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Full text of "Die Entstehung der Barockkunst in Rom; Akademische Vorlesungen gehalten von Alois Riegl, aus seinen hinterlassenen Papieren. Hrsg. von Arthur Burda und Max Dvoríak"

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DIE  ENTSTEHUNO   DER 
BAROCKKUNST  IN  ROM 


DIE  ENTSTEHUNO 


DER 


BAROCKKUNST  IN  ROM 

AKADEMISCHE  VORLESUNGEN 

GEHALTEN  VON 

ALOIS  RIEGL 


AUS  SEINEN  HINTERLASSENEN  PAPIEREN 

HERAUSGEGEBEN  VON 

ARTHUR  BURDA  UND  MAX  DVORAK 


WIEN   1908 
VERLAG  VON  ANTON  SCHROLL  &  Co. 


hl 


DRUCK  VON  FRIEDRICH  JASPER  IN  WIEN. 


(Vorrede. 


Die  begeisterte  Aufnahme.  dieRiegls  Vorlesungen  über  die  italienische 
Barockkunst  an  der  Wiener  Universität  fanden,  ermunterte  die  Heraus- 
geber, sein  Barock-Kollegienheft  zu  publizieren.  Eine  nicht  leichte  Arbeit, 
da  zwei  Umarbeitungen  die  Lesbarkeit  der  flüchtig  geschriebenen  Blätter 
erschwerten. 

Riegl  hielt  im  Wintersemester  1894  95  eine  vierstündige  Vorlesung 
über  «Kunstgeschichte  des  Barockzeitalters«.  Dann  schied  er  den  nicht- 
italienischen  Stoff  aus  und  las  im  Wintersemester  1808/99  dreistündig 
■Italienische   Kunstgeschichte   von   1550   bis   1S00«. 

Der  im  Jahre  1900  erschienene  Bernini  des  Frasche/ti  regte  mit 
seinem  reichen  Abbildungsmaterial  und  seinem  schwachen  Texte  Riegl  au. 
sich  mit  Bernini  eingehender  zu  befassen.  Er  schied  aus  seinem  dritten 
Kolleg  ■■Italienische  Kunstgeschichte  von  1520  bis  1700«,  das  er  im  Winter- 
semester 1901/02  dreistündig  las.  Bernini  ganz  ans  und  behandelte  diesen 
im  darauffolgenden  Sommersemester  in  den  kunstgeschichtlichen  Übungen, 
indem  er  Baldinuccis  Bernini  übersetzte,  kommentierte  und  seine  Werke 
kritisch  behandelte.  Dieser  I 'instand  zwang  die  Herausgeber,  den  gleichen 
Weg  zu  gehen.  Da  die  ans  dem  Win/er  1S98/99  stammende  Bearbei- 
tung Berninis  durch  Riegls  Nachprüfung  von  Fraschel/is  Buch  überholt 
war.     mußte   sie   notwendig    in    der  gegenwärtigen   Publikation     Wegfallen. 

Riegls  Bearbeitung  und  Kommentar  der  Lebensbeschreibung  Ber- 
ninis von  Baldinucci  aus  dem  Sommer  1902  hier  einzufügen,  mußte  aus 
technischen  Gründen  unterlassen  werden.  L)ie  Herausgeber  behalten  sich 
die    Veröffentlichung  dieser   Quellenstudie  an  anderem    Orte   vor. 


-     VI 

Flüchtig  hingeworfene,  ungefeilte  Notizen  sind  es,  die  der  eilenden 
Feder  Riegls  entflossen.  <>//  nur  Schlagworte,  die  Mangel  an  Raum 
und  Zeit  gebot.  Und  entbehren  sie  des  Zaubers  des  persönlichen  Vor- 
trages, der  alle  Zuhörer  gefangen  nahm,  so  bleibt  ihnen  Eines:  der  über- 
wältigende  Reichtum  an   Gedanken. 

Herrn  Dr.  Hermann  Julius  Hermann  gebührt  für  seine  wertvolle 
Mitarbeit  an   den    Korrekturarbellen   der    wärmste   Dank. 

Wien,  im  November  1007. 

CDie    (Jferausgeber. 


INHALTSVERZEICHNIS. 

Seite 

Einleitung     1 

Literatur 9 

Burckhardt  9.  Janitschek  9.    Strzygowski   10.    Fraschetti    10.    Gur- 
litt  12.  Wölfflin   13.  Dohme  15.  Schmarsow   15. 
Quellen       17 

Vasari  17.    Baglione  18.  Bellori  20.   Passeri  27.  Baldinucci  29.  Mal- 
vasia  30. 
Werden  des  Barockstiles 31 

Michelangelo  31,  Mediceergräber  32,  Moses  39,  Propheten  und 
Sibyllen,  Sixtina  39,  Jüngstes  Gericht,  Sixtina  40,  Treppen-Vorhalle 
der  Biblioteca  Laurenziana  44.  Correggio  46.  Michelangelos  Leistung 
im  Profanbau  55.  Römische  Höfe  58.  Pal.  Pitti  60.  Pal.  Strozzi  61. 
Pal.  Riccardi  61.  Pal.  Rucellai  61.  Fassade  61.  Bramante  63.  Vatikani- 
scher Hof  64.  S.  Maria  della  Pace  65.  Wohnhaus  Bramantes  66. 
Farnesina  67.  Pal.  Pandolfini,  Florenz  67.  Pal.  Bartolini,  Florenz  68. 
Pal.  Spada  68.  Villa  Madama  69.  Pal.  Massimi  69.  Giulio  Romano: 
Pal.  Cicciaporci,  Pal.  del  Te  69.  Sanmichelis  Bauten  in  Verona:  Porta 
Nuova,  Pal.  Bevilacqua,  Pal.  Canossa,  Pal.  Pompei  70.  Sansovino: 
Bibliothek  von  S.  Marco,  Venedig,  Hof  der  Universität  Padua  70. 
Palladios  Bauten  in  Vicenza:  Pal.  Chieregati,  Basilika,  Pal.  Valma- 
rana  71.  Longhena:  Pal.  Pesaro  und  Pal.  Rezzonico  in  Venedig  71.  An- 
tonio da  San  Gallo  71,  Pal.  Sacchetti,  Pal.  Farnese  72.  Kapitolinische 
Bauten  74. 
Kirchenbau 79 

S.  Peter:  Bramante  80,  San  Gallo  83,  Peruzzi  83,  Michelangelo  .83. 
S.    Maria   degli   Angeli    von    Michelangelo  88.    Palladio:    S.    Giorgio 
Maggiore  und  Redentore  in  Venedig  90. 
Baukunst  von  1550  bis  1630 91 

Serlio  91.  Armenini  93.  Konservierung  antiker  Kunstwerke  durch 
Raffael  96,  Manetti  97  und  Frangipani  97.  Wandlung  in  der  Wert- 
schätzung der  Antiken  99.   Vignola:   Vigna  di  Papa  Giulio  103.   Pal. 


-    Vlll     - 

Seile 
Farncsc  in  Piacenza  106,  Scliloß  Caprarola  und  Villa  Lante  bei  Vi- 
terbo  107,  Gcsü  107.  S.  Andrea  della  Valle  113.  Qiacomo  della  Porta: 
üesü  114,  S.  Luigi  de'  Francesi  120.  Pal.  Farnese  121.  Sapienza  122. 
Pal.  Paluzzi,  Chigi,  Serlupi  123.  Ländliche  Villa:  Villa  Aldobrandini 
bei  Frascati  124,  Villa  d'Este  bei  Tivoli  125.  Villa  suburbana:  Villa 
Media'  126,  Villa  Borghese  127.  Dom.  Fontana:  Capella  del  Presepio 
128,  Villa  Montalto  128,  Lateranpalast  129,  Acqua  Feiice  131,  Acqua 
Paola  131,  Pal.  Reale  in  Neapel  132.  Martino  Lunghi  d.  A.:  Chiesa 
Nuova,  Fassade  132,  Pal.  Borghese  133,  Pal.  Altemps,  Hof,  133.  Casa 
Zuccaro  133.  Cigoli  134.  Carlo  Maderna  134:  S.  Susanna  135,  Lang- 
haus und  Fassade  von  S.  Peter  136,  Pal.  Barberini  142.  S.  Andrea 
della  Valle  142.  Domenichino:  S.  Ignazio  143. 

Die  Skulptur  der  Gegenreformationszeit 146 

Guglielnio  della  Portas  Grabmal  Pauls  III.  146.  Die  vier  Papstgrab- 
mäler  in  S.  Maria  Maggiore  150. 

Die  Malerei  der  Gegenreformationszeit 153 

Die  Manieristen:  Vasari  155,  die  Zuccaro  155,  Cavalier  d'Arpino 
155,  Baroccio  156.  Künstlerromfahrten  157.  Akademien  157.  Theoreti- 
sieren  158.  Die  Carracci  163.  Die  Schule  der  Carracci:  Guido  Rem" 
175,  Domenichino  184,  Fr.  Albani  191,  Guercino  195,  Lanfranco  197, 
Cavedone  198,  Tiarini  etc.  199. 

Der  Naturalismus 201 

Michelangelo  Caravaggio  203. 


EINLEITUNG. 

Als  an  den  deutschen  Universitäten  die  ersten  Lehrstühle  für 
Kunstgeschichte  gegründet  wurden,  vor  etwa  50  Jahren,  gab  es  nur 
zwei  schlechtweg  mustergültige  Stile,  auf  deren  Darlegung  der  kunst- 
gcschichtliche  Unterricht  begründet  wurde:  die  klassische  Antike 
und  die  italienische  Renaissance.  Die  mittelalterliche  Kunst  wurde 
als  unvollkommene,  aber  berechtigte  Vorstufe  der  Renaissance 
behandelt.  Nach  der  italienischen  Renaissance  ließ  man  sofort  den 
Verfall  der  Kunst  beginnen.  Im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  hat 
sich  nun,  parallel  mit  der  Entwicklung  in  der  modernen  Malerei, 
ein  Umschwung  angebahnt:  man  erkannte  in  der  Kunst  des  17.  Jahr- 
hunderts eine  Vorstufe  der  modernen  Kunst,  und  begann  auch  von 
seifen  der  Forschung  dem  Rubens,  Rembrandt,  Vclazqucz  näher  zu 
treten.  (Liebhaber  für  dieselben  hat  es  immer  gegeben.)  Man  begann 
auch  von  den  Gegensätzen  zwischen  romanischer  und  germanischer 
Kunst  zu  sprechen,  und  sollte  meinen,  daß  die  deutschen  Forscher 
die  entdeckte  germanische  Kunst  zur  Grundlage  des  Unterrichtes 
machen  würden.  Wie  steht  nun  die  Sache  heutzutage?  Liest  man  die 
Vorlesungsverzeichnisse,  so  fällt  auf,  daß  so  viele  Vorlesungen  über 
moderne  Kunst  gehalten  werden.  Was  aber  den  Unterricht  in  der 
alten  Kunst  betrifft,  so  ist  derselbe  noch  immer  wesentlich  auf  die 
klassische  Antike  und  die  italienische  Renaissance  begründet,  also 
auf  diejenigen  Stile,  die  gerade  dem  spezifisch  Germanischen  am 
fernsten  liegen.  Liest  man  die  kunsthistorischen  Zeitschriften,  so  fällt 
auf,  daß  sich  die  Mehrzahl  der  jungen  Forscher  mit  Themen  aus  dem 
italienischen  Quattrocento  und  Cinquecento  beschäftigt.  Das  hat  freilich 
auch  einen  äußeren  Grund.  In  der  italienischen  Malerei,  die  grund- 
sätzlich auf  Darstellung  von  Handlungen  ausgeht,  spielt  das  Ikono- 
graphische  immer  eine  große  Rolle:  das  heißt  dasjenige,  was  das  Bild 
darstellt,    der   gegenständliche    Inhalt.    Über    diesen    läßt    sich    viel 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  1 


reden,  und  so  empfiehlt  sich  die  italienische  Renaissance  geradezu 
Anfängern  für  ihre  Stilübungcn.  Aber  im  allgemeinen  liegt  die  Ur- 
sache für  die  fortdauernde  Bevorzugung  der  italienischen  Renaissance 
an  den  Universitäten  doch  tiefer. 

Es  ist  die  richtige  Empfindung,  daß  die  sogenannte  „germanische" 
Kunst  immer  nur  dann  einen  großen  Schritt  nach  vorwärts  getan  hat, 
wenn  sie  vorher  etwas  von  den  romanischen  Eigentümlichkeiten  in 
sich  aufgenommen  hat.  (Analog  dem  Prozeß  im  Altertum:  das 
treibende  Element  sind  die  Griechen  gewesen,  aber  jede  neue  Stufe 
der  Entwicklung  ist  gekennzeichnet  durch  vorausgegangene  Aufnahme 
orientalischer  Elemente.  Liegt  daran,  daß  die  Indogermanen  im 
Grunde  den  bildenden  Künsten  passiv  gegenüberstehen:  Inder, 
Piaton,  die  Mystiker.)  Die  deutschen  Forscher  haben  die  Empfindung, 
daß  sie  gerade  von  der  italienischen  Kunst  etwas  lernen  können, 
das  ihnen  die  eigene  nationale  Kunst  nicht  bietet.  Gerade  weil  uns 
die  italienische  Kunst  fremd  ist,  zieht  sie  uns  als  Problem  an  und 
reizt  uns  immer  aufs  neue,  ihren  verborgenen  Kräften  und  Quellen 
nachzuspüren;  liegen  doch  in  der  italienischen  Kunst  die  Wurzeln 
der  nationalen,  ist  sie  doch  die  einfachere  Erscheinung  gegenüber 
der  komplizierteren  abgeleiteten  nordischen. 

Und  merkwürdig!  Dieses  Interesse  für  die  italienische  Kunst  er- 
streckt sich  durchaus  nicht  auf  alle  ihre  Perioden  (vom  13.  bis  zum 
18.  Jahrhundert  spielt  die  italienische  Kunst  eine  Weltrolle);  sondern 
es  bricht  plötzlich  ab  mit  dem  Ende  der  Renaissance.  Lionardo, 
Raffacl,  Michelangelo,  Correggio,  die  Venezianer  des  16.  Jahrhunderts 
und  ihre  engeren  Schüler  interessieren  uns  noch,  aber  was  darauf 
gefolgt  ist  und  was  man  den  Barockstil  nennt,  dafür  hat  weder  der 
deutsche  Forscher  noch  der  deutsche  Liebhaber  ein  Interesse. 
Warum?  Weil  diese  spätere  italienische  Kunst  Elemente  der  nordischen 
Entwicklung  in  sich  aufgenommen  hat,  nämlich  in  der  Auffassung: 
gesteigerte  Empfindung,  in  der  formalen  Wiedergabe:  gesteigerte 
subjektiv-optische  Aufnahme.  Das  klingt  paradox.  Man  sollte  doch 
glauben,  daß  sie  unserem  Interesse  dadurch  näher  gerückt  worden 
wäre.  Aber  das  Gegenteil  ist  der  Fall.  Dadurch,  daß  diese  Kunst  zum 
Teil  unserem  Empfinden  entgegenkommt,  fällt  es  uns  nur  um  so 
störender,  widerspruchsvoller  auf,  daß  der  andere  Teil  unserem 
Empfinden    nicht    entspricht.    In    der    Renaissance    ein  grundsätzlich 


-     3     - 

Fremdes,  aber  in  sich  Harmonisches;  in  der  italienischen  Barockkunst 
ein  zum  Teil  uns  Verwandtes,  aber  in  sich  widerspruchsvoll  Er- 
scheinendes. (Ähnlich  steht  es  mit  der  Diadochcnkunst  und  der 
spätrömischen  im  Gegensatz  zur  klassischen.) 

