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DIE ENTSTEHUNO DER
BAROCKKUNST IN ROM
DIE ENTSTEHUNO
DER
BAROCKKUNST IN ROM
AKADEMISCHE VORLESUNGEN
GEHALTEN VON
ALOIS RIEGL
AUS SEINEN HINTERLASSENEN PAPIEREN
HERAUSGEGEBEN VON
ARTHUR BURDA UND MAX DVORAK
WIEN 1908
VERLAG VON ANTON SCHROLL & Co.
hl
DRUCK VON FRIEDRICH JASPER IN WIEN.
(Vorrede.
Die begeisterte Aufnahme. dieRiegls Vorlesungen über die italienische
Barockkunst an der Wiener Universität fanden, ermunterte die Heraus-
geber, sein Barock-Kollegienheft zu publizieren. Eine nicht leichte Arbeit,
da zwei Umarbeitungen die Lesbarkeit der flüchtig geschriebenen Blätter
erschwerten.
Riegl hielt im Wintersemester 1894 95 eine vierstündige Vorlesung
über «Kunstgeschichte des Barockzeitalters«. Dann schied er den nicht-
italienischen Stoff aus und las im Wintersemester 1808/99 dreistündig
■Italienische Kunstgeschichte von 1550 bis 1S00«.
Der im Jahre 1900 erschienene Bernini des Frasche/ti regte mit
seinem reichen Abbildungsmaterial und seinem schwachen Texte Riegl au.
sich mit Bernini eingehender zu befassen. Er schied aus seinem dritten
Kolleg ■■Italienische Kunstgeschichte von 1520 bis 1700«, das er im Winter-
semester 1901/02 dreistündig las. Bernini ganz ans und behandelte diesen
im darauffolgenden Sommersemester in den kunstgeschichtlichen Übungen,
indem er Baldinuccis Bernini übersetzte, kommentierte und seine Werke
kritisch behandelte. Dieser I 'instand zwang die Herausgeber, den gleichen
Weg zu gehen. Da die ans dem Win/er 1S98/99 stammende Bearbei-
tung Berninis durch Riegls Nachprüfung von Fraschel/is Buch überholt
war. mußte sie notwendig in der gegenwärtigen Publikation Wegfallen.
Riegls Bearbeitung und Kommentar der Lebensbeschreibung Ber-
ninis von Baldinucci aus dem Sommer 1902 hier einzufügen, mußte aus
technischen Gründen unterlassen werden. L)ie Herausgeber behalten sich
die Veröffentlichung dieser Quellenstudie an anderem Orte vor.
- VI
Flüchtig hingeworfene, ungefeilte Notizen sind es, die der eilenden
Feder Riegls entflossen. <>// nur Schlagworte, die Mangel an Raum
und Zeit gebot. Und entbehren sie des Zaubers des persönlichen Vor-
trages, der alle Zuhörer gefangen nahm, so bleibt ihnen Eines: der über-
wältigende Reichtum an Gedanken.
Herrn Dr. Hermann Julius Hermann gebührt für seine wertvolle
Mitarbeit an den Korrekturarbellen der wärmste Dank.
Wien, im November 1007.
CDie (Jferausgeber.
INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
Einleitung 1
Literatur 9
Burckhardt 9. Janitschek 9. Strzygowski 10. Fraschetti 10. Gur-
litt 12. Wölfflin 13. Dohme 15. Schmarsow 15.
Quellen 17
Vasari 17. Baglione 18. Bellori 20. Passeri 27. Baldinucci 29. Mal-
vasia 30.
Werden des Barockstiles 31
Michelangelo 31, Mediceergräber 32, Moses 39, Propheten und
Sibyllen, Sixtina 39, Jüngstes Gericht, Sixtina 40, Treppen-Vorhalle
der Biblioteca Laurenziana 44. Correggio 46. Michelangelos Leistung
im Profanbau 55. Römische Höfe 58. Pal. Pitti 60. Pal. Strozzi 61.
Pal. Riccardi 61. Pal. Rucellai 61. Fassade 61. Bramante 63. Vatikani-
scher Hof 64. S. Maria della Pace 65. Wohnhaus Bramantes 66.
Farnesina 67. Pal. Pandolfini, Florenz 67. Pal. Bartolini, Florenz 68.
Pal. Spada 68. Villa Madama 69. Pal. Massimi 69. Giulio Romano:
Pal. Cicciaporci, Pal. del Te 69. Sanmichelis Bauten in Verona: Porta
Nuova, Pal. Bevilacqua, Pal. Canossa, Pal. Pompei 70. Sansovino:
Bibliothek von S. Marco, Venedig, Hof der Universität Padua 70.
Palladios Bauten in Vicenza: Pal. Chieregati, Basilika, Pal. Valma-
rana 71. Longhena: Pal. Pesaro und Pal. Rezzonico in Venedig 71. An-
tonio da San Gallo 71, Pal. Sacchetti, Pal. Farnese 72. Kapitolinische
Bauten 74.
Kirchenbau 79
S. Peter: Bramante 80, San Gallo 83, Peruzzi 83, Michelangelo .83.
S. Maria degli Angeli von Michelangelo 88. Palladio: S. Giorgio
Maggiore und Redentore in Venedig 90.
Baukunst von 1550 bis 1630 91
Serlio 91. Armenini 93. Konservierung antiker Kunstwerke durch
Raffael 96, Manetti 97 und Frangipani 97. Wandlung in der Wert-
schätzung der Antiken 99. Vignola: Vigna di Papa Giulio 103. Pal.
- Vlll -
Seile
Farncsc in Piacenza 106, Scliloß Caprarola und Villa Lante bei Vi-
terbo 107, Gcsü 107. S. Andrea della Valle 113. Qiacomo della Porta:
üesü 114, S. Luigi de' Francesi 120. Pal. Farnese 121. Sapienza 122.
Pal. Paluzzi, Chigi, Serlupi 123. Ländliche Villa: Villa Aldobrandini
bei Frascati 124, Villa d'Este bei Tivoli 125. Villa suburbana: Villa
Media' 126, Villa Borghese 127. Dom. Fontana: Capella del Presepio
128, Villa Montalto 128, Lateranpalast 129, Acqua Feiice 131, Acqua
Paola 131, Pal. Reale in Neapel 132. Martino Lunghi d. A.: Chiesa
Nuova, Fassade 132, Pal. Borghese 133, Pal. Altemps, Hof, 133. Casa
Zuccaro 133. Cigoli 134. Carlo Maderna 134: S. Susanna 135, Lang-
haus und Fassade von S. Peter 136, Pal. Barberini 142. S. Andrea
della Valle 142. Domenichino: S. Ignazio 143.
Die Skulptur der Gegenreformationszeit 146
Guglielnio della Portas Grabmal Pauls III. 146. Die vier Papstgrab-
mäler in S. Maria Maggiore 150.
Die Malerei der Gegenreformationszeit 153
Die Manieristen: Vasari 155, die Zuccaro 155, Cavalier d'Arpino
155, Baroccio 156. Künstlerromfahrten 157. Akademien 157. Theoreti-
sieren 158. Die Carracci 163. Die Schule der Carracci: Guido Rem"
175, Domenichino 184, Fr. Albani 191, Guercino 195, Lanfranco 197,
Cavedone 198, Tiarini etc. 199.
Der Naturalismus 201
Michelangelo Caravaggio 203.
EINLEITUNG.
Als an den deutschen Universitäten die ersten Lehrstühle für
Kunstgeschichte gegründet wurden, vor etwa 50 Jahren, gab es nur
zwei schlechtweg mustergültige Stile, auf deren Darlegung der kunst-
gcschichtliche Unterricht begründet wurde: die klassische Antike
und die italienische Renaissance. Die mittelalterliche Kunst wurde
als unvollkommene, aber berechtigte Vorstufe der Renaissance
behandelt. Nach der italienischen Renaissance ließ man sofort den
Verfall der Kunst beginnen. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat
sich nun, parallel mit der Entwicklung in der modernen Malerei,
ein Umschwung angebahnt: man erkannte in der Kunst des 17. Jahr-
hunderts eine Vorstufe der modernen Kunst, und begann auch von
seifen der Forschung dem Rubens, Rembrandt, Vclazqucz näher zu
treten. (Liebhaber für dieselben hat es immer gegeben.) Man begann
auch von den Gegensätzen zwischen romanischer und germanischer
Kunst zu sprechen, und sollte meinen, daß die deutschen Forscher
die entdeckte germanische Kunst zur Grundlage des Unterrichtes
machen würden. Wie steht nun die Sache heutzutage? Liest man die
Vorlesungsverzeichnisse, so fällt auf, daß so viele Vorlesungen über
moderne Kunst gehalten werden. Was aber den Unterricht in der
alten Kunst betrifft, so ist derselbe noch immer wesentlich auf die
klassische Antike und die italienische Renaissance begründet, also
auf diejenigen Stile, die gerade dem spezifisch Germanischen am
fernsten liegen. Liest man die kunsthistorischen Zeitschriften, so fällt
auf, daß sich die Mehrzahl der jungen Forscher mit Themen aus dem
italienischen Quattrocento und Cinquecento beschäftigt. Das hat freilich
auch einen äußeren Grund. In der italienischen Malerei, die grund-
sätzlich auf Darstellung von Handlungen ausgeht, spielt das Ikono-
graphische immer eine große Rolle: das heißt dasjenige, was das Bild
darstellt, der gegenständliche Inhalt. Über diesen läßt sich viel
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. 1
reden, und so empfiehlt sich die italienische Renaissance geradezu
Anfängern für ihre Stilübungcn. Aber im allgemeinen liegt die Ur-
sache für die fortdauernde Bevorzugung der italienischen Renaissance
an den Universitäten doch tiefer.
Es ist die richtige Empfindung, daß die sogenannte „germanische"
Kunst immer nur dann einen großen Schritt nach vorwärts getan hat,
wenn sie vorher etwas von den romanischen Eigentümlichkeiten in
sich aufgenommen hat. (Analog dem Prozeß im Altertum: das
treibende Element sind die Griechen gewesen, aber jede neue Stufe
der Entwicklung ist gekennzeichnet durch vorausgegangene Aufnahme
orientalischer Elemente. Liegt daran, daß die Indogermanen im
Grunde den bildenden Künsten passiv gegenüberstehen: Inder,
Piaton, die Mystiker.) Die deutschen Forscher haben die Empfindung,
daß sie gerade von der italienischen Kunst etwas lernen können,
das ihnen die eigene nationale Kunst nicht bietet. Gerade weil uns
die italienische Kunst fremd ist, zieht sie uns als Problem an und
reizt uns immer aufs neue, ihren verborgenen Kräften und Quellen
nachzuspüren; liegen doch in der italienischen Kunst die Wurzeln
der nationalen, ist sie doch die einfachere Erscheinung gegenüber
der komplizierteren abgeleiteten nordischen.
Und merkwürdig! Dieses Interesse für die italienische Kunst er-
streckt sich durchaus nicht auf alle ihre Perioden (vom 13. bis zum
18. Jahrhundert spielt die italienische Kunst eine Weltrolle); sondern
es bricht plötzlich ab mit dem Ende der Renaissance. Lionardo,
Raffacl, Michelangelo, Correggio, die Venezianer des 16. Jahrhunderts
und ihre engeren Schüler interessieren uns noch, aber was darauf
gefolgt ist und was man den Barockstil nennt, dafür hat weder der
deutsche Forscher noch der deutsche Liebhaber ein Interesse.
Warum? Weil diese spätere italienische Kunst Elemente der nordischen
Entwicklung in sich aufgenommen hat, nämlich in der Auffassung:
gesteigerte Empfindung, in der formalen Wiedergabe: gesteigerte
subjektiv-optische Aufnahme. Das klingt paradox. Man sollte doch
glauben, daß sie unserem Interesse dadurch näher gerückt worden
wäre. Aber das Gegenteil ist der Fall. Dadurch, daß diese Kunst zum
Teil unserem Empfinden entgegenkommt, fällt es uns nur um so
störender, widerspruchsvoller auf, daß der andere Teil unserem
Empfinden nicht entspricht. In der Renaissance ein grundsätzlich
- 3 -
Fremdes, aber in sich Harmonisches; in der italienischen Barockkunst
ein zum Teil uns Verwandtes, aber in sich widerspruchsvoll Er-
scheinendes. (Ähnlich steht es mit der Diadochcnkunst und der
spätrömischen im Gegensatz zur klassischen.)
Was heißt Barockkunst? Auf Etymologie des Wortes, die ver-
schiedentlich erklärt wird, ist nicht einzugehen. Der Sinn, den wir
damit verknüpfen, ist klar: wunderlich, ungewöhnlich, außer-
ordentlich. Das Außerordentliche schlechtweg ist aber auch Ziel aller
klassischen und romanischen Kunst, auch der Renaissance, im Gegen-
satz zum Alltäglichen, Genrehaften der nordischen Kunst; z. B. in
Raffaels Historienbildern: Ursache und Wirkung der Geschehnisse
sind außerordentlich, die Figuren sind außerordentlich schön. Aber
dieses Außerordentliche verstehen wir, wir finden es daher bewunde-
rungswürdig. Jenes Außerordentliche, das die Barockkunst dar-
stellt, verstehen wir nicht, es überzeugt uns nicht, enthält einen
Widerspruch, wirkt unwahr, wir finden es daher wunderlich. Das
Außerordentliche packt uns in der Antike und Renaissance, im
Barockstil stößt es uns ab, wir empfinden es störend, wie eine
lästige Unklarheit; z. B. eine Figur, die betet und sich dabei in
konvulsivischen Bewegungen krümmt. Wir fragen, warum diese Be-
wegungen? Sie erscheinen uns unmotiviert, wir verstehen sie nicht.
Ihr Gewand ist aufgebauscht, wild bewegt, wie von einem Sturm-
wind, wir fragen wieder warum? Kommt das im Bilde vor und
daneben ein Baum, dessen Blätter ganz ruhig sind, so fragen wir:
warum bewegt der Sturm gerade das Gewand und nicht auch das
Baumlaub daneben? Wir sehen nur eine Wirkung und keine zu-
reichende Ursache. Und das stört uns Nordländer.
Die italienische Kunst schildert, wie alle christliche Kunst,
Handlungen und Folgewirkungen innerer Bewegungen, seelischer
Antriebe. Dabei legt sie aber den Hauptakzent auf die äußere
Handlung. Die germanische Kunst schildert das gleiche, legt aber
den Hauptakzent auf die seelische Bewegung: sie schildert seelische
Bewegungen als Motive körperlicher Handlungen. Das heißt, das
Seelische ist im germanischen Kunstwollcn von vornherein das Stärkere.
Das Seelische ist das Unkörperliche, Unfaßbare, Immaterielle; daher
die Passivität der Germanen dem Faßbaren, Bildbaren in der Kunst
von Haus aus gegenüber. Nun wird dieses Seelische in der italienischen
Barockkunst gesteigert: Annäherung an das Nordische. In gleichem
Maße wird aber auch die körperliche Handlung gesteigert: das ist das
unaustilgbar Italienische (ist die innere Aufregung größer, so muß
sie sich auch stärker nach außen Luft machen), und dieses Zusammen-
sein beider Elemente empfinden wir als Widerspruch. Betende Figur
wie oben: innere seelische Aufregung, gesteigert gegen die Renais-
sance, aber zugleich äußere Bewegung: konvulsivische Zuckungen.
Man vergleiche daneben Rcmbrandt: je inniger seine Figuren beten,
desto ruhiger werden sie äußerlich, desto weniger äußere Handlung,
körperliche Bewegung.
Hier haben Sie den ganzen Unterschied zwischen der italieni-
schen Barockkunst und der gleichzeitigen nordischen und auch den
Grund, warum die Nordländer kein Herz dafür fassen können. Die
betende Renaissancefigur dagegen gefällt uns: im Seelischen erfüllt
sie zwar nicht, was wir verlangen, sie ist zu objektiv kalt, in sich
reserviert, nicht hinreichend subjektiv aufgeschlossen, verbunden mit
außen (Gott), aber sie verhält sich entsprechend ruhig; wir hassen
vor allem die heftige Handlung, wo sie nicht schon durch den
Gegenstand motiviert ist, wie z. B. in Rubens Bildern, weil sie die
Stimmung stört, und das erfüllt die Renaissancefigur. Ganz ähnlich
das Ergebnis, wenn wir, von der Auffassung des Inhaltes zur Art
der formellen Wiedergabe übergehend, das Verhältnis der italienischen
Barockkunst zum künstlerischen Hauptproblem der damaligen Zeit,
der Verbindung der Einzelfigur mit dem Räume, ins Auge fassen.
Die Holländer suchten diese Verbindung mittels Licht und Schatten
in rücksichtsloser Weise herzustellen: der Raum zwischen den Fi-
guren ist gerade so wichtig als die Figuren selbst, ja mitunter sogar
wichtiger. Bei den Italienern bleibt die Einzelfigur die unverrückbare
Grundlage jeder Komposition, daher konnten sie in der Berück-
sichtigung des Tiefraumes, des Lichtes und Schattens in ihrer ver-
bindenden Funktion, nie so weit gehen als die Nordländer. Nun
wurde in der italienischen Barockzeit Licht und Schatten in höherem
Maße berücksichtigt: das ist eine Annäherung an die Nordländer.
Aber in gleichem Maße wurde auch die Begrenzung der Einzelfigur
gesteigert, so daß statt Verbindung doch Isolierung das Resultat
war (bei Correggio besonders schlagend, dann bei Bernini). Die
Kunst des 17. Jahrhunderts wird immer malerischer und trotzdem
- 5 -
tritt die Plastik als führend an Stelle der Malerei! Auch hier emp-
finden wir den Zwiespalt: einerseits im nordischen Helldunkel,
anderseits aber keine Verbindung der Figuren durch dieses Hell-
dunkel (wie bei Rembrandt), sondern eine noch schroffere Isolierung.
Die gleichen Mittel wie im Norden und ein ganz unnordischer
Effekt! Das stört uns. Hinlänglich Beweise, warum weder das
deutsche Publikum noch die deutsche Forschung sich dafür begeistern
konnten.
Ist es denn überhaupt nützlich, Vorlesungen darüber zu
halten? Hat diese Kunst nicht ein isoliertes, lokales Dasein geführt,
unfähig, das Schaffen anderer Kunstvölker zu befruchten? Wenn dem
so wäre, dann würde es Vorlesungen bei uns nicht lohnen, weil
sie bloß lokalitalienisches Interesse besäßen, wie z. B. die Tiroler
Bildschnitzer des 17. Jahrhunderts. Dem ist aber durchaus nicht so.
Die italienische Kunst hat mindestens bis in die zweite Hälfte des
17. Jahrhunderts eine Weltmission erfüllt, zum Teil noch bis in das
18. Jahrhundert hinein. Vor allem für die katholischen Völker. Wir
können sogar fast den Tag bestimmen, wann ein katholisches Volk
zum ersten Male sich vom italienischen Einflüsse emanzipiert hat:
die Franzosen; wir werden diesen Moment im Leben des Bernini
kennen lernen. Das war schon in den sechziger Jahren des 17. Jahr-
hunderts; andere katholische Völker sind dem Stil noch bis in das
18. Jahrhundert anhänglich geblieben. Die Franzosen waren es auch,
die die Nachfolge in der Führung der europäischen Kunstvölker
übernommen haben für zwei Jahrhunderte lang. Und diese zwei Jahr-
hunderte haben nicht ein einziges so originales, neue Bahnen
weisendes Kunstwerk geschaffen wie die italienische Barockkunst
ihrer zu Dutzenden. Darum kann man schon einen Rückschluß auf
die historische Bedeutung der italienischen Barockkunst ziehen, so
sehr sie unseren modernen Geschmack herausfordert.
Sehen wir uns in Wien um. Die ältesten Straßen zeigen ganze
Fluchten von eigenartigen Häuserfronten mit charakteristischen
Maßverhältnissen, Fenster- und Torbildungen, dazu kommen zahl-
reiche Paläste des gleichen Stiles und eine Anzahl prachtvoller
Kirchen. Es sind die Bauten des Fischer von Erlach und seiner
Schule; man nennt diesen Stil das Wiener Barock. Dieses Wiener
Barock vom Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts ist
nichts anderes als eine lokale, aber höchst originelle und lebendige
Fortbildung des italienischen Barockstiles. Die gleiche Erscheinung
in Süddcutschland, am Rhein, in Belgien, Spanien, überhaupt in allen
katholischen Ländern Europas. Diese lokalen Stile wären gar nicht
denkbar ohne ihre gemeinsame Wurzel, den italienischen Barock-
stil. Ich mochte noch weitergehen : bis in den modernsten sezessio-
nistischen Baustil wirkt das vom italienischen Barockstil Geschaffene
nach, in einfachen architektonischen Grundzügen. Was also die
Architektur betrifft, ist die Weltrolle des italienischen Barock nicht
zu bestreiten.
Ähnliches gilt von der Skulptur. Hierin sind die Italiener alle-
zeit Meister geblieben; haben die anderen Kunstvölker im 17. Jahr-
hundert ihre Maler: Rubens, Rembrandt, Velazqucz, so haben die
Italiener ihren Bildhauer ohnegleichen: Bernini. Selbst während der
französischen Hegemonie sind wegen ihrer grundsätzlichen anti-
nordischen Vorliebe für isolierte Erfassung der tastbar begrenzten
Einzelfigur die bahnbrechenden Meister, wie Canova, aus Italien
hervorgegangen. Bis zu den Gipsformatoren herab sind die Italiener
die handfertigsten Plastiker geblieben. Selbst in der impressionisti-
schen Skulptur sind die Italiener voran, wie die Mailänder Schule
beweist.
Am wenigsten universale Bedeutung hat die italienische Barock-
kunst in der Malerei erlangt. Rembrandt, Velazqucz haben sich um
die Italiener so gut wie gar nicht gekümmert. Aber schon die
flämische Malerei des 17. Jahrhunderts ist nicht zu denken ohne
Vorantritt der italienischen Barockmalerci. Rubens hat die Spuren
seiner italienischen Lernzeit bis in sein spätestes Alter bewahrt.
Vielleicht noch tiefer hat das italienische Beispiel auf van Dyck
eingewirkt, dessen bekanntes Pathos erst durch das Studium der
großen Bolognesen hervorgelockt worden ist. Das war auch eine
Weltmission: Ausgleich zwischen romanischer und germanischer
Kunstrichtung. Vollends, wenn wir auf das lokale österreichische
und süddeutsche Kunstgebiet blicken, so stand es im ganzen 17. Jahr-
hundert und tief ins 18. hinein unter dem Einfluß der italienischen
Barockmalerei. Die Fresken in den österreichischen Klöstern, die im
1 8. Jahrhundert gemalt wurden, die Ölbilder der zahlreichen österreichi-
schen Meister dieser Zeit (die zum Teil ihre deutschen Namen italianisiert
haben wie in der Humanistenzeit: Hohenberg-Altomonte) haben ihren
Ausgang von der italienischen Barockmalerei genommen.
An der Nützlichkeit und Ersprießlichkeit für den Kunsthistoriker,
die Geschichte der italienischen Barockkunst einmal aus der Nähe zu
betrachten, kann sonach nicht gezweifelt werden. Eine andere Frage ist
es, ob unser Geschmack nicht auch wieder einmal den Barockitalienern
etwas abgewinnen wird, also nicht bloß der Kunsthistoriker, sondern
auch das Publikum ein Interesse für die italienische Barockmalerei
fassen wird. Auch diese Frage ist bejaht worden und von niemand
anderem als demjenigen, der die Abneigung gegen das italienische
Barock im deutschen Publikum mit größtem Nachdruck und Erfolg
propagiert hat: von Jakob Burckhardt (namentlich im Cicerone). In
seinen „Erinnerungen aus Rubens", in den letzten Lebensjahren
gedruckt, hat er es geradezu als eine notwendige Folge voraus-
gesagt, daß man die italienische Barockmalerei einmal nachsichtiger
und wohlwollender zu betrachten beginnen werde. Und bezeich-
nendermaßen in einem Werke, das Rubens gewidmet ist: denn wer
Rubens gelten läßt, muß notwendigermaßen auch die Barockitaliener
bis zu einem gewissen Grade gelten lassen.
Das eigentliche Barockjahrhundert ist das 17.; aber die An-
fänge des Barockstiles gehen in Italien bis auf Michelangelo und
Correggio zurück (man wollte sie auch bei Raffael konstatieren, und
wer das durchaus will, dem wird es auch gelingen; aber bei Raffael
tritt das Barocke nur als Beimischung eines Aufkeimenden auf, das
Ausgleichsstreben der Renaissance ist bei Raffael noch maßgebender;
bei Michelangelo und Correggio in gewisser Hinsicht als ein Fertiges,
Vollbewußtes, Einseitiges; sie sehen darin ein Notwendiges, Zukunft-
beherrschendes, sie waren subjektive Künstler, gegenüber Raffael, der
noch wesentlich objektiv war). Deshalb habe ich eine Darstellung
der italienischen Kunst von 1520 an angekündigt. Aber der Zeitraum
ist ein großer und Ökonomie ist geboten; daher will ich aus der
Besprechung des 16. Jahrhunderts alles ausscheiden, was nicht
unbedingt nötig ist vorzubringen. Vor allem jene Meister, die ge-
wöhnlich noch im Zusammenhang mit der Renaissance behandelt
werden: Michelangelo und Correggio; ersteren berücksichtige ich nur,
insoweit er „Vater des Barockstiles" ist, also in seiner zweiten Periode
von zirka 1520 an, und auch Correggio nur, soweit von ihm eine
Barockrichtung ausgeht. Die Schule des Michelangelo, den Florentiner
Manierismus, dürfen wir ganz übergehen. Ebenso die venezianische
Malerei des ganzen 16. Jahrhunderts, die man als Spätrenaissance
bezeichnet hat, mit gewissem Recht. (Tintoretto und Paolo haben
aber gewiß Berührungspunkte mit dem Barockstil. Die Berührungs-
punkte der Venezianer mit dem Barockstil werde ich einfach
summarisch formulieren.)
Die eigentliche zusammenhängende Darstellung setzt erst mit
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein. Und da kann man
zweiteilen: erste Hälfte bis 1630, da Bernini seinen spezifischen
Stil ausbildet; hier ist Architektur und Malerei wichtig, für die
Skulptur gab es wenig Aufgaben. Zweite Hälfte von 1630 an, durch
Bernini beherrscht. Da lagen Aufgaben vor, die die Skulptur zu
lösen hatte. Die Malerei tritt in Italien gegen die Skulptur wesent-
lich zurück; dagegen hat die Architektur noch ihre bedeutenden
Aufgaben zu lösen. Innerhalb dieser zeitlichen Einteilung ist auch
eine lokale durchzuführen, d. h. die italienische Kunst zerfällt auch
in der Barockzeit in eine Anzahl lokaler Schulen wie in der Re-
naissance. Aber schon in der Renaissance ist eine von hauptsäch-
licher Bedeutung: die florentinische ; daneben behaupten aber die
anderen Schulen noch eine gewisse Bedeutung für die Entwicklung.
In der Barockzeit geht die Führung von Florenz auf Rom über,
nicht aus lokalen Gründen, denn die Künstler waren fast lauter
Nichtrömer, sondern entsprechend der überragenden Bedeutung des
Papsttums; die auf der Gegenreformation beruhende Weltherrschaft
des Papsttums ist das Leitende.
Man kann daher von einem römischen Barockstil sprechen.
Was sich ihm nicht fügen will, tritt in der Bedeutung ganz zurück.
z. B. die venezianische Kunst im 17. Jahrhundert; keine Skulptur,
nur Architektur und Malerei, die kaum eine Barockkunst genannt
werden kann. Dagegen geht die bolognesische in der römischen
auf (Bologna gehört zum Kirchenstaat). Selbständig zu behandeln
sind die Florentiner (jetzt nur lokale Bedeutung), die neapolitanische,
dann die mailändische und genuesische Kunst.
LITERATUR.
Einige Bemerkungen über die wichtigste Literatur sollen uns
in den gegenwärtigen Stand der ganzen Frage einführen. Die mo-
derne Kunstgeschichte hat im allgemeinen für die italienische Kunst
nach 1520 wenig Interesse bekundet (auch dies symptomatisch, denn
wir sehen jetzt, wie die Kunstgeschichte trotz der Objektivität, die
sie haben sollte und auch zu haben glaubt, doch fortwährend pa-
rallel mit den Geschmackswandlungen unseres Jahrhunderts gegangen
ist). Dazu kam noch, daß der größte deutsche Kunstforscher im
dritten Viertel des 19. Jahrhunderts, Jakob Burckhardt, aus Be-
geisterung für die Renaissance am Barockstil eine äußerst schonungs-
lose Kritik geübt hat, die in allen seinen Schriften wiederkehrt. (Und
doch ist Burckhardt der erste gewesen, der die Deutschen mit dem
italienischen Barockstil näher bekannt gemacht hat.) Fast jeder
denkende deutsche Italicnfahrer hat heute noch den Cicerone in
Händen und liest daraus die Verwerflichkeit des Barockstiles. Es ist
zwar heute etwas besser geworden, das Urteil etwas unbefangener;
aber das Wort „barock" wird doch größtenteils noch immer mit
dem Beigeschmäcke der Schmähung, der Verirrung gebraucht.
Verschieden sind nun die Schicksale der Malerei, Skulptur und
Architektur.
Die Malerei hat am frühesten Anerkennung in der kritischen
Literatur gefunden; Bilder, wie Guido Renis Aurora, fanden selbst
bei einzelnen neueren Forschern Gnade, aber nur, weil man darin
noch einen Abglanz der Renaissance zu entdecken glaubte. Aber
zu einer Gesamtberücksichtigung der italienischen Malerei nach 1520
ist es nicht gekommen (etwa von den Venezianern abgesehen, die
aber als Koloristen bis zu einem gewissen Grade wenigstens an-
scheinend Stimmungsmaler sind). Es gibt nur einzelnes: Janitscheks
Bearbeitung der Bolognesen für Dohtnes Kunst und Künstler. Die
Handbücher der Malerei haben alle auf die Barockmalerei Bezug
genommen, namentlich Wörmanns Geschichte der Malerei sucht
- 10 -
ihr perecht zu werden. Aber in neuester Zeit hat die Barockmalerci
der Italiener eher geringere als höhere Wertschätzung erfahren. Das
Buch von Josef Strzygowski über das Werden des Barock bei
Raffael und Correggio enthält manche nützliche Bemerkungen, aber
keine tiefe Auffassung des Barock, im Grunde noch immer Burck-
hardts Standpunkt. Der Anhang über Rembrandt ist ganz verfehlt
und oberflächlich. Man respektiert jetzt die barocke Architektur, ja
selbst die Skulptur, aber nicht die Malerei. Rubens, Rembrandt,
Velazquez werden auf das höchste geschätzt. Ober die größten
unter den Bolognesen zuckt man die Achseln.
Also mit der Literatur über die italienische Malerei der Barock-
zeit steht es mißlich genug. Noch weit mißlicher steht es mit der
Literatur über die Skulptur. Auf diesem Gebiete hat Burckhardts
Stellungnahme gegen den Barockstil geradezu prohibitiv gewirkt.
Daß mit Lorenzo Bernini gewisse Neuerungen des Stiles zum ersten
Male in voller Schärfe entgegentreten, ist ihm genau bewußt ge-
worden; er läßt daher die Barockskulptur mit Bernini, d. h. frühestens
mit 1620 beginnen. Und derselbe Lorenzo Bernini, der auch
in der Architektur — wie Burckhardt ausdrücklich bemerkt — eine
entscheidende Rolle gespielt hat, hat erst kürzlich, im Jahre 1900,
eine kunsthistorische Spezialbearbeitung gefunden, nachdem dank
der modernen Ausstellungs- und Jubiläumssucht im Jahre 1898,
aus Anlaß der 300jährigen Wiederkehr des Geburtstages Bcrninis,
in Rom eine Ausstellung von Bcrninis Werken veranstaltet worden war.
Diese Ausstellung ließ die Italicner empfinden, daß sie eine
Ehrenschuld abzutragen hatten. Die modernen Römer lieben es,
sich in der Größe ihrer Vergangenheit zu bespiegeln, und da war
ein grand' uomo des 17. Jahrhunderts, der noch keinen modernen
Biographen gefunden hatte. Infolgedessen übernahm es ein Venturi-
Schüler. Stanislao Fraschetti, eine große Monographie über
Bernini zu schreiben. Das Buch erschien 1900 bei Hoepli in Mai-
land, mit einer Vorrede von Venturi, ein dickes Buch von 450 Seiten;
das beste daran sind die Illustrationen, die fast alle bekannt ge-
wordenen Werke des Bernini wiedergeben. Der Text aber hält in
keiner Weise, was die kunstgeschichtliche Forschung heute verlangen
durfte. Von einem Werke über Bernini mußte man vor allem eine
Aufklärung über Charakter und Wesen des italienischen Barockstiles
erwarten; schon Burckhardt hat eingesehen, daß mit Bernini der
italienische Barockstil in eine neue entscheidende Phase getreten
ist. Diese kunsthistorische Grundfrage existiert für Fraschetti einfach
nicht. Seine Betrachtung ist eine völlig dilettantische: er sieht im
italienischen Barockstil nichts als den Verfall der italienischen Re-
naissance. Die Größe des Bernini sieht er ausschließlich darin, daß
der Meister trotz der Ungunst der Zeiten eine gewisse Größe und
Originalität zu entfalten gewußt hat. Nach ihm kämpft Bernini von
vornherein auf einem verlorenen Posten. Man merkt deutlich, daß
der Autor sich für seinen Helden nicht zu erwärmen vermag, wenn
er dies auch durch tönende Phrasen zu maskieren trachtet. Und doch
verlangt die Kunstgeschichte zu zeigen, wie Bernini aus seiner Zeit
herauswächst, welche Probleme und welche Lösungen er vorfindet,
und wie er neue Lösungen anstrebt und mit Erfolg bewerkstelligt.
Mit einem Worte, das Positive in Berninis Schaffen mußte gezeigt
werden, womit er in Italien und zum Teil in den katholischen Ländern
außerhalb Italiens auf lange Zeit hinaus das Begehren der Geschlechter
erfüllt hat. Von alledem bei Fraschetti keine Rede. Er gibt nur eine
chronikartige Aufzählung seiner äußeren Schicksale und seiner
Werke, verfaßt auf Grund der Biographie, die kurz nach Berninis
Tode von dem Florentiner Kunstschriftstellcr Filippo Baldinucci
verfaßt wurde. Was Fraschetti neues dazu bringt, hat er aus Er-
gebnissen der modernen Archivalforschung geschöpft: namentlich
aus den estensischen Gesandtenberichten, aus Giglis Diario und
aus anderen Quellen, namentlich im vatikanischen Archiv, dann in
römischen Privatarchiven, namentlich bei Chigi. Aber was daraus
resultiert, ist erstaunlich wenig. Ich habe bisher auf Grund des
Baldinucci meine Vorlesungen über Bernini gehalten und kann mich
auch fernerhin damit begnügen. Das Werk des Fraschetti hat darin
nichts geändert: nur die Abbildungen sind willkommen. Eine kunst-
historische Darstellung von Berninis Werken muß erst noch ge-
schrieben werden, und das heißt soviel, daß auch eine kunsthisto-
rische Darstellung der italienischen Barockskulplur überhaupt erst
geschrieben^ werden muß.
Es ist noch nicht lange her, daß auch die Architektur der
italienischen^Barockzeit das Schicksal der Skulptur geteilt hat. Jakob
Burckhardt 'empfand vor ihr den gleichen Abscheu wie vor den
- 12 —
bcrninischcn Marmorfiguren, aber zwischen seinen Zeilen klingt doch
mehrfach ein gewaltiger Respekt hindurch. Gefallen hat ihm die
italienische Barockarchitektur nicht, aber sie imponierte ihm. Und
damit war schon der Keim zu einer Besserung gelegt. In der Tat
hat man schon vor mehr als einem Dutzend Jahren begonnen, der
italienischen Barockarchitektur besonderes Augenmerk zuzuwenden;
ja man faßte allmählich die Ansicht, daß sich von der italienischen
Barockarchitektur aus die prinzipiellen Fragen über Wesen und Ent-
stehung des ganzen Stiles am ehesten lösen lassen dürften.
So kam es, daß man heute sehen kann: die Architektur ist
dasjenige Gebiet des italienischen Barockstiles, das verhältnismäßig
noch am intensivsten bearbeitet und daher auch verhältnismäßig am
besten bekannt erscheint. Schon Jakob Burckhardt hat im Cicerone
am längsten bei der Architektur verweilt. Als frühesten Barockbau
hat er das Treppenhaus der Biblioteca Laurenziana zu Florenz von
Michelangelo bezeichnet. Eine Aufteilung der gesamten italienischen
Barockarchitcktur in einzelne Perioden, eine Darstellung der Ent-
wicklung hat Burckhardt nicht gegeben, sondern sich nur mit einer
allgemeinen Charakteristik des Stiles als ganzem begnügt; nur soviel
hat er ausdrücklich gesagt, daß mit Bernini ein neuer Unterabschnitt
beginnen mußte. Damit hat er allerdings der Periodenteilung der
Späteren bereits in dem einschneidendsten Punkte vorgearbeitet.
Ein Menschenalter lang blieben Burckhardts Urteile ein Evan-
gelium der ganzen kunstfreundlichen Welt. Aber allmählich vollzog sich
der Umschwung in dem modernen Kunstgeschmack, wovon früher
die Rede gewesen war, und ein ausübender Künstler — ein Archi-
tekt — war es, der eine Spczialbearbcitung der Barockarchitektur
überhaupt und in erster Linie des italienischen Barockstiles ver-
suchte: Cornelius Gurlitt. Das Buch erschien, als Fortsetzung
von Burckhardts Geschichte der Renaissance, im Jahre 1S87 unter
dem Titel: „Geschichte des Barockstiles". Gurlitt ist Professor
an der technischen Hochschule in Dresden; als Kunstschriftstellcr
überaus tätig, aber ohne rechten Drang des Zusammenfassens,
des Heraushebens gemeinsamer Faktoren. Das Einzelne interessiert
ihn mehr als das Allgemeine, er schildert, aber er erklärt nicht;
(das gilt auch von seiner Geschichte der deutschen Kunst im
19. Jahrhundert). Zum ersten Male erhielt man damit eine umfassendere
13 -
Kenntnis der Denkmäler vermittelt; erschöpfend ist die Liste
gewiß nicht, aber es ist doch eine breitere Grundlage gegeben,
auf der man sein Urteil autbauen kann, was durch eine gute Aus-
wahl von Illustrationen erleichtert wird.
Das Buch enthält also eine gewiß sehr schätzbare Summe von
tatsächlichen Angaben, von Daten, von Namen, aber wer eine klare
Definition des Wesens des Barockstiles, einen durchlaufenden Faden
der Entwicklung sucht, der findet sich enttäuscht. Was Barock ist,
dessen Kenntnis wird von Ourlitt gleichsam beim Leser voraus-
gesetzt; Gurlitt hat ihn aber selbst nicht hinreichend klar und
scharf erfaßt. Es ist, als ob der Autor den Wald vor lauter Bäumen
nicht gesehen hätte. Der ganze überreiche Stoff ist zersplittert in ein-
zelne Kapitel, die ohne rechten Zusammenhang untereinander bleiben;
er benützt den Wink, den schon Burckhardt hinsichtlich eines Ab-
schnittes bei Bernini gegeben hatte, keineswegs so, als es nahe-
gelegen wäre. Nur ein großer Gesichtspunkt läuft durch das ganze
Buch hindurch: die Scheidung aller italienischen Architektur von
1j50 bis 1750 in die Nachfolger Michelangelos, das eigentliche
Barock, und in die Nachfolger Palladios, besser als Spätrenaissance
bezeichnet. Aber selbst dieser Gesichtspunkt, dem in der Tat eine
gewisse Berechtigung innewohnt — es ist die Scheidung zwischen
römischer Strenggläubigkeit und venezianischer Toleranz — ist
nicht mit der dem Leser erwünschten Schärfe und Klarheit durch-
geführt.
Immer stärker wuchs die Menge derjenigen an, die wünschten,
mit der italienischen Barockarchitektur nähere Bekanntschaft zu
machen; es handelte sich darum, die moderne Kunst verstehen zu
lernen: man empfand, daß die barocken Italiener wenigstens für
die moderne Architektur Bahnbrecher gewesen waren. Diesen
Wunsch vermochte Gurlitts Buch nicht zu befriedigen; es traf nicht
dasjenige, was not tat. Dieses wurde erst ein Jahr später (1888)
mit aller Schärfe ausgesprochen, und zwar diesmal von Heinrich
Wölfflin, in der verhältnismäßig kleinen Schrift: „Renaissance
und Barock" (in zweiter Auflage 1907 erschienen). Wie der Titel
lehrt, war der Hauptzweck eine klare Scheidung zwischen Renais-
sance und Barock; es ist bezeichnend, daß Wölfflin im Anfangs-
datum eher noch hinter Burckhardt zurückgeht, das heißt, das Barock
womöglich noch früher als 1524 beginnen läßt. Nach ihm ist schon
Bramantc, gestorben 1514, den man als den größten Architekten
der Hochrenaissance preist, in seiner römischen ultima maniera der
erste Barockmeister, und ebenso der jüngere Antonio da San Gallo,
gestorben 1546, der im allgemeinen nicht minder der Hochrenais-
sance zugewiesen wird. In seiner ästhetisch-historischen Schätzung
des Barockstiles hat sich Wölfflin noch nicht weit von Burckhardt
entfernt, ja im allgemeinen ist dasjenige, was er vorbringt, überhaupt
nicht viel mehr, als eine Ausführung des von Burckhardt in bloßen
Andeutungen Vorgebrachten. Die erste Periode des Barockstiles
schließt er mit Carlo Maderna, so daß Bernini, mit dem die zweite
Periode beginnt, bei ihm nicht mehr berücksichtigt erscheint, also
soweit ganz im Sinne Burckhardts. Indem sich aber Wölfflin auf
die erste Periode beschränkt, gelangt er zu einer schärferen Tren-
nung der zwei Perioden, die in Burckhardts Charakteristik noch in
Eines zusammengefaßt waren. Auch die scharfe Hervorhebung der
stadtrömischen Entwicklung, als der für den italienischen Barockstil
überhaupt entscheidenden, ist Wölfflins Verdienst: auch das schon
von Burckhardt geahnt und angedeutet, aber von Wölfflin durchaus
präzisiert und bewiesen. In der Darstellungsmethode verfährt Wölfflin
genau umgekehrt wie Gurlitt. In erste Linie setzt er den Faden der
Entwicklung, daran reiht er die Denkmäler, bloß zur Beweisführung
(Gurlitt umgekehrt bespricht die Denkmäler, ohne daß wir den kausalen
Zusammenhang, den Fortschritt sehen). Die Sprache ist vollkommen
klar und durchsichtig wie in wenigen kunsthistorischen Bearbeitungen,
namentlich von Baudenkmälern. Wer die Denkmäler halbwegs kennt
(das ist nötig, trotz einiger Abbildungen), liest das Buch ohne Schwie-
rigkeit, mit vollstem Genuß und Belehrung. Sein Buch ist heute
noch das beste, was über^ den italienischen Barockstil gesagt wurde,
wenngleich, wie gesagt, gegenüber Burckhardt eigentlich nichts grund-
sätzlich Neues und auch seine Analysen keineswegs einwandfrei sind.
ScineDefinition des Barockstiles als „Massigkeit und Bewegung" ist nicht
tief genug. Wir erfahren auch nicht, warum es so kommen mußte. Auch
bei Wölfflin erscheint er als Verirrung und Verfall, ohne daß wir
sähen, daß es um höherer Fortschritte willen so kommen mußte.
Ich übergehe einige kleinere Schriften, die sich nur mit be-
grenzten Sondergebieten der italienischen Barockbaukunst beschäf-
tigen, wie z. B. die Aufsätze Robert Dohines, und wende mich zu
demjenigen Autor, der erst kürzlich, und zwar mit dem entschie-
densten Anspruch, gehört zu werden, zu dem uns beschäftigenden
Gegenstände das Wort ergriffen hat: August Schmarsow. Sein
Buch, 1897 erschienen, ist betitelt: „Barock und Rokoko". Man könnte
daraus schließen, daß er, wie Wölfflin mit der ersten Hälfte (Renais-
sance und Barock), ausschließlich nun mit der zweiten Hälfte des
Barockstiles sich beschäftigt hat. Allerdings umfaßt er die Architektur
der ganzen Barockzeit, auch die zweite Hälfte, wenn man aber
glauben würde, daß er diese vornehmlich behandelt, so würde man
irren; auch er beschäftigt sich hauptsächlich mit der Entstehung des
Barockstiles, mit der ersten Hälfte (womit eingestanden ist, daß
diese Frage auch durch Wölfflin noch nicht zu endgültigem Austrag
gekommen ist); die zweite Hälfte kommt eher zu kurz, trotzdem
sie sogar mit einer Darstellung der französischen Nachfolger von
1665 bis 1750 vermehrt ist. Der Schwerpunkt von Schmarsows
Buch liegt also ebenso wie derjenige von Wölfflins Buch auf der
ersten Periode der italienischen Barockbaukunst. Schmarsow empfand,
daß man das Wesen des Barockstiles tiefer fassen müsse als Wölfflin ;
ob es ihm gelungen ist, darin volle Klarheit zu schaffen, ist zu be-
zweifeln. Den Anfang der ersten Periode beschränkt er gegenüber
Wölfflin ganz entschieden, indem er Antonio da San Gallo noch
keineswegs als Barockarchitekten gelten läßt. Damit wurden die
ersten Barocksymptome zur Renaissance gerechnet und damit im-
plicite gesagt, daß das Barock naturnotwendig aus der Renaissance
herauswachsen mußte. Das wichtigste aber, und um dessentwillen
hat Schmarsow offenbar die ganze Publikation unternommen, ist ein
Punkt in der allgemeinen Charakteristik des Barockstiles, womit
er sich in entschiedensten Gegensatz zu Wölfflin gesetzt hat:
während Wölfflin eine wesentliche — wenn auch nicht ausschließ-
liche — Eigentümlichkeit des Barockstiles, auch in seiner ersten Pe-
riode, im „Malerischen" erblickt, erklärt Schmarsow, das könne
höchstens von der zweiten Periode gelten; die erste Periode trüge
im Gegenteile einen entschieden plastischen Charakter an sich. Sie
sehen schon: zwei Autoritäten, die eine nennt den Stil malerisch,
die andere plastisch! (Soviel wie Schwarz und Weiß; besser taktisch-
optisch-tastbare Begrenztheit und sichtbare Farbigkeit.) So abweichend
- 16 -
sind die Anschauungen selbst in den obersten Prinzipienfragen. Das
ist freilich nur möglich, wenn die Anschauungen über die Begriffe
von „plastisch" und „malerisch" nicht für alle dieselben sind, nicht
allgemein gültig fixiert sind. In der Tat hört man seit etwa zehn
Jahren fortwährend von „Naturalismus" und „malerisch". Es wird
der größte Mißbrauch mit diesen Schlagwörtern getrieben, unter
denen sich jeder etwas anderes denkt. Das erste für wissenschaftlich
ernste Betrachtung wird sein, uns über diese Begriffe klar zu werden.
Einstweilen zu Schmarsows Buch zurück. Ein Verdienst ist es, daß
er wenigstens für die ersten Stadien des Barockstiles die Werke der
Skulptur und Malerei zur Bestimmung des Stiles heranzuziehen ver-
sucht hat, in höherem Maße als Wölfflin. Allerdings sind die bezüg-
lichen Schlüsse besonders unglückliche, weil eben seine ganze
Grundauffassung vom Verhältnisse der drei Künste zu einander
eine verfehlte ist. Was das Literarische betrifft, so bietet Schmar-
sows Buch keine leichte Lektüre. Die Kenntnis der Denkmäler setzt
er in weit höherem Grade voraus als Wölfflin; Abbildungen ent-
hält es gar keine und die Darstellung ist eine so schwere und
schwulstige, daß die Lektüre selbst für den Kundigsten eine schwie-
rige Arbeit ist. (Man hat den Renaissancestil als klare Harmonie
aller Teile definiert, den Barockstil als schweren und verworrenen
Kampf der Teile gegeneinander. Ist das richtig, dann schreibt Wölfflin
einen Renaissancestil, Schmarsow einen Barockstil.) Dem Anfänger
ist sie auf das entschiedenste zu widerraten. Er verliert nutzlos
seine Zeit. Aber der Vorgeschrittene, der sich mit dem italienischen
Barockstil näher vertraut machen will, muß das Buch schon des-
halb beachten, weil es den Standpunkt des Abscheus gegenüber
dem Barocktsil so gut wie vollständig fallen gelassen hat, trotz ein-
zelner, freilich dann um so unbegreiflicherer Rückfälle. Den Eindruck
der Notwendigkeit empfängt man auch von ihm nicht.
QUELLEN.
Für die Orts- und Zeitbestimmung sind wenigstens die ge-
druckten Quellen leidlich ausgebeutet, doch selbst nach dieser
Richtung ist noch manches archivalische Material, namentlich in den
Archiven der romischen Ncpotenfamilien. unediert. Die Bedeutung
der alten Quellen liegt aber auch darin, daß sie uns die damalige
Kunsttendenz verraten. Darauf sind sie in den letzten Jahrzehnten
gar nicht untersucht.
Für den ersten Zeitraum, von 1520 bis Michelangelos Tod,
kommt noch Vasari in Betracht. Er selbst, als Maler, gehörte ja mit
Leib und Seele der Richtung an, die Michelangelo gewiesen hatte.
Doch hält er sie für die Vollendung der Renaissance, erkennt noch nicht
das grundsätzlich Neue. Einen gleichgeachteten Nachfolger hat er nicht
gefunden. Das 17. Jahrhundert war zwar schreiblustig, namentlich
die lokale Künstlergeschichte in Venedig. Bologna. Genua und
anderwärts hat Bearbeiter gefunden. Ein besonderer Wert würde
aber einer umfassenden Sammlung von Biographien innewohnen,
von einer Hand, da uns dann die gesamte italienische Kunst nach
1550 in einheitlicher Beleuchtung vorgeführt erschiene (wie eben
bei Vasari). Zu einer solchen ist es, streng genommen, nicht mehr
gekommen; wohl nicht zufällig.
Die italienische Kunst hatte mit dem Aufkommen des Subjekti-
vismus ihre frühere unbedingte Sicherheit des Schaffens eingebüßt;
ein innerer Gegensatz hatte sich eingeschlichen (kein anderer als der-
jenige zwischen Glauben und Wissen, und der gibt sich unbewußt
kundi Es gibt Anhänger des Alten, objektiv Gültigen, normalen Rcgel-
haften (namentlich von den Akademien, den Anhängern der Renaissance
und Antike gepflegt, die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts entstehen,
daher akademische Richtung genannt) und Anhänger der neuen, subjek-
tiven Richtung, sowohl unter den Künstlern als im Publikum: man kann
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. 2
- 18 -
sagen, schon völlig moderne Verhältnisse. Das drückt sich namentlich
aus in dem Unterschied, den man nun zwischen Malern einerseits,
Bildhauern und Architekten anderseits zu machen begann. Man verhielt
sich bereits der einen und der anderen Gattung gegenüber kritisch.
Das war bei Vasari anders, da herrschte noch einheitliches Urteil
gegenüber allen Künsten. Bei ihm hat man immer den Eindruck, es
konnte nicht anders gewesen sein. Die ganze Entwicklung, wie er
sie schildert, von Giotto bis Michelangelo, erscheint bei ihm als
eine Naturnotwendigkeit. Jeder Meister hat sein Bestes getan, es
konnte gar nicht anders kommen; alles mündet in dem alle über-
ragenden Genius: Michelangelo. Anders die italienischen Bericht-
erstatter der Zeit nach 1550, soweit sie nicht reine Chronisten sind.
Sic hatten überhaupt vieles zu tadeln; nicht bloß die Richtung
einzelner Meister gefällt ihnen nicht, sondern mitunter die ganze
Richtung überhaupt, die die Kunst auf einem bestimmten Gebiete
genommen hatte. Namentlich an der Skulptur und Architektur wußten
sie zu tadeln; weniger im allgemeinen an der Malerei, weil diese
dem Anschein nach der Renaissance am nächsten geblieben ist; an
ihr merkte man weniger den Abstand. Schon darin drückt sich ein
für unsere Betrachtung grundwichtiges Moment aus: früher erschien
die Kunst Zeitgenossen so, wie sie war, immer als das absolut
Notwendige. Jetzt ist sie Gegenstand ästhetischer Wahl. Ähnliches ist
früher nur in der frühen römischen Kaise,rzeit zu bemerken, in der
ein Subjektivismus aufgekommen war. Es drückt sich darin zugleich
der latente Zwiespalt in der Weltanschauung aus. Ich nenne hier nur
die wichtigsten Quellen, deren Biographien noch am ehesten über einen
rein lokalen Gesichtspunkt hinausgehen. Sie knüpfen fast alle an
Rom an, an die Künstler, die in Rom geschaffen haben, und an die
Denkmäler, die sie dort hinterlassen haben. Wir wissen aber, daß
Rom in dieser Zeit das Gemeinitalicnische in seiner schärfsten,
reinsten Fassung repräsentiert. Insoferne sind jene Biographen nicht
als Lokalschriftsteller aufzufassen.
HicrkommtzucFst in Betracht das Buch von Giovanni Baglione:
„Lc vitc de' pittori, scultori, architetti ed intagliatori dal pontificato di
Grcgorio XIII del 1572 fino a' tempi di Papa Urbano VIII nel 1642."
Es umfaßt also die 70 Jahre von 1572 bis 1642, aber nur diejenigen
Meister, die schon verstorben waren; also viele, die 1642 schon seit
- 19 -
vielen Jahren tätig waren, sind darin nicht enthalten. Es ist im
wesentlichen eine Geschichte der Künstler der ersten gegenreforma-
torischen Periode der italienischen Barockkunst. Das Buch ist äußerlich
gewissermaßen eine Fortsetzung des Vasari, aber es enthält nicht
einmal annähernd den Reichtum und die Fülle der Nachrichten, wie sie
Vasari bietet. Die erste Ausgabe erschien in Rom 1644, eine zweite in
Neapel 1733, vermehrt durch eine Lebensbeschreibung des Salvator
Rosa von Giov. Batt. Passeri. Baglione war selbst Maler, von dem
noch manche Bilder in Rom erhalten sind; er war zwar in Rom ge-
boren, aber von florentinischen Eltern; seine erste Schule hat er
auch bei einem Florentiner Meister genossen. Sein Buch ist ein
merkwürdiges Gemisch von Fremdenführer und biographischem
Lexikon. Es beginnt mit einem Dialog: er trifft einen Fremden,
der über die Kunstschätze von Rom wie von Sinnen ist. Baglione
bietet sich ihm in der Maske eines römischen Edelmannes an, ihn
durch fünf Tage hindurch über die Künstler und Kunstwerke von
Rom zu unterrichten, und zwar nach der Reihenfolge der Päpste,
unter deren Regierung die betreffenden Künstler verstorben sind.
Sonderbar! Die Einteilung nach Päpsten beweist einen offenen Sinn
für das Richtige: in der Tat verkörpert sich damals bis Urban VIII.
der italienische, speziell der römische Geist. Was die Päpste künst-
lerisch zur Tat werden ließen, das geschah nicht aus ihrem bloßen
Belieben, sondern aus einer Notwendigkeit der damaligen römischen
Kultur, die gerade in der Zeit zwischen 1560 und 1630 die gemein-
italienische war (sogar die Venezianer waren zum Teil zurück-
getreten mit ihrem Sondercharaktcr der Kunst, die Neapolitaner waren
noch nicht schärfer hervorgetreten).
Die richtige Erwägung wird verwischt durch den besonderen
Umstand, daß innerhalb jeden Pontifikatcs nicht die Kunstwerke
der betreffenden Päpste und ihrer Kardinäle, sondern diejenigen der
Meister, die unter diesen Päpsten verstorben sind, aufgezählt werden.
So gelangen Kunstwerke zur Sprache, die unter viel früheren
Päpsten entstanden sind; es geschah dies offenbar, um die Werke
einzelner Meister nicht zerreißen zu müssen. Dann fragt man sich
aber, warum er nicht gleich die Meister als solche zum alleinigen
Einteilungsgrund gemacht hat. Das Buch zerfällt in fünf Tage: Giornate.
Gewidmet den Pontifikaten Gregors XIII., Sixtus V., Clemens VIII.,
- 20 -
Pauls V. und Urbans VIII. (Dazwischenliegende kleine Pontifikate hat
er ausgelassen, aber auch ein etwas größeres, das zweieinhalb Jahre
gedauert hat: des Papstes Gregor XV. Ludovisi, Vorgängers Ur-
bans VIII.; offenbar geschah es aus Liebedienerei gegen diesen,
weil er in politischen und Familiengegensatz zu Gregor getreten ist.)
Jede Giornata wird eingeleitet durch einen Dialog des Fremden
und des Edelmannes, worin sie sich einige fade Komplimente
sagen; auch in den einzelnen Biographien wirft der Fremde hie und
da eine Bemerkung ein. Von jedem Papst wird eine Übersicht
seines anstoßgebenden Wirkens auf künstlerischem Gebiete voraus-
geschickt, wodurch der vorhin gerügte Mangel wenigstens zu einem
geringen Teile gutgemacht werden sollte. Die einzelnen Biographien
sind kurz und reine Aufzählungen. Künstlerische Urteile sind selten
und keineswegs tief. Es scheint, Baglione wollte sich's mit nieman-
dem verderben. Es ist wirklich der reine charakterlose Fremden-
führer. Die Hauptsache ist immer, wer das Kunstwerk bestellt hat.
Namentlich die Kardinäle als Kunstmäcenaten werden nächst den
Päpsten gebührend hervorgehoben. Man lernt aus Baglione gar
nicht die künstlerischen Anschauungen der Zeit, aber die ganze
äußere Atmosphäre, in der sich das römische Kunstschaffen damals
vollzog, wenn man nur zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Er
hat gegen 200 Meisterbiographien geliefert und ist dadurch allein
schon wichtig. Kein anderer von denen, die hier noch zu nennen
sind, hat so viele aus verhältnismäßig kurzer Zeit gesammelt. Es
sind auch einige Deutsche und Niederländer darunter, die in Italien
geschaffen haben: Adam Elzhcimcr und Rubens.
Eine ganz entgegengesetzte Tendenz, nicht charakterlose Chronik.
sondern Propaganda für eine bestimmte Kunstrichtung an der Hand
weniger, aber ausführlicher Biographien, verfolgte der zweite Haupt-
geschichtschreiber der römischen Barockkunst: Giovanni Pietro
Bellori in seinen „Vitc de pittori, scultori cd architetti moderni"
(I.Auflage Rom 1672. 2. Auflage Rom 1728, vermehrt durch eine
Biographie des Luca Giordano vom Herausgeber der 2. Auflage
Francesco Ricciardo). Schon der Autor als solcher interessiert
uns. Er war kein Berufsmalcr wie alle anderen Künstlcrbiographen
seiner Zeit (Vasari, Baglione, Passen', im Norden Sandrart, van Mandcr,
Houbrakcn), sondern ein gelehrter Sammler und Liebhaber. Passcri
nennt ihn wörtlich einen ..großen Liebhaber und Kenner und so
gelehrt, daß er unter die größten Genies unseres Jahrhunderts gezählt
werden kann". Das ist eine zweifellos bombastische Übertreibung.
Wir erkennen in ihm einen der frühesten Kunsthistoriker, einen Vor-
läufer Winckelmanns. Auch das allein schon ist ein Zeichen der ge-
änderten Zeit. Mazzuchelli (gli scrittori d' Italia) nennt ihn uno de' piü
illustri antiquarii (Kunstkenner! auch etwas neues, früher war jeder
Schuster und Schneider ein solcher; im Humanismus kamen Antiken-
kenner auf, aber Kenner der modernen Kunst erst mit dem
Subjektivismus) che abbia avuto 1' Italia. Ein gebürtiger Römer
gestorben 1696 im Alter von mehr als 80 Jahren, also zirka 1615
geboren. Er wurde erzogen von seinem Oheim Francesco Angeloni,
der selbst ein namhafter Antiquario seiner Zeit gewesen ist, und den
Neffen zu einem ebensolchen von Anbeginn erzogen hat. Angeloni
war Sekretär des Kardinals Ippolito Aldobrandini, in dessen Palast
der junge Bcllori viele Kunstsachen sehen konnte (unter Papst
Clemens VIII. haben die aldobrandinischcn Nepoten die große Fortuna,
auch an Kunstschätzen, zusammgebracht). — Bellori war Antiquar und
Bibliothekar der Königin Christine von Schweden. Papst Clemens X.
hat ihm den Titel eines Antiquario di Roma verliehen. Er soll sich
auch in der Dichtkunst und in der Malerei versucht haben. Seine
Kunstsammlung, die er beim Tode hinterließ (nicht viel, aber lauter
Erlesenes), ist an den preußischen Hof gekommen. Als Kunsthistoriker
hat er allerdings schon einen ausgesprochenen Geschmack für Antike
und Renaissance, verhält sich kritisch zur subjektivistisch modernen
Kunst; wie wir sagen würden: ganz wie die Kunsthistoriker des
19. Jahrhunderts ä la Burckhardt. Die Barockentwicklung des 17. Jahr-
hunderts in Rom mißfällt ihm durchaus, namentlich in der Architektur.
Sein kunsthistorisches Hauptwerk sind die genannten Vite; angeblich
soll er einen zweiten Teil hierzu im Manuskript hinterlassen haben.
wie Orlandi im Abecedario pittorico mitteilt.
Bellori erklärt von vornherein, daß er es für gegenstandslos,
überflüssig und nutzlos hält, alle Künstler und Kunstwerke aufzuzählen,
wie es Baglione getan hat; er will sich nur auf die namhaftesten, auf die
wirklich großen Meister beschränken; diese aber will er eingehend be-
handeln und bei ihren einzelnen Werken länger verweilen: das
bekundet wissenschaftlichen, kunsthistorischen Geist. Daraus ergibt
- 22 -
sich schon, was wir bei Bcllori zu suchen haben: weniger eine
hülle von Namen und von äußeren biographischen Details, als eine
Schilderung der Kunstanschauung seiner Zeit. Insoferne ergänzt er
den Baglione in sehr glücklicher Weise. Allerdings ist der Unter-
schied zwischen beiden nicht bloß in persönlicher Anlage begrün
det, Mindern auch in den geänderten Zeitumständen. Als Baglione
schrieb, freute man sich in Rom im allgemeinen noch jedes neu ent-
standenen Kunstwerkes, es war noch eine Zeit wenigstens verhält-
nismäßig sicheren Schaltens; Bellori aber schrieb um 1670, da war
der Zug zur Kritik, zur Reflexion schon ein sehr mächtiger geworden.
Die starken Impulse der italienischen Kunst der Gegen-
reformationszeit hatten nachgelassen. Man war unzufrieden. Doch
darf man allerdings auch nicht glauben, daß alle römischen Zeit-
genossen so dachten wie Bellori. Das geht schon daraus hervor,
daß er die römischen Künstler seiner eigenen Zeit gar nicht zur
Sprache bringt. Die Meister, die Bellori beschreibt und die er für
die größten hält, waren um 1670 alle schon verstorben. Nicht ein-
mal den grüßten Meister seiner eigenen Zeit, den Lorenzo Bernini,
hat er berücksichtigt; die Richtung desselben war ihm offenbar
überhaupt nicht sympathisch. Das Ideal seiner Richtung war viel-
mehr der italianisierte Franzose Nicolas Poussin, also der plastisch
denkende Maler, nicht Bernini. der malerisch denkende Plastiker.
Die Kunstanschauung Belloris, die er im Vorwort niedergelegt hat
und die er auch in den einzelnen Biographien immer wieder vor-
bringt, kann nur die der einen der beiden Parteien im damaligen römi-
schen Kunstleben wiedergeben: die der akademischen konservativen
Partei, die dann den Carlo Maratta hervorgebracht hat. Aber es
ist die Anschauung des denkenden italienischen Kunstfreundes, der
das künstlerische Bedürfnis seiner Nation in seinen tiefsten Tiefen
erfassen möchte, den die eiste beste Tagesleistung nicht deshalb
schon befriedigt, weil sie das Neueste, das Modernste ist. Im Grunde
trennt ihn aber nicht einmal gar so vieles von Bernini. Insoferne
ist die Kunstlehre Belloris charakteristisch für die Auffassung der
Italiener von der bildenden Kunst überhaupt, und daher will ich
sie in kurzen Grundzügen skizzieren.
Vor allem muß schon auffallen : die klassische Antike bezeichnet
ihn die Höhe des menschlichen Kunstschaffens. Man sieht, literarisch
- 23 -
ist der Klassizismus nun längst vorgebildet, bevor man ihn praktisch
zu verwirklichen gesucht hat. Der geistige Zusammenhang zwischen
Bellori und Winckelmann tritt gerade in diesem Punkte ganz
unzweifelhaft klar entgegen. Freilich hat Winckelmann sich nicht zu
Bellori bekannt, eben weil ihm das Barocke in Bellori nicht ent-
gangen ist. Das klassische Altertum war die wahre Zeit der buone
arti; seitdem sind sie verfallen. Die Malerei hat zwar einen neuen
Aufschwung erhalten, namentlich durch Raffacl. der immer muster-
gültig bleibt. Die Manieristen verdammt er, aber auch die Natura-
listen; beide sind Abschreiber: die Manieristen schreiben den Raf-
fael ab, die Naturalisten die Natur; der wahre Künstler schöpft nur
aus der Idee, aber aus seiner eigenen. Die Carracci haben dann
eine Restauration der Malerei wieder herbeigeführt, und die Malerei
dünkt ihm auch die einzige Kunst, deren Werke dem Italiener seiner
Zeit noch eine reine Freude bereiten konnten (wir erinnern uns
hier, daß die Malerei in Belloris Zeit, um 1670, in Italien keine
neuen Wege mehr einschlug, sondern im wesentlichen in den alten
Geleisen der Bolognesen sich weiterbewegte, und damit höchstens
einen Zug zurück zu Raffacl verband: Sacchi und Maratta).
Auf die Skulptur ist er sehr schlecht zu sprechen. Kein Skulptur-
werk gibt es in seinen Augen, das nicht hinter den antiken zurück-
stünde (kunsthistorisch höchst bemerkenswert!). Selbst die Schöpfungen
Michelangelos nimmt er nicht aus. Charakteristisch für das Urteil des
Italieners: seit Michelangelo sind die nordischen Elemente einge-
drungen; gesteigerte Empfindung und optische Aufnahme. Diese
ruinieren die Skulptur, nur die davon freie antike Skulptur kann
als mustergültig bezeichnet werden. Namentlich aber ist das die
Grundabsicht des Bernini; Bellori läßt es nicht gelten.
Von der Architektur, die ja mit der Skulptur die dreidimensionale
Stofflichkeit gemein hat, gilt dasselbe. Mustergültig ist nur die antike
Baukunst, weil sie die absolute Stabilität vorstellt. Bramante, Raffacl
und Michelangelo haben sie zwar wieder erweckt, aber es dauerte
nicht lange, und ein neuer Verfall trat ein, fino alla corruzione del-
F etä nostra. Auch in der Architektur hatte Bernini die größten
Triumphe gefeiert; Bellori läßt sie nicht gelten, denn er verschweigt
sie. Direkte Opposition erhebt er aber gegen die Neuerungen des
Borromini, nur nennt er auch seinen Namen nicht.
- 24 -
Was ist nun im allgemeinen der Inhalt der Kunstlehre
des Bellori? Was ist überhaupt Kunst? Er sagt es: sie liegt
in der idea, im Ideal. (Als Vorwort seines Buches ist ein Vortrag
abgedruckt, den er im Jahre lbö4 vor versammelter Accademia
di S. Luca gehalten hat, als Maiatta Principe der Akademie
war. also sein Gesinnungsgenosse; das erklärt, warum er vor
der Akademie, die doch auch Andersgesinnte in ihrer Mitte zählte,
seine Ansichten auseinandersetzen durfte. Darin entwickelt er seine
Grundanschauung.)
L' idea ist die Vorstellung höchster, vollkommenster Schönheit
der geschlossenen Einzelform. Der Künstler findet diese Schönheit
nicht in einzelnen Dingen der Natur, auch nicht in einzelnen Men-
schen, sondern nur in seiner Vorstellung. Damit ist dem Naturalis-
mus sein Urteil gesprochen. Aber diese reine Vorstellung kann
sich der Künstler doch nur auf Grund der Natur machen. Er muß
die Natur eingehend studieren, um auf die richtige Vorstellung von
der höchsten Schönheit zu kommen: z. B. ein weiblicher Kopf in
der Natur ist niemals absolut schön, irgendein Schönes ist daran,
aber sonst lauter Fehler. Die Natur ist unvollkommen; das Voll-
kommene steckt darin, aber verhüllt durch viele unvollkommene
Zutaten (Dürer sagt, mau muß die Kunst aus der Natur heraus-
reißen; Dürer steigert aber das Vollkommene, so daß er das übrige
Unvollkommene beherrscht; er bildet sich keine Idea). Ebenso am
zweiten, dritten usw. An jedem aber entdeckt er etwas Schönes,
an dem die Nase, dort die Augen, an dem dritten die Wangen usw.,
und dieses einzelne Schöne merkt er sich. So bekommt der Künstler
aus verschiedenen Köpfen endlich lauter schöne Details zusammen,
die er nun in seiner Idea zum absolut schönen Kopf gestaltet. Er
ist sein Ideal. Was setzt ein solches Ideal voraus? Die isolierte Be-
trachtung einzelner Teile. Es fehlt an Verbindung plastischer Ideale.
Die gewählte Harmonie ist daher immer plastisch, nahsichtig.
Also, das Ideal als Ganzes schafft sich der Künstler selbst in
seiner Vorstellung, aber die Teile entnimmt er der Natur. Des-
halb verurteilt er die Manieristen, weil sie das Ideal von einem
anderen borgen, statt es durch direktes Studium aus der Natur zu
schöpfen. Also was Bellori predigt, ist ein Idealismus mit natura-
listischem Kern.
- 25 -
Der zweite Hauptgrundsatz ist: die Malerei ist nichts anderes
als die Darstellung einer menschlichen Handlung (umana azione);
ein Grundsatz des Poussin, wie Bcllori ausdrücklich anmerkt. Auch
dies für die Italicner, ja für alle Romanen charakteristisch, und nicht
so sehr für die Franzosen allein. Und zwar versteht Bcllori darunter
nicht allein die äußere mechanische Bewegung, sondern auch die
innere, den Willcnsimpuls, diktiert von Gefühlen — die Gefühle
sind die barocke Neuerung seit Michelangelo! — wie er sich in
gewissen transitorischen Bewegungen des Körpers (in Veränderungen
des Gesichtes namentlich) äußert. Auf Beobachtung des Transitorischen
hat daher der Künstler sein Hauptaugenmerk zu richten; man sieht,
es handelt sich dabei um die Grundabsicht aller italienischen
Barockmalcrei: die Darstellung eines momentanen Affektes. Auch
dieser Affekt setzt, wie jede Bewegung, Nahsicht voraus. Es drückt
sich darin der ganze Gegensatz zur germanischen Stimmungskunst
aus. Damit hängt auch das Postulat der „Maniera grande" in der
Kunst, namentlich in der Malerei, zusammen. Es ist das Postulat des
Grandiosen, Erschütternden. Bedeutenden, Siegreichen, des Packenden.
Schlagenden, nicht des Intimen.
Man sieht auch, wie Bcllori im Grunde ebenso denkt wie
Bernini. Von diesem Standpunkte aus läßt sich auch der Wider-
spruch in dieser italienischen Kunst erkennen, an dein sie schließ-
lich zugrunde gehen mußte. Bernini, den Bcllori nicht gelten läßt,
hat nichts anderes getan, als den momentanen Affekt in die Skulptur
eingeführt Wenn nun Bcllori den momentanen Affekt vom Künstler
fordert, warum verurteilt er den Bernini? Offenbar, weil er den
momentanen Affekt in der Skulptur nicht für darstellbar an-
erkennt. Der Vergleich mit der Antike sagt ihm: die körperliche
Schönheit, die der Italicner noch immer so hoch schätzt, erscheint
an den antiken, affektlosen Statuen besser gewahrt als an den
berninesken affektierten. Bernini hat also die „Stilgrenze" der
Skulptur überschritten; ja Bernini scheint sich dessen direkt ge-
rühmt zu haben.
Das begegnet hier zum ersten Male: die Stilgrenzen. Weder das
Altertum noch das Mittelalter hat sie gekannt. Es war immer selbst-
verständlich, daß die Skulptur gerade so viel wagen darf als die
Malerei (die impressionistische Malerei hat ein Seitenstück in den Bohr-
- 26 -
löchern: beides nebeneinander in der kaiserrömischen Kunst). Heute
wagt man das nicht: wegen der Stilgrenzen. Die Stilgrcnzcn kommen
mit dem Subjektivismus auf. Ihm gegenüber sucht ein Teil von
Künstlern und Publikum (die Akademiker) eine Norm. Das Fehlen
dieser Norm spüren sie empfindlicher in der Skulptur und Archi-
tektur als in der Malerei.
