist  ^)  .  .  [seid  nicht  faul,  hinzugehn,  um  das 
Land  einzunehmen],  10.  wenn  ihr  hinkommt,  kommt  ihr  zu  sorg- 
losen Leuten,  und  das  Land  ist  geräumig^)  [denn  Gott  hat  es  in 
eure  Hand  gegeben,  eine  Gegend,  wo  kein  Mangel  ist  an  allem, 
was  es  auf  Erden  gibt].  11.  Da  brachen  sie  auf  von  dort,  das 
Geschlecht  der  Daniten  von  Soraa  und  Esthaol,  sechshundert  be- 


1)  Es  whd  vorausgesetzt,  dass  der  Levit  den  Daniten  schon  von  früherher 
bekannt  gewesen  sei.  In  der  uns  erhaltenen  Erzählung  ist  darüber  nichts  be- 
richtet.    Vgl.  die  Note  zu  18,  9. 

2)  Yor  Jahve   d.  i.  propositum  Domini. 

^)  Das  sing.  Femininum  r\lClpW  richtet  sich  nach  Buddes  sehr  -wahr- 
scheinlicher Vermutung  auf  ein  Subjekt,  das  bei  der  Zu.sammensetzung  der 
hier  deutlich  vorliegenden  Dublette  ausgelassen  ist,  ohne  dass  doch  dement- 
sprechend das  Prädikat  corrigirt  ^nirde;  nämlich  die  Stadt. 

*)  So  nach  der  Septuaginta;  notwendig.     Im  Übrigen  nach  v.  10;  ^U^  \^^,i 

^)  Lies  ma  itt'kem.  Es  entspricht,  dem  Gebrauche  nach,  der  ständigen 
arabischen  Frage  an  zurückkehrende  Boten  ma  varäakum. 

6)  Die  Kundschafter  setzen  als  bekannt  voraus,  dass  sie  nach  Lais  ge- 
schickt sind,  und  berichten  nur,  wie  sie  es  dort  gefunden  haben. 

^)  Zwei  unverständliche  Worte  sind  in  der  Übersetzung  ausgelassen. 

8)  Studer;  ist  offen,  passender,  aber  nach  dem  hebräischen  Wortlaut 
schwerlich  möglich.     Vgl.  Beth  Rehob  18,  28. 


366  Nachträge. 

waffnete  Männer  stark.  12.  Und  sie  gingen  herauf  und  lagerten 
in  Kiriathjearim  in  Juda,  die  Stätte  lieisst  darnach  bis  heute  das 
Lager  Dans,  es  liegt  westlich  von  Kiriathjearim.  13.  Und  sie  zogen 
von  dort  weiter  auf  das  Gebirge  Ephraim  und  kamen  nach  Beth 
Micha.  14.  Da  hüben  die  fünf  Männer  an,  die  gegangen  waren, 
das  Land,  Lais,  auszukundschaften,  und  sagten  zu  ilu'en  Brüdern: 
wisst  ihr,  dass  in  diesen  Häusern  ein  Ephod  und  Theraphim  sich 
befindet  und  ein  Gussbild?  also  fasst  einen  Entschluss!  15.  Da 
bogen  sie  dorthin  ab  und  kamen  zu  dem  Hause  des  jungen  Mannes, 
des  LeAdten,  zu  dem  Hause  Michas  und  grüssten  ihn.  16.  Und  die 
sechshundert  Gewaffneten  von  den  Kindern  Dan  stellten  sich  vor 
dem  Tore  auf,  17.  und  die  fünf  Männer,  die  gegangen  waren, 
das  Land  auszukundschaften,  drangen  dort  ein  und  nahmen  ^)  Ephod 
und  Theraphim  und  das  Gussbild.  Und  der  Priester  [stellte  sich  vor 
dem  Tore  auf  und  die  sechshundert  Gewaffneten.  18.  Und  jene^) 
drangen  ein  in  das  Haus  Michas  und  nahmen  Ephod  und  Theraphim 
und  das  Gussbild.  Und  der  Priester]  sprach  zu  ihnen:  was  treibt 
ihr  da!  19.  Und  sie  sagten  zu  ihm:  still,  leg  die  Hand  auf  den 
Mund,  und  geh  mit  uns  und  sei  uns  Yater  und  Priester!  ist  es 
besser  für  dich,  Priester  für  das  Haus  eines  einzelnen  Mannes  zu 
sein  oder  für  einen  Stamm  und  ein  Geschlecht  in  Israel?  20.  Da 
wurde  der  Priester  gutes  Mutes  und  nahm  Ephod  und  Theraphim 
und  das  Bild  an  sich  und  kam  mit  unter  dem  Volk.  21.  Und  sie 
wandten  sich  und  gingen  und  Hessen  die  Weiber  und  Kinder,  das 
Yieh  und  den  Tross  vorangehn.  22.  Als  sie  schon  eine  Strecke 
Ton  Beth  Micha  entfernt  waren,  da  schlugen  die  Männer  in  den 
Häusern,  die  bei  dem  Hause  Michas  lagen,  Lärm  und  holten  die 
Kinder  Dan  ein  23.  und  riefen  die  Kinder  Dan  an.  Sie  aber 
wandten  sich  um  und  sagten  zu  Micha:  was  willst  du,  dass  du 
Lärm  schlägst?  24.  Er  sprach:  meinen  Gott,  den  ich  gemacht 
habe,  habt  ihr  genommen  und  den  Priester  und  seid  damit  abge- 
zogen, ist  das  nicht  genug?  warum  fragt  ihr*  noch:  was  willst  du! 
25.  Da  sagten  die  Kinder  Dan  zu  ihm:  mach  dich  nicht  laut  gegen 
uns,  sonst  stossen  auf  dich  verzweifelte  Gesellen  und  räumen  mit  dir 
und  deinem  Hause  auf!  26.  Damit  gingen  die  Kinder  Dan  ilu-es  Weges, 