Was  heißt  Barockkunst?  Auf  Etymologie  des  Wortes,  die  ver- 
schiedentlich erklärt  wird,  ist  nicht  einzugehen.  Der  Sinn,  den  wir 
damit  verknüpfen,  ist  klar:  wunderlich,  ungewöhnlich,  außer- 
ordentlich. Das  Außerordentliche  schlechtweg  ist  aber  auch  Ziel  aller 
klassischen  und  romanischen  Kunst,  auch  der  Renaissance,  im  Gegen- 
satz zum  Alltäglichen,  Genrehaften  der  nordischen  Kunst;  z.  B.  in 
Raffaels  Historienbildern:  Ursache  und  Wirkung  der  Geschehnisse 
sind  außerordentlich,  die  Figuren  sind  außerordentlich  schön.  Aber 
dieses  Außerordentliche  verstehen  wir,  wir  finden  es  daher  bewunde- 
rungswürdig. Jenes  Außerordentliche,  das  die  Barockkunst  dar- 
stellt, verstehen  wir  nicht,  es  überzeugt  uns  nicht,  enthält  einen 
Widerspruch,  wirkt  unwahr,  wir  finden  es  daher  wunderlich.  Das 
Außerordentliche  packt  uns  in  der  Antike  und  Renaissance,  im 
Barockstil  stößt  es  uns  ab,  wir  empfinden  es  störend,  wie  eine 
lästige  Unklarheit;  z.  B.  eine  Figur,  die  betet  und  sich  dabei  in 
konvulsivischen  Bewegungen  krümmt.  Wir  fragen,  warum  diese  Be- 
wegungen? Sie  erscheinen  uns  unmotiviert,  wir  verstehen  sie  nicht. 
Ihr  Gewand  ist  aufgebauscht,  wild  bewegt,  wie  von  einem  Sturm- 
wind, wir  fragen  wieder  warum?  Kommt  das  im  Bilde  vor  und 
daneben  ein  Baum,  dessen  Blätter  ganz  ruhig  sind,  so  fragen  wir: 
warum  bewegt  der  Sturm  gerade  das  Gewand  und  nicht  auch  das 
Baumlaub  daneben?  Wir  sehen  nur  eine  Wirkung  und  keine  zu- 
reichende Ursache.  Und  das  stört  uns  Nordländer. 

Die  italienische  Kunst  schildert,  wie  alle  christliche  Kunst, 
Handlungen  und  Folgewirkungen  innerer  Bewegungen,  seelischer 
Antriebe.  Dabei  legt  sie  aber  den  Hauptakzent  auf  die  äußere 
Handlung.  Die  germanische  Kunst  schildert  das  gleiche,  legt  aber 
den  Hauptakzent  auf  die  seelische  Bewegung:  sie  schildert  seelische 
Bewegungen  als  Motive  körperlicher  Handlungen.  Das  heißt,  das 
Seelische  ist  im  germanischen  Kunstwollcn  von  vornherein  das  Stärkere. 
Das  Seelische  ist  das  Unkörperliche,  Unfaßbare,  Immaterielle;  daher 
die  Passivität  der  Germanen  dem  Faßbaren,  Bildbaren  in  der  Kunst 
von  Haus  aus  gegenüber.  Nun  wird  dieses  Seelische  in  der  italienischen 


Barockkunst  gesteigert:  Annäherung  an  das  Nordische.  In  gleichem 
Maße  wird  aber  auch  die  körperliche  Handlung  gesteigert:  das  ist  das 
unaustilgbar  Italienische  (ist  die  innere  Aufregung  größer,  so  muß 
sie  sich  auch  stärker  nach  außen  Luft  machen),  und  dieses  Zusammen- 
sein beider  Elemente  empfinden  wir  als  Widerspruch.  Betende  Figur 
wie  oben:  innere  seelische  Aufregung,  gesteigert  gegen  die  Renais- 
sance, aber  zugleich  äußere  Bewegung:  konvulsivische  Zuckungen. 
Man  vergleiche  daneben  Rcmbrandt:  je  inniger  seine  Figuren  beten, 
desto  ruhiger  werden  sie  äußerlich,  desto  weniger  äußere  Handlung, 
körperliche  Bewegung. 

Hier  haben  Sie  den  ganzen  Unterschied  zwischen  der  italieni- 
schen Barockkunst  und  der  gleichzeitigen  nordischen  und  auch  den 
Grund,  warum  die  Nordländer  kein  Herz  dafür  fassen  können.  Die 
betende  Renaissancefigur  dagegen  gefällt  uns:  im  Seelischen  erfüllt 
sie  zwar  nicht,  was  wir  verlangen,  sie  ist  zu  objektiv  kalt,  in  sich 
reserviert,  nicht  hinreichend  subjektiv  aufgeschlossen,  verbunden  mit 
außen  (Gott),  aber  sie  verhält  sich  entsprechend  ruhig;  wir  hassen 
vor  allem  die  heftige  Handlung,  wo  sie  nicht  schon  durch  den 
Gegenstand  motiviert  ist,  wie  z.  B.  in  Rubens  Bildern,  weil  sie  die 
Stimmung  stört,  und  das  erfüllt  die  Renaissancefigur.  Ganz  ähnlich 
das  Ergebnis,  wenn  wir,  von  der  Auffassung  des  Inhaltes  zur  Art 
der  formellen  Wiedergabe  übergehend,  das  Verhältnis  der  italienischen 
Barockkunst  zum  künstlerischen  Hauptproblem  der  damaligen  Zeit, 
der  Verbindung  der  Einzelfigur  mit  dem  Räume,  ins  Auge  fassen. 
Die  Holländer  suchten  diese  Verbindung  mittels  Licht  und  Schatten 
in  rücksichtsloser  Weise  herzustellen:  der  Raum  zwischen  den  Fi- 
guren ist  gerade  so  wichtig  als  die  Figuren  selbst,  ja  mitunter  sogar 
wichtiger.  Bei  den  Italienern  bleibt  die  Einzelfigur  die  unverrückbare 
Grundlage  jeder  Komposition,  daher  konnten  sie  in  der  Berück- 
sichtigung des  Tiefraumes,  des  Lichtes  und  Schattens  in  ihrer  ver- 
bindenden Funktion,  nie  so  weit  gehen  als  die  Nordländer.  Nun 
wurde  in  der  italienischen  Barockzeit  Licht  und  Schatten  in  höherem 
Maße  berücksichtigt:  das  ist  eine  Annäherung  an  die  Nordländer. 
Aber  in  gleichem  Maße  wurde  auch  die  Begrenzung  der  Einzelfigur 
gesteigert,  so  daß  statt  Verbindung  doch  Isolierung  das  Resultat 
war  (bei  Correggio  besonders  schlagend,  dann  bei  Bernini).  Die 
Kunst  des   17.  Jahrhunderts  wird    immer    malerischer  und  trotzdem 


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tritt  die  Plastik  als  führend  an  Stelle  der  Malerei!  Auch  hier  emp- 
finden wir  den  Zwiespalt:  einerseits  im  nordischen  Helldunkel, 
anderseits  aber  keine  Verbindung  der  Figuren  durch  dieses  Hell- 
dunkel (wie  bei  Rembrandt),  sondern  eine  noch  schroffere  Isolierung. 
Die  gleichen  Mittel  wie  im  Norden  und  ein  ganz  unnordischer 
Effekt!  Das  stört  uns.  Hinlänglich  Beweise,  warum  weder  das 
deutsche  Publikum  noch  die  deutsche  Forschung  sich  dafür  begeistern 
konnten. 

Ist  es  denn  überhaupt  nützlich,  Vorlesungen  darüber  zu 
halten?  Hat  diese  Kunst  nicht  ein  isoliertes,  lokales  Dasein  geführt, 
unfähig,  das  Schaffen  anderer  Kunstvölker  zu  befruchten?  Wenn  dem 
so  wäre,  dann  würde  es  Vorlesungen  bei  uns  nicht  lohnen,  weil 
sie  bloß  lokalitalienisches  Interesse  besäßen,  wie  z.  B.  die  Tiroler 
Bildschnitzer  des  17.  Jahrhunderts.  Dem  ist  aber  durchaus  nicht  so. 
Die  italienische  Kunst   hat    mindestens  bis  in  die  zweite  Hälfte  des 

17.  Jahrhunderts  eine  Weltmission  erfüllt,  zum  Teil  noch  bis  in  das 

18.  Jahrhundert  hinein.  Vor  allem  für  die  katholischen  Völker.  Wir 
können  sogar  fast  den  Tag  bestimmen,  wann  ein  katholisches  Volk 
zum  ersten  Male  sich  vom  italienischen  Einflüsse  emanzipiert  hat: 
die  Franzosen;  wir  werden  diesen  Moment  im  Leben  des  Bernini 
kennen  lernen.  Das  war  schon  in  den  sechziger  Jahren  des  17.  Jahr- 
hunderts; andere  katholische  Völker  sind  dem  Stil  noch  bis  in  das 
18.  Jahrhundert  anhänglich  geblieben.  Die  Franzosen  waren  es  auch, 
die  die  Nachfolge  in  der  Führung  der  europäischen  Kunstvölker 
übernommen  haben  für  zwei  Jahrhunderte  lang.  Und  diese  zwei  Jahr- 
hunderte haben  nicht  ein  einziges  so  originales,  neue  Bahnen 
weisendes  Kunstwerk  geschaffen  wie  die  italienische  Barockkunst 
ihrer  zu  Dutzenden.  Darum  kann  man  schon  einen  Rückschluß  auf 
die  historische  Bedeutung  der  italienischen  Barockkunst  ziehen,  so 
sehr  sie  unseren  modernen  Geschmack  herausfordert. 

Sehen  wir  uns  in  Wien  um.  Die  ältesten  Straßen  zeigen  ganze 
Fluchten  von  eigenartigen  Häuserfronten  mit  charakteristischen 
Maßverhältnissen,  Fenster-  und  Torbildungen,  dazu  kommen  zahl- 
reiche Paläste  des  gleichen  Stiles  und  eine  Anzahl  prachtvoller 
Kirchen.  Es  sind  die  Bauten  des  Fischer  von  Erlach  und  seiner 
Schule;  man  nennt  diesen  Stil  das  Wiener  Barock.  Dieses  Wiener 
Barock    vom  Ende    des    17.  und    Anfang    des    18.  Jahrhunderts    ist 


nichts  anderes  als  eine  lokale,  aber  höchst  originelle  und  lebendige 
Fortbildung  des  italienischen  Barockstiles.  Die  gleiche  Erscheinung 
in  Süddcutschland,  am  Rhein,  in  Belgien,  Spanien,  überhaupt  in  allen 
katholischen  Ländern  Europas.  Diese  lokalen  Stile  wären  gar  nicht 
denkbar  ohne  ihre  gemeinsame  Wurzel,  den  italienischen  Barock- 
stil. Ich  mochte  noch  weitergehen :  bis  in  den  modernsten  sezessio- 
nistischen  Baustil  wirkt  das  vom  italienischen  Barockstil  Geschaffene 
nach,  in  einfachen  architektonischen  Grundzügen.  Was  also  die 
Architektur  betrifft,  ist  die  Weltrolle  des  italienischen  Barock  nicht 
zu   bestreiten. 

Ähnliches  gilt  von  der  Skulptur.  Hierin  sind  die  Italiener  alle- 
zeit Meister  geblieben;  haben  die  anderen  Kunstvölker  im  17.  Jahr- 
hundert ihre  Maler:  Rubens,  Rembrandt,  Velazqucz,  so  haben  die 
Italiener  ihren  Bildhauer  ohnegleichen:  Bernini.  Selbst  während  der 
französischen  Hegemonie  sind  wegen  ihrer  grundsätzlichen  anti- 
nordischen Vorliebe  für  isolierte  Erfassung  der  tastbar  begrenzten 
Einzelfigur  die  bahnbrechenden  Meister,  wie  Canova,  aus  Italien 
hervorgegangen.  Bis  zu  den  Gipsformatoren  herab  sind  die  Italiener 
die  handfertigsten  Plastiker  geblieben.  Selbst  in  der  impressionisti- 
schen Skulptur  sind  die  Italiener  voran,  wie  die  Mailänder  Schule 
beweist. 

Am  wenigsten  universale  Bedeutung  hat  die  italienische  Barock- 
kunst in  der  Malerei  erlangt.  Rembrandt,  Velazqucz  haben  sich  um 
die  Italiener  so  gut  wie  gar  nicht  gekümmert.  Aber  schon  die 
flämische  Malerei  des  17.  Jahrhunderts  ist  nicht  zu  denken  ohne 
Vorantritt  der  italienischen  Barockmalerci.  Rubens  hat  die  Spuren 
seiner  italienischen  Lernzeit  bis  in  sein  spätestes  Alter  bewahrt. 
Vielleicht  noch  tiefer  hat  das  italienische  Beispiel  auf  van  Dyck 
eingewirkt,  dessen  bekanntes  Pathos  erst  durch  das  Studium  der 
großen  Bolognesen  hervorgelockt  worden  ist.  Das  war  auch  eine 
Weltmission:  Ausgleich  zwischen  romanischer  und  germanischer 
Kunstrichtung.  Vollends,  wenn  wir  auf  das  lokale  österreichische 
und  süddeutsche  Kunstgebiet  blicken,  so  stand  es  im  ganzen  17.  Jahr- 
hundert und  tief  ins  18.  hinein  unter  dem  Einfluß  der  italienischen 
Barockmalerei.  Die  Fresken  in  den  österreichischen  Klöstern,  die  im 
1 8.  Jahrhundert  gemalt  wurden,  die  Ölbilder  der  zahlreichen  österreichi- 
schen Meister  dieser  Zeit  (die  zum  Teil  ihre  deutschen  Namen  italianisiert 


haben  wie  in  der  Humanistenzeit:  Hohenberg-Altomonte)  haben  ihren 
Ausgang  von  der  italienischen  Barockmalerei  genommen. 

An  der  Nützlichkeit  und  Ersprießlichkeit  für  den  Kunsthistoriker, 
die  Geschichte  der  italienischen  Barockkunst  einmal  aus  der  Nähe  zu 
betrachten,  kann  sonach  nicht  gezweifelt  werden.  Eine  andere  Frage  ist 
es,  ob  unser  Geschmack  nicht  auch  wieder  einmal  den  Barockitalienern 
etwas  abgewinnen  wird,  also  nicht  bloß  der  Kunsthistoriker,  sondern 
auch  das  Publikum  ein  Interesse  für  die  italienische  Barockmalerei 
fassen  wird.  Auch  diese  Frage  ist  bejaht  worden  und  von  niemand 
anderem  als  demjenigen,  der  die  Abneigung  gegen  das  italienische 
Barock  im  deutschen  Publikum  mit  größtem  Nachdruck  und  Erfolg 
propagiert  hat:  von  Jakob  Burckhardt  (namentlich  im  Cicerone).  In 
seinen  „Erinnerungen  aus  Rubens",  in  den  letzten  Lebensjahren 
gedruckt,  hat  er  es  geradezu  als  eine  notwendige  Folge  voraus- 
gesagt, daß  man  die  italienische  Barockmalerei  einmal  nachsichtiger 
und  wohlwollender  zu  betrachten  beginnen  werde.  Und  bezeich- 
nendermaßen in  einem  Werke,  das  Rubens  gewidmet  ist:  denn  wer 
Rubens  gelten  läßt,  muß  notwendigermaßen  auch  die  Barockitaliener 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  gelten  lassen. 

Das  eigentliche  Barockjahrhundert  ist  das  17.;  aber  die  An- 
fänge des  Barockstiles  gehen  in  Italien  bis  auf  Michelangelo  und 
Correggio  zurück  (man  wollte  sie  auch  bei  Raffael  konstatieren,  und 
wer  das  durchaus  will,  dem  wird  es  auch  gelingen;  aber  bei  Raffael 
tritt  das  Barocke  nur  als  Beimischung  eines  Aufkeimenden  auf,  das 
Ausgleichsstreben  der  Renaissance  ist  bei  Raffael  noch  maßgebender; 
bei  Michelangelo  und  Correggio  in  gewisser  Hinsicht  als  ein  Fertiges, 
Vollbewußtes,  Einseitiges;  sie  sehen  darin  ein  Notwendiges,  Zukunft- 
beherrschendes, sie  waren  subjektive  Künstler,  gegenüber  Raffael,  der 
noch  wesentlich  objektiv  war).  Deshalb  habe  ich  eine  Darstellung 
der  italienischen  Kunst  von  1520  an  angekündigt.  Aber  der  Zeitraum 
ist  ein  großer  und  Ökonomie  ist  geboten;  daher  will  ich  aus  der 
Besprechung  des  16.  Jahrhunderts  alles  ausscheiden,  was  nicht 
unbedingt  nötig  ist  vorzubringen.  Vor  allem  jene  Meister,  die  ge- 
wöhnlich noch  im  Zusammenhang  mit  der  Renaissance  behandelt 
werden:  Michelangelo  und  Correggio;  ersteren  berücksichtige  ich  nur, 
insoweit  er  „Vater  des  Barockstiles"  ist,  also  in  seiner  zweiten  Periode 
von  zirka   1520  an,  und  auch  Correggio  nur,    soweit  von  ihm  eine 


Barockrichtung  ausgeht.  Die  Schule  des  Michelangelo,  den  Florentiner 
Manierismus,  dürfen  wir  ganz  übergehen.  Ebenso  die  venezianische 
Malerei  des  ganzen  16.  Jahrhunderts,  die  man  als  Spätrenaissance 
bezeichnet  hat,  mit  gewissem  Recht.  (Tintoretto  und  Paolo  haben 
aber  gewiß  Berührungspunkte  mit  dem  Barockstil.  Die  Berührungs- 
punkte der  Venezianer  mit  dem  Barockstil  werde  ich  einfach 
summarisch  formulieren.) 