Zur gleichen Zeit kommt die Mode auf. Wir werden sehen:
bei Borromini tritt sie deutlich als solche entgegen, sie sucht nach
immer Neuem, Nochnichtdagewesenem, Unerhörtem. Beides wurzelt
im gesteigerten Subjektivismus. Die Konservativen, wie Bellori,
suchen dagegen nach Objektivem, wenigstens einige Zeit.
Jetzt beginnt das rastlose Suchen, weil der Glaube nicht
mehr die feste Richtschnur gibt, von der Mitte des 17. Jahrhun-
derts an auch in Italien nicht mehr, wenn auch nicht eingestandener-
maßen.
Bellori ist natürlich ein entschiedener Gegner der Mode.
(Nicht um den Gegenstand, das „Motiv" der Darstellung handelt
es sich in der Malerei, sondern um die Art und Weise, wie man
es darstellt.) Am entschiedensten predigt er die Tradition in
Skulptur und Architektur. In der Skulptur empfiehlt er das Studium
der antiken Statuen (er übersieht dabei, daß er damit unter die Manie-
risten geht); bemerkt aber dazu, daß er darüber sich nicht weiter
verbreiten wolle, weil ihm bekannt ist, daß andere anderer Meinung
darüber sind (offenbar auf Anhänger Berninis zu beziehen). Man
wird erinnert, wie das Zeichnen nach den Antiken heutzutage von
den Modernsten abfällig beurteilt wird. Womöglich noch entschie-
dener empfiehlt er die Tradition in der Architektur. Nur die Kon-
zeption im großen, die Erfindung des Grundplanes läßt er den
modernen Architekten, um sich den modernen Bedürfnissen anzu-
passen. Für alle Details haben schon die Griechen die vollkom-
menen Regeln und Formen gefunden: Säulen, Gebälke. Verhält-
nisse. Hier läßt er seinem Abscheu über die borrominesken Neue-
rungen frei die Zügel schießen (denn da hatte er auch die Partei
des Bernini für sich, nicht so sehr aus sachlichen als aus persön-
lichen Gründen). Sein Gedankengang ist hier ganz der gleiche wie
bei der Skulptur: die Architektur schafft bewegungslose Werke aus
dreidimensionaler Materie; sie verträgt daher nicht einmal den
- 27 -
Schein einer Bewegung. Die ganze Entwicklung der Architektur
seit Michelangelo mußte ihm sonach als Verirrung erscheinen (so
erschien sie auch noch Neueren, die auf dem gleichen Standpunkte
standen: Jakob Burckhardt). Überhaupt habe ich Bclloris Anschau-
ungen etwas eingehender dargelegt, nicht allein wegen ihrer Be-
deutung für die Beurteilung der damaligen Zeit und der damaligen
italienischen Kunst selbst, sondern auch wegen der Bedeutung, die
sie auf das Urteil der modernen Kritiker vielfach geübt haben.
Bellori war eben ein ernster, gewissenhafter Denker und Forscher
und hat dadurch namentlich auf deutsche Forscher der Gegenwart
Eindruck gemacht. Die Ästhetik des 18. Jahrhunderts fußt wesentlich
auf solchen Grundanschauungen.
Eine wirkliche Fortsetzung des Baglione hat aber ein anderer
geliefert: der römische Maler Giovanni Battista Passeri, gestorben
1699. in seinen „Vite de' pittori, scultori ed architetti che hanno
lavorato in Roma, morti dal 1641 fino al 1673". Er hat die
Lebensbeschreibungen derjenigen Maler, Bildhauer und Baumeister
geschrieben, die in Rom gearbeitet haben und zwischen 1641 und
1673 verstorben sind; im ganzen 36 Biographien. Zu einem
definitiven Abschlüsse des Buches, wie er es geplant haben mochte,
ist er nicht gelangt. Manche Biographie ist Fragment geblieben;
überhaupt ist sein Manuskript zu seinen Lebzeiten nicht zur Publikation
gekommen und auch noch lange nach seinem Tode nicht. Erst 1772
ist es zu einer italienischen Originalausgabe der Handschrift ge-
kommen, mit Kürzungen, die eine moderne kritische Neuausgabe
erwünscht erscheinen lassen. Im Jahre 1786 ist eine deutsche Über-
setzung erschienen.
Ich sagte: Passeris Arbeit ist eine Fortsetzung des Baglione:
aber der Charakter ist doch ein sehr verschiedener. Passeri nimmt
etwa die Mitte zwischen Baglione und Bellori ein: er schreibt zwar
Biographien aller Meister, großer und kleiner, aber er begibt sich
dabei nicht seines kritischen Urteiles; im Gegenteil, er ist darin
mitunter sogar sehr scharf und entschieden. Doch muß man bei
ihm als Künstler scheiden zwischen persönlicher und sachlicher
Gegnerschaft. So befindet er sich in einem schroffen Gegensatz
zu Bernini, dem Liebling der Päpste; man könnte meinen, Passeri
wäre also demokratisch. Man muß sich aber dabei immer gegen-
- 28 —
wärtig halten, daß die Feindschaft vieler, auch subjektivistisch
schaffender Künstler gegen Bernini ganz wesentlich eine persönliche
war. Hernini besaß schon unter Urban VIII. weitaus die alier-
machtigste Stellung und fast alle künstlerischen Unternehmungen
der Kurie gingen durch seine Hand. Man neidete ihm Ehre und
Gewinn, hingegen gab Bernini auch durch Intrigen (anders ging
es nicht) Anlaß zu Verstimmungen Das mußte ihm Feindschaften
erwecken. Unter Urbans Nachfolger geriet auch Bernini eine Zeitlang
in Ungnade; aber bald war er wieder obenauf. Mit Gewalt war
eben gegen ihn nichts auszurichten; um so mehr rächten sich die
Kollegen hinterrücks in Schmähreden und in Schriften. So auch
Passeri, obzwar er im allgemeinen einen durchaus anständigen Ton
bewahrt. Passeris Gegnerschaft war also zum größten Teile eine
persönlich-subjektive. Vor dem Künstler Bernini empfand gewiß
auch Passeri alle Hochachtung.
Rein sachlich war nur Belloris Gegnerschaft; er drängte nach
einer Norm, einem absolut gültigen Objektivismus der Kunst, er
wollte sich nicht blindlings der herrschenden Tagesstrümung über-
lassen, und dann war damals — in den siebziger Jahren — eben
auch Bernini schon ein alter Mann, sozusagen eine überwundene
Größe. Der Raffaelkultus hatte wieder begonnen (Maratta sein typi-
scher Vertreter), alles Dinge, die fünfzig Jahre früher nicht möglich
gewesen wären. Wie das Urteil des Passeri subjektiv gefärbt war,
geht schon aus seinem Verhalten Borromini gegenüber hervor.
Borrominis S. Carlo alle quattro fontane, um das sich heute noch die
Stilpuritaner streiten, nennt Passeri ein „Wunderwerk" der Kunst.
Bellori mußte gewiß den größten Abscheu davor empfinden. Aber
Passeri läßt es gelten: Borromini gehörte zur Gegenpartei Berninis.
mit dem er sich noch unter Urban VIII. zerworfen hatte. Wenn
man aber Borromini künstlerisch gelten ließ, dann durfte man Ber-
nini um so weniger verwerfen.
In den Schilderungen Passeris ist viel Lebendiges, unmittelbar
Erlebtes. Sie sind daher ein willkommenes Mittel, sich in die Zeit
zu versetzen. Sie kennzeichnen die Zeit, in der Bernini die Hege-
monie innehatte, das heißt die erste aufsteigende Hälfte des zweiten
Zeitraumes, nach 1630. Passeri bildet daher so recht die eigentliche
Fortsetzung des Baglione. Wenn nach 1673 sich kein Fortsetzer
- 29 —
des Passeri gefunden hat. so ist es nicht zufällig Die römische Kunst
verliert ihre universale Bedeutung für Italien, und noch mehr
außerhalb Italiens; geradeso wie das Papsttum, dessen Herrlichkeit
sie repräsentieren sollte. Man beschränkte sich darauf. Baglione
und Bellori neu aufzulegen.
Aber auch Lorenzo Bernini hat seinen Biographen gefunden.
Und zwar — sonderbar! eine Nordländerin hat dazu den Anstoß
gegeben! — hat die Königin Christine von Schweden, die den Meister
überaus geschätzt hat. diese Biographic veranstaltet. Ihr Antiquar und
Bibliothekar war Bellori. der 1681, als Bernini starb, noch lange am
Leben war. Aber es ist charakteristisch, daß nicht Bellori diese Aufgabe
übernahm, die ganz wider sein persönliches künstlerisches Gewissen
gewesen wäre, sondern ein Florentiner Kunsthistoriker, der Anti-
quar des Oroßhcrzogs von Toskana, Filippo Baldinucci. Einer der
besten Kenner seiner Zeit, der die große großherzoglichc Samm-
lung von Handzeichnungen auf die Meister bestimmt und geordnet
und in Bänden vereinigt neu aufgestellt hat. Baldinucci war auch
als Literat sehr angesehen und Mitglied der Accademia della Crusca.
Der Barockströmung gegenüber hat er sich minder ablehnend als
Bellori verhalten, er verfuhr mehr referierend als kritisch, hat aber
auch weniger entschiedenen persönlichen Geschmack besessen. So
schrieb er 1682 im Auftrage der Christine die „Vita dcl Cavaliere
Lorenzo Bernini", ein echt moderner kunsthistorischcr Auftrag. Sein
Hauptwerk sind die „Notizie de' professori dcl disegno da Cima-
bue etc." in sechs Bänden, einige erst nach seinem Tode — er
starb gleichzeitig mit Bellori 1696 — publiziert. Dann „Comincia-
mento e progresso dell' arte dcll' intagliarc in rame", eine der ältesten
Geschichten der Kupferstichkunst, die unter anderem wertvolle Nach-
richten über Rembrandt enthält und eine überraschend gute Würdi-
gung Rembrandts als Radierer, wiewohl ein Italiener von seiner
Richtung natürlich nie befriedigt sein konnte, weil er kein Disegno
besaß. Eine zweite Lebensbeschreibung des Bernini besitzen wir
von seinem Sohne, dem Monsignore Domenico Bernini. erschie-
nen 1713. Er hat aber wesentlich bloß den Baldinucci ausgeschrie-
ben; was er eigenes beibringt, ist von keinem Belange.
Von Lokalschriftstellern sind am wichtigsten die bolognesi-
schen. weil die bolognesische Schule ja zeitweilig ganz nach Rom
- 30 -
übersiedelt war und jedenfalls das meiste zur Bildung einer römi-
schen Schule beigetragen hatte. Selbst noch Carlo Maratta. das
Haupt dieser späteren römischen Schule, der Raffaelist. hat sich im
Grunde an Guido Reni mindestens ebensoviel gehalten als an Raf-
fael. - Von bolognesischen Lokalschriftstcllern ist am ehesten zu
nennen der Contc Malvasia, dessen Felsina pittricc (vite de'pit-
tori bolognesi) in Bologna 1678 erschienen ist, also auch zu einer
Zeit, da die Blüte der bolognesischen Schule schon längst vor-
über war.
WERDEN DES BAROCKSTILES.
Das Anfangsstadium wird in der römischen Kunst beherrscht
durch Michelangelo. Er hat ein klares Problem vor sich. Er ist
sich eines neuen Kunstvvollens bewußt, das er auf allen Gebieten
der bildenden Kunst durchführen will. Correggio dagegen ist nur
Maler gewesen. Parallel mit ihm läuft eine Anzahl Künstler, die
aber den Ausklang der Hochrenaissance bilden und um die wir
uns daher nicht zu bekümmern brauchen.
Michelangelo Buonarroti (geboren 1475). Im allgemeinen
wird er zur Renaissance gezählt. Als Vater des Barockstiles gilt er
überhaupt seit jeher eigentlich nur auf dem Gebiete der Architek-
tur, und auf diesem Gebiete ist er hauptsächlich erst nach 1520
tätig gewesen, mit Ausnahme der Entwürfe für die Fassade von
S. Lorenzo. Aber schon daß er hier Reliefs — Reliefs in der
Architektur sind Füllungen; Michelangelo kennt Füllungen nicht
mehr: alles ist struktiv — geplant hat, beweist, daß er damals
zwischen 1516 und 1520 noch in Renaissance-Anschauungen be-
fangen war. seinen Stil noch nicht gefunden hatte. Aber es ist
ein Irrtum, zu glauben, daß ein Meister andere Kunstabsichten
in Skulptur und Malerei verfolgen kann als in der Architektur.
Es fragt sich vor allem, wie weit wir in Michelangelos Schaffen
zurückgehen müssen, um ihn als Vater des Barock zu erkennen.
Zweifellos ist die Anlage dafür in ihm von Haus aus vorhanden
gewesen; sie verrät sich zum Beispiel schon ganz deutlich in
seiner sixtinischen Decke, die noch unter Julius II. (also vor
1513) gemalt worden ist. Aber auf alle diese Symptome des kom-
menden Umschwunges einzugehen, würde zu weit führen. Wir be-
schränken uns daher auf die Beobachtung derjenigen Werke, in
denen die Ausgleichstendcnz der Hochrenaissance bereits endgültig
überwunden erscheint, das sind hauptsächlich Denkmäler nach 1520.
- 32 -
Man kann den Stilwandel bei Michelangelo zwischen 1521 und 1524
setzen, denn da entstand der Entwurf für die Mediceergräber und
die I aurenziana. Wir wollen als Beispiele in der Skulptur die Medi-
. e< rgräber betrachten, in der Malerei das Jüngste Gericht und einiges
n der sixtinischen Decke; in der Baukunst werden wir eine größere
Anzahl von Denkmälern in Betracht ziehen müssen, weil uns kein
einziges Bauwerk von ihm aus einem Gusse vorliegt: alles Zu- und
Umbauten (vor allem gilt das von S. Peter).
Michelangelo hat sich immer Bildhauer genannt; daher hoffen
wir aus Werken dieser Kunstgattung sein spezifisches Kunstwollen am
raschesten und gründlichsten kennen zu lernen. Da verdient schon
eine allgemeine Beobachtung der Orientierung halber vorausgeschickt
zu werden. Seit seiner „barocken" Zeit tritt das Relief so gut wie
gänzlich zurück, er arbeitet nur mehr mit Rundfiguren und stellt
diese nach Bedarf zu architektonischen Gruppen zusammen. Was sagt
uns dies? Das Relief hat immer die Tendenz, die Ebene einzuhalten:
die Figuren lassen sich nicht in starken Verkürzungen hemmen und
beeinträchtigen. Indem Michelangelo das Relief, das er in früheren
laluen. wenn auch nie mit besonderer Vorliebe geübt hatte, nun
iallen läßt, beweist er, daß er seine Kompositionen nun nicht mehr
in der absoluten Ebene halten will.
Mediceergräber in der Sagrestia nuova bei S. Lorenzo in
Florenz. Gräber des Giuliano und Lorenzo de' Medici. Leo X. erteilt
151° den Auftrag; ausgeführt wesentlich zwischen 1521 und 1527.
Wie so oft im Leben des Michelangelo, kam es nicht zur Ausführung
des Ganzen (weil er es immer zu großartig und einheitlich haben wollte;
das Tragischeste: das Juliusgrabmali. Es wurden fertig die zwei Grab-
mäler und eine Madonna mit dem Kind. Da ist schon eines wichtig:
Grabmäler und Wanddekoration, also alles, was in der Kapelle war.
wurde von Michelangelo als ein Ganzes entworfen. Während bisher
die Grabmäler an einem passenden Ort hingestellt wurden, ohne Rück-
sichtnahme auf diesen Ort, so daß sie ihren künstlerischen Wert rein
in sich selbst trugen, treten sie nun in Verbindung mit der Um-
gebung und müssen mit dieser zugleich betrachtet und beurteilt
werden. Das erfordert schon die Möglichkeit einer größeren physischen
Obersicht, also ein Abrücken von strenger Nahsicht in eine Fern-
sicht, wo man Denkmal und Wand zugleich überblickt, während
- 33
man früher die Wand womöglich gar nicht sehen wollte. Also mehr
optische Aufnahme; die taktischen Grenzen verwischen sich mehr
und mehr. Diese Zusammengehörigkeit von Grabmal und Wand
äußert sich an den Medicecrgräbern 1. darin, daß die Figur des Be-
statteten in eine Wandnische gestellt, also mit der Wand aufs engste
verbunden wird (während der Sarkophag dagegen frei vorne steht);
2. betrachtet man die Wanddekoration für sich, so hat sie etwas
Kleinliches: eine Einteilung in Felder; aber sie soll eben für sich
nichts gelten, sondern nur als Folie der Grabmalfiguren diese um
so größer erscheinen lassen. Sic soll untergeordnet sein: Sub-
ordination, gegenüber der Koordination des Mittelalters, der maß-
vollen Subordination der Renaissance (früher z. B. Fresken an der
Wand, um das Grabmal herum, von ganz selbständigem Wert).
Dieses Zusammenstimmen von allem, was in den räumlichen
Gesichtskreis fällt, ist nun ein Hauptcharaktcrzug des Barockstiles. Im
Mittelalter haben sich die verschiedensten Stile nebeneinander ver-
tragen, denn jeder Teil wollte und durfte für sich betrachtet werden;
man empfand die anders geartete Umgebung nicht als Störung.
Der Barockstil sieht vom Einzelnen stets hinweg auf das Ganze
(Fernsicht); er will immer alles aus einem Gusse haben, und ein
Dominierendes, dem sich alles andere unterordnet. Daher hat der
Barockstil so viel Mittelalterliches vernichtet. Diese Tendenz findet
sich zum ersten Male bei Michelangelo, beim ersten subjektivistischen
Künstler; die Unduldsamkeit ist dieser Tendenz besonders eigen.
Auch jetzt gegenüber der romantischen Zeit: gilt nur ein eigener
Stil als ein Ganzes. Die Kapelle im ganzen diskutieren würde zu
weit führen, ich beschränke mich daher auf die Grabmäler, darunter
ist das instruktivere dasjenige des Giuliano.
Grabmal des Giuliano de' Medici. In einer viereckigen
Nische, flankiert von zwei kleinen Nischen, etwa in halber Höhe
der Wand, in sitzender Stellung die Figur des Bestatteten. Unter-
halb frei vor der Wand der Sarkophag mit zwei daraufgelegten
nackten Figuren, einer weiblichen und einer männlichen, genannt
Nacht und Tag. Die Komposition ohne Rücksicht auf die Umgebung,
von der schon die Rede war.
Man muß sich das Renaissancegrabmal vergegenwärtigen : z. B. die
zwei des Andrea Sansovino in S. Maria del Popolo. Gewöhnlich
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. 3
- 34 -
ein viereckiger, aus der Wand vorspringender Bau. in der Mitte eine
größere Nische für den Sarkophag mit gelegter Figur des Bestatteten,
rechts und links davon auch zwei kleine Nischen mit allegorischen
Figuren darin. Maßvolle Symmetrie, die auch die Flanke sehen läßt
trotz der herrschenden Mitte. Die Hauptsache ist, daß die Vorderwand
des Grabmales eine Ebene einhält, trotz der einspringenden Nischen.
Nur Pilaster, Sockel, Gesimse laden aus, aber kein Flächenteil und
keine Figur. Das Ganze ist eine in sich geschlossene Architektur
in der Ebene, die Vorderwand, Schauwand, gleichsam ein Relief. Hier,
am Grabmal des Giuliano, ist 1. die Architektur beseitigt: nur drei
Figuren mit dem Sarkophag sind da, 2. diese Figuren stehen nicht
in einer Ebene, sondern auf zwei Plauen im Tiefraum verteilt: vorne
der Sarkophag mit Nacht und Tag, etwas zurück die Wandnische
mit der Figur des Bestatteten. Also Einführung des Tiefraumes
an Stelle der absoluten Ebene. Die vorderen Figuren müssen sich
dem Auge des Beschauers in stärkerem Relief zeigen als die zurück-
stehenden. Das ist eine Durchbrechung der taktischen Ebene durch
den optischen Tiefraum, eine entschiedene Bewegung nach der opti-
schen Seite hin, denn der Tiefraum, Luftraum, läßt sich nicht tasten,
sondern nur nach dem Geschauten abschätzen.
Anderseits sind die drei Figuren in die strengste zentrale
Symmetrie (gleichseitiges Dreieckt gebracht. Die früheren Grab-
mäler waren auch symmetrisch aufgebaut, aber die einzelnen Teile
standen zueinander mehr im Verhältnis der Reihung: || 1 1| , re-
lative Koordination, maßvolle Subordination; jetzt ist die strengste
symmetrische Subordination durchgeführt: Rechts und Links von der
Mittelachse decken einander geradezu in den Umrissen. Die Symmetrie
ist nun ein Element der Ebene, an die Ebene gebunden. Man
nehme zwei zusammcngcncigtc Stäbchen: /\ , nebeneinder gehen
sie Symmetrie, hintereinander weit entfernt oder gar deckend ver-
schwindet die Symmetrie. Nur wenn man sie nahe hintereinander
hält, wirkt noch die Symmetrie trotz des Tiefraumes dazwischen,
und das ist der Fall bei dem Grabmal des Giuliano. Die Nischenfigur
liegt zurück, aber doch nicht so weit, daß die symmetrische
Zusammengehörigkeit mit den Sarkophagfiguren nicht zum Ausdruck
käme. Aber man muß etwas zurücktreten, in nächster Nahsicht am
Sarkophag sieht man kaum die Distanz, der Eindruck der Symmetrie
- 35 —
und Zusammengehörigkeit schwindet: also auch hier ist ein be-
stimmtes Abrücken in Fernsicht eine Vorbedingung der gewollten
künstlerischen Wirkung.
Wir haben es also zu tun: 1. mit einem bewußten Losgehen
auf optischen Effekt: Verbindung mehrerer Figuren im Tiefraum,
aber mittels der Linie, also von den Figuren ausgehend: romanisch;
2. mit dem gerade entgegengesetzten Streben auf Herstellung eines
Ebeneneindruckes, der immer taktisch, isolierend wirkt: zentrale
Symmetrie. Schon hier sehen wir also Michelangelo ausgehen auf
eine Steigerung von Gegensätzen, die in der Renaissance zu einem
harmonischen Ausgleich gebunden gewesen waren: je gelockerter
die Ebene, desto strenger die Symmetrie. Das hat noch ein Zweites
im Gefolge: die stärkeren Ausladungen im Tiefraum verursachen
stärkeren Schattenschlag. Bewußte Steigerung des Schattens. Der
Schatten als Verräter des Tiefraumes wird künstlerisches Element. Der
Schatten ist aber wie das Licht ein optisches Element, das zur
Verbindung des Auges mit dem Räume besonders geeignet ist.
Michelangelo rechnet also schon mit Licht und Schatten, wenn auch
weit minder als Correggio.
Aber auch dem optischen Element des Schattens läßt er durch
Steigerung eines anderen, taktischen Elementes die Wage halten;
durch Steigerung der Linie, die er erstens im einzelnen einerseits
meistens frei bloßlegt, daher Nacktheit oder anliegendes Kostüm,
anderseits im ganzen schroff herstellt: Dreiecklinie der zentralen
Symmetrie; zweitens in gesetzlichen Rhythmus bringt: — -, Kreis-
segmente.
Sehen wir uns noch im besonderen die Komposition der beiden
Sarkophagfiguren an. Sie sind im allgemeinen symmetrisch, aber
diese Symmetrie ist auffallend beweglich, von einer inneren Unruhe
durchzittert. Sieht man genau zu, so entdeckt man die Ursache:
die Figuren sind, obwohl die Umrisse sich fast decken, genau ver-
kehrt, invertiert. Die Nacht scheint von hinten hervorzukommen,
der Tag nach hinten hinein sich zu entfernen. Es kommt dadurch
zu einem gewissen Eindrucke des Rotierens, einer Bewegung, die
das Eigentümliche hat, daß alle Teile in steter Bewegung sind, ohne
daß das Ganze sich vom Flecke rührt: äußerste Ruhe des Ganzen,
äußerste Bewegung der Teile, also wieder Steigerung der Gegen-
3"
- 36 -
sätzc. Die Figuren sitzen, schlafen, aber alle Glieder sind aus der
Gleichgewichtslage. Die Figur des Giuliano dem entsprechend: der
ganze Körper tendiert nach links, der Kopf aber ist nach rechts
gewendet, eine Drehung halbrechts. Bei Corrcggio werden wir das-
selbe finden; er hatte es als Maler darin leichter.
Also in der Komposition dreierlei Gegensätze: optischerTiefraum,
taktische Symmetrie; optische Schatten, taktische Linie; Bewegung der
Teile, Ruhe des Ganzen. Die Auffassung bezieht sich auf das Psychische,
wie die Komposition auf das Physische. Zuerst Giuliano. Seine Haltung
im ganzen bekundet den Willen, sich dem Beschauer direkt zuzu-
wenden: Beine, Rumpf, Arme alles en face, bis auf den Kopf. Dieser
ist fast jäh nach der linken Seite gewendet, also nicht nach der
Seite, nach welcher die Mehrzahl der Glieder strebt. Die Glieder lenkt
der Wille, also der Wille ist auf eine Wendung nach dem Beschauer
hin gerichtet. Das fast zürnende Antlitz mit gerunzelter Stirn verrät, daß
dieser Wille jäh durchbrochen, gestört worden ist durch eine Emp-
findung. Aber nicht durch eine physische Empfindung, eine äußere,
sinnliche Wahrnehmung, denn dann würde er klar und scharf aus-
blicken, sondern durch eine innere, psychische Empfindung, denn
der Kopf ist etwas gesenkt und auch die Augenbrauen sind ge-
senkt. Also auch hier ein Konflikt: die Empfindung tritt in Gegen-
satz zum Willen. Der Wille lenkt die Glieder, die körperlichen
Handlungen; hier wird ein Glied, aber das wichtigste, der Kopf
mit dem Antlitz, wider den Willen durch die Empfindung gelenkt,
gewaltsam aus den Bahnen des Willens herausgeworfen. Also die
Macht der Empfindung ist das Neue. Ist sie an sich neu? Schon
die griechische Antike kannte sie, hat sie aber durchaus dem Willen
untergeordnet, ebenso die Renaissance (Raffael schildert schöne
Empfindungen, aber die Figuren behalten ihre persönliche Würde,
das ist den Ausdruck des persönlichen Ichs. Willens). Wille ist
isolierendes, taktisches (selbstbegrenzendes) Element; Empfindung
ist verbindendes, optisches (selbstauflösendes) Element.
Das Neue ist, daß nun die Empfindung sich emanzipiert,
in Kampf tritt mit dem Willen. Das Psychische im Menschen
spaltet sich; bisher haben beide Seiten — Wille und Empfindung —
den materiellen Körper einträchtig beherrscht, unter Hegemonie des
Willens; jetzt sucht jede die Herrschaft ausschließlich an sich zu
— 37 -
reißen. Da aber der Wille früher der Herrschende war, so ist das
eigentlich Neue die Steigerung der Empfindung. Die Empfindung
will sich emanzipieren, um so schärfer reagiert darauf der Wille:
beide werden gesteigert. In dem Maße aber, als sich die Empfindung
steigert, steigert sich auch der Wille. Daher das übermenschlich
Große in der Charakteristik, die Michelangelo seinen Gestalten gibt.
Sie berühren uns dämonisch mit ihrer unbändigen Willenskraft —
das Grande beruht darin, in Michelangelo zum Terribile gesteigert —
wie sie sich in ihren Mienen äußert, dann in den gewaltigen körper-
lichen Bewegungen. Betrachten wir die einzelnen Figuren, Giuliano
z. B., so ist er auch als Ganzes in Ruhe, sitzend, aber alle Teile
aus der Ruhelage gebracht, sei es durch Wille, sei es durch Emp-
findung in Bewegung gesetzt. Wir ermessen erst die ganze Macht
der Empfindung daran, daß sie eine solche Summe von Willens-
kraft zu erschüttern vermag. Je gewaltiger die Bewegungen, die der
Wille hervorbringt, desto gewaltiger dagegen die Empfindungen, die
dieselben brechen. Deshalb haben die Bewegungen bei Michelangelo
immer etwas Gewaltsames, Übermenschliches; bei Correggio werden
wir bei aller sonstigen Verwandtschaft gerade das Gegenteil finden.
Deutlich wahrnehmbare körperliche Bewegung ruft immer die Erinne-
rungen des Tastsinns wach, wirkt packend, schlagend; also schon
daraus ergibt sich, daß Michelangelo, wie er einerseits das Psychische
in der Empfindung steigert, auch das tastbar Materielle steigern
muß. Das geschieht nun durch jene übermenschlichen Verhältnisse
der Glieder, durch die geschwellten Muskeln, herkulischen Knochen,
überhaupt die Steigerung aller Körperteile in Wucht und Stärke.
Wir sehen sofort: sie sind unnatürlich, wir verstehen sie nicht, aber
wir finden sie doch nicht wunderlich, sondern bewunderungswürdig,
freilich mit geheimem Grauen; wir ahnen, daß den Meister eine
zwingende Notwendigkeit dazu geführt hat.
Um diese Steigerung des tastbar Körperlichen ins Über-
menschliche deutlich zu machen, kann Michelangelo keine Gewänder
brauchen; daher bevorzugt er die Nacktheit: am Giuliano nicht,
den er, wenn nicht als Porträt, so doch wenigstens als ein irdisches
Individuum maßvoller behandelt hat; wohl aber zeigen dies die
Sarkophagfiguren. Auch für die strenge zentrale Symmetrie der
Komposition braucht er die reinen Linien des Nackten; sogar an
- 38
der bekleideten Figur (Giuliano) ist das Kostüm nach Möglichkeil den
Gliedern angeschmiegt. Dann braucht er das Nackte für die Dar-
stellung der Tiefenausladungen, das optische Schattenspiel bändigt
er wieder durch den Gegensatz: die taktische Linie. Also die ge-
steigerte Empfindung bekämpft mit Erfolg die gesteigerte Willensstärke
in der Bewältigung und Lenkung der gesteigerten physischen Kraft.
Nebenfiguren: Nacht und Tag. Der Name ist gleichgültig.
wenngleich er. wie es scheint, wirklich auf Michelangelo selbst
zurückgeht. Warum nicht Tugenden? Er konnte sie nicht brauchen,
denn er wollte gar nichts Symbolisches, sondern nur die Macht
der gesteigerten inneren Empfindung darstellen. In der
Nacht hat man seit jeher die vollendetste Lösung von Michel-
angelos Kunstproblem erblickt. Diese Figur war auch am geeignetsten
dazu; ihrethalben hat er wohl die übrigen übernommen. Hier
ist die Auffassung ganz deutlich: die Figur hat den Willen zum
Schlafen (Eule, Mohnkopf, Traummaske zum Überfluß). Aber dieser
Wille wird gebrochen durch Träume, die die Figur innerlich
erschüttern, wie die Haltung der Hände beweist. Das Pathetische,
die innere Affektion ist ganz deutlich betont, aber es ist nicht
physischer Schmerz (Laokoon, Herkules, sterbender Gallier), sondern
er kommt aus den Tiefen der Seele; er ist auch nicht motiviert
(wie bei Pcnelope. bei den trauernden Gefangenen der Antike, die
übrigens nie ihre Würde, die ihre Willenskraft vergessen). Die Figur
wieder im ganzen in Ruhe: schlafend! Im einzelnen die denkbar
stärkste Bewegung. Tag. Den Willen verrät die Wendung nach der
\\ and, der Kopf ist zurückgeworfen. Der Kopf ist nicht vollendet,
um das Individuelle nach Möglichkeit zu vermeiden, nur das Große.
Ernste, Übermenschlich-Tragische und Willensstarke zu schildern:
eine menschliche Physiognomie reichte hier der Nacht gegenüber
nicht aus, es war eine Verlegenheitsauskunft. Aber Michelangelo
gesteht die Unzulänglichkeit des Menschlich-Individuellen hier offen
ein und gerade dadurch sagt es zu.
DasGrabmal des Lorenzo de'Medici zeigt dieselbe Absicht,
aber in entschieden abgeschwächtem Maße. Alles ist ruhiger gehalten,
die Kontraste sind nicht so schreiend und zugespitzt. Komposition: das
Rotieren leiser, nicht so heftig, daher auch die Bewegungen der
einzelnen Figuren maßvoller. Auffassung: Lorenzo il Pcr.siero, ein
- 39 -
Brüten, freilich ein dumpfes Brüten, beherrscht von herben, sorgen-
schweren Empfindungen, was in den Propheten der sixtinischen
Decke so oft wiederkehrt. Wo ist der Kontrast? Weil er ein Feld-
herr ist, der aber weder handelt noch klar ausschaut. Die Neben-
figuren Morgen und Abend, minder umhergeworfen von innerer
Unruhe, aber doch deutlich in leidender Stimmung befangen. Also die
Empfindung gewinnt schon mehr die Oberhand, der Wille zieht sich
allmählich zurück. Daher sind die Köpfe nicht mehr so dämonisch groß
wie am Giuliano-Grabmal. Der Kopf des Lorenzo selbst ist nicht völlig
sichtbar.
Moses für das Julius-Grabmal, jetzt in S. Pietro in Vincoli. Auf-
fassung ähnlich wie Giuliano, aber noch gesteigerter und konzentrierter,
noch mehr innere Spannkraft des Willens und der Empfindung, die
eruptiv zu werden droht. Er wendet den Kopf zur Seite, besonders
wirksam das Greifen der Hand in den langen Bart, um seine innere
Erregung mit mechanischem Griffe zu bemeistern, sogenannte un-
zweckmäßige Bewegung. Die Italiener stellen nur dar, wie die
Empfindung den Willen beeinflußt, daher die Körperbewegungen,
mittels deren sich der Wille äußert. Bei Michelangelo reagiert der
Wille dagegen, bei Bernini gibt er nach; es ist bei ihm ein Aus-
gleich wie bei Raffael, nur daß jetzt die Empfindung den Willen
beherrscht, während bei Raffael der Wille die Empfindung beherrschte.
Die Holländer stellen dar, wie die Empfindung den Willen aus-
schaltet. Sie stellen reine Empfindung dar: Entvvilligung und Ent-
materialisierung.
Michelangelo als Maler. Propheten und Sibyllen der
Sixtina, noch unter Julius II. gemalt. Einzelfiguren, sitzend, mit
umhergeworfenen, gleichsam rotierenden Gliedern, die Putten für den
Tiefraumeindruck und als Anzeiger der Empfindungen. Also wieder
Parallele. Ezechiel. Komposition: en face, den Oberkörper vorgeneigt,
dabei etwas zur Seite gewendet, das rechte Bein vorgesetzt, das
linke zurück, die rechte Hand vorgestreckt; also verschiedene
Körperteile in verschiedenen Ebenen. Dahinter zwei Putten,
von einem nur der Kopf sichtbar. Dafür das Ganze in ein
regelmäßiges Viereck gebracht; daher der Mantel, der lange im
Rücken wegflattert, der Puttenkopf im Nacken des Propheten. Also
wieder verschiedene Ebenen, streng regelmäßige Komposition.
- 40 -
Dann die Linien ^^—-s , namentlich im Nackten der Putten,
fest, gesetzlich, aber in Arkaden bewegt, zur Bändigung der Schatten-
wirkung. Gesamthaltung ruhig: Sitzen, alle Glieder außer der
Ruhelage, dazu das gesträubte Haar mit Bart, der wehende Mantel,
die gespreizten Beine; wie die Linke die Rolle faßt. Die Figuren
rotieren vielfach. Auffassung: Der Wille wendet die Figur nach vorne,
die Empfindung läßt den Kopf zur Seite drehen. Konflikt.
Jercmias. Komposition: en face, vorgebeugt, den Kopf weit
vorgeneigt, auch beide Knie vorgestoßen. Die zwei Putten dahinter
wurden benützt, um wieder ein Viereck herzustellen. 1. Linien und
Schatten. 2. Sitzen und bewegte Glieder. Wieder Zwiespalt zwischen
Ruhe der Gesamtfigur und unzweckmäßigen Bewegungen der Teile:
wie die Rechte den Bart faßt, wozu? Das wirre Haar, wozu? Die
Spreizung der Finger, wozu? Das Materielle wird uns recht zum Be-
wußtsein gerufen, auch durch die gewaltige Leibcsbildung, dann durch
die Bewegungen, während Rembrandt das Materielle möglichst unter-
drückt. Auffassung: Der Konflikt hier am wenigsten schroff, weil
Jercmias ganz in trauerndes Sinnen versunken ist. Strzygowski hat
daher diese Figuren in Parallele mit Rembrandts sinnenden Aposteln
gestellt. Aber bei Rembrandt ist es wirklich Sinnen: geistiges Schauen;
hier ist es pathetisch gemeint: Trauer.. Tiefster Seelenschmerz, wie
schon das förmliche Verbeißen in die Hand beweist. Rembrandts
Apostel sind stimmungsvoll; dagegen die gewaltigen Leiber und ener-
gischen Willensäußerungen bei Michelangelo! (Schon die Antiken
kannten den Affekt der Trauer, die von außen veranlaßt ist, aber
nicht innere Stimmung, deren Affekt aus dem Inneren stammt.)
Libysche Sibylle. Komposition: Merkwürdige Haltung,
diesmal hincingewendet, Rücken und beide Arme verkürzt, und
wieder ein Viereck. Kostüm merkwürdig, bloßer Oberleib, auf-
geschürztes Kleid, um eine plastisch scharfe Linienbegrenzung zu
bekommen, nicht verhüllendes Gewand. Auffallend wieder die Be-
weglichkeit im Detail, namentlich das linke Bein und die große
Zehe daran. Auffassung: Sie blickt weg von dem Buche, das sie
hält: alles gewaltsam.
Jüngstes Gericht. Komposition: Drei Darstellungen, Auf-
erweckung, Belohnung, Bestrafung, waren zu vereinigen. Die Be-
strafung sollte natürlich das Hauptthema sein, weil es das dramatischeste
- 41 —
war; schon das Mittelalter hat allmählich dieses Thema in den
Vordergrund gestellt. Viele Figuren daher Schwierigkeit, es so wie
in den Mediceergräbern zu machen. Ließ sich nicht durch ein
Dreieck zusammenfassen, also Viereck mit dreieckigen Unterteilungen.
Rotierung um die Achse. Links unten Auferstehung, dann Be-
wegung nach oben durch die Sceligen, die in den Himmel drängen,
darüber lagern Engel mit Leidenswerkzeugen, Zug nach aufwärts, rechts
dagegen scharf abwärts einander überstürzend. In diesen oberen
Gruppen ist die Bewegung am heftigsten, dann die heiligen Märtyrer,
endlich die Verdammten, die abwärts in die Hölle gestürzt werden.
Dieses Rotieren kulminiert in der Hauptperson — wenngleich es
am heftigsten oben ist, aber nicht im Scheitel, der frei ist — in dem
Weltenrichter Christus, der die Mitte einnimmt. Auch er dreht sich
von links nach rechts, bildet die Mittelachse eines kleineren oberen
rotierenden Kreises, unter ihm dreht sich die Schar von Posaunen-
engeln. Verteilung auf verschiedene Ebenen unten nicht durch-
führbar, hier überhaupt lose Komposition, nur Massensymmetrie;
unten ist auch zu starke Nahsicht, die Zentralsymmetrie kann erst
höher, weil ferner, wirken. Erst um Christus schließt sich die Masse
in symmetrischem Dreieckaufbau zusammen. Adam, Petrus laden stark
aus gegenüber ihren Hintermännern. Dafür einzelne Figuren in ge-
suchtesten Verkürzungen, fast alle vorgeneigt oder zurückgebogen,
und zwar aus dem Bilde heraus oder in das Bild hinein. Auch das
Schweben und Fliegen vollzieht sich so; sogar kubische Wolken
treten schon auf, wie bei Correggio. Die Menschen sind Massen,
die sich nach der Tiefe strecken und dehnen. Das viele Nackte
mit Modellierung der Muskeln, das er braucht für Tiefenverrat. So
ist es zu verstehen, wenn Burckhardt sagt: die malerischen Gedanken
wären die maßgebenden im Bilde gewesen. Auffassung: Die Körper
werden konvulsivisch bewegt, aber nicht durch den Willen, sondern
durch die Empfindung. Christus in merkwürdiger Verkürzung;
er saß eben, die innere Erregung zwingt ihn, sich zu erheben und
zugleich das Verdammungsurteil auszusprechen. Ist das ein ge-
rechter Richter? Nein, ein leidenschaftlich befangener Sterblicher,
die Leidenschaft — subjektive Aufwallung des Momentes — be-
herrscht ihn momentan vollständig. Mit der Linken weist er jede
Gemeinschaft mit den Verdammten ab: auch eine Reflexbewegung
des Gefühles. Das Momentane verstärkt durch das Zusammenzucken
der heiligen Jungfrau. (Man denke an ältere Darstellungen, z. B.
Camposanto in Pisa. Ähnlicher Gestus, aber welche objektive
Hoheit!) Die Miene eisig, erbarmungslos, kaltvcrächtlicher Ausdruck,
nichts vom Liebe predigenden Gottmenschen. Ebenso die Heiligen
ringsum: die Spannung erhält sie außer Atem, ihre Körper zeigen
sich ganz beherrscht von der Begierde, den Urteilsspruch zu hören.
Adam, Petrus wie gebannt, man merkt die Mühe, die sie haben,
ihre gewaltigen Leiber zu meistern und ruhig auf dem Platze zu
verharren. Dazu die Märtyrer, die nach Vergeltung rufen, indem sie
die Marterinstrumente vorzeigen: Bartholomäus, Simon, Katharina,
ein Chor der Rache! Statt Vermittler des Vergebens und Vcr-
zeihens hier Schürer des Hasses und Rachedurstes. Wie sie zugleich
selbst dabei vor Christus zurückbeben, namentlich Bartholomäus!
Lauter unzweckmäßige Bewegungen, die nicht der Wille diktieren
kann, also nur die Empfindung. Daß Empfindung den Willen be-
herrscht, beweisen die Verdammten: sie sind willenlos, sträuben sich
nicht gegen die Teufel, wie gelähmt von der Empfindung. Anders
bei Rubens: da kämpfen sie. Den Weltenrichter aber hat Rubens
ganz untergeordnet behandelt.
Die Idee, die Fresken des Perugino von der Altarvvand der
Capeila Sistina herabschlagcn und Michelangelo daselbst das
Jüngste Gericht malen zu lassen, geht auf Clemens VII., also
in die zwanziger Jahre zurück. Zur Ausführung ist es erst unter
Paul III. seit 1534 gekommen. Vollendet war das Fresko 1541. Wie
war der Effekt? Die Auffassung im Jüngsten Gericht mußte doch
an der Kurie viele verblüffen. Nicht bloß das viele Nackte: bloß
Maria war ursprünglich bekleidet; alle Heiligen, männliche und
weibliche, völlig nackt. Das Befremdende und Anstößige lag aber
in der Auffassung des ganzen Richtcraktcs: Christus als Welten-
richter vollzieht nicht einen Akt objektiver Notwendigkeit, sondern
subjektiver Rachgier. Dieser Gott läßt sich durch momentane Emp-
findungen hinreißen. Ist das nicht schlankweg heidnisch gedacht?
Pietro Aretino hat ihm auch gerade wegen des Jüngsten Gerichtes
den Vorwurf des Protestantismus gemacht, freilich aus persönlicher
Gehässigkeit, denn Pietro Aretino war selbst alles Glaubens bar,
die personifizierte Gewissenlosigkeit, während Michelangelo nicht
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nur eine ernste und gewissenhafte, sondern auch eine ticfrcligiüse
Natur gewesen ist. Aber damals regierte noch ein Renaissanccpapst,
der über den Meister seine schützende Hand hielt: Paul III. Farncse.
Aber bald nach ihm kam ein Papst, der einsah, daß eine Refor-
mation des Katholizismus unabweislich war und die Kirche solche
Darstellungen nicht dulden durfte: Paul IV. Caraffa (seit 1555). Er
wollte das Fresko herabschlagen lassen; aber noch gab es am päpst-
lichen Hofe Leute, die eine freiere Auffassung vertraten. Man bewog
den Papst, daß er sich damit begnügte, wenn an den anstößigsten
Stellen der nackten Leiber Gewänder angebracht würden. Michel-
angelo wurde zugemutet, dies selbst zu tun. Er ließ dem Papste
sagen: das wäre leicht, Bilder könne man schon ändern, der Papst
möge die Menschen ändern. So tief war sich Michelangelo bewußt,
nicht bloß sein persönliches Kunstbegehren, sondern dasjenige seiner
ganzen Zeit mit seinen Werken erfüllt zu haben. — Die Übermalung
nahm Michelangelo nicht vor; ein Schüler, Daniele da Volterra,
hat es mit vielem Geschick und Pietät besorgt. Der heilige Blasius
und die heilige Katharina wurden ganz neu gemalt. Aber vor der
Übermalung wurde eine Kopie genommen durch Venusti, jetzt im
Museum zu Neapel. Im 18. Jahrhundert wurde das Fresko noch
einmal übermalt. Jetzt ist es namentlich wegen des Rauches der
Meßopfer eine Ruine. Später noch fallen die Fresken der Capeila
Paolina im Vatikan. Sie lehren dasselbe.
Michelangelos barockes Kunstwollen in der Archi-
tektur. Die Architektur schafft leblose Werke, d. h. willenlose und
empfindungslose, bewegungslose Werke, die nicht Wiedererschaffungen
lebendiger Werke (Menschenfiguren) sind. Daher kann das Psychische
darin nicht unmittelbar zum Ausdruck gebracht werden: keine
Auffassung möglich. Nur das Physische. Wir fragen also nur nach
der Komposition. Aber nichtsdestoweniger wirken auch Gebäude auf
uns psychisch: schwer, leicht, düster, heiter, ruhig, unruhig u. s. w.
Das sind also Empfindungen, die wir vom Bauwerk empfangen. Also
muß ein Parallclismus zwischen Komposition und Auffassung vor-
handen sein. Wie ist es nun bei Michelangelo? Michelangelo strebt
in der Komposition an: Emanzipation des Tiefraumes; in der Auf-
fassung: Emanzipation der Empfindung. Also Tiefraum und Emp-
findung sind ParalIclerscheiinuiL,ren, gewissermaßen zwei verschiedene
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Seiten eines und desselben Wesens, eine Psyche und Physis. Dessen
muß man sich bewußt sein, um zu verstehen, warum Michelangelo
überhaupt den Drang in sich gehabt hat. sein Kunstwollcn auch in
der Architektur zu verwirklichen. Derjenige Bau, an dem er dies
verhältnismäßig am reinsten, ungestörtesten tun konnte — bei allen
anderen bahnbrechenden Bauten mußte er an Vorangegangenes an-
knüpfen: Farnese, S. Peter — ist die Treppen-Vorhalle der
Biblioteca Laurenziana in Florenz. Auch der anstoßende Biblio-
thekssaal wird ihm zugeschrieben; aber da fehlt es nicht an Bedenken,
ob er wirklich ganz so von ihm entworfen war. Aber die Vorhalle
und die Treppe sind von ihm. Die Entwürfe sind von 1523; die
Ausführung allerdings zum Teil später, die Treppe erst nach 1558
von Vasari gebaut. Es handelt sich um einen Innenraum, zu klein,
um eine bedeutende Raumwirkung als solche damit anzustreben.
Also blieben die vier Wände. Hier gibt er uns ein Zeugnis dessen,
was er sich von der Funktion der Wand dachte.
Was seit jeher auf den ersten Blick befremdet hat. ist die Ver-
wendung der Säulen. Ihre Funktion war seit jeher diejenige des
Tragens, namentlich des Gebälkes, weshalb sie aus der neutralen
Wand vorsprangen. Sie sind sogar verdoppelt, d. h. ihre Trag-
fähigkeit und Stärke ist erhöht: also der verstärkte Wille zum Tragen
ist vorhanden. Nun aber ist alles getan, um zu zeigen, daß sie in
dieser Funktion gestört werden. Denn unten, rechts und links dringt
aus dem Inneren der Mauerkern vor, so daß die Säulen gleichsam
in Kasten eingesperrt werden: unten ein Sockel, auf dem die Säulen
mittels Konsolen stehen, rechts und links aber breite Wandflächen.
Die Säulen wollen ein Kompartimcnt nach der Breite abschließen: die
Mauer bricht es vorquellend. Die Gesimse wollen ein Geschoß nach
der Höhe abschließen: die Mauer bricht es durch Verkröpfung. Also
die Tiefe sucht sich auch hier zu emanzipieren, auch in Teilen: blinde
Wandfüllungen der vortretenden Mauerflächen. Aber die Steigerung
der Tiefe ist begleitet von solcher der Ebene: in Höhe und Breite
durch symmetrische Linien. Der Zusammenhang in der Höhe, Ver-
doppelung von Säulen und Pilastern, durch Ohren und Krücken,
der Fenster, durch aufschießende Hermenpilaster. Zusammenhang
in der Breite durch durchlaufende wuchtige Gesimse, namentlich
ruhiger Abschluß oben Stärkerer Schattenschlag, aber energische
Linien, messerscharfe Profile. Oben fester Abschluß durch Beruhi-
gung der Wandrahmen, durch Pilaster statt Säulen. Im einzelnen
Verlassen der Ebene, im ganzen schroffe Zusammenfassung in sym-
metrische Ebene. Bei Michelangelo gibt es noch keine Risalite, aber
Vor- und Rücksprünge in Menge, die Schatten werfen (Schatten-
schlag am Gebäude für das Barock charakteristisch). Erinnern wir uns
der Wand der Medicecrgräber: dort dasselbe, aber das Umgekehrte:
der Mauerkern hatte sich eingezogen. Die Doppelpilastcr treten
zwar heraus, aber auch in ihrer tragenden Funktion erdrückt, weil
tiefe Nischen dazwischen sind. Die Nischen repräsentieren schon genug
Höhe, es bedarf nicht mehr der Pilaster. Aber Durchbrechungen
schließt Michelangelo grundsätzlich. Denn dadurch gewinnen die
tragenden Zwischenglieder selbständigen Wert, genau, wie wenn es
geschlossene Reliefgrundcbcnen wären: und das will Michelangelo
um jeden Preis vermeiden. Die Blindfenster sind weder durch-
gebrochen, noch mit Reliefs und Statuen besetzt. Von Details: Tür-
giebel, unten durchbrochen: also aus der Mauer vorquellend, nicht
getragen, außerdem verkröpft.
Burckhardt sagt: „das ist jenes ewig lehrreiche Bauwerk, an
welchem zuerst dem Sinn aller Einzelformen absichtlich Hohn ge-
sprochen wurde". Treppe. Vorquellen aus der Tiefe durch abge-
rundete Stufen, aber strenges Zusammenfassen in Symmetrie durch
Dreiteilung, in der Höhe durch das Geländer. Die Stufen seit jeher
halsbrecherisch befunden. Für alle barocken Details: gesprengte
Giebel, Verkröpfungen, sogar Einsperren von Säulen in der Wand
und dergleichen, hat Michelangelo gewiß überall im einzelnen Belege
aus der Antike gehabt, das heißt aus der römischen Kaiserzeit.
Vieles noch heute nachzuweisen, man muß nur Caninos römische
Denkmäler durchblättern, dann namentlich an den syrischen: Baalbek,
Palmyra, Petra!
Die Architektur der römischen Kaiserzeit wurde schon von
Wölfflin eine Barockarchitektur genannt, er wollte sie bearbeiten,
ist aber, wie es scheint, nicht mehr dazugekommen. Es wäre eine
lohnende Aufgabe, die Denkmäler zu sammeln und dann nachzu-
weisen, worin der Sinn und die Anwendung dieser barocken Archi-
tekturglieder der Antike sich von dem 16. und 17. Jahrhundert
unterscheidet.
— 46 -
Bei den Details sieht man überall, daß Michelangelo dabei
auf das Ganze sieht; wobei das einzelne Detail, für sich in Unter-
sicht isoliert betrachtet, geradezu häßlich, proportionslos wird (von
Burckhardt als schwerer Mangel empfunden: Ornament bedeutet
immer schönes, behagliches Genießen, bei Michelangelo ist rastlose
Arbeit); spielende Verzierung einzelner Felder um ihrer selbst willen
kennt er nicht, angeklebten bloßen Zierat gibt es nicht; wo sie
vorzukommen scheinen, haben sie doch einen Gemeinzweck, wie
zum Beispiel die Laubkränze zwischen den Ohren der Füllungsrahmen,
um die einseitige Höhenrichtung durch etwas Breite abzuschwächen
und zu mildern. Die Laurcnziana-Vorhallc zeigt Michelangelos archi-
tektonisches Kunstwollen ganz rein, in seinen Grundlagen. Seine
bahnbrechenden Leistungen lagen aber nicht nach der Seite der
Innendekoration, sondern nach der der Außenarchitektur und der
inneren Raumbildung: Entwicklung des italienischen Palazzo, des
neukatholischen Kirchenbaucs. Aber bei diesen Werken mußte er
überall mit dem historisch Gegebenen rechnen. Daher will ich
zunächst, wo von Grundlagen die Rede ist, besser unterbrechen
und Correggio einschalten. Dann nehmen wir die Betrachtung des
Michelangelo als Architekten wieder auf.
Correggio. Man pflegt Correggio als Antipoden des Michel-
angelo zu betrachten, und doch sind es im Grunde die gleichen
Elemente, mit denen er seinen Stil gegenüber der Renaissance
begründet; Auffassung: gesteigerte seelische Empfindung, in der
formellen Wiedergabe: gesteigerte optische Aufnahme, Emanzipation
des Tiefraumes. Der Tiefraum überwindet bei ihm die Ebene, die
Empfindung den Willen. Aber dies geschieht bei ihm ohne Kampf,
es fehlt ihm die tragische Größe. Dafür steht er uns modernen
Nordländern so nahe als irgendein italienischer Meister, er hat die
Verbindung mit dem Räume weiter gebracht als irgendein Italicner
seiner Zeit.
Steigerung der seelischen Empfindung: der Wille ist
ganz unterjocht, Correggio herrscht Widerspruches durch die
Empfindung, die mit außen verbindet. Unterschied gegenüber den
Nordländern: es ist die sinnliche Empfindung, nicht die geistige
Übereinstimmung, die den Willen ausschaltet. Der Wille ist ganz
konzentriert auf sinnliches Begehren. Verbindend die Empfindung,
47
isolierend das sinnliche Moment, das sich in Bewegungen äußert.
Die Figuren von größtem Liebreiz, aber ohne alle Energie; der
Wille tut, was die Empfindung will.
Optische Aufnahme: 1. Bewußte Raumkomposition um
ein Zentrum, subjektive Aufnahme vom Beschauer. 2. Bewußter
Subjektivismus der optischen Aufnahme. 3. Helldunkel, Anfänge bei
Lionardo, das zwar nicht volles nordisches Raumdunkel ist, aber uns
doch einen verwandten Eindruck macht. (Schatten: 1. Modcllicrungs-
schatten isolierend, 2. Schlagschatten von Figur zu Figur verbindend,
3. Schlagschatten von Figur zum Raum verbindend, unantik. Hell-
dunkel ist Nr. 3. also Raumdunkcl schon seit dem 15. Jahrhundert an-
gestrebt, zuletzt von Lionardo, sogar von Raffael ein Nachtstück, keiner
so weit wie Correggio.) 4. Tonmalerei. Deshalb gilt er schon seit
Burckhardt als der modernste aller jener Renaissance-Italiener, und
namentlich den Nordländern sympathisch im Physischen; das
Psychische allerdings erscheint uns minder befriedigend.
Madonna des heiligen Franciscus in Dresden. Santa
conversazione. Thronende Madonna mit anbetenden Heiligen.
Nicht neu, schon vom Quattrocento geschaffen. Auffassung des
Quattrocento und der Renaissance: eine relative Isoliertheit, Würde,
die auf sich selbst hält; die Madonna nimmt Huldigungen entgegen
ohne besonderes Entgegenkommen und ohne Protzigkeit und Stolz;
die Heiligen verehren mit Reserve, sie sind hingegeben, aber sie
bewahren eine gewisse Selbstachtung. Komposition des Quattrocento:
mehr oder minder symmetrisch, schön aufgelöste Symmetrie, Madonna
dominiert, aber in mäßiger Überhöhung über die anderen. Hier bei
Correggio Auffassung: die Verbindung der Figuren untereinander
schon lebhafter, Franciscus und Katharina mit sehnendem Ausdruck,
Johannes und die anderen Mönche mit dem Beschauer verbunden,
Johannes lebhaft hinweisend auf die Madonna. Im Sinne der Ver-
bindung wirkt der lächelnde Zug (noch kein Lachen wie bei Frans
Hals, aber selbst ein Lächeln war in der Antike unerhört, wohl aber
im gotischen Mittelalter). Im Sinne der Isolierung wirkt die über-
menschliche Grazie (ebenso übermenschlich wie die Riesenleiber
des Michelangelo); man will jeden Kopf für sich betrachten.
Komposition: eher strenge zentrale Symmetrie mit Mittelachse
als früher (wie bei Michelangelos Medicecrgräbern). Dann das Rotieren
- 48 —
unten, verkehrte Symmetrie in Haltung und Blick, in der Madonna
Drehung, zwei Engel direkt rotierend (auch wie bei den Mcdicecr-
gräbern). Schon Tendenz auf Bewegung der Teile bei ruhendem
Ganzen wie bei Michelangelo. Im Sinne der Stabilität, Isolierung
wirkt relative Ruhe in äußerer Haltung, die Rümpfe noch gerade,
trotz geneigter Köpfe. Auffallende Betonung der Höhefaktoren:
steiles Dreieck, Säulen. Helldunkel im linken Fuß des Johannes,
Lokalfarbe ausgeglichen, auf Ton ausgehend.
Madonna mit dem heiligen Sebastian, Dresden, von
zirka 1525. Ein viel stärkeres Empfindungsleben. Die persönliche
Würde, dcrWillensernst ist aufgegeben, lächelnder Kopf der Madonna!
Jubelnde Teilnahme untereinander: S. Gcminian zeigt auf Beschauer
und Madonna. Gesteigerte Grazie, viel Nacktes: Sebastian, Rochus mit
der Schcnkclwunde, viel Putten. Tiefraum: denn Madonna ist jetzt
hinten, davor ein Halbkreis von Engeln und vor diesem die drei
Heiligen mit der bella Madonnina. Trotzdem strenge Symmetrie.
Linzelfiguren, bewegte Glieder, obzwar meist sitzend! Aber feste
Konturen, höchst auffallender Mangel jeder Horizontalen. Madonna
thront auf einer Wolke, unter den Füßen der Heiligen sieht man
kaum einen Boden. Keine Figur schreitet, läuft oder fliegt, und doch
ist jedes Glied in Bewegung, die körperliche Handlung ebenso
gesteigert wie die Empfindung. Schon stärkeres Helldunkel; aber
trotzdem feste Linien zur Begrenzung; man sehe die plastischen
Wolken! In den Linien liegt die Grazie; sie sind regelmäßig, aber
nicht so schroff gesetzliche Kurven wie bei Michelangelo. Damit
wirkt er, und trotzdem wirkt auch das Helldunkel auf uns: es dient
aber doch hauptsächlich, um die Glieder plastisch herauszutreiben,
von dem vordersten (Madonnina) zum hintersten Punkt (Landschaft,
rechts) eine Diagonale in der Komposition.
Madonna mit dem heiligen Georg, Dresden, aus letzter
Zeit. Auffassung: lebhafte Wendung — der Wille ist Hauptsache, der
aber ganz von der Empfindung beherrscht ist — der Figuren zu-
einander oder zum Beschauer. Namentlich der h. Petrus Martyr.
Anderseits gesteigerte körperliche Bewegung: Auftreten des Johannes
und des Georg, Leisetreterei. Unterdrückung des Horizontalen.
Grazie in den Linien und der weichen Modellierung, dabei viel
Nacktes: am Johannes geradezu auffallend. Willensgrößc fehlt ganz,
- 49 -
dafür herzliche, fröhliche Hingebung, ein fast buhlerisches Fixieren.
Tiefraum: Halbkreis mit Vorder- und Hintergrund, trotzdem starre
Symmetrie. Verkürzte Brust der Madonna. Tiefer Augenpunkt,
Subjektivität.
Heilige Nacht, Dresden, Anbetung der Hirten. 1522 bestellt,
erst 1530 aufgestellt. Auffassung: Maria ganz zärtliche Mutter, keine
Distanz mehr zwischen Gott und Mensch. Josef einen Esel bändigend:
genrehaiter Zug. Die Hirten mit der Hirtin auch nicht anbetend,
sondern neugierig schauend und Bemerkungen austauschend unter-
einander, mehr Wohlgefallen am Anblick als tiefes Interesse: nordisch
genrehaft — die Schranke zwischen Gott und dem Menschen ist gefallen
und damit ein wesentlich Isolierendes — aber nicht tiefaufmerksam
genug für Nordländer (Rcmbrandt): die Hirtin wehrt blendendes Licht
ab, der eine Hirte greift sich an den Kopf vor Staunen, der andere
schaut zu diesem auf. Lebhafter Austausch von Gefühlen, Empfindungen
(mütterliches, nachbarliches Interesse). Äußere Bewegung; jeder Kopf
verkürzt. Komposition: nicht zentrale Symmetrie, sondern fast raffiniert
behobene Symmetrie, drei Figuren gegen eine; aber Inhaltssymmctrie,
indem Maria dreien die Wage hält, dann Konkordanz der Linien,
die aber sehr versteckt ist, namentlich weil die Hauptfigur außer-
halb dieser Konkordanz ist. Einheitlicher Augenpunkt: Einbekenntnis
des Subjektivismus; man pflegt immer zuerst in die Mitte zu schauen,
diese ist hier überraschenderweise leer. Raum: schwebende Engel
auf Wolken in Untersicht, Fußsohlen und Gesäß sind die Teile, die
sonst ruhen, jetzt bewegt sind: Hochdrang. Der riesenhafte Hirt
auch von tiefem Augenpunkt. Landschaft. Helldunkel durch Licht,
das vom Kind ausgeht, aber doch nicht den Raum erleuchtet, sondern
die Ränder der Figuren, deren tastbare Begrenztheit damit hervor-
tritt. Vorläufer: Petrus im Gefängnis von Raffael in den Stanzen.
Merkwürdige Haltung der ungeschlachten Hirten (beim Maler
der körperlichen Grazie!) ganz links. Stünde der Beschauer in der
Mitte, so müßte er den Hirten halb von vorne sehen, seine Brust
wenigstens in halber Verkürzung. So aber sehen wir ihn nur von
der Seite, die Brust ganz verkürzt und durch faltiges Gewand über-
dies verschleiert. Auch der Arm fast ganz verkürzt, das heißt, der
Standpunkt des Beschauers ist an der linken Ecke knapp vor dem
Hirten zu nehmen, weswegen er auch so groß erscheint, natürlich
RicgI, Rom. Kunst des 16. Jahrh. 4
50 —
alles absichtlich übertrieben, um den Beschauer ja nicht im Zweifel
zu lassen, daß die Einheit subjektiv gemeint ist. Die Linien laufen
nach der Tiefe zusammen. In Santa Conversazionc war die Einheit
objektiv gegeben durch den zentral-symmetrischen Aufbau. Hier
fehlt diese Einheit, dafür ist sie eine subjektive: vom Beschauer aus.
Damit ist die Antike endgültig überwunden. Daher auch die Beine
und Gesäße, die man von den Engeln sieht; auch hierin Über-
treibung, denn der Anblick ist so ungewöhnlich wie jener der Hirten.
Um die moderne Kunst zu verstehen, muß man die bahn-
brechende Rolle kennen, die Michelangelo und Correggio in der
Entwicklung gespielt haben. Die moderne Kunst par excellcncc ist die
Malerei; darum läßt sich das Moderne in Correggio für uns leichter
verständlich und deutlich machen als in Michelangelo, der von Haus
aus Bildhauer war und seiner Neigung nach stets Bildhauer ge-
blieben ist. Mit Michelangelo und Correggio ist dasjenige, was die
moderne Kunstanschauung von der antiken trennt, zuerst in eine
entschiedene selbstbewußte Phase getreten. Mit kurzen Worten
handelt es sich um Folgendes:
1. In der Auffassung des Psychischen im Kunstwerk.
Die Antike hat die Dinge grundsätzlich isoliert, die menschlichen
Handlungen als Willensäußerungen dargestellt und nicht als
Empfindungsäußerungen. Das psychisch Isolierende ist der Wille,
der immer egoistisch ist: Erhaltung des Individuums in irgend-
einer Form. Das Verbindende ist Empfindung, Gefühl, das
stets auf Vereinigung mit dem Universum, Aufhebung des Indivi-
duums strebt. Die reifere Entwicklung in der antiken Kunst hat
zwar zu verbinden begonnen, also die Empfindung emanzipiert,
aber auch nur als Ausfluß des Willens. Reaktion des Willens.
Laokoon trauert, weil seinem persönlichen Leib ein materielles Weh
geschieht, weil etwas wider seinen Willen mit ihm geschieht. Die
neuere Kunst strebt die Verbindung der Dinge um der Verbindung
selbst willen an, nicht um einer raffinierteren Isolierung willen. Also
die menschlichen Handlungen sollen als Empfindungsäußerungen
erscheinen. Seit dem 15. Jahrhundert bricht sich dies Bahn: aber
das ganze 15. Jahrhundert war bestrebt, das Neue mit dem über-
lieferten Antiken auszugleichen. Den vollendeten Ausgleich bedeutet
die Renaissance, die uns gerade deshalb ähnlich wie die klassische
- 51 —
Antike in ihrer Art stets als ein Vollkommenes erscheinen wird.
Michelangelo und Correggio sind nun aus dieser Renaissance her-
vorgegangen; aber sie bleiben nicht dabei stehen, sondern sie gehen
über den Ausgleich hinaus und verstärken die Empfindung. Das
Moderne beginnt bei ihnen zu überwiegen; bei ihnen zuerst be-
gegnet eine grundsätzliche Abkehr von den Zielen der Antike, wenn-
gleich das mindestens dem Michelangelo keineswegs in vollem
Maße bewußt geworden ist. Bei Correggio äußert es sich darin.
daß Empfindung und Wille einander nicht mehr koordiniert die
Wage halten, sondern die Empfindung den Willen vollständig er-
obert, aber nun selbst als Wille auftritt, als Begehren. Es fehlt bei
ihm alle persönliche Zurückhaltung, aller Stolz, alle Willensstärke, alle
Größe; dafür ist er voll Liebreiz. Wille kann aber im letzten Grunde
doch nur isolierend wirken, das heißt er muß auf Sinnliches,
Materielles gerichtet sein. Daher ist Correggio der Maler des sinn-
lichen Wollcns und Empfindens, des Dranges nach sinnlicher Ver-
bindung, der sinnlichen Hingabe und des Begehrens zugleich (Emp-
findung und Wille) im umfassendsten Sinne des Wortes. Er hat es
geschildert in religiösen und profanen Bildern; er zuerst hat die
äußerste sinnliche Vereinigung zweier Menschen im Bilde geschildert,
und ist dabei doch innerhalb der Grenzen der Kunst geblieben,
denn er wirkt damit gar nicht lasziv, das heißt er wirkt damit eher
sinnlich reinigend, als sinnlich aufreizend. Es ist bei dieser Emp-
findungsmalerei noch immer ein Willcnsmoment und ein sinnliches
Moment: darüber ist der Italicner, das ist der orientalisiertc Indo-
germanc. nicht hinausgekommen. Erst die Nordländer haben das
Willcnsmoment und das sinnliche Moment aus der Empfindungs-
äußerung in der Kunst völlig ausgeschaltet.
2. In der Komposition. Wir wissen, die modernen Künstler
suchen die Naturdinge in der Kunst so wiederzugeben, wie sie sie
sehen, nicht wie die Dinge sind: Subjektivismus. Die antike
Kunst ist davon ausgegangen, die Dinge möglichst so wiederzu-
geben, wie sie sind, nicht wie sie dem Subjekt einmal zufällig
optisch erscheinen: Objektivismus. So erklärt sich, daß die
antike Kunst die Dinge isoliert hat, vom Beschauer und unter-
einander, und. soweit sie sie verbunden hat, in der Ebene ver-
bunden hat. Nach Möglichkeit aber hat sie die Darstellung des
— 52 -
Raumes gemieden, denn er ist die subjektivste aller Dimensionen.
Völlig war er aber von Anfang an nicht zu vermeiden, denn er
ist so gegeben wie im Psychischen die Empfindung und drängt sich
von selbst auf.
Wie verrät sich der Raum?
1 Durch Deckung, a) Figuren decken einander nur vom
Beschauer aus, nicht objektiv; schon bei den Ägyptern, obzwar
vermieden; b) von Figur zu Figur, bei den Ägyptern ausnahmsweise,
bei den Griechen allmählich offen zugelassen, Alexanderschlacht
(daher die Antike öfter als Raumkunst bezeichnet); c) es gibt aber
auch eine Deckung von Raum und Figuren: Luftraum vor Figuren,
die sogenannte Luftperspektive. Die hat das Altertum nie gekannt: weil
es den freien Luftraum nie als künstlerischen Faktor anerkannt hat.
2. Durch die sogenannte Linienperspektive, das ist durch
Verkürzungen (Verkürzungen erscheinen nur vom Beschauer aus, sind
nicht objektiv vorhanden). Von den Ägyptern in der handgreiflichsten
Weise gemieden: Relieffiguren; bei den Griechen an der Einzelfigur
und höchstens an zwei bis drei Figuren zugelassen, die miteinander in
der Ebene in nächster Verbindung stehen. Niemals aber an ent-
fernteren Figuren und vollends niemals an Dingen hintereinander.
In der reifsten Antike kleine Figuren im Vordergrunde, größere
hinten. Das heißt die Orientierung des Ganzen geht in der ganzen
Antike bis in die späteste Zeit immer vom Objekt, niemals vom Subjekt
aus. Vom 15. Jahrhundert an beginnt nun das Streben nach Ver-
bindung der Figuren in der Komposition nach allen Richtungen,
also auch im Tiefraum, und damit unvermeidlichermaßen eine grund-
sätzliche Orientierung vom Subjekt aus. Man sagt daher: das 15. Jahr-
hundert habe die Gesetze der Linienperspektive gefunden. Das heißt
es hat sie gefunden, weil es sie gesucht hat; frühere Zeiten haben
sie schlechtweg gemieden. Nicht sie konnten früher nicht per-
spektivisch darstellen, sondern sie wollten nicht perspektivisch dar-
stellen. Wiederum ist die Renaissance die Zeit des Ausgleiches ge-
wesen, auch zwischen der antiken und der modernen Komposition:
der objektiven Ebenkomposition und der subjektiven Raumkompo-
sition. Und bei Corrcggio (wie bis heute) treffen wir das Über-
schreiten des Renaissanceausgleichcs. Bei ihm zuerst ist das Be-
streben, wirklich das ganze Bild rücksichtslos von einem Augen-
punkte aus, also rein vom Subjekt aus zu komponieren. In der
Madonna des hl. Franciscus strebt er noch nach Ausgleich: die
strenge objektive Symmetrie, die in der Ebene wirkt, und die sub-
jektive Komposition um ein Raumzentrum. Die strenge Symmetrie
nimmt in den späteren Bildern immer mehr ab; in der Heiligen
Nacht ist der subjektive Augenpunkt ein auffallend einheitlicher durch
Übertreibung in der Verkürzung der Hirten zur Seite. Der Blick
folgt dieser Schrägachse. Die objektiv-gesetzlichen symmetrischen
Linien treten ins Unauffallcnde zurück, wenngleich sie noch nicht
ganz fehlen, um doch eine Bildwirkung in der Ebene zu erzwingen.
Dazu die Engel oben in der linken Ecke, von denen man das
sieht, was eben von unten zu sehen wäre: Gesäße und Fußsohlen,
zugleich das gewöhnlich Gestützte, was nun frei schwebt (Hochdrang
auch im Hirten mit zagenden Füßen). Helldunkel. Nachtstück und
doch Begrenzung der Einzelformcn, Herausmodellicrung der Kon-
turen: Bein des großen Hirten. Auffassung: Heilige Personen. Maria,
das Weib, das persönliches Wohlgefallen, persönliche Beglückung am
Kinde hat (nicht jene sorgende Zärtlichkeit wie bei Rembrandt, die
mehr an das Kind als an sich selbst denkt); Josef mit dem Esel
beschäftigt, genrehaft, den Respekt vor ihm nicht erhöhend; Hirten
absichtlich derbe Köpfe; Nachbarn, die aus persönlicher Neugierde
schauen, was es gibt, aber kein tieferes, verbindendes Interesse
bekunden, dabei lebhafte Äußerung der oberflächlichen sinnlichen
Empfindungen. Wo ist die scheue Ehrfurcht' Jede isolierende
Schranke zwischen Göttlichem und Weltlichem ist gefallen. Das
Göttliche ist auf Erden herabgezogen, Rembrandt hat das Irdische
zum Göttlichen emporgehoben.