^)    mpvl   5^3.   könnten  als  Inif.  abss.  mit  l7y>1  verbunden  werden,  wäre 
nicht  nDZ*- 

2)  Die  Kundschafter. 


Judiciim  17.  18.  367 

und  da  Micha  sah,  dass  sie  ihm  zu  stark  waren,  wandte  er  sich 
und  ging  heim.  27.  Jene  aber  nahmen  den  Gott^),  den  Micha 
gemacht  hatte  und  den  Priester,  den  er  hatte,  und  kamen  über 
Lais,  über  ruhige  und  sorglose  Leute,  und  schlugen  sie  nach  Krieges- 
brauch und  verbrannten  die  Stadt  mit  Feuer,  28.  ohne  dass  einer 
zu  Hilfe  kam,  denn  sie  war  fern  von  den  Sidoniern  und  hatte 
keine  Gemeinschaft  mit  Aram,  sie  liegt  aber  in  dem  Tale,  das  zu 
Beth  Rehob  gehört^).  Und  sie  bauten  die  Stadt  neu  und  wohnten 
darin  29.  und  nannten  den  Namen  der  Stadt  Dan  nach  ilii'em  Vater 
Dan,  dem  Sohne  Israels,  während  der  alte  Name  der  Stadt  Lais 
war. 

30.  Und  die  Kinder  Dan  richteten  sich  (dort)  das  Bild  auf,  und 
Jonathan  der  Sohn  Gerschoms  des  Sohnes  Moses  und  seine  Nach- 
kommen waren  Priester  des  Stammes  der  Daniten,  bis  zu  der  Zeit  ^), 
wo  die  Bevölkerung  gefangen  geschleppt  wurde.  31.  LTnd  sie  setzten 
sich  das  Bild,  das  Micha  gemacht  hatte,  alle  Tage,  wo  das  Gottes- 
haus in  Silo  war." 

Ein  alter  Bericht  (A)  imd  eine  jüngere  Recension  desselben 
(B)  sind  in  dieser  Erzählung  von  einem  Dritten  so  verbunden,  dass 
er  die  Varianten  neben  einander  stellte.  Nur  in  der  zweiten  Hälfte 
von  Kap.  18  tritt  A  fast  rein  hervor,  vielleicht  weil  B  hier  nur 
wenige  und  unwesentliche  Varianten  bot.  Ich  habe  in  der  Über- 
setzung die  Varianten  nicht  durchgehend  in  Klammern  gesetzt, 
sondern  nur  die  grösseren,  namentlich  dann,  wenn  der  Zusammen- 
hang darunter  leidet,  der  meistens  dadurch  wol  überfüllt,  aber  nicht 
eigentlich  gestört  wird. 