Die  eigentliche  zusammenhängende  Darstellung  setzt  erst  mit 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  ein.  Und  da  kann  man 
zweiteilen:  erste  Hälfte  bis  1630,  da  Bernini  seinen  spezifischen 
Stil  ausbildet;  hier  ist  Architektur  und  Malerei  wichtig,  für  die 
Skulptur  gab  es  wenig  Aufgaben.  Zweite  Hälfte  von  1630  an,  durch 
Bernini  beherrscht.  Da  lagen  Aufgaben  vor,  die  die  Skulptur  zu 
lösen  hatte.  Die  Malerei  tritt  in  Italien  gegen  die  Skulptur  wesent- 
lich zurück;  dagegen  hat  die  Architektur  noch  ihre  bedeutenden 
Aufgaben  zu  lösen.  Innerhalb  dieser  zeitlichen  Einteilung  ist  auch 
eine  lokale  durchzuführen,  d.  h.  die  italienische  Kunst  zerfällt  auch 
in  der  Barockzeit  in  eine  Anzahl  lokaler  Schulen  wie  in  der  Re- 
naissance. Aber  schon  in  der  Renaissance  ist  eine  von  hauptsäch- 
licher Bedeutung:  die  florentinische ;  daneben  behaupten  aber  die 
anderen  Schulen  noch  eine  gewisse  Bedeutung  für  die  Entwicklung. 
In  der  Barockzeit  geht  die  Führung  von  Florenz  auf  Rom  über, 
nicht  aus  lokalen  Gründen,  denn  die  Künstler  waren  fast  lauter 
Nichtrömer,  sondern  entsprechend  der  überragenden  Bedeutung  des 
Papsttums;  die  auf  der  Gegenreformation  beruhende  Weltherrschaft 
des  Papsttums  ist  das  Leitende. 

Man  kann  daher  von  einem  römischen  Barockstil  sprechen. 
Was  sich  ihm  nicht  fügen  will,  tritt  in  der  Bedeutung  ganz  zurück. 
z.  B.  die  venezianische  Kunst  im  17.  Jahrhundert;  keine  Skulptur, 
nur  Architektur  und  Malerei,  die  kaum  eine  Barockkunst  genannt 
werden  kann.  Dagegen  geht  die  bolognesische  in  der  römischen 
auf  (Bologna  gehört  zum  Kirchenstaat).  Selbständig  zu  behandeln 
sind  die  Florentiner  (jetzt  nur  lokale  Bedeutung),  die  neapolitanische, 
dann  die  mailändische  und  genuesische  Kunst. 


LITERATUR. 

Einige  Bemerkungen  über  die  wichtigste  Literatur  sollen  uns 
in  den  gegenwärtigen  Stand  der  ganzen  Frage  einführen.  Die  mo- 
derne Kunstgeschichte  hat  im  allgemeinen  für  die  italienische  Kunst 
nach  1520  wenig  Interesse  bekundet  (auch  dies  symptomatisch,  denn 
wir  sehen  jetzt,  wie  die  Kunstgeschichte  trotz  der  Objektivität,  die 
sie  haben  sollte  und  auch  zu  haben  glaubt,  doch  fortwährend  pa- 
rallel mit  den  Geschmackswandlungen  unseres  Jahrhunderts  gegangen 
ist).  Dazu  kam  noch,  daß  der  größte  deutsche  Kunstforscher  im 
dritten  Viertel  des  19.  Jahrhunderts,  Jakob  Burckhardt,  aus  Be- 
geisterung für  die  Renaissance  am  Barockstil  eine  äußerst  schonungs- 
lose Kritik  geübt  hat,  die  in  allen  seinen  Schriften  wiederkehrt.  (Und 
doch  ist  Burckhardt  der  erste  gewesen,  der  die  Deutschen  mit  dem 
italienischen  Barockstil  näher  bekannt  gemacht  hat.)  Fast  jeder 
denkende  deutsche  Italicnfahrer  hat  heute  noch  den  Cicerone  in 
Händen  und  liest  daraus  die  Verwerflichkeit  des  Barockstiles.  Es  ist 
zwar  heute  etwas  besser  geworden,  das  Urteil  etwas  unbefangener; 
aber  das  Wort  „barock"  wird  doch  größtenteils  noch  immer  mit 
dem  Beigeschmäcke  der  Schmähung,  der  Verirrung  gebraucht. 
Verschieden  sind  nun  die  Schicksale  der  Malerei,  Skulptur  und 
Architektur. 

Die  Malerei  hat  am  frühesten  Anerkennung  in  der  kritischen 
Literatur  gefunden;  Bilder,  wie  Guido  Renis  Aurora,  fanden  selbst 
bei  einzelnen  neueren  Forschern  Gnade,  aber  nur,  weil  man  darin 
noch  einen  Abglanz  der  Renaissance  zu  entdecken  glaubte.  Aber 
zu  einer  Gesamtberücksichtigung  der  italienischen  Malerei  nach  1520 
ist  es  nicht  gekommen  (etwa  von  den  Venezianern  abgesehen,  die 
aber  als  Koloristen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  wenigstens  an- 
scheinend Stimmungsmaler  sind).  Es  gibt  nur  einzelnes:  Janitscheks 
Bearbeitung  der  Bolognesen  für  Dohtnes  Kunst  und  Künstler.  Die 
Handbücher  der  Malerei  haben  alle  auf  die  Barockmalerei  Bezug 
genommen,    namentlich    Wörmanns  Geschichte    der  Malerei   sucht 


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ihr  perecht  zu  werden.  Aber  in  neuester  Zeit  hat  die  Barockmalerci 
der  Italiener  eher  geringere  als  höhere  Wertschätzung  erfahren.  Das 
Buch  von  Josef  Strzygowski  über  das  Werden  des  Barock  bei 
Raffael  und  Correggio  enthält  manche  nützliche  Bemerkungen,  aber 
keine  tiefe  Auffassung  des  Barock,  im  Grunde  noch  immer  Burck- 
hardts  Standpunkt.  Der  Anhang  über  Rembrandt  ist  ganz  verfehlt 
und  oberflächlich.  Man  respektiert  jetzt  die  barocke  Architektur,  ja 
selbst  die  Skulptur,  aber  nicht  die  Malerei.  Rubens,  Rembrandt, 
Velazquez  werden  auf  das  höchste  geschätzt.  Ober  die  größten 
unter  den  Bolognesen  zuckt  man  die  Achseln. 

Also  mit  der  Literatur  über  die  italienische  Malerei  der  Barock- 
zeit steht  es  mißlich  genug.  Noch  weit  mißlicher  steht  es  mit  der 
Literatur  über  die  Skulptur.  Auf  diesem  Gebiete  hat  Burckhardts 
Stellungnahme  gegen  den  Barockstil  geradezu  prohibitiv  gewirkt. 
Daß  mit  Lorenzo  Bernini  gewisse  Neuerungen  des  Stiles  zum  ersten 
Male  in  voller  Schärfe  entgegentreten,  ist  ihm  genau  bewußt  ge- 
worden; er  läßt  daher  die  Barockskulptur  mit  Bernini,  d.  h.  frühestens 
mit  1620  beginnen.  Und  derselbe  Lorenzo  Bernini,  der  auch 
in  der  Architektur  —  wie  Burckhardt  ausdrücklich  bemerkt  —  eine 
entscheidende  Rolle  gespielt  hat,  hat  erst  kürzlich,  im  Jahre  1900, 
eine  kunsthistorische  Spezialbearbeitung  gefunden,  nachdem  dank 
der  modernen  Ausstellungs-  und  Jubiläumssucht  im  Jahre  1898, 
aus  Anlaß  der  300jährigen  Wiederkehr  des  Geburtstages  Bcrninis, 
in  Rom  eine  Ausstellung  von  Bcrninis  Werken  veranstaltet  worden  war. 
Diese  Ausstellung  ließ  die  Italicner  empfinden,  daß  sie  eine 
Ehrenschuld  abzutragen  hatten.  Die  modernen  Römer  lieben  es, 
sich  in  der  Größe  ihrer  Vergangenheit  zu  bespiegeln,  und  da  war 
ein  grand'  uomo  des  17.  Jahrhunderts,  der  noch  keinen  modernen 
Biographen  gefunden  hatte.  Infolgedessen  übernahm  es  ein  Venturi- 
Schüler.  Stanislao  Fraschetti,  eine  große  Monographie  über 
Bernini  zu  schreiben.  Das  Buch  erschien  1900  bei  Hoepli  in  Mai- 
land, mit  einer  Vorrede  von  Venturi,  ein  dickes  Buch  von  450  Seiten; 
das  beste  daran  sind  die  Illustrationen,  die  fast  alle  bekannt  ge- 
wordenen Werke  des  Bernini  wiedergeben.  Der  Text  aber  hält  in 
keiner  Weise,  was  die  kunstgeschichtliche  Forschung  heute  verlangen 
durfte.  Von  einem  Werke  über  Bernini  mußte  man  vor  allem  eine 
Aufklärung  über  Charakter  und  Wesen  des  italienischen  Barockstiles 


erwarten;  schon  Burckhardt  hat  eingesehen,  daß  mit  Bernini  der 
italienische  Barockstil  in  eine  neue  entscheidende  Phase  getreten 
ist.  Diese  kunsthistorische  Grundfrage  existiert  für  Fraschetti  einfach 
nicht.  Seine  Betrachtung  ist  eine  völlig  dilettantische:  er  sieht  im 
italienischen  Barockstil  nichts  als  den  Verfall  der  italienischen  Re- 
naissance. Die  Größe  des  Bernini  sieht  er  ausschließlich  darin,  daß 
der  Meister  trotz  der  Ungunst  der  Zeiten  eine  gewisse  Größe  und 
Originalität  zu  entfalten  gewußt  hat.  Nach  ihm  kämpft  Bernini  von 
vornherein  auf  einem  verlorenen  Posten.  Man  merkt  deutlich,  daß 
der  Autor  sich  für  seinen  Helden  nicht  zu  erwärmen  vermag,  wenn 
er  dies  auch  durch  tönende  Phrasen  zu  maskieren  trachtet.  Und  doch 
verlangt  die  Kunstgeschichte  zu  zeigen,  wie  Bernini  aus  seiner  Zeit 
herauswächst,  welche  Probleme  und  welche  Lösungen  er  vorfindet, 
und  wie  er  neue  Lösungen  anstrebt  und  mit  Erfolg  bewerkstelligt. 
Mit  einem  Worte,  das  Positive  in  Berninis  Schaffen  mußte  gezeigt 
werden,  womit  er  in  Italien  und  zum  Teil  in  den  katholischen  Ländern 
außerhalb  Italiens  auf  lange  Zeit  hinaus  das  Begehren  der  Geschlechter 
erfüllt  hat.  Von  alledem  bei  Fraschetti  keine  Rede.  Er  gibt  nur  eine 
chronikartige  Aufzählung  seiner  äußeren  Schicksale  und  seiner 
Werke,  verfaßt  auf  Grund  der  Biographie,  die  kurz  nach  Berninis 
Tode  von  dem  Florentiner  Kunstschriftstellcr  Filippo  Baldinucci 
verfaßt  wurde.  Was  Fraschetti  neues  dazu  bringt,  hat  er  aus  Er- 
gebnissen der  modernen  Archivalforschung  geschöpft:  namentlich 
aus  den  estensischen  Gesandtenberichten,  aus  Giglis  Diario  und 
aus  anderen  Quellen,  namentlich  im  vatikanischen  Archiv,  dann  in 
römischen  Privatarchiven,  namentlich  bei  Chigi.  Aber  was  daraus 
resultiert,  ist  erstaunlich  wenig.  Ich  habe  bisher  auf  Grund  des 
Baldinucci  meine  Vorlesungen  über  Bernini  gehalten  und  kann  mich 
auch  fernerhin  damit  begnügen.  Das  Werk  des  Fraschetti  hat  darin 
nichts  geändert:  nur  die  Abbildungen  sind  willkommen.  Eine  kunst- 
historische Darstellung  von  Berninis  Werken  muß  erst  noch  ge- 
schrieben werden,  und  das  heißt  soviel,  daß  auch  eine  kunsthisto- 
rische Darstellung  der  italienischen  Barockskulplur  überhaupt  erst 
geschrieben^  werden  muß. 

Es  ist  noch  nicht  lange  her,  daß  auch  die  Architektur  der 
italienischen^Barockzeit  das  Schicksal  der  Skulptur  geteilt  hat.  Jakob 
Burckhardt  'empfand    vor    ihr    den    gleichen  Abscheu  wie  vor    den 


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bcrninischcn  Marmorfiguren,  aber  zwischen  seinen  Zeilen  klingt  doch 
mehrfach  ein  gewaltiger  Respekt  hindurch.  Gefallen  hat  ihm  die 
italienische  Barockarchitektur  nicht,  aber  sie  imponierte  ihm.  Und 
damit  war  schon  der  Keim  zu  einer  Besserung  gelegt.  In  der  Tat 
hat  man  schon  vor  mehr  als  einem  Dutzend  Jahren  begonnen,  der 
italienischen  Barockarchitektur  besonderes  Augenmerk  zuzuwenden; 
ja  man  faßte  allmählich  die  Ansicht,  daß  sich  von  der  italienischen 
Barockarchitektur  aus  die  prinzipiellen  Fragen  über  Wesen  und  Ent- 
stehung des  ganzen  Stiles  am  ehesten  lösen  lassen  dürften. 

So  kam  es,  daß  man  heute  sehen  kann:  die  Architektur  ist 
dasjenige  Gebiet  des  italienischen  Barockstiles,  das  verhältnismäßig 
noch  am  intensivsten  bearbeitet  und  daher  auch  verhältnismäßig  am 
besten  bekannt  erscheint.  Schon  Jakob  Burckhardt  hat  im  Cicerone 
am  längsten  bei  der  Architektur  verweilt.  Als  frühesten  Barockbau 
hat  er  das  Treppenhaus  der  Biblioteca  Laurenziana  zu  Florenz  von 
Michelangelo  bezeichnet.  Eine  Aufteilung  der  gesamten  italienischen 
Barockarchitcktur  in  einzelne  Perioden,  eine  Darstellung  der  Ent- 
wicklung hat  Burckhardt  nicht  gegeben,  sondern  sich  nur  mit  einer 
allgemeinen  Charakteristik  des  Stiles  als  ganzem  begnügt;  nur  soviel 
hat  er  ausdrücklich  gesagt,  daß  mit  Bernini  ein  neuer  Unterabschnitt 
beginnen  mußte.  Damit  hat  er  allerdings  der  Periodenteilung  der 
Späteren    bereits    in    dem    einschneidendsten    Punkte    vorgearbeitet. 

Ein  Menschenalter  lang  blieben  Burckhardts  Urteile  ein  Evan- 
gelium der  ganzen  kunstfreundlichen  Welt.  Aber  allmählich  vollzog  sich 
der  Umschwung  in  dem  modernen  Kunstgeschmack,  wovon  früher 
die  Rede  gewesen  war,  und  ein  ausübender  Künstler  —  ein  Archi- 
tekt —  war  es,  der  eine  Spczialbearbcitung  der  Barockarchitektur 
überhaupt  und  in  erster  Linie  des  italienischen  Barockstiles  ver- 
suchte: Cornelius  Gurlitt.  Das  Buch  erschien,  als  Fortsetzung 
von  Burckhardts  Geschichte  der  Renaissance,  im  Jahre  1S87  unter 
dem  Titel:  „Geschichte  des  Barockstiles".  Gurlitt  ist  Professor 
an  der  technischen  Hochschule  in  Dresden;  als  Kunstschriftstellcr 
überaus  tätig,  aber  ohne  rechten  Drang  des  Zusammenfassens, 
des  Heraushebens  gemeinsamer  Faktoren.  Das  Einzelne  interessiert 
ihn  mehr  als  das  Allgemeine,  er  schildert,  aber  er  erklärt  nicht; 
(das  gilt  auch  von  seiner  Geschichte  der  deutschen  Kunst  im 
19.  Jahrhundert).  Zum  ersten  Male  erhielt  man  damit  eine  umfassendere 


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Kenntnis  der  Denkmäler  vermittelt;  erschöpfend  ist  die  Liste 
gewiß  nicht,  aber  es  ist  doch  eine  breitere  Grundlage  gegeben, 
auf  der  man  sein  Urteil  autbauen  kann,  was  durch  eine  gute  Aus- 
wahl von  Illustrationen  erleichtert  wird. 