Der Tag, Parma. 1528 vollendet, wahrscheinlich nach der
Nacht entstanden. In der Nacht war eine historische Darstellung, hier
aber ist der Stoff eine Santa Convcrsazionc. Trotzdem keine zentral-
symmetrische Komposition. Wieder der übergroße Mann (Hieronymus)
in der linken Ecke, wieder die nach der Tiefe zusammenlaufenden
Linien, aber Linienkonkordanz auch schon überflüssig befunden:
die reine malerische Gruppe, wobei die Einheit im betrachtenden
Subjekt liegt, als Raumausschnitt in einem bestimmten Momente. Wieder
kein Anbeten, lächelndes Schäkern mit dem Kind, der Engel des Bildes
zeigt ein Buch, Hieronymus schaut gemütlich zu, Magdalena berühmt
— 54 —
durch ihre innige Anschmiegung. das Knäblein riecht am Salbgefäß:
ganz genrehaft. Überhaupt in der Auffassung viel Nordisches. Wieder
die Beweglichkeit: Magdalena! Das zagende Aufsetzen der Füße.
Die Landschaft, das Helldunkel.
Domkuppel zu Parma. Die ganze Entwicklung geht von hier
aus. Man denke an ältere objektive Deckenverzierung: altchristliche
Mosaiken, giotteske Fresken, noch Pinturicchio, immer ganze Figuren
in Draufsicht, nicht vom Subjekt orientiert, dem die Figuren so er-
scheinen könnten. Zuerst bei Mantegna im Castello di Corte zu
Mantua: Putten mit Jagdgeräten. Untersicht, Beine und Gesäße zu
sehen (nicht objektive Draufsicht). Die schreitenden Apostel ver-
kürzt, mit lebhaften Gebärden, ihre Füße absichtlich verborgen.
Gegensatz zu Michelangelo, der äußere Ruhe anstrebt, Correggio
dagegen um jeden Preis Ortsveränderung, daher konnte er kein
Architekt sein.
Wien, Hofmuseum. Ganymed: ein Engel aus einer der
Parmeser Kuppeln (daher von Ricci und Thode die Echtheit des
Wiener Bildes angezweifelt), bei Rcmbrandt weinend, weil Lachen
ihm nicht am Platze schien, sondern das entgegengesetzte Gefühl ;
bei Correggio vergnügt schauend. Er schwebt vom Adler getragen
in den Lüften. Unten die Erde: weite Landschaft, von links nach
rechts absinkende Täler (also keine Horizontale), in der Ecke links
ein Hund dem Knaben nachschauend, nur im oberen Teile (ohne
Beine) sichtbar, im äußersten Vordergrunde; dahinter ein Baumstrunk
und nun dahinter gestufte Landschaft. Schon drei Gründe vorgebildet:
braun, grün. blau. Luftperspektive. Am Knaben entzückende Linien
von hinreißender Grazie ganz scharf und klar und doch nicht hart.
Dann ein wunderbares Helldunkel im Nackten. Bewegt ist der Adler.
ruhig der Knabe, aber alle seine Glieder sind aus der Ordnung.
Packend raumwahr.
Ähnlich lo ebenda: höchstes sinnliches Begehren und zugleich
Hingabe rein künstlerisch gelöst, ohne Spur von Frivolität. Dazu war
die Mythologie willkommen; auch darin ist er wegweisend gewesen.
Bei den Barockmalern wie bei Correggio werden wir immer religiöse
und mythologische Bilder finden: religiöse Ekstase und sinnliche
Ekstase. Dagegen kein Porträt, weder bei Michelangelo noch bei
Correggio.
— 55 -
Michelangelos Leistung im Profanbau. Notwendig vor-
erst die Orientierung, was Michelangelo vorgefunden hat, wie weit
die Hochrenaissance hierin gelangt war. Hier ist ein weiteres Aus-
greifen unvermeidlich, weil Geschichte der mittelalterlichen und
Renaissancebaukunst in Italien nicht gelesen wird. In aller Kürze
will ich die Entwicklung skizzieren. Es handelt sich um den privaten
Wohnhausbau, aus dem dann der monumentale Privatpalast und der
öffentliche Monumentalbau profaner Bestimmung (Rathaus, Theater etc.)
erwachsen ist. Im Gegensätze dazu steht seit dem Mittelalter der
Kirchenbau, und das ist selbst bis auf den heutigen Tag geblieben.
Im Altertum war die Kluft zwischen Tempel (Gotteshaus) und
profanem Monumentalbau keine so große. Sie begann wesentlich
erst in der römischen Kaiserzeit sich aufzutun, namentlich mit dem
Siege des Christentums. Daher hat der profane Monumentalbau im
Altertum wesentlich die Formen des Tempelbaues gebraucht. Wir
haben daher erst von der römischen Kaiserzeit an das antike Privat-
haus in Betracht zu ziehen. Mittel dazu sind vorhanden: namentlich
Pompeji.
Das Wesentliche ist: dem antiken Privathaus mangelt gerade
dasjenige, was heule die Hauptsache ist, die Fassade. Das antike
Privathaus schließt sich nach außen nach Möglichkeit ab, es hat
keine Fenster; nur nackte Mauern sehen wir in Pompeji. Eine
Gliederung, also Architektur in höherem Sinne entfaltet sich erst
im Inneren, und auch da nicht in den einzelnen Gemächern, sondern
in dem Raum, der den Zugang vermittelt, im Atrium, im Hofe. Das
Wesentliche im pompejanischen Haus ist das Atrium (Peristyl):
viereckiger Hof, von Säuleuportiken begrenzt, oben offen, also kein
geschlossener Innenraum; künstlerisch wirken nur die vier Ebenen,
welche die vier Säulenhallen bilden; Reihen von Säulen (geschlossene
Einzelformen als Höherepräsentanten) mit geradem Gebälk darüber
(Repräsentant der Breite, materielle Dimension); was dahinter lag,
war künstlerisch irrelevant. Dahinter die Gemächer, auch vorne
offen, mit Vorhängen verschließbar. Also der älteste Profanbau,
von dem wir auszugehen haben, ist ein Hofbau gewesen. (Der
Monumentalbau, der auch das Äußere gegliedert hat, hat sozu-
sagen Atrien nach außen verlegt: Pcripteros). Auch der Monumental-
bau hat keine Fenster oder Seitenlichter, sondern hypäthrale Ober-
- 56 -
lichter Natürlich hat es für bestimmte Notzwecke seit jeher
heilster gegeben, wie auch Bogenwölbungen : und doch gilt als
unumstößlich, daß die klassische Antike nur das gerade Gebälk
gebraucht hat (wo immer sie den Bogen entbehren konnte». Am
frühesten scheint das Fenster in den Monumentalbau an öffent-
lichen Gebäuden ohne monumentalen Zweck eingedrungen zu sein,
namentlich an Marktbasiliken, die auch Höfe sind, aber überdeckte
Höfe, für die man Seitenlicht brauchte. Die Fassade war erst mit
Fenstern möglich, die eine Verbindung zwischen Innerem und
Äußerem herstellten. Das Vorhandensein eines Innenraumes mußte
am Monumentalbau öffentlich einbekannt werden. Wann ist das
geschehen? Das Pantheon aus Hadrians Zeit hat noch keine Fenster.
Minerva Medica (aus dem 3. Jahrhundert?) hat sie schon systematisch
durchgeführt. Basiliken und andere Profangebäude nichtmonumentaler
Art waren schon etwas früher vorangegangen; vermutlich gehen
die Anfänge bis in die Diadochenzeit zurück.
Also spätestens vom Beginne der christlichen Zeit an haben wir
neben dem ältesten Element des Profanbaues: dem Hof, ein zweites:
die Fassade. Nun laufen beide nebeneinander her, bis auf den
heutigen Tag, aber der Hof verliert von Tag zu Tag an Terrain.
Heute hat er seine Bedeutung ziemlich verloren; in kleinen Häusern
nimmt er überflüssigen Raum ein (Lichthof, daher zu klein für
künstlerische Wirkung), in großen ist er zu groß für künstlerische
Wirkung. Man vergleiche die Wirkung der Sapicnza dagegen. Säulen-
hüfe müssen noch viel kleiner sein, um zu wirken, die Säule ist
ein nahsichtiges Element, das für sich selbst betrachtet sein will,
auch wenn die Interkolumnien dazwischen optisch mitwirken sollen;
beim Pfeiler sieht man eher vom Einzelnen hinweg auf das Ganze.
Aber immerhin hat der Hof die Bedeutung, die er in der
Antike besaß, noch lange beibehalten; die Verdrängung erfolgte
erst allmählich. Wir haben daher das ganze Mittelalter hindurch mit
Hallcuhöfen zu rechnen und auch noch in der Renaissance. Die Be-
deutung der Barockzeit ruht größtenteils darin, daß zum ersten Male
die Fassade entschiedenes Übergewicht über den Hof erhält. Daher
müssen wir den Hofbau immerhin in Betracht ziehen, und zwar an
erster Stelle, weil er der ältere ist; wenigstens bis zu dem Punkte,
wo er mit der Fassade zusammenfließt. Ausgangspunkt war also das
- 57 -
Atrium des antiken Privathauses. Von der Entwicklung im Mittel-
alter sei nur so viel gesagt, daß es infolge des geschlossenen Städte-
baues und aus ästhetischem Hochdrange (den auch die Italiener bis
zu einem gewissen Grade geteilt haben) zur Obereinandertürmung
mehrerer Hallen gekommen ist: der Stockwerkbau ist aufgekommen
Schon die Antike hat ihn gekannt: die Verbindung der Stockwerke
scheint namentlich durch Freitreppen hergestellt gewesen zu sein.
Jedenfalls hat sich ein antiker mehrstöckiger Hallcnhof nicht erhalten.
Aber die Emporen in altchristlichen Kirchen, namentlich in orienta-
lischen, geben uns Beispiele von zwei solchen Hallen, in vereinzelten
Fällen, wie in Saloniki, sogar eine dritte eingeblendete Halle, frei-
lich nicht ringsum laufend, höchstens auf drei Seiten. Wir können
einfach tagen, daß der Hofhallenbau in Profangebäuden des Mittel-
alters parallel gegangen ist mit dem Emporenbau in Kirchen (Kreuz-
gangbau in Klöstern?), und wenden uns zur italienischen Renaissance,
zunächst zum 15. Jahrhundert. Die Renaissance strebt nach har-
monischem Ausgleich überall: Einheit der Gliederung, an Fassade
wie im Hof. Also hat sie auch den Hallcnhof in diesem Sinne aus-
gebildet.
Florentiner Frührenaissancc. Zwei Extreme waren im
Mittelalter nebeneinander gewesen: Massivität im ganzen und Zier-
lichkeit im einzelnen. Extremer Drang in die Höhe, bei schwerstem
Eindruck der rohen Materialität: Drang in die Breite. In den Höfen
äußerte es sich einerseits in schwerfälligen Pfeilern, anderseits in
aufstrebenden Spitzbogen mit ihrem Stabwerk und Maßwerk. Die
Florentiner machen daraus schlanke Säulen und mehr an die Breite
erinnernde Rundbogen. Im obersten Stockwerk gerne gerades Gebälk
zum horizontalen Abschluß, statt unbegrenzten Hochdranges der
Gotik. Hie und da schon das mittlere Stockwerk geschlossen, als
Dominante. Diese Säulenportikcn sind Ebenen, wie die antiken Atrien,
aber schon mit Andeutung der Tiefräumlichkeit. Denn sie tragen
Bogen, seit Diocletians Bauten in Spalato, Anfang des 4. Jahrhunderts,
nachgewiesen. Der Bogen aber erklärt sich nicht aus Höhe und Breite wie
Säule und Gebälk, sondern er setzt innere Strukturkräfte voraus: die
Mauer. Darin ruht der unüberbrückbare Unterschied zwischen Renais-
sance und Antike, selbst dort, wo sie anscheinend einander beinahe
berühren. i Die Intcrkolumnien sind nicht Rclicfgrund. wie am Peripteros.
- 58 —
sondern freier Raum, wie schon seit spätrümischcr Zeit.) Die Florentiner
haben den Bogen niemals aufgegeben.
Römische Höfe. Die Florentiner heiteren Säulcnhöfc wollten
.ich in Rom nicht recht einbürgern. Palazzo Venezia. Für Paul II.
gebaut, zirka 1470, nicht Säulenhalle, sondern Pfeilerhalle. Nur
vorgesetzte Halbsäulen. direkt entlehnt von den altrüinischcn
Theatern; unteres Geschoß schlanker, oberes schwerer, gedrückter.
Wo ist der Effekt der Pfeiler? Weniger freier Zwischenraum, relativ
mehr Geschlossenheit, Annäherung an die Fassade. Dann durch
ausladende Halbsäulen mehr Schattenwirkung. Charakteristisch für
ilie römische Auffassung. Hof der Cancellcria, lange dem
Bramante zugeschrieben; unter Sixtus V. für Kardinal Raffael Riario
gebaut. Dreigeschossiger Hof. Führt das florentinische Säulensystem
ein, aber etwas ernster; in den Ecken Pfeiler statt der florentinischen
Säulen; die Säulenschäfte antik, aus S. Lorenzo in Damaso; das
dritte Geschoß ist geschlossen, mit Pilastern besetzt und von zwei
Reihen Fenstern durchbrochen, also fassadenmäßig behandelt.
Die weiteren Etappen bezeichnet Bramante, von dem an
sich die weitere Entwicklung teilt: 1. in die römische, vertreten
durch den jüngeren Antonio da San Gallo und an diesen unmittelbar
sich anschließend an einem und demselben Bau Michelangelo; 2. in
die oberitalienische, wo umgekehrt die Eassaden nach Hofart
aufgeschlossen werden. Auch hier Zusammenhang mit der Fassade.
Da diese Höfe schon in unverkennbarem Bezug zur Entwicklung des
Fassadenbaues stehen, so müssen sie zusammen mit den bezüglichen
Fassaden besprochen werden.
Es wurde schon gesagt, daß der Hof allmählich verschwindet,
wenigstens in seiner kunsthistorischen Bedeutung. An seine Stelle
treten andere Räume, die zwischen außen und innen vermitteln,
aber von geringer Bedeutung sind. 1. Das Vestibül, in der Regel
eine Durchfahrt (früher schmale Korridore ohne architektonischen
Charakter), mehrschiffige Halle, die erste bedeutende dort, wo der
Hof zum ersten Male mit Bewußtsein größtenteils geschlossen wird:
im Palazzo Farnese, wahrscheinlich vom jüngeren Antonio da San Gallo.
2. Das Treppenhaus, eigentlich ein allseitig zugemauerter Hof.
Schon früher gab es Treppen: Freitreppen seit der Antike. Dann
Wendeltreppen, öfter in eigenen Türnichen, im Norden sogar archi-
- 59 -
tektonisch ausgebildet: aber auch Wendeltreppen sind ohne rechte
monumentale Wirkung, weil nur in kleinen Abschnitten sichtbar
Jetzt, wo Halle und Hof zurücktritt, dazu Fenster den Zutritt zu
den Gemächern vermittelt hatten, bilden sie sich aus, nebst den
Korridoren; mit mehrfachen Absätzen, in einem Zug oder Doppel-
treppen in symmetrischem Aufstieg. Ein eigenes Element, grundwichtig
für die ganze Wirkung wurden sie in Genua, in der frühen Barock-
zeit, in Verbindung mit den Höfen. In Rom aber, im strengen
Barock überhaupt, sind sie geschlossen: eine der ersten wiederum
im Palazzo Farncse; letztes berühmtes Beispiel im Palazzo
Braschi.
Die Fassade ist eine Wand, die uns zugleich verrät, daß hinter
ihr ein Raum ist. der sich in die Tiefe dehnt. I. „Hinter ihr ein
Raum ist"; die antike Monumentalaußcnwand hat das nicht verraten,
sondern grundsätzlich verhehlt, denn sie hatte keine Fenster. Die Tür
war ein notwendiges Übel, nur bescheiden behandelt. Das „Portal"
kennt erst die neuere Kunst, die Fassadenkunst. Name Fassade: Face,
Gesicht, Spiegel der Seele: wie kein Gesicht ohne Auge, so keine
Fassade ohne Fenster. 2. „Ein Raum, der sich in die Tiefe dehnt", der
Anfang und Ende hat. der eine bestimmte Tiefenrichtung einschlägt:
also ein Langbau. Auch der Zentralbau birgt einen inneren Tiefraum.
der sich durch Fenster verraten darf, aber dieser ist ebenso lang
als breit, hat keine Richtung oder vielmehr alle denkbaren Richtungen
zugleich. Sein Anfang liegt im Zentrum, unsichtbar nach außen, und
bezeichnet durch die Spitze der Kuppel darüber. Der Zentralbau hat
keine Fassade, denn er hat keinen Anfang (wo sie sich dennoch findet,
ist sie ein äußeres Hinzugefügtes, z. B. an der Karlskirche in Wien;
freilich ist dieser Fall nicht selten, wegen der Neigung der Modernen
zum Langbau). Die Fassade verrät, daß etwas dahinter ist. Die antike
klassische Baukunst hatte keine Fassade, sie war in sich abgeschlossen,
wollte an nichts Unsichtbares erinnern. Die Fassade erinnert an
etwas, was nicht gleichzeitig sichtbar und noch weniger tastbar ist.
Die Fassade ist von Haus aus ein „malerisches" optisches Element.
Da die Antike keine Fassade gekannt hat, so haben wir nach antiken
Fassaden nicht zu fragen. Erst in der römischen Kaiserzeit mögen
sie sich allmählich ausgebildet haben, aber es ist keine erhalten.
In der Barockzeit soll allerdings eine vorhanden gewesen sein, da
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stand noch der Sonnentempel des Aurelian auf dem Quirinal, jetzt
längst demoliert. Canina II. 50 gibt vom rückwärtigen Teil eine
Fassade, wie sie seinerzeit noch zu sehen war: mehrere Geschosse
übereinander, durch horizontale Gesimse getrennt, in der Mitte aber
eine offene Loggia, die an den venezianischen Palastbau erinnert.
Keine vertikalen Elemente: Halbsäulen oder Pilastcr. Das wäre ein
Bau aus der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. Freilich eine
vereinzelte, jetzt unkontrollierbare Ausnahme. Ein antiker Bau. der
aber gewöhnlich in die Franken- oder Longobardcnzcit gerückt wird,
ist der Palazzo delle Torri in Turin. Schnaasc hat schon gegen
solche Datierung Bedenken gehabt; ich setze ihn in das 3. oder
4. Jahrhundert. Mehrgeschossiger Bau, durch horizontale Gesimse und
durch vertikale Pilaster gegliedert, die I enster auch in sehr fein-
sinnig harmonischen Verhältnissen eingesetzt. Würde einem Baumeister
der Frührenaissance alle Ehre gemacht haben.
Die Entwicklung im Mittelalter kennzeichnet sich für Italien
durch ein stetes Festhalten an der Symmetrie: die Fenster (die als
Tiefraumverräter den Begriff der Fassade zum wesentlichen Teile
ausmachen, Augen des Gesichtes) stehen in gleichmäßigen Reihen
nebeneinander und untereinander, wogegen im Norden häufig ver-
stoßen wurde. Damit ist der Eindruck der gesetzmäßigen objektiven
Ebene festgehalten. Aber die Proportionen wurden nicht beachtet:
Verhältnis der Geschosse zum Ganzen, der Fenster zu den Geschossen.
Einmal waren zu viel Fensteröffnungen, ein andermal zu viel Mauer
izu viel Höhe, zu viel Breite). Die italienische Frührenaissance im
15. Jahrhundert hat nun Höhe und Breite in das richtige Verhältnis
zu bringen, auszugleichen getrachtet; der Bau soll solide lasten.
Stabilität verkünden, aber auch Aufschwung, Tendenz zum Aufstreben
verraten. Das betraf also hauptsächlich Höhe und Breite. Die Fenster
wurden nur nach diesen beiden Dimensionen verändert; in der Tiefe
änderte sich zunächst nichts, sie wurde durch die Fensterdurchbrechungen
angedeutet; ein unbegrenzter Tiefraum, der nicht künstlerisch geformt
abgegrenzt wurde; dann die Rustika. Die Fassade blieb eine reine
Ebene, aus der nichts vorsprang, um die Tiefe anzuzeigen.
Palazzo Pitti von BruncIIcsco. Am Anfange gleich ein Wurf,
wie Masaccios Fresken in der Malerei; im ganzen Quattrocento in seiner
Art nicht mehr übertroffen. Mit Wand und Fensteröffnungen darin will
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er Harmonie von Höhe und Breite geben: drei Geschosse aus Rustika,
das obere niedriger und in feinerer Rustika gehalten; das unterste
am wenigsten durchbrochen, das Erdgeschoß also als Sockel be-
handelt (die Parterrefenster mit Rahmen und Giebeln später im
lö. Jahrhundert eingesetzt); die beiden oberen reicher, und zwar
mit großen Rundbogenfenstern ohne alle Unterteilung, in gemessenen
Abständen, nicht allzu dicht. Die Abstufung der Stockwerke erregt
vor allem den Eindruck größter solidester Stabilität, die Bogen-
fenster aber streben in die Höhe empor. Überdies ist das oberste
Stockwerk minder breit und erhöht damit den Eindruck des erfolg-
reichen Aufstrebens, aber genau in Proportion zur Masse. Endlich fehlt
noch ein abschließendes Kranzgesims, das zugleich aus der Tiefe
ausladet, aber auch das Ausstrahlen in einen Zinnenkranz. Die Fenster
haben keine Rahmen, noch keine Ticfcnprofilierung, nur in der Ebene,
wie im Mittelalter gleich dem Maßwerk. Dagegen wirkt die Rustik;:
im Sinne der Tiefenerstreckung der Mauer, weil die rohen Blöcke
Schatten werfen.
Die späteren Palazzo Strozzi (Bencdctto da Majano und
Cronaca), Riccardi (Michelozzo) sind zurück, weil sie mit
Maßwerk unterteilte Fenster haben, vorgeschritten durch horizontalen
zusammenfassenden oberen Abschluß, Strozzi überdies durch ein
zentrales Portal: maßvolle Subordination. Palazzo Strozzi bedeutet
überhaupt die Krönung des Altflorentincr Palastbaues.
Palazzo Rucellai (L. B. Albert i? Bern. Rosseil in o?). Ist eher
eine Kuriosität, weil ein Versuch, Pilaster einzuführen neben Rustika und
Maßwerkfenstern. Erster Versuch, abgeschlossene geformte Repräsen-
tanten der Tiefe mit Pilastern hineinzubringen. Repräsentanten dei
formlosen Tiefe. Sieht wunderlich aus und wurde auch fast nicht nach-
geahmt. Pilaster sind selbst ausladend und gehören nur vor die glatte
Wand; die Rustika, wenn nicht sehr maßvoll, macht ihnen Kon-
kurrenz, Pilaster und Rustika schlagen einander wechselseitig in der
Wirkung. Dann liegt das Maßwerk in der Ebene und ist ein Widci-
spruch zum Pilaster. Zu diesem gehört ein ausladendes Rahmenwerk.
Das Kranzgesims ist nur für den obersten Stock ein Abschluß: maß-
volle Subordination.
In Rom wurde zirka 1464 der Palazzo Venezia für den
Venezianer Paul II. von unbekanntem Meister erbaut, man glaubt von
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einem Florentiner. Einerseits noch geradezu mittelalterlich mit seinem
Zinnenkranz — kein Breitenabschluß nach oben, sondern Ausstrahlen in
die 1 lohe und seinem finsteren, festungsartigen Aussehen, anderes
Extrem der rohen Materialität. Anderseits aber schon vorgeschrittener
als alle Florentiner Quattrocentopaläste, weil schon mit ausladenden
erprofilen versehen, ohne alles Maßwerk und ohne Rustika,
obzwar diese zu dem düsteren Zinnenbau gepaßt hätte. Drei hori-
zontale Geschosse, nach oben verjüngt, nicht in gefälligen Verhält-
nissen. Die Fensterformen wechselnd, vier im Erdgeschoß rundbogig,
im Mittelgeschoß viereckig mit Steinkreuz, was der gotische Profan-
bau namentlich im Norden überall hatte. Das Wichtige sind aber die
ausladenden Abschlußgesimse über den Fenstern, die sich auch im
obersten Geschoß wiederholen. Ebenso an den Türen. Auch die
Gewände der Rundbogenfenster erhalten schon Ausladungen an dem
Rahmen, nicht mehr die Stabwerkprofilierungen in den Laibungen
wie im mittelalterlichen Bogenfenster. Also deutliche Tendenz auf
ausladende, schattenwerfende, tiefraumandeutende Behandlung der
Wandflächen, charakteristisch römisch. Derselbe römische Palazzo
hat die besprochenen Pfeilerarkaden im Hof. Die Loggia über dem
Portal aus späterer Zeit.
Cancelleria. Echter Hochrenaissanceversuch der Ausgleichung
von Höhe, Breite und Tiefe an geformten Elementen. Die Tiefe
noch das Schüchternste. Enthält Eigentümlichkeiten, bezeichnend für
die Entwicklungsstufe, zum Teil aber ohne besondere Nachfolge.
Ungeheuere Länge der Front. Die Heraushebung des Mittclgcschosses
wirkt subordinierend in der Höhe; aber das Portal liegt nicht in der
Mitte, weil die Kirche S. Lorenzo in Damaso mit eingebaut ist
i Portal des Palastes von Dom. Fontana, 100 Jahre später; Portal der
Kirche von Vignola). Die Risalite daher angebracht, zur Subordi-
nierung in der Breite.
Die wichtigen Neuerungen sind folgende: 1. Rustika dient nur
zum Breitenausdruck, ist Elorizontalclcmcnt geworden; also diese
äußerliche Charakterisierung der Mauer als tiefräumlich tritt nun zurück.
2. Die Fenster haben kein Maßwerk, aber dafür vorspringende
schattende Rahmen. Die Bedeutung des Fensters als bloße Durch-
brechung tritt zurück, die Bedeutung der Mauer als von innen
heraus wirksam nimmt zu.
3. Die Fenster werden von der Rundform zur Viereckform
übergeführt, im mittleren Geschoß mittels Kopfrahmen. Es ist der
Übergang von äußerer Bewegung zu äußerer Ruhe. Das Schwer-
gewicht, die Materie, das der Bewegung entgegenwirkt, wächst. Der
gerade Abschluß wirkt etwa im Sinne der materiellen Breite, lastend.
4. Pilaster werden im mittleren und obersten Geschoß ange-
setzt, in der rhythmischen Travee nach dem goldenen Schnitt. Doppcl-
pilastcr. aber mit Abstand dazwischen. Die Folge ist die Ver-
minderung der Fensterdurchbrcchungcu. Überhaupt wird jetzt die
Wand die sichtbare Hauptsache; bei den Maßwerkfenstern sah man
mehr die Durchbrechungen.
5. Die Ecken treten als Risalite vor halben Pilastern aus dem
Räume vor. Allerdings sehr mäßig. Brechnung der Ebene! Auch
das Kranzgesims verkröpft sich entsprechend.
Gesamtrcsultat: Steigerung der Höhe: Doppelpilaster; Steige-
rung der Breite: Horizontalrustika und Gesimse, auch an Fenstern;
aber auch Steigerung der Tiefe: ausladende Profile an Fenstern der
Risalite. Steigerung, aber in Harmonie, nicht in Konflikt. Für unser
Empfinden eher zu wenig Tiefe.
Palazzo Giraud ist eine Wiederholung der Cancelleria im
kleinen. Zentralisierter, aber ohne Risalite, weil das Portal in die
Mitte kommen konnte und Subordination ergab. Das Portal auch
hier später, wenn auch für diese Stelle von Anfang an berechnet.
Donato Bramante. Seine Tätigkeit in der Lombardei haben
wir nicht zu berücksichtigen, nur seine sogenannte ultima maniera,
die er in Rom entfaltet hat und worin er der Hauptmeister der
italienischen Hochrenaissance geworden ist; das Wesentliche dabei
ist eine Steigerung des Ticfencindruckes durch geformte Ausladungen,
aber nicht über die harmonische Grenze hinaus, ohne Konflikt mit
Höhe und Breite. Nach Rom kam er 1499, dort ist er 1514 ge-
storben. Gewöhnlich wird seine Tätigkeit für den Kirchenbau auf das
höchste geschätzt, wo er eine maßvolle Subordination im Zentral-
bau durchgeführt hat. Davon später die Rede. Jetzt ist nur seine Tätig-
keit für den Profanbau zu untersuchen. Er war sowohl für Fassaden
als für den Hofbau tätig. Erhalten haben sich nur zwei Höfe, von seinen
Palastfassaden keine; aber eine in Aufnahme von Palladio, die uns
Genügendes sagt. Die beiden Höfe repräsentieren beide Richtungen.
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die von ihm ausgehen: die römische, die auf Schließung der Höfe
hinläuft, die oberitalienische auf Offenhaltung; wie er selbst, ein
Urbinatc, aus Oberitalien kommend, in Rom sich niedergelassen hat,
Oberitalienisches und Römisches in sich vereinigt. Die romische
Variante vertritt sein großer vatikanischer Hof mit der großen
Nische. Er sollte die auseinanderliegenden Teile des Vatikans ver-
binden; die sistinischen und borgiaschen Bauten einerseits, das Bcl-
vedere Innocenz' VIII. anderseits. Es entstanden zwei Höfe: der kleinere.
Cortile di S. Damaso, mit den Loggien: er erhebt heute keinen
Anspruch, uns Bramantes Kunstwollen deutlich zu vergegenwärtigen;
und der große Hof, der im unteren Teil (gegen S. Peter) mit
amphitheatralischen Stufen versehen war, dann mittels Treppen und
Rampen in einen oberen Teil überging, der endlich oben in der
Mitte mit einer in ungeheueren Verhältnissen entworfenen Nische
abschloß.
Das Ganze war das Zentrum des heiteren prächtigen Wohnsitzes
eines weltlichen Territorialherrn, also nur unter einem Renaissancc-
papst denkbar, unter Julius II. Um die Mitte des Jahrhunderts war er
schon zwecklos geworden, übrigens nie ganz ausgebaut, jetzt zum
Teil arg umgestaltet und mißhandelt. Der erste gegenreformatorische
Papst, der wieder gebaut hat. Sixtus V.. durchschnitt den Hof
mit der Bibliothek und schuf dadurch zwei Höfe: Cortile del Bel-
vedere und Giardino della Pigna. Um 1800 kam dann noch der
Braccio nuovo für die vatikanische Skulpturensammlung hinzu.
Ein so ungeheuerer Hof konnte gar kein Säulenhof sein. An
der Abschlußwand mit der Nische zwei Geschosse, das untere eine
Arkadenhalle, das obere geschlossen. Aber auch das untere nicht
einmal mehr Pfeilerhalle (der Hof war schon zu groß, um damit zu
wirken, geschweige mit Säulen), sondern es sind Mauerteile, die die
Stelle von Pfeilern vertreten. Jeder Mauerteil nach der rhythmischen
Travcc behandelt, mit zwei Pilastern. dazwischen eine aufstrebende
halbrunde Nische und darüber ein eingeblendetes Mauerquadrat (also
Vorläufer Michelangelos, indem schon der Mauerkern mitspricht, aber
ohne Konflikt). Der Fries samt Gebälk über den Doppelpilastem
kröpft sich leicht vor, auch darin Vorläufer Michelangelos. Die Bogen
sind jetzt zugemauert, das Ganze auch durch eingebrochene Fenster
sehr entstellt. Das Untergeschoß aufstrebend, hier vollendete Harmonie
- 65 -
zwischen Höhe, Breite und Tiefe. Die Pilaster schon starker und
kräftiger ausladend. Das Obergeschoß niedriger, lastender, weil es oben
abschließt in der Breite. Wieder mit rhythmischer Travee, ohne Bogen,
nur je ein viereckiges Fenster dazwischen. Keine Verkröpfung über
den Doppclpilastern. Also unten mäßige allgemeine Bewegung nach
aufwärts und vorwärts, Höhe und Tiefe. Oben nahezu Ruhe, ver-
hältnismäßiges Überwiegen der Breite. Hat man sich in diese Ver-
hältnisse einmal hineingesehen, so erscheinen sie einem als unver-
änderlich, ewig. Daher Norm bei Burckhardt und anderen. Schade,
daß er jetzt so vielfach entstellt ist.
Die abschließende Nische (der Nicchionc) ein besonders gran-
dioses Motiv, schon an und für sich ein fernsichtiges Motiv, in seinen
Dimensionen nur aus einem größeren Ganzen und aus Fernsicht
verständlich. Bei Michelangelo auch dies gesteigert. Die halbrunde
Wandung der Nische ist in zwei Geschosse geteilt durch starke
Gesimse, die aber nicht von Pilastern getragen werden. Die Mauer
modelliert sich aus sich selbst heraus in vorstrebenden Streifen;
unten, wo sie am breitesten sind, schlitzen sie sich in zwei halbe
Streifen. Das ist schon so im Geiste Michelangelos, daß man die
Meinung ausgesprochen hat, die Nische wäre gar nicht mehr nach
Bramantes Ideen ausgeführt. Man erwartete eine vorgeblcndctc Säulen-
halle vor der halbrunden Nischenwand. Die Halbkuppel ist geschaffen
aus dem gleichen Geiste wie der Kuppelbau von S. Peter, wie ihn
Bramante sich gedacht hat. Fenster darin, die ins Dunkle führen,
also Blendfenster. Gliedernde ausladende Mauerstreifen, nicht Flächen
allein. Auch außen an den Zwickeln Maucrschlitze. Die Bekrönung
der Nische bildet eine halbkreisförmige Kolonnade mit zwei Front-
giebelhallen. (Unten davor eine Freitreppe mit der Antoninusbasis
und der Pigna.) Das kunsthistorisch Bemerkenswerteste ist nun der
Gedanke der Einfügung eines höchst monumentalen Motives in einen
Profanbau, mit bestimmter Fassadenwirkung im Hof. Schon Burck-
hardt hat es ausgesprochen, daß diese Nische den feierlichsten Ein-
gang zu dem größten Paläste der Welt bilden könnte. In seiner
jetzigen Lage ist er aber verborgen und unbeachtet, sinnlos.
Einen oberitalienischcn Hof dagegen hat das Kloster von
S. Maria della Pace in Rom. Zwei Geschosse. Unten Pfcilcrarkaden,
hoch hinaufsteigend, also wenig schließende Zwickel, mit vorgesetzten
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrli. 5
- 66 -
Pilastcrn, nicht Halbsäulen; weil er hier die Intcrkolumnien nicht ganz
übertönen will. Darüber ein Geschoß mit geradem Gebälk (wegen
des Abschlusses), offen, mit Säulen zwischen je zwei Pfeilern; erinnert
geradezu an mittelalterliche Stützenwechsel. Reiche Abwechslung,
alles Detail mit großer Liebe gearbeitet. Also es wirken die Stützen
mitsamt den schattenden Intcrkolumnien (ungeformter Tiefraum);
die ausladenden Glieder treten zurück. Das war möglich in diesem
kleinen Klostcrhof; im großen vatikanischen Hof war also neben
den geschlossenen Teilen auch auf die optische Wirkung der Durch-
brechungen gerechnet.
Wohnhaus Bramantes, später Raffaels, Sterbehaus beider.
Nächst S. Peter. Längst demoliert. Von Palladio skizziert, unter
seinen Handzeichnungen in Chiswick Castle von Geymüllcr entdeckt.
Vier Geschosse, als zwei behandelt, zwei Mezzanine, ganz versteckt.
Er vermeidet eine größere Zahl, weil um so strengere Subordination
nötig wäre; er will sie aber nur maßvoll. Die zwei Geschosse streng
getrennt, das untere ein solider Sockel, aber mit hochaufstreben-
den Arkaden; das höhere aufstrebend, aber durch das Gesims
darüber doch niedergehalten. Die Dominante ist keine erdrückende.
Unten Rustika, in lauter Rundbogen geöffnet: eigentlich Hofhallc
oder Loggia. Aber unterteilt mit geradem Sturz, wodurch Mezzanin-
fenstcr entstehen. Im Obergeschoß doppelte Halbsäulen, schon enger
als in der rhythmischen Travee, aber doch noch mit Spielraum da-
zwischen; drei Fenster mit schattenden Giebeln auf Stützen, nach dem
Vorbild der Panthconaltäre, aber auf Gesimsen stehend, also noch
selbständig. Tendenz auch hier, die Mauer zu beseitigen. Oberes
Mezzanin in den Metopen des Triglyphenfriescs verborgen. Also
überall stärkere Bewegung: vorwärts (Halbsäulcn, Fensterrahmen»,
aufwärts (enggcstellte doppelte Halbsäulen, Rundbogen), Breite (Fries
und Gesims).
Also auch hierin unmittelbarer Vorläufer Michelangelos. Nach
Bramante spaltet sich die Entwicklung der italienischen Baukunst in
zwei Richtungen. Die eine möchte am gewonnenen Ausgleich fest-
halten: man nennt sie daher die Spätrenaissance; sie möchte die
Wand plastisch beleben, also einen verstärkten Ticfcncindruck her-
vorrufen, aber ohne mit den Ebendimensionen Höhe und Breite in
Konflikt zu geraten. Wo dies aber nicht angeht, dort räumt sie die
- 67 -
Wand einfach hinweg und läßt die ungcformte Tiefe, die absolute
Fensteröffnung in optisch-koloristischer Weise wirken (Sie berührt
sich hierin also im Konstruktivsinne mit der Gotik.) Diese Richtung
verläuft folgendermaßen (Geymüllcr hat diese Richtung speziell
verfolgt): sie geht zunächst von Bramante auf seinen Schüler und
Landsmann Raffael über. Durch Raffael und seine Schüler erhält sie
sich in Rom eine Zeitlang, dann aber kann sie sich hier neben der
spezifisch römischen Richtung des Michelangelo nicht länger halten
und wandert nach Oberitalien, wo sie, zum Teil in neuem Geiste,
bis ins 18. Jahrhundert weiterlebt und vom Klassizismus neu auf-
gegriffen wird. Palazzo Vidoni ist nur eine Kopie nach dem Wohn-
haus des Bramante.
Villa Farnesina strittig, ob nicht dem Peruzzi gehörig,
als Villa nur von sekundärer Bedeutung. Mitteltrakt zwischen zwei
Risaliten, was schon an Innocenz' VIII. Belvedere vorgebildet
war; an einer Villa eher angängig, an einem Palazzo nicht — der
gemessene repräsentative Palazzo verträgt keine so ungezwungene
Bewegung — daher die Cancelleria so wichtig. Palastrisalite im allge-
meinen erst im 17. Jahrhundert: zweigeschossig, mit verhehlten
Mezzaninen. Der Mitteltrakt unten ganz durchbrochen von einer
Pfeilerloggia: kleine Zwickel, weil die Arkaden bis hinauf reichen
an das Gebälk, also die Hofhalle auf die Fassade übertragen. Die ge-
schlossenen Teile mit Pilastern belegt wie in der Frührenaissance,
mit Fenstern ohne starke Tiefenentfaltung dazwischen. Mezzanine
verhehlt; im Fries unter dem Kranzgesims Relieffestons. Alles leicht,
heiter, ungezwungen, selbständig, die Seiten der Mitte freimütig
untergeordnet.
Palazzo Pandolfini in Florenz. Raffael sandte einen Schüler
nach Florenz, um seinen Entwurf auszuführen. Nur eine Hälfte ganz
ausgeführt, auch die bloß im Erdgeschoß. Das Portal hätte strenge
Dominante gegeben. Zwei Geschosse, schon durch Behandlung der
Fenster auf den ersten Blick streng getrennt, wiewohl unten keine
Rustika. Unten Fenster mit starken Giebeln, alternierend rund und spitz
(relative Selbständigkeit). Vielleicht das erste Beispiel starker
Fensterrahmen (Vergleich mit den Florentiner Palästen des 15. Jahr-
hunderts!). Der ganze Rahmen an der Wand vorgequollen und bis
zum Sockel herab verkröpft, aber auf diesem am Boden aufliegend,
- 68 -
nicht auf Konsolen gesetzt, die ans der Wand herauswachsen. Das
Erdgeschoß ohne Rustika, daher viel Wandfläche (Solidität); nur die
Ecken mit Ortsteinen verziert (Abschluß mit tiefräumlicher Wirkung).
Die wechselnde Breite der Steine läßt den Umriß minder hart er-
schauen. Das Obergeschoß interessiert uns besonders: die Fenster
mit Giebelarchitektur, die fest mittels Sockeln auf dem Gesimse
ruht. Die Wand zwischen den Fenstern in lauter viereckige Blend-
fenstcr verarbeitet, die Profile, die oben die Blcndfenster abschließen,
verkröpfen sich um die Giebel der Hauptfenster: Kampf zwischen
Tiefe und Breite! Raffael geht über Bramante hinaus in der Richtung
auf Michelangelo.
Als das älteste Beispiel von Verwendung der starken Fenster-
rahmen an Profanbauten, d. h. Erklärung einer Hauswand für Fassade,
gilt bei Vasari Palazzo Bartolini in Florenz, von Baccio
d'Agnolo, aber erst im Sterbejahr Raffaels (1520) entstanden, also
später als Palazzo Pandolfini. An den Flanken härterer Umriß, das
Erdgeschoß wahrscheinlich verändert. Ein gewaltiger wagrechter Fries
darüber und ein aus der Tiefe ausladendes Kranzgesims. Gewaltiges
Rustikaportal (Subordination).
Palazzo Spada nicht von Raffael erbaut; doch nach dem
Muster des von Raffael erbauten, heute nicht mehr bestehenden
Palazzo d'Aquila. Allerdings ist hier ein drittes Geschoß dazu-
gefügt, aber davon abgesehen, erinnert er in vielem an Raffael. Das
Erdgeschoß diesmal rustiziert, die Fenster schon auf Konsolen
gesetzt, aber doch noch nicht so barocke Fincstroni wie in den
gleichzeitigen Erdgeschossen streng römischer Paläste. Das Mittel-
geschoß hat nun die ganze Wand zwischen den Fenstern plastisch
verarbeitet; die Fensterrahmen sind daher nicht so stark ausladend,
zwischen den Fenstern sind Nischen mit Figuren darin, darunter
Festons und Grotesken, dazwischen maskierte Mezzaninfenster. Man
sieht, es ist viel Abwechslung, die für sich gesehen sein will. Darin
verrät sich Raffaels Kunstweisc. Michelangelo geht auf einen einzigen,
großen Masseneffekt, der über das Einzelne hinwegzusehen zwingt. Der
Palazzo Spada bezeichnet das Gegenteil von Michelangelos Wollen,
obzwar die Wurzel dieselbe ist. Raffael hatte immer die verschiedensten
Tendenzen in seiner Hand, nicht um auszubilden, sondern um aus-
zugleichen. Hat in Rom gar keine Nachahmung gefunden. Es verrät
- 69 -
sich der auf das Zierliche ausgehende Urbinate und der Anhänger
der Renaissance, die dem Einzelnen in der Ebene recht läßt.
Aber auch das Hinwegräumen der Wandflächen findet sich bei
Raffael (wie in der Farnesina), namentlich in der Villa Madama, wo er
das sogenannte Palladiomotiv n~n angewendet hat (wahrscheinlich
schon von Bramante angewendet am Entwurf von S. Peter). Einige
andere Meister der Hochrenaissance gehören hierher, die sich speziell
an Raffael angelehnt hatten:
Baldassare Peruzzi, Palazzo Massimi alle Colonne. Die
Fassade ist konvex gekrümmt, wegen der Straße, die wieder durch
den Zirkus des Pompcius so bedingt war. Mit der Fassade war nicht
viel zu machen. Aber die schattende Säulenhalle mit geradem Ge-
bälk in der Mitte, mit ungleichen Interkolumnien — subordinierend
wirkend — verrät eine koloristische Absicht auf Öffnen der Mauer-
flächen, wo es angeht. Berühmt ist der Hof (eigentlich zwei kleine
Höfe mit schmalen dunklen Durchgängen, mit herrlichem Durch-
blick von der Straße aus, den freilich Peruzzi als solchen nicht be-
absichtigt hatte), wieder Säulen mit geradem Gebälk; einer der
malerischesten Innenräume, bestritten mit den klassischesten Mitteln.
Die Lichtabwechslungen in der Tiefe hatte Peruzzi wohl noch nicht
beabsichtigt, wohl aber diejenigen in der Ebene.
Ein anderer Schüler ist Giulio Romano. Palazzo Ciccia-
porci, Rom. Erdgeschoß Rustika, freilich abgeflacht, mit Rundbogen-
arkaden, in dem Mezzanin verhehlt gleich dem Wohnhaus Bramantes.
Im Mittelgeschoß eine Verarbeitung der Wand, aber nicht ganz so
wie am Palazzo Pandolfini; das dritte Geschoß anscheinend nicht
mehr von ihm, wegen der Form der Fenster. Giulio Romano ist nach
Oberitalien, nach Mantua gezogen. Dort hat er im Palazzo delTe
unter anderem das Palladiomotiv eingeführt: Wegräumung der Wand
durch schattende Interkolumnien. (Ein anderer Schüler Raffaels,
Picrino dcl Vaga, ging nach Genua.) In Rom war kein Boden
für diese architektonische Richtung, sondern dort, woher sie Bramante
importiert hatte, in Oberitalien. Aber nicht erst bei Palladio, schon
bei Sansovino und Sanmicheli finden sich lebhafte Anklänge daran.
Die oberitalienische Spätrenaissance kennzeichnet sich
dadurch, daß sie im Profanbau die Wand möglichst vollständig
wegzuräumen trachtet; es bleiben bloß Repräsentanten des Vcrti-
— 70 -
kalcn übrig, lieber Säulen als Pilastcr, von sehr lebhaft schattender
Ausladung, und dazwischen sind die Fensteröffnungen, hoch und
breit, die ungeformte Tiefe andeutend. Diese breiten, schattenden,
ungeformten Flächen machen das koloristische Element in dieser
oberitalienischen Baukunst aus.
In höchster Ausbildung treffen wir diesen Kolorismus in
Venedig, der Stadt der koloristischen Malerei. Die venezianische
Malerei berücksichtigt auch den unendlichen Raum als solchen, nicht
bloß in der farbigen Wirkung, rein in seiner verbindenden Existenz:
die Venezianer haben eine Landschaftsmalerei bis zu einem gewissen
Orade. Die Hauptbaumeister, die in Betracht kommen, sind folgende:
Michele Sanmicheli, namentlich in Verona tätig (gestorben
1559), noch verhältnismäßig der reservierteste, geschlossenste.
Als Festungsbaumeister baut er die Tore: z. B. Porta Nuova,
hier barockes Vortreten und Verkrüpfen, wenig Durchbrechung, aber
er weiß mit ihr ähnlich wie Brunellesco am Palazzo Pitti zu wirt-
schaften. Die Linien verleihen dem rohen Zweck- und Zwingbau
ein befreiendes, künstlerisches Aussehen. Palazzo Bevilacqua.
Vorliebe für zwei Geschosse mit verhehlten Mezzaninen. Das
Alternieren der Fensteröffnungen und der Intervalle ist schon ein
Schritt zur Subordination. Man wird gewaltsam genötigt, das
Einzelne anzuschauen, nicht zusammenzuziehen. Palazzo Canossa,
an das Wohnhaus Bramantes erinnernd, mit verhehlten Mezzaninen
in zwei Geschossen. Auch hier eigentlich keine Mauer mehr übrig,
nur Bogenzwickel über den Rundbogenfenstern. Palazzo Pompei,
jetzt Museo, schon einfacher, uniformer, immer weniger Abwechslung,
nur ein Portal in der Mitte. Zunehmende Subordination.
Jacopo Tatti, Sansovino (gestorben 1570), ein Florentiner
Künstler, hat aber den größten Teil seines Lebens, über 40 Jahre, in
Venedig zugebracht. Das Berühmteste ist die Bibliothek von
S. Marco, ein frühes Werk, seit 1536 gebaut. Zweigeschossig, nichts
als Rundbogenfenster zwischen Säulen, und auch die Zwickel ver-
kleidet durch Plastik, gelagerte Figuren. Ein Fries im Mezzanin;
sehr reiche Dekoration, also schattenwerfende Plastik und schattende
(koloristisch wirkende) Durchbrechungen nebeneinander. Als das
reichste Bauwerk der Welt berühmt. Üppigkeit der Handelsstadt!
Solche Prospekte verwendet Paolo Veronese. Hof der Universität
- 71 -
in Padua, seit 1552 gebaut. Doppclhallc ohne Bogenzwickel, mit
geradem Gebälk, wie ein antikes Atrium. Also nur koloristischer
Effekt. An einer Fassade das durchzuführen hat Jacopo Sansovino
noch nicht gewagt.
Das tat erst Andrea Palladio (gestorben 1580) am Palazzo
Chieregati in Vicenza (jetzt Museo). Mittlerer Risalit, alle Wände
vorne in Säulen mit geradem Gebälk aufgelöst, nur die Mittelpartie
im Obergeschoß geschlossen, aber mit Fenstern mit Giebelfiguren
(zur Wandverdeckung) und das Mezzanin darüber reich durch-
brochen. — Ein öffentliches Gebäude, Umbau der alten Stadthallc,
die Basilika zu Vicenza, zweigeschossig, ähnlich wie Sansovinos
Bibliothek, aber lauter Palladiomotive und weit weniger Zierwerk,
fast gar nichts rein spielend. Weit ernsterer architektonischer Sinn,
schon mehr im barocken Geiste; aber vollendet koloristisch, gerade
weil der plastische Schwulst mehr zurücktritt. Palazzo Valmarana
in Vicenza. Kolossalordnung von Komposit-Pilastern und das
gewaltige Portal geben zusammen strenge Subordination. Anderseits
auch hier Wegräumung der Wand.
In Venedig hält sich das System das ganze 17. Jahrhundert
hindurch, wie auch die Malerei stehen bleibt bei der Koloristik vom
Ende des 16. Jahrhunderts. Longhena war der Hauptarchitekt dieser
Zeit. Von ihm Palazzo Pesaro und Rezzonico: Erdgeschoß
sockelartig, wie es eben Bramantc angegeben hatte, in den beiden
Obergeschossen das System der Bibliothek von S. Marco. Nach
dem Norden wirkt anfangs des 17. Jahrhunderts die oberitalienischc
Baukunst durch Scamozzi (Dom von Salzburg, aber mit Kuppel-
system von S. Peter). Aber es siegt auch hier im katholischen Süd-
deutschland die gegenreformatorische Richtung, die von Rom aus-
gegangen ist, das strenge Barock: Jesuitenkirche in Wien, kein Zentral-
bau, sondern der einschiffige Saal des römisch-barocken Bausystems.
Wir verfolgen die römische Richtung als die im größten Teil
Italiens zur Herrschaft gelangte. Sie spaltet sich ebenfalls sofort
in zwei Richtungen: 1. Die Raffacls und seiner Genossen, die
wesentlich bei Bramante stehen bleibt, aber die Tiefenwirkung so
viel als möglich steigert; 2. die römische Richtung, die von Bramante
zum entschiedenen Bahnbrecher des Barock, Michelangelo überführt;
hier bildet den Übergang der jüngere Antonio da San Gallo,
- 72 -
gestorben 1546, an den sowohl im Profan- als Kirchenbau Michel-
angelo anknüpfen mußte; nntl zwar hat er das von San Gallo in
barockem Sinne schüchtern Begonnene überall energisch und kon-
sequent im neuen Sinne zu Lndc geführt. Ganz beglaubigt als sein
Werk ist sein Wohnhaus, jetzt Palazzo Sacchctti in der Via Giulia,
1543 erbaut. Strengere Subordination: Mittelgeschoß mit Mezzanin.
Hauptportal mit Balkon. Strenger Abschluß, nicht bloß in Höhe
i Kranzgesims) nach der Breite, sondern auch in Breite nach der
Höhe durch Eckpfeiler, allerdings nur im Erdgeschoß durchgeführt.
Kein Bogen (äußere Bewegung), kein Pilastcr. Nur viereckige
Fenster markieren I lohe und Tiefe. Die Tiefe aber schon durch starken
Schattenschlag sich äußernd. Keine besondere Trennung der Stock-
werke (durch Rustika oder Pilastcr), sondern Uniformierung. Daß
es Mauertiefe ist, verraten die Konsolen, die von innen heraus, als
Sendlinge aus der Mauer, die Gesimse tragen, namentlich an den
Finestroni des Erdgeschosses. Die schlanken Proportionen der
Fenster verraten inneren Hochdrang — der sich im Erdgeschoß
über ein Breitensims hinwegsetzt, aber überall durch die lastenden
Deckgesimse zum Stehen gebracht wird — die ausladenden Gesimse
Tiefdrang, aber noch verhalten. Die Fensterpfosten setzen noch auf
den horizontalen Gesimsen ab, es ist noch insoferne eine Verbindung
in der Ebene als Schein festgehalten. Dann die nahsichtige Schönheit
aller Details, z. B. Konsolen, es ist also noch auf das Einzelne
gesehen, trotz der Subordination. Burckhardt fand den Bau charakterlos.
Das ist richtig: es ist nicht mehr Renaissance und doch noch kein
entschiedenes barockes Wollen.
Jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Bau, dem Palazzo
Farnesc, der noch von Antonio da San Gallo begonnen und
größtenteils ausgeführt worden war. Aber die Vollendung erfolgte
nach 1546 durch Michelangelo. Man sieht daran, wie der große
Bahnbrecher des Barockstiles mit einem Ruck die Zaghaftigkeit San
Gallos abstreift und entschlossen die entscheidenden Neuerungen
zur Durchführung bringt, wenngleich sie mit den anderen, älteren
Teilen begreiflicherweise nicht ganz harmonisch übereinstimmen
konnten. Wichtig ist die Fassade, aber auch der Hof, nicht als
solcher, sondern wegen des Fassadengedankens, der darin aus-
gesprochen ist.
- 73 -
Fassade. Von San Gallo sind die beiden unteren Stockwerke.
Man sieht, er beabsichtigte schon Subordination: herrschendes Mittel-
geschoß und Mittelportal mit Balkon (Mittelfenster von Michelangelo).
Ferner Abschluß in Flanken durch Ortsteine; jedenfalls oben ein Kranz-
gesims beabsichtigt. Es ist der Geist des Palazzo Sacchetti, namentlich
beim Erdgeschoß mit den Fincstroni. Im Hauptgeschoß erscheinen
die Fenster noch breit, die alternierenden Giebel in antikisierendem
Sinne nach dem Beispiel im Pantheon, auf Halbsäulen aufgesetzt, die auf
breiten Sockeln ruhig lagern. Aber die Fenster sind enger zusammen-
gerückt, der Mauergrund wird eingeschränkt, in den Giebeln wechseln
spitze und segmentförmige ab (Alternanz, isolierend wirkend). Was
stammt von Michelangelo am dritten Geschoß? Jedenfalls nach-
weislich das Kranzgesims, in wuchtiger Breite alles darunter ab-
schließend und in Ruhe niederhaltend. Es ist ganz in seinem Geiste:
ein entschiedener, harmonischer Abschluß des Ganzen, wie auch
die Rustikabänder an den Ecken. Die Lagerung der Quadern beweist
schon, daß keine Pilaster beabsichtigt waren. Im Detail erwarten
wir bei Michelangelo Kontraste, Bewegungen. Und diese sind auch
im dritten Stockwerk weit schärfer ausgesprochen als unten, trotz der
Übereinstimmung in den Hauptsachen: 1. Die Fenster sind schlanker,
an sich aufstrebender; daher sogar Rundbogen, aber mit uniformen
Giebeln darüber. 2. Die Halbsäulcn, die den Giebel tragen, ruhen
auf Konsolen mit bewegter Umrißlinie, nicht auf ruhigen Würfcl-
klötzen: die Konsolen sind überdies in der Mitte geschlitzt, wodurch
sich innere wirkende Kraft verrät. 3. Die Giebel haben eine unter-
brochene Basislinie; sehr wichtig! Damit beginnt die Sprengung des
Giebels. 4. Das Fensterbankgesims stärker verkröpft. Das Portal von
San Gallo, das Fenster darüber von Michelangelo. Wichtig, weil hier
zuerst die Heraushebung der Dominante, auch entsprechend Michel-
angelos Tendenz nach Zusammenfassung der Massen in eine Einheit
zutage tritt.
Hof. Auch hier sind die zwei unteren Stockwerke von San
Gallo. Noch ganz wie im Palazzo Venezia im Sinne der antiken
Theater (das obere zugemauert). Das untere, wie bei Bramantc,
aufstrebender, doppeltes Arkadengesims überwindend, das mittlere
schon ruhiger. Das dritte Geschoß ist wieder von Michelangelo.
Hier ist der Gegensatz noch ein weit schäferer als außen. 1. Statt
- 74 -
Säulen, die immer der Wand gegenüber eine fremde Zutat bilden,
mauergeborene Pilastcr, und zwar einer vor den anderen tretend;
ungestüm, Konflikt zwischen Höhe und Tiefe, im Gesims zwischen
Breite und Tiefe, an der Wand die Mauer herausgepreßt, dem ent-
sprechend auch die Sockelgesimse doppelt verkröpft. Die Wand-
felder dazwischen zum größten Teil eingenommen durch die Fenster,
also Beschränkung des Grundes durch das Muster, Beseitigung der
Wandflächen nicht durch das Zierwerk, sondern durch das Geformte,
scheinbar aus innerer Strukturnotwendigkeit. 2. Behandlung der
Fenster: a) an sich schlank emporstrebend, eingedeckt mit flachen
Rundgiebcln, die an den abschließenden, horizontalen Gesimsfries
anstoßen, so daß dieser die Flachbogcn niederquetscht, in Ruhe
niederhält, b) Die Gewände sind begleitet durch pilastcrartige Mauer-
streifen; diese ruhen aber nicht auf dem Sockelgesims, sondern
hängen damit gar nicht zusammen, entsenden aber Verlängerungen
nach unten, Bewegungen von innen heraus. Trennung von Stock-
werkgesims und Fenster, das bisher stets auf dem Gesimse auf-
ruhte, jetzt aus der Mauer herausgeboren wird (schon Laurcn-
ziana). 3. Die Segmcntgiebel schon überaus schattig wirkend.
Die kapitolinischen Bauten. Das Kapitol war immer
Gegenstand des Lokalpatriotismus geblieben. Auch im christlichen
Mittelalter hielt man die Stätte in Ehren, von wo aus die Bürger
der Stadt Rom einstmals die Welt beherrscht hatten. Freilich hatte
es im Mittelalter nur mehr die Bedeutung eines städtischen Rat-
hauses, und diese Bedeutung ist bis heute geblieben. Der eigent-
liche kapitolinische Palast, der den Abfall des kapitolinischen Hügels
gegen das Forum hin einnimmt, ist im Inneren ein Gemenge aus
antiken Substruktionen und Oberbauten und mittelalterlichen Zutaten.
Das sollte erhalten bleiben, aber es sollte der Platz davor, der den
Hügel krönt, gegen die neuere Stadt hin entsprechend architektonisch
neugestaltet werden; dazu war es natürlich erste Bedingung, dem
alten kapitolinischen Palast, dem jetzigen Senatorcnpalast eine neue
Fassade zu geben. Also zwei Aufgaben: der alte Palast sollte eine
neue Fassade erhalten, und der freie Platz davor in entsprechender,
harmonischer Weise verbaut werden. Beide werden von Anbeginn
in Verbindung miteinander gesetzt: schon das ein Massen-
gedankc. (Das Mittelalter hat jedes Gebäude für sich behandelt,
- 75 -
um die Nachbarschaft sich nicht bekümmert.) Nicht bloß an einem
Gebäude sollte alles der Dominante subordiniert sein, sondern von
mehreren Gebäuden sollten alle einem Gebäude subordiniert
sein: fernsichtiger Massengedanke (Vorläufer: Bramantcs vatikanischer
Hof). Dem Michelangelo war ein solcher Massengedanke offenbar
sympathisch. Gerne hat er den Auftrag übernommen, einen Plan
zu entwerfen. Das Ganze wurde langsam ausgeführt. Wir haben
u. a. einen Stich aus dem Jahre 1569, der den Plan des Michel-
angelo wiedergibt (bei Springer, Raffael und Michelangelo, abgebildet),
es ist im wesentlichen dasselbe, was wir heute ausgeführt sehen.
Schon der Zugang von der unteren Stadt aus ist monumental ge-
halten, durch den bequemen Aufgang mit den breiten fließenden
Stufen: die Cordonnata. Mit Leichtigkeit erklimmt man den Hügel
und wird in monumentalem Sinne vorbereitet. Nun stellen wir uns
ans Ende der Cordonnate oben, wo der Platz beginnt. Ein kleiner
Platz, künstlich vergrößert durch Auseinanderrücken der zwei Seiten-
fassaden nach hinten, in schräger Linie. In der Mitte steht die antike
Reiterstatue des Marc Aurel in Bronze; der Sockel wahrscheinlich
auch von Michelangelo (bezeichnend die Abrundung des Oblongums
zum Oval an den beiden Schmalseiten). Die Statue ist groß genug,
um den kleinen Platz wirksam zu beleben, aber doch nicht so groß,
um den Eindruck der dahinterstehenden Fassade zu beeinträchtigen,
zu durchschneiden.
Geradeaus blickt das Auge auf die Hauptsache, den Scnatoren-
palast. Strenge Subordination der Mitte in Höhe und Breite durch
das Portal, starke Risalite, die er aber nicht absichtlich anlegte,
sondern die durch Türme gegeben waren, und sie dienen ihm
zur Verbindung mit den Zugangskulissen. Das Erdgeschoß als
Sockel behandelt, mit horizontaler Rustikastreifung, aber ohne
Durchbrechungen; also wirklicher Sockel, aber sein Brutales ver-
liert er durch die Vorlegung der um die Risalite verkröpften Frei-
treppe mit der Brunncnanlage, wodurch das Erdgeschoß zum größten
Teile verdeckt erscheint. Darüber nun eine Kolossalordnung
von Pilastern, durch zwei Geschosse reichend, mit unterlegten
Wandstreifen; man sieht schon: wo Michelangelo die Pilaster über-
haupt gebraucht, dort sind sie nicht spielendes Zierwerk (wie in
der Renaissance), sondern dort verwendet er sie im grandiosesten
76
Sinne, nicht zur Charakterisierung der Teile, sondern des Ganzen.
Ausgeführt ist allerdings das Obergeschoß als Mezzanin; Michel-
angelo hatte auch im Obergeschoß Vollfenster geplant, also eine
wirkliche Kolossalordnung, die die Horizontalteilung in zwei Ge-
schossen durchbricht. Was er damit beabsichtigt hatte, wird sich besser
an den Seitenfassaden des Platzes zeigen lassen, wo Michelangelos
Anordnung ganz unverändert beibehalten wurde, und daher klarer
hervorgeht. Es ist charakteristisch, daß man gegen Ende des lö.Jahr-
hunderts, als man die Fassade ausführte (durch Girolamo Rainaldi),
an der Kolossalordnung oder an den oberen, ebenfalls aufstreben-
den Fenstern Anstoß nahm. Die quadratischen Fenster bedeuten an
der ausgeführten Fassade wenigstens eine Abschwächung des Verti-
kalismus, eine Beruhigung unter dem Gesimsabschluß. Eine ent-
schiedene Bewegung bedeuten die beiden Risalite. Dieser Bewegung
gegenüber ist eine entschiedene Zusammenfassung zu einer Einheit
durch eine Dominante, die in der Mitte liegt. Unten im dreieckigen
Aufbau der Freitreppe, oben im krönenden Turm (von Martino
Lunghi unter Gregor XIII. Unterschied gegenüber der Gotik: kon-
zentrierter Abschluß; Verwandtschaft: die Wandverneinung, die Auf-
lösung in struktive Glieder). Der Turm bedeutet ein freies Glied,
das sich über das lastende Gesims emporhebt (von Michelangelo?).
Die Freitreppe mit lagernden Flußgöttern und Roma in der
Mitte (geplant war ein kolossaler Zeus), der mit der Breite ge-
kämpft hatte. Zu der Hauptsache — dem Senatorenpalast — verhalten
sich die beiden Seitengebäude wie Kulissen. Rechts war ein älterer
Bau (im Hofe noch heute Reste sichtbar), der Konscrvatoren-
palast; noch zu Michelangelos Lebzeiten ausgeführt und daher
ganz genau nach seinem Plan. Gegenüber das kapitolinische
Museum, von Girolamo Rainaldi erst unter Innoccnz X. (nach
1545) aufgeführt, aber genaue Kopie des Konservatorenpalastes:
eben als Kulisse, die in der allcrstreugsten Symmetrie verbleiben
mußte. Das ist der Massengedanke, die Komposition im großen, die
sich darin ausspricht, ein Zusammenfassen in höhere Einheit. Darin ist
ihm die Barockzeit durchwegs gefolgt, vor allem Bernini in den
Kolonnaden von S. Peter; Michelangelo entwirft noch alles aus der
geraden Linie heraus. Die beiden Seitenpalästc waren nur als Kulissen
gemeint und vor allem daraufhin anzusehen: dem Kommenden bot
- 77 -
sich Pilastcr hinter Pilaster, die den Blick weiterführten zum Sena-
torenpalast; daher kein Fortal sichtbar.
Kolossalordnung, ohne Sockel, also keine so betonte Domi-
nante, nur im mittleren Fenster ausgesprochen, das aber angeblich
von Giacomo del Duca herrührt; dieses Fenster stoßt an allen
Seiten an, allseitiger Konflikt. Diese Kolossalordnung scheint Gebälk
zu tragen; aber die Mauerstreifen dahinter beweisen, daß sie aus
der Mauer hervorgequollen zu denken ist. Sic repräsentiert Ein-
heit, aber im einzelnen Kampf, namentlich im unteren Portikus.
Gerader Architrav (kein Bogen mehr, wie noch bei Raffael an der
Farnesina) auf zwei Säulen; die Säulen bilden keine dreiteiligen
Durchgänge wie im Pantheon, sondern sind an die Pfeiler ange-
rückt. Der Architrav darüber droht zu brechen, er \xird für das
Auge gehalten durch die ungeheueren Kolossalstützen, die das
Intervall zusammenquetschen und so zusammenhalten. Wieder die
raffinierteste Methode, um bei äußerer Ruhe einen inneren Kampf
zu versinnlichen.
Die Fenster von Halbsäulcu flankiert, wegen Übereinstimmung
mit den unteren Säulen. Der Segmentbogen auf unterbrochener Basis
ruhend. Die Muschel in der Mitte gewählt als Symbol der michel-
angclesken Kunstabsicht: die Muschel ist ein Mischding aus Or-
ganischem und Anorganischem. Als solche anorganisch, hat aber
bewegte Form, weil sie von einem organischen Wesen hervor-
gebracht wird. Organische Gestaltung der anorganischen Materie
von innen heraus. Nicht äußerlich angeklebtes Organisches, wie die
Renaissance gebraucht hatte, Akanthusranken u. dgl.
Die Kapitale der Kolossalordnung sind hier noch korinthisch,
um in den Ernst wenigstens ein spielendes Motiv zu bringen. Da-
gegen sind die unteren ionischen Kapitale schon ganz muschelartig
behandelt. Also die Einheit über dem Kampf. Aber die höhere Ein-
heit unter einer Dominante wie am Senatorenpalast wird hier nicht
gesucht, weil es sich nur um eine Kulisse handelt, die als solche
nicht für sich betrachtet werden will (das wäre Renaissanceidce und
nicht barocke Massenkompositionsidee); aber das mittlere Fenster
ist doch hervorgehoben in mehrfacher Brechung nach innen: 1. Kon-
sole, 2. Gewände, 3. Halbsäulen. Dementsprechend dreifache Bre-
chung der Giebelbasis; im innersten Grunde ein Segmentbogen,
- 78 -
der äußerlich von dem Giebel umrahmt wird. Ein gesteigerter Wider-
spruch gegen die antike Verwendung dieser Motive, weshalb man
dieses Fenster dem Giacomo del Duca zugeschrieben hat. Es soll
nicht Dominante sein (dann wäre das Erdgeschoß-Intervall dement-
sprechend auch etwas ausgezeichnet), sondern allmähliche Unter-
brechung des Einerlei. Das mochte am Konscrvatorenpalast not-
wendig erscheinen, als er isoliert dastand. Am Stich von 1569 sind
alle Fenster samt dem mittelsten noch einheitlich behandelt.
KIRCHENBAU.
Wie weit war die Entwicklung des Kirchenbaues zur Zeit
Michelangelos gediehen? In Rom war der Kirchenbautypus die Basi-
lika. Im ganzen Mittelalter festgehalten, sogar strenger als ander-
wärts; erst spät kam es zur Einwölbung der Basilika, sie blieb bis
in das 13. Jahrhundert der offene, nur provisorisch eingedeckte Hof;
ein Problem wie anderwärts (in Obcritalien seit der romanischen,
in Toskana seit der gotischen Zeit) hat also diese Einwölbung in Rom
nicht gebildet. Die Einwölbung aber ist Vorbedingung dazu, daß
der Innenraum als ein wirklich architektonisch geschlossener gelten
darf. Die Einwölbung führt von selbst zur Zusammenfassung, Sub-
ordination. Das war auch die Tendenz der Frührenaissance, sie
tendiert von vornherein zur entschlossensten Subordination: zum
Zentralbau, sie tendiert zugleich zum möglichsten Ausgleich zwischen
Höhe, Breite und Tiefe: das ist wieder der Zentralbau (Kuppel die
vollkommenste Form). Im 15. Jahrhundert vollzieht sich allmählich
der Übergang zu diesem Endziele. Noch die ersten Renaissance-
Florentiner hatten versucht, sich mit der Basilika abzufinden:
Brunellesco, trotz aller seiner Begeisterung für den Kuppelbau
(dem er am Dom und in der Capella Pazzi Genüge getan hatte).
In Rom entstanden noch im 15. Jahrhundert basilikale Kirchen:
S. Agostino, S. Maria del Popolo. Aber die Maler, die damals
nur dasjenige malten, was man gerne gehabt hätte, werden nicht
müde, Zentralbauten in ihren Bildern anzubringen. Nicht erst Pcru-
gino und Raffacl, sondern schon Benozzo Gozzoli und Filippino
Lippi. Und so kam es schließlich in der Tat zur praktischen Wieder-
aufnahme des Zentralbaues im Kirchenbau; unter den Renaissance-
päpsten durften die Bedenken der kirchlichen Tradition zurücktreten.
Derjenige aber, der ihn zum endlichen Durchbruch gebracht hat
und den Grund zum herrlichsten Denkmal des Zentralbaues, über-
haupt dem monumentalsten Bauwerk der Erde gelegt hat, war
- 80 -
Donato Bramante. Das Bauwerk aber ist der neue S. Peters-
dom im Vatikan.
Die Geschichte von Neu-S. Peter ist im kleinen eine Kunst-
geschichte vom 15. bis zum 17. Jahrhundert — namentlich wenn man
die Skulpturen und Malereien, die darin Aufstellung fanden, in die
Betrachtun»- einbezieht — und zugleich eine Geschichte des Papst-
tutnes dieser Zeit. Im höchsten Grade symptomatisch ist schon die
Idee der humanistischen Päpste des 15. Jahrhunderts, die alte Peters-
kirche überhaupt abzubrechen. Jede andere Zeit wäre lediglich darauf
bedacht gewesen, dieses ehrwürdigste und stattlichste Denkmal aus
der konstantinischen Zeit, den Anfängen der römischen Staatskirche,
zu retten und zu konservieren. Nikolaus V. fand aber die alte Kirche
der Würde und Bedeutung des Papsttumes seiner Zeit nicht mehr
entsprechend. Die mittelalterliche ideale Wirkung auf das Gemüt
genügte nicht, man verlangte starke Wirkung auf die Sinne. Immerhin
war als Neubau doch wieder eine Basilika geplant, wovon der Chor
durch Bernardo Rossellino noch im 15. Jahrhundert zur Aus-
führung gekommen ist. Den Höhepunkt in dieser Richtung bezeichnet
am Anfang des 16. Jahrhunderts Julius II., er läßt alles, was im
15. Jahrhundert von der alten Kirche noch stehen geblieben war,
endgültig niederreißen, und gibt Bramante den Befehl, einen
Zentralbau an der Stelle zu errichten. Aber es gab auch damals
Anhänger des Basilikalsystcms, und Bramante hatte manchen Kampf
zu bestehen. Die nächste Generation, durch Michelangelo repräsen-
tiert, führt den Plan vollständig aus, steigert sogar zum Teil noch
die Entfremdung von der ursprünglichen religiösen Idee, nähert sich
aber derselben doch wieder auf der anderen Seite. Also ein Um-
schwung kündigt sich an in demselben Momente, in dem die ur-
sprüngliche Rcnaissanccidcc Julius II. ihre Verwirklichung gefunden
hatte, und dieser Umschwung erscheint vollzogen unter Paul V.
Borghesc am Anfang des 17. Jahrhunderts. Er läßt durch Maderna
ein Langhaus vorlegen und macht so aus dem Zentralbau wieder
eine Basilika, und die früher herrschende Kuppel wird nunmehr
wieder degradiert zu einer Vierungskuppel, wie ihrer so viele im
Mittelalter entstanden waren. Das 17. Jahrhundert hat nur noch die
Aufgabe, das Äußere gegen den Petersplatz und diesen Platz selbst
monumental auszugestalten. Wir haben diesen Prozeß nicht in seiner
- 81 -
Gänze zu verfolgen. Namentlich die Absichten der humanistischen
Päpste des 15. Jahrhunderts interessieren uns nicht, zumal sie keine
dauernde Verwirklichung gefunden haben. Erst bei Bramante haben
wir einzusetzen (der Chor des Rossellino wurde von Bramante
scheinbar zum Teil geduldet, unter Sixtus V. 1585 beseitigt) und
auch hier nur insoweit, als dies nötig ist, um daraus klar ersehen
zu können, was Michelangelo vom Plane Bramantes übernommen
und was er davon fallen gelassen hat, um also die neue Kunst-
absicht Michelangelos gegenüber der Renaissanceabsicht Bramantes
zu erkennen. Bramante hatte sich in der Lombardei für den Zentral-
bau ausgebildet, kannte wohl Lionardos Entwürfe für den Zentral-
bau; Consolazionc zu Todi, der reifste Zentralbau des Bramante
griechisches Kreuz mit zentraler Kuppel.