Der  Schluss  von  17,  3  ist,  wie  aus  dem  darauf  zurück- 
schlagenden Anfang  von  17,  4  hervorgeht.  Rede  Michas  und  also 


^)  Nach  V.  24  zu  ergänzen. 

2)  Dies  lautet  so,  als  ob  Lais  in  der  Gegenwart  des  Erzählers,  obwol  von 
Israeliten  bewohnt  und  eine  israelitische  Cultusstätte ,  doch  politisch  nicht 
mehr  zu  Israel,  sondern  zu  Aram  Beth  Rehob  gehört  hätte,  während  zugleich 
ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  dass  zur  Zeit  des  Ereignisses  die  Aramäer 
noch  keine  Beziehung  zu  der  Gegend  gehabt  hätten.  In  2.  Reg.  15,  29  wird 
Dan  in  der  ziemlich  vollständigen  Aufzählung  nicht  mit  genannt,  nach  1.  Reg. 
15,  20  ist  es  eine  Zeit  lang  damascenisch  gewesen,  wie  auch  andere  dort  ge- 
legene Städte,  die  aber  2.  Reg.  15,  29  wieder  als  israelitisch  erscheinen.  Ygl. 
Hogg  im  Expositor  vom  Dezember  1898. 

^)  Ob  die  Frist  ursprünglich  für  den  zweiten  oder  wie  in  dem  folgenden 
Verse  für  den  ersten  Satz  bestimmt  ist,  lässt  sich  nicht  entscheiden. 


368  Nachträge. 

Fortsetzung  seiner  Rede  in  17,  2;  der  eingeklammerte  Passus  in 
der  Mitte  erweist  sich  dadurch  als  Variante  aus  B.  Nach  derselben 
stiftet  die  Mutter  die  ganze  Summe  für  ein  Gussbild,  wäln^end 
sie  nach  A  nur  200  Silberlinge  dem  Micha  gibt,  der  daraus  Ephod 
und  Theraphim  macht.  Durch  das  Gussbild,  welches  im  Auftrage 
der  Mutter  der  Giesser  herstellt,  wird  auch  der  eingeklammerte 
Passus  in  v.  4  zu  B  gewiesen.  Das  injnm  in  v.  4  gehört  sowol 
zu  A  als  zu  B;  ich  habe  es  in  der  Übersetzung  in  Sperrdi'uck 
wiederholt,  mit  Ergänzung  des  Dativs.  Über  die  Zugehörigkeit  des 
eingeklammerten  letzten  Satzes  von  v.  5  zu  B  entscheidet  der  bei 
einem  alten  Schriftsteller  sehr  eigentümliche  Ausdruck  „die  Hand 
füllen"  (d.  i.  anstellen),  welcher  bei  B  in  v.  12  wiederkehrt. 

Die  Angabe  17,  6,  worin  sich  das  Befremden  über  so  unglaub- 
liche Zustände  ausdrückt,  wird  18,  1  wiederholt  und  steht  in  beiden 
Fällen  ausserhalb  des  Pragmatismus.  Sie  rührt  aber  von  einem 
Manne  her,  der  noch  in  der  Königszeit  schrieb  und  diese  Periode 
als  einen  grossen  Fortschritt  gegen  die  Anarchie  der  Richterzeit 
ansah  —  sehr  im  Gegensatz  zu  der  späteren  Betrachtungsweise. 