Das  Buch  enthält  also  eine  gewiß  sehr  schätzbare  Summe  von 
tatsächlichen  Angaben,  von  Daten,  von  Namen,  aber  wer  eine  klare 
Definition  des  Wesens  des  Barockstiles,  einen  durchlaufenden  Faden 
der  Entwicklung  sucht,  der  findet  sich  enttäuscht.  Was  Barock  ist, 
dessen  Kenntnis  wird  von  Ourlitt  gleichsam  beim  Leser  voraus- 
gesetzt; Gurlitt  hat  ihn  aber  selbst  nicht  hinreichend  klar  und 
scharf  erfaßt.  Es  ist,  als  ob  der  Autor  den  Wald  vor  lauter  Bäumen 
nicht  gesehen  hätte.  Der  ganze  überreiche  Stoff  ist  zersplittert  in  ein- 
zelne Kapitel,  die  ohne  rechten  Zusammenhang  untereinander  bleiben; 
er  benützt  den  Wink,  den  schon  Burckhardt  hinsichtlich  eines  Ab- 
schnittes bei  Bernini  gegeben  hatte,  keineswegs  so,  als  es  nahe- 
gelegen wäre.  Nur  ein  großer  Gesichtspunkt  läuft  durch  das  ganze 
Buch  hindurch:  die  Scheidung  aller  italienischen  Architektur  von 
1j50  bis  1750  in  die  Nachfolger  Michelangelos,  das  eigentliche 
Barock,  und  in  die  Nachfolger  Palladios,  besser  als  Spätrenaissance 
bezeichnet.  Aber  selbst  dieser  Gesichtspunkt,  dem  in  der  Tat  eine 
gewisse  Berechtigung  innewohnt  —  es  ist  die  Scheidung  zwischen 
römischer  Strenggläubigkeit  und  venezianischer  Toleranz  —  ist 
nicht  mit  der  dem  Leser  erwünschten  Schärfe  und  Klarheit  durch- 
geführt. 

Immer  stärker  wuchs  die  Menge  derjenigen  an,  die  wünschten, 
mit  der  italienischen  Barockarchitektur  nähere  Bekanntschaft  zu 
machen;  es  handelte  sich  darum,  die  moderne  Kunst  verstehen  zu 
lernen:  man  empfand,  daß  die  barocken  Italiener  wenigstens  für 
die  moderne  Architektur  Bahnbrecher  gewesen  waren.  Diesen 
Wunsch  vermochte  Gurlitts  Buch  nicht  zu  befriedigen;  es  traf  nicht 
dasjenige,  was  not  tat.  Dieses  wurde  erst  ein  Jahr  später  (1888) 
mit  aller  Schärfe  ausgesprochen,  und  zwar  diesmal  von  Heinrich 
Wölfflin,  in  der  verhältnismäßig  kleinen  Schrift:  „Renaissance 
und  Barock"  (in  zweiter  Auflage  1907  erschienen).  Wie  der  Titel 
lehrt,  war  der  Hauptzweck  eine  klare  Scheidung  zwischen  Renais- 
sance und  Barock;  es  ist  bezeichnend,  daß  Wölfflin  im  Anfangs- 
datum eher  noch  hinter  Burckhardt  zurückgeht,  das  heißt,  das  Barock 


womöglich  noch  früher  als  1524  beginnen  läßt.  Nach  ihm  ist  schon 
Bramantc,  gestorben  1514,  den  man  als  den  größten  Architekten 
der  Hochrenaissance  preist,  in  seiner  römischen  ultima  maniera  der 
erste  Barockmeister,  und  ebenso  der  jüngere  Antonio  da  San  Gallo, 
gestorben  1546,  der  im  allgemeinen  nicht  minder  der  Hochrenais- 
sance zugewiesen  wird.  In  seiner  ästhetisch-historischen  Schätzung 
des  Barockstiles  hat  sich  Wölfflin  noch  nicht  weit  von  Burckhardt 
entfernt,  ja  im  allgemeinen  ist  dasjenige,  was  er  vorbringt,  überhaupt 
nicht  viel  mehr,  als  eine  Ausführung  des  von  Burckhardt  in  bloßen 
Andeutungen  Vorgebrachten.  Die  erste  Periode  des  Barockstiles 
schließt  er  mit  Carlo  Maderna,  so  daß  Bernini,  mit  dem  die  zweite 
Periode  beginnt,  bei  ihm  nicht  mehr  berücksichtigt  erscheint,  also 
soweit  ganz  im  Sinne  Burckhardts.  Indem  sich  aber  Wölfflin  auf 
die  erste  Periode  beschränkt,  gelangt  er  zu  einer  schärferen  Tren- 
nung der  zwei  Perioden,  die  in  Burckhardts  Charakteristik  noch  in 
Eines  zusammengefaßt  waren.  Auch  die  scharfe  Hervorhebung  der 
stadtrömischen  Entwicklung,  als  der  für  den  italienischen  Barockstil 
überhaupt  entscheidenden,  ist  Wölfflins  Verdienst:  auch  das  schon 
von  Burckhardt  geahnt  und  angedeutet,  aber  von  Wölfflin  durchaus 
präzisiert  und  bewiesen.  In  der  Darstellungsmethode  verfährt  Wölfflin 
genau  umgekehrt  wie  Gurlitt.  In  erste  Linie  setzt  er  den  Faden  der 
Entwicklung,  daran  reiht  er  die  Denkmäler,  bloß  zur  Beweisführung 
(Gurlitt  umgekehrt  bespricht  die  Denkmäler,  ohne  daß  wir  den  kausalen 
Zusammenhang,  den  Fortschritt  sehen).  Die  Sprache  ist  vollkommen 
klar  und  durchsichtig  wie  in  wenigen  kunsthistorischen  Bearbeitungen, 
namentlich  von  Baudenkmälern.  Wer  die  Denkmäler  halbwegs  kennt 
(das  ist  nötig,  trotz  einiger  Abbildungen),  liest  das  Buch  ohne  Schwie- 
rigkeit, mit  vollstem  Genuß  und  Belehrung.  Sein  Buch  ist  heute 
noch  das  beste,  was  über^  den  italienischen  Barockstil  gesagt  wurde, 
wenngleich,  wie  gesagt,  gegenüber  Burckhardt  eigentlich  nichts  grund- 
sätzlich Neues  und  auch  seine  Analysen  keineswegs  einwandfrei  sind. 
ScineDefinition  des  Barockstiles  als  „Massigkeit  und  Bewegung"  ist  nicht 
tief  genug.  Wir  erfahren  auch  nicht,  warum  es  so  kommen  mußte.  Auch 
bei  Wölfflin  erscheint  er  als  Verirrung  und  Verfall,  ohne  daß  wir 
sähen,  daß  es  um  höherer  Fortschritte  willen  so  kommen  mußte. 

Ich  übergehe    einige    kleinere  Schriften,    die    sich  nur  mit  be- 
grenzten Sondergebieten    der    italienischen  Barockbaukunst  beschäf- 


tigen,  wie  z.  B.  die  Aufsätze  Robert  Dohines,  und  wende  mich  zu 
demjenigen  Autor,  der  erst  kürzlich,  und  zwar  mit  dem  entschie- 
densten Anspruch,  gehört  zu  werden,  zu  dem  uns  beschäftigenden 
Gegenstände  das  Wort  ergriffen  hat:  August  Schmarsow.  Sein 
Buch,  1897  erschienen,  ist  betitelt:  „Barock  und  Rokoko".  Man  könnte 
daraus  schließen,  daß  er,  wie  Wölfflin  mit  der  ersten  Hälfte  (Renais- 
sance und  Barock),  ausschließlich  nun  mit  der  zweiten  Hälfte  des 
Barockstiles  sich  beschäftigt  hat.  Allerdings  umfaßt  er  die  Architektur 
der  ganzen  Barockzeit,  auch  die  zweite  Hälfte,  wenn  man  aber 
glauben  würde,  daß  er  diese  vornehmlich  behandelt,  so  würde  man 
irren;  auch  er  beschäftigt  sich  hauptsächlich  mit  der  Entstehung  des 
Barockstiles,  mit  der  ersten  Hälfte  (womit  eingestanden  ist,  daß 
diese  Frage  auch  durch  Wölfflin  noch  nicht  zu  endgültigem  Austrag 
gekommen  ist);  die  zweite  Hälfte  kommt  eher  zu  kurz,  trotzdem 
sie  sogar  mit  einer  Darstellung  der  französischen  Nachfolger  von 
1665  bis  1750  vermehrt  ist.  Der  Schwerpunkt  von  Schmarsows 
Buch  liegt  also  ebenso  wie  derjenige  von  Wölfflins  Buch  auf  der 
ersten  Periode  der  italienischen  Barockbaukunst.  Schmarsow  empfand, 
daß  man  das  Wesen  des  Barockstiles  tiefer  fassen  müsse  als  Wölfflin ; 
ob  es  ihm  gelungen  ist,  darin  volle  Klarheit  zu  schaffen,  ist  zu  be- 
zweifeln. Den  Anfang  der  ersten  Periode  beschränkt  er  gegenüber 
Wölfflin  ganz  entschieden,  indem  er  Antonio  da  San  Gallo  noch 
keineswegs  als  Barockarchitekten  gelten  läßt.  Damit  wurden  die 
ersten  Barocksymptome  zur  Renaissance  gerechnet  und  damit  im- 
plicite  gesagt,  daß  das  Barock  naturnotwendig  aus  der  Renaissance 
herauswachsen  mußte.  Das  wichtigste  aber,  und  um  dessentwillen 
hat  Schmarsow  offenbar  die  ganze  Publikation  unternommen,  ist  ein 
Punkt  in  der  allgemeinen  Charakteristik  des  Barockstiles,  womit 
er  sich  in  entschiedensten  Gegensatz  zu  Wölfflin  gesetzt  hat: 
während  Wölfflin  eine  wesentliche  —  wenn  auch  nicht  ausschließ- 
liche —  Eigentümlichkeit  des  Barockstiles,  auch  in  seiner  ersten  Pe- 
riode, im  „Malerischen"  erblickt,  erklärt  Schmarsow,  das  könne 
höchstens  von  der  zweiten  Periode  gelten;  die  erste  Periode  trüge 
im  Gegenteile  einen  entschieden  plastischen  Charakter  an  sich.  Sie 
sehen  schon:  zwei  Autoritäten,  die  eine  nennt  den  Stil  malerisch, 
die  andere  plastisch!  (Soviel  wie  Schwarz  und  Weiß;  besser  taktisch- 
optisch-tastbare Begrenztheit  und  sichtbare  Farbigkeit.)  So  abweichend 


-    16    - 

sind  die  Anschauungen  selbst  in  den  obersten  Prinzipienfragen.  Das 
ist  freilich  nur  möglich,  wenn  die  Anschauungen  über  die  Begriffe 
von  „plastisch"  und  „malerisch"  nicht  für  alle  dieselben  sind,  nicht 
allgemein  gültig  fixiert  sind.  In  der  Tat  hört  man  seit  etwa  zehn 
Jahren  fortwährend  von  „Naturalismus"  und  „malerisch".  Es  wird 
der  größte  Mißbrauch  mit  diesen  Schlagwörtern  getrieben,  unter 
denen  sich  jeder  etwas  anderes  denkt.  Das  erste  für  wissenschaftlich 
ernste  Betrachtung  wird  sein,  uns  über  diese  Begriffe  klar  zu  werden. 
Einstweilen  zu  Schmarsows  Buch  zurück.  Ein  Verdienst  ist  es,  daß 
er  wenigstens  für  die  ersten  Stadien  des  Barockstiles  die  Werke  der 
Skulptur  und  Malerei  zur  Bestimmung  des  Stiles  heranzuziehen  ver- 
sucht hat,  in  höherem  Maße  als  Wölfflin.  Allerdings  sind  die  bezüg- 
lichen Schlüsse  besonders  unglückliche,  weil  eben  seine  ganze 
Grundauffassung  vom  Verhältnisse  der  drei  Künste  zu  einander 
eine  verfehlte  ist.  Was  das  Literarische  betrifft,  so  bietet  Schmar- 
sows Buch  keine  leichte  Lektüre.  Die  Kenntnis  der  Denkmäler  setzt 
er  in  weit  höherem  Grade  voraus  als  Wölfflin;  Abbildungen  ent- 
hält es  gar  keine  und  die  Darstellung  ist  eine  so  schwere  und 
schwulstige,  daß  die  Lektüre  selbst  für  den  Kundigsten  eine  schwie- 
rige Arbeit  ist.  (Man  hat  den  Renaissancestil  als  klare  Harmonie 
aller  Teile  definiert,  den  Barockstil  als  schweren  und  verworrenen 
Kampf  der  Teile  gegeneinander.  Ist  das  richtig,  dann  schreibt  Wölfflin 
einen  Renaissancestil,  Schmarsow  einen  Barockstil.)  Dem  Anfänger 
ist  sie  auf  das  entschiedenste  zu  widerraten.  Er  verliert  nutzlos 
seine  Zeit.  Aber  der  Vorgeschrittene,  der  sich  mit  dem  italienischen 
Barockstil  näher  vertraut  machen  will,  muß  das  Buch  schon  des- 
halb beachten,  weil  es  den  Standpunkt  des  Abscheus  gegenüber 
dem  Barocktsil  so  gut  wie  vollständig  fallen  gelassen  hat,  trotz  ein- 
zelner, freilich  dann  um  so  unbegreiflicherer  Rückfälle.  Den  Eindruck 
der  Notwendigkeit  empfängt  man  auch  von  ihm  nicht. 


QUELLEN. 

Für  die  Orts-  und  Zeitbestimmung  sind  wenigstens  die  ge- 
druckten Quellen  leidlich  ausgebeutet,  doch  selbst  nach  dieser 
Richtung  ist  noch  manches  archivalische  Material,  namentlich  in  den 
Archiven  der  romischen  Ncpotenfamilien.  unediert.  Die  Bedeutung 
der  alten  Quellen  liegt  aber  auch  darin,  daß  sie  uns  die  damalige 
Kunsttendenz  verraten.  Darauf  sind  sie  in  den  letzten  Jahrzehnten 
gar  nicht  untersucht. 

Für  den  ersten  Zeitraum,  von  1520  bis  Michelangelos  Tod, 
kommt  noch  Vasari  in  Betracht.  Er  selbst,  als  Maler,  gehörte  ja  mit 
Leib  und  Seele  der  Richtung  an,  die  Michelangelo  gewiesen  hatte. 
Doch  hält  er  sie  für  die  Vollendung  der  Renaissance,  erkennt  noch  nicht 
das  grundsätzlich  Neue.  Einen  gleichgeachteten  Nachfolger  hat  er  nicht 
gefunden.  Das  17.  Jahrhundert  war  zwar  schreiblustig,  namentlich 
die  lokale  Künstlergeschichte  in  Venedig.  Bologna.  Genua  und 
anderwärts  hat  Bearbeiter  gefunden.  Ein  besonderer  Wert  würde 
aber  einer  umfassenden  Sammlung  von  Biographien  innewohnen, 
von  einer  Hand,  da  uns  dann  die  gesamte  italienische  Kunst  nach 
1550  in  einheitlicher  Beleuchtung  vorgeführt  erschiene  (wie  eben 
bei  Vasari).  Zu  einer  solchen  ist  es,  streng  genommen,  nicht  mehr 
gekommen;  wohl  nicht  zufällig. 