Bramantes Plan für Ncu-S. Peter war ein griechisches
Kreuz mit abgerundeten Kreuzannen und zentraler Kuppel. Im
einzelnen war er nicht bedacht auf Kontraste, aber auf Über-
gänge. Das gibt sich kund: 1. Im Inneren. Die abgerundeten
Enden der Kreuzarme durchbrochen in Säulen. Die Wandfläche
wird durch Freistützen verkleidet; klassisch, an antike Tempel er-
innernd. Aber die Einheit wird dadurch nicht zerstört, sondern nur
eine Bereicherung des Eindruckes herbeigeführt. Unten blickt der
unendliche, ungeformte Raum herein und wirkt in koloristischem
Sinne. Es gibt aber doch Räume, die der Kuppel nicht streng sub-
ordiniert sind. Zuerst trifft das Auge auf die durchbrochene Pfeilcr-
reihe, die zerstreuend wirkt, dann sammelt es sich an der Halb-
kuppel und dem Tonnengewölbe darüber, und endlich wird es
zum vollen Bewußtsein der Einheit durch die alles beherrschende
Kuppel gebracht. Das Auge dringt von der Mitte aus in alle vier
Räume, und bleibt sich doch der Einheit bewußt; nichts ist unklar,
unbegrenzt, trotz des Reichtumcs. 2. Im Äußeren. In den Ecken
werden — nebst Seitenräumen für Kapellen und Sakristeien, die im
Inneren nicht mitwirken, aber für des Äußere sehr notwendig waren,
um die einspringenden Winkel auszugleichen — Türme angelegt,
um der Kuppel als Trabanten zu dienen. Auch hier gibt es also
Elemente, die der Kuppel nicht streng subordiniert sind. (Die Höhc-
entwicklung der Kuppel an und für sich hätte unharmonisch be-
drückend gewirkt, und dann braucht die Kuppel einen Maßstab, an
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. o
— 82 -
dem man ihre alles überragende Gewall messen kann.") Zwischen
Apsiden und Türmen sind offene hallen und die (notwendiger-
maßen) geschlossenen Apsidenwände werden mit starken Halbsäulen
besetzt, so daß sie die Wand übertönen, gleichsam wie Säulen
wirken, ähnlich, wie an den römisch antiken Theatern. Also wieder
die Tendenz wie im Inneren: die Wandfläche als solche zurückzu-
drängen, in Einzelstützen scheinbar aufzulösen, wie am griechischen
Tempel. Diesen leichten Einzelstützen verdankt der Bau nach der
Rekonstruktion Geymüllers innen und außen seine wunderbare
Leichtigkeit. Das gleiche gilt von der Kuppel. Auch an ihr ist das
Lagernde, Horizontale, der Tambour verkleidet mit Säulen: der
reine Peripteros. Die Kuppelwölbung selbst ist in der Höhe
beschränkt, dem Pantheon nachgebildet, mit den gleichen horizon-
talen Absätzen der Calotte gegen ihre Basislinie hin. Also die
Hauptsache ist der Tambour, das Ruhende; dagegen wird das
Strebende, nach der Tiefe Bewegte, Kämpfende, die Wölbung
möglichst niedrig gehalten, möglichst ruhig, möglichst mit der
Breite ausgeglichen. Der Gesamteindruck nach außen: reich und
doch einheitlich durch die Kuppel; die Kuppel beherrschend, aber
doch nicht überwältigend. Alles in notwendigem Zusammenhang:
Kraft und Last, und zwar trägt eines mit vollendeter Leichtigkeit
das aiulere. Von diesem Plan hat Bramantc im wesentlichen bloß
die vier Kuppclpfcilcr ausgeführt (struktiv freilich das Aller-
wichtigste). Auch die Bekleidung dieser Pfeiler hat er durchgeführt
mit einer einzigen korinthischen Pilastcrordnung unter Anlehnung
an die rhythmische Travee. Die Pfeiler sind gegliedert nach Ana-
logie der Gotik (der Kern spricht nach außen, darin äußert
sich die ultima maniera des Bramantc, worin er sich nach Gey-
müller schon mit dem Barockstil berührt), aber überdies noch be-
kleidet mit kolossalen Pilastcrn (eine einzige Kolossalordnung be-
herrscht das Innere, alle Späteren haben sich daran gehalten).
Auch die Anfänge des südlichen Armes hat Bramantc noch durch-
geführt. Also was das Innere betrifft, so sind vielleicht die aller-
maßgebendsten Elemente der Wirkung, die der Bau heute ausübt,
dem Bramantc zuzuschreiben: namentlich das System der Pfeiler,
die Höhe der Kreuzarme und der Durchmesser der Kuppel. Dann
aber starb er 1514.
- 83 -
Es ist bezeichnend, daß gleich nach ßramanies Tode sich
wieder Einflüsse zugunsten eines basilikalen Langhauses geltend
machten. Es ist der Geist des römischen Altchristentums und der streng-
gläubige Katholizismus, der gegen die Renaissance Front macht. Die
Ballführung erhielt Raffacl und behielt sie bis zu seinem Tode
1520. Schon jetzt ward die Frage aufgeworfen: soll die Kuppel
Zentralkuppel sein oder nur Vierungskuppcl? Jedenfalls hat sich Raffacl
mit der Frage eines Langhauses beschäftigen müssen; es liegen dafür
Pläne vor. Zu einer Entscheidung ist es aber nicht gekommen. Nach
Raffaels Tode erhielt der jüngere Antonio da San Gallo die Bau-
leitung von S. Peter, neben ihm Baldassare Peruzzi. der 1536
starb. Durch 14 Jahre blieb der Bau überhaupt liegen. Hadrian VI., der
Niederländer, hatte bei seiner nach innen gekehrten Richtung keinen
Sinn für einen monumentalen Tcmpclbau, für äußere materielle Pracht-
cntfaltung. Unter seinem Nachfolger Clemens VII. Mcdici erfolgten
die politischen Wirren, die zum Sacco di Roma führten, seit jeher
für das entscheidende Ereignis angesehen, das die Päpste belehrte.
daß ihre weltlichen Machtbestrebungen nur zum Schaden der geist-
lichen Gewalt gereichten. Erst Paul 111. Farnesc hat seit 1534 die
Bauführung wieder aufgenommen. Es wurde bezeichnendermaßen
nicht an der Kuppel weitergebaut, sondern zunächst an den Kreuz-
armen rings um die Kuppelpfeiler; die Frage des etwa vorzulegen-
den Langhauses blieb damit immer noch offen. Antonio da San
Gallo starb 1546 und nun kam die Bauleitung an Michelangelo.
Es wurde ihm sofort die entscheidende Frage gestellt: Zentralbau
oder Basilika? Es ist zweifellos, daß die allgemeine Stimmung sich
inzwischen überwiegend von der Renaissance entfernt hatte und
daß man schon gerne eine Basilika wieder gesehen hätte, wie Alt-
S. Peter eine gewesen war. Aber der greise Michelangelo erwies
sich auch hier als der unbeugsame Erbe der Renaissance, er stellte
die Frage bloß: welche ist die nach seiner persönlichen Kunst-
auffassung monumental wirksamste Form des Gotteshauses? Nicht:
welche ist die durch die Tradition geheiligte Form? Nun kennen
wir seine Lieblingskomposition: ein rotierender Kegel, d. i. der
Zentralbau mit strengster Subordination, unter Steigerung aller
Dimensionsrichtungen bis zum Konflikt. Und so mußte er aus
innerster Überzeugung Bramantes Idee des griechischen Kreuzes
- 84 -
mit zentraler Kuppel zu seiner eigenen machen. Paul III. unterwarf
sich wie im Jüngsten Gericht der künstlerischen Autorität des
Meisters und Michelangelo durfte zur Ausführung eines Zentralbaues
schreiten. Aber wenn Michelangelo die Zcntralbauidce des Bramante,
das griechische Kreuz mit zentraler Kuppel, übernahm, so war er doch
anderseits weit davon entfernt, den Plan des Bramante, wie ihn Julius II.
akzeptiert hatte, ohne weiteres zur Ausführung zu bringen. Die vier
Kuppclpfciler mit der sie bekleidenden korinthischen Pilasterordnung
und die Anfänge der tonnengewölbten Kreuzarme waren allerdings
gegeben und mußten beibehalten werden. Um diese Grundelemcntc
nun entwarf Michelangelo einen neuen Plan, für das Innere wie für
das Äußere: namentlich das Äußere hat dadurch ein ganz anderes
Aussehen bekommen, als Bramante beabsichtigt hatte. Und in diesem
Neuen enthüllt er sich uns als der Vater des Barockstiles.
Welche Neuerungen sind es nun, die Michelangelo
gegenüber Bramante am zentralen Grundplan von Neu-
S. Peter vorgenommen hat? Wir können nicht auf alle Details
eingehen; beschränken uns nur auf die allerwesentlichsten Punkte.
1. Im allgemeinen. Schon an den Mediccergräbern und dem
Jüngsten Gericht konnten wir sehen, wie Michelangelo in demjenigen,
worin er an die Renaissance anknüpfte, der Subordination, ent-
schieden rücksichtsloser verfuhr als die Renaissance selbst. So auch
hier: die Idee der zentralen Kuppel hat er einseitig weit über das
von Bramante hinaus geplante Maß gesteigert. Die Kuppel sollte
unbedingt über ihre Umgebung herrschen, während bei Bramante
im Äußeren vier Türme als Trabanten einigermaßen die Wage hielten,
im Inneren die Ausblicke in die Abschlüsse und Scitenräume der
Kreuzarme neben der an und für sich etwas niedriger geplanten
Kuppclschale sich geltend machten: also die ausgleichende Tendenz
der Renaissance auf gleichmäßige Durchbildung der Teile, neben
der sichtbaren Zusammenfassung in eine Einheit. Infolgedessen zeigt
der geplante Bau des Bramante eine gewisse Auflockerung und
Leichtigkeit im Inneren und Äußeren. Michelangelo dagegen faßte das
Ganze in eine gedrungenere, massivere Gesamtform zusammen und
konzentriert die ganze Wirkung auf die eine, alles überragende
und übertönende Kuppel, der alles Nebenwerk in sklavischer
Unterordnung dienen soll.
- 85 -
2. Im Inneren. Das Sprechendste ist hier die Beseitigung der
Umgänge an den Enden der Kreuzarme. Das Auge sieht die Mauern
selbst, von denen sich die vortretenden Pilastcr mühselig losringen,
statt ihrer phantasicreizenden Verhüllung durch die schattenden
Arkaden. Die unendliche, formlose Tiefe ist ausgeschlossen (auf die
Fenster beschränkt), keine koloristische Wirkung mehr, aber dafür
viel geformte Tiefe, Schlagschatten, der mit den Lichtflächen kämpft.
Das Resultat ist eine Vereinfachung, Verarmung des Gesamtbildes,
aber dafür wird das Auge um so weniger von der Hauptsache,
der Kuppel, abgezogen. Diese Kuppelschalc aber wird im Inneren
überhöht. Auch die Seitenräume der vier Kreuzarme werden
vereinfacht und mehr zusammengezogen. Ein ferneres Resultat ist
die größere Geschlossenheit, Einheit der Raumwirkung, nicht erst
durch den Anblick der Kuppel herbeigeführt, sondern schon unten
unwillkürlich empfunden. Der Barockstil ist erst eigentlicher Raum-
stil, nicht die Renaissance.
3. Im Äußeren. Hier ist die zentrale Wirkung der Kuppel wo-
möglich noch ausschlaggebender gewesen. Nichts läßt den Unter-
schied zwischen Bramante und Michelangelo so klar und deutlich
mit einem Blick erkennen, als die Verglcichung der Kuppeln, wie
sie der eine und der andere entworfen hatte. Bei Bramante ist der
Tambour die Hauptsache: die kreisrunde Mauer ist wieder verhüllt
durch einen Peripteros von Säulen. Die Wölbungsschale selbst ist
ähnlich derjenigen des Pantheon, also außen ziemlich flach; als
Abschluß eine von einfachen Säulen getragene Laterne. Es ist ein
ruhiges, leichtes Schweben. Bei Michelangelo wird die Wölbungs-
schale zur Hauptsache, sie wird steil überhöht und beherrscht nun
nicht bloß den Tambour, sondern alles darunter Liegende voll-
ständig. Die Umrißlinie der Kuppel, wie sie auch ausgeführt wurde
und heute so erscheint, ist eine hinreißend schöne, aber sie ist eine
aufstrebende, bewegte. Dem Tambour sind Strebepfeiler vorgesetzt,
an der Front mit je zwei Säulen besetzt; diese Säulen sollen nicht
dem Auge schmeicheln, sondern durch die Verdoppelung den
Kraftaufwand versinnlichen, der zur Stützung der Kuppel notwendig
ist; von diesen Streben schwingen sich die Rippen der Kuppel-
wölbung aufwärts, bis sie sich in der Laterne treffen. Bei Bramante
waren weder Rippen noch Streben zu sehen. Auch die Laterne
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ist bei Michelangelo von Doppelsäulen umgeben, nicht von einfachen,
was auch wieder den Eindruck des schweren Tragens hervorruft.
Also das aufstrebende gotische Konstruktionsprinzip ist wiederum
ein enger Berührungspunkt zwischen beiden Stilen.
Es wirkt erheiternd, wenn man beobachtet, wie die Zeitgenossen
diese innere Verwandtschaft zwischen Gotik und Barockstil ganz und
gar übersahen. So oft Vasari auf die maniera gotica zu sprechen
kommt, dankt er dem Himmel, daß Michelangelo die Italicner
davon erlöst hat. Daß aber die von ihm als das Resultat aller Re-
naissance der Antike gepriesene Richtung des Michelangelo gerade
den Kernpunkt der Gotik — die organische Wachstumsbewegung an
Stelle des harmonischen Lagcrns gemäß der Schwerkraft — wieder
zum Aufleben brachte, ist ihm vollständig entgangen. Auch alle
übrigen Änderungen, die Michelangelo am Äußeren vorgenommen
hat, atmen den gleichen Geist.
Vor allem mußten wieder die Umgänge wegfallen, sowohl die
wirkliche Halle als auch die angelehnten Halbsäulen. Die Mauermasse
sollte sich 1. geschlossen, 2. nackt als solche zeigen und wie an
der Laurenziana eine Bewegung von innen heraus offenbaren. Zur
Gliederung waren ihm Halbsäulen unbrauchbar, denn wie die Säule
äußert auch die Halbsäule eine Tendenz zur Trennung von der
Wand; nur der Pilaster kann das Vorquellen des Mauerkerns ver-
sinnlichen. Und so wird an die Abschlußwände der Kreuzanne
außen eine Kolossalordnung von Pilastem gelegt (wie am Konscr-
vatorenpalast), und zwar auch wieder vorgelegt vor eine pilastcr-
artige Wandeinstufung, die das organische stufenweise Hervorbewegen
der Mauer von innen heraus versinnlicht. In die Wandfeldcr dazwischen
werden abwechselnd zwei und drei Fenster gelegt — etwas ganz Un-
erhörtes — was natürlich auch Unruhe und den Eindruck der Be-
wegung, des Kampfes erzeugt. Freilich erreicht er damit, daß man
sofort merkt, es handle sich nicht um Fensterreihen bewohnter Stock-
werke (die Gotik half sich da mit riesigen Fenstern; die Italiener
hätten diese schon der Disproportionalität halber nicht anwenden
dürfen). Ober diese ungeheuere Wandordnung wird nun eine gewaltig
lastende Attika gesetzt, durch Pilasterbündel gegliedert und von ins
Breite gequetschten Fenstern mit barocken Rahmen durchbrochen.
Diese erdrückend schwere Attika stellt wieder die Einheil her über
- 87 —
dem unteren Kampfe: zum Unterschied von der Gotik, die die empor-
strebenden Kräfte rein in Spitzen ausklingen läßt. Und auf diesem
soliden Riesensockel schnellt dann endlich die Kuppel empor. Auch
die Türme konnten nicht bestehen bleiben, denn auf dem verengerten
Grundplan wären sie bloß Konkurrenten gewesen. Um das Auge
aber einigermaßen an die dämonische Größe der Kuppel zu ge-
wöhnen, wurden vier kleine Eckkuppeln, um die Höhe in der Ge-
samtsilhouette etwas mit der Breite auszusöhnen, in den Plan auf-
genommen, und die zwei vorderen ausgeführt (am Dach oben
nehmen sie sich größer aus als die Zentralkuppeln mancher Groß-
stadt-Kathedralen). Im ganzen ist ihre Wirkung eine unendlich ge-
ringere, als diejenige der bramantesken Türme gewesen wäre. Die
Wirkung der Mcdicecrgräber und des Jüngsten Gerichtes wurde wesent-
lich dadurch charakterisiert, daß ihnen jede eigentlich religiöse Weihe
fehlt. Ähnliches ist auch von Neu-S. Peter zu sagen: man sehe nur
das Äußere der hinteren Partien an, soweit eben Michelangelos
Tätigkeit daran reichte. Schon die Behandlung der Wand mit den
Fenstern. Sie macht entschieden einen weltlichen Eindruck, trotz
der Verwischung des Stockwcrkcindruckes. Die Wirkung ist gewiß
nicht die eines Wohnhauses, sondern eine monumentale: aber es
könnte auch ein weltlicher Monumentalbau sein. In dieser — reli-
giösen — Hinsicht hat die spätere Hinzufügung eines Langhauses
verbessernd gewirkt. Fragen wir uns aber nach den künstlerischen
Grundprinzipien, nach denen Michelangelo hier verfahren ist, so
erhalten wir abermals harmonisch geschlossene Einheit im Ganzen,
Kampf in den Teilen. Heinr. Wölfflin: „Massigkeit und Bewegung."
Bramante: ..Malerische Gesamtwirkung, plastische Detailwirkung."
Michelangelo: ,,Malcrische Detailwirkung, plastische Gcsamtwirkung."
Auch der plastische und der malerische Eindruck bemißt sich
danach, je nachdem wir das Bauwerk als Ganzes, in der Silhouette,
oder aber im Detail ins Auge fassen. Im ganzen war der Bau
Bramantes malerischer, mit seinen Türmen, schattenden Hallen,
reichen Teilglicderungcn. Der Bau des Michelangelo ist gedrungener-
und darum in seinen Hauptformen greifbarer, also nahsichtiger,
strenger harmonisch in den Gcsamtlinien. Im einzelnen aber hob
sich bei Bramante alles klar und scharf plastisch heraus, jede
einzelne Säule, jedes Profil war wert der nahsichtigen Betrachtung.
während bei Michelangelo Verkürzungen und Schattenschlag be-
ständig abwechseln und den plastischen Eindruck verwirren, ins
malerisch Zweidimensionale auflösen: Michelangelos Bau darf nur
als Ganzes genossen werden. Zu Michelangelos Lebzeiten konnte
allerdings der Riesenbau nicht vollendet werden, aber von seinem
Plane hat man dann zunächst auch nach seinem Tode nicht mehr
abzuweichen gewagt. Nach 1564 bis 1573 war Vignola Bauleiter und
dann bis 1604 Giacomo della Porta.
Beide haben bis 1590 den Bau zu Ende geführt, wie ihn
Michelangelo verlangt hatte. Sixtus V. hatte die Bauführung schließ-
lich sehr beschleunigt, da er den Dom noch zu seinen Lebzeiten
vollendet sehen wollte.
Es handelte sich da nur mehr um die Kuppel: sie wurde 1588
bis 1590 wirklich noch knapp vor dem Tode des Papstes fertig-
gestellt. Da stand die Verwirklichung des Traumes der Renaissancc-
geschlcchtcr, als wirklicher Zentralbau, fassadcnlos als solcher, denn
der viersäulige Portikus gegen den Petersplatz zu konnte nur in
nächster Nähe als Zugangsdekoration, als besonderes monumentales
Portal empfunden werden. Als aber Michelangelos letzter Schüler.
Giacomo della Porta, gestorben war, da ging die Gegenreformations-
kunst daran, dasjenige durchzuführen, was sie schon seit dem Nieder-
gange des Renaissancezeitalters immer offen und heimlich begehrt
und betrieben hatte: S. Peter wurde zur christlichen Basilika um-
gestaltet.
Das Kirchenbau-Ideal Michelangelos war also gewiß der Zentral-
bau, noch zu einer Zeit, wo der Langhausbau — ich sage absicht-
lich nicht Basilikalbau, denn zu diesem ist es streng genommen
nicht mehr gekommen — wiederum in der italienischen Kirchen-
baukunst Eroberungen zu machen begann. Es wäre nun interessant,
zu wissen, wie sich Michelangelo zur zwingenden Aufgabe ge-
stellt hätte, einen Langhausbau herzustellen. In solcher Form wurde
ihm diese Aufgabe allerdings nicht gestellt, aber doch in einer
verwandten Form. Es waren von den ehemaligen Thermen des
Diocletian zahlreiche große Säle wohlerhalten (noch heute steht
vieles davon aufrecht). Papst Pius IV. beschloß im letzten Lebens-
jahre Michelangelos den größten Saal zur Kirche S. Maria degli
Angel i einrichten zu lassen und betraute damit Michelangelo. Dieser
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entwarf sonach den Plan, der hauptsächlich nach seinem Tode, bis
1566 ausgeführt wurde. Es blieben aber immer noch anliegende
Räume disponibel, und das gab im 18. Jahrhundert Veranlassung
zur neuerlichen Erweiterung der Kirche durch Vanvitelli; der
Saalbau Michelangelos wurde dann zum Querschiff gemacht. Dadurch
ist der ganze ursprüngliche Eindruck verloren gegangen. Aber wir
können doch im allgemeinen sagen, was Michelangelo an der
ganzen Aufgabe interessiert hatte: er hat im wesentlichen einen
einzigen kolossalen Saal, einen länglichen Innenraum geschaffen,
d. h. zur Kirche adaptiert. Es ist nicht zufällig, daß er die Neben-
räume nicht einbezogen hat, während das 18. Jahrhundert sie auf-
genommen hat, weil es die geschlossene Raumwirkung des großen
Saales langweilig empfand, unbestimmte vage Reize von Durch-
blicken in verschiedener Beleuchtung und von ungewissen Dimen-
sionen verlangte. Der Saal zerfällt in drei aufeinanderfolgende
Quadrate: Zentralbauten. Rechts und links schlössen sich daran bloß
Kapcllennischen, innere Tätigkeit der Wände, also wie im Pantheon
in tastbarer Nähe Formen, darüber aber in optischer Ferne ge-
schlossene Wände und Wölbungen. Die Wölbung war vorhanden
und gewiß nicht nach Michelangelos Geschmack: ein Kreuzgewölbe,
zwar bewegter als das ruhende Tonnengewölbe oder gar die
Kuppel, aber es ist eine unklare Bewegung, die Michelangelo gerade
oben an der Decke gerne durch ein ruhendes Zwangsmotiv ge-
bändigt gesehen haben wollte. Aber die Wölbung war einmal vor-
handen und so behielt sie auch Michelangelo bei, wiewohl er eine
gerade Decke wahrscheinlich vorgezogen hätte; ebenso das Auf-
stützen der Wölbung auf die kolossalen Säulen ganz nach antiker
Empfindung, und ganz gegen die Empfindung der Laurenziana, wo
die Wand selbst kämpft gegen den oberen lastenden Druck, und
nicht vorgestellte Säulen. (Diese Säulen sind nichts anderes als
Strebepfeiler, die die Antike nach innen gezogen hat, gemäß ihrer
Empfindung.)
Das einzige Sympathische muß dem Michelangelo die gewaltige,
geschlossene, einheitliche Räumlichkeit gewesen sein, wie er sie
auch, im Gegensatz zu Bramante, im Inneren von S. Peter angestrebt
hat. Und darin berührt er sich auch mit den Architekten der gegen-
reformatorischen Langhauskirchen, wie sie damals schon z. B.
- 90
Giacomo della Porta mehrfach aufgeführt hat. Wir werden diese
grundwichtige Entwicklung noch besonders kennen lernen; hier sei
mir gesagt: auch die Langhauskirche der Gegenreformation ist keine
Basilika mehr, sondern ein einziger gewaltiger Saal, begleitet von
seitlichen Kapellen. Insofern verrat sich also auch in S. Maria degli
Angeli der Zusammenhang Michelangelos mit der werdenden römi-
schen Barockkunst, der Kunst des gegenreformatorischen Zeitalters.
Wie der Profanbau, so spaltet sich auch der Kirchenbau nach
Braminte in zwei Richtungen: 1. in die spezifisch römisch-barocke
des Michelangelo; 2. in die Spätrcnaissancc. die hauptsächlich in Ober-
italien blüht. Der Hauptvertreter in Oberitalien im 16. Jahrhundert
ist auch hier Andrea Palladio. Sehen wir seine zwei vornehmsten
Kirchen in Venedig an. Fassade: 1. S. Giorgio Maggiorc (male-
risches Gesamtbild, aber erst durch die Canalctti entdeckt. Paolo
Veronesc sah mehr auf das Nähcrc). Nicht eine Wand, die sich
in Teilen vor- und rückbewegt, sondern zwei Wände, eine vorn,
die andere hinten, daher größere Ruhe. Also zwei Ebenen, aber
durch Linienkonkordanz zu einer verbunden. 2. Redentore ge-
steigert, eigentlich mindestens drei Ebenen, aber durch je sechs
Parallele beiderseits vereinigt zu einer Sehebenc. Parallel mit Tin-
toretto, der auch Figuren im Tiefraum verstreut, aber durch Kon-
kordanz und Kontrapostc vereinigt. (Die manierierte Haltung der
Arme und Oberkörper, auch bei Paolo oft so auffallend.)
Inneres: 1. S.Giorgio Maggiorc noch Basilika, aber Chor
durchbrochen! Ähnlich wie bei Bramante in S. Peter. Kreuzarme,
leider durch die Orgel beeinträchtigt. 2. Redentore hat schon den
Grundriß der Jesuitenkirchen im Prinzip! Aber wieder durch-
brochener Chor, hier besonders reizend. Zentralisierung (in der
Fassade und im Inneren) ist barockes Symptom, aber trotzdem
Festhalten am Klassizistischen.
BAUKUNST VON 1550 BIS 1630.
Hier könnte man unterteilen: 1. Zirka 1550 bis 1590 strenger
Barockstil: Architektur. 2. Zirka 1590 bis 1630 Lockerung, Übergang
zu Bernini: Malerei. Wir haben gesehen, daß die figurale Skulptur
und Malerei zur Zeit der strengen Gegenreformation verhältnismäßig
wenig Anwendung finden konnten: hauptsächlich nur Grabdenk-
mäler und dekorative Fresken. Der streng kirchliche, zum Altchristen-
tum zurückneigende Geist der Zeit konnte natürlich die Bildung
organischer Formen mittels der Kunst, die eine unmittelbare psy-
chische Wirkung ausüben konnten, nicht berücksichtigen (die Figuren-
malcrei wurde dekorativ, also nicht auf psychischen Ausdruck
berechnet). Diesbezüglich stand es begreiflichermaßen besser mit
den Werken, die bloß dem Gebrauchs- und Schmückungszweck zu
dienen hatten, wo das Psychische erst mittelbar zum Ausdruck
kam, sie waren eben unentbehrlich. Und was namentlich die Bau-
kunst betrifft, so schien sie gerade in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts in Rom ganz besonders unentbehrlich: es betrifft
gleichmäßig den Kirchenbau wie den Profanbau, Palastbau, Villen-
bau, Brunnenbau bis herab zu den Nutzbauten von bestimmtem
künstlerischem Charakter, z. B. Wasserleitungen.
Es ist interessant, darüber zwei Berichterstatter zu vergleichen.
Der eine schrieb einige Jahre vor 1550, der andere einige Jahr-
zehnte danach. Der ältere ist Scbastiano Serlio, ein bekannter
Architekt, der zur Entwicklung im großen wenig beigetragen hat,
aber in gewisser Hinsicht doch von symptomatischer Bedeutung ist.
Weil ich ihn hier zitiere, will ich einige Worte über ihn einschalten.
Er war ein Bolognese, der aber dann nach Rom gekommen ist,
also ein Vorläufer jener großen Bolognesen, die später geradezu
eine römische Schule begründet haben, allerdings nicht so sehr
in der Baukunst, sondern in der Malerei; aber gerade unter den
Bolognesen waren oft Maler auch zugleich Architekten: wie z. B.
Tibaldi, Domenichino. Serlio geht parallel mit Michelangelo (ist im
- 92 -
gleichen Jahre 1175 geboren), aber er hat sich nicht an Michel-
angelo angeschlossen, sondern er ist einer der sogenannten
Theoretiker geworden, die man auch als Meister der Spät-
renaissance bezeichnet; in der Anwendung auf Meister von der
Art des Scrlio hat die Bezeichnung Spätrenaissance noch am
ehesten etwas Berechtigtes. Die Theoretiker wollen den glücklich
gefundenen Ausgleich ein für allemal zur Norm erheben: „Aka-
demiker". Diese Theoretiker suchen eine Theorie des Schönen in
der Baukunst, und zwar suchen sie dieselbe in der Antike, wie
sie ihnen in Denkmälern aus der römischen Kaiserzeit vor Augen
lag. Sie erkannten das Maßgebende dafür in den Proportionen, wie
sie sich wiederum in den Säulenordnungen offenbarten; darin wurden
sie bestärkt durch die Lektüre des Vitruv, der damals eifrig kom-
mentiert wurde. Es kam sogar zur Gründung einer vitruvianischen
Akademie in Rom im Jahre 1542. Diese Meister suchten also nach
gewissen, absolut schönen Maßverhältnissen, nach einer allgemein
gültigen „Regola". Diese Regola wollen sie literarisch fixieren, sie
publizieren daher große Werke, um sie zur allgemeinen Geltung zu
bringen. Alle Theoretiker sind zugleich Publizisten. Sie bedeuten
den Gegensatz zu Michelangelo, der nicht stehen bleiben will,
sondern im letzten Lebensjahre den Übergang zum Langbau ge-
funden hat.
Diese theoretische Strömung ist ein kunstgeschichtlich sehr
wichtiges Symptom. Es bedeutet genau dasselbe, was die Bestrebungen
der deutschen gotischen Steinmetzen im 15. Jahrhundert, die auch
nach absolut mustergültigen Zahlenverhältnissen in der Baukunst auf
der Suche waren. Es ist eine sozusagen materialistische Auffassung
der Baukunst; man entwickelt das Schönheitsziel der Baukunst nur
aus den äußeren Maßverhältnissen der Materie. Der Zusammenhang
mit den allgemeinen geistigen Strömungen des 15. und des be-
ginnenden 16. Jahrhunderts ist ganz klar. Dieser theoretischen
Strömung, die bezeichnend ist für den Höhepunkt der Hoch-
renaissance, hat Michelangelo ein Ende bereitet. Aber in der ganzen
ersten Hälfte des Jahrhunderts hat sie sich neben Michelangelo
in Rom behauptet — praktisch war in Rom nach Raffacl die
Spätrenaissance tot, theoretisch hat sie sich noch lange behauptet
- da Michelangelo als Architekt überhaupt erst seit 1546 in
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Frage kam und einflußnehmend wirken konnte, und in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat sie in Oberitalien und
namentlich in Venedig dauernd Fuß gefaßt, durch Palladio
und später namentlich durch Scamozzi und Longhena. Die Be-
deutung des Serlio ruht daher nicht in den Bauten, die er ausge-
führt hat, deren ihm einige in Oberitalien zugeschrieben werden
(keiner mit absoluter Sicherheit), sondern in seiner literarischen
Tätigkeit: seinen sieben Büchern dell' architettura, die auch heute
noch wichtig sind, weil er darin nicht bloß seine Aufnahmen nach
römischen antiken Bauresten publiziert, sondern auch Pläne von
Bauten seiner eigenen Zeit (z. B. Pläne für S. Peter von den ver-
schiedenen Meistern, die bis zu seinerzeit solche entworfen haben;
für die Baugeschichte von S. Peter wichtig; auch Entwürfe von
seiner Hand, die uns seine eigene Richtung zeigen; Kirchenentwürfe
mit ovalem Grundriß darunter beweisen, wie frei er von der klassi-
schen Antike sein konnte, besonders die Neigung, Grade in Kurven
zu verwandeln). 1541 ist er zu Franz I. nach Frankreich gegangen und
hat dort die Publikation seines Werkes vollendet; er starb 1552 zu
Fontainebleau. Charakteristisch, daß so viele Meister der älteren
Richtung nach Frankreich ausgewandert sind: man spricht ja von
einer Malerschule von Fontainebleau, die nur aus Italienern gebildet
war: Primaticcio an der Spitze. Allerdings die Aufstrebenden
— wie Vignola — sind auch, alsbald nach Italien zurückgekehrt:
auch charakteristisch.
Serlio klagt also im fünften Buche (offenbar in den vierziger
Jahren redigiert), daß die Architekten damals nur so geringe Be-
schäftigung fanden. Dagegen haben wir ein Zeugnis für die zweite
Hälfte des Jahrhunderts bei einem anderen Schriftsteller, namens
Armenini, dessen Buch dei veri precetti della pittura zu
Ravenna 1587 gedruckt worden ist. Er sagt darin, daß die kirch-
liche Baukunst in Italien nach der Publikation der Beschlüsse des
tridentinischen Konzils (natürlich nicht materialistisch so zu er-
klären, daß die Paragraphen des Konzils das herbeigeführt haben;
es ist ein Zusammenhang zwischen Gegenreformation und Barock-
kunst, aber beide gleichmäßig von einem dritten Höheren bedingt:
das Ethische und das Ästhetische nur Ausdruck eines gemeinsam
höheren Dritten, das hier nicht festzustellen ist), also nach 1563
- 94 -
- d. h. nachdem die Ideen der Gegenreformation in Italien auch
äußerlich den vollen Sieg errungen hatten — einen ungemeinen
Aufschwung genommen hätte. Daneben findet er es auffällig und
der ausdrücklichen Anmerkung wert, daß die Skulptur und Malerei
mit jenem Aufschwung keineswegs gleichen Schritt hielten. In der
Tat sind auf dem Gebiete der italienischen Baukunst in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts ganz entscheidende Schritte geschehen.
Wiederum handelt es sich hier um die Nachfolge Michelangelos.
Man wird von vorneherein erwarten, daß die Schüler auch hier wie
in der Skulptur und Malerei dein großen Meister in seinen eigensten
Intentionen zu folgen nicht wagen würden. Eine Zeitlang hat man
es in der Tat nicht gewagt. Auch Vasari hat zwar die eigenartigen
Formen der Laurenziana gelegentlich getreu kopiert, aber aus dem-
selben Geiste heraus ein völlig Neues, Selbständiges zu schaffen,
sich von der Renaissance mit ihrer ruhigen Ausgleichstcndenz
zwischen Horizontalem und Vertikalem ganz loszusagen, hat Vasari
niemals unternommen. Die Bauten des Vasari tragen daher eher
einen gemäßigteren Charakter an sich als diejenigen ihrer Vorbilder
selbst. Aber es liegt eben im Wesen der Baukunst, als einer an-
organischen Formkunst, daß sich binnen kurzem doch einige be-
gabte Meister gefunden haben, die auf Michelangelos Intentionen
völlig eingegangen sind, weit tiefer eingegangen, als es einem Maler
und Bildhauer jemals möglich gewesen wäre. Der entscheidende,
grundsätzliche Punkt, in dem Michelangelo für seine Nachfolger an-
stoßgebend, wegweisend geworden ist, liegt in seiner entschlossenen
Abkehr von der antiken Regel, wie sie die Theoretiker verfochten.
Nur muß man sich diese Abkehr nicht vorstellen wie einen gewalt-
samen Bruch mit der Vergangenheit (wie dies heutzutage vor
sich geht).
Nirgends begegnet in den überlieferten Äußerungen Michel-
angelos oder seiner Freunde irgendeine Spur, die sich als Feind-
seligkeit gegen die Antike auslegen ließe. Ja ich habe schon bei
Gelegenheit der Diskussion der Laurenziana bemerkt, daß Michel-
angelo wahrscheinlich zu jedem einzelnen seiner „barocken" Details
Belegstücke aus der römischen Antike der Kaiserzeit bereit gehabt
haben dürfte. Man gab den größten Respekt vor der Antike vor,
und begann doch daneben eigene Wege zu gehen. (Sogar bei Scrlio,
- 95 -
dem die antiken Säulenordnungen als etwas Unantastbares galten,
begegneten ovale Grundrisse.) Ganz charakteristisch hierfür sind
einige Bemerkungen des Vasari: einmal bezeichnet er die antiken
Baureste als eine verehrungswürdige cosa santa; aber allmählich
beginnt er doch einzusehen — offenbar unter dem Einflüsse des
Michelangelo — , daß man nicht immer dieselbe gemeine Straße
wandeln könne; er findet schließlich das Hauptverdienst des Michel-
angelo darin, daß er die .,Fesseln und Ketten" zerrissen hat, die
die Künstler auf jenem Gemeinwege festgehalten hatten. In der Tat
sehen wir etwa seit den sechziger Jahren alle namhaften Architekten
Roms dem Beispiele Michelangelos folgen, sich von der antiken
Regel, d. h. von der strengen Umsetzung aller Tiefe in Höhe und
Breite, alle Tiefe zu verbinden mit der Höhe und mit der Breite,
emanzipieren. Diesen verhältnismäßig raschen Umschwung in der
Baukunst versteht man erst dann so recht, wenn man sieht, daß
parallel damit eine allgemeine Antikenfeindlichkeit als Kultursymptom
sich entwickelt hatte. Sie hängt natürlich zusammen mit der Gegen-
reformation und erweckt sogar Erinnerungen an die altchristliche
Zeit, wenigstens in den Tagen des allerstrcngsten Papstes, Pius V.
Diese merkwürdige Erscheinung, ein so radikaler Umschwung in
wenigen Jahren, ist auch deshalb kunstgeschichtlich wichtig, weil
sie sich in etwas veränderter Gestalt seither öfter wiederholt hat.
Man kann geradezu sagen, von nun an in der ganzen neueren Zeit
wird das Verhältnis zur klassischen Antike immer zum Barometer
für die großen Geistesströmungen, die zwischen Glauben und Wissen
hin- und herführen und mit die Entwicklung der lebenden Kunst
des Tages zugleich entscheidend beeinflussen.
Es erscheint mir daher passend, weil es von vorneherein ein
Licht auf den Verlauf der Entwicklung wirft, wenigstens mit kurzen
Worten eine Darstellung darüber einzuflechten, wie sich das Ver-
hältnis der Römer im 16. Jahrhundert zur klassischen Antike ge-
staltet hat. Ich beschränke mich dabei lediglich auf das Verhältnis
zu den Denkmälern der bildenden Kunst. Aber auch hinsichtlich
des Verhältnisses zu der Literatur der Alten ließe sich Paralleles
vorbringen, was uns hier zu weit führen würde. Einige wertvolle
Andeutungen finden Sie in Rankes Geschichte der Päpste. Das
mittelalterliche Rom hatte die Denkmäler des Altertums lediglich
- 96 —
als (,uitc Beute betrachtet, die man zu praktischen Zwecken aus-
nützte: das Kolosseum direkte als Steinbruch, die Marmorbildwerke
fütterten die Kalkgruben. Erst im 15. Jahrhundert begann mit der
materiefreundlichen GcistcsstrOmung, die wir in der Einleitung er-
örtert hatten, eine Rücksichtnahme auf die antiken Denkmäler als
solche, weil man in ihnen teilweise etwas entdeckte, das dem
eigenen Streben verwandt war: maßvolle Subordination.
Dieselben Bildsäulen, die die Altchristen seinerzeit gestürzt
und zertrümmert hatten, wurden nun förmlich unter den Schutz
des Papsttums gestellt. Interessen der Künstler und Kulturbegeistc-
rung der hohen Geistlichkeit für das Antike reichten sich die Hand
und unterstützten einander auf das eifrigste. Die Trümmer der
antiken Kunst schienen um ihrer selbst willen, das heißt um ihrer
materiellen Schönheit willen, der sorgsamsten Konservierung wert.
Am Ende des Mittelalters der direkte Gegensatz zu demjenigen, was
am Anfange zu sehen gewesen war, ein scheinbarer Rückfall ins
Heidentum! Der beredteste Ausdruck dafür ist die Ernennung
Raffacls zum Direktor der römischen Altertumsausgra-
bungen mit päpstlichem Breve vom 27. August 1516. Man kann
sagen, daß Raffacls letzte Lebensjahre in der Hauptsache der
Gcneralaufnahme der in Rom und Umgebung zu seiner Zeit er-
haltenen antiken Reste gewidmet waren. Wie weit er darin gekommen,
ist unbekannt; sein früher Tod verhinderte das endgültige Zustande-
kommen des Werkes, ebenso der Tod Leos X. Die Aufnahmen
sind nicht wiedergefunden; wahrscheinlich das meiste überhaupt in
den Händen der Schüler geblieben, die er nachweislich auf Reisen
mit den Aufnahmen beschäftigt hat: Giulio Romano, Perin del Vaga
u. a. Einiges hat noch 1544 Giulio Romano dem Vasari in Mantua
gezeigt.
Mit dem Tode Raffacls und Leos X. war der Höhepunkt der
ganzen Richtung zweifellos überschritten; aber zunächst hielt sie
sich allein durch das Übergewicht der Tradition im Ansehen. Als
nach dem Ablaufe der stürmischen Regierung Clemens VII. wieder
ruhigere Zeiten kamen, schien es sogar, als ob alles wieder in die
alten Geleise einlenken wollte; Paul III. schien in allem die
Renaissancetraditionen Leos X. aufnehmen zu wollen. Abermals
wurden die antiken Denkmäler unter päpstlichen Schutz genommen.
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Es wurde eine Art Zentralkommission zur Erhaltung der antiken Denk-
mäler in Rom niedergesetzt, an deren Spitze Giovenale Manetti
als päpstlich bestellter Kommissär der Altertümer stand. Das Breve
datiert vom 28. November 1534. Dem Manetti wird darin die In-
struktion erteilt: „zu wachen darüber, daß die Monumente der Stadt
und Umgebung und alle Statuen, Inschriften, Marmore soviel wie
möglich bewahrt, von Gestrüpp und Efeu gesäubert, keine neuen
Bauwerke ihnen angehängt, nichts zerschlagen, zu Kalk ver-
brannt, aus der Stadt entfernt werde". Also ein Verschleppungs-
verbot! Bald darauf schenkte man sie gerne weg, um sie nur los-
zukriegen. Giovenale Manetti blieb in seiner Funktion bis zu seinem
Tode 1553. Es war die Frage, ob das Amt weiter besetzt werden sollte.
Damals regierte Julius III., der sich zur Gegenreformation auch nicht
minder zögernd gestellt hat als Paul III. Es ist die Konfliktsstimmnng
des Michelangelo überall: man möchte noch handeln wie Julius II.,
aber man wird gelähmt durch die Empfindung, daß es nicht mehr
gehe. Eine unbehagliche, resignierte Stimmung der Kurie. Er ernannte
daher auch einen Nachfolger Manettis für die Konservierung der Alter-
tümer: Mario Frangipani. Das war aber der letzte Papst aus der
humanistischen Schule. Schon unter Pius IV., der das tridentinische
Konzil durchführte, begegnen unzweideutige Symptome der Gleich-
gültigkeit gegen die antiken Denkmäler. Wir haben schon früher
gehört, daß Pius IV. einen der besterhaltenen Räume der Diocletians-
Thermen durch Michelangelo zu einer christlichen Kirche umge-
stalten ließ: S. Maria degli Angeli. Das war schon im Geiste
Sixtus V., die Denkmäler des Heidentums zur Verherrlichung des
Christentums zu benützen. Aber Pius IV. hat die Denkmäler, die
sich hierzu nicht eigneten, noch nicht zerstört. Der nächste Papst
Pius V. war einer der strengsten unter den strengen; er ist es, und
er eigentlich allein, der der bildenden Kunst nahezu feindlich gegen-
übergestanden ist. Die antiken Statuen nennt er bereits Idola anti-
quorum. Er stößt sich also schon am Heidnischen daran, er verehrt nicht
mehr die schöne Form um ihrer selbst willen. Der heidnische Vor-
stellungszweck, der damit verknüpft war, konnte ihn doch nicht
beunruhigen, wer hätte damals an die antiken Götter glauben mögen?
Er fürchtete den psychischen Ausdruck in den Statuen an und für sich.
26 Statuen aus dem Belvedere schenkt er an den Großherzog nach
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. 7
Florenz, ihm selbst war es nur darum zu tun. dieselben aus seinem
Palaste loszubekommen. Seit jenem Vcrschleppungsverbot Pauls III.
waren nicht viel mehr als 30 Jahre vergangen.
Auf Pius V. folgte Gregor XIII., der den Kalender reformiert
hat, und dann Sixtus V. Es war ein Zeitalter für die Kunst, wie es
seit Julius II. nicht mehr dagewesen war; aber die Kunstfreundlich-
keit der Päpste ging nicht über die Architektur hinaus: höchst be-
zeichnend für das Zeitalter der strengen Gegenreformation. In ihm
drückt sich die Veränderung, die inzwischen in dem Verhältnis der
Römer zur Antike Platz gegriffen hatte, zuerst mit voller, entschie-
dener Bewußtheit aus. Für Sixtus V. haben die Denkmäler der
heidnischen Antike nur den einzigen Zweck, zur Verherrlichung des
Christentums zu dienen. Soweit die Denkmäler hierzu geeignet
waren, schützte er sie; wenn nicht, so mißachtete er sie, ja er ging
in vielen Fällen direkt an ihre Zerstörung. Am bekanntesten aus
seiner Regierung ist infolge populärer Erzählungen die Aufstellung
des Obelisken vor S. Peter. Es war für die damalige Zeit eine be-
trächtliche mechanische Leistung; viele zweifelten von vorneherein
an der Möglichkeit des Gelingens, den Obelisk zu heben, wo er
stand (hinter S. Peter), zu transportieren und wieder aufzustellen.
Sein Lcibarchitckt Domenico Fontana hat es durchgeführt. Der
Papst war glücklich darüber. Unternehmungen solcher Art sind für
sein Kunstwollen charakteristisch. Eine rein materielle Leistung, bei
der das Psychische gar nicht in Frage kam. Auf die Spitze kam
ein Kreuz, das eine Kreuzpartikcl in sich schloß. Noch andere
Obelisken ließ er zu ähnlichen Zwecken auf Plätzen vor berühmten
Kirchen aufrichten (z. B. den auf dem Lateranplatz). Ähnlich verfuhr er
mit den Säulen des Trajan und des Marc Aurel. Er machte sich um
ihre Konservierung verdient, da er sie restaurieren ließ, und be-
wahrte sie durch das Interesse, das er daran nahm, vor weiteren
Zerstörungen. Aber auf die Trajanssäule ließ er eine Statue des
h. Petrus, auf die Marc Aurelsäule einen h. Paulus setzen. Am
Kapitol waren unter anderem antike Statuen eines Jupiter tonans,
ein Apoll und eine Minerva. Die zwei ersteren ließ er entfernen;
die Minerva ließ er zu einer Statue des christlichen Rom umarbeiten,
indem er ihr den Speer nahm und dafür ein riesiges Kreuz in die
I land gab.
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Was von Antiken sich zu solchen Zwecken der Verherrlichung
des Christentums nicht gebrauchen ließ, fand vor seinen Augen
gar keinen Anwert. Wo war die humanistische Begeisterung für die
Antike um ihrer selbst willen hingeraten? Der Papst schreckte vor
Zerstörung nicht zurück, und leider ist die Annahme eine nur zu
sichere, daß unter ihm sehr viel zugrunde gegangen ist. Für
einen Konservator der Altertümer war da keine Verwendung mehr.
So fiel als Opfer der Rest des Scptizoniums des Scptimius Severus.
Die paar gut erhaltenen Säulen daran ließ er nach S. Peter schaffen.
Dann ließ er 1588 Hand legen an das Grabmal der Cäcilia Metclla.
jenen denkwürdigen Rest aus republikanischer Zeit, das Wahrzeichen
der Via Appia. Doch das ließen sich die Römer doch nicht nehmen.
Reine humanistische Begeisterung war es wohl nicht, aber Lokal-
patriotismus, der die Leute bewog, beim Papst dagegen vorstellig
zu werden. Die Kardinäle wurden bestürmt zu intervenieren, daß der
Zerstörungssucht des Papstes gegenüber den antiken Denkmälern Ein-
halt getan werde. Das Grabmal der Cäcilia Metella wurde in der Tat
gerettet; man mußte es im 17. Jahrhundert noch einmal retten, wie
sich zeigen wird. Wie vieles aber nicht? Um die volle Tragweite
dieses Verhaltens des Papstes richtig zu würdigen, muß man sich
immer daneben gegenwärtig halten, daß Sixtus V. kein Barbar der
Kunst gegenüber war, und zwar besonders der Baukunst gegen-
über. Im Gegenteil, seit Julius II. war kein so gewaltiger, hoch-
sinniger Bauherr auf dem Stuhl Petri gesessen, als Sixtus V. Alle
seine Bauten waren groß entworfen. Echte Römergesinnung der alten
Zeit sprach aus ihnen. Wasserleitungen ließ er wiederherstellen,
wovon die Bogen über die Campagna erhalten waren. Danach baut
er aus der Aqua Marcia die Aqua Fclicc (nach seinem Taufnamen ge-
nannt) mit monumentalem Auslaufbrunnen bei den Thermen des
Diocletian. Die Hügel sucht er zu besiedeln, die Stadtquartiere inner-
halb der aurelianischen Mauern wiederherzustellen. Er legte ganze
Stadtteile an zwischen Esquilin und Pincio. Von monumentalen
Kunstbauten ist es vor allem S. Peter, das er am Herzen hatte; wie
er den Ausbau mit allen Mitteln beschleunigte, habe ich schon
früher erzählt. Von den übrigen Bauten zu reden wäre zu weitläufig.
Von Palastbauten sei bloß der Latcranpalast von Domenico
Fontana erwähnt; wieder wurden dabei uralte Bauten nieder-
- 100 -
gerissen, aus der ersten Zeit der Christenheit (der Lateran ist die älteste
Kirche des römischen Bistums). Man sieht, wie frei sich die Gegen-
reformation auch dem Altchristentum gegenüber gefühlt hat. Man
empfand, daß man trotz äußerlicher Reformbestrebungen doch inner-
lich mit dem Wesen des Aitchristcntums wenig Gemeinschaft mehr
hatte. Und überall ist es majestätische Pracht und Größe des neuen
päpstlichen Rom, worauf die Tendenz der Bauführung gerichtet ist.
Die Tendenz des strengen römischen Barock hat in Sixtus V. als
Bauherrn ihre Inkarnation erfahren. Man will bauen so grandios wie
die alten Römer, ja man will sie darin übertreffen; und zu diesem
Zwecke bedient man sich ihrer Formen, ja ihrer Werke selbst; aber
von einem tieferen, inneren Respekte vor diesen antiken Werken und
Formen fühlte man sich völlig frei. So hatte sich innerhalb eines
Halbjahrhundcrts die Stimmung gegenüber der klassischen Antike
gerade in ihr Gegenteil verkehrt.
Weil ich gerade dabei bin, will ich vorgreifend gleich einige
Daten aus dem 17. und 18. Jahrhundert beifügen, um in kurzer
Skizze zu zeigen, wie sich das Verhältnis der römischen Kurie und der
römischen Kunst zur klassischen Antike weiterhin gestellt hat, und
wie man schließlich in Rom in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts wieder gewissermaßen zur Auffassung der Renaissance,
wenigstens zu einer freundlicheren Auffassung der Antike zurück-
gekehrt ist. Nach Sixtus V. folgten einander eine Reihe von Päpsten,
alle gewaltige Bauherren und alle im Geiste Sixtus V. Einer der
berühmtesten ist Paul V. Borghese, derselbe, der endgültig den
Zentralbau Michelangelos und Bramantes in einen Langhausbau um-
wandelte. Paul V. ließ nun den Rest des Mincrvatempels am Forum
transitorium zerstören, um Material zu gewinnen für seine eigenen
Bauten: einen großartigen Nutzbau in der Art Sixtus V., die Aqua
Paola, und für die Capella Paolina in S. Maria Maggiorc, gleich-
falls ein Gegenstück zu einem Bau Sixtus V., der Capella del Presepio.
Gleichzeitig mußten auf dem Quirinal Reste der constantinischen
Thermen und des aurclianischen Sonnentcmpcls dem Bau von
Palästen weichen: Palazzo Rospigliosi und Villa Aldobrandini.
Gregor XV. Ludovisi bildet gewissermaßen eine Ausnahme, sein
Kardinalnepot brachte die Hunderte von Statuen für die Villa
Ludovisi zusammen; aber es war mehr zur Dekoration der Villa
gemeint. Urban VIII. Barberini, der größte Kunstpapst des 17. Jahr-
hunderts, ist in dieser Richtung am bekanntesten geworden durch
die Entführung der Bronzebalken „decora inutilia" aus der Vorhalle
des Pantheon, 1626, für Berninis Tabernakel in S. Peter und für
Kanonen. Da spotteten selbst die Römer: Quod non fecerunt bar-
bari, fecerunt Barberini. Das beweist, daß eine aktion im Zuge war.
Auch er wollte das Grabmal der Cäcilia Metella jrstören lassen, um
Material für die Fontana Trevi zu bekommen; wieder hat es das Volk
verhindert. Alexander VII. Chigi, der größte Kunstförderer unter
den Päpsten der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Kolonnaden
von S. Peter!), ließ den Marc Aurel-Bogen am Korso zerstören;
allerdings solche Zerstörungen sind schon entschuldbarer; sie
könnten vielleicht auch heute vorkommen, denn dieser Bogen war
ein Verkehrshindernis, das sich am Korso sehr fühlbar machte;
heute würde man ihn an anderer Stelle wieder aufrichten.
Selbst noch im 18. Jahrhundert begegnen einzelne Akte der
Zerstörung: beim Bau der Ripetta (des Tiberhafens), 1704, wurden
noch immer Travertinquadern vom Kolosseum verwendet. Unter
Clemens XII. wurden die letzten antiken Baureste am Quirinal, der
noch im 16. Jahrhundert damit ganz angefüllt war, mit Pulver ge-
sprengt, um für den Bau der Consulta Platz zu schaffen. Aber der-
selbe Clemens XII. ließ den Konstantin-Bogen restaurieren (das war
aber allerdings der Bogen eines christlichen Herrschers). Ferner
verwendet noch Benedict XIV. für den Bau von S. Crocc in
Gerusalemme Materialien aus den Trümmern des sessorianischen
Palastes. Aber er ist der erste, der der weiteren Zerstörung des
Colosseums Einhalt getan hat, indem er einige Kapellen hinein-
bauen und das ganze zur Chiesa pubblica weihen ließ. In der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht die Villa Albani, mit
der wir in Winckehnanns Sphäre eintreten, der ja Sekretär des Kar-
dinals Albani gewesen ist. Schon in ihrer Architektur werden auf-
keimende klassizistische Neigungen bemerkbar; aber besonders
wichtig ist sie uns als Sammelpunkt für antike Kunstwerke, die
großenteils gemäß Winckehnanns Rat gekauft wurden. Der völlige
Sieg der klassizistischen Richtung, d. h. eines neuerlichen Interesses
für die Antike und ihre Überreste erscheint besiegelt um 1800, als
im vatikanischen Palaste neue Museumsräumc für antike Statuen
— 102 -
hergerichtet wurden. Seit Pius IX. hat sich das Interesse des päpst-
lichen Rom zunehmend den Denkmälern der altchristlichen Zeit zu-
gewendet. Überhaupt ist diese Begeisterung für die Antike seit der
Mitte des 18. Jahrhunderts, seit Winckelmann, sehr verschieden von
derjenigen unter Leo X. In der Renaissance war sie eine künstlerisch-
innigere, jetzt ist sie eine antiquarisch-äußerliche. Die Kenntnis
der Antike ist jetzt eine größere; wärmer empfanden sie die Re-
naissancemenschen. Dazwischen lag eben eine Zeit, in der man in
allen technischen Fragen die antike Baukunst zu übertrumpfen ge-
lernt hatte: die Barockzeit. In ein so naives Schaffensverhältnis zur
Antike wie zur Renaissancezeit konnte man nicht mehr treten, und
wird es überhaupt nie mehr können: das Zeitalter, welches diesen
Umschwung einleitete, war dasjenige der „Aufklärung"!
Folgende Meister sind es hauptsächlich, die der römischen Bau-
kunst in der zweiten Flälfte des 16. Jahrhunderts und dem ersten
Drittel des 17. das Gepräge geben:
1. Die ältere Generation bis zirka 1570, die noch vom tiefsten
Respekte vor den antiken Denkmälern erfüllt war, die von den
Theoretikern ausgeht, dann aber unter den bezwingenden Einfluß
des Michelangelo gerät: sie ist repräsentiert durch Vignola, den
nach Rom zugereisten Bolognesen (wie Serlio, aber Vignola war
seiner künstlerischen Herkunft nach Bolognese).
2. Eine jüngere Generation bis zirka 1590, die schon un-
mittelbar in der Schule des Michelangelo aufwächst: eine römische
Schule, repräsentiert durch Giacomo della Porta. Diese reprä-
sentiert den Höhepunkt der Baukunst des streng reformatorischen
Zeitalters; die eigentliche schöpferische Phase erreicht mit ihm ihre
Vollendung und ihren Abschluß.
3. Eine jüngste Generation, hauptsächlich schon ins 17. Jahr-
hundert fallend, die aus dem lombardischen Maurerlande einwandert
und sich in den Dienst eines schon fest gewordenen, ausgebildeten
Kunstprinzips stellt. (Eine Befruchtung der Römer durch Oberitalien
wie bei Bramante, aber die Römer werden dadurch nur zu einer
Stilauflockerung veranlaßt; diese Lombarden bilden den Übergang
von Michelangelo zu Bernini.) Hauptsächlich repräsentiert durch
Domenico Fontana (daneben Martino Lunghi) und Carlo
Maderna.
— 103 -
Zuerst betrachten wirGiacomo Barozzi, nach seinem Geburts-
orte gewöhnlich kurzweg Vignola genannt (einem Apenninendorf in
der Nähe von Modena), geboren 1507, gestorben als Dombaumeister
von S. Peter 1573. Seine erste Schule hat er im nahen Bologna
gemacht, wo auch einige Bauwerke von ü erhalten sind; man
erkennt daran die Nachwirkung der obcritalien. !ien Frührenaissance,
z. B. in spielenden Fcnstergiebelverzierungen, lie so grundsätzlich
dem ernsten römischen Barockgefühl widersprechen. Von Bologna
kam er nach kurzem Verweilen in Frankreich anfangs der vierziger
Jahre nach Rom und trat da in den Dienst der vitruvianischen
Akademie, in deren Auftrag er die Baudenkmäler Roms aufzunehmen
hatte. Die Akademie ist zwar bald wieder eingeschlafen, aber
Vignola hatte den Nutzen davon, indem er selbst seine Auf-
nahmen publizierte in der Regola delle cinque ordini dcl-
l'architettura, 1559 bis 1565 in Rom erschienen. Es ist dies die beste
Darstellung der antiken Säulenordnungen aus jener Zeit, die hie
und da heute noch gebraucht wird. Vignola wurde infolgedessen
lange zu den Theoretikern gerechnet wie Serlio; aber man darf
darüber nicht übersehen, daß er später, nach neuerlicher Abwesenheit
in Oberitalien, nachdem er 1550 wieder nach Rom zurückgekommen
war, ganz entschieden zu Michelangelo übergegangen ist und sich
von der peinlich strengen Nachahmung der Antikenordnungen
immer mehr emanzipiert hat. Die Mittelstellung zwischen Theore-
tikern und Michelangelo beweist er in seinen Arbeiten an der
Vigna di Papa Giulio. Sein Anteil daran ist zwar im einzelnen
nicht genau festgestellt, aber ich will das merkwürdige Bauwerk bei
dieser Gelegenheit zur Sprache bringen. Heute zu einem Museum
etruskischer Altertümer eingerichtet, früher zeitweilig als Kaserne
verwendet. Manches, namentlich von der Detailausstattung, zugrunde
gegangen, aber die bauliche Anlage noch in der Hauptsache wohl-
erhalten, was wunder nimmt, weil der Bau, nur für die private
Passion eines Mannes erbaut, seit seinem Tode, 1555, nie mehr
einem wirklich notwendigen Zwecke gedient hat. Er verdient mehr
Berücksichtigung, als er in der Regel findet. Es handelt sich um
eine Schöpfung Papst Julius III., des letzten humanistischen
Papstes, der wohl einsah, daß die Aufgaben des Papsttums
das Einschlagen einer strengeren Richtung zwingend forderten,
— 104 -
und der dieser Richtung auch wenigstens in passiver Haltung
Folge trug, aber dafür nach einer Erholung von den mißliebigen
Regierungsgeschäften verlangte. Diese Erholung fand er im Bau
einer Villa oder Vigna vor der Porta del Popolo. Es handelt
sich weder um einen Weinberg, noch um eine eigentliche Villa.
Es gab seit der Renaissancezeit eine städtische Villa (suburbana)
in nächster Nähe der Stadt, oder wie die Villa Farnesina, sogar noch
innerhalb der Stadt gelegen, und eine Landvilla; von letzterer
konnte natürlich gar nicht die Rede sein, aber auch nicht von einer
suburbana, denn bei dieser war das landschaftliche Element — der
Garten — seit jeher ein ganz wesentliches (wie z. B. in der Villa
Madama, die Raffacl und Giulio Romano für die Medici gebaut
haben). Es war vielmehr eine ganz eigenartige Aufgabe, wie sie
niemals wiederkehrte. Der Papst war gezwungen im Vatikan zu
residieren; er wollte sich aber einen Palast schaffen, in dem er
wenigstens bei Tage öfter mehrere Stunden in Zurückgezogenheit
von den Geschäften und im heiteren Genüsse verfeinerter Lebens-
güter zubringen konnte. Ein eigentlicher Palast brauchte es aber
auch nicht zu sein, weil ein ständiger Wohnzweck nicht in Frage
kam. Alle praktischen Anforderungen an einen ständig bewohnten
Palast fielen hinweg, und darin liegt die ganz äußere Berührung
mit der Villa suburbana, die auch nicht zum ständigen Wohnsitz
eingerichtet ist; aber der Papst wollte doch mehr als eine Villa,
er wollte sich Sommer und Winter und bei jeder Witterung darin
behaglich fühlen.
Die Idee als solche ist also entschieden noch eine renaissance-
mäßige, wenn man erwägt, daß es ein Papst ist, der sie gefaßt hat. Es ist
eine ähnliche Idee, aus der Bramantes Entwurf für den großen
vatikanischen Hof hervorgegangen ist. Insofcrne darf der Bau eine
kulturhistorische Bedeutung für sich in Anspruch nehmen, um so
merkwürdiger, als er noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts möglich
war. War nun schon die Idee eines solchen Mitteldinges zwischen
Palast und Villa ein spezifisches Eigentum des Papstes, so hat er offen-
bar auch die leitenden Punkte für die Ausführung diktiert. Vasari be-
richtet darüber folgendes: er selbst hätte nach des Papstes Wunsch
und Angaben den Gesamtplan entworfen; ausgeführt hätten ihn
Vignola und Ammauati (ein Florentiner Baumeister, der nächst
- 105 -
Vasari damals den größten Ruf besaß). Man hat aber bezweifelt,
daß in der Tat ein einheitlicher Entwurf des Vasari zugrunde liegt;
man glaubt gewöhnlich, der Papst habe seine Wünsche beim Fort-
schreiten des Baues immer wieder geändert und die jeweiligen Bau-
leiter hätten sich dem anbequemt.
Wenn ich das Bauwerk im einzelnen vorführe, so geschieht
es deshalb, weil es insoferne für seine Zeit ein Unikum ist, als
daran fast gar keine praktischen Gesichtspunkte, sondern rein ästhe-
tische in Frage kamen. Der Papst wollte zwar für sich abgeschlossen
leben (das verrät schon barocke Empfindsamkeit), er wollte aber
überall nur von größter architektonischer Schönheit umgeben sein.
Wir erfahren daraus das Ideal der Übergangszeit von der Renaissance
zum Barockzeitalter.
Fassade: zweigeschossig, unten wuchtig; ungeheures Portal, das
in der Mitte vorspringt und einen Balkon trägt mit drei Nischen da-
hinter (Dominante); (verkröpfte Rustizierung der Säulen und Pilastcr,
für die Übergangszeit charakteristisch, vom Norden begierig über-
nommen). Auffallend die unbedeutenden Flügeln (schon das wurde
sehr bemängelt; man fragt, ob nicht mehr beabsichtigt gewesen ist,
nach oben und nach den Seiten; sieht aus wie ein mittlerer Aus-
schnitt aus einem dreistöckigen Gebäude). Im Erdgeschosse Finestroni,
Florentiner Einfluß; der Rustikasturz sprengt das Giebelfeld kräftigst,
wird aber doch durch den Giebel gebändigt: gleichsam der Sieg
des Schönen über das Starke. Das Obergeschoß viel sanfter; hier liegen
spielende Giebel über den Fenstern, wie in der Bologneser Früh-
renaissance, deshalb dem Vignola zugeschrieben. (Barock: vorspringen-
des Portal, Fensterkonsolen, Giebelsprcngung. Renaissance: Unter-
scheidung der Geschosse, oben keine Verkröpfung, Rundbogen ) Durch
ein Vestibül betritt man den Hof: oblong, gegen die Eingangsseitc
im Hemicycle abgeschlossen. Im Erdgeschosse gedrückte Säulenhalle
mit ungeheuerer Friesfläche darüber ( ein michelangeleskcs Grundmotiv) :
zur Hälfte ganz durchbrochen, zur anderen Hälfte ganz geschlossen!
Welcher schneidende Kontrast! Das Obergeschoß geschlossen mit
Fenstern, trotzdem ein Korridor dahinterliegt, den die Renaissance
unbedingt als offene Loggia gestaltet hätte. Dieses Vordergebäude
zwischen Fassade und Hemicycle gibt nun die einzigen eigentlichen
Wohnräume des Ganzen: eine Anzahl von Zimmern mit Malereien
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der Brüder Zuccaro. Was weiter kommt, sind fast lauter Schau-
fassaden mit wenigen bedeutungslosen Gelassen dahinter, mehr
zum Schein als in Wirklichkeit. So einmal die zwei geraden Kulissen-
wände, die den Hof zu Seiten begrenzen, auch zweigeschossig; das
Auge soll nur gefällige harmonische Verhältnisse sehen : Blend-
arkaden, rundbogig, durch Pfeiler mit vorgesetzten ionischen Halb-
säulen getrennt; darüber Attika : ganz Renaissance. Dann die gerade
Abschlußwand gegenüber dem Hemicycle, durchbrochen in der Mitte
von dreiteiliger Halle (gerades Gebälk wegen der folgenden Stei-
gerung im Abschlüsse), die nach einem hinteren Hofe führt; dieser
senkt sich vermittels einer Terrasse zu einer Wasscranlage im
Souterrain, als „Bagni" bezeichnet, aber es ist zweifelhaft, ob sie jemals
dazu benützt wurde. An dieser abschließenden Schauwand ist wieder
das Dekorationssystem interessant: unten ganz malerisch in Formen
gebrochen, dunkle Schatten zwischen den Formen, die stehen ge-
blieben sind; im Mittelgeschosse schon etwas kompakt, im obersten Ge-
schosse ganz geschlossen, aber in der Mittelachse von einem Palladio-
motiv durchbrochen (von Vasari auch an den Uffizien so wirkungsvoll
an der schmalen Abschlußseite gegen den Arno verwertet, hier
aufstrebender, mit mehr Spannkraft, weil die zwei Geschosse
darüber zu tragen sind). Die weiblichen Hermen als Träger im
Untergeschosse auch bezeichnend: Verwendung organischer Motive
für anorganische Zwecke, aus demselben Grunde, aus dem schon
Michelangelo das Muschelgebilde verwendet hat. Also auch barock:
nicht zu verwechseln mit den mittelalterlichen Trägern, die rein
organisch sein wollen, wirkliche Träger. Hier aber sind es Hermen,
d. h. dekorative Wesen, die nichts Lebendes darstellen wollen, aber
sich der organischen Form äußerlich bedienen. Der nordische Kunst-
geschmack hat daran besonderen Gefallen gefunden. Der strenge
römische Barockstil hat wohl die Muschel akzeptiert, aber nicht die
Hermen (nur in der Landvilla, in der dekorativen Skulptur, z. B. an
Grabdenkmälern, und im Kunstgewerbe). Auch hier stehen die Hennen
schon an untergeordneter Stelle, aber mit großer Sorgfalt gearbeitet.
Dann ist Vignola für die Farnescn tätig gewesen. In ihrem
Dienste hat er den Palazzo Farnese in Piacenza gebaut, wichtig
deshalb, weil damit das strenge römische Barockpalastsystem nach
der Lombardei überführt erscheint (Emanzipierung der Mezzanine
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von den Geschossen). Aber es ist charakteristisch, daß das System
hier keinen Anklang und keine rechte Nachfolge gefunden hat.
Ferner hat er für die Farnesen das Schloß Caprarola bei
Viterbo erbaut, auch ein Unikum, weil es ein fester Schloßbau und
Luxuspalast zugleich ist. Sonst waren in Italien die Schlösser streng
festungsmäßig (Este, Ferrara); in der Renaissance werden sie ganz
fallen gelassen. Statt dessen Luxuspaläste in den Städten. Die Ver-
bindung beider, wie im Norden, kennt man in Italien nicht. Man
vermutet, daß Vignola zu dieser Kombination durch seine Eindrücke
bei seinem kurzen Aufenthalt in Frankreich angeeifert worden ist
(er war mit Primaticcio eine Zeitlang in Fontaincbleau). Das Schloß
ist ein Fünfeck, mit großem ovalem Hofe, heute noch erhalten, aber ver-
wahrlost. Die ovale, abgerundete Form des Hofes bemerkenswert!
Die Pfeiler sehr breit. Innen reiche dekorative Malereien des Federigo
Zuccaro. Das Ganze bildet ein sehr instruktives Übergangsdenkmal
der italienischen Kunst zur strengen Gegenreformationszeit. Für die
Farnesen hat er endlich am Palatin die Orti Farnesiani angelegt;
heute stark verändert und beeinträchtigt; einige Terrassen mit Treppe
und einiges Grottenwerk ist erhalten. Vignola hat damit auch Anteil
am eigentlichen Villcnbau genommen; auch die Villa Lante bei
Viterbo wird ihm zugeschrieben. Doch ist sein Anteil an der Ent-
wicklung des Villenbaues nicht rein auszumachen. Wir werden den
Villenbau erst bei seinem Nachfolger Porta ins Auge fassen,
dessen Anteil daran klarer zutage liegt. Aber so bedeutend sein
Schloßbau von Caprarola den Zeitgenossen erschien, seine ent-
scheidende Tätigkeit in Michelangelos Spuren hat er doch im Kirchen-
bau entwickelt. Nicht so sehr als Dombaumeister von S. Peter, als
der er nur die Pläne Michelangelos auszuführen hatte. Die zwei
Nebenkuppcln, die er ausführte, hat er Michelangelo gegenüber etwas
in die Höhe gestreckt, um sie nicht ganz durch die Hauptkuppel
erdrücken zu lassen. Seine Hauptbedeutung liegt aber in seiner
Tätigkeit als Architekt der Gesü, der Mutterkirchc des Jesuitenordens
in Rom, seit 1568 gebaut. Der Orden war eben in Italien und
Spanien zu seiner höchsten Machtfüllc gelangt und trat seinen Sieges-
lauf in den übrigen katholischen Ländern an.
Bedeutung dieses Baues: eine Jesuitenkirche in Rom.
Die Jesuiten kämpfen für die geistliche Weltherrschaft des Papstes in
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Rom; das ist ja die gegenrcformatorischc Tendenz, deren Träger
eben die Jesuiten sind. Am Zentralsitz dieser Weltmacht, wo auch
der Zentralsitz ihrer eigenen Tätigkeit ist, errichten sie ein Gottes-
haus. Es muß also 1. die gegenreformatorische Empfindung darin
zum reinsten Ausdruck gelangen; 2. schon mit Rücksicht auf den
unweigerlichen Gehorsam der Jesuitennicderlassungcn gegenüber
der römischen Zentralleitung muß diese römische Jesuitenkirche ein
Typus werden für die Jcsuitcn-Tochterkirchcn in den übrigen Ländern,
aber auch für den neukatholischen, gegenreformatorischen Kirchen-
bau überhaupt, da er auch von den Jesuiten geführt wird. Die Innen-
anlage ist zuerst zu nennen, weil von ihr alles ausgeht; jetzt ist der
Innenraum das zuerst Gegebene (im Altertum die äußere begrenzende
Hülle). Wo war man bei Michelangelo stehen geblieben? Bei dem
Zentralbau. Raumstil: ein geschlossener Innenraum, in dem sich alle
Dimensionen die Wage hielten; aber bei Michelangelo war die Tiefe,
die ja den Raumstil wesentlich bedingt, so weit gesteigert, als es
überhaupt möglich war, ohne den Zentralbau zu sprengen. Es war
schon der Konflikt zwischen Tiefe einerseits, Höhe und Breite an-
derseits gegeben. Was war der nächste Schritt? Noch größere
Steigerung des Tiefdranges, also Sieg der Tiefe über Höhe und
Breite, Sprengung des Zentralbaues, Übergang zum Langbau. Ist das
nicht eine Rückkehr zum Alten? Zum Mittelalter, zum Altchristlichen,
zur Basilika? Nein.