In  17,  7  stimmt  aus  dem  Geschlecht  Juda  nicht  mit  dem 
Übrigen,  wie  man  längst  empfunden  hat;  vgl.  Studer  zu  der  Stelle. 
Ein  Levit  kann  wol  in  einer  jüdischen  Stadt  wohnen,  aber  er  bleibt 
Ger  d.  i.  Aufenthalter  und  wird  nie  Angehöriger  des  Stammes  Juda. 
Die  Angaben  sind  also  unvereinbar.  Vatke  (a.  0.  p.  268)  hat 
richtig  erkannt,  dass  nur  in  B  von  einem  Leviten,  d.  h.  nach  dem 
alten  Sprachgebrauch  einem  geborenen  Priester,  die  Rede  ist,  in 
A  dagegen  von  einem  Laien,  der  erst  durch  die  Anstellung  von 
Seiten  Michas  zu  einem  Priester  wird.  Vgl.  den  Wechsel  in  18,  3 
(der  Levit)  und  v.  6  (der  Priester),  desgleichen  in  18,  15  (der 
Levit)  und  v.  17  (der  Priester);  von  der  Mitte  des  Kap.  18  an, 
wo  A  so  gut  wie  ausschliesslich  das  Wort  hat,  verschwindet  der 
Levit,  und  es  heisst  immer  nur  der  Priester.  Aber  darin  irrt 
Vatke,  dass  er  den  Priester  in  A  einfach  für  den  Sohn  Michas  hält, 
dem  in  17,  5  das  Amt  übertragen  wird.  Der  Sohn  kann  nicht  in 
der  Weise,  wie  es  18,  20  geschieht,  Verrat  gegen  seinen  Vater 
üben  und  froh  sein,  dass  er  von  der  Räuberbande  mitgenommen 
wird.  Dem  Irrtum  liegt  vermutlich  die  Meinung  zu  Grunde,  dass 
mit  18,  1  der  17,  6  verlassene  Faden  wieder  aufgenommen  werde, 
und  dass  also  das  dazwischen  liegende  Stück  17,  7 — 13  einen  anderen 
Faden   darstelle.      Indessen   weist   dieses    Stück    eine  Anzahl  von 


Judiciim  17.  18.  369 

Wiederholungen  auf,  die  sich  nur  aus  der  Verbindung  zweier  Be- 
richte erklären  und  beweisen,  dass  hier  sowol  A  als  B  durchgehn. 
Nach  A  hat  Micha,  der  bis  dahin  selber  sein  Gottesbild  hütete,  bei 
guter  Gelegenheit  einen  fahrenden  Judäer'),  gegen  angemessenen 
jährlichen  Lohn,  als  Priester  angestellt;  v.  10  gehört  nach  18,  19 
(Vater  und  Priester)  zu  A.  Nach  B  hat  er  statt  seines  Solmes 
einen  richtigen  Leviten  gewonnen  und  dadurch  die  Überzeugung 
erlangt,  dass  Jahve  ihn  nun  segnen  werde;  v.  12  und  13  gehören 
grösstenteils  zu  B.  In  v.  11  steckt  sowol  A  als  B;  auch  in  A 
muss  berichtet  gewesen  sein,  dass  der  Mann  das  Angebot  Michas 
annahm. 

In  der  ersten  Hälfte  von  Kap.  18  lässt  sich  leicht  eine  ganze 
Anzahl  von  Dubletten  aufweisen,  aber  nicht  leicht  sagen,  was  da- 
von zu  A  und  was  zu  B  gehört.  Der  Levit  in  v.  3  führt  auf 
B;  doch  beweist  der  Priester  in  v.  6  und  die  Dublette  in  der 
Frage  v.  3  sowie  in  der  Antwort  v.  4,  dass  auch  A  die  Befragung 
des  Orakels  durch  die  Kundschafter  berichtet  hat.  Die  Verschlin- 
gung in  V.  7.  8  ist  durch  Budde  entworren,  ein  Kriterium  füi-  A 
hat  man  an  v.  28,  charakteristisch  ist  die  verschiedene  Verwendung 
der  Sidonier  in  A  und  B.  Budde  hat  auch  richtig  gesehen,  dass 
der  von  mii'  eingeklammerte  Satz  am  Scliluss  von  v.  10  mit  der 
Aufforderung  am  Schluss  von  v.  9  verbunden  werden  muss,  die  er 
begründet,  und  dass  beides  zu  B  gehört. 