Die  italienische  Kunst  hatte  mit  dem  Aufkommen  des  Subjekti- 
vismus ihre  frühere  unbedingte  Sicherheit  des  Schaffens  eingebüßt; 
ein  innerer  Gegensatz  hatte  sich  eingeschlichen  (kein  anderer  als  der- 
jenige zwischen  Glauben  und  Wissen,  und  der  gibt  sich  unbewußt 
kundi  Es  gibt  Anhänger  des  Alten,  objektiv  Gültigen,  normalen  Rcgel- 
haften  (namentlich  von  den  Akademien,  den  Anhängern  der  Renaissance 
und  Antike  gepflegt,  die  seit  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  entstehen, 
daher  akademische  Richtung  genannt)  und  Anhänger  der  neuen,  subjek- 
tiven Richtung,  sowohl  unter  den  Künstlern  als  im  Publikum:  man  kann 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  2 


-    18     - 

sagen,  schon  völlig  moderne  Verhältnisse.  Das  drückt  sich  namentlich 
aus  in  dem  Unterschied,  den  man  nun  zwischen  Malern  einerseits, 
Bildhauern  und  Architekten  anderseits  zu  machen  begann.  Man  verhielt 
sich  bereits  der  einen  und  der  anderen  Gattung  gegenüber  kritisch. 
Das  war  bei  Vasari  anders,  da  herrschte  noch  einheitliches  Urteil 
gegenüber  allen  Künsten.  Bei  ihm  hat  man  immer  den  Eindruck,  es 
konnte  nicht  anders  gewesen  sein.  Die  ganze  Entwicklung,  wie  er 
sie  schildert,  von  Giotto  bis  Michelangelo,  erscheint  bei  ihm  als 
eine  Naturnotwendigkeit.  Jeder  Meister  hat  sein  Bestes  getan,  es 
konnte  gar  nicht  anders  kommen;  alles  mündet  in  dem  alle  über- 
ragenden Genius:  Michelangelo.  Anders  die  italienischen  Bericht- 
erstatter der  Zeit  nach  1550,  soweit  sie  nicht  reine  Chronisten  sind. 
Sic  hatten  überhaupt  vieles  zu  tadeln;  nicht  bloß  die  Richtung 
einzelner  Meister  gefällt  ihnen  nicht,  sondern  mitunter  die  ganze 
Richtung  überhaupt,  die  die  Kunst  auf  einem  bestimmten  Gebiete 
genommen  hatte.  Namentlich  an  der  Skulptur  und  Architektur  wußten 
sie  zu  tadeln;  weniger  im  allgemeinen  an  der  Malerei,  weil  diese 
dem  Anschein  nach  der  Renaissance  am  nächsten  geblieben  ist;  an 
ihr  merkte  man  weniger  den  Abstand.  Schon  darin  drückt  sich  ein 
für  unsere  Betrachtung  grundwichtiges  Moment  aus:  früher  erschien 
die  Kunst  Zeitgenossen  so,  wie  sie  war,  immer  als  das  absolut 
Notwendige.  Jetzt  ist  sie  Gegenstand  ästhetischer  Wahl.  Ähnliches  ist 
früher  nur  in  der  frühen  römischen  Kaise,rzeit  zu  bemerken,  in  der 
ein  Subjektivismus  aufgekommen  war.  Es  drückt  sich  darin  zugleich 
der  latente  Zwiespalt  in  der  Weltanschauung  aus.  Ich  nenne  hier  nur 
die  wichtigsten  Quellen,  deren  Biographien  noch  am  ehesten  über  einen 
rein  lokalen  Gesichtspunkt  hinausgehen.  Sie  knüpfen  fast  alle  an 
Rom  an,  an  die  Künstler,  die  in  Rom  geschaffen  haben,  und  an  die 
Denkmäler,  die  sie  dort  hinterlassen  haben.  Wir  wissen  aber,  daß 
Rom  in  dieser  Zeit  das  Gemeinitalicnische  in  seiner  schärfsten, 
reinsten  Fassung  repräsentiert.  Insoferne  sind  jene  Biographen  nicht 
als  Lokalschriftsteller  aufzufassen. 

HicrkommtzucFst  in  Betracht  das  Buch  von  Giovanni  Baglione: 
„Lc  vitc  de'  pittori,  scultori,  architetti  ed  intagliatori  dal  pontificato  di 
Grcgorio  XIII  del  1572  fino  a' tempi  di  Papa  Urbano  VIII  nel  1642." 
Es  umfaßt  also  die  70  Jahre  von  1572  bis  1642,  aber  nur  diejenigen 
Meister,  die  schon  verstorben  waren;  also  viele,  die   1642  schon  seit 


-     19     - 

vielen  Jahren  tätig  waren,  sind  darin  nicht  enthalten.  Es  ist  im 
wesentlichen  eine  Geschichte  der  Künstler  der  ersten  gegenreforma- 
torischen  Periode  der  italienischen  Barockkunst.  Das  Buch  ist  äußerlich 
gewissermaßen  eine  Fortsetzung  des  Vasari,  aber  es  enthält  nicht 
einmal  annähernd  den  Reichtum  und  die  Fülle  der  Nachrichten,  wie  sie 
Vasari  bietet.  Die  erste  Ausgabe  erschien  in  Rom  1644,  eine  zweite  in 
Neapel  1733,  vermehrt  durch  eine  Lebensbeschreibung  des  Salvator 
Rosa  von  Giov.  Batt.  Passeri.  Baglione  war  selbst  Maler,  von  dem 
noch  manche  Bilder  in  Rom  erhalten  sind;  er  war  zwar  in  Rom  ge- 
boren, aber  von  florentinischen  Eltern;  seine  erste  Schule  hat  er 
auch  bei  einem  Florentiner  Meister  genossen.  Sein  Buch  ist  ein 
merkwürdiges  Gemisch  von  Fremdenführer  und  biographischem 
Lexikon.  Es  beginnt  mit  einem  Dialog:  er  trifft  einen  Fremden, 
der  über  die  Kunstschätze  von  Rom  wie  von  Sinnen  ist.  Baglione 
bietet  sich  ihm  in  der  Maske  eines  römischen  Edelmannes  an,  ihn 
durch  fünf  Tage  hindurch  über  die  Künstler  und  Kunstwerke  von 
Rom  zu  unterrichten,  und  zwar  nach  der  Reihenfolge  der  Päpste, 
unter  deren  Regierung  die  betreffenden  Künstler  verstorben  sind. 
Sonderbar!  Die  Einteilung  nach  Päpsten  beweist  einen  offenen  Sinn 
für  das  Richtige:  in  der  Tat  verkörpert  sich  damals  bis  Urban  VIII. 
der  italienische,  speziell  der  römische  Geist.  Was  die  Päpste  künst- 
lerisch zur  Tat  werden  ließen,  das  geschah  nicht  aus  ihrem  bloßen 
Belieben,  sondern  aus  einer  Notwendigkeit  der  damaligen  römischen 
Kultur,  die  gerade  in  der  Zeit  zwischen  1560  und  1630  die  gemein- 
italienische  war  (sogar  die  Venezianer  waren  zum  Teil  zurück- 
getreten mit  ihrem  Sondercharaktcr  der  Kunst,  die  Neapolitaner  waren 
noch  nicht  schärfer  hervorgetreten). 

Die  richtige  Erwägung  wird  verwischt  durch  den  besonderen 
Umstand,  daß  innerhalb  jeden  Pontifikatcs  nicht  die  Kunstwerke 
der  betreffenden  Päpste  und  ihrer  Kardinäle,  sondern  diejenigen  der 
Meister,  die  unter  diesen  Päpsten  verstorben  sind,  aufgezählt  werden. 
So  gelangen  Kunstwerke  zur  Sprache,  die  unter  viel  früheren 
Päpsten  entstanden  sind;  es  geschah  dies  offenbar,  um  die  Werke 
einzelner  Meister  nicht  zerreißen  zu  müssen.  Dann  fragt  man  sich 
aber,  warum  er  nicht  gleich  die  Meister  als  solche  zum  alleinigen 
Einteilungsgrund  gemacht  hat.  Das  Buch  zerfällt  in  fünf  Tage:  Giornate. 
Gewidmet    den  Pontifikaten  Gregors  XIII.,  Sixtus  V.,  Clemens  VIII., 


-    20    - 

Pauls  V.  und  Urbans  VIII.  (Dazwischenliegende  kleine  Pontifikate  hat 

er  ausgelassen,  aber  auch  ein  etwas  größeres,  das  zweieinhalb  Jahre 
gedauert  hat:  des  Papstes  Gregor  XV.  Ludovisi,  Vorgängers  Ur- 
bans  VIII.;  offenbar  geschah  es  aus  Liebedienerei  gegen  diesen, 
weil  er  in  politischen  und  Familiengegensatz  zu  Gregor  getreten  ist.) 
Jede  Giornata  wird  eingeleitet  durch  einen  Dialog  des  Fremden 
und  des  Edelmannes,  worin  sie  sich  einige  fade  Komplimente 
sagen;  auch  in  den  einzelnen  Biographien  wirft  der  Fremde  hie  und 
da  eine  Bemerkung  ein.  Von  jedem  Papst  wird  eine  Übersicht 
seines  anstoßgebenden  Wirkens  auf  künstlerischem  Gebiete  voraus- 
geschickt, wodurch  der  vorhin  gerügte  Mangel  wenigstens  zu  einem 
geringen  Teile  gutgemacht  werden  sollte.  Die  einzelnen  Biographien 
sind  kurz  und  reine  Aufzählungen.  Künstlerische  Urteile  sind  selten 
und  keineswegs  tief.  Es  scheint,  Baglione  wollte  sich's  mit  nieman- 
dem verderben.  Es  ist  wirklich  der  reine  charakterlose  Fremden- 
führer. Die  Hauptsache  ist  immer,  wer  das  Kunstwerk  bestellt  hat. 
Namentlich  die  Kardinäle  als  Kunstmäcenaten  werden  nächst  den 
Päpsten  gebührend  hervorgehoben.  Man  lernt  aus  Baglione  gar 
nicht  die  künstlerischen  Anschauungen  der  Zeit,  aber  die  ganze 
äußere  Atmosphäre,  in  der  sich  das  römische  Kunstschaffen  damals 
vollzog,  wenn  man  nur  zwischen  den  Zeilen  zu  lesen  versteht.  Er 
hat  gegen  200  Meisterbiographien  geliefert  und  ist  dadurch  allein 
schon  wichtig.  Kein  anderer  von  denen,  die  hier  noch  zu  nennen 
sind,  hat  so  viele  aus  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  gesammelt.  Es 
sind  auch  einige  Deutsche  und  Niederländer  darunter,  die  in  Italien 
geschaffen  haben:  Adam  Elzhcimcr  und  Rubens. 

Eine  ganz  entgegengesetzte  Tendenz,  nicht  charakterlose  Chronik. 
sondern  Propaganda  für  eine  bestimmte  Kunstrichtung  an  der  Hand 
weniger,  aber  ausführlicher  Biographien,  verfolgte  der  zweite  Haupt- 
geschichtschreiber der  römischen  Barockkunst:  Giovanni  Pietro 
Bellori  in  seinen  „Vitc  de  pittori,  scultori  cd  architetti  moderni" 
(I.Auflage  Rom  1672.  2.  Auflage  Rom  1728,  vermehrt  durch  eine 
Biographie  des  Luca  Giordano  vom  Herausgeber  der  2.  Auflage 
Francesco  Ricciardo).  Schon  der  Autor  als  solcher  interessiert 
uns.  Er  war  kein  Berufsmalcr  wie  alle  anderen  Künstlcrbiographen 
seiner  Zeit  (Vasari,  Baglione,  Passen',  im  Norden  Sandrart,  van  Mandcr, 
Houbrakcn),  sondern  ein  gelehrter  Sammler  und  Liebhaber.  Passcri 


nennt  ihn  wörtlich  einen  ..großen  Liebhaber  und  Kenner  und  so 
gelehrt,  daß  er  unter  die  größten  Genies  unseres  Jahrhunderts  gezählt 
werden  kann".  Das  ist  eine  zweifellos  bombastische  Übertreibung. 
Wir  erkennen  in  ihm  einen  der  frühesten  Kunsthistoriker,  einen  Vor- 
läufer Winckelmanns.  Auch  das  allein  schon  ist  ein  Zeichen  der  ge- 
änderten Zeit.  Mazzuchelli  (gli  scrittori  d'  Italia)  nennt  ihn  uno  de'  piü 
illustri  antiquarii  (Kunstkenner!  auch  etwas  neues,  früher  war  jeder 
Schuster  und  Schneider  ein  solcher;  im  Humanismus  kamen  Antiken- 
kenner auf,  aber  Kenner  der  modernen  Kunst  erst  mit  dem 
Subjektivismus)  che  abbia  avuto  1'  Italia.  Ein  gebürtiger  Römer 
gestorben  1696  im  Alter  von  mehr  als  80  Jahren,  also  zirka  1615 
geboren.  Er  wurde  erzogen  von  seinem  Oheim  Francesco  Angeloni, 
der  selbst  ein  namhafter  Antiquario  seiner  Zeit  gewesen  ist,  und  den 
Neffen  zu  einem  ebensolchen  von  Anbeginn  erzogen  hat.  Angeloni 
war  Sekretär  des  Kardinals  Ippolito  Aldobrandini,  in  dessen  Palast 
der  junge  Bcllori  viele  Kunstsachen  sehen  konnte  (unter  Papst 
Clemens  VIII.  haben  die  aldobrandinischcn  Nepoten  die  große  Fortuna, 
auch  an  Kunstschätzen,  zusammgebracht).  —  Bellori  war  Antiquar  und 
Bibliothekar  der  Königin  Christine  von  Schweden.  Papst  Clemens  X. 
hat  ihm  den  Titel  eines  Antiquario  di  Roma  verliehen.  Er  soll  sich 
auch  in  der  Dichtkunst  und  in  der  Malerei  versucht  haben.  Seine 
Kunstsammlung,  die  er  beim  Tode  hinterließ  (nicht  viel,  aber  lauter 
Erlesenes),  ist  an  den  preußischen  Hof  gekommen.  Als  Kunsthistoriker 
hat  er  allerdings  schon  einen  ausgesprochenen  Geschmack  für  Antike 
und  Renaissance,  verhält  sich  kritisch  zur  subjektivistisch  modernen 
Kunst;  wie  wir  sagen  würden:  ganz  wie  die  Kunsthistoriker  des 
19.  Jahrhunderts  ä  la  Burckhardt.  Die  Barockentwicklung  des  17.  Jahr- 
hunderts in  Rom  mißfällt  ihm  durchaus,  namentlich  in  der  Architektur. 
Sein  kunsthistorisches  Hauptwerk  sind  die  genannten  Vite;  angeblich 
soll  er  einen  zweiten  Teil  hierzu  im  Manuskript  hinterlassen  haben. 
wie  Orlandi  im  Abecedario    pittorico  mitteilt. 

Bellori  erklärt  von  vornherein,  daß  er  es  für  gegenstandslos, 
überflüssig  und  nutzlos  hält,  alle  Künstler  und  Kunstwerke  aufzuzählen, 
wie  es  Baglione  getan  hat;  er  will  sich  nur  auf  die  namhaftesten,  auf  die 
wirklich  großen  Meister  beschränken;  diese  aber  will  er  eingehend  be- 
handeln und  bei  ihren  einzelnen  Werken  länger  verweilen:  das 
bekundet  wissenschaftlichen,    kunsthistorischen  Geist.    Daraus  ergibt 


-     22     - 

sich  schon,  was  wir  bei  Bcllori  zu  suchen  haben:  weniger  eine 
hülle  von  Namen  und  von  äußeren  biographischen  Details,  als  eine 
Schilderung  der  Kunstanschauung  seiner  Zeit.  Insoferne  ergänzt  er 
den  Baglione  in  sehr  glücklicher  Weise.  Allerdings  ist  der  Unter- 
schied zwischen  beiden  nicht  bloß  in  persönlicher  Anlage  begrün 
det,  Mindern  auch  in  den  geänderten  Zeitumständen.  Als  Baglione 
schrieb,  freute  man  sich  in  Rom  im  allgemeinen  noch  jedes  neu  ent- 
standenen Kunstwerkes,  es  war  noch  eine  Zeit  wenigstens  verhält- 
nismäßig sicheren  Schaltens;  Bellori  aber  schrieb  um  1670,  da  war 
der  Zug  zur  Kritik,  zur  Reflexion  schon  ein  sehr  mächtiger  geworden. 
Die  starken  Impulse  der  italienischen  Kunst  der  Gegen- 
reformationszeit  hatten  nachgelassen.  Man  war  unzufrieden.  Doch 
darf  man  allerdings  auch  nicht  glauben,  daß  alle  römischen  Zeit- 
genossen so  dachten  wie  Bellori.  Das  geht  schon  daraus  hervor, 
daß  er  die  römischen  Künstler  seiner  eigenen  Zeit  gar  nicht  zur 
Sprache  bringt.  Die  Meister,  die  Bellori  beschreibt  und  die  er  für 
die  größten  hält,  waren  um  1670  alle  schon  verstorben.  Nicht  ein- 
mal den  grüßten  Meister  seiner  eigenen  Zeit,  den  Lorenzo  Bernini, 
hat  er  berücksichtigt;  die  Richtung  desselben  war  ihm  offenbar 
überhaupt  nicht  sympathisch.  Das  Ideal  seiner  Richtung  war  viel- 
mehr der  italianisierte  Franzose  Nicolas  Poussin,  also  der  plastisch 
denkende  Maler,  nicht  Bernini.  der  malerisch  denkende  Plastiker. 
Die  Kunstanschauung  Belloris,  die  er  im  Vorwort  niedergelegt  hat 
und  die  er  auch  in  den  einzelnen  Biographien  immer  wieder  vor- 
bringt, kann  nur  die  der  einen  der  beiden  Parteien  im  damaligen  römi- 
schen Kunstleben  wiedergeben:  die  der  akademischen  konservativen 
Partei,  die  dann  den  Carlo  Maratta  hervorgebracht  hat.  Aber  es 
ist  die  Anschauung  des  denkenden  italienischen  Kunstfreundes,  der 
das  künstlerische  Bedürfnis  seiner  Nation  in  seinen  tiefsten  Tiefen 
erfassen  möchte,  den  die  eiste  beste  Tagesleistung  nicht  deshalb 
schon  befriedigt,  weil  sie  das  Neueste,  das  Modernste  ist.  Im  Grunde 
trennt  ihn  aber  nicht  einmal  gar  so  vieles  von  Bernini.  Insoferne 
ist  die  Kunstlehre  Belloris  charakteristisch  für  die  Auffassung  der 
Italiener  von  der  bildenden  Kunst  überhaupt,  und  daher  will  ich 
sie  in  kurzen  Grundzügen  skizzieren. 