Die altchristlichc Basilika war wohl ein Langbau, aber es war
kein wirklicher Raumstil, wenigstens so lange sie 1. eine flache Holz-
decke hatte. Die altchristlichc Basilika, d. h. das Mittelschiff, ist ein
provisorisch gedeckter Hof. nichts mehr. Nach oben sollte er sich
eigentlich nach dem freien Himmel öffnen. 2. Nach den Seiten aber
war sie in Säulcnstellungen aufgelöst, hinter denen die Seitenschiffe
liefen. — Das wird heute leicht übersehen. In S. Paolo fuori lc
mura empfängt man einen gewaltigen Raumeindruck und Übersicht,
daß die Seiten in zwei Säulenstellungcn hintereinander durchbrochen
sind (je breiter das Mittelschiff, desto mehr Seitenschiffe, d. h. Säulen-
reihen brauchte man, um dem Mittelschiff den Charakter des Ge-
schlossenen zu benehmen). Das ist aber erst heute, oder seit Ende
des 16. Jahrhunderts so. Das Mittelschiff der altchristlichen Basilika
bot vielmehr gar keinen Raumeindruck. Das Mittelschiff war ganz
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versteckt mit Einbauten: der Priesterchor mit seinen Schranken
(S. demente, erst am Ende des 11. Jahrhunderts), dann zwei Kanzeln;
auf dem Bauriß von S. Gallen sogar Altäre, zwar nordisch, aber die
Liturgie der karolingischen Zeit war auch im Norden die römische. Erst
die Barockzeit verlangte ein geschlossenes Raumbild und beseitigte
fast überall diese Einbauten, wie wir vielfach überliefert wissen, aus
Sixtus V. Zeit namentlich. Der Jesuit Grisar bedauert dies als Ent-
stellung, und doch ist es die Konsequenz gerade des in den
Jesuitenkirchen zum herrschenden Ausdruck gelangten Geistes. Auch
die zahlreichen Fenster oben wurden in dieser Zeit zum Teil ver-
mauert. Also der neurömisch-katholische Kirchenbau ist wieder ein
Langbau wie die altchristliche Basilika, aber es ist ein geschlossener
Innenraum, wie der Zentralbau der vollendeten Hochrenaissance.
Die Seitenschiffe fallen weg, das Querschiff wird vereinfacht, die
Kuppel über der Vierung bewahrt den Eindruck der Zentralität,
statt flacher Decke ein einheitliches Tonnengewölbe.
Grundriß: einschiffiger Saal, kurzes Langhaus, so daß man
schon vom Eingang aus die Kuppel wahrnimmt. Sic ist ebensowenig
wie das Querhaus etwas Überraschendes, Unbegrenztes; begleitende
Kapellen, als Formen der raumbegrenzenden Flächen in tastbarer
Nähe. Die Querarme fast nicht ausladend, bloß breitere Kapellen.
Die Kapellen alle breit geöffnet, gleichsam Nischen in der Mauer,
nicht selbständige Teile mit eigenem Zugang, nur vor der Kuppel
eine schmale Öffnung, um zum Aufschwung der Kuppel vorzu-
bereiten. Die Kuppel macht sich auch am Anfang des Langhauses
schon geltend Das Langhaus ist eben kurz; auch darin äußert sich
die Beziehung, in der man immer noch gewissermaßen zum Zentral-
bau bleibt.
Aufriß: von der Umfassungsmauer sind unten nur Pfeiler stehen
geblieben, verkleidet mit einer Kolossalordnung von Doppclpilastcrn
(nach Bramantcs Vorbild; an den Kuppelpfeilcrn Häufung von vor-
tretenden Pilastcrn nach Michelangelos Vorbild). Dazwischen öffnen
sich in Rundbogen die Kapellen; über den Rundbogen sind Emporen
(offenbar vom Meister durch den Orden gefordert) angebracht, die
aber mezzaninartig verhehlt sind, statt offener Loggien wie die
mittelalterlichen Emporen. Über der Kolossalordnung unverkröpftes
Gebälk und eine wuchtige, lastende Attika und darüber das Tonnen-
gcwölbc; in das Tonnengewölbe sind die Fenster eingeschnitten,
eine gewaltsame Lösung, weil Fensterlaibungen nicht parallelogram-
matisch bleiben können (wie es die Antike nie getan hätte, wohl
aber die byzantinische Kunst, z. B. in S. Vitale). Das Auge trifft
nirgends auf eine glatte Wandfläche, sondern überall auf Geformtes.
Lichtführung: wird ein sehr wesentliches Moment in der
Raumkunst, die ja auf optischer Aufnahme beruht. Am vollendetsten
ist sie, wie im Pantheon, als reines Oberlicht im Gewölbescheitel:
gleichmäßiges Erleuchten aller Partien. Das kann bei einem Lang-
haus nicht sein, weil die Abmessungen nicht mehr gleiche sind.
Aber der Barockstil will auch nicht mehr gleichmäßige Beleuchtung.
Auch hier will er Kampf. Er will Abwechslung, freilich zunächst
noch nicht in raffinierter Weise, dafür ist er zunächst zu ernst, nicht
äußere Licht- und Schattenspiele um ihrer selbst willen. Aber die
Kapellen bleiben schon jetzt ganz dunkel (die Altarbilder zum großen
Kummer der Beschauer oft gar nicht auszunehmen). Am hellsten ist
der Kuppclraum, das Langhaus hat zwar oberes Seitenlicht, bleibt
aber doch in der Helligkeit hinter dem Kuppelraum zurück.
Immerhin verträgt der einheitliche Raum keine allzu große
Zersplitterung in der Beleuchtung. Aber der Keim war gegeben; wir
werden sehen, wie eine spätere Periode der italienischen Barock-
kunst geradezu den Hauptreiz in den Belcuchtungscffekten gesucht
hat. Wir fragen nun, woher hat Vignola dieses System geschöpft?
Die Frage ist berechtigt, denn war Brauchbares vorliegend, dann
konnte es benutzt werden, nur wäre es dazu auch dann gekommen,
wenn kein Vorbild dagewesen wäre. Einschiffige Säle hat es immer
gegeben: 1. die großen Säle der römischen Thermen der Kaiserzeit
(S. Maria degli Angeli), mit begleitenden Kapellen; 2. in der alt-
christlichen vorconstantinischen Zeit; da waren die Scholac, die
ältesten Versammlungsorte der Christen, einfache, einschiffige Säle
mit Apsis und seither so viele isolierte Kapellen im ganzen Mittel-
alter bis in die Neuzeit herein; diese stammen von den Scholae ab,
sind aber halb und halb Nutzbauten; 3. in der südfranzösischen
Baukunst der romanischen Periode, einschiffige, tonnengewölbte Säle,
mitunter mit begleitenden Nischen in den Scitenwänden. Das ist
schon sehr wichtig, es ist nämlich das spezifisch Antikisierende, die
Nachfolge der Thermensäle der römischen Profankunst, gegenüber dem
— 111 -
fränkisch-romanischen System der Nordfranzosen, das zur Gotik ge-
führt hat. Die südfranzösischen Säle kommen auch im nördlichen Spanien,
in Katalonien vor. Gurlitt meint nun: der Jesuitenorden war eine
spanische Gründung; auch das System der Jesuitenkirchen wäre
durch den Bauherrn, den Jesuitengeneral Borgia, aus seiner kataloni-
schen Heimat gebracht worden: Gesü wäre also ein spanischer
Grundriß, verquickt mit der Kuppel von S. Peter. 4. Näher liegen
italienische Vorbilder. Die Frührenaissance hat schon um die Mitte
des 15. Jahrhunderts, bevor man es gewagt hat, den Zentralbau
selbst als Ideal des christlichen Kirchenbaues hinzustellen, heraus-
gefunden, daß der einschiffige Saal der ideale Typus eines kirch-
lichen Langhausbaues wäre; Leone Battista Alberti hat in diesen
Formen S. Andrea zu Mantua aufgeführt (einschiffiger Saal mit
begleitenden Kapellen und Vierungskuppel). Das ist aber eine
Kirche in einer bescheidenen Provinzstadt. Da ist das Langschiff
noch sehr lang, das Querschiff sehr ausladend, die Apsis klein:
alles der Einheitlichkeit der Raumwirkung widerstreitend. Das Beispiel
hatte Nachfolge, aber wieder nur in unbedeutenden Exemplaren.
Das Verdienst Vignolas ist es, das System eben an einem gewaltigen,
entscheidenden Kirchenbau in Rom selbst durchgeführt zu haben.
Nur an einem großen Bau konnte das volle künstlerische Er-
gebnis dieses Systems zur Geltung gelangen: der gewaltige Raum-
eindruck. Und dieser wurde jetzt Postulat seit Michelangelo. Da-
mit kommen wir auf die eigentliche Hauptabsicht, die dem Ganzen
zugrunde liegt. Der Raum hat Fernsicht zur Voraussetzung. Daher
hatte die Antike diesen Begriff erst dann geschöpft, als die Kunst-
auffassung sich allmählich von der streng nahsichtigen schon weit
entfernt hatte. Aber die klassische Antike wollte jedes Extrem ver-
meiden (wie wir am Pantheon gesehen haben), daher schuf sie den
Zentralbau. Er ist ein Raum, aber ein klarer, allseitig in gleich-
mäßigen Abständen begrenzter. Die gleiche Ausgleichsstimmung be-
herrscht nun die Renaissance: auch Bramantc will in S. Peter einen
gewaltigen einheitlichen Raum schaffen, aber das Auge sieht nach
allen Seiten gleiche Abstände — ein Gesetz — und dabei beruhigt
es sich. Michelangelo hat in S. Peter diese Tendenz, wie wir sehen,
auf die Spitze getrieben, in S. Maria degli Angeli ist er aber dar-
über hinausgegangen. Auch hier ist ein einheitlicher, gewaltiger Raum,
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aber ein oblonger, d. h. die Abmessungen sind nach der Länge
und Breite verschieden. Das merkt das Auge, und es vermißt jenen
Eindruck der gesetzmäßigen Ordnung, wie ihn der Zentralbau bietet.
Es entsteht der Eindruck der Ungewißheit, Spannung, Unruhe, Be-
wegung, des Kampfes. Das suchte schon Michelangelo, eben weil es
das Zcitgeschlecht überhaupt verlangte, und Vignola hat sich darin
nur Michelangelo angeschlossen. Gewiß ist es das System des Alberti,
aber Vignola hat es aus ganz anderen Gründen verwendet (bei
Alberti sehr langes Langschiff, sehr ausladende Querarme, kleine
Apsis: alles noch im mittelalterlichen Geiste), und vor allem an
einem gewaltigen Tempel, was Alberti wohl nie getan hätte. Damit
war sein Sieg entschieden. Natürlich ist die Vereinigung des
Langhauses mit der Kuppel erst recht nicht Vignolas Erfindung
(schon romanisch, auch an S. Andrea zu Mantua); nur die harmo-
nische Art der Einfügung, so daß die Einheitlichkeit nicht wesent-
lich gestört wird, trotz der Zusammenfügung zweier verschiedener
Teile unter zwei verschiedenen Achsen, ist Vignolas Meisterleistung.
Die Jesuiten haben das System nach Möglichkeit durchaus fest-
gehalten. Hat man dieses System als solches im Auge, dann darf
man noch am ehesten von einem Jesuitenstil sprechen, allerdings
denkt man dabei an sinnbetörenden Schwulst, der erst später hinein-
gekommen ist.
Wir fragen nun nachdem Äußeren, das doch im Zentralbau
so wichtig ist, aber auch im Langbau, hier aber besonders die
Fassade. Die mittelalterliche Kirche hat am Ende noch vier Fassaden,
die Barockkirche hat nur eine, die sich zum subjektiven Beschauer
wendet. Da ist nun ein entscheidendes Merkmal für diesen barocken
Langkirchenbau: das Äußere wird ganz vernachlässigt gegen-
über dem Inneren, mit einziger Ausnahme der Fassade
und der Kuppel, die aber für die Nahsicht ohnehin verloren ist;
auf die Fassade aber wirft sich die ganze Gestaltungskraft der
Künstler. Wir ahnen, daß sich hierin wiederum eine der tiefsten
und prinzipiellsten Regungen des barocken Kunstgeistes äußert, wir
bemerken einen Kontrast zwischen äußerster Schlichtheit und größtem
Reichtum. Die Vernachlässigung des Äußeren hat der Barockstil
wiederum mit der altchristlichen Baukunst gemein: bei dieser ist
es — wie wir schon gesehen haben — aus Verachtung gegenüber
- 113 -
der äußeren materiellen schönen Form geschehen. Gewiß ist ähnliches
auch in der gegenreformatorischen Kunst im Spiele, auch sie sucht
wieder nach Verinncrlichung, aber eine Seite, und zwar die Schau-
seite wird doch auf das verschwenderischeste hervorgehoben, was
die altchristliche Baukunst nicht getan hatte, die auch auf die Fassade
keine Rücksicht genommen hat. Vignola hat für den Gesü auch
eine Fassade entworfen. Aber zu seinen Lebzeiten war der Bau
noch nicht so weit gediehen, und als es endlich dazu kam, war
der Stil inzwischen über das von Vignola Gewollte hinausgegangen,
wie es immer in Zeiten eines werdenden Kunstaufschwunges zu ge-
schehen pflegt. So rasch war die Entwicklung noch nie gewesen.
Infolgedessen wurde die Fassade in reiferen Formen durch den
würdigsten Nachfolger des Vignola, durch Giacomo della Porta
aufgeführt. Wir werden sie dann betrachten; aber Vignolas Entwurf
hat sich auch erhalten; es wird uns nützlich sein, diesen zum Ver-
gleich heranzuziehen.
Ein noch instruktiveres Beispiel für ein barockes Kirchen-
äußeres bietet S.Andrea della Valle. Baustein, ohne Travertinvcr-
kleidung. Abteilung nach Kapellen durch flache Pilaster, eigentlich
Wandstreifen. Querschiff hier etwas mehr ausladend als im Gesü
(charakteristisch für die Entwicklung, schon von Maderna ausgeführt,
also nach 1600). Hohe Attika verbirgt die Strebemauern: Gegensatz
zur Gotik, die daraus ein ästhetisches Element macht. Neben der
Fassade macht sich nur noch eines nach außen bemerkbar: die
Kuppel. Diese aber für die Fernsicht, für das Stadtbild im ganzen,
während die Fassade für die Nahsicht. Sie folgt im Detail und in
der Umrißlinie im allgemeinen der Kuppel von S. Peter. Für die ita-
lienischen Städte sind diese Barockkuppeln ebenso charakteristisch,
wie für die nordischen Städte die gotischen Türme. Dasselbe auf-
strebende Prinzip, aber bei den Italienern proportioneller, maß-
voller, minder einseitig.
Giacomo della Porta, nach Baglione ein Römer, nach an-
deren aber ein Oberitaliener, aus Porlezza gebürtig. Er hat sich un-
mittelbar an Michelangelo gebildet und darf als der eigentliche
Hauptmeister der römischen Baukunst der strengen gegenreforma-
torischen Zeit betrachtet werden. Er starb 1604. Seine Bedeutung
erstreckt sich gleichmäßig auf die Kirchen- und Profanbaukunst.
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. S
— 114 —
Wir betrachten zuerst seine Leistungen als Kirchcnbaumeistcr. Er
hat überall das Erbe des Vignola angetreten; als Dombaumeister
von S. Peter und als Baumeister der Jesuitenkirche Gesü. Als Dom-
baumeister von S. Peter hat er jedoch nur die Pläne des Michel-
angelo ausgeführt.
Man hat zwar die definitive Bildung der Kuppel, wie sie heute
erscheint, durchaus dem Porta zuschreiben wollen. Wahrscheinlich
ist dies aber nur hinsichtlich der inneren Schale der Fall, die er
etwas erhöht hat über das von Michelangelo gegebene Maß und
worin er nur dasjenige gesteigert hat, was Michelangelo selbst ge-
wollt hat. Aber man hat ihm auch die äußere Umrißlinie zuschreiben
wollen, ohne zureichenden Grund. Wichtiger, bahnbrechender sind
Portas Leistungen als Baumeister des Gesü. Hier war vielleicht
noch das Tonnengewölbe des Inneren, sicher aber die Fassade
fertigzustellen. Er verwarf den Plan des Vignola und stellte einen
neuen auf. der auch ausgeführt wurde und in der heutigen Er-
scheinung der Fassade auf uns gekommen ist. Wir gelangen hier-
mit zu einem der wichtigsten Kapitel der Kunstgeschichte: zur Ent-
stehung der katholischen Kirchenfassade der neueren Zeit.
Dieses Kapitel war bei Michelangelo nicht zu besprechen, denn
Michelangelo hat eine solche Aufgabe nicht durchgeführt. Sie war
ihm zwar einmal gestellt worden, noch von Leo X. Er sollte eine
Fassade für S. Lorenzo in Florenz entwerfen; aber ich habe schon
seinerzeit erwähnt, daß die bezüglichen Entwürfe nicht zur Reife
gediehen sind und uns Michelangelo keineswegs als den entschlossenen
Bahnbrecher enthüllen, als der er sich wenige Jahre später in den
I utw iirfen zur Laureuziana geoffenbart hat. Das läßt vermuten, daß
er selbst nicht völlig zufrieden war mit den Entwürfen, und selbst
nicht auf ihre Durchführung gedrängt hat.
Als Michelangelo aber zum vollen Bewußtsein dessen gelangt
war. was er für die Zukunftsbaukunst hielt, hat er sich um eine
Kirchenfassade nicht mehr annehmen können, denn da galt ihm
der Zentralbau über alles. Ein Zentralbau ist aber streng genommen
fassadenlos. Für seinen Zentralbau von S. Peter hat er zwar gegen
den Petersplatz hin eine Fassade entworfen, die aber, für die
speziellen Verhältnisse berechnet, auf einen Langhausbau nicht an-
wendbar war.
- 115 -
Als also den Nachfolgern Michelangelos die Aufgabe gestellt
winde, die Fassade eines Kirchenlanghauses zu entwerfen, da hatten
sie kein unmittelbares Vorbild des Meisters, an das sie sich an-
zuhalten gehabt hätten. Infolgedessen waren sie genötigt, auf die
Tradition zurückzublicken, d. h. die Fassaden, die vor dem
Zentralbau von S. Peter in Rom entstanden sind, gewannen für
die Meister nach 1550 Bedeutung. Das zwingt auch uns, etwas nach
dieser Seite hin auszugreifen.
Die italienische Fassade im Mittelalter ist in der Regel turm-
los, das gibt ihr den Charakter gegenüber der nordischen. Das
System war durch die Basilika gegeben: zweigeschossig, wegen ver-
schiedener Höhe der Seiteuschiffe und des Mittelschiffes, das letztere
konnte dadurch dominieren, mit und ohne Giebel. Dieses System
der Basilika begegnet noch an den spätesten mittelalterlichen Kirchen
in Rom: S. Agostino, seit 1483 gebaut, Pfeilerbasilika mit Kreuz-
gewölben; auch hier gotischer Hochdrang sich äußernd, daher hoch-
ansteigend, das verrät sich auch in der Fassade. Zwei Geschosse,
das untere überaus hoch. Tendenz auf Ausgleich der drei Dimensionen:
Höhe durch Pilaster. die zur Mauer gehören deichte Verkröpfung
des Gesimses), aber flach, nicht stark ausladend, allzu schlank, trotz
unterlegten Sockelgcsimses. das durch Türen auffallend durchbrochen
wird; Breite durch Gesimse, Sockelstreifen, Friese; Tiefe durch
maßvolle Ausladung der Gesimse an den Türen, namentlich der
Giebel des Hauptportals auf Konsolen und durch Rahmenwerk in
den Wandflächen charakterisiert (was früher durch Inkrustation be-
werkstelligt worden war). Fenster bloß Rundfester von einem Quadrat
umzogen: absolute Ruhe, weil weder Höhe noch Breite. Im Ober-
geschoß die gleiche Behandlung. Abschließende Giebel. Die aus-
springenden Winkel zur Ausgleichung zwischen Höhe und Breite,
durch Voluten ausgefüllt, wie von Alberti an S. Maria Novclla,
aber hier plastischer, mit eben solchen Zwickelpalmetten. Die Aus-
gleichung auch sonst unbefriedigend. Die nächste Fassade ist die
der Anima von 1514. Man gibt das Organische der Basilika ganz
preis, und teilt die Fassade nach den Pilastern in drei Geschosse:
entschiedene Verweltlichung, aber zugleich Vereinheitlichung mit
Bezug auf das Innere. Gewöhnlich für den Ausgangspunkt wird
die Fassade von S. Spirito in Sassia genommen, angeblich von
- 116 -
Antonio da San Gallo, aber höchstwahrscheinlich später gebaut.
S. Caterina de' Funari, ziemlich dasselbe System wie S. Spirito in
Sassia, von 1563, angeblich von Giacomo della Porta, zweigeschossig,
aber statt der breiten Seitenschiffe ganz schmale Seitenpartien, weil
sie bloß Kapellen entsprechen; deshalb auch die Voluten sehr steil.
Die Pilaster stehen einzeln ruhig nebeneinander in symmetrischer
Reihung. Ober dem Ganzen ein ruhiger, ungebrochener Giebel. In
der Fassade ist noch wenig Kampf. Überhaupt stärkeres Aufstreben,
stärkere Tiefe. Nur fällt auf, daß alle Flächen verarbeitet sind, also
Tendenz auf möglichst reiche Behandlung der Schauseiten (an S.
Agostino und der Anima war dies noch nicht der Fall); zwischen
den Pfeilern Nischen und eingestufte Tafeln, als architektonisch-an-
organische Gliederungen, aber in den Kapitellzonen Festons und
Kartuschen, also sogar organisches Zierwerk. Steigerung der Höhe
und Breite. Fenster aufstrebend, Pilaster zahlreicher, Horizontalzoncn
zahlreicher; unten Hochdrang, oben zentrales Rundfenster! Das
Ganze eine Ebene, aber an der Mauer tritt der mittlere Teil um
einen Schritt heraus, auch sonst Details mehr schattenwerfend.
Portal ausladender, aber Giebel ruhig auf kannelierten Säulen ruhend
(später glatte beliebt).
Ist die Fassade wirklich von Porta, dann hat er in zehn Jahren
einen ganz wesentlichen Fortschritt in der von Michelangelo
gewiesenen Richtung gemacht. Von 1573 datiert die entschei-
dende Fassade des Gesü. Auf den ersten Blick hat man Mühe
zu erkennen, daß hier dieselben Elemente vorlagen wie bei
S. Caterina de' Funari, zweigeschossig, breiteres Untergeschoß,
schmäleres Obergeschoß mit Giebel. Ausgleich der einspringen-
den Winkel durch Voluten. Aber man empfängt sofort den Ein-
druck schwerer Massigkeit; das Gegenteil zur Renaissance, die
immer den Eindruck spielender Leichtigkeit erstrebt hat. Wir fragen
uns, wodurch ist dieser Eindruck bedingt? Durch eine ungeheuere
Wand, in der aber alles in Bewegung geraten ist, nach Höhe.
Breite und Tiefe. Alle Architcktursprachc beruht auf dem Gegen-
satz zwischen Horizontalismus und Vertikalismus. Die Last der
Materie drückt in horizontaler Lagerung zu Boden, die Kraft des
Wachstums wirkt gerade aufrecht entgegen. In der Renaissance
will man an dieses Kräfteverhältnis möglichst wenig erinnern; man
soll gar nicht daran erinnert werden, daß das Gleichgewicht ge-
stört werden könnte.
An dieser Fassade nun ist sowohl das Gewicht der horizon-
talen Masse als die Kraft des Aufwärtswachsens auf das schärfste
und nachdrücklichste betont. 1. Vertikal: Pilaster, doppelt, aber nicht
in rhythmischer Travee, sondern Schulter an Schulter, um besser
stützen zu können. 2. Horizontal: vor allem die Attika über dem Ober-
geschoß, die hier neu ist gegenüber S. Caterina. Dann die hohen Sockel,
die horizontalen Akroterien an den Seiten des Giebels, die schweren,
unter eigenem Gewicht niederrollenden Voluten. Man sieht beide
Gegensätze miteinander ringen. Man sieht den Aufwand an Last und
ist besorgt darum, ob sie auch getragen werden kann. Man sieht
den Aufwand an Kraft und wird dadurch aufmerksam gemacht, daß
es eine ungewöhnliche Last zu tragen gilt. Diese Betonung der
Massen entspricht genau demjenigen, was wir an den Figuren des
Michelangelo angetroffen haben: ein Übermaß an verwendeter
Materie, die ausdrücklich betont erscheint. Daneben fanden wir aber
dort innere Bewegung aus der Tiefe heraus; sie äußert sich
hier in doppelter Art: als Steigerung der architektonischen
Ausdrucksmittel gegen die Mitte zu, und parallel damit
ein Heraustreten einzelner Mauerteile aus der Fläche.
1. Steigerung gegen die Mitte. Die Flanken, die unten den
Kapellen des Inneren entsprechen, sind ganz glatt belassen, man
läßt die nackte Mauer zutage treten, weil ja doch das Auge durch
andere Teile angezogen wird. Oben die Voluten. Im nächsten
Intervall finden sich schon Türen und Nischen unten, Nischen und
Tafeln oben, aber auch noch in geringeren Dimensionen als die
Ausfüllung des dritten Intervalls, das die Mitte einnimmt: die eigent-
liche Dominante, mit dem Hauptportal und dem Wappen unten und
einem einzigen Fenster darüber, im Giebelfeld zu oberst ein Wappen.
Höchst bedeutsam ist hier die Portalbildung. In S. Caterina war
es noch ein einfaches Portal, von einer Größe, wie sie für Menschen
eben paßt, d. h. es ist der menschliche Maßstab dabei angewendet.
Auch am Gesii ist die eigentliche Eingangsöffnung (auch die mittlere.
die schon größer ist als die seitlichen) nach menschlichem Maß-
stabe gebildet; aber das Auge wird davon ganz abgelenkt durch
ein grandioses Schauportal, das die volle Höhe des Untergeschosses
118 -
einnimmt. Es ist oben abgeschlossen mit zwei Giebeln, die inein-
andergeschachtelt sind. Auch hierin äußert sich der Drani; ins Über
menschliche. Die Kunst hat. wie dies Michelangelo zuerst verkündig!
hat. ihre eigenen Gesetze, die keine menschlichen mehr sind. Die
Eingangstür erscheint demgegenüber nur als notwendiges Übel für
die unvollkommenen Menschen 2. Bewegung der Mauerteile.
Natürlich muß die Dominante, also der mittlere Teil am vordersten
stehen; das Portal mit seinen Halbsäulen tritt am meisten heraus.
dann kommt gleichsam die Portalumrahmung aus zwei Pilastern mit
dem Segmentgiebel darüber, noch weiter zurück treten die beiden
Seitenintervalle; endlich die flanken. Wir haben also vier Pläne, in denen
sieh die Mauer bewegt. Das setzt sich fort ins Obergeschoß, ja selbst
in den Giebel, d. h. in die Fußlinie des Giebels und ins Giebelfeld,
hier nur in einmaliger Brechung. Man sieht, wie man noch Bedenken
trägt, die einfache klare Dreieckstruktur des Giebels zu verwirren; die
Giebelschenkel sind das einzige Unverkröpfte, hier ist die Bewegung
zum Stillstand gekommen. Das ist etwas Unerhörtes. Wir fanden
die Risalitbildung schüchtern an der Cancelleria. aber keines-
wegs zielbewußt, um eine Dominante herzustellen; an S. Caterina
sahen wir den ersten Anlauf, die Hauptfront gegen die Kapellcn-
flankcn etwas herauszurücken, aber so mäßig, daß es kaum einen
Ausschlag gibt. Hier ist mit einem Schlage schon die äußerste
Konsequenz gezogen: die Mauer ist als ein Bewegliches erklärt.
Den Eindruck der Bewegung erzeugen auch die verschiedenen
Pilasterintervalle; die kristallinische Baukunst erwartet lauter ganz
gleiche Intervalle (S. Caterina): nun sind sie aber verschieden, also
nicht kristallinisch ruhend, sondern organisch bewegt.
Noch eine weitere Art der Bewegung hat man an dieser
Fassade und an den Barockfassaden überhaupt finden wollen:
den Hochdrang. Dieser ist, wie wir gesehen haben, aller-
dings vorhanden, aber er ist nicht einseitig um seiner selbst willen,
sondern als Gegenwirkung gegen den gleichzeitigen Horizontal-
drang der Masse. Einen wirklichen Hochdrang als Selbstzweck
hatte die nordische Gotik entwickelt. Die Barockkunst kennt ihn
nur als notwendiges Mittel zum Zweck. Der Hochdrang ist in
der Barockarchitektur vorhanden, um mit dem Niederdruck zu
kämpfen.
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Man hat gefunden, daß der Hochdrang namentlich im unteren
Geschoß herrscht, im oberen aber innehält und sich gleichsam löst.
Man sieht z. B. unten die Nischengichcl sich in die Kapitcllzone
hinaufdrängen, oben dagegen unter dieser Zone verbleiben und durch
sie niedergequetscht werden. Das ist begreiflich, oben ist eben nur
mehr der Giebel zu tragen, während das Untergeschoß die Attika,
das Obergeschoß und den Giebel zu tragen hat. Der Hochdrang
muß dort am stärksten sein, wo auch der Niederdruck am stärksten
ist. Man sehe sich nur die Voluten an: in S. Caterina sind sie
leichte spielende Füllsel, die sich an die beiden Arme des Winkels
bequem und mühelos anlehnen. Hier sehen wir die Voluten deutlich
herabrollen, die größere Einrollung ist unten und lastet herab;
dagegen hat sie gar nichts zu tun mit dem Tragen des Giebels.
Detail. Die Formengcbung mit gesprengten Giebeln, Fuß-
verlängerung der Rahmenprofile u. dgl., kennen wir von Michel-
angelo. In den unteren Nischen sind Heiligenfiguren (Freiskulpturen)
eingestellt (das nur im Untergeschoß, nicht auch im oberen, be-
deutet wohl auch absichtlichen Nachdruck auf das Untergeschoß).
Das wird allmählich Regel. Der Barockstil verlangt viel Bildwerke
zur Dekoration, darin sich mit der Gotik wieder berührend. Dagegen
ist ein Unterschied gegenüber S. Caterina scharf hervorzuheben :
in den Kapitellzonen sind die Festons und die Kartuschen ver-
schwunden. Das Zierwerk, der Nachklang der schmuckfreudigen
Renaissance, muß zurücktreten. Es drückt sich darin die herbe
Kunstauffassung des Michelangelo ebenso aus wie der strenge Geist
der Gegenreformation, der an den kirchlichen Werken keine über-
flüssigen, spielenden, den Geist ablenkenden Zierwerke duldete.
Wenn man überhaupt von Kunstwerken als Repräsentanten
des gegenreformatischen Geistes, von Erzeugnissen einer Jesuiteu-
kunst sprechen kann, so ist es diese Fassade der ersten Jesuiten-
kirche in Rom. Aber daran ist noch keine Spur von jenem über-
quellenden Reichtum an Detail, wie man ihn gewöhnlich mit dem
Begriff der Jesuitenkunst verknüpft. Nur äußere Erhabenheit und
innere Bewegung erscheint angestrebt. Es war dies ganz im Geiste
Michelangelos. Es darf auch gesagt werden, daß die Architekten der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihrem großen Vorbilde weit
näher gekommen sind als die gleichzeitigen Maler und Bildhauer.
- 120 -
Freilich lag das nicht so sehr an den höheren künstlerischen
Qualitäten der Künstler, als an den besonderen Verhältnissen der
Kunstgebiete. Was Michelangelo angestrebt hat, war auf die Dauer
nur auf die künstlerische Durchbildung anorganischer Massen an-
wendbar; daher die Erfolge der barocken Baukunst und die Wert-
schätzung, die wir ihr heute noch entgegenbringen. In Skulptur und
Malerei konnte Michelangelo keine Nachfolge haben in dem Sinuc,
wie er sie wünschen mußte.
Interessant ist der Vergleich des Fassadenentwurfes des Vignola,
wie er uns in einem Stich von Villamena erhalten ist, und der
Fassade des Porta. Der Vergleich zeigt nämlich, was man 1573 als
überwunden angesehen hat. Bei Wölfflin ist die Vergleichung bequem
gemacht. Hauptabweichungspunkte: 1. Die Pilaster zwar doppelt,
aber noch in rhythmischer Travee, also im Hochdrang gemäßigt, und
auch die Horizontalen gemäßigt. Die Attika niedriger und öfter
gebrochen, also deutlich: der Kampf zwischen Vertikal und Horizontal
noch nicht auf die Spitze getrieben, der Vertikalen mehr Geltung
eingeräumt; geringerer Aufwand an materieller Elementargewalt.
Infolgedessen auch geringerer Hochdrang. 2. In der Bewegung: nur
drei Pläne: die mittlere Dominante zwar ausgeprägt, aber das Portal
noch versucht, dem menschlichen Maßstab anzunähern, namentlich
durch den Rundbogen, der zwischen Eingangsportal und Schauportal
vermittelt. Nur die Mitte stark betont, rechts und links davon alles
gleichmäßig durchgebildet, nicht wie im Gesü nach der Mitte alles
gesteigert. 3. Im Detail noch mehr Schmuckfreudigkeit: Festons in
der unteren Kapitellzone. Hcrmenpilastcr. (Hereinziehen organischer
Schmuckmotive. >
Die Fassade des Vignola atmet noch zum Teil Renaissancegeist.
Man sieht daran, wie man mit fast genau denselben Mitteln, unter
bloßer Verschiebung der Verhältnisse, so ganz andere Wirkung
erzielen kann Es beweist aber auch, daß erst Giacomo dclla Porta
auf die Ideen des Michelangelo mit voller Entschlossenheit ein-
gegangen ist. Die Haltung des Vignola, der von den Theoretikern
der Spätrenaissance herkommt, war noch eine zögernde.
Dem Porta wird auch die Fassade von S. Luigi de' Fran-
cesi, der französischen Nationalkirche, zugeschrieben. Sie beweg!
sich zwar in der gleichen prinzipiellen Richtung, aber es erscheint
- 121 -
ein ganz anderer Weg eingeschlagen; man glaubt daher, daß Porta
daran höchstens im Untergeschosse beteiligt war. Aber wir werden
Porta auch im Profanbau tastend vorgehen sehen, ohne daß das
von ihm gewählte System Nachfolge gefunden hätte. Die Fassade
ist zweigeschossig, aber das Obergeschoß gleich breit mit dem
unteren, also für Voluten kein Raum. Das ist vielleicht eine direkte An-
lehnung an das alte System, wie an der Anima, an S. Giacomo degli
Spagnuoli. Auffallend ist auch, daß die mittlere Dominante nur schwach
hervorgehoben erscheint — es fehlt das Schauportal — fast schwächer
als an S. Catcrina. Auch fehlt die Vorwärtsbewegung in mehreren
Plänen: ein fortwährendes Vor- und Zurücktreten in einer Ebene, an
Stelle des vierfachen Vorwärtsschreitens. Statt dessen bewegen sich
die Pilaster, deren immer jeder einzelne (statt der doppelten des Gcsü)
vor zwei hintere vortritt: auch ein von Michelangelo am Palazzo
Farnese eingeführtes Motiv. Der Giebel oben entspricht nur der
Mitte und ist ganz ruhig. Nur der Schattenschlag ist ein mächtiger.
Das Obergeschoß ist größer und lastender als das Untergeschoß.
Dafür könnte nur eine Erklärung zu finden sein: daß die Fassade
ursprünglich in enger Straße stehen sollte, wo man das Obergeschoß
nur schräg aufwärts sehend wahrnehmen konnte, also in Verkürzung.
Heute ist allerdings ein verhältnismäßig geräumiger Platz davor.
Dagegen die Seitenfassade etwas reicher behandelt und detailliert,
sogar mit vorgeblendetem mittleren Portalbau versehen.
Das sind also alles Dinge, die man anscheinend grundsätzlich
und absichtlich ganz anders gewählt hat als an den übrigen Fassaden,
die das System des Gesü befolgen, als ob man alles absichtlich auf
den Kopf gestellt hätte. Aber es ist richtig: diese Fassade bedeutet
eine Abweichung von der geraden Linie der Entwicklung. Sie hat
daher auch keine Nachfolge nach sich gezogen.
Profanbau. Hier waren zunächst einige Aufgaben, in denen
Porta Michelangelos Arbeiten zu vollenden hatte; man schwankt daher,
ob er oder Vignola bei diesen Vollendungen den Hauptanteil hatten.
Ausbau des Palazzo Farnese, gegen den Garten hin, auf der
Tiberseite. Von Michelangelo wissen wir nur, daß er eine großartige
Perspektive geplant hatte; man sollte durch Vestibül und Hof des
Palastes in den Garten sehen, wo in der geraden Sehlinie die Gruppe
des farnesischen Stiers (jetzt in Neapel) aufgestellt werden sollte,
und dann weiter bis über den Tiber hinüber in tue Lungara (den
jenseitigen Stadtteil), wohin eine Brücke geschlagen werden sollte.
Wir sehen also die perspektivischen (echt fernsichtigen) Neigungen,
die bezeichnend sind namentlich für die spätere Barockzeit, schon bei
Michelangelo auftreten: nur sind sie später mit größerem Raffinement
gehandhabt worden. In der strengen Zeit der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts hat man sich darin eher Schranken auferlegt.
Und so hat auch Porta das Projekt des Michelangelo fallen
lassen müssen. Man begnügte sich damit, die Gartenseite des Palastes
etwas fröhlicher zu gestalten. Überhaupt ist die Fassadenbildung
des Palastes nach seinen vier Seiten hin völlig bezeichnend für die
Denkweise des Barockzeitalters. Die Schauseite gegen den Platz
hin entwickelt die volle gravitä und grandezza. den vornehmen
Ernst, den ablehnenden Stolz. An den langen Seitenfluchten dasselbe,
aber hier hat schon Michelangelo, weil eine Dominante mittels
Portals nicht angebracht schien, eine Zusammenfassung der lang-
weiligen Fensterreihen in je drei Gruppen durchgeführt: Ausdruck
der Bewegung, weil nicht reine kristallinische Reihung, sondern ein
Rhythmus; doch auch diese Seitenfronten streng für sich abgeschlossen.
An der Gartenseite aber öffnet sich in der Mitte eine Loggia in
allen drei Geschossen: im obersten ist sie offen. Zwischen Loggia
und Flügeln ist eine Einziehung, ein Anlauf. Die tragenden Pilaster
sind wie die des Michelangelo im Hofe gegen ein hinteres Pilastcr-
paar vortretend. Der Eindruck ist ein überaus wirkungsvoller: ein
wohltuender Kontrast gegenüber dein Ernst der seitlichen Partien.
Datf das gewaltige Kranzgesims des Michelangelo in der Mitte
durch die Loggia unterbrochen erscheint, hat man ihm zum Vorwurf
gemacht, doch wirkt es nicht störend. Die Lösung ist höchst
interessant und eigenartig. Die Loggia scheint vorzuspringen,
aber das Kranzgesims weicht zurück, beide um nur geringes, so
daß doch keine Risalitwirkung entsteht. Auf große Ferne ist die
Wirkung geringer als in einiger Nähe.
Mit Michelangelo wird auch ein anderer Bau des Porta in
Verbindung gebracht, derjenige derSapicnza: der Universität von
Rom. Berühmt ist sie namentlich durch ihren Hof; ob Michelangelo
denselben in der Tat entworfen hat. ist unbewiesen: wahrscheinlich
ist er eine Schöpfung des Porta. Allerdings nur zum Teil, denn
später ist Borromini über den Bau gekommen. Schwerere Verhältnisse
als bei San Gallo. Messerscharfe Profile, tiefe Einziehungen zwischen den
Vorsprüngen, so daß in allen Gesimsen Licht- und Schattenlinien ab-
wechseln. Der Hof der Sapienza ist natürlich ein Pfeilerhof, aber nicht
mehr mit Halbsäulenvorlagen, sondern mit Pilastervorlagen, was
einen ernsten Eindruck hervorruft. Charakteristisch sind die Beigaben
des Borromini: das Hcmicycle als Abschluß, mit S. Ivo und dem
Schneckenturm, ferner das dritte Geschoß. Noch geschlossener, reine
Lisenenarchitektur, aber anderseits doch wieder äußerlich bewegter.
Endlich hat Porta auch eine Anzahl von Palästen selbständig ge-
baut und spielt eine Rolle in der Entwicklung der römischen Palast-
fassade. Freilich mehr eine episodische Rolle. Der Profanpalast war
dem echt monumentalen Kunstwollen des Michelangelo nicht so
zugänglich wie die monumentalen Kirchenbauten. Porta hat fürs
erste Fassaden entworfen, in denen er an den ruhigen Typus des
Palazzo Sacchetti anknüpft: Palazzo Paluzzi. Nur das Erdgeschoß
wird nicht mit so wuchtigen Finestroni gebildet. Der Sinn ist:
Dominante des Mittelgeschosses in der Horizontalen, des Portals
mit Balkon darüber in der Vertikalen. Das Kranzgesims gilt nur für
das oberste Stockwerk, darin Zurückweichen hinter die Absicht des
Michelangelo. Der Schattenschlag gibt Kampf, die Symmetrie, die
namentlich durch die stark betonte Mitte zum Bewußtsein gebracht wird,
stellt die Harmonie her. Das schien ihm aber nicht zu genügen. Er
verlangt einen stärkeren Kampf der Teile, ruhigen Beginn in den
Flanken, Steigerung gegen die Mitte hin, dann Beruhigung in der
Mitte selbst. Das heißt, Porta wollte in der Profanfassade ähnliches
durchführen wie an den Kirchenfassaden. Sein Vorbild war offenbar
Michelangelos Palazzo Farnese (dort aber noch nicht so raffiniert)
Palazzo Chigi: die Fenster nicht zusammengerückt zu einem
zwei- bis drei- bis vierfachen Fenster, sondern einzeln für sich, und
doch eine engere Gruppe (bei Michelangelo bleiben auch die mitt-
leren Fenstergruppen gleich weit voneinander entfernt wie die
seitlichen).
Palazzo Serlupi wiederholt dasselbe und zeigt, daß Porta
ein Prinzip daraus machen wollte. Aber das System ist unbefriedi-
gend, weil es allzu unmotiviert ist: man versteht nicht, warum es
so wider alle kristallinische Regel ist. Es mußten die Flanken von
- 124 —
der Mitte durch Risalitbildungen getrennt sein, die aber Porta ge-
rade vermeiden wollte, oder durch Lisenen oder Pilastcr. Diese Art
der Belebung einer Fassadenfront war eine allzu gezwungene. Sie
hat auch keine Nachfolge gefunden.
Schon dieses Tasten und Versuchen allein ist bezeichnend.
Die früheren Zeiten waren von einem viel sichereren und festeren
Geschmacksurteil geleitet. Auch dies ein Symptom des Subjektivismus,
lindlich hat Porta eine Bedeutung auch für den in der Barockzeit
sehr wichtigen Villenbau erlangt. Es handelt sich hier zunächst um
die ländliche Villa, wo es vor allem gebieterisch ein Zusammen-
wirken zwischen Architektur und Landschaft galt. Die Richtschnur
war im allgemeinen folgende: die Architektur wird am Lande zwang-
loser, darf sich ungebunden vom städtischen Zwange ergehen; die
Landschaft dafür wird eingefangen, gezähmt. So erfolgt eine An-
näherung zwischen der anorganisch-kristallinischen Architektur und
der organisch-wildwachsenden, freibewegten Landschaft.
Recht glücklich hat Porta dieses Programm ausgeführt in der
Villa Aldobrandini bei Frascati, gebaut für die Familie Cle-
mens' VIII. Die Absicht ist eine überwiegend fernsichtige, es sollen
die Massen aus der Ferne wirken. Am Bergabhange gelegen. Durch
ein System von Rampen gelangt man zum Wohngebäude. Eine
malerische Silhouette: die große Masse eher schwerfällig, oberflächlich
durch Lisenen und Gesimse zerteilt; nachdrückliche Zerschneidung
in vertikale und horizontale Teile; auch die Fenstcrumrahmungen
ebenso nachdrücklich durch farbige Linien hervorgehoben. Auf die
Ferne wirkt nur der obere Abschluß, der sich gegen die Luft ab-
zeichnet, und der ist danach behandelt: in der Mitte ein schlanker
Gicbelaufbau mit seitlichen Voluten, an jeder Ecke die Hälfte eines
gesprengten Giebels. Das Ganze also eine dekorative Giebelarchi-
tcktur, die man nie an einem Stadtpalast anzuwenden sich herab-
gelassen hätte, die aber an der fröhlichen Villa als erlaubt und
passend galt.
Dahinter ist ein schmaler, ebener Raum und sofort steigt der
Berg empor. Unten, wo er endigt, wird die rohe Natur zurück-
gedrängt und abgedämmt durch eine dekorative Architektur im Hemi-
cycle. Hier verrät sich noch Renaissancegeist, denn hier darf er es:
vielfach Hermen statt Pilastcr. Reliefs in die Wände eingelassen, grotten-
- 125 —
artige Behandlung der Nischen, also Naturalismus, dann Wasserkünste
Man fand Portas Dekorationsfiguren mürrisch. Das ist vielleicht zu
viel gesagt, aber sicher ist, daß die Späteren in solchen Figuren den
heiteren Ton besser getroffen haben; die ernste Zeit des Porta war
dafür ungünstig. Übrigens ist die Villa schon nach 1600, in den letzten
Jahren des Porta gebaut.
Nun der Berg selbst: er soll belebt sein durch Bäume und
durch Wasser, aber beide in dienende Rolle eingefangen. Die Laub-
bäume mit dichten Kronen (Steineichen zumeist, sehr willkommene
Bäume), mit kleinen Blättern, dichtem Laub, das sich zu festen Um-
rissen zusammenballt, in großen Massen zusammengedrängten symme-
trischer Verteilung rechts und links von der Mittelachse. Aber sie sind
noch nicht beschnitten wie später bei den Franzosen. In der Mittel-
achse ist das Wasser verwendet. Es kommt von weit oben herunter, ab-
wechselnd in eiligem Schwall über schiefe Ebenen oder von Treppe
zu Treppe fallend, dann in horizontalen Absätzen sich sammelnd,
dann in Kaskaden abstürzend. Vom Mittelportal des Kasino hat man
einen geschlossenen Blick auf den Wasserlauf, der hier wie in ein
Bild eingefangen ist. Sehr wirksam sind die festonumwundenen Säulen,
die Springbrunnen entsenden und die Mittelachse wirksam betonen
und die am letzten Absätze, den man von unten wahrnimmt, gleich-
sam Grenzen der Laubmasse ausstecken. Weiter unten fließt das
Wasser nicht in ein totes Becken. Wir sehen es aus der Kugel eines
Atlas, den es wie ein Schleier einhüllt, von allen Seiten hervor-
quellen und zerstäuben: also immer die Bändigung bis zuletzt und
nirgends die träge Masse.
Etwas früher, um die Mitte des Jahrhunderts, fällt die Villa
d'Este bei Tivoli, an der verschiedene Meister Anteil hatten. Sie hat
eher noch etwas vom Gepräge der Renaissance, von Raffaels Villa
Madama bewahrt (natürlich nur in der allgemeinen Auffassung).
Diesmal liegt das Kasino auf der Höhe. Ein Rampensystem führt
hinauf, von einem Zypressenrondell ausgehend. Oben liegt das Kasino
in schlichten Formen, rein auf Fernsicht berechnet, nur in der Mitte
als Endpunkt der Perspektive, zu der das Auge durch die aufsteigende
Gartenarchitektur gezwungen wird, eine Veranda mit Palladiomotiv.
Auf jedem Absätze genießt man neue überraschende horizontale
Querprospekte. Das Wasser ist hier aufgespart auf einen solchen
- 126 —
Querprospekt, der aber nicht in der Horizontalen verläuft, sondern
auch ansteigend. Das Hauptmotiv ist ein Triumphbogen mit Balu-
strade davor, von der eine mächtige Kaskade herabstürzt (geliefert
durch das Wasser des Anio. dessen Fülle freilich nicht leicht wo
anders zur Verfügung stand), unten gesammelt in ruhigem Teich-
becken. Namentlich in den Quergängen wird man durch die üppige
Vegetation, die unablässig murmelnden Wässer in eine traumhafte
Stimmung versetzt.
Die Villa suburbana bezweckt auch die Vereinigung von
Architektur und Landschaft, aber die wechselseitige Annäherung ist
doch hier eine gemessenere; die Architektur darf nicht so ins
Spielende gehen, die Landschaft muß sich in engeren Grenzen und
in größerer Unterordnung halten. Der Unterschied gegenüber der
ländlichen Villa ist also nur ein quantitativer, nicht ein qualitativer
Villa Medici von Annibale Lippi. gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts, am Pincio. Nach außen wieder einfacher abweisender
Hau. Über das Dach ist ein Oberbau gestülpt, von großer Ein-
fachheit, eigentlich nur eine Terrasse mit zwei Ecktürmchen, aber
von unsagbarer Wirkung, wozu freilich die hohe Lage der Villa
beiträgt. Überall, wo in Rom ein aussichtsreicher Punkt ist, ge-
wahrt man die Villa, weil sie durch den Aufbau auffällt. Dieser
Aufbau sagt auch deutlich, daß wir es mit einem villenartigen Ge-
bäude zu tun haben. Das Gebäude selbst würde in seiner Ein-
fachheit mißfallen, der Aufbau entschuldigt alles. Grundprinzip:
Vermeidung aller durchlaufenden Horizontalen, bis auf die krönende,
zusammenfassende Balustradenterrassc. von der die beiden Türmchcn
aufsteigen. Also auch ein Kampf, der oben abgeschlossen wird,
nur in den Türmchcn fortklingt; die Teile sind zu selbständig in
ihrer Bewegung, als daß dieses System für den Palastbau brauchbar
gewesen wäre. Das Gefällige müssen wir von vorneherein im
Inneren, gegen den Garten zu, suchen. Die Gartenseite ist als
Architektur auch nicht bedeutend, wirkt aber unendlich gefällig und
reich. Wodurch? Einmal Brechung in 1. Mittelbau zwischen zwei
Risaliten, 2. Aufbau mit Türmchen. Der Mittelbau mit Palladio-
inotiv durchbrochen. Aber das allein würde es nicht machen. Der
Reichtum an spielenden architektonischen Dekorationen, wie z. B. in
der Villa Aldobrandini. ist hier ersetzt durch einen Wandschmuck.
— 127 —
den allerdings nur Rom liefern konnte: durch antike Reliefs von
Sarkophagen, Friesen, Ehrenbasen u. dgl. Die Vegetation des kleinen
Gartens erscheint sehr zahm; es geschah dies auch, um von höheren
Punkten des Gartens den ganz einzigen Blick auf die Stadt,
namentlich auf S. Peter freizuhalten.
Endlich gehört dieser Periode noch die Villa Borghese an,
unterhalb des Pincio. Mittelding zwischen Villa suburbana und
rustica. Den Dimensionen nach eine Landvilla, aber das Kasino hatte
seiner Lage gemäß die Dienste einer Villa suburbana zu versehen.
Die Lage des Kasino ist tief und aussichtslos. Das Landschaftliche
hat seither starke Veränderungen erfahren. Das Kasino ist gebaut
durch Vasanzio, angeblich einen Niederdeutschen, Hans von
Xanten. Es ist die am meisten im Barockstil gehaltene Villa. Die
Außenfront wieder ganz einfach. Die Gartenfront mit Risaliten, die
sich aber erst in der Höhe des Obergeschosses losringen, unten
noch im gemeinschaftlichen Mauerkerne stecken. Unten in der Mitte
eine Pfeilerloggia, aber mit gewaltigem Druck der Attika darüber.
Der Mittelteil des Gebäudes tritt zwischen zwei vorspringenden
Hügeln stark zurück und ist mit Figuren in Nischen reich verziert.
Ein bestimmter Kontrast: 1. Zwischen der durchbrochenen Loggia
und den geschlossenen Teilen. 2. Zwischen den nackten Steinflächen
und der überreichen zurückliegenden Mittelwand.
Die zweite Hälfte der ersten Periode (1590 bis 1630) repräsen-
tieren zugewanderte Comasken-Familien, wieder in zwei Gene-
rationen. In der ersten Generation sind die bedeutendsten die F on-
tana, nächst ihnen die Lunghi. Für sie ist charakteristisch, daß
sie vortreffliche Techniker sind (das gilt namentlich für die Fon-
tana), und daß sie alles gelehrig ausführen, was man von ihnen
verlangt, daß sie aber anscheinend keine selbständige Künstler-
meinung haben. Das Römische imponiert ihnen zu sehr, als daß
sie ihr Lombardisches offen zu betätigen Mut fänden. Den findet
erst die zweite Generation mit Maderna, aber ein klassizistisches
Element bringen sie hinein. Infolgedessen erfährt die Entwicklung
unter ihnen zunächst in der ersten Generation einen Stillstand. Da
sie aber sehr bedeutende Werke hinterlassen und namentlich für
Sixtus V. viel gebaut haben, so muß ich sie zur Sprache bringen.
— 128 -
Man begegnet ihren Werken in Rom auf Schritt und Tritt. Fon-
tana, zwei Brüder, Domenico und Giovanni; dann Domenicos Sohn
Ccsarc; im weiteren Sinne zählt dazu auch ihr Neffe Carlo Maderna,
der sich aber schon romanisiert und den Stil weiterbildet; er re-
präsentiert daher das erste Drittel des 17. Jahrhunderts in der römi-
schen Baukunst und ist nicht mehr hicrhcrzuzählen.
Den größten Ruf hat sich Domenico Fontana erworben, so
daß man eigentlich nur von ihm hört. Er war der vielbcneidetc
Hofarchitekt unter Sixtus V. Gewiß hat an vielem, was Domenico
zugeschrieben wird, Giovanni seinen Anteil gehabt, namentlich an
den monumentalen Brunnen, überhaupt an den Wasserleitungen.
Doch war gewiß auch Domenico ein tüchtiger Techniker. Fr war
es, der die Obelisken aufgerichtet hat, und namentlich den viel-
besprochenen auf dem Petersplatz, und das war doch wesentlich
eine technische Leistung. Dann war er an den Tiberbrücken be-
schäftigt. In Verbindung mit Papst Sixtus V. ist Domenico Fontana
schon getreten, als jener noch Kardinal Montalto gewesen ist.
Schon damals begann er für ihn die Capella dcl Presepio in
S. Maria Maggiore. Merkwürdig daran: griechisches Kreuz mit zentraler
Kuppel. Also Zcntralsystem (das ist ein offenbares Stillstandssymptom),
freilich bei einer Kapelle von geringcrem architektonischem Belang.
Aber schon da zeigte Domenico, daß er kein eigenes Zeitprogramm
besaß. Dann die Dekoration: nicht in figuralen Fresken, wie im Trc-
cento, Quattrocento, in der Renaissance (noch bei Michelangelo in der
Capella Paolina im Vatikan), sondern mit äußerst kostbaren Stein-
sorten, also der anorganischen Materie überlassen, allerdings der
kostbarsten. Auch ein Zeichen des Umschwunges. Es äußert sich
darin das Ferngefühl für die Fläche, die nur dann Fresken tragen
kann, wenn Nahsicht vorausgesetzt wird.
Derselbe Meister hat freilich auch für S. Peter einen Langhaus-
plan entworfen (schon damals schien also Aussicht auf das, was
erst Paul V. verwirklichte). Aber es blieb am Papier; Maderna hat
sich später daran stark angelehnt.
Auch für den Villenbau war er tätig. In der Nähe von
S.Maria Maggiore wurde die Villa Montalto (Negroni) angelegt,
jetzt fast ganz verschwunden. Dann stammen von ihm die Bauten
am Lateran, wo Altchristliches zerstört werden mußte. An dieser
- 12g -
ältesten Kirche des römischen Bistums stammt von Fontana die
Benediktionsloggia (das 17. Jahrhundert hat das innere umgestaltet,
erst das 18. eine neue Fassade gegeben). Sie hat zwar Pfeiler,
aber die zwei Arkadenstellungen übereinander wirken doch renais-
sancemäßig heiter: beweist auch die künstlerische Charakterlosigkeit
des Meisters. Michelangelo hätte das Problem wohl anders aufgefaßt.
Die Türmchen stammen von der mittelalterlichen Fassade des Quer-
schiffes; aber daß er sie ließ, ist bezeichnend.
An der großen Frage des Tages hat sich Domenico gar nicht be-
teiligt: an der Ausbildung der Fassade. Allerdings wird auf ihn die
Fassade von S. Trinitä ai Monti zurückgeführt, mit doppeltürmiger
Front! Also auch die soll er eingeführt haben! Wenn dies richtig ist,
dann ist es ein neuer Beweis seiner künstlerischen Charakterlosigkeit.
Daneben entstand der Lateranspalast (jetzt Museum der
christlichen Altertümer, schon von Benedikt XIV, Mitte des 18. Jahr-
hunderts dazu eingerichtet). System des Palazzo Farncse: dominierende
Mitte in Portal und mittlerem Geschoß (durch größere Höhe des
Geschosses), kein Drängen nach Neuem, überhaupt maßvoll. Der
Pfeilcrhof streng wie bei Porta, aber schon schlankere, aufstreben-
dere Verhältnisse; die Hermen des obersten Geschosses, als Teile
der Attika, immerhin spielende Beimischung, die Michelangelo nicht
gebraucht haben würde.
Auch am Vatikan und am Quirinal war er beteiligt; beide
Paläste aber wurden von so vielen Meistern gebaut, daß der An-
teil nicht ganz rein auszumachen ist, übrigens auch von geringem
Werte, da keiner von beiden Palästen für die Entwicklung von
bahnbrechender Bedeutung ist.
Aber wenigstens auf einem Punkte hatte er eine selbständige
Aufgabe zu lösen. Besonders bekannt haben sich die Fontana
gemacht durch ihre monumentalen Brunnen. Es handelt sich
namentlich um zwei, die zugleich die Mündungen großer Wasser-
leitungen markieren sollten. Der Brunnenbau hat auch im Barocksti
eine große Rolle gespielt. Es ist nötig, zu sehen, wie der Ent-
wicklungsstand dieser Kleinarchitcktur beschaffen war in der Zeit,
da die Fontana in dieselbe eintraten. Es wird sich zeigen, daß
allerdings für einen monumentalen Brunnen nach römischer Auf-
fassung keine Vorbilder da waren.
Ricgl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. 9
- 130
Die Fontänen in dieser Zeit standen noch unter florentinischem
Einfluß: man möchte sagen kunstgewerblich, nicht anspruchsvoll
architektonisch! Plastische Einzelwerke, die in der Nähe genossen
sein wollen, das Einzelne will noch für sich betrachtet sein. An-
organische Masse geformt, nicht große Flächen bildend wie die
Architektur; das Organische freie schmückende Zutat. Fontana
delle Tartarughe von dem Florentiner Taddeo Landini. Den
Kern bildet ein Baluster auf breitem Postament, das in einem
Wasserbassin steht. Der Baluster trägt eine flache Schale mit Spring-
brunnen, aus der in vier dünnen Strahlen Wasser in das Bassin
fließt. Um den Baluster vier nackte, schlanke Jünglingsgcstalten
aus Bronze in gefälligen Stellungen in paralleler Diagonale herum
gelehnt, deren jeder eine Schildkröte mit erhobenem Arm in das
Becken hinaufschiebt. Die Jünglinge haben nur die rein künst-
lerische Bestimmung, mit ihren schlanken, geschmeidigen, gefällig
gebogenen Gliedern einen wohllautenden Übergang zwischen der
oberen Schale und dem breiten Postament herzustellen. Unten am
Postament sind vier große Ohrmuschelbecken, in welche Delphine
Wasser speien. Das Wasser fließt aus den Muscheln über in das
Bassin. Das Ganze wirkt höchst reizvoll in der Silhouette. Die
Jünglinge sind nicht michelangelesk, sondern in der Formengebung
kommen sie von Giovanni da Bologna, also florentinische Schule.
Auch das Wasser ist noch renaiss neemäßig verwendet: viele
Wasserstrahlen, aber in symmetrischer Verteilung und nur schwach
(kein rauschender Schwall; die Naturkraft also nirgends ins Un-
bändige gesteigert, das der Mensch dann schließlich doch bändigt,
wie es der Barockstil will). Was ist daran barock? Eigentlich nichts
als die Ohrmuscheln, die, wie erwähnt, von Michelangelo in die
römische Kunst eingeführt wurden.
Die Monumentalbrunnen boten also eine Aufgabe. Und ge-
rade diese haben die Fontana nicht glücklich gelöst, sie zeigen
darin Mangel an künstlerischer Originalität. Man verlangte ein be-
deutendes Motiv, aber keine Idee; das wäre gar nicht im Sinne
Sixtus V. gewesen. Allerdings waren große Wassermassen zu be-
wältigen, um die Mündung großer Wasserleitungen zu versinnlichen.
Das macht diese Fontänen für das Stadtbild wichtig. (Die zu dekora-
tiven Zwecken verwendbare Wasserfülle ist für Rom charakteristisch.)
- 131 -
Sie verwendeten ein schweres architektonisches Motiv: eine
riesige Schauwand. Acqua Feiice, Fontana di Termini bei den
Dioclctian-Thernien. Triumphbogenartig, drei Nischen, aus deren jeder
das Wasser in großem Bogenschwall hervorbricht, durch Pfeiler
mit ionischen Halbsäulenvorlagen getrennt, darüber eine ungeheuere
Attika mit der üblichen pompösen Inschrift und einer barocken
Giebelkrönung mit Eckobelisken. In der mittleren Nische der Moses
des Prospero Bresciano, tragisch durch das mißlungene kühne
Unternehmen, mit Michelangelo zu wetteifern. Der Moses ist auf-
gestanden. Michelangelo hatte den verhaltenen Ausbruch gegeben.
Prospero gibt den vollzogenen. Er scheint ihn für einen höheren
Standpunkt berechnet zu haben; jetzt erscheint er auffallend zu kurz
für den mächtigen Kopf und Oberleib. (Das sind die Fährlich-
keiten der malerischen Skulptur.) In jeder seitlichen Nische ein Relief.
Das Wichtige ist: das Wasser strömt unvermittelt frei aus den Löchern
hervor, aus dem Inneren.
Acqua Paola, für Paul V. durch Giovanni Fontana errichtet,
von Maderna vollendet. Auf der Höhe des Janiculus, weithin sieht
bar. Dasselbe System wie bei der Feliee. aber entschieden auf-
strebender und noch um zwei Flächen vermehrt. Augenscheinlich
unter dem Einflüsse der barocken Kirchenfassaden. Riesige Inschrift-
tafel an der Attika, der Giebel noch bewegter: Veräußerlichung
der Bewegung (um sie zu steigern). Schon deutlich kontrastierender
Schwung im Zentralgiebel. Zweifellos monumental, aber nüchtern
und poesielos, das meiste dabei tut das Wasser, das hier im reichsten
Schwalle hervorstürzt, wahrhaft imponierend; aber nicht vertikal auf-
springend, sondern nur der Schwerkraft folgend, niederplätschernd.
Aber merkwürdig, das Problem wurde erst im 17. Jahrhundert
befriedigend gelöst an der Fontana Trcvi. unter Zuhilfenahme
naturalistischer Motive. Es scheint, daß die nackte Architektur allein
das wilde Wasser nicht befriedigend einzurahmen vermag, daß aber
die Figuren allein ebenfalls nicht ausreichen, um einen hinreichend
monumentalen Eindruck hervorzurufen Bernini vereinigte beides
und erzielte die größte Wirkung.
Es wiederholt sich immer in diesen Zeiten, daß die Günstlinge
des einen Papstes bei seinem Nachfolger in Mißkredit stehen (auch
Bernini hat diese Erfahrung machen müssen). Als Sixtus V.
- 132 -
starb, und nach einigen Eintagspontifikaten Clemens VIII. Aldo-
brandini folgte, da änderten sich die Verhältnisse für Domenico
Fontana in Rom. Man forderte von ihm Rechnungslegung; für einige
päpstliche Bauten. Das war der zum Ritter erhobene Architekt nicht
mehr gewöhnt und er begab sich nach Neapel, wo ihn der spanische
Vizekönig mit offenen Armen empfing. Domenico und sein Sohn
Cesare haben dort wichtige Bauten aufgeführt, die für den neapoli-
tanischen Palastbau im 17. Jahrhundert von Bedeutung wurden. Die
meisten älteren Paläste der Stadt stammen aus dem 17. Jahrhundert,
beeinflußt durch Fontana. Kurz darauf kam der Anstoß zur neapoli-
tanischen Malerei durch Caravaggio. Von Domenico ist der Palazzo
Reale nach römischem Schema; aber die riesige Ausdehnung wird
dadurch nicht hinreichend belebt, und dann ist er zu ernst für die
lachende Umgebung an dem unvergleichlichen Golf: die rote Be-
malung hilft etwas ab, aber nicht ausreichend: aber die spanische
Grandezza hat, wie es scheint, wohl entsprochen. Die lebenslustigen
Bourbonen haben das Schloß im 18. Jahrhundert gründlich um-
gestaltet. Sein Sohn Cesare baute das heutige Museo Nazionale.
damals Palazzo de' Studi, in demselben römischen Stil, kleinere
Fronten, in verhältnismäßig enger Straße, daher besser wirkend, und
überhaupt in glücklicheren Verhältnissen.
Die zweite Familie sind die Lunghi. Der Vater, Martino
der Ältere, gehört allein hierher. Der Sohn Onorio hat hauptsäch-
lich unter Paul V. gebaut. Der jüngere Martino ist aber ein sehr
tüchtiger Meister in der Zeit des Bernini geworden und gehört der
zweiten großen Barockperiode an. Auch das Schaffeusbild des
älteren Martino Lunghi ist ein recht charakterloses.
Kirchenbaukunst. Die Fassade der Chiesa Nuova (S. Maria
della Vallicella, berühmt durch die Bilder des Rubens), soll wenig-
stens zum Teil auf ihn zurückgehen (nach anderen auf Faust o
Rugheri); gegenüber dem Gesü eher ein Rückschritt zu Vignola;
aber Tendenz zur Erleichterung des senkrechten Hochdruckes, die
Flanken ganz nebensächlich behandelt, so daß die Voluten nicht
mehr ausgleichen, sondern Seitenkontur geben. Das Mittelportal
mit dem Fenster darüber erdrückt alles, die Flanken der Kapellen
sind überhaupt nur mehr Anläufe. Auch oberitalicnische Neigung
zu Zierwerk in Relief gibt sich kund. Das Merkwürdigste ist die
133
Bildung der rechten Seitenfassade, an der die geschlossenen Kapcllen-
atißenwände durchbrochen und in drei Seiten gebrochen sind, um
für zwei Fenster Platz zu schaffen und in die Kapelle auf solche
Weise Licht zu bringen.
Palastbau. Palazzo Borghese, ursprünglich Dezza, soll ihm
zukommen. Fassaden ganz im römischen System (Hauptgeschoß in
der Mitte. Portal mit Fortsetzung darüber), aber gerade hier sieht
man. wie die langen Fronten kasernenartig langweilig wirken und
Brechung durch Risalite notwendig wird. Die Schmalfront hat daher
Lisenenteilung; die andere Schmalfront gegen die Ripetta aus dem
17. Jahrhundert reich gegliedert, wenngleich ganz schmal. Ihm
werden zwei Höfe zugeschrieben: Der Hof des Palazzo Bor-
ghese, ein Säulenhofi!) mit gekuppelten Säulen, nicht mit einfachen
wie bei den florentinischen Renaissancehöfen; darin verrät sich
Barockstimmung, aber anderseits ist er ganz durchbrochen, während
die Römer sie schlössen. Von herrlicher Schönheit, aber gar nicht
römisch, sondern ganz wie die Höfe des Galeazzo Alessi in Genua,
auch mit den Durchblicken, oberitalienisch! Auch der Hof des
Palazzo Altctnps wird ihm zugeschrieben. Ein Hof in römi-
schen Pfeilerformen, mit Pilastci vorlagen, ganz geschlossen, aber
mit breiten Interkolumnen, ernst und schwer. Das dritte Stockwerk
mit seinen eingestuften Feldern, in denen die Fenster sitzen, wie
bei Peruzzi und Raffacl; auch das in obcritalienischcm Sinne. Aber
die Behandlung als Attika mit gequetschten Fenstern ist echt römisch.
Parallel damit geht noch eine Reihe anderer Meister. Ich erwähne
nur den Quirinalpalast, weil er ein päpstlicher Palast war und
heute königlicher Palast ist. Durch Mascherino begonnen, aber eine
ganze Anzahl von Meistern war daran beteiligt bis auf Bernini.
Römisches System; die Abweichungen in den verschiedenen Höhen,
die Portalstellung durch Terrainverhältnisse bedingt. Als Kuriosum
nenne ich die Torfassade der Casa Zuccaro mit den Fratzen-
umrahmungen an Türen und Fenstern: für den Eintretenden gleich-
sam ein Apotropaion. Es ist ein lustiger Malercinfall, Verwertung
des Ohrmuschelmotivs. Man kann nicht sagen, daß dies nicht im
Geiste Michelangelos gewesen wäre (nur war der Meister eines
Scherzes überhaupt nicht fähig). In der Zeit des Stillstandes der
römischen Entwicklung war auch für Florentiner Platz; da kam
134 -
Luigi Cardi, genannt Cigoli, als Maler berühmt. Er baute den
Palazzo Madama (jetzt Senat) ganz in Anlehnung an das römische
System, nur mit der reicheren Anwendung von Plastik. Die plasti-
schen Details sind mit größerer Liebe und Sorgfalt für das Einzelne
behandelt.
Vierte Phase der ersten Barockperiode: Übergang zur zweiten
Barockperiode. Ein Zeitraum, der das Pontifikat Clemens VIII., Pauls V.,
dann das kurze Gregors XV. und die Anfänge Urbans VIII. umfaßt.
Beteiligt sind also die Familien Aldobrandini. Borghese. Ludovisi.
Carlo Maderna war nicht nur ein Neffe des Giovanni und
Domenico, sondern auch Schüler derselben; ihm ist aber der Geist
des römischen Barockstiles vertrauter geworden als seinen beiden
Onkeln. Er hat die Stilentwicklung in der Tat um ein Stück weiter-
gebracht. Sein Name ist noch bekannter geworden als jener des
Fontana, schon allein deshalb, weil er der Meister des Langhauses
und der Fassade von S. Peter ist. Paul V. Borghese hatte sofort
nach seinem Regierungsantritt (1605) den Befehl dazu gegeben;
Maderna war aber schon unter Clemens VIII. der vornehmste
Architekt, sozusagen Nachfolger des Domenico Fontana geworden,
so daß er unter Paul V. für das neue große Werk überhaupt allein
in Betracht kam. Natürlich stieg seine Bedeutung nur noch mehr durch
den Bau von S. Peter und er war bis in die Zeit Urbans VIII. der
angesehenste Baumeister von Koni. Er starb 1629, und in allen seinen
unvollendeten Unternehmungen trat Bernini in seine Stellung ein.