Ein  Knoten,  der  bisher  allen  Lösungsversuchen  widerstanden 
hat,  liegt  in  18,  16 — 18.  Er  ist  aber  in  Tat  gar  nicht  so  intrikat. 
Der  von  mii-  eingeklammerte  Passus  v.  17.  18  wiederholt  fast  wört- 
lich den  vorhergehenden^).  Nämlich  und  die  sechshundert  Be- 
waffneten, die  jetzt  am  Schluss  von  v.  17  in  der  Luft  schweben, 
haben  nach  v.  16  a  in  Wahi'heit  ihr  Prädikat  in  dem  vorhergehenden 
standen  vor  dem  Tore.  Um  die  beiden  fast  identischen  Passus 
hinter  einander  möglich  zu  machen,  ist  dieses  Prädikat  von  seinem 
wahren  Subjekte  getrennt  und  mit  der  Priester  verbunden,  welcher 
seinerseits  sein  wahres  Prädikat  vielmehr  in  sprach  zu  ihnen 
(v.  18)  hat.     Also: 


1)  Man  darf  nach  dem  Leviten  von  Bethlehem  in  B  vermuten,  dass  auch 
nach  A  der  Judäer  aus  Bethlehem  war. 

2)  Die  Gleichheit  der  beiden  Passus  ist  wol  von  Haus  aus  geringer  ge- 
wesen und  nachgehens  vergrössert  dadurch,  dass  in  den  einen  das  Gussbild, 
in  den  anderen  Ephod  und  Theraphim  nachgetragen  wurde. 

Welihausen,    Comp.    d.    Hexateuchs.    3,    Aufl.  24 


370  Nachträge. 


Und  die  600  Gewaffneten  von  den 
Kindern  Dan  stellten  sich  vor  dem  Tore 
auf,  und  die  fünf  Männer,  die  gegangen 
waren,  das  Land  auszukundschaften, 
drangen  dort  ein  und  nahmen  Ephod 
und  Theraphim  und  das  Gussbild.  Und 
der  Priester 


Und  die  600  Gewaff- 
neten stellten  sich  vor 
dem  Tore  auf,  und  jene 
drangen  ein  in  das  Haus 
Michas  und  nahmen 
Ephod  und  Theraphim 
und  das  Gussbild.  Und 
der  Priester 
sprach  zu  ihnen;  was  treibt  ihr  da! 
Die  Schlussverse  18,  30.  31  sind  Parallelen,  die  einander  aus- 
schliessen.  In  ihrem  ersten  Teil  stimmen  sie  mit  einander  über- 
ein, auch  in  dem  auffallenden  Gebrauch  des  Ausdrucks  Phesel. 
Im  zweiten  widersprechen  sie  sich.  Die  chronologische  Angabe 
von  V.  31  kann  gegen  die  von  v.  30  nicht  aufkommen.  Es  ist 
gewiss  richtig,  dass  bis  zur  assyrischen  Deportation  der  Phesel  in 
Dan  stand  und  eine  Priesterfamilie  dort  amtete,  welche  sich  von 
Jonathan  ben  Gersom  ben  Mose  ableitete.  Aber  freilich  kann  auch 
diese  Angabe  weder  von  A  noch  von  B  stammen.  Denn  A  hat 
vor  der  assyrischen  Deportation  geschrieben,  und  B  kann  nicht  erst 
post  festum  den  Leviten  beim  Namen  nennen,  nachdem  bis  dahin 
die  Anonymität  sorgfältig  gewahrt  war. 

Es  mögen  hier  noch  ein  paar  durchgehende  Varianten  von  A 
und  B  zusammengestellt  werden.  A  sagt  Ephod  und  Theraphim, 
B  dagegen  Gussbild;  das  letztere  ist  18.  14.  17.  18  nachgetragen 
und  dabei  zum  Teil  aus  einander  gerissen;  in  v.  20  heisst  es  nur 
das  Bild  und  in  18,  24  (27)  der  Gott.  A  gebraucht  Beth 
Micha  als  (noch  zu  seiner  Zeit  bestehenden)  Eigennamen  für  das 
Gehöft,  worin  das  Haus  d.  i.  die  Sippe  Michas  wohnte,  B  dagegen 
als  Appellativ  für  das  von  Micha  gebaute  Gotteshaus,  worin  auch 
der  Levit  wohnte;  man  sieht  freilich  nicht  überall,  ob  A  oder  B 
das  Wort  hat  und  welche  Bedeutung  demgemäss  am  Platze  ist, 
aber  nach  einigen  sicheren  Beispielen  steht  der  Unterschied  des 
Gebrauches  fest.  A  sagt  mischpacha  für  Stamm  (17,  7.  18,  2. 
11.  19),  ein  in  dieser  Anwendung  sehr  seltenes  Wort;  in  18,  1 
(vgl.  18,  11)  ist  das  übliche  schebet  an  die  Stelle  und  in  18,  19 
daneben  gesetzt.  Es  gibt  noch  mehr  derartiges,  doch  ist  es  von 
untergeordneter  Bedeutung. 