Vor  allem  muß  schon  auffallen :  die  klassische  Antike  bezeichnet 
ihn   die  Höhe  des  menschlichen  Kunstschaffens.   Man  sieht,    literarisch 


-     23     - 

ist  der  Klassizismus  nun  längst  vorgebildet,  bevor  man  ihn  praktisch 
zu  verwirklichen  gesucht  hat.  Der  geistige  Zusammenhang  zwischen 
Bellori  und  Winckelmann  tritt  gerade  in  diesem  Punkte  ganz 
unzweifelhaft  klar  entgegen.  Freilich  hat  Winckelmann  sich  nicht  zu 
Bellori  bekannt,  eben  weil  ihm  das  Barocke  in  Bellori  nicht  ent- 
gangen ist.  Das  klassische  Altertum  war  die  wahre  Zeit  der  buone 
arti;  seitdem  sind  sie  verfallen.  Die  Malerei  hat  zwar  einen  neuen 
Aufschwung  erhalten,  namentlich  durch  Raffacl.  der  immer  muster- 
gültig bleibt.  Die  Manieristen  verdammt  er,  aber  auch  die  Natura- 
listen; beide  sind  Abschreiber:  die  Manieristen  schreiben  den  Raf- 
fael  ab,  die  Naturalisten  die  Natur;  der  wahre  Künstler  schöpft  nur 
aus  der  Idee,  aber  aus  seiner  eigenen.  Die  Carracci  haben  dann 
eine  Restauration  der  Malerei  wieder  herbeigeführt,  und  die  Malerei 
dünkt  ihm  auch  die  einzige  Kunst,  deren  Werke  dem  Italiener  seiner 
Zeit  noch  eine  reine  Freude  bereiten  konnten  (wir  erinnern  uns 
hier,  daß  die  Malerei  in  Belloris  Zeit,  um  1670,  in  Italien  keine 
neuen  Wege  mehr  einschlug,  sondern  im  wesentlichen  in  den  alten 
Geleisen  der  Bolognesen  sich  weiterbewegte,  und  damit  höchstens 
einen  Zug  zurück  zu  Raffacl  verband:  Sacchi  und  Maratta). 

Auf  die  Skulptur  ist  er  sehr  schlecht  zu  sprechen.  Kein  Skulptur- 
werk gibt  es  in  seinen  Augen,  das  nicht  hinter  den  antiken  zurück- 
stünde (kunsthistorisch  höchst  bemerkenswert!).  Selbst  die  Schöpfungen 
Michelangelos  nimmt  er  nicht  aus.  Charakteristisch  für  das  Urteil  des 
Italieners:  seit  Michelangelo  sind  die  nordischen  Elemente  einge- 
drungen; gesteigerte  Empfindung  und  optische  Aufnahme.  Diese 
ruinieren  die  Skulptur,  nur  die  davon  freie  antike  Skulptur  kann 
als  mustergültig  bezeichnet  werden.  Namentlich  aber  ist  das  die 
Grundabsicht  des  Bernini;  Bellori  läßt  es  nicht  gelten. 

Von  der  Architektur,  die  ja  mit  der  Skulptur  die  dreidimensionale 
Stofflichkeit  gemein  hat,  gilt  dasselbe.  Mustergültig  ist  nur  die  antike 
Baukunst,  weil  sie  die  absolute  Stabilität  vorstellt.  Bramante,  Raffacl 
und  Michelangelo  haben  sie  zwar  wieder  erweckt,  aber  es  dauerte 
nicht  lange,  und  ein  neuer  Verfall  trat  ein,  fino  alla  corruzione  del- 
F  etä  nostra.  Auch  in  der  Architektur  hatte  Bernini  die  größten 
Triumphe  gefeiert;  Bellori  läßt  sie  nicht  gelten,  denn  er  verschweigt 
sie.  Direkte  Opposition  erhebt  er  aber  gegen  die  Neuerungen  des 
Borromini,  nur  nennt  er  auch  seinen  Namen  nicht. 


-     24     - 

Was  ist  nun  im  allgemeinen  der  Inhalt  der  Kunstlehre 
des  Bellori?  Was  ist  überhaupt  Kunst?  Er  sagt  es:  sie  liegt 
in  der  idea,  im  Ideal.  (Als  Vorwort  seines  Buches  ist  ein  Vortrag 
abgedruckt,  den  er  im  Jahre  lbö4  vor  versammelter  Accademia 
di  S.  Luca  gehalten  hat,  als  Maiatta  Principe  der  Akademie 
war.  also  sein  Gesinnungsgenosse;  das  erklärt,  warum  er  vor 
der  Akademie,  die  doch  auch  Andersgesinnte  in  ihrer  Mitte  zählte, 
seine  Ansichten  auseinandersetzen  durfte.  Darin  entwickelt  er  seine 
Grundanschauung.) 

L' idea  ist  die  Vorstellung  höchster,  vollkommenster  Schönheit 
der  geschlossenen  Einzelform.  Der  Künstler  findet  diese  Schönheit 
nicht  in  einzelnen  Dingen  der  Natur,  auch  nicht  in  einzelnen  Men- 
schen, sondern  nur  in  seiner  Vorstellung.  Damit  ist  dem  Naturalis- 
mus sein  Urteil  gesprochen.  Aber  diese  reine  Vorstellung  kann 
sich  der  Künstler  doch  nur  auf  Grund  der  Natur  machen.  Er  muß 
die  Natur  eingehend  studieren,  um  auf  die  richtige  Vorstellung  von 
der  höchsten  Schönheit  zu  kommen:  z.  B.  ein  weiblicher  Kopf  in 
der  Natur  ist  niemals  absolut  schön,  irgendein  Schönes  ist  daran, 
aber  sonst  lauter  Fehler.  Die  Natur  ist  unvollkommen;  das  Voll- 
kommene steckt  darin,  aber  verhüllt  durch  viele  unvollkommene 
Zutaten  (Dürer  sagt,  mau  muß  die  Kunst  aus  der  Natur  heraus- 
reißen; Dürer  steigert  aber  das  Vollkommene,  so  daß  er  das  übrige 
Unvollkommene  beherrscht;  er  bildet  sich  keine  Idea).  Ebenso  am 
zweiten,  dritten  usw.  An  jedem  aber  entdeckt  er  etwas  Schönes, 
an  dem  die  Nase,  dort  die  Augen,  an  dem  dritten  die  Wangen  usw., 
und  dieses  einzelne  Schöne  merkt  er  sich.  So  bekommt  der  Künstler 
aus  verschiedenen  Köpfen  endlich  lauter  schöne  Details  zusammen, 
die  er  nun  in  seiner  Idea  zum  absolut  schönen  Kopf  gestaltet.  Er 
ist  sein  Ideal.  Was  setzt  ein  solches  Ideal  voraus?  Die  isolierte  Be- 
trachtung einzelner  Teile.  Es  fehlt  an  Verbindung  plastischer  Ideale. 
Die  gewählte  Harmonie  ist  daher  immer  plastisch,  nahsichtig. 
Also,  das  Ideal  als  Ganzes  schafft  sich  der  Künstler  selbst  in 
seiner  Vorstellung,  aber  die  Teile  entnimmt  er  der  Natur.  Des- 
halb verurteilt  er  die  Manieristen,  weil  sie  das  Ideal  von  einem 
anderen  borgen,  statt  es  durch  direktes  Studium  aus  der  Natur  zu 
schöpfen.  Also  was  Bellori  predigt,  ist  ein  Idealismus  mit  natura- 
listischem  Kern. 


-     25     - 

Der  zweite  Hauptgrundsatz  ist:  die  Malerei  ist  nichts  anderes 
als  die  Darstellung  einer  menschlichen  Handlung  (umana  azione); 
ein  Grundsatz  des  Poussin,  wie  Bcllori  ausdrücklich  anmerkt.  Auch 
dies  für  die  Italicner,  ja  für  alle  Romanen  charakteristisch,  und  nicht 
so  sehr  für  die  Franzosen  allein.  Und  zwar  versteht  Bcllori  darunter 
nicht  allein  die  äußere  mechanische  Bewegung,  sondern  auch  die 
innere,  den  Willcnsimpuls,  diktiert  von  Gefühlen  —  die  Gefühle 
sind  die  barocke  Neuerung  seit  Michelangelo!  —  wie  er  sich  in 
gewissen  transitorischen  Bewegungen  des  Körpers  (in  Veränderungen 
des  Gesichtes  namentlich)  äußert.  Auf  Beobachtung  des  Transitorischen 
hat  daher  der  Künstler  sein  Hauptaugenmerk  zu  richten;  man  sieht, 
es  handelt  sich  dabei  um  die  Grundabsicht  aller  italienischen 
Barockmalcrei:  die  Darstellung  eines  momentanen  Affektes.  Auch 
dieser  Affekt  setzt,  wie  jede  Bewegung,  Nahsicht  voraus.  Es  drückt 
sich  darin  der  ganze  Gegensatz  zur  germanischen  Stimmungskunst 
aus.  Damit  hängt  auch  das  Postulat  der  „Maniera  grande"  in  der 
Kunst,  namentlich  in  der  Malerei,  zusammen.  Es  ist  das  Postulat  des 
Grandiosen,  Erschütternden.  Bedeutenden,  Siegreichen,  des  Packenden. 
Schlagenden,  nicht  des  Intimen. 

Man  sieht  auch,  wie  Bcllori  im  Grunde  ebenso  denkt  wie 
Bernini.  Von  diesem  Standpunkte  aus  läßt  sich  auch  der  Wider- 
spruch in  dieser  italienischen  Kunst  erkennen,  an  dein  sie  schließ- 
lich zugrunde  gehen  mußte.  Bernini,  den  Bcllori  nicht  gelten  läßt, 
hat  nichts  anderes  getan,  als  den  momentanen  Affekt  in  die  Skulptur 
eingeführt  Wenn  nun  Bcllori  den  momentanen  Affekt  vom  Künstler 
fordert,  warum  verurteilt  er  den  Bernini?  Offenbar,  weil  er  den 
momentanen  Affekt  in  der  Skulptur  nicht  für  darstellbar  an- 
erkennt. Der  Vergleich  mit  der  Antike  sagt  ihm:  die  körperliche 
Schönheit,  die  der  Italicner  noch  immer  so  hoch  schätzt,  erscheint 
an  den  antiken,  affektlosen  Statuen  besser  gewahrt  als  an  den 
berninesken  affektierten.  Bernini  hat  also  die  „Stilgrenze"  der 
Skulptur  überschritten;  ja  Bernini  scheint  sich  dessen  direkt  ge- 
rühmt zu  haben. 

Das  begegnet  hier  zum  ersten  Male:  die  Stilgrenzen.  Weder  das 
Altertum  noch  das  Mittelalter  hat  sie  gekannt.  Es  war  immer  selbst- 
verständlich, daß  die  Skulptur  gerade  so  viel  wagen  darf  als  die 
Malerei  (die  impressionistische  Malerei  hat  ein  Seitenstück  in  den  Bohr- 


-    26    - 

löchern:  beides  nebeneinander  in  der  kaiserrömischen  Kunst).  Heute 
wagt  man  das  nicht:  wegen  der  Stilgrenzen.  Die  Stilgrcnzcn  kommen 
mit  dem  Subjektivismus  auf.  Ihm  gegenüber  sucht  ein  Teil  von 
Künstlern  und  Publikum  (die  Akademiker)  eine  Norm.  Das  Fehlen 
dieser  Norm  spüren  sie  empfindlicher  in  der  Skulptur  und  Archi- 
tektur als  in  der  Malerei. 

Zur  gleichen  Zeit  kommt  die  Mode  auf.  Wir  werden  sehen: 
bei  Borromini  tritt  sie  deutlich  als  solche  entgegen,  sie  sucht  nach 
immer  Neuem,  Nochnichtdagewesenem,  Unerhörtem.  Beides  wurzelt 
im  gesteigerten  Subjektivismus.  Die  Konservativen,  wie  Bellori, 
suchen  dagegen  nach  Objektivem,  wenigstens  einige  Zeit. 

Jetzt  beginnt  das  rastlose  Suchen,  weil  der  Glaube  nicht 
mehr  die  feste  Richtschnur  gibt,  von  der  Mitte  des  17.  Jahrhun- 
derts an  auch  in  Italien  nicht  mehr,  wenn  auch  nicht  eingestandener- 
maßen. 

Bellori  ist  natürlich  ein  entschiedener  Gegner  der  Mode. 
(Nicht  um  den  Gegenstand,  das  „Motiv"  der  Darstellung  handelt 
es  sich  in  der  Malerei,  sondern  um  die  Art  und  Weise,  wie  man 
es  darstellt.)  Am  entschiedensten  predigt  er  die  Tradition  in 
Skulptur  und  Architektur.  In  der  Skulptur  empfiehlt  er  das  Studium 
der  antiken  Statuen  (er  übersieht  dabei,  daß  er  damit  unter  die  Manie- 
risten geht);  bemerkt  aber  dazu,  daß  er  darüber  sich  nicht  weiter 
verbreiten  wolle,  weil  ihm  bekannt  ist,  daß  andere  anderer  Meinung 
darüber  sind  (offenbar  auf  Anhänger  Berninis  zu  beziehen).  Man 
wird  erinnert,  wie  das  Zeichnen  nach  den  Antiken  heutzutage  von 
den  Modernsten  abfällig  beurteilt  wird.  Womöglich  noch  entschie- 
dener empfiehlt  er  die  Tradition  in  der  Architektur.  Nur  die  Kon- 
zeption im  großen,  die  Erfindung  des  Grundplanes  läßt  er  den 
modernen  Architekten,  um  sich  den  modernen  Bedürfnissen  anzu- 
passen. Für  alle  Details  haben  schon  die  Griechen  die  vollkom- 
menen Regeln  und  Formen  gefunden:  Säulen,  Gebälke.  Verhält- 
nisse. Hier  läßt  er  seinem  Abscheu  über  die  borrominesken  Neue- 
rungen frei  die  Zügel  schießen  (denn  da  hatte  er  auch  die  Partei 
des  Bernini  für  sich,  nicht  so  sehr  aus  sachlichen  als  aus  persön- 
lichen Gründen).  Sein  Gedankengang  ist  hier  ganz  der  gleiche  wie 
bei  der  Skulptur:  die  Architektur  schafft  bewegungslose  Werke  aus 
dreidimensionaler    Materie;     sie    verträgt    daher    nicht    einmal    den 


-    27     - 

Schein  einer  Bewegung.  Die  ganze  Entwicklung  der  Architektur 
seit  Michelangelo  mußte  ihm  sonach  als  Verirrung  erscheinen  (so 
erschien  sie  auch  noch  Neueren,  die  auf  dem  gleichen  Standpunkte 
standen:  Jakob  Burckhardt).  Überhaupt  habe  ich  Bclloris  Anschau- 
ungen etwas  eingehender  dargelegt,  nicht  allein  wegen  ihrer  Be- 
deutung für  die  Beurteilung  der  damaligen  Zeit  und  der  damaligen 
italienischen  Kunst  selbst,  sondern  auch  wegen  der  Bedeutung,  die 
sie  auf  das  Urteil  der  modernen  Kritiker  vielfach  geübt  haben. 
Bellori  war  eben  ein  ernster,  gewissenhafter  Denker  und  Forscher 
und  hat  dadurch  namentlich  auf  deutsche  Forscher  der  Gegenwart 
Eindruck  gemacht.  Die  Ästhetik  des  18.  Jahrhunderts  fußt  wesentlich 
auf  solchen  Grundanschauungen. 