Damit ist schon gesagt: Maderna ist der äußerste Ausläufer der
älteren Barockrichtung, die auf grandiose, einheitliche Raumwirkung
im Inneren und nicht auf malerische Abwechslung von Licht und
Schatten, auf wirksame Disponierung der Massen nach außen aus-
geht, aber die Bewegung im Sinne Michelangelos mehr als eine
innerliche auffaßt und daher äußerlich maßvoll bleibt. Bernini ist sofort,
nachdem er das Heft in die Hände bekommen hatte, über Michel-
angelo hinausgegangen, er hat die Bewegung der Baumassen durch
Veräußerlichung gesteigert und damit den zweiten Abschnitt der
Barockbaukunst inauguriert. Maderna steht aber selbst nicht mehr
auf dem Boden des Giacomo della Porta oder seines Oheims Fon-
tana. Ober diesen Standpunkt ist er selbst schon hinausgeschritten
in der Richtung auf Bcrnini zu. Noch vor S. Peter hat er eine
135
gute Probe seines Könnens und künstlerischen Wollens abgelegt
in der Fassade von S. Susanna, die merkwürdigerweise auch
bei Gegnern des Barockstiles allgemeinen Beifall gefunden hat. Das
sagt schon etwas! Auf den ersten Blick sieht man : das Gedrückte, Schwere
des Gesü ist großenteils weg, noch mehr als an der Chiesa nuova. Die
Gesamtwirkung ist schlanker, aufstrebender; die Attika in der Mitte
macht sich nicht so wuchtig geltend. Nicht mehr ein so schwerfälliges
Sichlosringen, sondern ein leichtes Heraustreten, aber auch ein eiligeres
Heraustreten aus der Tiefe, gesteigerter Hochdrang und Tiefdrang;
die Eingangstür wird schlank und groß gebildet und das mensch-
liche Maß durch die architektonisch nur halb zahlende Holztür her-
gestellt, von der nur der untere Teil offen ist, d. h. das große Portal
ist offen und doch geschlossen, ähnlich wie die gotischen Glas-
fenster. Daß darin bewußte Absicht lag, beweisen die Voluten: sie
sind nicht der Schwere folgend niederrollend wie am Gesü, sondern
unter Kraftaufwand emporstrebend, hinaufbäumend in kontrastierendem
Schwünge. Diese aufstrebende Bewegung pflanzt sich deutlich bis
ins Giebelfeld fort, aber die Giebelsparren sind noch unverkröpft,
die Balustrade wirkt wieder leicht. Drei Pläne: also Vereinfachung in
der Mittclpartie herbeigeführt, die dennoch Dominante bleibt unter
Steigerung von den Flanken her. Bemerkenswert, daß nun Dreiviertel-
säulen nicht bloß am Portal (dem ja eine gewisse Selbständigkeit auch
von Porta eingeräumt wurde), sondern auch in dem zweiten Plane
unten vorkommen. Die Säule bedeutet Verselbständigung, ist nicht
mehr wie der Pilaster rein aus der Mauer geboren, reine Bewegung
von innen heraus. Sie ist hier gewählt offenbar der stärkeren Schatten-
wirkung zuliebe, also aus äußeren Gründen, d. h. die strengste Auffassung
ist vorüber, die innere, gedankenhafte Auffassung von der Architektur
als Kampf zwischen der horizontalen Last der anorganischen Schwer-
kraft und vertikal stützender, organischer Wachstumskraft wird ge-
brochen um äußerer malerischer Effekte, um optischer Täuschungen,
um einer gefälligen Augenweide willen. Das Reich des Michelangelo
naht seinem Ende. Aber zunächst handelt es sich nur um eine
Durchbrechung der Regel, nicht um eine bewußte Außerkurssetzung.
Bemerkenswert ist auch, daß rechts und links von der Fassade in
symmetrischer Flankierung Profangebäudefronten sich anschließen;
sie sind deutlich Trabanten der Fassade; das drückt sich ganz greifbar
- 136 -
aus in der Balustrade, die sie kröni und die sich sogar über den
Schrägen des Kirchengiebels fortsetzt (wo sie gar keinen Sinn hat).
Auch das ein fernsichtiger, malerischer Gedanke, der für die zweite
Barockperiode charakteristisch ist Man behandelt die Fassade mit Rück-
si< In auf die Umgebung, als Teil eines großen Ganzen (ganz unmittel-
alterlich). Freilich ist damit der Keim zur Profanierung gegeben.
Madernas Tätigkeit an S. Peter. Fs handelte sich grund-
sätzlich um eine Verwandlung des Zentralbaues in einen Longitudinal-
bau. Das erforderte also Anfügung eines Laughauses. Unweigerlich
ergab sieh daraus auch die Forderung einer entsprechenden Fassade:
man empfand dann die Notwendigkeit, zwischen Fassade und Lang-
haus auch eine Vorhalle als würdige Vorbereitung auf das Innere
einzuschalten Wo die Fassade schon so Großes versprach, durfte
der Besucher nicht mit einem Schlage in das geschlossene Heiligtum
selbst eingelassen werden, sondern sollte eine halbgeschlossenc
Zwischenstufe passieren.
Langhaus. Hier war die nächste Frage: Rückkehr zur Basilika
oder Übernahme des Systems des Gesü? Es war eigentlich gar
nicht zu vermeiden, daß man gerade an S. Peter wieder zur
Basilika zurückgriff, sobald man schon überhaupt einen Longitudinal-
bau im Sinne hatte. Und so geschah es auch; aber 1. wurden
nur zwei Seitenschiffe (statt der vier der alten Kirche) zugelassen;
2. sind diese Seitenschiffe so untergeordnet behandelt, daß sie für
die architektonische Wirkung fast gar nicht in Betracht kommen;
3. wurde das Mittelschiff überdies noch auf Kosten der Seitenschiffe
erweitert. Die Schiffspfeiler erhielten die Breite der Kuppelpfcilcr,
wurden aber in der Mitte durchbrochen; diese Durchbrechungen
bilden die Seitenschiffe. Die Seitenschiffe sind also eigentlich bloß
ungewöhnlich tiefe Kapellen, die untereinander in Verbindung
stehen. Es ist also im Grunde nichts anderes als das System des Gesü,
nur mit besonders tiefen Kapellen (auch im Gesü stehen die
Kapellen untereinander in Verbindung). Also möglichste Weiträumig-
keit des Mittelschiffes ist angestrebt. Die Seitenschiffe machen sich
gar nicht bemerkbar. Die Verlängerung am Langhause über den
alten Kreuzarm beträgt nur drei Joche, bedeutet aber doch das
Areal der alten Peterskirche, das beim Zentralbau außerhalb des
geweihten Raumes gefallen war. Das ist die Neuerung des Maderna.
In allem übrigen schloß er sich eng an die Vorgänger an. Die
Pfeiler wurden mit einer Kolossalordnung von Doppclpilastern be-
kleidet, wie schon Bramante an den Kuppelpfeilern angegeben hatte,
und die Wölbung war eine Tonne, wie ebenfalls in den Kreuzannen
des Bramante angegeben war. Das Langhaus ist also in allem eine
einseitige Fortsetzung des westlichen Kreuzarmes, nur mit dem Unter-
schiede, daß er etwas breiter ist und seitliches Oberlicht durch
in die Wölbung eingeschnittene Fenster bekam (auch wie in Gcsü i.
Und hier ist gleich eine wichtige Beobachtung. Der alte Kreuzarm
selbst hatte keine Fenster, seine Fortsetzung erhielt Fenster. Was
war die Folge? Die Partie des Langhauses gegen die Kuppel hin
hatte kein Oberlicht und war daher dunkler; wenn man also die
Kirche betritt, hat man den Vordergrund durch die Oberfenstcr und
Frontfenstcr hell beleuchtet, dann kommt die dunkle Partie unter
dem ehemaligen Kreuzarm, dann der strahlend helle Kuppelraum
und dahinter wieder gegen den jetzigen Chor eine dunkle Partie.
Also das gab eine mehrfache Abwechslung von Hell und Dunkel.
Licht und Schatten: einen auffallend optischen Reiz. Wie war das
früher gewesen? Da war nur Kuppellicht, das alles, auch die Kreuz-
arme gleichmäßig beleuchtet hat. Es ist natürlich ausgeschlossen,
daß man die neue Lichtwirkung nicht sogleich bemerkt hätte. Man
hätte sie beseitigen können, wenn man nun durch die ehemaligen
Kreuzarme Fenster durchgeschlagen hätte. Da man es nicht tat,
müssen wir annehmen, daß es mindestens nicht mißfiel. Darin
kündigt sich auch eine Wendung an: es erwacht deutlich der Sinn
für äußere malerische Reize in der Architektur; ähnliches haben wir
schon an S. Susanna beobachtet. Solche Symptome sind zu be-
achten; sie weisen uns den Weg der zukünftigen Entwicklung. Die
Wirkung des Inneren des Langhauses wird heute auch stark beein-
flußt durch die Ausstattung mit Marmorinkrustation und mit dekora-
tiven Skulpturen. Diese gehören der zweiten Barockperiode an;
namentlich Bernini hat daran einen Hauptanteil. Man findet viel
daran zu tadeln; aber denkt man sich diese rauschende, fröhliche
Dekoration hinweg, so würde der ungeheuere Raum wahrscheinlich
kalt und ungemütlich wirken.
Was ist aber vom kritischen Standpunkte gegen Madernas
Langhaus einzuwenden? Es ist pure Verschwendung, weil er den
- 138 -
Raum nicht vergrößert, sondern eher verkleinert. Natürlich ist dies
optische Täuschung, aber diese ist maßgebend für die künstlerische
Wirkung. Der Hauptraum ist und bleibt der Kuppelraum; die vier
Kreuzanne sollen nur seine Trabanten sein. Nun wird einer dieser
Trabanten vergrößert, verlängert, gesteigert; den Kuppelraum kann
er doch nie erreichen, geschweige denn übertreffen. Infolgedessen
muß das Langhaus kleiner aussehen, als es ist. Daher die Enttäuschung
eines jeden, der das Langhaus zum ersten Mal betritt. Das soll der
größte Innenraum der Welt sein? Man ist noch nicht unter der
Kuppel, aber schon vom Eingang her wirkt sie unvermeidlich als
Maßstab des Ganzen. Und durch diese künstliche Verkleinerung,
die das Langhaus von der Kuppel erfährt, wirkt es ungünstig, verklei-
nernd auf das Ganze. Also insoferne hat die Kritik recht, wenn sie das
Langhaus des Maderna als Unglück, als Beeinträchtigung von
S. Peter erklärt hat. Sollte das Langhaus zur Kuppel sich verhalten
wie etwa im Gesü, dann müßte es noch in ganz anderen Dimensionen
ausgeführt werden, dann wären aber völlig übermenschliche Ver-
hältnisse herausgekommen, die wir gar nicht zu denken wagen.
Auch Maderna hat es offenbar nicht gewagt, er hat sich möglichst
an die Verhältnisse der Vorgänger angeschlossen und betrachtete
sich dadurch wenigstens in der Hauptsache gedeckt. Das Äußere
konnte man jetzt hinsichtlich der Gesamtwirkung ganz preisgeben.
da der Zentralbau preisgegeben wurde. Infolgedessen hat man auch
die Kapellen an den Seiten nicht in eine Flucht gebracht. Daher
war die notwendige Folge, daß man jetzt eine Fassade brauchte:
1. Das Langhaus verlangt absolut eine Schauseite gegen den Platz,
2. zur Verdeckung der dahintcrliegenden Seiten.
Fassade. Die Zentralwirkung und die Kuppclansicht war für die
Nahsicht preisgegeben ; die Aufgabe war. eine möglichst prächtige Schau-
seite gegen den Petersplatz zu schaffen. Da sie aber die beiden Flanken
mit den ausladenden Kreuzarmen und den hinteren, den Übergang
zum Langhaus bildenden Kapellen dem Auge entziehen sollte, so
mußte sie noch überdies eine außerordentliche, ganz ungewöhnliche
Breite erhalten. Die Aufgabe war eine ganz ungeheuere: die größte
und schwierigste, die dem neueren Kirchenbau überhaupt je gestellt
worden ist. Maderna war sich dessen bewußt. Er machte es ähnlich
wie im Inneren und schloß sich möglichst eng an seine Vorgänger
- 139 -
an. Vorgänger war eigentlich nur einer und dieser eine hatte seine
Fassade, soweit man von einer solchen überhaupt reden kann, als
Eingangshalle für einen Zentralbau berechnet gehabt: Michelangelo.
Er wollte vor den westlichen Kreuzarm zehn Säulen mit horizontaler
Attika darüber aufstellen und in der Mitte noch einen Portikus von
vier Säulen mit Giebel darüber vortreten lassen. Das wäre keine
Fassade gewesen (weil eine solche der Kuppel Konkurrenz gemacht
hätte), sondern nur eine Vorhalle analog der Vorhalle des Pan-
theon. Maderna übernahm diesen Gedanken der Vorhalle, aber
er übersetzte ihn in ein vorgeschrittenes Barock. Er bildete die
Vorhalle halb geschlossen, indem er die Säulen als eine Kolossal-
ordnung vorblendete, statt der bisherigen zweigeschossigen Anlagen.
Nur Palladio hat die eingeschossigen vorgezogen. Eingeschossige
Fassade, aber weil die Wand geschlossen ist, mußte sie gebrochen
werden, die untere durch Eingänge, die obere durch Fenster. Das
ergab doch zwei Geschosse. Damit es nicht so aussehe, sind
Fenster und Türen von wechselnder Größe, ähnlich, wie es
Michelangelo an der Außenwand seines Zentralbaues durchgeführt
hatte, um den Anschein des Geschoßbaues zu vermeiden. Also
1. Bewegung in der Horizontalen. Natürlich Bewegung nach auf-
wärts, also vertikalisch wirkend; um so notwendiger war die schwere
Attika, die ihrerseits durch die Apostclfiguren nur in ganz unzu-
reichendem Maße frei ausklingt. Aber auch die Intervalle der Halb-
säulen sind verschieden. 2. Bewegung in der Vertikalen, gegen die
Mitte zu. wiederum an den Ecken langsam, in der Mitte ebenfalls
Ruhe, dazwischen raschere Aufeinanderfolge der Stützen. Die klas-
sische Kunst hätte gleiche Intervalle und gleiche Geschoßhöhen
verlangt.
Was war damit entstanden? Eine Barockfassade, aber nicht zwei-
geschossig, sondern eingeschossig, d. h. mit einer Kolossalordnung,
wie es den Intentionen Michelangelos entsprach; man wird unmittelbar
an den Konservatorenpalast erinnert; auch das Motiv der an die
Pfeiler gerückten Säulen findet sich hier, aber doch nicht mehr
mit dem entschlossenen Ernst durchgeführt wie am Kapitol. Die
Dominante ist dagegen strenger durchgeführt: nicht bloß durch
den Giebel über den mittleren vier Halbsäulen (das hatte schon
Michelangelo beabsichtigt), sondern auch durch Verbreiterung des
- 140
mittelsten Interkolumniums, durch tue vortretende Bewegung von den
Ecken gegen die Mitte zu. wie schon seit dem Oesii. Auch die unter-
einander verschiedenen lnterkolumnien waren als Mittel zur Versinn-
lichung der Bewegung nicht mehr neu. Über dieses ganze empor-
schießende kolossale Vcrtikalsystcm wurde nun eine ungeheuere
Attika gewälzt: auch darin im Anschlüsse an die Behandlung der
hinteren Partien der Kirche durch Michelangelo. Oben stehen die
Kolossalfiguren Christi und der Apostel. Damit war eine ungeheuer
breite Schauwand hergestellt, von erdrückender Breite; sie erforderte
einen Abschluß nach oben, ein Ausklingen in der Richtung des
Wachstums. Die Barockfassade hatte hierfür den Giebel. Der durfte
hier nicht angebracht werden, denn er hatte die Kuppel für die
Fernsicht beeinträchtigt; daher wurde der Giebel in die Attika hinein-
komponiert. So bleibt nur ein Ausklingen an den beiden Ecken;
Maderna hat in der Tat vorgehabt, auf die beiden Eckrisalite Türme
aufzusetzen; sie widersprechen zwar dem italienischen Gefühl, hier
aber waren sie notwendig, wie sie ja auch Bramante an den vier
Ecken seines Zentralbaues geplant hatte. Türme von viereckiger
Gestalt, nicht allzu hoch, die für die Nahsicht einen vertikalen
Abschluß gegeben hätten, für die Fernsicht aber Trabanten der trotz-
dem herrschenden Kuppel geworden wären (analog wie bei Bra-
mante). Aber das sind doch nicht entfernt solche Türme wie an
S. Trinitä ai Monti, wo sie dominierend geworden sind, oder
vollends in der nordischen Gotik, wo sie die Mitte dazwischen
ganz erdrücken. Diese Türme haben später ihre Geschichte gehabt
und sind nur teilweise zur Ausführung gekommen; heute ist jede
Spur davon verschwunden; man ist aber — was ich gleich be-
merke — nur aus rein technischen Gründen später davon ab-
gegangen.
Die weiteren Geschicke der Fassade fallen aber nicht mehr ins
Leben des Maderna; er selbst hat die Türme nicht mehr gebaut,
sondern Bernini. Wir aber müssen festhalten: die Fassade, wie sie
jetzt für sich dasteht, in ihrer ungeheueren, in der Nahsicht erdrücken-
den Breite, die man so oft tadeln hört, war durch Maderna mit zwei
Ecktürmen geplant. Dagegen hat Maderna an keine Kolonnaden ge-
dacht; die Fassade sollte für sich wirken, ohne dieses perspektivische
fernsichtige Hilfsmittel. (.Bei Gurlitt eine Restauration der Fassade
Madernas mit den Türmen.) Danach müßte man beurteilen. Aber
im allgemeinen hat es selbst angesichts dieser Restauration den
Anschein, als ob Maderna damit nicht dasjenige getroffen hätte,
was man von dieser herrlichsten Aufgabe, die ihm gestellt wurde,
erwarten durfte. Das Hauptunglück war: Maderna empfand selbst
seine Unzulänglichkeit, das Problem aus sich selbst heraus selb-
ständig zu lösen; er suchte immer die Verantwortlichkeit auf die
Vorgänger abzuwälzen.
Was ist das Neue an der Fassade von S. Peter?
1. Eine Kolossalordnung statt der zwei Ordnungen von früher.
2. Einführung der Türme in die Fassadenwirkung. Es ist kein
vereinzelter Zufall, sondern Problem der folgenden Zeit: Synthese
des Zentralbaues mit Fassadenwirkung. Der Zentralbau soll sich nicht
mehr objektiv in sich abschließen.
Noch einige Worte über die Vorhalle. Hier war Maderna ohne
Vorbild und mußte selbständig vorgehen. Sie ist auch das Beste
und hat selbst vor Burckhardts Augen Gnade gefunden. Eine ein-
schiffige Halle in vortrefflichen Verhältnissen, mit fünf großen Por-
talen, die die Eingangswand zur Kirche wirksam brechen, während
vom Platz her durch die fünf Interkolumnien breite Lichtfluten hercin-
dringen. Die Decke mit stuckiertem Spiegelgewölbe in maßvoller
architektonischer Einteilung. Abschluß und Öffnung zugleich, für
den italienischen Barocksaal der zweiten Periode (Palazzo Colonna)
charakteristisch. Maderna mochte wirklich einen geschlossenen Saal
mit abschließenden Nischen geplant haben; die Eckräume sind durch
weite Rundbogen heller beleuchtet, daher Abwechslung von Hell und
Dunkel. Die Schmalseiten wurden durch Bernini mit perspektivischen
Abschlüssen versehen, wozu er (höchst bezeichnend für die zweite
Barockperiode) die figurale Skulptur gewählt hat: zwei Reiterstatuen
vor rauschenden Draperien, rein skulpierte Bilder, auf bloße Fern-
sicht berechnet. Auf der einen Seite sieht man Karl den Großen
von Cornacchini; auf der entgegengesetzten Seite steht Berninis
Konstantin, dessen Standort aber als Absatz in die Scala regia ein-
bezogen und von der Vorhalle durch eine Tür abgesperrt ist, so
daß hier der Abschluß unsichtbar bleibt.
Maderna hat auch dem Platze selbst wesentliche Zierden ver-
schafft durch die zwei Fontänen; auch ganz im Sinne dieser
- 142 -
ersten Barockperiode, die im Anorganischen selbst die innere Kraft
zu verkörpern sucht. Einfacher architektonischer Aufbau mit mehreren
Schalen. Eine ungeheuere Wassermasse springt aus dem krönenden
Kegclstutz in die Höhe und sprüht in tausend Strahlen zur Erde.
Es ist nicht mehr die zarte Wirkung des Wassers und nicht mehr
die Mitwirkung oder vielmehr Hauptwirkung der figuralen Skulptur
wie bei Landini. Es ist schon Massenwirkung, aber doch nicht mehr
jene einseitig niederstürzende, der Schwere allein folgende wie an
den Brunnen Fontanas. Zur Belebung des riesigen Platzes tragen
sie wesentlich bei. (Massenwirkung und Kontrastwirkung. Wasser
Hauptsache als Wasscrschleier, dahinter die festen Massen des Auf-
baues. Niederstürzen auf konkave Krönung, Schale, Bassin. Keine
Skulptur wie an Aqua Paola. Während Aqua Paola reine Architektin.
so hier rein kunstgewerbliches Werk. Also der gleiche Obergang
zu Bernini. Aber noch kein Kausalitätsverhältnis zwischen Wasser-
strahl und Kunstwerk. Man merkt das Vorhandensein einer inneren,
treibenden, kämpfenden Kraft, die aber nicht sichtbar wirkend nach
außen hervortritt.)
Auch für den Palastbau ist Maderna tätig gewesen; aber
zumeist hat er von anderen Begonnenes vollendet, oder das selbst
Begonnene nicht mehr vollenden können. Einen wesentlichen Fort-
schritt im römischen Barockpalastbau bedeutet sein Entwurf für den
Palazzo Barberini, denn er ist darin ein großer Bahnbrecher.
(Der Palazzo Barberini muß im Äußeren 1630 im wesentlichen
vollendet gewesen sein. 1629 ist Maderna gestorben, seine Be-
teiligung dabei ist zweifellos, also muß er den Plan entworfen haben.)
Hof des Palazzo Mattei di Giove. Ganz geschlossen, lehr-
reich durch Heranziehung der Mitwirkung der antiken Statuen und
Reliefs; dann durch die Konzentrierung der Perspektive vom
Eingangstor aus auf ein bedeutsam gefälliges Motiv, hier auf den
mit architektonischem Aufwand behandelten Eingang zum grünenden
Barockgarten. Das ist auch ein Symptom der beginnenden Abkehr
von der Strenge des Palastbaues, wie sie noch Porta repräsentiert.
Das Äußere dieses Palastes noch streng nach römischem Schema
des San Gallo
Der bedeutendste Kirchenbau der Zeit war neben S. Peter
derjenige von S. Andrea della Valle, seit 1594 von Olivieri
- 143 -
gebaut, bald von Maderna übernommen und fortgesetzt. Das gleiche
System wie am Gesü, mit Doppclpilastern etc., aber Fortschritt in
S. Andrea della Valle: schlanker aufstrebend, keine Emporen, dafür
Verkröpfung des Architravs. Im Gesü ist der ungeheuere Reichtum
an Malerei und Skulptur aus der zweiten Barockperiode; das fälscht
den Eindruck. S. Andrea ist weit ernster und erhabener als Gesü,
wo der überreiche Schmuck auffallend kontrastiert mit dem schweren
Ernst des architektonischen Aufbaues im Ganzen. Fassade mit Säulen,
wie in S. Susanna loskommend von der Wand; sehr viele Reliefs.
Die Fassade von S. Andrea della Valle ist schon aus der zweiten
Periode des römischen Barockstiles, von Carlo Rainaldi, daher
der Giebel auch schon gesprengt.
S. Ignazio, zweite Jesuitenkirche in Rom, beimColleggio Romano,
seit 1626 durch Domcnichino gebaut, auch das gleiche System,
das Querschiff gar nicht ausladend; die Verhältnisse nicht mehr so breit
und gedrückt (wie in der altchristlichen Basilika), sondern schlanker
und aufstrebender; es ist der Zug, der den nordischen Kathedralen
des Mittelalters innewohnt. Die Breiträumigkeit, die sich die Italiener
das ganze Mittelalter hindurch gewahrt hatten, wird nun aufgegeben.
Von Details fällt auf: das Einstellen der Säulen in die Arkaden, die
die Zugänge zu den Kapellen bilden. Die Bogen sollen nun wieder
durch die Säulen getragen werden; das ist gegen Michelangelo,
bedeutet eine Rehabilitierung der Freistütze, eine Emanzipierung der
tragenden Glieder von der Mauer, zugleich eine Verselbständigung
der Kapellen. Man sieht: es beginnt wieder eine mildere Auffassung.
Allerdings kommen wir mit dieser Kirche schon in die Zeit des
Aufschwunges des Bernini; sie soll uns also den Übergang re-
präsentieren. Es ist also klar: der Kampf der Teile, wie ihn Michel-
angelo eingeführt hat als Kunstprinzip an Stelle des ruhenden Seins,
mußte zum zunehmenden Aufstreben in die Höhe führen. Michel-
angelo hat dieses Aufstreben niedergehalten durch gewaltige,
schwere, lastende Krönungen, die er darübergestülpt hat. Eine
spätere Zeit erleichtert den Druck der oberen Teile und naturgemäß
müssen die unteren immer höher und lebhafter emporschnellen.
Fassaden. Giovanni Battista Soria setzt das alte System etwa
in der Entwicklungsstufe von S. Susanna bis in die dreißiger Jahre
fort. S. Maria della Vittoria (nach der Schlacht am Weißen
Berge): Dominante in der Mitte, unten mächtig empordrängend. Die
Voluten beruhigt, die Strebemauern als rollende Voluten gestaltet.
Eine Treppe führt empor; Aufstreben von unten! Vorhalle von
S. Oregorio Magno, altchristliche Kirche mit ihrem Atrium;
bedeutet Verkennung des Wesens des Atriums (die heiteren Säulcn-
höfe), wofür diese Zeit gar kein Organ gehabt hat. Die Fassade
mußte also dem Atrium über einem Treppenaufbau vorgelegt
werden (was sehr zur malerischen Wirkung beiträgt). Zwei-
geschossig, oben Fenster wie bei einem Profanbau, die allerdings
nicht unmittelbar in die Kirche hineinführen. Das Vortreten der
Pilaster und der Mittelteile aus der Mauer schon scharf markiert,
so daß schon geradezu perspektivische Wirkung damit erzielt wird.
Deckungen von vier Plänen hintereinander. In der Mitte allein, weil
sie als Risalit heraustritt, ist der Giebel ganz unverkröpft; äußere
Bewegung an Stelle der inneren. Man begegnet in dieser Periode
auch anderen Versuchen. S. Domenico e Sisto von Vincenzo
dclla Orcca; schlank,, zweigeschossig, aber ohne Scheidung in
Mitte und Kapellenflügel, sondern einfach dreiteilig in beiden Ge-
schossen, mit ruhigem, hohem Giebel. Gleiche Intervalle. Ein
bestimmtes Renaissancegefühl lebt wieder auf darin. Unten Pfeilcr-
loggia. Das ist fast noch reine Renaissance. Aber trotzdem Losringen der
Pilaster und Verknüpfungen des Gebälkes. Freitreppe. Alles charakte-
ristisch für- Versuche auf Übergang. Man wird des inneren Kampfes
satt, verlangt nach Sieg und Ruhe. S. Francesca Romana am
Forum, früher dem Maderna zugeschrieben, jetzt dem Carlo
Lombardo. Offenbar das System Palladios vom Redentore in
Venedig. Eine Kolossalordnung in der Mitte, tempclartiger Mittelbau,
vereinigt mit Voluten über den tiefer stehenden Seitenschiffen, statt
einfacher Diagonalen, die bei Palladio mit dem Mittelgiebel parallel
laufen. Die Teile sind der Mitte untergeordnet, scheiden sich aber
sehr bestimmt von der Mitte, mehr als der Barockstil verträgt. Auch
die großen Rundbogendurchbrechungen (in den Seitenschiffen jetzt
größtenteils zugemauert) gehören nicht der Barockempfindung an.
Wenn sie Maderna gebaut hätte, wäre das eine ähnliche Charakter-
losigkeit, wie sie die Fontana zur Schau getragen haben. Die Ein-
geschossigkeit ist das einzige verbindende Glied mit Maderna
(S. Peter), und gerade darin liegt ein grundsätzlicher Unterschied
— 145 -
in Auffassung und Durchführung. In S. Francesca klare Tendenz,
in S. Peter mühseliger Kampf. Das Stieben nach einfacher Größe ist
römisch. Ruhiger, unverkröpfter Giebel, ähnliche Reaktion wie bei
S. Domenico e Sisto. Auch Freitreppe. Man sieht: ein Suchen nach
Anderem, Neuem; man will hinaus über die drückende Enge des
strengen Barockstiles. Man erwartet einen neuen Bahnbrecher, der
die begehrte Formel findet: Bernini.
:gl, Kam. Kunst dts lo . Jahrh.
DIE SKULPTUR
DER GEGENREFORMATIONSZEIT.
Für die Figurenkunst war die strenge Gegenreformationszeit
nicht günstig;. Nur im Materiellen soll der innere Konflikt gezeigt
werden, in der Architektur, nicht im Psychischen der mensch-
lichen Figuren. Wo sie auftreten, dort fehlt die geistige Tiefe
des Michelangelo, aber Renaissance ist es auch nicht mehr, die
stille Geisteshoheit, die latente Empfindungsfähigkeit. Namentlich in
der Malerei macht sich die dekorative Oeistlosigkeit fühlbar. Die
Skulptur wird überhaupt wenig geübt. Wer hätte wohl mit der
„Nacht" konkurrieren wollen? Die klugen Schüler mäßigten daher
das geistige Moment (d. h. gerade dasjenige, das Michelangelo um
jeden Preis gesteigert sehen wollte), in dem sie dem Meister doch
nicht nachkonnten, und so entstanden Kunstwerke, die freilich der
Renaissance näher stehen als dem Barockstil, aber doch auch den
Stempel des Einflusses Michelangelos unverkennbar aufweisen.
Als Typus dafür mag das Grabmal Pauls III. von Guglielmo
della Porta im Chor von S. Peter genannt sein; das Allgemeine
ganz wie in den Mediceergräbern; drei Figuren, oben der thronende
Papst, darunter der Sarkophag mit zwei Voluten, auf denen zwei
allegorische weibliche Figuren lagern (Gerechtigkeit und Klugheit).
Der Aufbau streng symmetrisch und streng proportional-dreieckig
Aber der Kampf im einzelnen fehlt zwar nicht vollständig, ist aber
sehr maßvoll ausgedrückt. Der thronende Papst: eine Figur voll
ruhiger Hoheit, wie sie aber auch der Renaissance schon zur Ver-
fügung stand; dazu jene olympische, unbefangene, nicht absichtlich
gemessene Ruhe, wie wir sie bei Michelangelo ganz vermissen:
ganz Wille, keine innere Aufregung. Lorenzo Medici ist ein sinnender
Grübler dagegen. Schon das Zerreißen in zwei räumlich getrennte
Objekte: Sarkophag vor der Wand und Figur in der Wand (Nische)
ist hier nicht so offenbar; alles mehr eine plastische Einheit. Die
gelagerten Figuren in invertierter Symmetrie. Sie blicken entgegen-
gesetzt zur Körperrichtung. Gerechtigkeit: mit dem Oberkörper
zurückgelehnt, die Beine vorstoßend, so daß die linke Schulter
und das rechte Bein vorwärts kommen. Klugheit: hält die hintere
Schulter mehr hervor, legt die beiden Beine übereinander, läßt aber
das rechte vordere vorstoßen wegen der Invertierung mit der hori-
zontalen linken Schulter. Ruhiges Lagern im ganzen, bei bewegten
Gliedern; Beine. Arme, Hände im Winkel gebogen, ebenso Köpfe
gewendet. Nur in den Köpfen, im Gesichtsausdruck ist kein Kampf,
darin also gegen (Michelangelo zurückstehend. In äußeren, materiellen
Mitteln (wie in der Architektur überhaupt, die gerade darum jetzt
führend wird) darf der Kampf dargestellt werden. Papstfigur: Kopf
seitlich abwärts gewendet. Vorstoßen des linken Beines und des
rechten Armes. Aber alles das ist maßvoll, mehr Kontrapost. Da-
gegen weniger Nacktes, und wo es auftritt, dort weniger in plasti-
schen Vorsprüngen. Buckeln gegliedert. Weniger scharfe Konturen
als bei Michelangelo. Aber auch weniger Rücksichtnahme auf die
Umgebung. Die Papstfigur allein schon als Ganzes predigt Gleich-
gewicht zwischen Körper und Seele: renaissancemäßige Ausgleichung.
worin eben die enge Berührung mit der klassischen Antike liegt. Der
Kopf hat aber unleugbar auch einen idealen Zug des sinnlich Schönen;
wir kennen den Kopf aus dem Porträt von Tizian in Neapel, ein
häßlicher Kopf mit hinterhältig schlauen Zügen, gebeugte Haltung
des Körpers. Hier groß und frei; bei Tizian ist eben die Farbe das
Element, womit er uns das Bildnis näherbringt. Dann die beiden
allegorischen Figuren. Erstens schon ein Aufwand an Kleidung —
nicht mehr klassisch, schon etwas knitterig — wie ihn Michelangelo
an einer allegorischen Figur unbedingt verschmäht hätte. Die Ge-
rechtigkeit ist sogar mit einem bestimmten Maß sinnlicher Schönheit
ausgestattet, so daß der Kopf ein geistig gleichgültiges Gepräge
erhielt. Wenn ein Kampf hier gesucht wird, so liegt er höchstens
in einem ganz Äußerlichen: in der knitterigen Faltenlegung, die
aber etwas kleinlich wirkt und eher zu dem Gegenteil von Michel-
angelos Absichten führt. Am ehesten verrät sich das Vorbild der
Mcdiccergräber in der Klugheit: dem gewaltigen Rumpf, der Lage
des linken Armes, dem Kopfe mit dem ernsten Ausdruck, in dem
eine Gedankenwelt schlummert. Am meisten barock ist das äußere
architektonische Detail: die Gliederung des Sockels in zahlreichen
- 148 -
Stufenvorsprüngen an den Ecken, anknüpfend an Michelangelos
Pilasterbildung. (Gugliclmo della Porta repräsentiert die Zeit des
Vignola und Giacomo della Porta. Dann folgt der Rückschlag der
Comaskenperiode.)
Das ist die Signatur der nächstfolgenden Bildhauergeneration.
Da sie im Geistigen dem Meister nicht nachkommen können, schränken
sie den Ausdruck des Geistigen überhaupt ein. Ja man geht sogar
in den folgenden Papstgrabmälern auf ein früheres Stadium zurück:
auf das Mittel der äußeren Erzählung. Die Taten des Papstes sollen
wiederum für ihn sprechen, wie das in früheren Zeiten der Fall
gewesen war. Es wird äußerlich die einheitliche Renaissancewand
restituiert, mit Reliefs und mit Freifiguren in Nischen. Aber es fehlt
die harmonische Gliederung von früher. So beschaffen sind die
berühmten Grabmäler in S. Maria Maggiore. Sic befinden sich
zu zweien in der Capella Sistina und Capella Paolina (jedes einen
Querarm einnehmend). Berühmt weniger wegen ihrer künstlerischen
Bedeutung, als wegen der ungeheueren Aufwendung an kostbarem
Material. Diese Gräber bezeichnen den Stand der römischen Skulptur
vor Bernini und einen Rückschritt gegenüber Michelangelo. Erst
Bernini ist wiederum, und dann mit voller Entschlossenheit, auf die
Weise Michelangelos eingegangen. Er hat vor allem das Geistige
darzustellen gesucht, aber er faßt es nicht mehr so tief wie Michel-
angelo auf, nicht mehr als erschütternden Kontrast, sondern bloß
als momentanen Affekt; der Leib folgt willig dem inneren Impuls.
Damit hätte sich Michelangelo nicht begnügt. Die Wirkung ist doch
mehr eine materielle als eine geistige.
Körper und Geist bedeuten seit der Antike Gegensätze. Immer
war die Kunst bestrebt, diesen Gegensatz zu versöhnen. Einmal
folgte der Geist willig dem Körper, das andere Mal der Körper
willig dem Geiste. Michelangelo ist der erste, der den Gegensatz
zwischen beiden als solchen darstellt. In der früheren Kunst war
eine gewisse Analogie nur einmal vorgekommen: in der hellenisti-
schen Kunst, wofür der Laokoon das charakteristische Beispiel immer
bleiben wird. Daher das Interesse, das Michelangelo am Laokoon
genommen hat, der zu seinen Zeiten, am Anfange der Regierung
Julius IL, zu Rom gefunden worden war. Wie verhält sich dazu
Bernini? Er läßt den Körper der geistigen Aufwallung des Momentes
— 149 —
willig folgen. Den Körper kostet es zwar Kampf, den Inipuls aus-
zuführen, aber nicht, ihm zu gehorchen. Bei Bernini ist wieder
Harmonie zwischen Körper und Geist hergestellt.
Das Charakteristische, das den eingetretenen Umschwung aus-
drückt: die Welt hatte wieder begonnen, an der Materie selbst
Gefallen zu finden; die Gegenreformation war vorüber. Das ist die
Ursache, warum in der Skulptur die Weise des Michelangelo erst
zwei Generationen nach seinem Tode eine wirkliche Fortsetzung
finden konnte. Die figurale Skulptur spielt in der Zeitperiode, die
auf Michelangelo gefolgt ist, also in der strengsten Zeit der Gegen-
reformation, überhaupt eine bloß nebensächliche Rolle. Hier ist an
eine historische Parallele zu erinnern. Vor der Gegenreformation
hat es auch schon eine Zeit tiefster religiöser Erregung gegeben,
die noch mehr als das 16. Jahrhundert auf geistige Vertiefung in
christlich-religiösem Sinne hinarbeitete: die altchristliche Zeit. Und
in dieser altchristlichen Zeit begegnen wir im Grunde ganz der
gleichen Erscheinung: die Figurenskulptur tritt vollständig zurück;
sie wird durchaus nicht ausdrücklich verboten, aber man sah ein,
daß man mit ihr dasjenige nicht vollkommen genug auszudrücken
vermochte, wonach der religiöse Sinn der dadurch bestimmten Kunst-
absicht der Zeit begehrte. Die Aufgaben der Skulptur sind in der
Zeit der strengen Gegenreformation hauptsächlich dekorativer Natur
(wie der bildenden Kunst überhaupt), z. B. Grabmäler. Daraus folgt,
daß wir die Entwicklung der römischen Skulptur der ganzen ersten
Barockperiode gleich hier mit wenigen Worten abtun können. Es
genügt die Betrachtung der vier Grabmäler in S. Maria Maggiore.
Schon die Uniformität fällt auf, trotz des langen Zeitraumes, der
zwischen dem ersten und letzten dieser Grabmäler liegt. Es ist
immer der gleiche architektonische Aufbau des Grabmales und die
gleiche skulpturale Behandlung: unten aufstrebendes Geschoß mit
vorgesetzten Säulen nach Triumphbogenart und darüber ein zweites,
niederes Geschoß als Attika (daher nur Hermen oder Karyatiden
als Pfeiler und Trägen, wagerecht abschließend, in der Mitte mit
michelangelesken, gesprengten Stichbogen bekrönt. Unten in der
Mitte eine Nische für die Papstfigur. In den übrigen fünf Teilen
Reliefs der Taten des Papstes; gar nichts Allegorisches. Es beweist,
daß durch ein halbes Jahrhundert hindurch in der römischen Skulptur
keine originelle Schaffenskraft zur Entwicklung gekommen ist. Ver-
schiedene Meister haben daran gearbeitet: ihre Namen hat Baglione
überliefert, aber es ist keiner darunter, der über die Mittelmäßigkeit
hinausragen würde, \v;is freilich nicht ein zufälliges Spiel der Natur
ist, sondern in den Forderungen der Zeit begründet ist. Nur wenn
man Einzelheiten verfolgt, beobachtet man eine Entwicklung.
Grabmal Pins' V. Der Papst thronend, geradeaus gewen-
det, segnend in der Nische. Kontrapost in der Haltung. Ein milder
und lächelnder Zug im Antlitz, der zu dem überaus strengen Geiste
dieses Papstes eigentlich schlecht stimmt; absolut ruhige, feierliche
Haltung, in den Reliefs perspektivische Einblicke in tiefe Hallen,
mit viel Freiraum zwischen Vorder- und Hinterfiguren. Grabmal
Sixtus' V. Der Papst, der Gesinnungsverwandte Pius' V., betet
kniend, also in demütiger Haltung, zu Gott und nicht zu den Men-
schen gewendet. Der Kopf ist leise geneigt, sonst fest geradeaus,
willensstark. In allem übrigen genau die gleiche Behandlung wie
dort: ruhig entschlossen. In den Reliefs etwas mehr Tendenz auf
Raumfüllung. Also 1. Rückkehr zum architektonischen Aufbau. 2. Ver-
meidung der Allegorie (Frciskulpturen); dafür historische Reliefs.
Auch darin altchristliche Auffassung. Das Grabmal Clemens' VIII
in der Capella Paolina zeigt äußerlich noch die Hauptformcn
der beiden früheren, aber leise Verschiedenheiten sind doch zu
merken. So geringfügig diese Veränderungen scheinen, kündigen
sie doch, wie sich zeigen wird, einen nahenden Umschwung an.
In der Figur des Papstes äußerlich die Gebärde Pius' Vi: segnend
thronend, aber die unruhige Beinstellung erinnert wieder etwas
an diejenige des Moses und des Giuliano von Michelangelo. Die
Haltung nicht mehr so geradeaus, sondern etwas ins Schräge ge-
dreht. Der Thronsessel ist ganz deutlich gemacht: naturalistische
Lokalisierung. Auch sonst ist eine Bewegung in die Figuren gekommen,
die einen gesteigerten inneren Affekt verrät; sie verrät sich sogar im
Beiwerk, z. B. in den Falten Im Aufbau: unteres Geschoß, die
Kränze zwischen den Säulenkapitcllen sind nicht mehr einzeln, son-
dern verdoppelt, und zwar sind die mittleren Enden durch einen
Engelskopf gehalten. Vergleicht man es mit jenem, so ist ein Moment
der Bewegung auch hier hineingekommen. Oberes Geschoß: statt
Hermen sind Karyatiden — also vollkommener lebende Kräfte, orga-
- 151 -
nischcrc Wesen als Hermen: organisch ist aber zugleich Leben. Be-
wegung gegenüber dem Anorganischen — von denen namentlich
die mittleren, die den Segmentgiebel tragen, die Arme in un-
gewöhnlicher, auffallender Haltung aufwärtsheben, um die Last zu
stützen. Also wiederum Bewegung. Dann sind zwischen die Köpfe
und die harten Kapitelle Polster geschoben: ein geradezu naturali-
stisches Moment. Gesteigerte Bewegung und Naturalismus sind
aber die Elemente der berninischen Skulptur, von der wir hier zeit-
lich nicht mehr weit entfernt sind. In den Reliefs sind die Figuren in
den Vordergrund gedrängt, aber mit Luft dazwischen, dafür ist der
Tiefraum beseitigt. Berninis Vater Pietro hat die vier Karyatiden und
die Papstkrönung oben in der Mitte gearbeitet, die drei Vorder-
figuren sind charakteristisch durch malerische Lebendigkeit der Be-
wegung.
Grabmal Pauls V. Sein Kardinalnepot Scipio Borghesc war
bereits ein Gönner des jugendlichen Bernini. Der Aufbau hat die
Neuerungen des clemcntinischcn Grabmals. Der Papst ist wiederum
kniend dargestellt, auf Polster diesmal, und betend. Man vergleiche
den Kopf mit dem Sixtus' V.; es ist ein inbrünstiger Zug in den
Kopf gekommen, der Künstler hatte also das Bestreben, die innere
Gemütsbewegung des Betenden wiederzugeben. Schon die schwach
geneigte Kopfhaltung im Vergleich zu der ganz festen und nahezu
kerzengeraden des Sixtus. In den Reliefs sind die Tiefräume minder
lief und dann schräg komponiert. Endlich die Gewandbchaiullung :
das Gcfältel ist ganz kleinlich geworden. Man überschaue die Ent-
wicklung hierin seit Pius V. und wird in der Tat eine Entwick-
lung finden. Bei Pius V. noch ein großartiger plastischer Falten-
wurf nach antiker Art; auch noch bei Sixtus, wenngleich schon
weniger scharf und tief. Bei Clemens VIII. kleinlich und knitterig, bei
Paul V. ein ganz zartes Gefältel, das die Plastik geradezu vermeidet.
Dieser Progreß ist die Voraussetzung für Bernini. Dieser schreitet
wieder zu einem gewaltigen Faltenwurf über, aber in ganz anderem,
entgegengesetztem Sinne, als ihn die Antike und die Renaissance
gebraucht hatte. Bernini strebt in der Falte an, was Michelangelo
mit dem nackten Körper angestrebt hatte. Damit ist sogar wörtlich
gesagt: Bernini gibt mit äußerlichen Mitteln, was Michelangelo mög-
lichst innerlich gefaßt haben wollte. Michelangelo hätte sich mit so
äußerlicher Unruhe nie begnügt. Aber auch seine Zeit nicht. Das
17. Jahrhundert dagegen verlangte wieder nach äußerlichen Rei-
zungen Was ist das Fazit der Entwicklung der römischen Skulptur
im 10. Jahrhundert? Dem Michelangelo kam sie in seiner eigensten
Weise nicht nach; so muß sie sich darauf beschränken, die alte er-
erbte Weise, die Renaissanceweise allmählich ad absurdum zu führen.
Eine solche destruktive Tendenz konnte keine großen Künstler her-
vorbringen; diese werden nur durch ein großes positives Problem
hervorgebracht. Das Zerstören besorgt immer eine ganze Generation;
das Aufbauen besorgen einzelne in führender Stellung. In Ober-
italien gab es eine Skulptur, die mit Correggio parallel läuft und
auch dem Bernini in gewisser Hinsicht präludiert. Sic hat auch in
der Nähe Corrcggios ihren Sitz gehabt, namentlich in Modena:
eine realistische Tonplastik, durch Guido Mazzoni. gestorben 151S,
berühmt geworden (der Naturalismus der schmutzigen Fußsohlen
u. dgl. ist hier in edlem Sinuc vorgebildet; kein Überschwang,
dafür echteres Gefühl, das sich um den Beschauer nicht kümmert).
Dagegen ist schon subjektivistisch im Sinne Correggios Antonio
Begarelli (gestorben 1565). Seine Heiligen stehen nicht sicher auf
den Füßen, streben schlank aufwärts, schmachten in die Höhe, haben
magere Glieder, viel Absicht auf konturenbrechende Schattenwir-
kung, Querfalten in den Draperien. In Rom konnte diese Richtung
im 16. Jahrhundert nicht Fuß fassen; erst im 17. durch Bernini. der
natürlich nicht daran direkt angeknüpft zu haben braucht.
DIE MALEREI DER OEGENREFORMATIONSZE1T.
I. Die Manieristen. Die zweite Hälfte des strengen Barock-
stiles repräsentiert durch den Manierismus in unbestrittener Herr-
schaft. Was nennen wir Manierismus? Äußere Nachahmung der
charakteristischen Merkmale in der Kunst Michelangelos oder auch
Raffaels in seiner letzten michelangeleskcn Periode; aber die geistige
Vertiefung tritt ganz zurück nicht so sehr wegen Nichtkönnens, sondern
wegen Nichtwollens, man verlangte es nicht in der strengen gegen-
reformatorischen Zeit. Sie entzog sich der Nachahmung, weil sie
innerlich erfaßt und erlebt werden muß. Dagegen war wohl nach-
zuahmen: 1. die nackten, übergewaltigen Glieder in übernatürlichen
Verrenkungen, Verkürzungen heraus und hinein, 2. die Behandlung
der Farbe als bloße Zugabc, in der Regel hell, bunt und kühl: in
der Farbe äußert sich am ehesten ein gewisser selbständiger
Geschmack. Einige geben dem Fleische verschiedener Personen ver-
schiedene Färbung, worauf Michelangelo gar keinen Wert gelegt
hätte. Gerade darin äußert sich der Sinn für Lokalfarbe in ihrer
taktischen Begrenzung. Darin gehören sie noch zu der früheren
mittelalterlichen Malerei; es fehlt noch das Koloristische, Tenebrose,
das Dunkel. Gerade den Beschauer germanischer Rasse sprechen
diese Bilder am wenigsten an, weil ihnen jede Beseelung fehlt.
Schon Michelangelos Gestalten wirken nicht gerade herzerwärmend;
sie sind zwar beseelt in höchstem Maße, aber ihre Beseelung zeigt
keinen individuellen Charakter, sondern einen gewissermaßen
abstrakten und allgemeinen. Die Nacht ist kein Individuum, sondern
ein Gattungsbegriff. Bei den Nachahmern des Michelangelo versagt
nun der Ausdruck der Beseelung überhaupt; daher erscheinen ihre
Werke dem nordischen Beschauer gleichgültig und leer. Interessant
ist es. die Bilder der niederländischen Manieristen daneben zu ver-
gleichen. Auch diesen gelingt es nicht, die geistige Vertiefung des
Michelangelo zu erreichen; aber sie bemühen sich wenigstens und
schaffen damit Karikaturen. Die Bilder befriedigen uns nicht, aber
wir finden doch wenigstens die Absicht der Beachtung wert. Die
italienischen Manieristen haben tue Grenzen der Karikatur dagegen
nur selten überschritten; sie sind im allgemeinen korrekt in Zeichnung
und Proportionen. Wir müssen fragen: wodurch haben sie auf ihr
Zeitgeschlecht gewirkt? Was fand das gegenreformatorische Zcit-
geschlecht an ihnen Sympathisches? Die Antwort kann nur lauten,
die dekorative Wirkung. Dekorativ wirkt das Linienspiel der Formen,
und dekorativ wirkt die bunte, kalte, aber klare, helle und bestimmte
Färbung. Dies ist die Färbung des Fresko, die sie aber auf die
Ölbilder übertragen. Beides — die Tendenz, im Fresko alle Wände
zu bedecken, und die helle Färbung — beweist den Zusammen-
hang mit dem Mittelalterlichen, Antiken. Der tenebrose Kolorismus
ist neuzeitlich. Gerade die Färbung lehrt, daß diese Meister nicht
bloß leere Nachahmer und Wiederholer eines typischen Vorbildes
gewesen sind, sondern auch eine ganz bestimmte Geschmacksrichtung
repräsentieren. Die rosenroten und himmelblauen Töne waren vor
ihnen nicht (Raffael oder gar die Oberitaliener) und nach ihnen
nicht (die schweren, dunklen, warmen Töne der Barockmaler); erst
im IS. Jahrhundert kommt der Geschmack am Hellen und Kühlen
im allgemeinen wieder auf (Ausnahmen kapriziöser Art hat es immer
gegeben, z. B. Sassofcrrato). Es ist auch ganz natürlich, daß die
strenge Gegenreformation an die bildende Kunst hauptsächlich nur
dekorative, schmückungszweckliche Aufgaben gestellt hat. Man war
eben zum Bewußtsein gelangt, daß man sich in der Renaissancezeit
etwas allzutief in eine heidnische Vorliebe für das Materielle in der
Kunst eingelassen hatte. Wie ursprünglich in der altchristlichen Zeit,
fand man auch jetzt wieder in den strengkirchlichen Kreisen, daß
die bildende Kunst im Grunde nur für Aufgaben des Gebrauchs-
zweckes und des Schmiickungszweckes unbedingt notwendig und
unentbehrlich wäre. Die Verkörperung der Naturgesetze und der
Sittengesetze, wie sie die antike Kunst und die Renaissancekunst
dargeboten hatte, wurde in der strengen gegenreformatorischen
Periode von der bildenden Kunst nicht bloß nicht verlangt, sondern
sogar nach Möglichkeit vermieden. Das muß man sich gegenwärtig
halten, wenn man verstehen will, wie die geistig so tief erregie
Zeit der strengsten Gegenreformation sich mit der leersten und
äußerlichsten Kunstauffassung begnügen konnte. Wir verknüpfen mit
der Bezeichnung der römischen Barockkunst, der Jesuitenkunst, in
der Regel den Begriff der rauschenden Fülle, der Üppigkeit, des
üherqucllcndcn Reichtums an Formen und an Bewegungen. Das ist
aber alles erst nach 1600 eingetreten, als die strenge Phase des
gegenreformatorischen Zeitalters vorüber war Die Gegenreformation
selbst war in gewissem Sinne kunstfeindlich, genau wie ihr Gegen-
part, der Protestantismus im Norden.
Die Manieristen sind in Italien keine Bahnbrecher (im Norden
waren sie es. sie bereiten Rubens vor); ihre Kunstweise kann nur
symptomatische Bedeutung beanspruchen. Daher erscheint ein Ein-
gehen auf die einzelnen Meister unnötig. Zumeist sind die Meister,
die diese Kunst in Rom vertreten, noch von der florentinischen
Malerei ausgegangen; der Manierismus war noch von Florenz aus-
gegangen, und eine Richtung, die strengere michclangeleske, bleibt
auch an Florenz gebunden. Der Herold der ganzen Richtung —
Giorgio Vasari — ein direkter Schüler Michelangelos, ist immer
ein Florentiner geblieben, wenn er auch jahrelang in Rom gemalt
und gebaut hat. In Rom selbst war eine Richtung maßgebend, die
sich mehr an Raffael, aber an den michelangelesken Raffael, ange-
schlossen hat. Dort waren eine Zeitlang die Gebrüder Zuccaro die
tonangebendsten; der eine Bruder. Taddeo, ist zwar schon 1566
gestorben, der andere aber, Fedcrigo, hat bis 1609 gelebt. Er war der
eigentliche römische Hauptmaler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun-
derts und hat namentlich die wichtigsten Aufgaben der Freskomalerei
in den Palästen besorgt. Vornehmlich heitere Landsitze wie Capra-
rola und Vigna di Papa Giulio schmückte er mit Malereien, aber auch
die Sala regia im Vatikan und die Florentiner Domkuppel. Neben
ihm ist dann für Rom noch der Cavalier d'Arpino zu nennen
(Giuseppe Cesari war sein Name), von dem man noch viele Bilder
in Rom findet; er hat bis 1640 gelebt, also den Manierismus noch
tief in die Zeit Berninis hinein fortgesetzt.
Ein mittelitalienischer Meister steht abseits in dieser Zeit. Er
empfand es, auf welchem Wege über den Manierismus der römisch-
florentinischen Schule hinauszukommen war; durch den optischen
Subjektivismus der Oberitaliencr. Das, was Comasken in die Archi-
tektur gebracht haben in der zweiten Hälfte des strengen Barock-
stiles, haben die Carracci und die Caravaggisten in die Malerei ge-
- 156 -
bracht. Ihr Vorläufer aber, noch zu der Zeit, wo Vignola und Giacomo
della Porta die Mode beherrschten, war Fcderigo Baroccio von
Urbino, gestorben 1602. Das hat man bald in Italien eingesehen
und Beitori nennt ihn auch einen Bahnbrecher; allerdings sah er
in ihm hauptsächlich einen Erneuerer Raffaels gegenüber Michel-
angelo, der mit seinem taktischen Subjektivismus bis dahin geherrscht
hatte. Er hat fast nur Religiöses gemalt, in öl. Man sieht im Ver-
gleich zu den übrigen Manieristen erstens weichere Behandlung der
Umrisse, wiewohl die Farbe noch hell und kühl ist. Dieser Färbung
halber hatte man ihn hauptsächlich den Manieristen zugezählt, denn
er verwendet noch keine Schatten wie Correggio und die Vene-
zianer, was die Carracci getan haben, also er war kein Kolorist.
Aber die lockere, weiche Behandlung erinnert in bescheidenen Gren-
zen an Tintoretto. Bezeichnend ist es daher auch, daß er radiert
hat. nicht gestochen, was immer den Koloristen verrät. Diese
weichere, flockigere Behandlung ist entschieden subjektiv, denn die
Farben sind objektiv einheitlich, nur dem Beschauer scheinen sie
im Luft- und Lichtraum zu flimmern; zweitens eine gesteigerte Innig-
keit der psychischen Auffassung im Sinne des Correggio.
S. Michelina in der vatikanischen Pinakothek. Viel Schatten,
Dunkel, Eingehen auf das Atmosphärische, die Konturen mit dem Raum
verbunden, so daß es keine harte Trennung mehr zwischen Figur und
Grund gibt; die rechte Hand mit scharfen Beleuchtungsuntcrschieden.
Die Draperien etwas flauer, unplastischer, rein optischer. Zur Auffas-
sung: sehnsüchtiges Emporblicken, aber keine krankhafte Aufregung: die
Hände ausgebreitet, das Gewand flatternd, wie vom Winde bewegt.
Verkündigung ebenda. Entschieden natürliche Auffassung,
nicht ein überirdisches Ereignis, das Köpfchen der Madonna wenig
hohcitsvoll, wenn auch nicht direkt porträtartig. Das schlummernde
Kätzchen im Vordergrunde links erinnert an nordische Auffassung,
ist aber zu untergeordnet behandelt; der Nordländer hätte daraus
ein Stimmungselement gemacht. Dann die Landschaft, die durch
das Fenster hereinschaut, subjektiv aufgefaßt und mit der Haupt-
szene räumlich richtig verbunden, man sieht deutlich die Sonnen-
lichtwirkung draußen.
Was der Malerei dieser Zeit ihre Bedeutung gibt, liegt nicht
so sehr in den künstlerischen Persönlichkeiten und ihren Werken,
— 157 —
als in einigen Beobachtungen allgemeiner Art. zu denen sie Anlaß
geben und die daher hier Anmerkung finden sollen. Es begegnen
da Erscheinungen, die damals ganz neu waren, aber sich bis auf
unsere modernste Zeit fortgesetzt haben; es zeigt sich in dieser
Erscheinung deutlich, daß die Manieristen nicht mehr zur Renaissance
zählen, zu einer sogenannten Spätrenaissance, von der man gerne
spricht, sondern daß mit Michelangelo eine neue Zeit angebrochen
war. im strengsten Gegensatz zu aller vorausgegangenen antiken
und mittelalterlichen Kunst.
Diese Erscheinungen sind: 1. Die Romfahrten der Künstler.
(In anderem Sinne als die Jubiläumsfahrt Rogiers van der Weyden
1450. den hauptsächlich der Gewinn gelockt hat, wie auch andere
nordische Maler. Die Konzilien gaben namentlich Verdienst.) Es
wurde zuerst bei den Florentinern unvermeidliche Mode, nach Rom
zu pilgern und die dortigen Hauptwerke, namentlich die des Michel-
angelo, sich anzusehen, später auch die des Raffael. Man glaubte.
wer diese Werke nicht gesehen hätte, könne kein großer Meister
werden. Diese Tendenz ist aber auf die Italiener nicht beschränkt
geblieben, sie hat schon damals auch auf das Ausland übergegriffen.
Der niederländische Manierismus wäre nicht möglich gewesen ohne
die Romfahrten der flämischen und holländischen Maler. Ebenso
kamen die Spanier nach Rom, zunächst weniger die Deutschen und
Franzosen: die Franzosen aber im 17. Jahrhundert, die Deutschen
auch schon im 17., namentlich aber seit dem 18. Jahrhundert. Das
hat sich fortgeerbt bis auf den heutigen Tag. Selbst die Holländer
des 17. Jahrhunderts haben sich dagegen nicht ganz ablehnend
verhalten; erst heute macht sich ein lauter und allgemeiner Wider-
spruch dagegen geltend, womit wieder gesagt erscheint, daß wir
abermals in eine neue Phase der Entwicklung der Malerei cinge
treten sind.
2. Die Gründung von Akademien. So in Florenz unter dem
Einflüsse des Giorgio Vasari, in Rom die Accademia di San Luca,
die noch heute existiert, unter dem Einfluß des Federigo Zuccaro,
beide in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Freilich, bis es
zur Ausbildung der Akademien zu Staatsinstituten im modernen
Sinne gekommen ist. hat es lange gedauert; anfangs waren es mehr
unverbindliche private Vereinigungen. Die Basis dafür erkennt man
158 —
aber alsbald im systematischen Unterricht; und dieser wird bald,
schon in der Akademie der Carracci, noch im 16. Jahrhundert.
zum Hauptzweck der Vereinigung. Der Subjektivismus fordert die
Akademie, so paradox es klingt. Gegenüber dem Neuen, das jeder
erstrebt, soll bewährte Errungenschaft konserviert und überliefert
werden. Aber in Florenz und Rom hat man schon das Kommende
geahnt; auch hierin ist die Zeit des Manierismus die symptomatische
Vorläuferin des kommenden herrschenden Elementes. So ist es ge-
blieben bis auf unser Jahrhundert; auch diesbezüglich werden heute
Meinungen laut, daß die Akademien ihrem Zwecke nicht mehr ent-
sprechen. Der äußerste Subjektivismus braucht sie also nicht mehr,
daher schon die Holländer nicht. Was war ihre Bedeutung vom 16.
bis zum IQ. Jahrhundert? Sie waren ein konservatives Element: der
Lehrer wollte den Schüler bei seiner eigenen Weise festhalten, die
ihm eben als die beste schien. Eines solchen konservativen Elementes
hatte es früher nicht bedurft, weil die Veränderungen in der Kunst
sich sehr langsam vollzogen. Heute dagegen vollziehen sie sich
so rasch, daß die Akademien nur als Hindernis dafür empfunden
werden. Eine weitere Begleiterscheinung ist die Anlegung von
Galerien: Sammlungen von Bildern für den privaten Genuß,
eine Nebenform des modernen Kapitalismus. Das hat sich erst im
1 7. Jahrhundert ganz scharf ausgeprägt, beginnt aber auch schon im
16. Jahrhundert, noch in Form von Kunstkammern, vielfach mehr
Raritätenkammern. Dagegen heute Reaktion in der Forderung einer
Volkskunst.
3. Die erwachende Neigung der Künstler zum geistreichen
Theoretisieren; sie wollen Regeln geben, aber sie geben nur
das, was ihnen selbst richtig dünkt; so blieb es bis auf den heuti-
gen Tag. Das beweist, daß die Künstler nicht mehr unter dem
inneren Zwange schaffen wie früher, das verrät am schärfsten den
Subjektivismus. (Thcophilus' diversarum artium schedula hatte nur
technische Anweisungen gegeben; über das andere gab es über-
haupt nichts zu sagen und nichts zu lehren.) Das äußert sich selbst
schon bei Vasari, wo er auf seine eigene Zeit zu sprechen kommt.
Auch Federigo Zuccaro hielt sich verpflichtet, seine Meinung über
ilie Aufgaben der bildenden Künste den Mitmenschen nicht vorzu-
enthalten. Er schrieb eine „Idea de' scultori, pittori cd' architetti"
- 159 -
Das ist einmal ein Punkt, in dem heute kein Umschwung merkbar
ist. Im Gegenteil, die modernen Maler ergreifen fast alle mit Ver-
gnügen die Gelegenheit, über ihre Kunstauffassung Aufschluß zu
geben. Es drückt sich darin der künstlerische Subjektivismus aus, wie
er zuerst bei Michelangelo scharf hervortritt. Heute ist dies so weit
gediehen, daß der Künstler kategorisch verlangt, der Beschauer habe
sich in seine — in des Künstlers — Absicht zu fügen, nicht — wie
es in der Antike, im Mittelalter bis zur Renaissance der Fall war —
der Künstler in die Absicht der genießenden Beschauer, für die
das Kunstwerk bestimmt ist. Bilder auf Bestellung waren einst die
Regel, heute sind sie nur Ausnahme. Es ist daher nur natürlich,
daß der Künstler das Bestreben haben muß, den Beschauer litera-
risch — wo nicht mündlich — über seine eigentlichen Absichten
zu unterrichten. Doch geschieht es heute nicht mehr so mit dem
Anspruch, das allein Gültige mitzuteilen. Die Künstler beginnen
selbst einzusehen: alles Schöne ist relativ. Hierin liegt einer der
charakteristischesten, aber auch bedenklichsten Züge im modernen
Kunstlcben. Es ist fraglich, ob hierin noch eine Steigerung mög-
lich ist und ob es nicht zu einem Umschwung kommen muß. —
Uns interessiert aber dieser Punkt nur insoferne, als wir feststellen
können, daß auch diese Neigung der modernen Künstler, über
ihre eigene Kunst zu theoretisieren, zuerst in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts größeren Umfang angenommen hat. Vorläufer
waren schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts: Lionardo. Dürer.
Diesen hat es sich aber doch noch um etwas anderes gehandelt
als Vasari und Zuccaro: nicht um Entfaltung ihrer subjektiven
Ansichten, sondern um Findung der objektiven Wahrheit. Diese
erinnern noch an den Thcophilus. der mehr auf das Handwerkliche
eingeht. Sie wollen gar nicht neu erfinden, nur das bewährte Alte
nachschaffen, das Neue stellt sich dann von selbst ein; der Sub-
jektivismus sucht mit Fleiß das Neue.
II. Zweite Hälfte der strengen Barockmalerei. Gibt es
eine römische Malerei dieser Zeit? Eine Antwort gab schon das
lange Wirken des Cavalicr d'Arpino. Das spezifisch Römische war bis
in die Zeit des Bernini im Grunde doch der Manierismus. Aber
man gestattete daneben auch anderen, zersetzenden Richtungen
den Einfluß, die gleichzeitig mit den Comasken aus dem Norden
- 160
Italiens kamen. Nur ist charakteristisch, daß alle diese Meister ans
der Fremde wieder wegziehen, nachdem sie in Rom eine Weile
geschaffen hatten und in Mode gestanden waren. Nur der Cavalier
d'Arpino blieb. — Daß die Meister aus der Fremde nach Rom kamen,
wäre nicht auffallend, denn alle römische Kunst wurzelt ja in der
fremde, sie ist international wie der römische Katholizismus, nur
ihre Blüte ist das spezifisch Römische. Aber daß die Meister nicht
bleiben, beweist, daß sie empfanden, ihre Kunst hätte in Rom nicht
eigentlich Wurzel gefaßt. Die Carracci, die Begründer des Eklektizis-
mus, kommen aus Bologna und gehen dahin zurück, nur Annibale
stirbt, da er im Begriffe steht, Rom zu verlassen. Die großen Schüler
der Carracci, Reni, Domcnichino usw. sind alle nach Rom gekommen
und alle weggegangen. Die bedeutendsten oder doch originellsten,
Reni, Guercino, Albani, sind wieder zurück nach Bologna; die Meister
zweiten Ranges sind zeitweilig nach Neapel gegangen.
Nicht anders steht es mit der zweiten Richtung jener Zeit. die.
von Obcritalien ausgehend, in Rom Eingang gefunden hat, dem
sogenannten Naturalismus. Sein Begründer Michelangelo da
Caravaggio kam aus der Lombardei; in Rom ändert er sich,
ebenso wie die Carracci, aber er romanisiert sich nicht; er findet,
daß Neapel ein dankbarerer Boden für seine Kunst wäre und
wandert dahin aus. In der Tat hat seine Richtung auf italienischem
Boden am ehesten in Neapel Nachfolge gefunden. Auch der Norden.
Holland und Frankreich, haben ihn höher zu schätzen gewußt als
die Römer.
Es handelt sich also um eine Zersetzung des taktischen
Subjektivismus des Michelangelo durch den optischen Subjektivismus
der Oberitaliencr. Diese hatten sich in zwei Richtungen gespalten:
1. den überwiegenden Formensubjektivismus des Correggio, 2. den
überwiegenden Farbensubjektivismus der Venezianer. Correggio
steht den Toskanern und Römern näher; die freien, kühnen Be-
wegungen, die er seinen Körpern gibt, haben ihre Parallelen in den
Schöpfungen des Michelangelo. Daher wird sich von Correggio zum
römisch -florentinischen Manierismus leichter eine Brücke finden
lassen, als von den Venezianern her. Dazu auch die Verwandtschaft
in der Auffassung: bei Correggio begegneten wir der lauten,
freudigen Hingabe, der Empfindungssprache von Person zu Person.
Bei Michelangelo kämpft dieses Bedürfnis nach Hingabe an die
Empfindung; mit dem Willen auf Isolierung. Bei den Venezianern
dagegen spielt die Empfindung eine ganz nebensächliche Rolle,
selbst bei Tintorctto. Auch darin steht also Correggio den Mittel-
italienern näher. Wo wird die Brücke geschlagen werden zwischen
dem oberitalienischen Correggismus und den Mittelitalienern? Man
könnte den Ort a priori auf der Landkarte feststellen; es mußte
eine Stadt sein, die Ober- und Mittelitalicn verbindet, geographisch,
politisch, geistig und sozial. Alle diese Bedingungen erfüllt Bologna.
Bis Bologna war der Manierismus gedrungen; weiter hinauf in
Oberitalien herrschten Correggio und die Venezianer. Von Bologna
aus konnte das Unternehmen gewagt werden, für diese ausgleichende
Richtung auch Rom zu gewinnen. Wie schon gesagt wurde, ist das
nur vorübergehend gelungen. Wie wenige Aussicht mußte das
andere mögliche Unternehmen haben: der Versuch, den venezia-
nischen Farbensubjektivismus nach Rom zu verpflanzen. Das haben
die sogenannten Naturalisten gewagt. Es ist im wesentlichen das Unter-
nehmen nicht einer ganzen Schule, sondern nur eines einzelnen Mannes
gewesen; Caravaggios Auftreten und Aufenthalt in Rom war von
Anfang bis Ende ein Kampf gegen Manieristen und Bolognesen.
Doch hat er zeitweilig selbst auf die in Rom anwesenden Bolognesen
tiefen Eindruck gemacht. Nachhaltige Wirkung haben aber die Römer
von ihm noch weniger empfangen als von den Bolognesen; dagegen
haben ihm die Neapolitaner einerseits, einige oberitalienische Schulen
anderseits vieles zu verdanken.
Wie aber die Florentiner? Im 16. Jahrhundert, selbst zu
Vasaris Zeit noch, der die Venezianer samt Tizian noch recht von
oben her behandelte, konnten sie sich dem Wahne hingeben, daß
sie noch immer der italienischen Kunst die Gesetze diktierten, wie
im Quattrocento und in den Jugendjahren Raffaels und Michelangelos.
Der eigentliche Bahnbrecher des römischen Barockstiles, Michelangelo,
war ja ein ganz typischer Florentiner von Haus aus gewesen. Der
Manierismus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildete sich
zwar hauptsächlich an römischen Werken, der Capella Sistina und
den Stanzen, aber diese waren doch Werke der Florentiner und
Umbroflorentiner. Es gab zwar eine Nuance zwischen dem Floren-
tiner Manierismus des Vasari und dem römischen der Zuccari, aber
Ricgl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. H
- 162 -
es war nur eine lokale Nuance. Als aber am Ende des 16. Jahr-
hunderts in Rom neue Kunstapostel auftraten, die nicht aus Florenz,
sondern aus Bologna oder gar aus der Lombardei kamen, da vollzog
sich der künstlerische Bruch zwischen Florenz und Rom. Florenz
tat nicht mehr mit und ging seine eigenen Wege, es blieb der
taktischen Richtung und dem Objektivismus treu, so gut es eben noch
damals möglich war. Damit hatte aber Floren/ die führende Stellung
endgültig aus der Hand gegeben und seither nicht wieder gewonnen.
Die Florentiner Malerei des 17. Jahrhunderts ist daher vielleicht
die eigenartigste in ganz Italien, aber für die Entwicklung un-
bedeutendste; ihre Bilder finden wir fast nur in Florenz, in den
Offizien und in der Pittigalerie. Nur einer ist in auswärtigen Galerien
häufiger und dieser fällt heraus: Dolci. Wir Kunsthistoriker inter-
essieren uns natürlich weit mehr für die Richtungen, die im führenden
rinnischen Barockstil wenigstens vorübergehend eine, wenn auch nur
zersetzende Rolle gespielt haben: für den bolognesischen Eklektizis-
mus und den lombardisch-venezianischen Caravaggismus oder Natura-
lismus. Für uns Nordländer sind naturgemäß die Naturalisten die
interessanteren. Aber historisch für die italienische Entwicklung sind
die Eklektiker wichtiger. Daher sind diese voranzustellen. Das IS. Jahr-
hundert hat sie sehr hochgeschätzt. Wir sehr wenig. Wir gehen
durch die Säle hindurch, ohne sie recht anzuschauen. Woran liegt
das? Wir sehen nichts Neues daran; was sie bieten, haben wir wo
anders zusagender gesehen: das Taktische in der Renaissance, das
Optische bei den Venezianern. Der Ausgleich zwischen beiden, den
die Carracci gefunden hatten, besitzt für uns nichts Überzeugendes.
Für unseren Geschmack sind diese zwei Tendenzen überhaupt nicht
auszugleichen, sondern eine muß das eminente Übergewicht haben.
Dieser Ausgleich erscheint uns langweilig. Die Bilder erscheinen
uns charakterlos, sie packen uns nicht, weder durch Gefallen noch
durch Mißfallen. Wir stoßen uns an nichts, cs ist im allgemeinen
eine subjektive Auffassung der Figuren, wie sie auch uns heute noch
geläufig ist; es ist nicht der Reiz des Aparten, wie im Quattro-
cento. Die Verbindung der Dinge mit dem Räume vom Standpunkte
des subjektiven Betrachters ist zu wenig einseitig betont, zu wenig
übertrieben, um unser Interesse herauszufordern. Aber historisch ver-
dient diese Richtung natürlich betrachtet zu werden. Die Bedeutung
- 163 -
erhellt schon daraus, daß der Katholik bis heute keine besseren
Kirchenbilder kennt als die bolognesischen. Noch heute kopiert man
Reni, wie ja auch noch heute der gegenreformatorische Katholizis-
mus in Herrschaft steht.
Bologna gehörte ursprünglich auch künstlerisch zu Ober-
italien (S. Petronio); erst seit Julius IL gehörte die Stadt zum Kirchen-
staat. Noch jetzt hat man den Eindruck, daß in Bologna die Romagna
beginnt. Schon Serlio und Vignola waren aus Bologna nach Rom
gekommen. Die Verbindung mit Rom war besonders rege geworden,
seitdem ein Bolognese, Gregor XIII., den Stuhl Petri innegehabt hatte.
Es war dies einer der Päpste der strengsten Gegenreformationszeit,
der Vorgänger Sixtus V. Auch Gregor XIII. Buoncompagni hat, wie
die späteren Päpste bolognischer Herkunft, seine Landsleute massen-
haft nach Rom gezogen.