Ich  habe  mit  Yatke  den  Bericht,  worin  der  Priester  ein  Judäer 
ist,  für  den  ursprünglichen  genommen,  und  den  anderen,  worin  er 


1.  Sara.  4,  16  SS.  371 

ein  Levit  ist,  für  die  spätere  Recension.  Ich  halte  das  für  das 
Avahrscheinlichste.  Aber  bei  der  völligen  Gleichheit  des  Erzählungs- 
stoffes in  beiden  Recensionen  lässt  sich  allerdings  die  Möglichkeit 
nicht  ausschliessen,  dass  das  Verhältnis  umgekelii-t  und  der  Laie 
eine  Correctur  des  Klerikers  sei. 


1.  Sam.  4,  16ss.  2.  Sam.  11,  11.   20,  8.  2.  Reg.  11,  18ss. 

1.  Sam.  4,  16  „Ich  bin  der  aus  der  Schlacht  Gekommene, 
und  ich  bin  heute  aus  der  Sclilacht  geflohen".     Varianten. 

1.  Sam.  4,  21.  22.  „Und  sie  nannte  das  Knäblein  Ikabod, 
als  wollte  sie  sagen:  die  Elii'e  ist  fort  von  Israel  —  wegen  des 
Raubes  der  Lade  Gottes  und  (des  Todes)  ihres  Schwähers  und  ihres 
Mannes;  und  sie  sprach:  die  Ehre  ist  fort  von  Israel  —  weil  die 
Lade  Gottes  geraubt  war".  Die  gleiche  Etymologie  von  Ikabod  wird 
zweimal  wiederholt.  Sie  ist  wahrscheinlich  unrichtig.  Denn  Ikabod 
ist  s.  V.  a.  Abikabod,  wie  lezer  Ischai  Ehud  s.  v.  a.  Abiezer  Abischai 
Abihud.  Der  selbe  Name  wird  anderswo  Jokebed  ausgesprochen; 
das  Jod  ist  da  irrig  in  Jo  aufgelöst.  Das  könnte  auch  noch  in 
anderen  Fällen  vorgekommen  sein  (Jo  =  Abi). 

1.  Sam.  5,  1.  2.  „Und  die  Philister  nahmen  die  Lade  Gottes 
und  brachten  sie  von  Ebenhaezer  nach  Asdod,  und  die  Philister 
nahmen  die  Lade  Gottes  und  brachten  sie  in  das  Haus  Dagons." 
Die  beiden  Sätze  sind  allerdings  nicht  ganz  identisch,  da  der  zweite 
eine  genauere  Ortsbestimmung  nachbringt.  Aber  zu  diesem  Zweck 
bedurfte  es  doch  nicht  einer  so  weitläufigen  Wiederholung,  dieselbe 
erklärt  sich  daraus  nicht. 

2.  Sam.  11,  11.  „Die  Lade  und  Israel  und  Juda  wohnen  in 
Buden,  und  Joab  und  die  Knechte  meines  Herrn  lagern  auf  dem 
Felde".  Obgleich  die  beiden  Aussagen  sich  nicht  völlig  decken,  da 
die  Knechte  Davids  von  dem  Volksheer  unterschieden  werden  müssen, 
bedeuten  sie  hier  doch  das  selbe  und  können  für  einander  vikarü'en. 