Eine  wirkliche  Fortsetzung  des  Baglione  hat  aber  ein  anderer 
geliefert:  der  römische  Maler  Giovanni  Battista  Passeri,  gestorben 
1699.  in  seinen  „Vite  de' pittori,  scultori  ed  architetti  che  hanno 
lavorato  in  Roma,  morti  dal  1641  fino  al  1673".  Er  hat  die 
Lebensbeschreibungen  derjenigen  Maler,  Bildhauer  und  Baumeister 
geschrieben,  die  in  Rom  gearbeitet  haben  und  zwischen  1641  und 
1673  verstorben  sind;  im  ganzen  36  Biographien.  Zu  einem 
definitiven  Abschlüsse  des  Buches,  wie  er  es  geplant  haben  mochte, 
ist  er  nicht  gelangt.  Manche  Biographie  ist  Fragment  geblieben; 
überhaupt  ist  sein  Manuskript  zu  seinen  Lebzeiten  nicht  zur  Publikation 
gekommen  und  auch  noch  lange  nach  seinem  Tode  nicht.  Erst  1772 
ist  es  zu  einer  italienischen  Originalausgabe  der  Handschrift  ge- 
kommen, mit  Kürzungen,  die  eine  moderne  kritische  Neuausgabe 
erwünscht  erscheinen  lassen.  Im  Jahre  1786  ist  eine  deutsche  Über- 
setzung erschienen. 

Ich  sagte:  Passeris  Arbeit  ist  eine  Fortsetzung  des  Baglione: 
aber  der  Charakter  ist  doch  ein  sehr  verschiedener.  Passeri  nimmt 
etwa  die  Mitte  zwischen  Baglione  und  Bellori  ein:  er  schreibt  zwar 
Biographien  aller  Meister,  großer  und  kleiner,  aber  er  begibt  sich 
dabei  nicht  seines  kritischen  Urteiles;  im  Gegenteil,  er  ist  darin 
mitunter  sogar  sehr  scharf  und  entschieden.  Doch  muß  man  bei 
ihm  als  Künstler  scheiden  zwischen  persönlicher  und  sachlicher 
Gegnerschaft.  So  befindet  er  sich  in  einem  schroffen  Gegensatz 
zu  Bernini,  dem  Liebling  der  Päpste;  man  könnte  meinen,  Passeri 
wäre    also  demokratisch.     Man   muß  sich  aber  dabei    immer  gegen- 


-    28    — 

wärtig  halten,  daß  die  Feindschaft  vieler,  auch  subjektivistisch 
schaffender  Künstler  gegen  Bernini  ganz  wesentlich  eine  persönliche 
war.  Hernini  besaß  schon  unter  Urban  VIII.  weitaus  die  alier- 
machtigste  Stellung  und  fast  alle  künstlerischen  Unternehmungen 
der  Kurie  gingen  durch  seine  Hand.  Man  neidete  ihm  Ehre  und 
Gewinn,  hingegen  gab  Bernini  auch  durch  Intrigen  (anders  ging 
es  nicht)  Anlaß  zu  Verstimmungen  Das  mußte  ihm  Feindschaften 
erwecken.  Unter  Urbans  Nachfolger  geriet  auch  Bernini  eine  Zeitlang 
in  Ungnade;  aber  bald  war  er  wieder  obenauf.  Mit  Gewalt  war 
eben  gegen  ihn  nichts  auszurichten;  um  so  mehr  rächten  sich  die 
Kollegen  hinterrücks  in  Schmähreden  und  in  Schriften.  So  auch 
Passeri,  obzwar  er  im  allgemeinen  einen  durchaus  anständigen  Ton 
bewahrt.  Passeris  Gegnerschaft  war  also  zum  größten  Teile  eine 
persönlich-subjektive.  Vor  dem  Künstler  Bernini  empfand  gewiß 
auch  Passeri  alle  Hochachtung. 

Rein  sachlich  war  nur  Belloris  Gegnerschaft;  er  drängte  nach 
einer  Norm,  einem  absolut  gültigen  Objektivismus  der  Kunst,  er 
wollte  sich  nicht  blindlings  der  herrschenden  Tagesstrümung  über- 
lassen, und  dann  war  damals  —  in  den  siebziger  Jahren  —  eben 
auch  Bernini  schon  ein  alter  Mann,  sozusagen  eine  überwundene 
Größe.  Der  Raffaelkultus  hatte  wieder  begonnen  (Maratta  sein  typi- 
scher Vertreter),  alles  Dinge,  die  fünfzig  Jahre  früher  nicht  möglich 
gewesen  wären.  Wie  das  Urteil  des  Passeri  subjektiv  gefärbt  war, 
geht  schon  aus  seinem  Verhalten  Borromini  gegenüber  hervor. 
Borrominis  S.  Carlo  alle  quattro  fontane,  um  das  sich  heute  noch  die 
Stilpuritaner  streiten,  nennt  Passeri  ein  „Wunderwerk"  der  Kunst. 
Bellori  mußte  gewiß  den  größten  Abscheu  davor  empfinden.  Aber 
Passeri  läßt  es  gelten:  Borromini  gehörte  zur  Gegenpartei  Berninis. 
mit  dem  er  sich  noch  unter  Urban  VIII.  zerworfen  hatte.  Wenn 
man  aber  Borromini  künstlerisch  gelten  ließ,  dann  durfte  man  Ber- 
nini  um  so  weniger  verwerfen. 

In  den  Schilderungen  Passeris  ist  viel  Lebendiges,  unmittelbar 
Erlebtes.  Sie  sind  daher  ein  willkommenes  Mittel,  sich  in  die  Zeit 
zu  versetzen.  Sie  kennzeichnen  die  Zeit,  in  der  Bernini  die  Hege- 
monie innehatte,  das  heißt  die  erste  aufsteigende  Hälfte  des  zweiten 
Zeitraumes,  nach  1630.  Passeri  bildet  daher  so  recht  die  eigentliche 
Fortsetzung   des    Baglione.     Wenn    nach    1673   sich  kein  Fortsetzer 


-    29    — 

des  Passeri  gefunden  hat.  so  ist  es  nicht  zufällig  Die  römische  Kunst 
verliert  ihre  universale  Bedeutung  für  Italien,  und  noch  mehr 
außerhalb  Italiens;  geradeso  wie  das  Papsttum,  dessen  Herrlichkeit 
sie  repräsentieren  sollte.  Man  beschränkte  sich  darauf.  Baglione 
und  Bellori  neu   aufzulegen. 

Aber  auch  Lorenzo  Bernini  hat  seinen  Biographen  gefunden. 
Und  zwar  —  sonderbar!  eine  Nordländerin  hat  dazu  den  Anstoß 
gegeben!  —  hat  die  Königin  Christine  von  Schweden,  die  den  Meister 
überaus  geschätzt  hat.  diese  Biographic  veranstaltet.  Ihr  Antiquar  und 
Bibliothekar  war  Bellori.  der  1681,  als  Bernini  starb,  noch  lange  am 
Leben  war.  Aber  es  ist  charakteristisch,  daß  nicht  Bellori  diese  Aufgabe 
übernahm,  die  ganz  wider  sein  persönliches  künstlerisches  Gewissen 
gewesen  wäre,  sondern  ein  Florentiner  Kunsthistoriker,  der  Anti- 
quar des  Oroßhcrzogs  von  Toskana,  Filippo  Baldinucci.  Einer  der 
besten  Kenner  seiner  Zeit,  der  die  große  großherzoglichc  Samm- 
lung von  Handzeichnungen  auf  die  Meister  bestimmt  und  geordnet 
und  in  Bänden  vereinigt  neu  aufgestellt  hat.  Baldinucci  war  auch 
als  Literat  sehr  angesehen  und  Mitglied  der  Accademia  della  Crusca. 
Der  Barockströmung  gegenüber  hat  er  sich  minder  ablehnend  als 
Bellori  verhalten,  er  verfuhr  mehr  referierend  als  kritisch,  hat  aber 
auch  weniger  entschiedenen  persönlichen  Geschmack  besessen.  So 
schrieb  er  1682  im  Auftrage  der  Christine  die  „Vita  dcl  Cavaliere 
Lorenzo  Bernini",  ein  echt  moderner  kunsthistorischcr  Auftrag.  Sein 
Hauptwerk  sind  die  „Notizie  de' professori  dcl  disegno  da  Cima- 
bue  etc."  in  sechs  Bänden,  einige  erst  nach  seinem  Tode  —  er 
starb  gleichzeitig  mit  Bellori  1696  —  publiziert.  Dann  „Comincia- 
mento  e  progresso  dell'  arte  dcll'  intagliarc  in  rame",  eine  der  ältesten 
Geschichten  der  Kupferstichkunst,  die  unter  anderem  wertvolle  Nach- 
richten über  Rembrandt  enthält  und  eine  überraschend  gute  Würdi- 
gung Rembrandts  als  Radierer,  wiewohl  ein  Italiener  von  seiner 
Richtung  natürlich  nie  befriedigt  sein  konnte,  weil  er  kein  Disegno 
besaß.  Eine  zweite  Lebensbeschreibung  des  Bernini  besitzen  wir 
von  seinem  Sohne,  dem  Monsignore  Domenico  Bernini.  erschie- 
nen 1713.  Er  hat  aber  wesentlich  bloß  den  Baldinucci  ausgeschrie- 
ben; was  er  eigenes  beibringt,  ist  von  keinem  Belange. 

Von  Lokalschriftstellern  sind  am  wichtigsten  die  bolognesi- 
schen.  weil  die  bolognesische  Schule  ja  zeitweilig  ganz  nach  Rom 


-     30     - 

übersiedelt  war  und  jedenfalls  das  meiste  zur  Bildung  einer  römi- 
schen Schule  beigetragen  hatte.  Selbst  noch  Carlo  Maratta.  das 
Haupt  dieser  späteren  römischen  Schule,  der  Raffaelist.  hat  sich  im 
Grunde  an  Guido  Reni  mindestens  ebensoviel  gehalten  als  an  Raf- 
fael.  -  Von  bolognesischen  Lokalschriftstcllern  ist  am  ehesten  zu 
nennen  der  Contc  Malvasia,  dessen  Felsina  pittricc  (vite  de'pit- 
tori  bolognesi)  in  Bologna  1678  erschienen  ist,  also  auch  zu  einer 
Zeit,  da  die  Blüte  der  bolognesischen  Schule  schon  längst  vor- 
über war. 


WERDEN  DES  BAROCKSTILES. 

Das  Anfangsstadium  wird  in  der  römischen  Kunst  beherrscht 
durch  Michelangelo.  Er  hat  ein  klares  Problem  vor  sich.  Er  ist 
sich  eines  neuen  Kunstvvollens  bewußt,  das  er  auf  allen  Gebieten 
der  bildenden  Kunst  durchführen  will.  Correggio  dagegen  ist  nur 
Maler  gewesen.  Parallel  mit  ihm  läuft  eine  Anzahl  Künstler,  die 
aber  den  Ausklang  der  Hochrenaissance  bilden  und  um  die  wir 
uns  daher  nicht  zu  bekümmern  brauchen. 

Michelangelo  Buonarroti  (geboren  1475).  Im  allgemeinen 
wird  er  zur  Renaissance  gezählt.  Als  Vater  des  Barockstiles  gilt  er 
überhaupt  seit  jeher  eigentlich  nur  auf  dem  Gebiete  der  Architek- 
tur, und  auf  diesem  Gebiete  ist  er  hauptsächlich  erst  nach  1520 
tätig  gewesen,  mit  Ausnahme  der  Entwürfe  für  die  Fassade  von 
S.  Lorenzo.  Aber  schon  daß  er  hier  Reliefs  —  Reliefs  in  der 
Architektur  sind  Füllungen;  Michelangelo  kennt  Füllungen  nicht 
mehr:  alles  ist  struktiv  —  geplant  hat,  beweist,  daß  er  damals 
zwischen  1516  und  1520  noch  in  Renaissance-Anschauungen  be- 
fangen war.  seinen  Stil  noch  nicht  gefunden  hatte.  Aber  es  ist 
ein  Irrtum,  zu  glauben,  daß  ein  Meister  andere  Kunstabsichten 
in  Skulptur  und  Malerei  verfolgen  kann  als  in  der  Architektur. 
Es  fragt  sich  vor  allem,  wie  weit  wir  in  Michelangelos  Schaffen 
zurückgehen  müssen,  um  ihn  als  Vater  des  Barock  zu  erkennen. 
Zweifellos  ist  die  Anlage  dafür  in  ihm  von  Haus  aus  vorhanden 
gewesen;  sie  verrät  sich  zum  Beispiel  schon  ganz  deutlich  in 
seiner  sixtinischen  Decke,  die  noch  unter  Julius  II.  (also  vor 
1513)  gemalt  worden  ist.  Aber  auf  alle  diese  Symptome  des  kom- 
menden Umschwunges  einzugehen,  würde  zu  weit  führen.  Wir  be- 
schränken uns  daher  auf  die  Beobachtung  derjenigen  Werke,  in 
denen  die  Ausgleichstendcnz  der  Hochrenaissance  bereits  endgültig 
überwunden  erscheint,  das  sind  hauptsächlich  Denkmäler  nach  1520. 


-     32     - 

Man  kann  den  Stilwandel  bei  Michelangelo  zwischen  1521  und  1524 
setzen,  denn  da  entstand  der  Entwurf  für  die  Mediceergräber  und 
die  I  aurenziana.  Wir  wollen  als  Beispiele  in  der  Skulptur  die  Medi- 
.  e<  rgräber  betrachten,  in  der  Malerei  das  Jüngste  Gericht  und  einiges 
n  der  sixtinischen  Decke;  in  der  Baukunst  werden  wir  eine  größere 
Anzahl  von  Denkmälern  in  Betracht  ziehen  müssen,  weil  uns  kein 
einziges  Bauwerk  von  ihm  aus  einem  Gusse  vorliegt:  alles  Zu-  und 
Umbauten  (vor  allem  gilt  das  von  S.  Peter). 

Michelangelo  hat  sich  immer  Bildhauer  genannt;  daher  hoffen 
wir  aus  Werken  dieser  Kunstgattung  sein  spezifisches  Kunstwollen  am 
raschesten  und  gründlichsten  kennen  zu  lernen.  Da  verdient  schon 
eine  allgemeine  Beobachtung  der  Orientierung  halber  vorausgeschickt 
zu  werden.  Seit  seiner  „barocken"  Zeit  tritt  das  Relief  so  gut  wie 
gänzlich  zurück,  er  arbeitet  nur  mehr  mit  Rundfiguren  und  stellt 
diese  nach  Bedarf  zu  architektonischen  Gruppen  zusammen.  Was  sagt 
uns  dies?  Das  Relief  hat  immer  die  Tendenz,  die  Ebene  einzuhalten: 
die  Figuren  lassen  sich  nicht  in  starken  Verkürzungen  hemmen  und 
beeinträchtigen.  Indem  Michelangelo  das  Relief,  das  er  in  früheren 
laluen.  wenn  auch  nie  mit  besonderer  Vorliebe  geübt  hatte,  nun 
iallen  läßt,  beweist  er,  daß  er  seine  Kompositionen  nun  nicht  mehr 
in  der  absoluten   Ebene  halten  will. 

Mediceergräber  in  der  Sagrestia  nuova  bei  S.  Lorenzo  in 
Florenz.  Gräber  des  Giuliano  und  Lorenzo  de'  Medici.  Leo  X.  erteilt 
151°  den  Auftrag;  ausgeführt  wesentlich  zwischen  1521  und  1527. 
Wie  so  oft  im  Leben  des  Michelangelo,  kam  es  nicht  zur  Ausführung 
des  Ganzen  (weil  er  es  immer  zu  großartig  und  einheitlich  haben  wollte; 
das  Tragischeste:  das  Juliusgrabmali.  Es  wurden  fertig  die  zwei  Grab- 
mäler  und  eine  Madonna  mit  dem  Kind.  Da  ist  schon  eines  wichtig: 
Grabmäler  und  Wanddekoration,  also  alles,  was  in  der  Kapelle  war. 
wurde  von  Michelangelo  als  ein  Ganzes  entworfen.  Während  bisher 
die  Grabmäler  an  einem  passenden  Ort  hingestellt  wurden,  ohne  Rück- 
sichtnahme auf  diesen  Ort,  so  daß  sie  ihren  künstlerischen  Wert  rein 
in  sich  selbst  trugen,  treten  sie  nun  in  Verbindung  mit  der  Um- 
gebung  und  müssen  mit  dieser  zugleich  betrachtet  und  beurteilt 
werden.  Das  erfordert  schon  die  Möglichkeit  einer  größeren  physischen 
Obersicht,  also  ein  Abrücken  von  strenger  Nahsicht  in  eine  Fern- 
sicht,   wo    man  Denkmal    und   Wand    zugleich  überblickt,    während 


-     33 

man  früher  die  Wand  womöglich  gar  nicht  sehen  wollte.  Also  mehr 
optische  Aufnahme;  die  taktischen  Grenzen  verwischen  sich  mehr 
und  mehr.  Diese  Zusammengehörigkeit  von  Grabmal  und  Wand 
äußert  sich  an  den  Medicecrgräbern  1.  darin,  daß  die  Figur  des  Be- 
statteten in  eine  Wandnische  gestellt,  also  mit  der  Wand  aufs  engste 
verbunden  wird  (während  der  Sarkophag  dagegen  frei  vorne  steht); 
2.  betrachtet  man  die  Wanddekoration  für  sich,  so  hat  sie  etwas 
Kleinliches:  eine  Einteilung  in  Felder;  aber  sie  soll  eben  für  sich 
nichts  gelten,  sondern  nur  als  Folie  der  Grabmalfiguren  diese  um 
so  größer  erscheinen  lassen.  Sic  soll  untergeordnet  sein:  Sub- 
ordination, gegenüber  der  Koordination  des  Mittelalters,  der  maß- 
vollen Subordination  der  Renaissance  (früher  z.  B.  Fresken  an  der 
Wand,    um    das    Grabmal    herum,    von    ganz   selbständigem    Wert). 