Wie stand es in Bologna mit der Malerei in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts? Der Manierismus hatte auch in Bologna seine
Anhänger gefunden: Pellegrino Tibaldi, Maler und Architekt, war
hier der Hauptmeister. Schon in den siebziger Jahren fanden sich nun
in Bologna einige Maler zusammen, die nicht bloß die Empfindung
hatten, daß der Manierismus sich überlebt habe — das ist allein
schon etwas ganz Neues, bisher war das Vorhandene immer das
beste; die Veränderung geschah unmerklich — sondern auch die
Absicht faßten, der Malerei wiederum einen anderen Charakter zu
geben; das ist das zweite ganz Neue: das Subjektivistische; man will
es besser machen. Der erste, der diese Absicht bestimmt und
bewußt gefaßt hat, war allen Nachrichten zufolge Lodovico
Carracci; die nächsten, die sich ihm dann Ende der siebziger
Jahre anschlössen, seine beiden Vettern, die Brüder Agostino
und Annibale Carracci. Was würde einer heute in diesem Falle
tun? Die Natur studieren. Von den Carracci hören wir anderes.
Wir wissen vor allem, daß sie eifrige Studien zuerst in Parma,
Modena, Reggio (wo Correggios Hauptwerke sich befanden) und
dann in Venedig (namentlich nach Tintoretto, offenbar wegen des
bei diesem parallel mit dem Kolorismus gesteigerten Linienele-
mentes in den Kontraposten, rhythmischen Bewegungen) gemacht
haben. Also sie studierten nicht die Natur, wie es heute heißt,
sondern die Bilder der Oberitaliencr. Und doch war das im Grunde
— 164 -
auch nichts anderes als Naturstudium. Sie ahnten, daß es ihnen
Bedürfnis war, die Natur zu sehen wie Corrcggio und die Venezianer;
also die Natur bei Corrcggio und den Venezianern, das war die
richtige Natur. Das Naturmodell als solches haben sie gewiß vor
Augen gehabt, ebenso wie die Naturalisten.
Wie sie nun selbst durch Studium die Zukunftsrichtung der
Malerei zu begründen suchten, glaubten sie auch, daß auch andere
von nun an nur mehr durch Studium und Unterricht zu einer
erfolgreichen Malertätigkeit gelangen könnten. Und so begründeten
sie im Jahre 1582 in Bologna die erste Unterrichtsanstalt für
bildende Künste: die Accademia dei Incamminati (die Akademie
der auf den Cammino — gangbaren Weg — Gebrachten). Es war
wirklich eine Kunstschule, ganz wie die modernen, die, wie es
scheint, freilich auch bald wieder nur mehr ein überwundener
Standpunkt sein werden. Unterrichtsgegenstände waren: 1. il Naturale,
d. i. das Modell; es dreht sich also hauptsächlich um die Wieder-
gabe der optischen Erscheinung der menschlichen Figur in ihrer
taktischen Begrenzung und Modellierung, 2. die Proportionslehre,
3. Anatomie, 4. Perspektive, 5. Architektur. D. h. man war sich
damals noch des engeren Zusammenhanges zwischen der Figuren-
komposition, dem inneren Aufbau eines Bildes und der Architektur
bewußt, man betrachtete das Bild im ganzen doch noch als etwas
Objektives, ganz außer dem Beschauer und unabhängig von ihm
Existierendes, welches Bewußtsein den Modernen gänzlich abhanden
gekommen ist. Das sind nun alles Gegenstände, die sich früher
einer, der sich der Malerei widmen wollte, allmählich in der Werk-
statt eines Meisters als Lehrling aneignete.
Jetzt aber fanden die Lehrer, die Carracci, daß man das Voll-
kommene in der Malerei nicht bei einem, sondern bei mehreren
großen Meistern suchen müsse. Sic verlangten von ihren Schülern
nicht, daß sie malen sollten genau wie sie — die Carracci — selbst,
sondern sie wiesen hin, wie die sichere Lienienbegrcnzung sich
insbesondere bei den großen römisch-florcntinischen Meistern, bei
Raffael und Michelangelo offenbart, die äußere Grazie und die
innere Sceligkeit bei Correggio, die farbige, optische Naturwahrheit,
d. i. die Verbindung mit dem Räume bei den Venezianern. Sic fanden
also an den Meistcrleistungen aller bisherigen italienischen Maler-
— 165 -
schulen etwas Bleibendes, Nachahmenswertes, und dies kommt natürlich
auch in ihren Bildern zum Ausdruck. Darin offenbart sich der Objekti-
vismus, der ihrer Tendenz zugrunde liegt. Sie wollen gar nicht ganz
Neues schaffen; der moderne Subjektivist dagegen will um jeden
Preis etwas Neues, Unerhörtes: auch Borromini, auch Caravaggio
hat dies gewollt. Die Carracci vertreten also den relativen Objek-
tivismus, wiewohl sie sich zur Nachahmung der subjektivistischen
Richtungen der Oberitaliener entschließen. Daher die Gepflogenheit,
italienische Bilder, die man sonst niemandem zuweisen kann, den
Carracci zuzuteilen. Diese mitunter fast charakterlose Vielseitigkeit,
die lebhaft an die Comasken-Architekten erinnert, hat den Carracci
die Bezeichnung Eklektiker verschafft; damit will man sagen: sie
hätten in bewußter Absicht nichts Eigenes schaffen, sondern nur
aus dem schon Vorhandenen das Beste auswählen wollen. Als
Beweis dessen hat man ihre eigenen Äußerungen, ein Sonett des
Agostino Carracci an Nicolö dell' Abate (einen manieristischen
Maler) angeführt, worin es heißt: wer ein großer Maler sein wolle,
der müsse den Raffael, den Michelangelo, den Tizian usw. in sich
vereinigen, wer es aber so macht wie Nicolö dell' Abate. der
braucht das alles nicht. Diese Äußerung darf man aber nicht zu
schwer und nicht gar zu wörtlich schätzen; es handelt sich offenbar
um eine Schmeichelei für den befreundeten Maler, und nicht um
zweckbewußte Entwicklung eines künstlerischen Programmes. Im all-
gemeinen haben es aber die Carracci in der Tat so gemeint;
nur haben sie, gewissermaßen wider ihren Willen, etwas Neues ge-
schaffen. Man versteht ihre Stellung vielleicht am besten, indem man
sich zum Bewußtsein bringt, daß die Carracci die ersten Retrospek-
tiven waren. Die „historische" Kunstperiode unseres Jahrhunderts,
die das, was sie ausdrücken wollte, in allen möglichen verflossenen
Stilarten suchte, hat bei den Carracci zuerst Ausdruck gefunden. Es
fehlte zum ersten Male den Künstlern die Sicherheit der Natur-
anschauung. Daß aber die Carracci bei allem Respekt vor den älteren
großen Meistern durch die zwingenden Umstände, durch die eklekti-
schen Aufgaben selbst zu Neuerungen geführt wurden, beweist schon
allein ein Umstand, den sie allerdings als untergeordnet gar nicht her-
vorheben, den wir aber heute umso deutlicher zu würdigen wissen:
sie haben so wie alle großen Bahnbrecher (wie die van Eyck, wie Rem-
- 166 -
brandt) ein neues, folgenschweres technisches Verfahren erfunden. Es
ist die durch Lodovico Carracci erfundene braune Grundierung, an
Stelle der früher üblich gewesenen weißen Grundierung. Dadurch ge-
wannen die Bilder an Stelle der früheren hellen, kühleren Färbung (die
den Absichten Michelangelos und der Manicristen so gut entsprach)
eine dunklere, schwerere, wärmere Grundfärbung, die im allgemeinen
der ganzen Carraccischulc eigentümlich geworden ist, und die für
ein stärkeres Helldunkel, Raummalerei, Verbindung der Dinge im
Luftraum geradezu Voraussetzung war (allerdings sind einige der
Schüler mit der Zeit zu einer kühleren Farbengebung übergegangen).
Es hatte dies den Nachteil, daß der dunkle Bolusgrund durch die
helleren Lokalfarbcn öfter durchgewachsen ist, so daß viele ihrer
Bilder heute stark nachgedunkelt sind und dadurch an koloristischem
Wert wesentlich verloren haben. Was wollte aber Lodovico damit?
Offenbar ganz ähnliches wie die Venezianer, den gesamtstimmenden
Ton, nur daß die Venezianer diesen Ton als letztes oberflächlich
über die Lokalfarbe breiteten, während Lodovico den Ton von
Grund aus, also von innen her, vorbereitete (abermals ein Zug zur
Innerlichkeit, wie er in der werdenden Barockkunst so oft begegnet),
aber den obenaufkommenden Lokalfarbcn mehr selbständige Geltung
beließ. Infolgedessen haben die Carracci und ihre Schule allerdings
nur in seltenen Fällen (z. B. in Guercinos Bildern), einen Ton-
eindruck erreicht, wie wir ihn bei den Venezianern ständig finden.
Einige Beispiele von Lodovico Carracci (1555 bis 1619).
Thronende Madonna mit den Heiligen Franz, Dominicus.
Clara und Magdalena von 15S8. Die Figuren lauter Porträts
einer bestimmten Familie; die bestimmte Lokalisierung: Halle
mit Bologna im Hintergrund. Beides Dinge, die auf Naturwahrheit
abzielen (im Sinne des Kausalitätsgesetzcs). Komposition: nicht
einmal mehr wie bei Corrcggio, die Madonna nicht mehr in der
Mitte, sondern seitwärts, also nicht mehr der kristallinisch-sym-
metrische Aufbau, ferner nicht en face, sondern im Profil, d. h.
schräg in die Tiefe des Bildes hinein. Das war bei den Vene-
zianern aufgekommen, bei Veronese und namentlich bei Tinto-
retto, bei dem es oft geradezu als Manier erscheint. Lodovico
war diese Komposition noch ungewohnt; Clara blickt ins Leere,
statt auf die Madonna, Magdalena kann nur das verlorene Profil
- 167 -
zeigen. Jetzt schauen die hintersten aus dem Bilde heraus, die
vordersten hinein, bei Correggio umgekehrt. Die Figuren sind zum
Teil in einem lebhaften Affekt, aber nicht alle. Die Madonna blickt
kühl aus dem Bilde heraus; auch das Christuskind blickt vornehm
gelangweilt, statt der herzlichen Anteilnahme bei Correggio. Das ist
charakteristisch für die gegenreformatorische Kunst: das naive Ver-
hältnis zwischen Gottheit und Menschen wie in der Renaissance
hat aufgehört; es beginnt ein zeremoniöser Ton zu herrschen (wie
in der gleichzeitigen Gesellschaft, die auch wieder auf das Formal-
wesen eingegangen ist); die göttlichen Personen und Maria werden
unnahbar, ein Byzantinismus reißt ein, der seine Analogie auch auf
anderen Gebieten hat. Dafür ist der Affekt der Heiligen außer-
ordentlich gesteigert, aber in der äußerlichen Gebärdensprache, mit
den Händen namentlich; Dominicus streckt sie gerade vor sich aus,
Franz breitet sie wieder seitwärts aus, eine stürmische Hingebung.
Naturalismus: zerrissene Kette des Franciscus. Maßvoller sind die
beiden Frauen. Clara betet ruhig, Magdalena hält das Salbgefäß
empor, letztere fast ohne Modellierung, noch ziemlich hart, wie bei
Tibaldi. Die beiden Engel hinten: der lautcnspielende beleuchtet,
der singende dahinter in Halbschatten, absichtlich so zusammen-
gestellt. Im Hintergrund die Stadt Bologna, an den schiefen Türmen
kenntlich. Die heranwirbclnden Engclknäblein offenbar durch Cor-
reggio angeregt, bei dem sie ein Element bedeuteten, das zur
Erzeugung des Eindruckes der wonnigen Seeligkcit beitragen sollte.
Jetzt werden sie immer mehr eine zeremonielle Beigabe, eine Art
Hofstaat der Maria namentlich; sie müssen Konzerte aufführen und
mitunter direkt in die Handlung eingreifen. Damit soll das Über-
natürliche wirklich gemacht werden.
Madonna auf dem Halbmond mit den Heiligen Franz
und Hieronymus. Auf dem Halbmond als Immaculata (auch bedingt
durch die gegenreformatorische Geistesrichtung, weshalb auch z. B.
Murillo die Immaculata so oft gemalt hat). Komposition: hier nimmt die
Madonna allerdings die Mitte ein, aber das Ganze vollzieht sich auch
in einem idealen Raum, in den Wolken. Der schimmernde Nimbus und
der große Mond verleihen dem Bilde einen visionären Charakter,
der auch öfter in dieser Kunst begegnet. (Die mittelalterliche Kunst
war ideal; man denkt bei ihren Glorien nicht an die Wirklichkeit;
- 168 -
tlic visionäre Kunst will das Übernatürliche wirklich machen.)
Affekt: die Madonna wieder gleichgültig, aber hier eine anmutige
Wendung, die sogar einen naiv-schalkhaften Zug einschließt; dadurch
wird allein die Hoheit der Renaissancemadonnen ausgeschlossen.
Je natürlicher, menschlicher diese Madonnen aussehen, desto be-
wußter, absichtlicher schließen sie sich von den übrigen ab.
Spannung der Gegensätze. Das Kind neigt sich zwar zum hl. Franz,
aber ohne die naive Zutraulichkeit der Christuskinder Correggios,
die jetzt durch Herablassung ersetzt wird, und überläßt sein
Händchen dem Heiligen zum Handkuß. Das Zeremoniöse, Devote,
Unterwürfige erreicht hiermit seinen Gipfel. Der hl. Franz ist ganz
dementsprechend behandelt. Offenbar ein begeisterter Eiferer, mit
tiefliegenden, brennenden Augen; die Linke ausgestreckt zum Zeichen
der Ergriffenheit. Auf der anderen Seite der hl. Hieronymus, auf-
blickend, mit dem Buche, ein prächtiger Greis von Riesengestalt.
Hier hat Rubens seine Inspirationen für seine prächtigen Männer-
typen geschöpft. Besonders Lodovico hat gerne solche glieder-
gewaltige Figuren noch eingestreut, förmlich als Kontrast zu den
ganz in geistiger Erregung aufgehenden Gestalten. Die geleitenden
Engel verschwimmen im Halbdämmcr, eben um des visionären
Charakters halber, um das Übernatürliche zu verwirklichen. Das
Kostüm geradlinig begrenzt, die Plastik des Körpers verhüllend.
Agostino Carracci ist 1597 nach Rom gegangen, er starb
1602 in Parma, vornehmlich bedeutend als Kupferstecher. (Die
Carracci waren alle Stecher oder Radierer, auch ihre Schüler; der
Bahnbrecher war hier Agostino, in der Malerei Lodovico.) Aber
auch eine Anzahl beglaubigter Bilder existieren von ihm. Letzte
Kommunion des hl. Hieronymus in der Pinakothek zu Bologna.
Der Heilige in der gewohnten herkulischen Körpcrbildung kniet
rechts, gestützt von zwei Mönchen. Nach Bellori hat der Maler einen
dalmatinischen Slawen (Schiavone) zum Modell genommen, weil der
hl. Hieronymus ein gebürtiger Illyricr war (auch das ist ein natura-
listisches Element). Die Mitte nimmt der Priester ein, der dem
Kranken die Hostie darreicht, links im Vordergründe kniet ein Fackel-
träger; außer diesen drei Hauptpersonen noch eine Anzahl von
Figuren. In den Köpfen herrscht durchwegs große Innigkeit (darin
weit über Correggio, das hat den Carracci Rom erobert), nicht
- 169 -
einmal viel äußeres Pathos. Man muß aber die damaligen Schrift-
steller lesen, um zu erfahren, was hauptsächlich gefallen hat.
Z. B. Bellori, der doch auf das Natürliche, die Beobachtung des
Kausalgesetzes verhältnismäßig weniger gegeben hat. Er rühmt vor
allem die beständige Abwechslung beleuchteter, halbdunklcr und
beschatteter Flächen. Wie die Griechen den Rhythmus in den Linien
suchten, so die Barockitaliener in Licht und Schatten; sie suchen
auch dieses naturalistische Element in idealistischem Sinne (Rhythmus)
zu verwenden; zum Unterschiede von den Nordländern, die ein-
heitliche Wirkung suchen, wie sie eben einzig dem Kausalverhältnis
entspricht. Von Einzelfigurcn fesselt ihn besonders der Fackelträger.
Die linke Hand mit der Fackel hält er in Verkürzung aus dem
Bilde heraus, während er den Kopf aufwärts ins Bild hineinwendet.
Das Licht wird von der Glatze reflektiert; den tiefen Kontrast dazu
bildet der Bart. Besonders ist der linke Arm zu beachten; er ist im
allgemeinen in tiefem Schatten, nur der oberste Rand des Ärmels
ist grell beleuchtet und desgleichen die Nägel von zwei Finger-
spitzen. Solche kleine Beleuchtungseffekte tragen besonders dazu bei,
den Eindruck des wirklichen Geschehens, des kausalen Zusammen-
hanges aller Dinge im Bilde hervorzurufen. Eine weitere rhythmische
Tendenz drückt sich darin aus, daß, da keiner ruhig vor sich hin-
blicken soll (das verlangt der Affekt), möglichst viel Kontraste
nebeneinander vorkommen sollen im Aufschauen und Niederschauen
(namentlich vier Figuren links, aber auch rechts). Dann wurde noch
gerühmt der jugendliche Mönch rechts hinter dem hostienspendenden
Priester. Der Schatten, den der Priester wirft, halbiert den Kopf und
streift auch die linke Hand des Mönches. Für unsere Empfindung
ist aber doch die Lichtführung keine einheitliche, es ist zu wenig
„Haltung" im Bilde. Das nordische Gefühl verlangt eine weit
genauere Beobachtung des Kausalitätsgesetzcs. Bei den Italienern
wird es niemals Selbstzweck; es soll nur in sekundärer Linie zur
Hervorbringung rhythmischer Abwechslung mithelfen.
Annibale Carracci, der fruchtbarste und in malerischem
Sinne der begabteste, seit 1597 beständig in Rom und dort 1609
gestorben, nach kurzer Abwesenheit in Neapel. Von ihm hat schon
Bellori gefunden, daß er in Rom durch das Studium der Antike,
dann Raffaclsund Michelangelos beeinflußt wurde. Bellori sagt, er habe
- 170 —
besser koloriert in Bologna, besser gezeichnet in Rom. Der Genius
des Ruhms in der Dresdener Galerie kann uns ein Beispiel seiner
allegorischen Kunst sein und die Auffassung des Nackten zeigen.
Geflügelter Jüngling, bekränzt, im Weltenraum schwebend, von
Engclsknaben und Wolken umgeben, scharf aufwärtsfliegend. Mit
der Linken eine Krone hoch emporhaltcnd. um den Arm sind
Kränze gelegt. Der Körper zeigt weder die Schönheit Raffaels noch
die Grazie des Correggio, wohl aber Beobachtung des Naturale.
Auch vom Kopfe gilt dasselbe. Es ist kein Idealkopf, sondern ein
gewöhnlicher, aber durch den momentanen ernsten Ausdruck, durch
Haltung, Lockenhaar wird er in eine höhere Sphäre erhoben. An
Schönheitssinn steht er hinter Agostino zurück, der überhaupt diesen
Sinn am stärksten besessen hat. Die Beleuchtungseffckte sind hier
namentlich an einigen Engeln unten zur Verwendung gelangt. Im
Hintergrund durch den Bogen (malerischer Ausschnitt!) wird eine
Landschaft sichtbar, auch Massenwirkung des Laubes, wie sie in den
Gärten angestrebt wurde, im Gegensatz zu der älteren römisch-
florcntinischen Kunst. Auch darin sind die Carracci bahnbrechend,
in Anlehnung an die Venezianer. Die Landschaft muß immer dann
berücksichtigt werden, wenn der Naturalismus vordringt. Ereilich von
der intimen Naturbeobachtung der Nordländer ist bei ihnen keine Rede.
Der Bohnenesser in der Galleria Colonna. Ein Mann aus dem
Volke, in grobem Kittel und breitkrempigem, verknittertem Strohhut,
sitzt vor einem Tische und führt einen Löffel Bohnen zum geöffneten
Mund. Auf dem Tisch einfache Eßwaren; links eine Fensterluke.
Moment, da der Löffel noch nicht am schon geöffneten Mund.
Ein Genrebild! Eine seltene Ausnahme. Um ihrer selbst willen
haben die Italiener solche Bilder nicht gemalt. Sie sind gemeint wie
bei Velazquez und Murillo: als Studien der Naturbeobachtung.
Irgendein Liebhaber hat solche Studien dann erworben; aber um
ihrer selbst willen hätte sie der Maler nie gemalt, denn das
italienische Publikum hätte sie nie bestellt. Annibalc Carracci läßt
das Licht links einfallen und beobachtet das, man sieht es am Wein-
glas namentlich. Aber wie ganz anders malt solchen Lichtfall
Rembrandt. Dem Gegenstande nach ist es ein Genrebild, ganz wie
die niederländischen des 16. Jahrhunderts, etwa seit Quentin Massys.
Eine Figur aus dem niederen Volke in einer Alltagsbeschäftigung.
- 171 -
Und doch ist die Wirkung nicht diejenige wie die der nieder-
ländischen Genrebilder. Wir möchten sagen, es fehlt der Humor,
der bei den Nordländern die gemeine Szene verklärt. Humor ist
aber irn Grunde nichts anderes als die Überzeugung von der
kausalen Notwendigkeit, die als solche etwas Beruhigendes, Stillendes,
Versöhnendes hat: es muß so sein. Dazu ist aber höchst wirksam
das Beiwerk: ein Raum mit Kleinigkeiten, die auch Gelegenheit
geben zu entsprechender Beleuchtung. Hier ist nicht bloß kein
Beiwerk, sondern undurchdringliches Dunkel. Hier ist bloß die
Figur, und zwar zu aufdringlich und gewaltsam, daß infolgedessen
keine Stimmung im Beschauer aufkommen kann. Das ist das
wichtigste. Nüchterne Ncbeneinanderstellung der Eßwaren etc. auf
dem Tisch. Die Fensterluke allein hilft dem noch nicht hinreichend
ab; wäre sie nicht, dann wäre das ganze Bild für uns überhaupt
so gut wie wirkungslos. Es ist gewiß ein Ausschnitt aus der
Wirklichkeit, aber gerade dieses Bild beweist, daß ein solcher
Ausschnitt aus der Wirklichkeit das Genrebild noch nicht ausmacht.
Ebensowenig sind seine Bologneser Straßenfiguren (durch Stich ver-
breitet) Genrebilder von Stimmungscharakter.
Mascaronc, Porträt, Dresden. Ungewöhnlich in die Bild-
fläche hineinkomponiert, oben fast mit dem Kopf anstoßend.
Der Kopf als Vornehmstes herausspringend und doch an solcher
Stelle! Porträt vorzüglich, individuell, Falten unter der rechten
Wange. Dabei ein Empfindungsleben latent, durch Falten unter
der Stirne, dann Krähenfüße, dann eine leise Wehmut im Blick,
namentlich im linken Auge; vielleicht deshalb das Spiel auf
der Laute. Feine Modellierung in der Stirne durch unmerkliche
Übergänge von Licht und Schatten. Das Licht wirksam ab-
gestuft, keineswegs flau. Und doch kein vollkommenes Porträt
nach unserem Sinne, weil isoliert. Die Verbindung mit dem Lokal
durch das Notenblatt, der halbe Federkiel genügt uns nicht. Warum
leuchtet der Kopf und nicht die ganze Luft? Es fehlt die Verbin-
dung mit dem Raum. Der Kopf drängt sich aus dem Raum heraus
zu stark vor. Er will subjektivistisch wirken, durch Verbindung
mit dem Beschauer, der Blick ist auch in der Tat sehr lebendig,
aber zu einseitig packend. Der Kopf ganz allein würde vielleicht
besser wirken.
- 172 -
Beispiele: Annibalc Carracci. Madonna mit dem Kind,
London. Braun 1237. Silcnce de Carrache, Louvre. Braun 1218.
Viergc aux cerises, Louvre. Braun 1217. Lodovico Carracci.
Madonna mit dem Kind, Louvre. Braun 1237.
So lange die Tätigkeit der Carracci sich auf Bologna beschränkte,
konnte sich ihre Bedeutung nicht über eine rein lokale hinaus
erheben. Wollten sie Italien gewinnen, dann mußten sie zuerst in
Rom Anerkennung gefunden haben. Gelegenheit dazu bot sich 1597.
Von Bologna aus waren die Carracci mit den Farnesen bekannt
geworden, die im benachbarten Parma und Piacenza residierten.
Wie das bei den mächtigen italienischen Fürstcngeschlechtern Brauch
war, zählten auch die Farnesen in der Regel ein Mitglied im heiligen
Kollegium. Der jeweilige Kardinal Farnese residierte in Rom im
Palazzo Farnese. In diesem hatte Giacomo della Porta einen
großen länglichen Saal, die sogennannte Galleria, eingerichtet, der
von nun an überhaupt in den neueren Palastbauten begehrt wurde:
eine Raumgröße, wie man sie im Mittelalter gar nicht begehrt hatte
(mehr lang als breit, also Tendenz des Gesü, noch gesteigert später in
der Galleric d'Apollon, die schon korridorartig ist). Diese Gallcria sollte
mit Fresken ausgeschmückt werden, es war die größte monumentale
Aufgabe, die dazumal an die Maler zu vergeben war. Der Kardinal
war nun auf die Bolognesen aufmerksam geworden, und es war für
diese jedenfalls entscheidend, daß an sie der Auftrag erging. (Es wäre
Fcderigo Zuccaro und der Cavalier d'Arpino vorhanden gewesen.)
Lodovico Carracci kam 1597 nach Rom und leitete als Schulhaupt
die geschäftlichen Verhandlungen ein; die Ausführung selbst aber
übernahmen Agostino und Annibale. Vom erstcren ist verhältnis-
mäßig wenig ausgeführt; nach einiger Zeit schied er aus Rom,
spätestens im Jahre 1600, angeblich, weil er sich mit seinem
Bruder nicht vertrug. Annibale setzte hierauf die Arbeit allein
fort und vollendete sie bis etwa 1607 bis 1608. Die Fresken der
Carracci erstrecken sich nicht bloß auf die Galerie, sondern auch
auf ein kleines Zimmer Die Galleria Farnese ist neben der
Capeila Sistina, der Farnesina und etwa der Villa Maser der be-
rühmteste Innenraum, was die Freskendekoration betrifft. Wenn man
sie heute betritt, merkt man, daß es etwas ist, dessen die heutige
Zeit nicht fähig wäre: dieser Zusammenklang der Historienmalerei
und Dekoration zu einem ungeheuer festlichen Eindruck, der un-
widerstehliche Lebenslust erweckt. Von allen jenen dreien zeigt
sie sich beeinflußt. Es ist das größte Werk der Carracci und ihr
berühmtestes. Aber gerade dasjenige, was den positiven Anteil der
Carracci an der Kunstentwicklung ausmacht, zeigen die Fresken der
Galleria in minderem Grade. Das liegt an folgendem:
1. Sind es Fresken. Zwar sind die Carracci von Haus aus
so gut Fresko- (viele Palazzi in Bologna) wie Ülmaler, darin so recht
Übergangsmeister. Aber im Fresko zeigen sie deutlich mehr Neigung
zu Manierismus und Renaissance; in Rom kam dazu der Einfluß
Michelangelos und Raffaels. Der weiße Mörtelbewurf bedingte hellen
Grund und infolgedessen helle Farbenwirkung. Die braune Grund-
tönung, die so charakteristisch ist für die Carracci, fehlt hier.
Allerdings ist die Farbe so kräftig und tief, als es im Fresko über-
haupt möglich war. Darin liegt der Unterschied gegenüber den
Manieristen. Der Gesamteindruck ist daher ein überaus festlicher.
Die Gesamtwirkung ist entschieden eine entzückende.
2. Sind es mythologische Szenen, die darzustellen waren:
antike Fabeln, die zusammen den Triumph der Liebe darstellen. Da
aber die Fresken für einen Kardinal bestimmt waren, hat man eine
moralisierende Deutung dafür vorgeschützt. Die Themata wurden
von einem gelehrten Prälaten (Agucchia) angegeben, doch nimmt
man wohl mit Recht an, daß der kundige Agostino auch in diesem
Punkte wesentlichen Anteil gehabt hat. Bei mythologischen Szenen
konnte es sich nun ausschließlich nur um die Verherrlichung
körperlicher Schönheit handeln.
Die Stärke der Carracci (wodurch sie eben in Rom Reforma-
toren geworden sind), ihre Fähigkeit, seelische Empfindungen zu
versinnlichen, konnte hier gar nicht zum Ausdrucke gelangen. Es
handelte sich wesentlich um eine Deckendekoration. Da fragte es sich,
ob die Carracci das System der Sistina (architektonische Kompo-
sition, Einteilung in Felder, die für sich abgegrenzt sind, Verbindung
durch füllende und tragende Figuren, auch in regelmäßiger, ruhiger
Verteilung; nicht eigentlich Untersicht) oder dasjenige der Dom-
kuppel von Parma (Untersicht, malerische Komposition) befolgen
würden. Sie befolgten dasjenige der Sistina; ob dies die Farnese
gewünscht haben, ist nicht überliefert. Aber es ist doch ein Fort-
- 174 —
schritt in der naturalistischen Richtung über Michelangelo hinaus:
1. Die Köpfe sind nicht so traumhaft, maskenhaft wie bei Michel-
angelo, sie sind mehr menschlich-natürlich, freilich aber auch geistig
unbedeutender. 2. Die tragenden Figuren, die bei Michelangelo
einfach ihre Funktion ausüben, als ob sie die Last nicht spürten,
scheinen jetzt unter derselben zu stöhnen, sind bewegt, wenn auch
steinfarben und dadurch als tote Masse gekennzeichnet. 3. Der
Subjektivismus nach corregesker Art zeigt sich in der Beleuchtung
von unten, von den vorhandenen Fenstern her. Dazu kommt noch
etwas anderes: Notwendigkeit des Zusammenstimmen, Abwägen
der Farbenwerte, steinfarbene Atlantenträger, bronzene Medaillons
als dekoratives Beiwerk zusammengestimmt mit den farbigen
Bildern.
1. Schmal wand, in der Kehle: Polyphcm mit wuchtigen
Gliedern (Nachfolge Michelangelos). Die Frauengruppe nach Raffael
(die dritte rechts: Venus vor Jupiter in der Farnesina). Darunter
auf der Wand selbst: Andromeda, von Domcnichino voll-
endet. Der König in manierierter Haltung, im geöffneten Mund die
Hand verbeißend, die Königin maßlos bewegt im Schmerz. Dagegen
die Gruppe im Hintergrunde trefflich. 2. Schmalwand, in der Kehle:
Polyphem ein Fclsstück nach Acis schleudernd. Auf der Wand:
Phineus und Perseus. Schwach, Pcrseus mit unbedeutendem
Kopf. Manierierte Bcinstellungen. 1. Langwand. Jupiter und Juno
auf Ida. Zusammenklang von Dekoration und Bild. Galatea, von
Agostino, als Bestes gerühmt. Raffaels Einfluß unverkennbar. Monu-
mentaler Aufbau. Gesteigerte Bewegung gegenüber Raffael. Bildung
der Körper mehr venezianisch, nicht so straff wie bei Raffael, son-
dern mehr weich und lebenswarm. Lima und Eudymion. Die
Putten auf dem Bilde im Hintergründe correggesk. 2. Langwand.
Anchises und Venus. Letztere an Sodomas Roxane erinnernd.
Anchises manieriert. Ein correggesker Amor dabei. Genus unde lati-
nuin (Vergil, Aeneis I, 6). Aurora und Cefalus von Agostino.
Herkules und Omphale. Decke. Paris (mit correggeskem Ge-
sicht) und Merkur. Bacchuszug (Rubens). Kinder correggesk.
Bewegung lebendig (z. B. gegenüber Mantegna!). Die Panther
schwitzen förmlich beim Ziehen. Die großen mächtigen Augen von
Correggio, auch der stupid-sinnliche Liebreiz ohne Bedeutung (z. B.
- 175 -
die Korbträgerin rechts vorne), aber gesunde, robuste Sinnlichkeit
wie bei Rubens (eher als bei Correggio). Pan der Artemis die
Wolle opfernd. Vortrefflich der Bock.
Die Schule der Carracci. Die Schule hatte ihren Sitz zu
Bologna, und darin änderte sich auch nichts nach 1597, nach
dem Abgange des Agostino und Annibale, denn Lodovico war ja in
Bologna verblieben. Aber die bedeutenderen Schüler gingen sämtlich,
sobald sie eine selbständige Leistungsfähigkeit erlangt hatten, nach
Rom. Allerdings sind die bedeutenden darunter später fast alle
wieder nach Bologna zurückgekehrt. Rom selbst war offenbar kein
rechter Boden für die Ausbildung einer Schule, erst in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts ist es dazu gekommen; eine solche
gedieh besser im Schatten provinzieller Ruhe und Zurückgezogen-
heit. Die bedeutendsten Schüler waren zweifellos Reni und Do-
menichino; an dritte Stelle wird Guercino zu setzen sein, der
aber kein unmittelbarer Schüler (d. h. kein Zögling der Akademie)
gewesen ist; er bildet auch gewissermaßen den Obergang von den
bolognesischen Akademikern zu den Naturalisten. Endlich haben
auf speziellen Gebieten Albani und Lanfranco Bedeutung ge-
wonnen; ihnen schließen sich Cavcdonc und Tiarini an.
Guido Reni wurde schon zu Lebzeiten und seither beständig
unter allen italienischen Malern nach Raffacl und Michelangelo,
Correggio und Tizian (also rund nach der Renaissance) am höchsten
gestellt. Auch wir heutzutage sind geneigt, dieses Urteil zu unter-
schreiben, offenbar einzig darum, weil Reni noch am meisten inner-
halb der Grenzen der spezifisch italienischen Kunstneigung und
Begabung verblieben ist. Er hat sich von der Konkurrenz mit dem
nordischen Naturalismus, die natürlich nur zu Ungunsten der
Italiener ausfallen mußte, relativ am freiesten gehalten. Was Reni
sucht, ist vor allem körperliche Schönheit des tastbar begrenzten
menschlichen Körpers, und zwar nicht so sehr der sinnliche Liebreiz des
Correggio, sondern eher die göttliche Schönheit des Raffacl, und die
Dosis Naturalismus, die er hinzufügt, beschränkt er auf jenes
knappste Ausmaß, wie es eben die Zeit verlangt und die äußere
Gebärdendarstellung gefordert hat. Er ist empfindlicher, nervöser als
die Carracci; er knüpft an Michelangelo an, in der Farbe an die
Venezianer, namentlich durch seinen Gold- und Silberton. In dieser
- 176 -
Hinsicht ist cs auch höchst bezeichnend, daß Reni sich wiederum an
antike Vorbilder zu halten begonnen hat, wenigstens was die
Köpfe betrifft. Und zwar begegnet bei ihm besonders häufig der
Kopf der Niobe; auch das charakteristisch, denn in diesem Kopf
fand er zugleich Schönheit und Pathos, innere seelische Aufregung;
dieses letztere war aber der Zeit und namentlich den Römern ganz
unentbehrlich. Der Niobekopf enthielt geradezu typisch, wonach
Reni seiner persönlichen Art nach begehrte. Ferner ist im Zusammen-
hange damit nur verständlich, daß cs sich Reni geradezu aus-
schließlich um die Darstellung der menschlichen Figur handelt.
Porträt und Genrebild spielen bei ihm eine noch geringere Rolle
als bei den Carracci. Die Landschaft, die die Carracci wenigstens
in sekundärer Linie zu berücksichtigen begonnen hatten, interessiert
ihn gar nicht; aber auch in der Darstellung animalischer Wesen,
z. B. der Pferde, ist er oft auffallend mangelhaft, offenbar, weil er
nichts, was außerhalb des Menschen lag, einer aufmerksameren, liebe-
volleren Betrachtung würdigte. Porträt und Genre erscheinen bei ihm
nur ganz vereinzelt, mehr als kapriziöse Ausnahme. Es ist daher von
vornherein klar, daß er auch auf die Neuerungen der Venezianer
und des Corrcggio, die sich als Beobachtung des Kausalitätsgcsetzes
erklären lassen, nur zögernd eingegangen ist. Auf einheitliche
Haltung von Licht und Schatten ist er noch weniger bedacht ge-
wesen als die Carracci, obzwar er nach einem schwachen Hell-
dunkel im Nackten öfter strebt. Dagegen hat er von Anbeginn nach
einer stärkeren Tonwirkung gestrebt als die Carracci, aber 1. nach
einer künstlichen Tonwirkung, ähnlich derjenigen der Venezianer,
und 2. nur innerhalb einzelner Figuren, nicht im ganzen Bilde
(ähnlich beschränkt wie die Beobachtung der Schattcngebung). Das
ist wiederum ein idealistisches Moment. Er strebte damit nach einer
Verklärung des Bildes, nicht nach einer Verwirklichung des Dar-
gestellten: Beobachtung des Kausalitätsgcsetzes an und für sich. Wir
sehen ihn ausgehen von einem Goldton, der ihm offenbar durch
die Venezianer eingegeben ward, und dann zu einem Silberton
übergehen. Er hat also eine eigenartige persönliche Entwicklung
durchgemacht, und das allein deutet schon an, daß wir es mit
einem schöpferischen Meister zu tun haben, nicht mit einem bloßen
Eklektiker. Eine Zeitlang hatte er sogar das Kcllerlicht des
177 -
Caravaggio studiert. Zum Schluß wird er aber tonloser, bunt-
farbiger, kälter.
Äußere Daten: geboren 1575 zu Bologna, aus gutem Hause,
Sohn eines Musikers (Künstlers also), war zuerst in der Schule
eines niederländischen Manicristen (Calvacrt), der sich in Bologna
niedergelassen hatte, ist aber bald zu den Carracci übergegangen.
Ende der neunziger Jahre soll er vorübergehend in Rom gewesen sein;
sein entscheidender römischer Aufenthalt, während dessen er sich
den Ruf des ersten italienischen Malers der damaligen Zeit eroberte,
fällt in die Jahre 1605 bis 1612. Später hat er sich hauptsächlich
wieder in Bologna aufgehalten, wo er namentlich seit dem Tode
des Lodovico Carracci (1619) als Haupt der ganzen Schule galt.
Er war ein feiner Mann von Kavaliersmanieren, der sich gewählt
kleidete und das Geld verachtete, daher ein schlechter Wirt. Er
erinnert darin sehr an van Dyck. Er verhält sich auch in der Kunst
zu den Carracci wie van Dyck zu Rubens. Seit dem Anfange der
zwanziger Jahre begann er dort seinen Silberton auszubilden: auch
das hat Parallele zu van Dyck. Einem Ruf nach Neapel, wo wichtige
Aufgaben zu vergeben waren, ist er zwar gefolgt, hat aber dort
nichts ausrichten können, aus Gründen, die besser im Zusammen-
hange mit Domcnichino zur Sprache zu bringen sein werden. In
der "letzten Zeit seines Lebens war er durch Spielschulden bedrängt,
trotz der unerhörten Honorare, die er sich für seine Bilder zahlen
ließ: auch eine Parallele zu van Dyck (immer ein ungesundes
Symptom der Überschätzung, das einem Abfall voranzugehen pflegt:
die Maler natürlich haben ihm das hoch angerechnet, daß er ihre
Kunst so kostspielig gemacht hat). Im Jahre 1642 ist er in Bologna
gestorben und hat ein fürstliches Begräbnis gefunden. Keines Malers
Hinscheiden wurde so tief empfunden in ganz Italien seit dem Tode
Raffaels. Die späteren Römer haben auch Rcni als den eben-
bürtigsten Nachfahren Raffaels betrachtet. Die neuere römische
Schule der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Carlo Maratta) hat
sich Raffael und Reni zugleich zum Vorbild genommen: Raffael
theoretisch, Reni praktisch.
Zuerst einige Bilder, die für seine Entwicklung lehrreich und
denkwürdig sind.^Simson (Pinakothek Bologna, Jugendbild). Über-
treibung der Dimensionen, Steigerung der Höhe, Breite, Tiefe, aber
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jalirli. 12
- 178 —
Überragen der Höhe im Simsonmotiv. Aufblick! Simson. nachdem
er die Philister erschlagen hat, stärkt sich mit einem Trünke
aus der Eselskinnbacke Die Haltung Simsons ist eine höchst
gesuchte, gewaltsame (Nachklang des Manierismus). Auch das
Gewand ist in ganz unnatürlicher Weise um die Hüften herum
drapiert, nur um eine möglichst bewegte Gesamtsilhouette zu be-
kommen. Das Motiv an sich ist geradezu roh: ein übermütiger
Kraftburschc, der seinen blutigen Sieg genießt, aber eine biegsame
Eleganz ist ihm gegeben, anstatt der derben Schwere der Carracci.
Das Versöhnende ist aber hier genau wie bei den größten Vene-
zianern die Farbe: das Fleisch strahlt im herrlichsten Goldton, ohne
die modellierenden Schatten, alles andere soll daneben gar nicht
ins Auge fallen. Die weite Landschaft am Mecrcsufer ist uninteressant,
absichtlich ein grauer Dämmcrschleier darübergebreitet. Die Philister.
die schräg bildeinwärts am Boden liegen, lenken auch nicht von
der Hauptfigur ab, wie auch der Rahmen für die Figur zugerichtet ist.
um leeren Raum abzuschneiden, ßetlehemitischer Kindermord
(Pinakothek Bologna). Komposition: abgewogen mit leerer Mitte
(wie der Hieronymus des Agostino). Starke Bewegung in den Figuren,
aber trotzdem eine gewisse künstlerische Ordnung, herbeigeführt
durch abwechselnde Richtung, rechts und links, in vier Plänen
hintereinander. Je weiter nach hinten, desto ruhiger, zuletzt reine
Horizontale und Vertikale. Das Inkarnat ist noch goldig; die übrigen
Farben waren dazu gestimmt, besonders angenehm auffallend der
zinnoberrote Ärmel der Frau im Vordergrunde rechts. Licht- und
Schattenrhythmus deutlich beobachtet. Der Schönheitssinn zeigt sich
hier schon in Kopftypen und Linien, ebenso in der Behandlung
des Gegenstandes: nirgends wird das Schlachten als solches dar-
gestellt, sondern nur die Vorbereitung (die Zeit hatte eine Vorliebe
für das Gräßliche, für Martyrien; Reni sucht dabei immer das Ver-
söhnende); damit malt er aber eher für die Feinschmecker, als für
das Volk, das man jetzt nur mehr mit dem Gräßlichen, nicht mehr
mit dem Schönen packen konnte. Diese gegenreformatorische
Malerei ist die letzte volkstümliche, die es gegeben hat. Nach der
Frau links hinten hat Bernini seine Daphne gestaltet.
In Rom würden von Guido bezcichncndcrmaßen meistens
Fresken begehrt. Die berühmtesten darunter sind: 1. Ein kirchliches
— 179 -
Fresko in der Andreaskapelle von S. Gregorio Magno, 1608
gemalt (in der Silviakapelle derselben Kirche ein Engelskonzert).
Zwei Wände waren zn schmücken mit Szenen aus der Legende
des hl. Andreas. Eine Marterszene — die Geißelung — malte Dome-
nichino, Rcni dagegen den Gang zum Richtplatz: der Moment,
da der Heilige auf dem Gange plötzlich des Kreuzes ansichtig wird,
in die Knie sinkt, mit gefalteten Händen das Kreuz verehrend und
Gott dankend, daß es ihm vergönnt war, den gleichen Tod zu
sterben wie der Heiland. Der Heilige nimmt die Mitte ein, ein ehr-
würdiger Greis, aber von kräftigem und schönem Gliederbau,
flankiert von zwei Schergen im Kontrapost. In dem Momente stockt
der ganze Zug; die heidnischen Soldaten machen ihre Bemerkungen
über die Störung; ein Knecht wartet auf das Signal des berittenen
Kommandanten, um den Heiligen emporzureißen; vorne gibt den
Ton der Soldat, der den Gestus macht: wozu der Aufenthalt5
Charakteristisch ist die nachlässige Behandlung der Landschaft; die
isolierten und einzeln plastisch auszunehmenden Bäume, ganz nach
Renaissancemanier. Man hat keine richtige Tiefraumempfindung, denn
sie wird von Reni bekämpft. Die Schwäche der Pferde. Die Zu-
schauer sind nicht, wie bei Domenichino, voll innerer Bewegung
und voll aufgeregtem Anteil an der Handlung dargestellt, sondern
auch an ihnen entwickelt er seine Schönheitsprobleme. Zählt zu seinen
schwächsten Werken, weil ihm die Verbindung mit dem Raum
gleichgültig war. Am besten ist er in einzelnen Köpfen (aber
nicht Porträtköpfen). 2. Ein mythologisches Fresko: die Aurora im
Casino Rospigliosi, ein Deckengemälde in stuckiertem Rahmen.
Ohne correggeske Untenansicht, also mit Außerachtlassung des
Kausalgesetzes. Dargestellt ist die Ausfahrt des Sonnenwagens Apolls.
Hören (oder Musen, der Neunzahl nach?) umtanzen den Wagen,
der von zwei Isabellen gezogen wird. Voran schwebt Aurora, Rosen-
kränze streuend, ihr nach ein Amoretto mit Fackel. Es ist das ge-
priesenste Bild der neueren italienischen Malerei. Namentlich die
Aurora gilt für die schönste Figur, die seit Raffaels Tod geschaffen
worden ist. Leider geht jetzt ein Sprung quer über die untere
Partie des Kopfes, der dadurch etwas entstellt wird. Auch das vom
Morgenwinde gebauschte Gewand ist vortrefflich benützt, um die
Gestalt zu verklären: in solchen idealen Darstellungen fallt natürlich
- 180 -
das Absichtliche keineswegs als solches auf, es ist vielmehr nur an
seinem Platze. Auch hinter dem Apoll bauscht sich der Mantel
in mächtigem Bug nach rechts hin sehr wirkungsvoll. Auch in den
Hören hat Reni hier seinen Schönheitssinn in unübertroffener Weise
betätigt. Allerdings schöpft er dabei aus zweiter Hand: der Niobe-
kopf der vordersten, der Raffaclkopf der vorletzten Höre. Nur die
drittletzte macht eine Ausnahme (in dieser, mit ihrem halbverblühten,
schwammigen Gesicht scheint er sich mit Absicht an ein bestimmtes
Modell gehalten zu haben). Sogar mit den Pferden hat er sich
diesmal mehr Mühe gegeben als sonst. Daß das Bild auch auf uns
heute bedeutend wirkt, erklärt sich daraus, daß in der Tat ein hohes
Lebensgefühl daraus spricht. Wir glauben an diese Ausfahrt und
werden durch den Eindruck mitgerissen. Nicht minder entzückend
ist die Färbung. Die Farben sind frisch, zart und duftig, aber
keineswegs kühl, ja für ein Fresko auffallend warm. Der goldige
Schein, der von Apollo ausstrahlt, verklärt alles. Tief unten liegt
das tiefblaue Meer und die menschenbewohnte Küste im Morgen-
schlummcr.
Auf der Höhe seines künstlerischen Könnens stand Reni, als
er 1612 nach Bologna zurückgekehrt war. Diese Höhe bezeichnet
unter anderem die berühmte Pictä in der Pinakothek zu Bologna
von 1616. Ein Doppelbild, das oben die Pietä und ganz getrennt
davon unten die Schutzheiligen von Bologna (mit der Ansicht
der Stadt) darstellt. Die Komposition zeigt wieder einen Rückschritt
zur vorcorreggesken Auffassung, wie sie der älteren Santa con-
versazionc zugrunde liegt. Auch das ist bezeichnend für Guido,
der sich möglichst wenig tief in den Naturalismus einlassen will.
Daher ist es eines der wenigen Bilder, die Burckhardts Beifall ge-
funden haben. Die Pietä ist streng kristallinisch, ganz regelmäßig
pyramidal aufgebaut. In der Mitte als das Vorherrschende die
Madonna, ihr zu Füßen der Leichnam des Heilands, symmetrisch
zu beiden Seiten je ein Engel (deren Flügel deutlich zur Raumaus-
ftillung ausgebreitet sind). Die Landschaft im Hintergrunde ist so an-
geordnet, daß die seitlich aufsteigenden Hügel gegen die Mitte hin
sich senken und dem freien hellen Abcndhimmel Raum gewähren,
in den dann der Oberkörper der Madonna einschneidet und sich
von ihm wirkungsvoll abhebt. Im Kopf der Madonna verrät sich
— 181 —
wiederum der Einfluß der Niobe. Diese Schmerzensmutter ist nicht
die verweinte, jammernde Gestalt wie sonst, sondern ein starkmütiges
Weib, das offenbar mehr Schmerz in sich verbirgt, als sie nach
außen hin durch ihre Gebärden verrät. Aus dem zum Himmel gerichteten
Blick spricht die stumme, vorwurfsvolle Frage: Mußte es denn sein?
Durch die beiden Trauercngcl wird die Wirkung eher abgeschwächt
als gesteigert. In der Farbe noch goldig im Inkarnat, aber viel
tiefere Schatten im Bilde.
Ein vortreffliches Beispiel seines Silbertons zeigt die Pro-
zessionsfahne von 1630 in der Pinakothek zu Bologna, auf Seide
gemalt. Die Madonna in Wolken auf dem Regenbogen thronend, dar-
unter auf einer Wolkcnbank eine Gruppe von sieben Heiligen. Zunächst
wird wieder die Stadt Bologna sichtbar. Die Komposition ist
wenigstens unten noch ziemlich symmetrisch. Hier ist Guido auf
einmal Hellmaler geworden; alle Schatten sind klar. Es dominiert im
Bilde ein kühles Grau, das selbst durch den gelben Schein hinter
der Madonna nicht gebrochen wird. Das Zinnoberrot und das
dunkle Blau sind verschwunden, die Madonna trägt rosenrotes
Gewand und himmelblauen Mantel. Also eine ganz andere Farben-
empfindung als diejenige, von der er ausgegangen war. Genau die-
selbe Wandlung hat van Dyck zur gleichen Zeit durchgemacht.
Die Madonna sieht hier recht gclangweilt aus; überhaupt scheint
sie in diesem Falle den Maler nicht in erster Linie interessiert zu
haben, weil er ihr nicht einmal den gewohnten idealen Schönheits-
charakter verliehen hat. Auch das Kind ist von einem ganz unkind-
lichen Ernst. Von den Heiligen schauen die zwei hintersten, jugend-
lichen aus dem Bilde heraus und halten Zwiesprache mit dem
Beschauer. Als jugendliche Krieger zeigen sie in den Köpfen einen
rötlichen Ton, der gegenüber demjenigen des danebenhängenden
Simson kalt und kreidig wirkt. Die übrigen fünf Heiligen äußern
lebhaften Affekt von bedeutender und überzeugender Wirkung, am
hinreißendsten ist diejenige des Franciscus, aber seiner Wirkung tun
die übrigen Eintrag. Das ist überhaupt der Fehler, daß dieser
Affekt sich allzu oft wiederholt, wodurch der Beschauer gegen seine
Wirkung abgestumpft wird. Auf ein merkwürdiges Detail sei noch
hingewiesen: in den Falten des Fleisches treten rötliche Schatten
auf, namentlich am Christkind sichtbar; wir kennen diese Schatten
- 182 -
von Rubens her. der sie schon früher verwendet hatte. Sollte dies
bei Reni auf Rubens' Einfluß zurückzuführen sein? Auch auf den
knitterigen Faltenwurf der Draperie mit den gesuchten Querbügen,
namentlich am Gewände der Madonna, muß hingewiesen werden.
Dasselbe führt zur gleichen Zeit Bernini in die Skulptur ein.
Seine größte Bedeutung hat Reni gewonnen für das religiöse
Andachtsbild des gegenreformatorischen Katholizismus. Dies ver-
dankt er der Kraft, die ihm gegeben war, die religiöse Hingebung
in äußeren Gebärden überzeugend zu schildern, wenigstens in
Einzelbildern (denn wo mehrere Personen in der gleichen Ekstase
nebeneinander vorkommen, schwächen sie sich wechselseitig und
wirken auf unser heutiges Empfinden oft geradezu unausstehlich).
Namentlich den Aufblick nach oben hat er immer und immer wieder
von neuem mit großer Innigkeit zu treffen gewußt. Er hat auf
solche Weise einige Typen von geradezu ikonographischer Bedeutung
geschaffen. Diese Kunst ist nicht bloß die letzte von volkstümlicher,
sondern auch die letzte von ikonographischer Bedeutung; Eines ist
durch das Andere innig bedingt. Die Stimmungskunst kennt keine
Ikonographie mehr. Die neuere kirchliche Kunst von 1600 an hat
mit diesen Typen zu rechnen, auch noch die heutige. Guido hat
sie namentlich in der zweiten Schaffensperiode, in Bologna, gemalt,
wo dann jeder einzelne Kopf teuer bezahlt wurde.
Ecce Homo (schon bezeichnend, daß es der Schmerzens-
mann ist: das pathetische Moment!) in zahlreichen Wiederholungen.
Kreidezeichnung dazu in der Pinakothek zu Bologna. Behandlung
in Licht und Schatten daraus zu erkennen; keine reine Linienmanier
mit Schraffierung mehr, statt dessen vorwiegend Töne. Crucifixus,
Modena, aus der Silbertonzeit, mit klaren Schatten; ohne Beifiguren
und ohne landschaftliches Detail, bloß ein Stück kahlen Erdbodens
sichtbar; so am wirkungsvollsten; ringsumher Nacht, unheimlicher
fahler Schein von links hereinbrechend. Nur der wcgflatterndc
Zipfel des Schamtuches stört uns heute; wir glauben zu sehr an das
Kausalitätsgesetz, als daß wir annehmen könnten, sogar die toten
Tuchmassen wären in jenem schicksalsschweren Moment in Bewegung
geraten. Kreuzigung. Pinakothek Bologna, aus der Goldtonzeit, mit
schwereren Schatten. Mit Maria, Johannes und Magdalena. Daran sieht
man, woran sich van Dyck gebildet hat. Die Figuren sind aus dem
- 183 -
Dunkel herausmodelliert. Symmetrische Komposition. Keine Manier
in Linien und Formen, aber dafür in anderen Dingen. Der Mantel der
Madonna blau, der der Magdalena gelb, der des Johannes rot (die drei
Grundfarben zusammen). Der Ausdruck der Maria auffallend schwach,
dagegen der des Johannes innig und wahr, aber uns stört aufs
höchste der absichtlich drapierte Mantel, der scheinbar von den
Schultern herabglcitet: die damaligen Italiener sahen eine gewisse
Größe darin ; wir sehen nicht bloß einen groben Verstoß gegen
das Kausalitätsgesetz, sondern sogar eine dreiste Zumutung, daran
zu glauben. Wir wollen kein Wunder, kein persönliches Eingreifen
weder eines Gottes noch des Künstlers, der seiner Schöpfung
gegenüber auch Gott ist. Die Magdalena soll allzu auffällig nur einen
Vorwand abgeben, um ein schönes rotblondes Haar, eine pikant
beleuchtete Nase und ein paar Händchen von sinnlich warmem
und blühendem Ausdruck ins Bild zu bringen und zugleich einen
Kontrast zu den harten Formen des sterbenden Christus darüber.
Sehr beliebt war sein reuiger Petrus und die büßende Magda-
lena. Die Magdalena als Halbfigur im kapitolinischen Mu-
seum fast flau, von wenig Kraft. Diejenige in ganzer Figur in der
Galeric Corsini, mit tröstenden Engeln in der Luft, schon recht
oberflächlich und gleichgültig.
Ein Liebling der römischen Galeriebesucher ist der hl. Seba-
stian in der kapitolinischen Galerie. Allerdings hat Guido
hier seinen Schönheitssinn wieder voll bewährt und in den Auf-
blick ein starkes Gottvertrauen ohne Süßigkeit zu legen gewußt.
Dabei ist es das Idealbild eines kraftvollen, gesunden Jünglings. Da
er aber schon von drei Pfeilen durchbohrt ist, wird unserer kausali-
tätsgewohnten Betrachtung eine starke Zumutung gestellt. Die Land-
schaft ist in diesem Falle ausgeführter als sonst, mit kompakteren
Bauminassen, aber ohne rechte Überzeugungskraft.
Als Probe seiner mythologischen Bilder diene Venus und
Amor, Dresdener Galerie. Venus gelagert wie auf den analogen
Bildern des Tizian; zwischen schweren Vorhängen sieht man über
eine Balustrade hinweg nach Baumgruppen im Hintergrunde. Amor
reicht ihr einen Pfeil dar, den sie prüfend betrachtet. Verglichen
mit den Bildern Annibales ist es schon mehr auf wohlige bequeme
Weichheit des Lagerns abgesehen. Aber es herrscht doch noch eine
- 184 -
Straffheit des Fleisches und ein bestimmter Ernst in der Gesichts-
bildung, die von dem kindisch-verbuhltcn Gesichtsausdruck und der
absichtlichen Lüsternheit der Formen der späteren Barockzeit weit
entfernt ist. Der Amor mit ausgeschwungener Hüfte über dem
Standbein (wie schon beim Simson).
Domenico Zampieri, genannt Domenichino (geboren zu
Bologna 1581, gestorben zu Neapel 1641). Stammte von armen
Eltern und seine Entwicklung ist ihm daher nicht so leicht gemacht
worden wie Reni, was vielleicht den größeren Ernst seines Kunst-
strebens erklärt. Er repräsentiert diese bolognesisch-römische Kunst
gewissermaßen auf ihrem relativen Höhepunkte; dem absoluten Werte
nach schätzen wir Guido höher. Domenichino gilt in der Tat der
Ernst der geistigen Auffassung über alles. Bei den Carracci verrät
sich daneben oft allzu lebhaft die Reminiszenz an die oberitalie-
nischen Vorbilder mit ihrem Streben nach äußerer subjektiver Er-
scheinung in Linien, Licht, Farbe; bei Guido Reni steht doch in
erster Linie die Befriedigung des Schönheitssinnes, dem er alles
andere, manchmal selbst den geistigen Ausdruck, unterordnet. Do-
menichino ist in weit höherem Maße Realist als alle anderen und
überragt sie auch an Gedankenreichtum; er erinnert darin sogar
gelegentlich an deutsche Meister, denen er sich auch durch einen
bestimmten gemütlichen Zug nähert. Auch im Kolorit sucht er nicht
einen verklärenden idealen Ton wie Guido, sondern trachtet in den
Lokalfarben selbst ein bestimmtes Maß von Wahrheit zu erreichen.
Seine Farben erscheinen daher eher bunt zusammengestellt, wie-
wohl auch er den rhythmischen Wechsel von Licht und Schatten
beobachtet hat, aber in minderem Grade als Guido. Er hat weder
Gold- noch Silberton, weder schwere noch klare Schatten. Hier
ist aber auch gleich anzumerken, daß Domenichino überwiegend
mit Freskomalerei beschäftigt wurde, was naturgemäß einer kolo-
ristischen Ausbildung hinderlich war, aber das kam offenbar auch
seiner Neigung entgegen. Der stärkere Realismus brachte es mit sich,
daß Domenichino der Landschaft mehr Aufmerksamkeit geschenkt
hat als Guido. Doch bleibt er darin allezeit härter und plastischer
als die Carracci. Während die Carracci eine ideale Landschaft zu
schaffen trachteten, ist Domenichino mehr innerhalb der Grenzen
des Naturalistischen geblieben, erzielt aber damit nicht jene Einheit
- 185 -
wie die Nordländer, die infolgedessen durch die carracceske Land-
schaft in höherem Maße befriedigt wurden. Dies gilt noch mehr
von den Tieren; er vernachlässigt sie nicht so wie Guido, aber er
weiß sie nicht recht malerisch, ja nicht einmal zeichnerisch zu be-
wältigen. Äußere Daten aus seinem Leben: wie Guido zuerst bei
Calvaert (was vielleicht bei ihm nachgewirkt hat), dann bei den
Carracci, mit denen er anfangs des 17. Jahrhunderts nach Rom
geht. Um 1616 ist er wieder in Bologna; unter Gregor XV. Ludo-
visi (1621bisl623), dem Bolognesen, treffen wir ihn wieder in Rom;
er ist nicht mehr nach Bologna zurückgekehrt Er beweist damit, daß
er verhältnismäßig am meisten romanisiert und neapolitanisiert wurde.
Im Jahre 1630 geht er nach Neapel, wo er im Dom die Capella dcl
Tesoro auszumalen hatte. In Neapel hatte sich, seitdem Caravaggio
sich dort aufgehalten hatte, eine lokale Malcrschulc mit stark natura-
listisch-koloristischen Absichten auszubilden begonnen. Sie erhielt
namhafte Stütze durch einen zugewanderten Spanier, Jusepe Ribera
aus Valencia, Spagnoletto. Diese Maler sahen es ungern, daß die
Bolognesen Fuß fassen wollten. Als Guido eingeladen war, wurde
sein Gefolge attackiert; der feine Guido räumte das Feld. Dann
wurde Domenichino eingeladen. Er nahm sich vor, den Anfein-
dungen zu trotzen; auch er mußte einmal fliehen, wurde aber
wieder zurückberufen und hat in der Tat zehn Jahre in der Capella
gearbeitet, unter unangenehmen Verhältnissen. Als er 1641 plötzlich
starb, behauptete seine Frau, die Einheimischen hätten ihn vergiftet.
Mit seinem Realismus kam er den Neapolitanern näher als Guido,
aber doch nicht nahe genug, um sich in Neapel siegreich zu be-
haupten; er war ihnen zu ernst, sie verlangten mehr äußerlichen
Subjektivismus, den ihnen Lanfranco bot, der als dritter Bolognese
nach Neapel gekommen und schlau genug war, sich mit den Nea-
politanern gut zu stellen. Er setzte sich nämlich in Gegensatz zu
Domenichino, mit dem er schon in Rom Differenzen gehabt hatte.
In der Tat erhielt Lanfranco nach dem Tode des Domenichino die
noch ausständigen Arbeiten in der Capella del Tesoro. Was Dome-
nichino in Neapel gemalt hat, zählt nicht zu dem Besten und Cha-
rakterischesten.
Domenichinos Fresko in S. Gregorio Magno: Geißelung des
hl. Andreas von 1608, im Wettstreit mit Guido. Das Thema an sich un-
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dankbarer, aber für einen Realisten das geeignetere. In der Tat ist ein
weit stärkeres dramatisches Leben darin, als im Fresko des Guido.
Der Heilige wird von Folterknechten gefesselt und einer schlägt
schon mit dem Besen zu. Die Gottergebenheit des greisen Apostels
und der grausame Eifer der Henker. Das Gedränge löst sich schon.
Links drängt das Volk heran (nicht die koketten Draperiestudien
des Guido) und wird durch einen Soldaten zurückgeschoben. Da-
hinter der Imperator auf einem erhabenen Thronscssel und eine
Tcmpelhalle mit Zuschauern. (In Rom malt er viel antikes Bei-
werk in Architekturen, dann nach antiken Statuen den Imperator.
an Studien des Mantegna erinnernd.) Von rechts her fällt ein
schräger Schatten, der das Ganze zweiteilt; aber trotzdem bleibt
auch die beschattete Hälfte so gut wie ganz hell, die Figuren im
Schatten sind ebenso beleuchtet wie diejenigen in der Sonne. Das
Kausalifätsgesetz wird nur äußerlich, im Gröbsten beobachtet. Wir
haben Berichte über die Meinungen, die unter den Römern bei Ent-
hüllung beider Bilder verbreitet waren. Annibale Carracci wurde
befragt, er sagte: er wäre durch ein Weib, das mit ihrem Kinde
in die Kapelle gekommen war, darüber belehrt worden, was davon
zu halten sei. Zuerst besah sie das Bild des Domcnichino und
zeigte daran ihrem Knaben, wie der Heilige gottergeben sein Schick-
sal erträgt, und wie der eine Knecht mit aller Anstrengung die
Stricke zusammenzieht, wie der andere den Heiligen höhnt, wie der
Knabe die Stricke herbeibringt und vom Anblick des Heiligen er-
griffen den Schritt anhält und ihn anstarrt, so daß der Henker ihm
den Strick aus den Händen reißen muß. Dann trat sie mit dem
Knaben vor das Bild des Guido, wußte aber ihrem Knaben nichts
zusagen und ging hinaus. Das will also sagen: Domcnichino malte
das. was das Volk wollte und sprach zum Volke. Guido malte für
Feinschmecker.
Befreiung Petri. San Pietro in Vincoli. Der Engel wacht
bei Petrus, der auffährt. Zwei Wächter schlafen, einer stehend, einer
liegend. Nachtstück mit scharfem Lichteinfall, vom Engel ausgehend.
Die Figuren heraus oder hinein bewegt. Der liegende Soldat ver-
kürzt gegen den Beschauer. Starkes Gedränge der Figuren, die
herkulischen Glieder! Alles Schule des Lodovico Carracci, entgegen-
gesetzt dem Streben Guidos nach Ebene. Im weit ausschreitenden
- 187 -
Engel und Petrus in Doppelbewegung ein hastiges Momentanes, das
mit dem grellen Lichtschein übereinstimmt. Dieser Lichtschein erhellt
aber wieder nur die Figuren, nicht die Luft dazwischen. Auch die
Wände sind erhellt, aber in matter, unauffälliger Weise, ohne Steige-
rung.
Kommunion des hl. Hieronymus. Vatikan. Pinakothek.
Zeigt, worin er sich von den Carracci emanzipiert. Im Wett-
streit mit Agostino gemalt, noch in Rom zirka 1608. Bei Ago-
stino Gedränge, der streng barocke Zwang, bei Domcnichino
klare Zweiteilung; links Hieronymus mit den Seinigen, rechts der
Priester mit Ministranten. Die Handlung einheitlicher: bei Agostino
schauen viele vom Heiligen weg, in persönlichem Sinnen, zum Teil
zu den Engeln oben aufblickend, bei Domenichino sind fast alle
Blicke auf den Heiligen gerichtet, niemand sieht die Engel, was
auch im naturalistischen Kausalitätssinne wirkt. Der Heilige ist hier
ein natürlich verfallener, sterbender Greis, bei Agostino war er ein
Hüne, übermenschlich. Der Kerzenträger des Agostino im Vorder-
grund fehlt bei Domenichino. der Türke ist in den Hintergrund
geschoben, neu eingeführt ist bei Domenichino eine Frau, die die
Hand des Sterbenden küßt, dann ein kniender Ministrantenknabc
mit langem, goldblondem Lockenhaar in rührender Haltung. Ge-
samtfazit: Steigerung des Psychischen, der Empfindung, durch Ver-
meidung der Zersplitterung und Übertreibung in äußeren Aktionen.
Der Engel bei Agostino stürmisch die Arme aufwärts hebend, bei
Domenichino nach Kinderart gemütlich tänzelnd, aber doch ernster
als bei Correggio. Hintergrund: der Bogen bei Domenichino offener,
stößt oben an den Rand an, der Blick braucht sich nicht durch-
zuzwängen nach der Landschaft draußen. Die Landschaft detail-
lierter, klarer, mehr auf das Einzelne eingehend bei Domenichino,
freilich stößt der Mangel der Verbindung mit dem Luftraum mehr
auf als bei der uniform hingestrichenen (daher mehr impressio-
nistisch wirkenden) carraccesken Landschaft. Auch in der Schatten-
gebung ist Domenichino malerischer. Schönstes Bild in Rom nächst
der Transfiguration Raffaels nach der Meinung des Nicolas Poussin.
Marter der hl. Agnes, Bologna, Pinakothek. Wieder Himmel
und Erde, hier ist die irdische Begebenheit Hauptsache. Der rohe
Henker (Typus des Bösen) stößt ihr (Kontrast) das Messer gerade
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in die Kehle, während sie umsinkt. Der Moment des Zutodc-
getroffenseins ist gut zum Ausdrucke gebracht. Links gefühllose
Soldaten, rechts drei Frauen als Zuschauerinnen, alle drei in ver-
schiedenen Gebärden des Entsetzens, auch im Gegensatz zu den
Soldaten. Klare Komposition, kein Gedränge. Im Hintergründe ein
Säulenviadukt, den eine Menschenmenge bis zum Brechen anfüllt.
Zwischen den Säulen blickt eine weite Landschaft herein. Dann ein
Gegensatz zwischen der Not unten und dem eitlen Jubel oben.
Musizierende Engel um die Dreifaltigkeit, Cäcilie tritt die Pedale,
Christus und Gott Vater majestätisch-behaglich gelagert; Christus
reicht herablassend einem dienstbeflissenen Engel Krone und Palme
zum Hinabtragen, wie ein Preisrichter, der einen Preis spendet. Das
ist der Realismus, den wir im Übernatürlichen störend empfinden.
Dagegen empfand man damals, wo der Glaube alles galt, die äußerste
Ekstase, jedes Wunder, als durchaus mögliche Wirklichkeit.
Madonna del Rosario, nach der Rückkehr nach Bologna
gemalt, jetzt in der Pinakothek zu Bologna. Es ist etwas Kaltes,
Studiertes darin, das den Beschauer befremdet. Wieder Zusammen-
fassung disparater Dinge in einem Moment des Geschehens; die
Deutschen haben es weit naiver dargestellt. Domenichino befriedigt
hier nach keiner Seite hin. Die Komposition bedeutet einen Rück-
fall ins Mittelalter, das aber solche Szenen nicht visionär, sondern
ideal aufgefaßt hat. Eine Wolkenbank teilt das Ganze in zwei Teile:
oben Himmel, unten Erde. Oben Madonna mit dem Kind, das Rosen
auf die Erde hcrabstreut. Rechts ein weinender Engel mit den Leidens-
werkzeugen, links hält der hl. Dominicus einen Rosenkranz empor
und weist die Beschauer, die er anblickt, pathetisch auf die Madonna.
(Das ist charakteristisch für das Römisch-Barocke und ist fortwährend
zu beobachten, daß die Heiligen direkt mit dem Beschauer ver-
kehren; es ist eben der christliche Geist, der die Gottheit persönlich
faßt. Wir stoßen uns heute daran, wenn jemand im Bilde so tut,
daß er uns sieht und uns direkt beeinflussen will. Das Kausalgesetz
kümmert sich nicht um uns.) Darüber schwebt ein Engel mit der
Aufcrstchungsfahne, halbwüchsige Mädchen, wie sie ihm besonders
glücklich gelingen, oft mit schalkhaft-naivem Köpfchen: Soubretten-
köpfchen hat man sie genannt. Unter dem Flügel kommt ein Putto
hervor, der sich eine Krone aufs Haupt setzt. Links davon baumelt
- 189 -
außerdem noch eine ganze Anzahl von Engeln im Wolkcnraume
herum. Auf der Erde: Menschen mit Rosenkränzen in den Händen,
die sich in ihrer Bedrängnis an die Madonna wenden; in der Mitte
zwei Mädchen, die sich umschlingen, weil sie von einem heran-
sprengenden Reiter mit der Lanze bedroht werden (das fast miß-
lungene Pferd verrät sein geringes Verständnis für Ticrbildung). Links
ein Mädchen von einem Krieger mit dem Stilett bedroht, am Boden
ein halbnackter Greis mit brechendem Blick und ausgebreiteten
Armen. Rechts einige Priester, darunter der vorderste in sehr in-
brünstiger Haltung, geradezu seltsam verrenkt, weit weniger glück-
lich als die Mädchenfiguren. In der Mitte dazwischen zwei nackte
Knäblein, die um einen Rosenkranz raufen. Also Zusammenbringen
verschiedener Geschehnisse in ein Bild, wie z. B. die modernen
Neoidealisten tun (Puvis de Chavanne z. B.i. Hintergrund weite
Landschaft mit abschließenden Bergfernen.
Tod des hl. Petrus Martyr, Pinakothek Bologna (in An-
lehnung an Tizian geschaffen). Realistische Marterszene. Diese sind
jetzt sehr beliebt geworden, weil sie auf das Volk Eindruck machten.
Im Bilde ist die grelle Farbenwirkung unangenehm. Die rote Hose
des Mörders und die weißen Kutten der Mönche! Der Heilige am
Boden wehrt sich mit gekreuzten Armen und strampelt mit den
Beinen, trotzdem die Engel ihm die Belohnung zeigen für das
Martyrium. Noch Correggio ließ die Heiligen sich ruhig abschlachten.
Der Realist denkt, man kann das auch einem Heiligen nicht zu-
muten. Das ist realistisch, aber erhöht das Entsetzliche. Der ent-
setzte Ausdruck der Todesangst im fliehenden Mönch mit gebauschtem
Gewand ist gewiß sehr ausdrucksvoll, ja aufregend. Aber es ist nichts
harmonisch Versöhnendes dabei, das namentlich durch koloristische
Färbung und durch Tonwirkung hätte hervorgebracht werden können,
was aber Domenichino geradezu absichtlich vermieden zu haben
scheint. Grell, schreiend in Handlung und Farbe. Auch die Baum-
blätter springen plastisch heraus. Bezeichnet das Gegenteil von
Stimmung. In der tiefen Landschaft ein spitzer Bergkegel, man sieht
einige Details in der Ferne aufblitzen. Muß auch noch in die frühe
Zeit gehören.