2.  Sam.  20,  8.  Das  vorangestellte  Subjekt  Joab  hat  zwei  Prädi- 
kate, die  ganz  das  Gleiche  aussagen:  nc  mn  und  "ll^n  vhv  Vti'inb' 
das  Vau  am  Schluss  von  ll^llL'7  hat  sich  falsch  verdoppelt,  *n:;n 
ist  beidemale  Partie.  Passivi.  Also  liegt  eine  ausgesprochene  Vari- 
ante vor.  „Joab  hatte  sein  Gewand  hochgeschürzt  und  enggegürtet 
und  trug  das  Schwert  nicht  über  der  Schulter,  sondern  im  Gurt"  — 
die  letzten  drei  Worte  von  v.  8  sind  ganz  unverständlich,  sollen 

24* 


372  Nachträge. 

aber  wol  die  in  v.  9  beschriebene  Manipulation  vorbereiten.  Der 
von  Buclde  gebilligte  Vorschlag  Klostermanns  bessert  meines  Er- 
achtens  nichts,  sondern  ergibt  nur  Überflüssiges. 

2.  Reg.  10,  18—27.  „Und  Jehu')  versammelte  alles  Volk')  und 
sprach :  Ahab  hat  dem  Baal  zu  wenig  gedient,  Jehu  wird  ihm  besser 
dienen;  19.  also  nun,  alle  Propheten  des  Baal  und  all  seine  Diener^) 
und  all  seine  Priester  ruft  her  zu  mir,  niemand  bleibe  aus,  denn 
ich  veranstalte  dem  Baal  ein  grosses  Opfer;  wer  sich  vermissen 
lässt,  wird  nicht  leben  bleiben!  Jehu  handelte  aber  mit  List,  um 
die  Diener  des  Baal  umzubringen.  20.  Und  Jehu  sprach:  ordnet 
eine  Feier  für  den  Baal  an,  und  sie  riefen  aus*).  21.  Und  Jehu 
sandte  durch  ganz  Israel,  und  alle  Diener  Baals  kamen,  und  keiner 
war  übrig,  der  nicht  gekommen  wäre.  Und  sie  kamen  zum  Hause 
des  Baal,  und  das  Haus  des  Baal  ward  voll  von  Rand  zu  Rand. 
22.  Und  er  sprach  zu  dem  Vorsteher  der  Zeugkammer:  gieb  allen 
Dienern  des  Baal  einen  Anzug  heraus!  und  er  gab  ihnen  einen 
Anzug  ^).  23.  Und  Jehu  kam  mit  Jonadab  ben  Rekab  nach  dem 
Hause  des  Baal,  und  er  sprach  zu  den  Dienern  des  Baal:  seht  genau 
nach,  das  hier  keine  Diener  Jahves  unter  euch  seien,  sondern  nur 
allein  Diener  des  Baal.  24.  Und  er  kam^)  um  die  Opfer  zu  ver- 
richten. Jehu  hatte  aber  draussen  achtzig  Mann  bestellt  und  ge- 
sagt: wer  einen  von  denen,  die  ich  vor  eure  Hand  bringe,  entrin- 
nen lässt, wird  es  mit  dem  Leben  büssen.  25.  Und  als  er  mit 
dem  Brandopfer  fertig  war,  sagte  Jehu  zu  den  Trabanten  und  den 
Knappen:  kommt  herein,  erschlagt  sie,  keiner  entkomme!  Und 
sie  erschlugen  sie  mit  dem  Schwert  und  warfen  ^)  ^  ^  *.     Und  die 


1)  lou  =  Abihu. 

2)  Lucian  fügt  hinzu  ^v  Safxapet'qc,  sachlich  richtig. 

2)  Die  Diener  dürfen  nicht  zwischen  den  Propheten  und  Priestern  stehn, 
vielleicht  sind  die  Priester  nachgetragen. 

*)  Wenn  mit  ^^?^p''')  nur  die  Ausführung~des  Befehls  Wip  erzählt  wer- 
den sollte,  so  würde  der  Ausdruck  nicht  wechseln.  Vielleicht  ist  das  Niphal 
zu  sprechen  und  mit  IN^^l  v.  21  zu  verbinden. 

^)  Die  zwei  ersten  Buchstaben  von  t^^lllten  sind  aus  dem  vorhergehenden 
Cn?  irrig  wiederholt. 

^)  Wegen  IH^DD  v.  25  ist  auch  hier  der  Singular  i^i^l  zu  lesen,  Jehu 
selber  bringt  das  Opfer. 