Fresken in S. Andrea della Valle: in der Tribuna die Legende
des hl. Andreas, in den Kuppclzwickeln die vier Evangelisten.
- 190 —
Noch hincinkomponicrt in die Zwickel, nicht auf Blechausschnitten
hinausragend in die Luft. Auch die Untersicht nur mäßig berück-
sichtigt. Hier zeigt er sich im großen Stil; das Beste, was in dieser
Auffassung seit Michelangelos Propheten und Sibyllen geschaffen
wurde. Wirklich echte Begeisterung in den Mienen, so daß die
grandios bewegten Leiber nicht manieriert erscheinen. Pathetisch
ist nur einer: Johannes von oben (außen) die Inspiration empfangend.
Die übrigen sind mehr beschaulich, aber sie brauchen Raum, am
meisten Matthäus (verhältnismäßig der Bewegteste, aber wie ein
Theaterzuschauer), aber doch ganz im Meditieren versunken. Marcus
ist der correggeskeste. Lucas faßt die Beschauer scharf ins Auge.
Nach dem Vorbild des Jupiter des Annibale Carracci in der
Oallcria Farnese. Im Johannes kommt er verhältnismäßig nahe an
Rcni heran. Funktion der Engel: einerseits jene ernste, wie sie schon
Michelangelo seinen Propheten und Sibyllen gegeben hat, indem
sie bei der Lektüre das Buch halten oder in anderer Weise assi-
stieren. Dann aber auch wie die Putten des Correggio, die mit den
Symbolen spielen und auf den Wolken ihre Purzelbäume schlagen.
Ein so ernster Realist wie Domcnichino war natürlich wenig
befähigt zur mythologischen Malerei, bei der es sich um sinnliche
Schönheit handelt. Es wurden ihm aber doch solche Aufgaben gestellt,
und da ist es höchst interessant zu sehen, wie er sie aufgefaßt und
gelöst hat. Unter anderem verdanken wir einer mythologischen Auf-
gabe, die ihm der Kardinal Borghcse gestellt hat, eines seiner
reizendsten Bilder, das heute noch allgemeinen Beifall findet, auch
bei nordländischcn Beschauern. Es ist die Jagd der Diana in der
Gallcria Borghese. Der Auftraggeber, Kardinal Scipio Borghese,
wünschte offenbar ein Bild mit Diana und Aktäon. Also Diana und
die Nymphen badend, erschreckt auffahrend und sich verhüllend
beim Auftauchen des Aktäon, der in den Hirsch verwandelt und
von den Hunden angefallen wird. Das gab Gelegenheit, reife weib-
liche Körper enthüllt zu zeigen. Das entsprach aber dem Domcni-
chino nicht. Er begriff, daß er da nicht zulange. Und so hat er
Diana gemalt im Kreise einer Schar junger Mädchen von unent-
wickelten, halbwüchsigen, jungfräulich herben Formen, denen das
Verfängliche der Reife noch abgeht. So wenig ihn die reife weib-
liche Körperschönheit künstlerisch anzog, so sehr interessierten ihn
- 191 -
die keuschen, knospenden Mädchenformen. Diana selbst ist be-
kleidet; sie ist die am wenigsten interessante Figur. Sie gibt das
Zeichen zum Schießen. Die Mädchen aber sind alle überaus leben-
dig erfaßt in ihrer kindlichen Ausgelassenheit, in der unschuldigen
Lebhaftigkeit und Beweglichkeit, wie sie für dieses Lebensalter
charakteristisch ist. Die Hauptgruppe nächst der Diana ist beschäftigt
mit einem Vogelschießen (nach unseren Begriffen ein unweiblicher
Sport, aber nach italienischem Begriffe gibt es keine Tierquälerei).
Das Wasser zum Bade ist zwar da, aber es sind nur zwei Mädchen
hineingeplumpst und plätschern darin behaglich nach Kinderart. Statt
Aktäons sind zwei lauschende Hirten hinter einem Gebüsch rechts
erkennbar; es droht ihnen aber keine Gefahr; ein Jagdhund fährt
zwar in ihrer Richtung los, aber er wird am Halsbande von einem
Mädchen zurückgerissen, es ist dies vielleicht die wirkungsvollste
Gruppe von allen durch die kontrastierende Doppelbewcgung;
sogar der Hund ist diesmal gut gezeichnet. Im Hintergrunde üben sich
einige Mädchen im Laufen und Ringen; andere tragen einen er-
legten Hirsch. Es ist also eigentlich kein mythologisches Bild, sondern
wir könnten es eher ein Genrebild nennen: Waldausflug eines
Pensionats. Die Landschaft zeigt wieder die summarische Behandlung,
einzelne plastische Bäume und tiefe Erstreckung in Bergfernen.
War Domenichino der Anschauung, daß die Malerei haupt-
sächlich ernste und erhabene Vorstellungen im Menschen zu er-
wecken bestimmt ist, so hatte sein Freund und Schulgenosse
Francesco Albani genau die entgegengesetzte Auffassung. Er
fand, daß die Malerei vornehmlich die Aufgabe habe, die Menschen
zu erfreuen. Albani vermeidet grundsätzlich alle Gelegenheit zu
geistiger Aufregung, aber auch pathetischer Schaustellung mensch-
licher Größe, die römische Maniera grandc (schon deshalb war für
ihn in Rom kein dauernder Platz); er will dem Beschauer nur
glückliche, wohlgenährte Menschen zeigen, mit leuchtendem Fleische
und gefälligen Umrissen, allenfalls unter Hinzufügung einer an-
mutigen landschaftlichen Umgebung, aber ohne Individualisierung.
Albani ist daher der mythologische Maler der Carracci-Schulc
geworden. Es mag diese Neigung auch in seiner Herkunft begründet
gewesen sein. Er stammte aus einem reichen Kaufmannshause in
Bologna, wo er 1578 geboren ward. Sein Entwicklungsgang ist der-
- 192 -
selbe wie bei den schon Genannten. Zuerst die Schule bei Calvacrt,
dann bei den Carracci in der Akademie, endlich in Rom. Von
dort hat er sich aber ebenso wie Guido nach Bologna zurück-
gezogen, von wo aus er Mühe hatte, allen Bestellungen gerecht zu
werden. In Bologna (la grassa) war er mehr am Platze als in Rom,
nicht so sehr wegen der übermäßigen Wertschätzung, die er genossen,
sondern weil er es sich bequem gemacht hat, Lebensgenuß. Dichtung,
wissenschaftliche Studien getrieben hat. Er hat daher viele Schüler
in der Werkstatt beschäftigt. Gestorben ist er erst 1660. Die Land-
schaften besorgte ihm Viola, doch sind seine Landschaften von
ganz bestimmter Bedeutung, so daß wohl das Wesentliche daran,
die Erfindung, von Albani selbst stammt. Das Wasser malte ihm ein
Galli-Bibbiena. der Stammvater der Architektenfamilie dieses
Namens. Albani hat die mythologische Malerei nun so getrieben.
wie sie eben im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts möglich war,
d. h. ohne ausgesprochen sinnliche Beimischung, er malte Nacktes,
aber ohne Lüsternheit. Das äußert sich schon darin, daß in seinen
Bildern in der Regel wie bei Domenichino nicht bloß Erwachsene
vorkommen, aber auch nicht halbwüchsige Mädchen, sondern direkt
Kinder-Amoretten. Man hat seine Bilder mit den pompejanischen
sehr verwandt gefunden, und mit Recht. Auch seine Lebens-
anschauung war eine alexandrinische. Leuchtendes Fleisch und
gefällige Konturen, sowie heiteres Leben und anmutige Bewegun-
gen ließen sich damit erreichen. Diese Amoretten sind für ihn
völlig charakteristisch. Er hat sie auch in den verhältnismäßig
wenigen Altarbildern angebracht, die er namentlich in seiner
Jugendperiode gemalt hat, wo sie natürlich Engel sind. Aller-
dings konnte er nicht Themata ausschlagen, in denen Erwachsene,
namentlich weibliche Figuren vorkommen, und auch an diesen
sucht er die Grazie des nackten Leibes vorzutragen. Aber diese
Grazie hat noch absolut nichts Absichtliches. Der Beschauer
empfindet wirklich nur die reine Freude darüber, daß es so herr-
liche Geschöpfe Gottes gibt. In seinen Jugendjahren hat er viel
Fresken gemalt, die bedeutendsten die Deckenfresken im Palazzo
Torlonia (damals Verospi), auch das Thema der Aurora, wie bei
Guido und Guercino. Besser ist er in Ölbildern als in Fresken,
in kleinen Figuren als in großen. Er malt zwar nicht Kabinett-
193 —
bilder, aber doch Zwischenstufen zwischen diesen und lebens-
großen Figuren.
Raub der Proserpina in der Brera. Der Raub im Hinter-
grunde links, dagegen im Vordergrunde tanzen singende Amoretten
einen Reigen um einen Baum, in dessen Zweigen andere Amoretten
musizieren. Oben rechts in den Wolken Venus den Amor küssend.
Das Hauptmotiv bilden also die Amoretten unten in der Mitte. Die
Landschaft zeigt große Linien, möglichst wenig gebrochen durch
Bäume und Buschwerk, links einen ragenden Bergzug, rechts einen
Rundtempel.
Toilette der Venus in der Galerie Borghese (Beispiel eines
mythologischen Bildes mit erwachsenen Figuren). Venus von drei
Dienerinnen betreut. Es ist die Freude an schönen Formen und
Gesichtszügen, aber es ist doch noch eine Handlung darinnen (was
diese Zeit selbst von mythologischen Darstellungen begehrte). Jede
Figur ist beschäftigt und ganz bei der Sache, nicht bloß äußerlich,
sondern auch seelisch. Venus mit Interesse ihr Bild im Spiegel
schauend, die eine Magd kräuselt ihr 'aufmerksam das Haar, die
zweite flicht ihr Zöpfe, hält aber gerade inne und wendet sich um
nach der dritten, die sie wegen einer langen Halskette befragt;
ringsherum aber, am Boden, auf dem Baume, im Wasser, tummeln
sich wieder die Amoretten, die ganz wesentlich zur Szene gehören.
Die Landschaft ist diesmal geschlossener, aber im ganzen dieselbe
Komposition mit dem in schräger Linie abfallenden Höhenzug.
Magdalena als Büßerin, Kapitol. Beispiel einer pathetischen
Darstellung, weinend. Ist nicht die verkörperte Reue, sondern eine
Dame in sehr guten Verhältnissen, die eben etwas Schmerzvolles
erlebt hat und weinend die Hände ringt. Was Albani getroffen hat,
ist der Charakter des Wohllebens, der äußeren Glückseligkeit. Der
Typus als schön gemeint, aber er erreicht Guido nur in Äußerlich-
keiten, wie in den kokett aufgelösten Haaren. Hand und Finger
oberflächlich, ohne Gelenke. Merkwürdig der schiefe Fels und die
abfallende Landschaft. Die reinen Horizontalen liebt er nicht. Das
Schroffe paßt zum Pathetischen.
Franciscus, Louvre. Halbes Kabinettsbild, wie sie Guido
nicht gemalt hat, aber bei Annibale Carracci kommen sie gelegentlich
vor. Halbfigur des Heiligen, der vor dem Kruzifix in Verzückung
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrh. 13
— 194 —
gerät. Ganz tadellos in Zeichnung und Ausdruck, aber nichts
Interessantes, Packendes, allerdings auch nichts Übertriebenes, nicht
im Habitus und nicht im Pathos. Er sucht wieder durch den Felsen
pikant zu wirken.
Verkündigung, Louvre. Das erstaunte Auffahren der Maria,
mehr Überraschung als Aufregung, die devote Haltung des Engels
auf der Wolke, nicht zeremoniöse Unterwürfigkeit, aber es fehlt die
Maniera grandc, dadurch bekommt die Szene etwas Intimeres, das
etwas an das Quattrocento erinnert. Hier treten schon oben die
Engclputten auf, die neugierig von ihren Wolken hcrablugen. Auf-
fallend sind seine Draperien mit gleich tief scheinenden verknitterten
Falten, deren erhabene Büge gleichmäßig beleuchtet sind.
Erschaffung der Eva, Dresden. Rundbild. Nach Michel-
angelo. Auch Albani interessierte hierbei die Gelegenheit Nacktes
zu malen, aber in ganz anderer Absicht, viel irdisch-natürlicher, als
wenn er absichtlich mit Michelangelo konkurriert hätte. Adam
schnarcht ganz natürlich, die Arme sind auch natürlich gelegt Eva
kauernd in devoter Haltung. Im Gott Vater ganz das Motiv des
Michelangelo, wie er daherfährt von seinem Mantel umwallt, wie
der verkörperte Wille, aber die Geste ist nicht so gebieterisch, der
Kopf ist menschlich befangen, und die Putten gucken neugierig und
kindisch unter den Falten des Mantels hervor. Weite Landschaft mit
ruhigen Linien, einige wenige Tiere zur Andeutung des Paradieses
darin sichtbar. Dafür links halbwüchsige Engel, dann Engelsköpfe;
rechts bei Gott Vater die dritte Gattung: Putten.
Der auferstandene Christus seiner Mutter erscheinend,
Pitti. Maria ist auf die Knie gesunken und breitet die Arme dem
Sohne entgegen, aber ohne besonderes Pathos. Christus zeigt hier
den gemütlichen bärtigen Typus eines Tiroler Bauern. Die Haupt-
rolle spielen wieder Engel der drei Gattungen, namentlich die
Putten, wie sie am Boden knien und zugleich Spalier bilden, wie
sie Christus schieben und ihm Mantel und Fahne halten. Der
große Engel aber expliziert. Hier ist ein seltener Fall bei Albani:
das Interieur. Die Wand ganz unkenntlich, nur ein Stück Fuß-
boden, der vorne in eine Stufe abbricht, darauf zwei Betpultc
und eine Bettstatt. Man sieht: der Innenraum interessiert ihn gar
nicht.
— 195 —
Der auferstandene Christus und Magdalena, Louvre.
Hier versucht er sich mehr in der Maniera grande. Christus zwar
auch von gemütlichem Typus, aber etwas ernster, mit geneigtem
Haupt, die kniende Magdalena schreit auf, wie sie ihn erkennt, und
streckt die Arme gegen ihn aus, instinktiv. Es ist aber noch immer
ein gemäßigtes Pathos. Und wie in der Halbfigur der Magdalena
fordert auch hier das Pathos Felsen, zwischen denen der Blick sich
durchzwängen muß nach der landschaftlichen Tiefe. Eine gebogene
Linie beschreibt der Fels, Christus und die Bäume. Engel, nur zwei
erwachsene am Grabe, passen nicht zum Pathetischen.
Giov. Francesco Barbieri, Guercino (der Schielende), war
nicht in der Akademie der Carracci herangezogen. Aber er ist erstens
seiner Geburt nach ein halber Bolognese, weil er aus Cento stammt,
zweitens hat er eingestandenermaßen seine Richtung durch die An-
schauung von Lodovico Carraccis Werken erhalten, die er ja von Cento
aus leicht studieren konnte. Übrigens waren Bilder Lodovicos in Cento
selbst zu sehen. Aber zu den Akademikern darf man ihn doch
nicht zählen, denn in seinen Anfängen sah es ganz danach aus, als
ob er die Bahnen Caravaggios wandeln würde; erst in der letzten
Periode seines Schaffens ist er entschieden zur akademischen Richtung
übergegangen. Geboren 1590, gestorben 1666 zu Bologna. Er ist
den beiden größten Carracci-Schülern unmittelbar anzureihen, ja er
ergänzt sie nach zweifacher Richtung: 1. Im Ausdruck bildet er
den Übergang zu den Naturalisten (schon Domenichino steht in
der Mitte, Guido am äußersten idealistischen Flügel); er malt seine
Figuren noch strenger nach dem Modell. 2. Im Kolorit, er ist der
einzige, dem es vornehmlich und überwiegend auf das Kolorit an-
gekommen ist, d. h. auf eine koloristische tonige Wirkung. Dann
lockert er die Konturen mehr als irgendein anderer Bolognese,
daher erreicht er eine weitgehende Verbindung mit dem Räume. Es
gibt von ihm Bilder, die fast farblos erscheinen: wie der Verlorene
Sohn im Wiener Hofmuseum. Die Farbe ist in Licht und Schatten
umgebracht, ertränkt. Es ist dieselbe Richtung, die die gleichzeitigen
Holländer genommen haben, die aber zu einer braunen Tonmalerei
gelangt sind. Bei Guercino dominiert ein schmutziger, brauner
Schatten; es fehlen die klaren Halbschatten des Rembrandt. Die
Komposition ist bei ihm immer schwach geblieben; darin steht er
- 196 -
hinter denen zurück, die eine Akademiebildung genossen hatten.
Die Hoheit und ideale Schönheit des Guido sucht er anfangs nicht,
weder im Nackten noch in den Draperien; man hat ihn deswegen
oft als roh und bäuerisch gescholten, namentlich die Römer (Passeri);
aber auch den Ernst und die erhabene Gedankentiefe des Domeni-
chino erreicht er nur selten; sein Hauptverdienst bleibt die Farbe.
Man unterscheidet auch bei Guercino drei Perioden. Die erste ist
die Jugendzeit, die er in Cento verbringt. Da ist er am nächsten
dem Caravaggio, nicht bloß im Ausdruck, sondern auch in der Fär-
bung; es ist zweifelhaft, ob er bei ihm gewesen ist; man vermutet
eher den Einfluß des Lionello Spada in Bologna. Aber auch das halbe
Autodidaktcntum, das ihn wie Caravaggio damals auf den Natura-
lismus bringen mußte, muß man in Betracht ziehen. Scharfe Lichter
hart neben schweren Schatten. Er hat das eigentliche Kellerlicht,
dem es nicht um Plastik, sondern um optische Wirkung zu tun ist.
Caravaggio strebt dagegen plastische Wirkung an. Gegen die zwanziger
Jahre hin lernt er, vielleicht durch die Carracci angeregt, die
Venezianer kennen, und nun eignet er sich eine tiefe, warme Färbung
an, die sich im Lichte gelegentlich bis zum Goldton steigert; aber
noch immer hält er daneben an den schweren Schatten fest. Dies
kennzeichnet seine zweite Periode, aus der seine bekanntesten
Bilder stammen. 1621 geht er, angezogen durch Gregor XV., nach
Rom, wo er für den Papst beschäftigt ist Er galt jetzt schon nächst
Guido und Domenichino als der größte Bolognese im engeren
Sinne. Jetzt entsteht sein berühmtestes Fresko und Tafelbild. Die
Fresken im Casino Ludovisi; namentlich die Aurora an der Decke.
Dafür langte er nicht zu; das Kolorit ist zwar bestechend, aber beim
Fresko kommt nicht bloß und nicht so sehr das Kolorit in Betracht als
die Komposition. Das war weniger Guercinos Sache. Die Unter-
sicht ist nicht ganz gelungen; von den Pferden sieht man zu sehr
die Bäuche; die Figuren haben nicht das Hinreißende wie Guidos
Aurorafiguren. Die Köpfe verraten geringeren Schönheitssinn; aber
auch naturalistisch kann man sie nicht nennen. Man sieht, der
naturalistischen Richtung entspricht mehr das Tafelbild, selbst in
kolossalen Dimensionen. Das war die hl. Petronella, in der
kapitolinischen Galerie. Beliebte Zweiteilung: oben Himmcl-
empfang der Heiligen, unten die Hauptsache, die Hebung der Heiligen
- 197 -
aus dem Grabe. Die Würdigung wird etwas erschwert durch die
tiefen Schatten, aber die Behandlung von Hell und Dunkel ist doch
meisterhaft. Nach Gregors XV. Tode kehrt Gucrcino nach Cento
zurück und wirkt hauptsächlich dort bis 1642. Guido starb, der
Posten des Hauptmeisters in Bologna war frei, denn Guido hatte
keinen Schüler von überragender Bedeutung mehr erzogen; Albani
war zu einseitig und zu bequem, um große Schule halten zu können.
Guercino übernimmt seine Nachfolge; nicht bloß in persönlicher
Stellung, sondern auch künstlerisch: er eignet sich Guidos letzte
Manier an. wird kälter und pathetischer. Ein eigentümlicher Ent-
wicklungsgang! Vom Naturalismus ausgehend, wird er dann unter
venezianischem Einfluß Farbenidealist und zuletzt nähert er sich
sogar dem Idealismus Guidos. Freilich in seiner vorgeschrittenen Zeit!
Darin spiegelt sich überhaupt die Entwicklung der italienischen
Malerei im 17. Jahrhundert.
Giovanni Lanfranco, geboren 1580 zu Parma, gestorben
1647 in Rom. Sein Geburtsort wurde für ihn bedeutungsvoll; er
lernte früh die Kuppelfresken des Correggio kennen und ist auch der
Nachfolger Correggios in dieser Richtung geworden. Darin liegf seine
Bedeutung. Denn damit knüpft die italienische Malerei wieder an
jene materiefreundliche Richtung der Oberitaliener an, die in der
streng gegenreformatorischen Zeit verlassen worden war. Die Kuppel
von S. Peter war wieder im alten System, auch die Decke der
Aurora des Guido war im System der Farnesina. Nun ist man wieder
reif für die neuerliche Aufnahme der correggesken Untersicht.
Natürlich eminent fernsichtig, daher es auf sorgfältige Durchführung
im einzelnen nicht ankam, sondern auf dekorative Gesamtwirkung.
So wurde flüchtig und rasch gemalt, Verlockung zur Nachlässigkeit.
Lanfranco ist einer der ersten Fapresto-Maler, darin Vorläufer des
Luca Giordano. Auch bei ihm ist das Fresko bereits hauptsächlich
dekorativ. Auf Durchbildung der Einzelheiten geht er nicht mehr
aus, nur auf Erzielung eines möglichst günstigen Gesamteindruckes.
Das ist nun bei Kuppelgewölben in erster Linie durch Lichtwirkung
bedingt. Es soll die Herrlichkeit des Paradieses dargestellt werden,
das hoch über den Menschen schwebt. Das Paradies, der Himmel
ist das Hellste, der Lichtquell selbst. Darauf konzentriert er sein
ganzes Streben und Können. Natürlich kam die Zeichnung, der
- loa -
Ausdruck der einzelnen Figur dabei zu kurz, von Burckhardi
„frech" gescholten. Aber das verlangte man auch damals nicht. Er
stand darin einzig da. und man bewunderte ihn darum. Es wird
ihm als häßlich vorgeworfen, daß er den Domcnichino von der
Ausmalung der Kuppel in S. Andrea della Vallc verdrängt hat.
Aber Domenichino hätte es gewiß nicht so gut gemacht, wenigstens
nicht für die Zeitgenossen. Es ist dies Lanfrancos bestes Kuppcl-
gemälde. Gegenstand auch nach Correggio: Himmelfahrt Mariac.
Das Emporschweben der Maria, ihr Empfang durch den entgegen-
schwebenden Christus; dazu der ganze himmlische Hofstaat.
Von römischen Fresken ein Saal in der Villa Borghese mit
olympischer Sitzung auf der Decke, von Atlanten gehalten, deren
Tragen völlig realistisch. Die Götter im Olymp in gesuchten Ver-
kürzungen. Im Jahre 1630 wurde er nach Neapel berufen, um die
Kuppel des Gcsü nuovo zu malen. Er hat sich merkwürdigerweise mit
den neapolitanischen Malern vertragen und gemeinsam Front
gemacht gegen die anderen (so wie der Bergamaske Fansaga, der
Spanier Ribera). Domenichino hatte von ihm zu leiden, weil Lan-
franco fortwährend auf die einträglichen Malereien in der Casa
del Tesoro aspirierte. Es ist ihm nicht gelungen, den Domenichino
zu verdrängen, der selbst Hand an die Kuppel legte, aber 1641
starb, und dann kam allerdings nur Lanfranco für diese Arbeit in
Betracht. Hierauf ging er nach Rom zurück; sehr beschäftigt starb
er 1647. Auch Tafelbilder sind von ihm vorhanden, aber minder
charakteristisch, obzwar er auch hier hohe Begabung zeigt, aber
auch ziemlich flüchtig ist; sie zeigen den Durchschnitt der carrac-
cesken Weise, sie würden nicht rechtfertigen ihn hier zu nennen.
Seine Bedeutung ruht in der Kuppelmalerei; was Pozzo dazu-
gebracht hat, war nur die Scheinarchitcktur. Von den übrigen
Carracci-Schülern, die noch unmittelbar aus der Akademie hervor-
gegangen sind, erwähne ich zwei, weil sie Eigenartiges aufzu-
weisen haben.
Giacomo Cavedone; von ihm ein hl. Sebastian im Hof-
museum in Wien. Der Ausdruck ist der pathetische des Guido,
ohne seinen Schönheitssinn. Auch im Inkarnat strebt er nach einem
Goldton, der ihm nicht übel gelingt, er erinnert darin direkt an die
Venezianer. Aber im Halbdunkel versagt er, die beschatteten Teile
- 199 -
des Körpers haben nicht die wirkliche Leuchtkraft des Correggio,
sondern einen unwahren roten Schein.
Alessandro Tiarini. mit einer Kreuztragung im Hof-
museum in Wien vertreten, mit merkwürdig gequälter und ge-
preßter Komposition. Ein Meister von ernstem monumentalem Wollen,
der der Betrachtung würdig ist. Von diesem Bilde trifft haarscharf
zu, was Wörmann von seiner Weise überhaupt sagt: daß er große
Linien, plastische Modellierung und studierte Verkürzungen liebte.
Im Kolorit bevorzugt er ein mattes Violett, Gelblich und Rotbraun;
milder, kühler Gesamtton, in der Beleuchtung offenbar von den
Naturalisten beeinflußt.
Von den Carracci-Schülern hat die größte Wirksamkeit als
Lehrer Guido Reni entfaltet, der ja seit 1612 mit geringen Unter-
brechungen in Bologna der erste Meister gewesen ist. Neben ihm
war Albani in Bologna tätig und kommt daher auch als Lehrer in
Betracht. Unter ihren Schülern ist kein einziger Meister ersten Ranges.
Die technische Meisterschaft und die Fähigkeit, alles darzustellen,
verführt sie zu nachlässiger und rascher Produktion. Infolgedessen
geben sie sich keine Mühe, weder in der Komposition, noch im
Ausdruck, noch im Kolorit. Sic wiederholen und übertreiben das
Pathos des Guido; sie eifern ihm auch im Kolorit nach, erzielen
einen bestimmten faden gelblichen Ton. der den Goldton darstellen
soll. Ich erwähne nur einige, die auch im Hofmuseum in Wien
vertreten sind. Kein Bild, das recht zum Genüsse einladen würde.
Am ehesten noch eine Madonna mit dem hl. Franciscus, dem
Simone Cantarini zugeschrieben (nach einem Guido in Peters-
burg). Was sonst von Cantarini vorhanden ist, fällt daneben stark
ab. Er ist nur tüchtig in engster Anlehnung an Guido, mit dem er
schon zu Lebzeiten gelegentlich verwechselt wurde. Dann sind
Bilder von Sementi Vermählung der hl. Katharina, geradezu
häßliche Typen darauf, ferner von Gessi, der eine Zeitlang Lieblings-
schülcr des Guido gewesen war, ein Morpheus und Halkyone,
kaum des Anschauens wert. Ferner von Elisabetta Sirani, deren
Vater auch Maler (unmittelbarer Guido-Schüler) gewesen ist, eine
Maria und Martha, dann ein Anton von Padua mit dem Christ-
kind, visionär, liebenswürdig durch den knabenhaften Zug im Anton.
Die drei albanischen Engelsgattungen, der orientalische Teppich bei
- 200 -
Sirani beliebt. Aber die Auffassung des Murillo, eines Realisten, ist
ganz anders packend. Das Interessanteste daran ist für mich wenig-
stens der orientalische Teppich auf dem Tische. Ferner Canlassi
oder Cagnacci, von dem mehrere Bilder in Wien sind: erklärlich,
weil er Hofmaler Leopolds I. in Wien gewesen ist, 1681 hier gestorben.
Ein größeres Bild ist die Kleopatra mit mehreren Figuren, die
neugierig um die Gebissene herumstehen, die Auffassung wirkt
direkt komisch. Versagt schon im Ausdruck, den die unmittelbaren
Carracci-Schüler so nachdrücklich betont und in der Regel auch
getroffen haben. Magdalena mit dem Kopf einer alten Jungfer,
von der es höchst überflüssig ist, daß sie den Oberkörper ent-
blößt. Zeigt, mit wie Geringem man sich damals in Wien zufrieden-
gab, eröffnet traurigen Ausblick auf den Stand der heimischen
Malerei nach dem Dreißigjährigen Kriege.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat Bologna
wenigstens einen Meister hervorgebracht, der sich durch eine be-
stimmte Gewissenhaftigkeit ausgezeichnet hat, zum Unterschiede von
den Schnellmalern der Zeit: Carlo Cignani, gestorben erst 1719,
vom Papst zum Conte erhoben (was in Italien nicht gar viel be-
deuten will). Das Bedeutendste sind Fresken im Dome zu Forli. Ein
Schüler von ihm ist Marc Antonio Franceschini, von dem zahl-
reiche Bilder im Hofmuseum und bei Liechtenstein existieren. Seine
Wirksamkeit fällt zum großen Teil erst in die Zeiten des Aufschwunges
der habsburgischen Monarchie am Anfang des 18. Jahrhunderts.
Daher sind so viele Bilder von ihm nach Österreich gekommen.
Das sind jene Namen der späteren Bologncsen, die am
häufigsten aufstoßen.
DER NATURALISMUS.
Wie schon der Name besagt, wollen sie die Natur malen, wie
sie ist, d. h. so, wie sie dieselbe sahen oder zu sehen glaubten.
Natürlich meinten sie darunter das optische Sehen, das aber bei
ihnen, wie bei allen Italienern, immer noch wesentlich körperliche
Elemente mitenthielt, das immer ein mehr oder minder subjektives
ist. Also zum ersten Mal das offene Einbekenntnis des bewußten
Subjektivismus, und zwar des optischen: daher sind sie Koloristcn
und sehen die Dinge als farbige Erscheinungen, nicht bloß als
Körper. Hand in Hand damit geht die offene Verachtung aller
übrigen Malweisen, aller vergangenen sowohl als aller gleichzeitigen.
Der Naturalismus ist das einzig Richtige. Er bricht alle Brücken
hinter sich ab. Sie glaubten von der historischen Entwicklung der
Malerei in Italien ganz abschen zu können. Das scheidet sie von
den Bolognesen. Die Carracci verehren noch immer die großen
Cinquecentisten, sie hassen nur die Manieristen. Aber ihr Ehrgeiz
ist, die Linienführung Raffaels mit der Farbe Tizians zu vereinen.
Den Naturalisten ist das eine wie das andere gleichgültig. Sie
bekümmern sich nicht um die herkömmlichen Schönheitstypen,
die von der tastbaren Begrenzung der Teile unzertrennbar sind:
die Figuren nehmen sie von der Straße und malen dieselben, wie
sie eben aussehen, ohne sich um die von Raffael und anderen
geschaffenen Schönheitstypen zu kümmern. Der Vorwurf wurde ihnen
gemacht: ohne Modell treffen sie überhaupt nicht einen Menschen
zu zeichnen. Sie kümmern sich auch nicht um die herkömmlichen
Stoffe; sie sind wohl Historienmaler, aber von Haus aus sind sie
eher Genremaler. Als Koloristcn arbeiten sie hauptsächlich in
Ölgemälden (Tafelmalerei), nicht im Fresko. Schon Baglione und
Bellori haben darauf hingewiesen: Caravaggio hat niemals ein
Fresko angerührt, und auch seine Nachfolger haben sich ablehnend
dagegen verhalten. Das wurde ihnen als Bequemlichkeit vorgeworfen,
- 202 -
lieg! aber doch tiefer. Auch in der Farbengebung bilden sie
etwas eigenes aus; von Haus aus konnten sie freilich darin nicht
selbständig sein, sondern mußten so malen, wie es ihnen gelehrt
wurde. Aber in der Folge bilden sie auch eine eigene Farben-
gebung aus, die für ihre schroffe naturalistische Auffassung am ent-
sprechendsten scheint. Sie stehen den Venezianern nahe, dann aber
emanzipieren sie sich von ihnen, weil sie Schatten brauchen, und
bilden nun die Gegensätze von Licht und Schatten in einer Weise
aus. wie sie in der italienischen Malerei nicht ihresgleichen findet.
Endlich kümmern sie sich oft nicht um den Aufbau der Komposition.
Freilich gerade darin konnten sie die große Vergangenheit nicht
leugnen. Aber von Caravaggio gibt es Bilder, die ganz unsymme-
trisch aufgebaut sind (Grablegung im Vatikan). Daß es überhaupt bei
einem Italiener möglich war, ist schon zu verzeichnen!
Diese Gegensätze von Licht und Schatten nähern sie aber nicht
den Nordländern, sondern entfernen sie von ihnen. Der Grund ist
dunkel, ohne alle Reflexe, und die Figuren springen in metallischer
Schärfe, in taktischer Begrenzung aus dem Grund heraus, und ebenso
sind die einzelnen Teile aus dem Dunkel heraus modelliert Daher
heißen sie die Tenebrosen. Es sind ihrer verhältnismäßig nicht viele,
die man als reine Naturalisten bezeichnen kann; beeinflußt aber haben
sie die ganze folgende Malerei des 17. Jahrhunderts. Ich erinnere
nur an Guido, der eine Zeitlang den Caravaggio nachgeahmt hat.
Die ganze neapolitanische Schule ist wesentlich von Caravaggio ab-
hängig. Dem Durchschnittsitalicner stand seine historisch gewordene
Kultur ungeheuer hoch; er hätte sie nicht gerne preisgegeben. Daher
haben alle Literaten, alle Kunstschriftstellcr des 17. Jahrhunderts
die Naturalisten mit Worten verabscheut; offenbar, weil sie in be-
wußten Gegensatz zu der gewordenen Kultur und namentlich zur
glorreichen Kunst des Cinquecento getreten waren. Baglione, der
um 1640 schrieb, hielt ihren Einfluß bloß für einen schädlichen.
Bellori dagegen, der Klassizist, um 1680, gibt offen zu, daß sie auch
etwas Gutes, als Reaktion gegen den Manierismus, stifteten; es hat
ihm die Erkenntnis aufgedämmert, daß sie die eigentlichen Bahn-
brecher des Fortschrittes gewesen sind, aber im Grunde sind sie
ebenso extreme Übertreiber wie die Manieristen nach der anderen
Seite. Der Maler, der hier den Anfang gemacht hat, mußte fast mit
- 203 -
Naturnotwendigkeit ein ungebildeter Mensch sein, dem die Kultur-
vergangenheit gleichgültig war. weil er sie nicht kannte. Aber zu-
gleich ein Genie, das andere, Gebildete, mit sich mitzureißen gewußt
hat, durch die Art und Weise, wie er seine originelle Auffassung
in die Tat umgesetzt hat. Das trifft zu bei dem Bahnbrecher:
Michelangelo da Caravaggio. Ein ungebildeter Mann, aber ein Genie.
Michelangelo Merigi, genannt Caravaggio, geboren 1569
in Caravaggio im Bergamaskischen, also auch ein Maestro Comacino.
Er war ein Maurer von Haus aus und mußte in Mailand für die An-
streicher Mörtel bereiten und Farben mischen: es gelüstete ihn.
selbst Anstreicher und Maler zu werden. Von einem Lehrer wußte
man nichts, er war offenbar Autodidakt. Das erklärt vieles an seiner
Richtung. Ohne erlernte Kenntnis von der großen Tradition malt
er, was er mit seinen Augen sieht, und die Leute nahmen es willig
an, weil die realistische Strömung in der Zeit lag. Nur das Kolorit
war zu erlernen, und das geschah am besten Ort. Er kommt dann
flüchtig nach Venedig, wo er die Koloristen kennen lernt. Er fühlt
einen verwandtschaftlichen Zug zu ihnen, namentlich zu Giorgione,
wie berichtet wird. Darauf taucht er um 1600 in Rom auf. Er kümmert
sich nicht um Raffael und nicht um die antiken Statuen, sondern
malt unbekümmert seine Naturdinge. Ein komischer Zufall führt ihn
in die Werkstatt des Cavaliere d'Arpino, der ihn für die Darstellung
untergeordneter Dinge (Pflanzen, Früchte) verwendet; für sein
manieriertes Historienfresko konnte er natürlich den ungebildeten
Lombarden nicht brauchen. Caravaggio lief ihm davon, weil er
durchaus Figuren malen wollte. Dann soll er auf eigene Faust sich
versucht haben, wozu ihn ein geriebener Kunsthändler veranlaßt zu
haben scheint. Bei Baglione ist interessant zu lesen, wie man sich
das vorgestellt hat. Es heißt: er habe Dinge im Spiegel porträtiert (um
sie so in eine Bildebene zu bringen). Bacchus mit Weintrauben:
Naturstudie. Dann einen Knaben, der von einer Eidechse gebissen
wird und schreit; namentlich das Schreien soll drastisch gewesen
sein, also physiognomische Studien, wie sie Rembrandt so vielfach
vorgenommen hat. Er fand auch einen kunstverständigen Liebhaber,
der für den Naturalismus gestimmt war, den Kardinal del Monte,
und dieser gab ihm auch figurale Aufträge. Wir erfahren von einigen
charakteristischen Aufträgen für ihn: Konzert einiger Jünglinge;
- 204 -
in dem Bilde malte er ein Blumenglas mit Wasser, in dem sich das
Fenster und andere Dinge im Zimmer spiegelten (schon von van
Eyck versucht als Spicgclreflcxct, und über den Blumen lag der
Tau. Caravaggio selbst soll das sein Bestes genannt haben, was er
jemals gemalt hat.
Dann eine Zigeunerin, einem Jüngling weissagend, con bei
colorito. Der Stoff wiederum genremäßig. Das Kolorit dieser Zeit war
aber schlankweg das venezianische. Bellori unterscheidet sehr gut
die zwei Entvvicklungspcrioden im Kolorit des Caravaggio: 1. die
venezianische und 2. die des sogenannten Kcllcrlichtes. Die Ent-
stehung des Zigcunerinbildes wird anekdotenhaft überliefert, aber ben
trovato. Man wies ihn auf Raffael und die Antike als zu studierende
Vorbilder, er aber wies auf die Leute hin, die in der Umgebung
standen und gingen und sagte: das sind die Meister, die man nach-
zuahmen hat. Dann engagierte er die erste beste Zigeunerin und
benutzte sie als Modell für das erwähnte Bild. — Nun da haben
wir den ganzen Naturalismus des Caravaggio in stofflicher Hinsicht.
Es ist ein Modell aus dem Volke, aber ein gewähltes Modell, ein
interessantes romantisches Modell, nicht ein zechender Bauer wie
bei den Holländern Andere Bilder behandelten eine Lautenspielerin,
auch ein gewähltes Motiv, dann Falschspieler, ein romantisch-
abenteuerliches Motiv. Dem Humor sind sie nicht zugänglich; am
ehesten berühren sie sich mit dem holländischen Gesellschaftsgenre
des Dirck Hals, Picter Codde, Duystcr. Mit diesen Genrebildern
fand er Liebhaber, aber bei anderen stieß er auf Verachtung. Aber
Rom war damit nicht zu erobern, weder mit Genrebildern noch mit
dem venezianischen Kolorit. Er mußte den Übergang zu Michelangelo
herstellen, und dies tat er, indem er zu malen begann 1. pathe-
tische Historienbilder, 2. in stärkerer Modellierung der Figuren mittels
Licht und Schatten. Er verließ den venezianischen Goldton und
bildete sich sein sogenanntes Kellerlicht, indem er die Figuren
aus pechschwarzem Grunde herausspringen läßt, in greller Beleuch-
tung, die er von oben einfallen läßt. Aber die Bezeichnung
„Kellerlicht" ist keine glückliche: das Licht ist ganz und gar un-
natürlich. Statt rhythmischer Abwechslung von Licht und Schatten
(Correggio) schafft er schroffe Kontraste (die allerdings auch, nicht
der strengen Kausalität entsprechen). Der Hintergrund wird in
der Regel pechschwarz; auch die warmen Lokaltöne verschwinden.
Bcllori beschreibt das folgendermaßen: Caravaggio verließ den
früheren schlichten und weichen Ton mit wenig Farben und begann
ungemein kräftige Schatten anzuwenden, um durch das Schwarz
den Körpern Relief zu geben. Und er verrannte sich so weit in diese
Manier, daß er niemals mehr eine seiner Figuren in offenes Sonnen-
licht stellte, sondern in die bräunliche Luft einer verschlossenen
Kammer, in die er das Licht senkrecht von oben herab auf die
wichtigsten Teile des Körpers auffallen, alles übrige aber im Schatten
ließ, um dem Ganzen mit der Gewalt des Heli und Dunkel ein
kräftiges Aussehen zu verleihen. Infolgedessen auch gebrochene
Farben: nach Bellori kennt er Zinnoberrot und Azurblau nicht, er
sagte, es wäre das Gift (also Tonwirkung, Verbindung mit dem Raum).
Nun erst hatte Caravaggio seine eigene Weise gefunden und
jetzt folgten hauptsächlich religiöse Bilder, Genrebilder bildeten dann
nur mehr eine Ausnahme (ähnlich also wie bei Velazquez und
Murillo, die auch in der Lernzeit Genre malten, später nicht mehr),
aber von religiösen Bildern malt er mit Vorliebe: Emmaus (Wirts-
stube), Tomas (Naturalismus), die Magd mit dem verleugnenden
Petrus. Der offene Kampf mit Manieristen und Bolognesen ent-
zündete sich an seinen Gemälden in der Capella Contarelli in
S. Luigi de' Francesi, mit Szenen aus der Matthäuslegende; die
Decke derselben Kapelle hatte der Cavalier d'Arpino zu malen,
förmlich ein Wettkampf. Ganz Rom war für und wider. Seine An-
hänger priesen es als das neue Evangelium der Kunst. Natürlich
fühlten sich namentlich die Manieristen zu Tode getroffen. Federigo
Zuccaro war noch am Leben. Baglione erzählt uns, er wäre nach
der Kirche gekommen und hätte gefragt: was gibt's denn da für
Lärm? Schaute sich die Bilder an und sagte: das ist nichts anderes,
als was man ohnehin schon lange kennt: Giorgione. Dann zuckte
er lächelnd die Achseln, sagte, er begreife den Lärm nicht, und ging
hinaus. Andere warfen ihm vor, daß er nur schmutzige Fußsohlen
und zerrissene schäbige Mützen und dergleichen malen könne. Es
passiert ihm daher wiederholt, daß ihm Bilder in den Kirchen
zurückgewiesen wurden, aber er fand dafür immer wieder sofort
Abnehmer. Er tat seinerseits das Möglichste, um den Streit zu ver-
schärfen ; er war eine höchst selbständige und schroffe Natur. Er
- 206 -
sprach abfällig über alle anderen Maler, lebende und tote. Er selbst
habe alle übertroffen. Dagegen wendeten ihm die Gegner ein, er
habe die Malerei ruiniert (diese Wendung hört man auch heute).
Aber es half alles nichts, Baglione selbst muß zugestehen, daß ihm
einzelne Köpfe teurer bezahlt wurden als anderen große vielfigurige
Historien.
Zu dieser eigentümlichen, oft bis zur Unheimlichkeit ge-
steigerten Beleuchtung kommt noch ein weiteres, den Ausdruck
Betreffendes: hat er früher Figuren aus dem Leben, aus dem Kreise
gegenständlich unbedeutender Beschäftigungen genommen, so, wie
sie sich eben darboten, so beginnt er jetzt zu wählen. Er sucht
absichtlich nach charakteristischen Gestalten, die von einem all-
gemeinen Schönheitstypus möglichst weit entfernt waren. Das Indi-
vidualisieren gelingt ihm dabei weit weniger wie den Niederländern:
dazu war er eben zu sehr Italiener. Daher bemerken wir oft das Ge-
meine daran, ohne durch das künstlerische Moment des echt Charakte-
ristischen versöhnt zu werden. Wir Nordländer verbergen das Ge-
meine, wenn es uns als eine Naturnotwendigkeit erscheint: der
Maler muß also die Kraft haben, es so erscheinen zu lassen. Ferner
folgt er den Anforderungen der Zeit durch Darstellung eines ge-
steigerten Pathos. Dieses Pathos ist niemals unecht, immer packend,
häufig ergreifend, aber oft wirkt es in Verbindung mit der un-
heimlichen Beleuchtung und den wilden Gesichtstypen abstoßend.
Die wichtigsten Werke seiner zweiten Manier sind Altar-
bilder, das berühmteste darunter ist die Grablegung im Vatikan.
Vor allem fällt schon der einseitige, völlig asymmetrische Auf-
bau der Szene auf. Unter den Gesichtstypen ist keiner, an dem
man reine Freude empfände; den Bewegungen fehlt fast vollständig
jede Anmut. Die Färbung ist düster und bräunlich, mit einzelnen
scharf beleuchteten Stellen; nichtsdestoweniger verfehlt das Bild
nicht den Eindruck: der ausgedrückte Schmerz, das Pathos ist wahr
und echt und wirkt erschütternd auf den entsprechend gestimmten
Beschauer. Kein theatralisches Händeringen, Klagen, Ohnmächtig-
werden (unkünstlerisch), sondern mehr verhaltener Schmerz, den
muß der Künstler selbst gefühlt haben.
Ein vortreffliches Bild dieser Richtung, allerdings nicht in der
schärfsten Fassung, besitzt das Hofmuseum in Wien, Madonna
- 207 —
del Rosario. Madonna mit Heiligen Rosenkränze verteilend, Volk
dieselben entgegennehmend. Die Beleuchtung düster, aber nicht
gerade Kellerlicht. Die Farbenwahl dafür charakteristisch. Die Madonna
ein Weib aus dem Trastevcre. Sic ist unter dem Volke, nicht dar-
über, wie bei Domenichino. Das Bezeichnendste sind aber die
Volkstypen, namentlich einer, der dem Beschauer den Rücken und
seine Fußsohlen zeigt, und zwar voll Schmutz, wie es der Realismus
verlangte. Das Bild war früher in Antwerpen, wohin es durch
Rubens gekommen ist. Schon Bellori berichtet, daß es bei den Zeit-
genossen großes Aufsehen erregt hat.
Im Jahre 1606 fand ein unglücklicher Streit statt, in welchem
Caravaggio seinen Gegner tötete. Wie in seiner Kunst, war er auch
im Privatleben einsam und unnahbar, jähzornig und von düsterer
Stimmung, leidenschaftlich, stolz und durch Widerspruch tief erbittert.
(Schon aus Mailand soll er eines Raufhandels halber nach Venedig
flüchten haben müssen.) Er ließ sich zunächst in der Nähe von Rom
nieder und hätte hier seine Begnadigung ruhig abwarten können,
aber es zog ihn nach Neapel, offenbar weil er empfand, daß für
seine Richtung dort ein ganz besonders empfänglicher Boden wäre.
Für Untcritalicn ist er auch höchst bedeutsam geworden,
denn die neapolitanischen und sizilianischen Meister haben seine
Eigenart begierig übernommen; diese scheint ihnen mehr zugesagt zu
haben als diejenige der Bolognesen. Schon Bellori stellt es so dar,
daß die maßgebenden Neapolitaner Maler des 17. Jahrhunderts von
Caravaggio ihren Ausgang genommen haben. Von dort kam er nach
Malta, wo er den Großmeister gemalt hat, ein vortreffliches Porträt
im Louvre. Auch von dort mußte er wegen eines Auftrittes mit
einem vornehmen Ritter flüchten. Nach weiteren Fährlichkeiten in
Unteritalicn erlangte er 1609 die Erlaubnis vom Papste, nach Rom
zurückzukehren, durch den Kardinal Gonzaga vermitielt — man
sieht, wie hohe Gönner er fortwährend gehabt hat: Kardinäle, dann
den Marchese Giustiniani ■ — , wird dabei in ein unglückseliges
Abenteuer verwickelt, wodurch er um seine ganze Habe kommt,
und stirbt fieberkrank zu Porto Ercole an der pontinischen Küste,
bevor er Rom erreichen kann, 1609, im selben Jahre, da Annibale
Carracci zu Rom geendet hat.
REGISTER.
Agnolo, Baccio d':
Florenz, Pal. Bartolini, 68.
Albani, Francesco:
Dresden, Galerie, Erschaffung der
Eva, 194.
Florenz, Pitti, Christus seiner
Mutter erscheinend, 194.
Mailand, Brera, Raub der Proser-
pina, 193.
Paris, ouvre, Christus und Mag-
dalena, 195.
,. „ hl. Franciscus, 193.
,, ,. Verkündigung, 194.
Rom, Oal. Borghese, Toilette der
Venus, 193.
Kapitol, Galerie, Magdalena
als Büßerin, 193.
„ Pal. Torlonia (Verospi),
Deckenfresken (Aurora), 192.
Alberti, Leone Battista:
Man tu a, S. Andrea. 111.
Armenini, Gio. Battista:
Dei veri precetti della pittura, 93.
Arpino, Cavalier d' (Gius. Cesari): 155.
Baglione, Giovanni:
Le vite de' pittori, scultori ed archi-
tetti, dal pontificato di Grego-
rioXHIdel 1572, in fino a' tempi
di Urbano VIII nel 1642, 18.
Baldinucci, Filippo:
Vita del Cavaliere Gio. Lorenzo
Bernino, scultore, architetto e
pittore, 26.
Baroccio, Federigo:
Rom. Vatikan, Pinakothek, S. Miche-
lina, 156.
» ,. Pinakothek, Verkün-
digung, 156.
Bcgarelli, Antonio: 152.
Bellori, Giovanni Pietro:
Le vite de' pittori, scultori ed archi-
tetti moderni, 20.
Bernini, Domenico:
Vita del Cav. Gio. Lorenzo Bernino
suo padre, 29.
Bernini, Pietro:
R o m, S. Maria Maggiore, Karyatiden
und Papstkrönung (Relief» am
Grabmal Clemens' VIII., 151.
Bologna, Pinakothek:
Carracci, Agostino, letzte Kom-
munion des hl. Hierony-
mus, 168.
,, Lodovico, Madonna mit
den Heiligen Franz, Do-
minicus. Clara und Mag-
dalena, 166
,, Lodovico, Madonna auf
dem Halbmond mit den
Heiligen Franz und
Hieronymus, 167.
Domenichino, Marter der hl.
Agnes, 187.
„ Madonna del
Rosario, 188.
Tod des hl. Pe-
trus Martyr.189.
Rcni, Guido. Bethlehemit Kinder-
mord, 178.
„ Kreuzigung, 182.
Pietä, 180.
,. „ Prozessionsfahne,
181.
,, ,, Simson, 177
Bramante, Donato:
Rom, S. Peter, seine Tätigkeit am
Bau, 80.
Vatikan, Hof, 64.
Rom, sein Wohnhaus, 66.
Bresciano, Prospero:
Rom, Moses beider AcquaFelice, 131.
Brunellesco, Filippo:
Florenz, Pal. Pitti. 60.
- 209 -
Burckhardt, Jacob:
Der Cicerone, 9, 12.
Canlassi (Cagnacci), Guido:
Wien, Hofmuseum, Kleopatra, 200.
„ Magdalena,
200.
Cantarini, Simone:
Wien, Hoimuseum, ihm zugeschrie-
ben: Madonna mit dem hl. Fran-
ciscus, 199.
Caravaggio, Michelangelo:
Paris, Louvre, Porträt des Malteser-
Großmeisters, 207.
Rom, S. Luigi de' Francesi, Mat-
thäuslegende, 205.
Vatikan. Pinakothek, Grab-
legung, 206.
Wien, Hofmuseum, Madonna del
Rosario, 206.
Carracci, Agostino:
Bologna. Pinakothek, letzte Kom-
munion des hl. Hieronymus, 168.
— und Annibale Carracci:
Rom. Pal. Farnese, Fresken, 172.
Carracci, Annibale:
Dresden, Galerie, Genius des
Ruhms, 170.
„ „ Mascherone,
171.
Rom, Galleria Colonna, Der Bohnen-
esser, 170.
— und Agostino Carracci:
Rom, Pal. Farnese. Fresken, 172.
Carracci, Lodovico:
Bologna, Pinakothek, Madonna mit
den Heiligen Franz. Do-
minicus, Clara und Mag-
dalena, 166.
„ Pinakothek, Madonna auf
dem Halbmond mit den Heiligen
Franz und Hieronymus, 167.
Cavedone, Giacomo:
Wien, Hofmuseum, hl. Sebastian.
198.
Cignani, Carlo: 200.
Cigoli i Luigi Cardi):
Rom, Pal. Madama, 134.
Correggio (Antonio Allegri):
Dresden, Galerie, Madonna des hl
Franciscus, 47.
„ ., Madonna mit
dem hl. Seba-
stian, 48.
„ „ Madonna m. d.
hl. Georg, 48.
Riegl, Rom. Kunst des 16. Jahrli.
Dresden, Galerie, Heilige Nacht,
49.
Parma, Galerie, Der Tag, 53.
,, Domkuppel. 54.
Wien, Hofmuseum, Ganymed, 54.
Jo. 54.
Cronaca, Simone und Majano, Bene-
detto da:
Florenz, Pal. Strozzi, 61.
Domenichino (Domenico Zampierii:
Bologna, Pinakothek, Marter der
hl. Agnes, 187.
„ Pinakothek, Madonnadel
Rosario, 188.
„ Pinakothek, Tod des hl.
Petrus Martyr, 189
Rom. S. Andrea della Valle, Legende
des hl. Andreas, die vier Evan-
gelisten. Fresken, 189.
Galleria Borghese, Jagd der
Diana, 190.
S. Gregorio Magno, Geiße-
lung des hl. Andreas, Fresko,
185.
S. Ignazio, 143.
S. Pietro in Vincoli, Befrei-
ung Petri, 186.
Vatikan. Pinakothek, Kom-
munion des hl. Hieronymus,
187.
Dresden, Galerie:
F. Albani. Erschaffung der Eva,
194.
Ann. Carracci, Genius des Ruhms.
170.
Mascherone, 171.
Correggio, Madonnades hl. Fran-
ciscus, 47.
„ Madonna mit dem hl.
Sebastian, 48.
,, Madonna mit dem hl.
Georg, 48.
Heilige Nacht. 49.
Guido Reni, Venus und Amor, 183.
Florenz:
Pal. Bartolini von Baccio d'A-
gnolo, 68.
Biblioteca Laurenziana, Treppen-
Vorhalle von Michelangelo, 44.
Sagrestia nuova bei S. Lorenzo,
Mediceergräber von Michelangelo,
32.
Pal. Pandolfini nach einem Ent-
wurf Raffaels, 67.
Pal. Pitti von Brunellesco, 60.
- 210
Galleria Pitti, Fr. Albani, Christus
seiner Mutter erscheinend, 194.
Pal. Riccardi von Michelozzo. 61.
Pal. Ru cell ni von L. B. Albertit?)
und B. Rossellino, 61.
Pal. Strozzi. von Ben. da Majano
und S. Cronaca. 61.
Fontana, Cesare:
Neapel, Museo Nazionale (Pal de'
Studj), 132.
Fontana, Domenico:
Neapel, Pal. Reale, 132.
Rom. Acqua Feiice. 131.
Cancelleria. Portal, 62.
S. Giovanni in i_aterano,
Benediktionsloggia, 129.
,, Lateranpalast 99.
„ Lateranpalast, Fassade und
Hof, 129.
„ S. Maria Maggiore. Capella
del Presepio, 128.
Villa Montalto, 128.
Aufstellung des Obelisken vor
S. Peter, 98.
Entwurf für einen Langhaus-
bau von S. Peter. 128.
Fontana, Giovanni:
Rom. Acqua Paola. 131
Franceschini, Marc Antonio : 200.
Frangipani, Mario:
Leiter bei der Konservierung römi-
scher Altertümer, 97.
Frascati :
Villa Aldobrandini von G. della
Porta, 124.
Fraschetti, Stanislao:
II Bernini, 10.
Gessi, Francesco:
Wien, Hofmuseum, Morpheus und
Halkyone, 199.
Greca, Vincenzo della :
Rom. S. Domenico e Sisto, 1-14
Guercino (Giov. Francesco Barbieri):
Rom. Kapitol. Galerie, hl. Petro-
nella, 196.
Casino Ludovisi, Fresken
(Aurora), 196.
Wien. Hofmuseum. Der verlorene
Sohn, 195.
Guriitt, Cornelius:
Geschichte des Barockstiles, 12.
Janitschek, Hubert:
Die Malerschule von Bologna in
Dohrnes Kunst und Künstler.
II Abt.. III Bd., 9.
Landini, Taddeo :
Rom. Fontana delle Tartarughe. 130.
Lanfranco, Giovanni:
Rom. S. Andrea della Valle, Kup-
pelfresken (Himmelfahrt
Marine i. 198.
„ Villa Borghese, Fresken
(Olymp), 198.
Lippi, Annibale:
Rom, Villa Medici, 126.
Lombardo, Carlo:
Rom, S. Francesca Romana. ihm
zugeschrieben. 144
Longhena, Baldassare:
Venedig, Pal. Pesaro. 71.
Pal. Rezzonico, 71.
Lunghi, Martino d. A.:
Rom, Hof des Pal. Altemps. ihm
zugeschrieben. 133.
Pal. Borghese. 133
Chiesa Nuova (S. Maria in
Vallicella), Fassade. 132.
Maderna, Carlo
Rom, S. Andrea della Valle, 142.
„ Pal. Barberini, Entwurf. 142.
Fontänen vor S. Peter, 141.
S. Francesca Romana. ihm
früher zugeschrieben. 144
Pal. Mattei. Hof, 142.
S Peter. Langhaus und Fas-
sade, 134.
„ S. Susanna, Fassade, 135.
Majano, Benedetto da und Cronaca,
Simone:
Florenz, Pal. Strozzi, 61.
Mailand, Brera:
Fr. Albani, Raub der Proserpina.
193
Malvasia, Conte Carlo Cesare:
Felsina pittrice. Vite de' pittori bo-
lognesi, 30.
Manetti, Giovenale:
Leiter bei der Konservierung römi-
scher Altertümer, 97.
Mantua:
S. Andrea von L. B. Alberti, 111.
Pal. del Te von Giulio Romano.
69.
Mazzoni, Guido: 152.
Michelangelo Buonarroti:
Florenz. Sagrestia nuova bei S.
Lorenzo, Mediceergrä'ber.
32.
Treppenvorhalle der
Biblioteca Laurenziana. 44
Rom, Pal Farnesc. von ihm voll-
endet, 72.
Kapitolinische Bauten, 74.
„ Konservatorenpalast. 76.
S. Maria degli Angeli. Ent-
wurf, 88.
S. Peter, seine Tätigkeit an
dessen Bau, S3.
S. Pietro in Vincoli, Moses,
39
Sapienza. angeblich an deren
Bau tätig, 122.
Senatorenpalast, 75.
Capella Sistina, Jüngstes Ge-
richt. 40.
Capella Sistina. Propheten
und Sibyllen, 39.
Michelozzo, Michelozzi:
Florenz, Pal. Riccardi, 61.
Modena:
Pal. Ducale, Guido Reni, Cruciiixus,
182.
Neapel:
Dom. Capella del Tesoro, Fresken
von Domenichino, 185.
Museo Nazionale (Pal. de' Studj)
von Cesare Fontana. 132.
Pal. Reale von Dom. Fontana, 132.
OH vieri, Pietro Paolo:
Rom. S. Andrea della Valle. 142
Padua:
Universität, Hot von Sansovino,
70.
Palladio, Andrea:
Venedig, S. Giorgio Maggiore. 90.
Redentore, 90.
Vicenza, Basilika, 71.
,, Pal. Chieregati, 71.
Pal. Valmarana, 71.
Paris, Louvre:
Alb an i. Fr.. Christus und Magda-
lena. 195
hl. Franciscus, 193.
Verkündigung, 194.
Caravaggio. Michelang.. Porträt
des Malteser-Großmeisters. 207.
Parma:
Correggio. Fresken der Dom-
kuppel. 54.
Galerie, Correggio. DerTag, 53.
Passen', Giovanni Battista:
Vite de' pittori, scultori ed architetti
che anno lavorato in Roma,
morti dal 1641 fino al 1673, 27.
Peruzzi, Baldassare:
Rom, Pal Massimi alle Colonnc,
69.
Piacenza:
Pal. Farnese von Vignola, 106.
Porta, Giacomo della:
Frascati. Villa Aldobrandini. 124.
Rom, S. Caterina de' Funari, an-
geblich von Porta, 116.
Pal. Chigi. 123.
Ausbau des Pal. Farnese. 121.
Gesü, Fassade. 116
S. Luigi de' Francesi, Fas-
sade. 120.
Pal. Paluzzi. 123.
S. Peter, seine Tätigkeit am
Bau, 88.
Sapienza. 122
Pal Serlupi, 123.
Porta, Guglielmo della:
Rom. S. Peter, Grabmal Pauls III .
146.
Raffael:
Leiter der römischen Altertunisaus-
grabungen. 96.
Florenz, Entwurf zum Pal. Pan-
dolfini, 67.
Rom, S. Peter, seine Tätigkeit am
Bau, 83
Rainaldi, Carlo:
Rom. S. Andrea della Valle. Fas-
sade. 143.
Reni, Guido:
Bologna, Pinakothek, Betlehemiti-
scher Kindermord. 178.
Pinakothek, Kreuzigung.
182.
Pietä. ISO.
Prozessions-
fahne, 181.
Simson, 177.
Dresden, Galerie, Venus u. Amor,
183
Modena, Pal. Ducale, Cruciiixus,
182.
Rom, Galleria Corsini, hl. Magda-
lena, 183.
S. Gregorio Magno, Andreas-
kapelle, Gang des hl. Andreas
zum Richtplatz, Fresko. 179.
S Gregorio Magno. Silvia-
kapclle, Engelskonzert, Fresko,
179
Kapitol. Galerie, hl. Magda-
lena, 183.
14*
- 212 -
Rom, Kapitol. Galerie, hl. Seba-
stian, 183.
Casino Rospigliosi, Aurora.
Fresko, 179.
Rom:
Acqua Felicc von Dom. Fontana,
131.
mit dem Moses
von Prospcro Bresciauo. 131.
Acqua Paola von Giov. Fontana,
131.
Fontänen vor S. Peter von C.
Maderna, 141.
Fontana delle Tartarughe von Tad-
deo Landini, 130.
S. Agostino. 115.
S. Andrea della Valle, von P. P.
Olivieri gebaut, von C.
Maderna fortgesetzt,
142.
Fassade von C. Rai-
naldi. 143.
,, Kuppelfresken (Himmel-
fahrt Mariae) von Giov.
Lanfranco, 198.
„ Legende des hl An-
dreas, die vier Evange-
listen, Fresken von
Domenichino, 189.
Anima, IIb
S. Caterina de' Funari, angeb-
lich von Giac. della Porta, 116.
Chiesa Nuova (S. Maria in Valli-
cella), Fassade von Martino Lun-
gin d. Ä.(?) oder Fausto Rug-
heri(?), 132.
S. Domenico e Sisto von Vincenzo
della Greca, 144.
S. Francesca Romana, früher C.
Maderna zugeschrieben, jetzt C.
Lombardo, 144.
Gesii, Vignolas Tätigkeit an seinem
Bau, 107.
„ Fassade von Giac. della
Porta. 116.
S. Giovanni in Laterano, Bene-
diktionsloggia von Dom. Fon-
tana. 129.
S. Gregorio Magno, Vorhalle von
G. B. Soria, 144.
„ Andreaskapelle. Gang
des hl. Andreas zum
Richtplatz, Fresko von
Guido Reni, 179.
S. Gregorio Magno. Andreaska-
pclle, Geißelung des
hl Andreas, Fresko v.
Domenichino, 185.
„ Silviakapelle, Engels-
konzert, Fresko von
Guido Reni. 179.
S. Ignazio von Domenichino, 143.
S. Luigi de' Francesi, Fassade
von G. della Porta. 120.
„ Capella Conlarelli, Szenen
aus der Matthäuslegende
von M. Caravaggio, 205.
S. Maria degli Angeli, Michel-
angelos Entwurf, 88.
S. Maria Maggiore, Capella del
Presepio von Dom. Fon-
tana, 128.
„ Grabmal Pins' V . 150
Sixtus' V., 150.
Clemens' VIII.,
150
„ Karyatiden und Papst-
krönung (.Relief) am Grab-
mal Clemens' VIII. von
Pietro Bernini, 151.
Grabmal Pauls V., 151.
S. Maria della Pace, Hof, 65.
S. Maria della Vittoria, Fassade
von G. B. Soria, 143.
S. Peter, an seinem Bau tätig: Bra-
mante, 80. Raffael, 83. Mi-
chelangelo, 83, Vignola, 88,
Giacomo della Porta, 88.
„ Entwurf für einen Lang-
hausbau von Dom. Fon-
tana, 128.
„ Langhaus und Fassade
von C. Maderna. 134.
„ Chor, Grabmal Pauls III.
von Guglielmo della
Porta. 146.
S. Pietro in Vincoli. Moses von
Michelangelo, 39.
„ Befreiung Petri von Do-
menichino, 186.
Cap. Sistina, Propheten und Si-
byllen von Michel-
angelo, 39.
,, ., Jüngstes Gericht
von Michelangelo, 40.
S. Spirito in Sassia, angeblich
von Ant. da San Gallo, 115.
S. Susanna, Fassade von C. Ma-
derna, 135.
213
Pal. Altemps. Hof Martino Lunghi
d Ä. zugeschrieben, 133.
Pal. Barberini. Entwurf von C.
Maderna, 142.
Pal. Borgtiese von Martino Lunghi
d. Ä.. 133.
Galleria Borghese. Toilette der
Venus von Fr. Albani, 193.
Galleria Borghese. Jagd der Diana
von Domenichino, 190.
Villa Borghese, 127.
„ „ Fresken (Olymp)
von Giov. Lanfranco, 198.
Bramantes Wohnhaus, 66.
Cancelleria, Hof, 58.
„ Fassade. 62.
Portal von Domenico
Fontana. 62.
Pal. Chigi von Giacomo della
Porta, 123.
Pal. Cicciaporci von Giulio Ro-
mano. 69.
Galleria Colon na, Bohnenesser
von Ann. Carracci, 170.
Galleria Corsini, hl. Magdalena von
Guido Reni, 183.
Pal. Farn es e, von Ant. da San
Gallo begonnen,
von Michelangelo
vollendet. 72.
„ ,, Ausbau durch Vi-
gnola oder Giacomo
della Porta, 121.
Fresken von Ago-
stino und Ann. Carracci, 172.
Villa Farnesina, 67.
Orti Farnesiani von Vignola, 107.
Pal. Giraud, 63.
Kapitolinische Bauten v. Michel-
angelo, 74.
Kapitol, Galerie, Magdalena als
Büßerin, von Fr.
Albani. 193.
„ „ hl. Petronella von
Guercino. 196.
„ „ hl.Magdalenavon
Guido Reni, 1S3.
hl. Sebastian von
Guido Reni. 183.
Konservatorenpalast von
Michelangelo, 76.
Lateranpalast von Dom. Fon-
tana, 99.
„ Fassade und Hof
von Dom. Fontana, 129,
Casino Ludovisi. Fresken (Aurora)
von Guercino, 196.
Pal. Madama von Cigoli, 134.
Villa Madama, Entwurf von Raf-
fael, 69.
Pal. Massimi alle Colonne von
Bald. Peruzzi, 69.
Pal. Matt ei, Hof von C. Maderua,
142.
Villa Medici von Annibale Lippi.
126.
Villa Montalto von Dom. Fon-
tana, 128.
Pal. Paluzzi von Giacomo della
Porta, 123.
Vigna di Papa Giulio von Vi-
gnola, 103.
Quirinalpalast, 133.
Casino Rospigliosi, Aurora, Fresko
von Guido Reni, 179.
Pal. Sacchetti von A. da San
Gallo, 72.
Sapienza von Giacomo della
Porta. 122.
Senatorenpalast von Michel-
angelo, 75.
Pal. Serlupi von Giacomo della
Porta, 123.
Pal. Spada, 68.
Pal. Torlonia (Verospi). Decken-
fresken (Aurora) von Fr. Albani,
192.
Vatikan, Hof von Bramante, 64.
„ Pinakothek, Fed.Baroccio,
S. Michelina, 156.
„ Pinakothek. Fed.Baroccio,
Verkündigung. 156.
„ Pinakothek, M. Cara-
vaggio, Grablegung, 206.
Pinakothek, Domenichino,
Kommunion des hl. Hicronymus,
187.
Pal. Venezia, Hof, 58.
Fassade, 61.
Casa Zuccaro, 133.
Romano, Giulio:
Mantua, Pal. del Te, 69.
Rom. Pal. Cicciaporci, 69.
Rugheri, Fausto:
Rom, Chiesa Nuova (S. Maria in
Vallicella), Fassade angeblich von
Fagheri, 132.
Salzburg:
Dom von Scarnozzi, 71.
214
San Gallo, Antonio da:
Rom. Pal. Farnese. 72.
Pal. Sacchetti, 72.
S. Spirito in Sassia angeblich
von San Gallo, 115.
Saninicheli, Michele:
Verona, Pal. Canossa. 70
Pal. Bevilacqua, 70
Pal. Pompei (Museo), 70.
Porta Nuova. 70.
Sansovino (Jacopo Tatti):
Päd na. Hof der Universität. 70.
Ve nedig, Bibliothek v. S. Marco. 70.
Scamozzi, Yincenzo:
Salzburg, Dom. 71.
Schmarsow, August:
Barock und Rokoko, 15.
Sementi, Qiov. Giacomo:
Wien, Hofmuseum, Vermahlung der
hl. Katharina, 199.
Serlio, Sebastiano
Dell' architettura, 91.
Sirani, Elisabetta:
Wien. Hofmuseum, Anton von
Padua, 199.
Maria und
Martha, 199.
Soria, Qiov. Battista:
Rom, S. Gregorio Magno, Vorhalle,
144.
S. Maria della Vittoria. Fas-
sade, 143.
Spagnoletto, (Jusepe Ribera): 185.
Strzygowski, Josef:
Das Werden des Barock bei Raphael
und Correggio, 10.
Tiarini, Alessandra :
Wien, Hofmuseum, Kreuztragung,
199.
Tivoli:
Villa d'Este, 125.
Vasari, Giorgio:
Le vite de' piü eccellenti architetti,
pittori e scultori, 17.
Vasari als Künstler. 155.
Venedig:
Bibliothek von S. Marco von
Sansovino, 70.
S. Giorgio Maggiore von Palla-
dio. 90.
Pal. Pesaro von Longhena. 71.
Redentore von Palladio, 90.
Pal. Rezzonico von Longhena, 71.
Verona:
Pal. B e v j 1 a c q u a von Saninicheli, 70.
Pal. Canossa von Saninicheli. 70.
Pal. Pompei i Museo» von San-
inicheli. 70.
Porta Nuova von Saninicheli, 70.
Vicenza:
Basilika von Palladio, 71.
Pal. Chieregati von Palladio. 71.
Pal. Valmarana von Palladio. 71.
Vignola (Giacomo Barozzi):
regola delle cinque ordini dell' archi-
' tettura, 103.
Piacenza, Pal Farnese. 106.
Rom. Ausbau des Pal. Farnese. 121.
Orti Farnesiani, 107.
,. Gesii. 107.
„ S. Lorenzo in Daniaso, Por-
tal.-.62.
Yigna di Papa Giulio. 103.
S. Peter, Vignolas Tätigkeit
an dessen Bau, 88.
Viterbo. Schloß Caprarola, 107.
Villa Laute. 107.
Viterbo:
Schloß Caprarola von Vignola, 107.
Villa Lante von Vignola, 107.
Wien, Hofmuseum:
G. Canlassi (Cagnacci). Kleopatra.
200.
Magda-
lena, 200.
Sim. Cantarini zugeschrieben: Ma-
donna mit dem hl. Franciscus,
199.
M. Caravaggio. • Madonna del
Rosario. 206.
Giac. Cavedone, hl. Sebastian. 1"S.
Correggio, Ganymed. 54.
Jo. 54.
Fr. Gessi. Morpheus und Halkyonc.
199.
Guercino, Der verlorene Sohn,
195.
Giov. Giac. Sementi. Vermählung
der hl. Katharina. 199.
Elisabetta Sirani, Anton von Padua.
199
„ ,, Maria und Martha,
199.
Aless. Tiarini. Kreuztragung. 199.
Wölfflin, Heinrich :
Renaissance und Barock. 13.
Woltmann Alfred und Wörmann
Karl:
Geschichte der Malerei. 9.
Zuccaro, Taddeo und Federigo, 155.
Werke von llofrat Prof Dr. Alois Riegl:
Die ägyptischen Textilfunde im k. k. österreichischen Museum für Kunst und
Industrie. Wien. Waldheim. 1889. 4". Preis K 10.—.
Altorientalische Teppiche. Mit 36 Abbildungen. Leipzig, T. O. Weigel, 1891.
M. 6.-.
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zur Kunstgeschichte, Franz Wickhoff gewidmet"). Wien, Anton Schroll
& Co., 1903.
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N Riegl, Alois
6920 Die Entstehung der
R5 Barockkunst in Rom
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