^)  Objekt  und  Ortsangabe  fehlen.  Etwa;  sie  warfen  die  Leichen  in  den 
heiligen  Brunnen,  oder  in  die  heilige  Höhle  des  Baal. 


1.  Sam.  4,  16  SS.  373 

Trabanten  und  die  Knappen  ^)  gingen  in  .  .  .  '*)  des  Hauses  des  Baal 
26  und  holten  die  .  .  /)  des  Hauses  des  Baal  heraus  und  verbrannten 
sie.  27  Und  sie  zerstörten  die  Ma^^eba  des  Baal  und  sie  zer- 
störten das  Haus  des  Baal  und  machten  es  zu  einem  Aborte,  bis  auf 
diesen  Tag." 

V.  20  sagt  mit  kürzeren  Worten  noch  einmal,  was  weitläu- 
figer schon  in  V.  19  gestanden  hat;  denn  man  kann  nicht  annehmen, 
dass  in  v.  19  Jehu  nur  die  Priester  und  Propheten  des  Baal  ent- 
bietet und  ihnen  dann  v.  20  aufträgt,  eine  allgemeine  Feier  anzu- 
stellen. V.  21  ist  sachlich  sowol  für  v.  19  als  für  v.  20  unent- 
behrlich; formell  weicht  der  Ausdruck  "iNti^J  von  dem  in  v.  19 
gebrauchten  IpDJ  ab.  Der  Vers  23  setzt  seinen  Vorgänger  nicht 
voraus;  denn  dort  ist  Jehu  schon  da,  hier  kommt  er  erst.  Ausser- 
dem deckt  sich,  wie  es  scheint,  der  Inhalt  der  beiden  Verse,  die 
Jahvediener  werden  nach  v.  22  eben  dadurch  ausgeschlossen,  dass 
nur  solche  Leute  Einlass  finden,  die  ein  besonderes  Festkleid  be- 
kommen haben.  Die  achtzig  von  Jehu  draussen  postirten  Männer 
V.  24  stimmen  formell  nicht  zu  den  Trabanten  und  Knappen,  die 
in  V.  25  eindi'ingen.  Es  ist  jedoch  kaum  möglich  zu  entscheiden, 
welche  Varianten  zusammengehören,  und  wie  sie  sich  zu  zwei  Re- 
censionen  formiren;  denn  der  sachliche  Unterschied  der  Recensionen 
ist  zu  gering.  In  dem  ursprünglichen  Bericht  hat  jedenfalls  nicht 
gestanden,  dass  Jehu  Boten  durch  ganz  Israel  gesandt  habe,  um 
alle  Baalsdiener  aus  dem  ganzen  Lande  zusammen  zu  bringen. 
Denn  das  verdirbt  Alles;  er  muss  mit  überraschender  Eile  verfah- 
ren und  sich  auf  die  Hauptstadt,  Samarien,  bescln^änken.  Auch  das 
ist  wol  kein  ursprünglicher  Zug,  dass  er  mit  Jonadab  ben  Rekab 
zusammen  zu  dem  Baalsopfer  gegangen  sei. 

Die  Abweichungen  der  Septuaginta,  besonders  des  Lucianus 
vom  masor ethischen  Texte,  sind  schwerlich  von  Wert.  Sie  scheinen 
zum  Teil  auf  Kritik  und  nicht  auf  Tradition  zu  beruhen. 


^)  Die  Trabanten  und  die  Knappen  sind  hier  nur  zu  halten,  wenn  man 
sie  hinter  das  nächste  Verbum  versetzt. 

^)  ^^y  iy^  Gemeint  ist:  in  das  Adyton. 

^)  Die  MaQ^eboth  werden  hier  aus  dem  Adyton  herausgeholt;  da  befinden 
sich  aber  sonst  keine  Ma99eboth.  Sie  sind  auch  von  Stein  und  lassen  sich 
nicht  verbrennen.  In  v.  27  ist  wie  gewöhnlich  von  einer  singularischen 
Ma^^eba  des  Baal  die  Rede,  die  im  Freien  steht  und  zertrümmert  wird. 


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Wellhausen,  Julius, 

Die  composition  des  Hexateuchs  u 


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1899 


1899. 


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BRANDEIS  UNIVERSITY 
LIBRARY 


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