Dieses  Zusammenstimmen  von  allem,  was  in  den  räumlichen 
Gesichtskreis  fällt,  ist  nun  ein  Hauptcharaktcrzug  des  Barockstiles.  Im 
Mittelalter  haben  sich  die  verschiedensten  Stile  nebeneinander  ver- 
tragen, denn  jeder  Teil  wollte  und  durfte  für  sich  betrachtet  werden; 
man  empfand  die  anders  geartete  Umgebung  nicht  als  Störung. 
Der  Barockstil  sieht  vom  Einzelnen  stets  hinweg  auf  das  Ganze 
(Fernsicht);  er  will  immer  alles  aus  einem  Gusse  haben,  und  ein 
Dominierendes,  dem  sich  alles  andere  unterordnet.  Daher  hat  der 
Barockstil  so  viel  Mittelalterliches  vernichtet.  Diese  Tendenz  findet 
sich  zum  ersten  Male  bei  Michelangelo,  beim  ersten  subjektivistischen 
Künstler;  die  Unduldsamkeit  ist  dieser  Tendenz  besonders  eigen. 
Auch  jetzt  gegenüber  der  romantischen  Zeit:  gilt  nur  ein  eigener 
Stil  als  ein  Ganzes.  Die  Kapelle  im  ganzen  diskutieren  würde  zu 
weit  führen,  ich  beschränke  mich  daher  auf  die  Grabmäler,  darunter 
ist  das  instruktivere  dasjenige  des  Giuliano. 

Grabmal  des  Giuliano  de'  Medici.  In  einer  viereckigen 
Nische,  flankiert  von  zwei  kleinen  Nischen,  etwa  in  halber  Höhe 
der  Wand,  in  sitzender  Stellung  die  Figur  des  Bestatteten.  Unter- 
halb frei  vor  der  Wand  der  Sarkophag  mit  zwei  daraufgelegten 
nackten  Figuren,  einer  weiblichen  und  einer  männlichen,  genannt 
Nacht  und  Tag.  Die  Komposition  ohne  Rücksicht  auf  die  Umgebung, 
von  der  schon  die  Rede  war. 

Man  muß  sich  das  Renaissancegrabmal  vergegenwärtigen :  z.  B.  die 
zwei    des  Andrea  Sansovino    in    S.  Maria  del  Popolo.    Gewöhnlich 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  3 


-     34     - 

ein  viereckiger,  aus  der  Wand  vorspringender  Bau.  in  der  Mitte  eine 
größere  Nische  für  den  Sarkophag  mit  gelegter  Figur  des  Bestatteten, 
rechts  und  links  davon  auch  zwei  kleine  Nischen  mit  allegorischen 
Figuren  darin.  Maßvolle  Symmetrie,  die  auch  die  Flanke  sehen  läßt 
trotz  der  herrschenden  Mitte.  Die  Hauptsache  ist,  daß  die  Vorderwand 
des  Grabmales  eine  Ebene  einhält,  trotz  der  einspringenden  Nischen. 
Nur  Pilaster,  Sockel,  Gesimse  laden  aus,  aber  kein  Flächenteil  und 
keine  Figur.  Das  Ganze  ist  eine  in  sich  geschlossene  Architektur 
in  der  Ebene,  die  Vorderwand,  Schauwand,  gleichsam  ein  Relief.  Hier, 
am  Grabmal  des  Giuliano,  ist  1.  die  Architektur  beseitigt:  nur  drei 
Figuren  mit  dem  Sarkophag  sind  da,  2.  diese  Figuren  stehen  nicht 
in  einer  Ebene,  sondern  auf  zwei  Plauen  im  Tiefraum  verteilt:  vorne 
der  Sarkophag  mit  Nacht  und  Tag,  etwas  zurück  die  Wandnische 
mit  der  Figur  des  Bestatteten.  Also  Einführung  des  Tiefraumes 
an  Stelle  der  absoluten  Ebene.  Die  vorderen  Figuren  müssen  sich 
dem  Auge  des  Beschauers  in  stärkerem  Relief  zeigen  als  die  zurück- 
stehenden. Das  ist  eine  Durchbrechung  der  taktischen  Ebene  durch 
den  optischen  Tiefraum,  eine  entschiedene  Bewegung  nach  der  opti- 
schen Seite  hin,  denn  der  Tiefraum,  Luftraum,  läßt  sich  nicht  tasten, 
sondern  nur  nach  dem  Geschauten  abschätzen. 

Anderseits  sind  die  drei  Figuren  in  die  strengste  zentrale 
Symmetrie  (gleichseitiges  Dreieckt  gebracht.  Die  früheren  Grab- 
mäler  waren  auch  symmetrisch  aufgebaut,  aber  die  einzelnen  Teile 
standen  zueinander  mehr  im  Verhältnis  der  Reihung:    ||  1 1| ,   re- 

lative Koordination,  maßvolle  Subordination;  jetzt  ist  die  strengste 
symmetrische  Subordination  durchgeführt:  Rechts  und  Links  von  der 
Mittelachse  decken  einander  geradezu  in  den  Umrissen.  Die  Symmetrie 
ist  nun  ein  Element  der  Ebene,  an  die  Ebene  gebunden.  Man 
nehme  zwei  zusammcngcncigtc  Stäbchen:  /\ ,  nebeneinder  gehen 
sie  Symmetrie,  hintereinander  weit  entfernt  oder  gar  deckend  ver- 
schwindet die  Symmetrie.  Nur  wenn  man  sie  nahe  hintereinander 
hält,  wirkt  noch  die  Symmetrie  trotz  des  Tiefraumes  dazwischen, 
und  das  ist  der  Fall  bei  dem  Grabmal  des  Giuliano.  Die  Nischenfigur 
liegt  zurück,  aber  doch  nicht  so  weit,  daß  die  symmetrische 
Zusammengehörigkeit  mit  den  Sarkophagfiguren  nicht  zum  Ausdruck 
käme.  Aber  man  muß  etwas  zurücktreten,  in  nächster  Nahsicht  am 
Sarkophag  sieht  man  kaum  die  Distanz,  der  Eindruck  der  Symmetrie 


-     35     — 

und  Zusammengehörigkeit  schwindet:  also  auch  hier  ist  ein  be- 
stimmtes Abrücken  in  Fernsicht  eine  Vorbedingung  der  gewollten 
künstlerischen  Wirkung. 

Wir  haben  es  also  zu  tun:  1.  mit  einem  bewußten  Losgehen 
auf  optischen  Effekt:  Verbindung  mehrerer  Figuren  im  Tiefraum, 
aber  mittels  der  Linie,  also  von  den  Figuren  ausgehend:  romanisch; 
2.  mit  dem  gerade  entgegengesetzten  Streben  auf  Herstellung  eines 
Ebeneneindruckes,  der  immer  taktisch,  isolierend  wirkt:  zentrale 
Symmetrie.  Schon  hier  sehen  wir  also  Michelangelo  ausgehen  auf 
eine  Steigerung  von  Gegensätzen,  die  in  der  Renaissance  zu  einem 
harmonischen  Ausgleich  gebunden  gewesen  waren:  je  gelockerter 
die  Ebene,  desto  strenger  die  Symmetrie.  Das  hat  noch  ein  Zweites 
im  Gefolge:  die  stärkeren  Ausladungen  im  Tiefraum  verursachen 
stärkeren  Schattenschlag.  Bewußte  Steigerung  des  Schattens.  Der 
Schatten  als  Verräter  des  Tiefraumes  wird  künstlerisches  Element.  Der 
Schatten  ist  aber  wie  das  Licht  ein  optisches  Element,  das  zur 
Verbindung  des  Auges  mit  dem  Räume  besonders  geeignet  ist. 
Michelangelo  rechnet  also  schon  mit  Licht  und  Schatten,  wenn  auch 
weit  minder  als  Correggio. 

Aber  auch  dem  optischen  Element  des  Schattens  läßt  er  durch 
Steigerung  eines  anderen,  taktischen  Elementes  die  Wage  halten; 
durch  Steigerung  der  Linie,  die  er  erstens  im  einzelnen  einerseits 
meistens  frei  bloßlegt,  daher  Nacktheit  oder  anliegendes  Kostüm, 
anderseits  im  ganzen  schroff  herstellt:  Dreiecklinie  der  zentralen 
Symmetrie;  zweitens  in  gesetzlichen  Rhythmus  bringt:  —  -,  Kreis- 

segmente. 

Sehen  wir  uns  noch  im  besonderen  die  Komposition  der  beiden 
Sarkophagfiguren  an.  Sie  sind  im  allgemeinen  symmetrisch,  aber 
diese  Symmetrie  ist  auffallend  beweglich,  von  einer  inneren  Unruhe 
durchzittert.  Sieht  man  genau  zu,  so  entdeckt  man  die  Ursache: 
die  Figuren  sind,  obwohl  die  Umrisse  sich  fast  decken,  genau  ver- 
kehrt, invertiert.  Die  Nacht  scheint  von  hinten  hervorzukommen, 
der  Tag  nach  hinten  hinein  sich  zu  entfernen.  Es  kommt  dadurch 
zu  einem  gewissen  Eindrucke  des  Rotierens,  einer  Bewegung,  die 
das  Eigentümliche  hat,  daß  alle  Teile  in  steter  Bewegung  sind,  ohne 
daß  das  Ganze  sich  vom  Flecke  rührt:  äußerste  Ruhe  des  Ganzen, 
äußerste  Bewegung    der  Teile,    also    wieder  Steigerung  der  Gegen- 

3" 


-     36     - 

sätzc.  Die  Figuren  sitzen,  schlafen,  aber  alle  Glieder  sind  aus  der 
Gleichgewichtslage.  Die  Figur  des  Giuliano  dem  entsprechend:  der 
ganze  Körper  tendiert  nach  links,  der  Kopf  aber  ist  nach  rechts 
gewendet,  eine  Drehung  halbrechts.  Bei  Corrcggio  werden  wir  das- 
selbe finden;  er  hatte  es  als  Maler  darin  leichter. 

Also  in  der  Komposition  dreierlei  Gegensätze:  optischerTiefraum, 
taktische  Symmetrie;  optische  Schatten,  taktische  Linie;  Bewegung  der 
Teile,  Ruhe  des  Ganzen.  Die  Auffassung  bezieht  sich  auf  das  Psychische, 
wie  die  Komposition  auf  das  Physische.  Zuerst  Giuliano.  Seine  Haltung 
im  ganzen  bekundet  den  Willen,  sich  dem  Beschauer  direkt  zuzu- 
wenden: Beine,  Rumpf,  Arme  alles  en  face,  bis  auf  den  Kopf.  Dieser 
ist  fast  jäh  nach  der  linken  Seite  gewendet,  also  nicht  nach  der 
Seite,  nach  welcher  die  Mehrzahl  der  Glieder  strebt.  Die  Glieder  lenkt 
der  Wille,  also  der  Wille  ist  auf  eine  Wendung  nach  dem  Beschauer 
hin  gerichtet.  Das  fast  zürnende  Antlitz  mit  gerunzelter  Stirn  verrät,  daß 
dieser  Wille  jäh  durchbrochen,  gestört  worden  ist  durch  eine  Emp- 
findung. Aber  nicht  durch  eine  physische  Empfindung,  eine  äußere, 
sinnliche  Wahrnehmung,  denn  dann  würde  er  klar  und  scharf  aus- 
blicken, sondern  durch  eine  innere,  psychische  Empfindung,  denn 
der  Kopf  ist  etwas  gesenkt  und  auch  die  Augenbrauen  sind  ge- 
senkt. Also  auch  hier  ein  Konflikt:  die  Empfindung  tritt  in  Gegen- 
satz zum  Willen.  Der  Wille  lenkt  die  Glieder,  die  körperlichen 
Handlungen;  hier  wird  ein  Glied,  aber  das  wichtigste,  der  Kopf 
mit  dem  Antlitz,  wider  den  Willen  durch  die  Empfindung  gelenkt, 
gewaltsam  aus  den  Bahnen  des  Willens  herausgeworfen.  Also  die 
Macht  der  Empfindung  ist  das  Neue.  Ist  sie  an  sich  neu?  Schon 
die  griechische  Antike  kannte  sie,  hat  sie  aber  durchaus  dem  Willen 
untergeordnet,  ebenso  die  Renaissance  (Raffael  schildert  schöne 
Empfindungen,  aber  die  Figuren  behalten  ihre  persönliche  Würde, 
das  ist  den  Ausdruck  des  persönlichen  Ichs.  Willens).  Wille  ist 
isolierendes,  taktisches  (selbstbegrenzendes)  Element;  Empfindung 
ist  verbindendes,  optisches  (selbstauflösendes)  Element. 

Das  Neue  ist,  daß  nun  die  Empfindung  sich  emanzipiert, 
in  Kampf  tritt  mit  dem  Willen.  Das  Psychische  im  Menschen 
spaltet  sich;  bisher  haben  beide  Seiten  —  Wille  und  Empfindung  — 
den  materiellen  Körper  einträchtig  beherrscht,  unter  Hegemonie  des 
Willens;    jetzt    sucht    jede    die  Herrschaft  ausschließlich  an  sich  zu 


—    37    - 

reißen.  Da  aber  der  Wille  früher  der  Herrschende  war,  so  ist  das 
eigentlich  Neue  die  Steigerung  der  Empfindung.  Die  Empfindung 
will  sich  emanzipieren,  um  so  schärfer  reagiert  darauf  der  Wille: 
beide  werden  gesteigert.  In  dem  Maße  aber,  als  sich  die  Empfindung 
steigert,  steigert  sich  auch  der  Wille.  Daher  das  übermenschlich 
Große  in  der  Charakteristik,  die  Michelangelo  seinen  Gestalten  gibt. 
Sie  berühren  uns  dämonisch  mit  ihrer  unbändigen  Willenskraft  — 
das  Grande  beruht  darin,  in  Michelangelo  zum  Terribile  gesteigert  — 
wie  sie  sich  in  ihren  Mienen  äußert,  dann  in  den  gewaltigen  körper- 
lichen Bewegungen.  Betrachten  wir  die  einzelnen  Figuren,  Giuliano 
z.  B.,  so  ist  er  auch  als  Ganzes  in  Ruhe,  sitzend,  aber  alle  Teile 
aus  der  Ruhelage  gebracht,  sei  es  durch  Wille,  sei  es  durch  Emp- 
findung in  Bewegung  gesetzt.  Wir  ermessen  erst  die  ganze  Macht 
der  Empfindung  daran,  daß  sie  eine  solche  Summe  von  Willens- 
kraft zu  erschüttern  vermag.  Je  gewaltiger  die  Bewegungen,  die  der 
Wille  hervorbringt,  desto  gewaltiger  dagegen  die  Empfindungen,  die 
dieselben  brechen.  Deshalb  haben  die  Bewegungen  bei  Michelangelo 
immer  etwas  Gewaltsames,  Übermenschliches;  bei  Correggio  werden 
wir  bei  aller  sonstigen  Verwandtschaft  gerade  das  Gegenteil  finden. 
Deutlich  wahrnehmbare  körperliche  Bewegung  ruft  immer  die  Erinne- 
rungen des  Tastsinns  wach,  wirkt  packend,  schlagend;  also  schon 
daraus  ergibt  sich,  daß  Michelangelo,  wie  er  einerseits  das  Psychische 
in  der  Empfindung  steigert,  auch  das  tastbar  Materielle  steigern 
muß.  Das  geschieht  nun  durch  jene  übermenschlichen  Verhältnisse 
der  Glieder,  durch  die  geschwellten  Muskeln,  herkulischen  Knochen, 
überhaupt  die  Steigerung  aller  Körperteile  in  Wucht  und  Stärke. 
Wir  sehen  sofort:  sie  sind  unnatürlich,  wir  verstehen  sie  nicht,  aber 
wir  finden  sie  doch  nicht  wunderlich,  sondern  bewunderungswürdig, 
freilich  mit  geheimem  Grauen;  wir  ahnen,  daß  den  Meister  eine 
zwingende  Notwendigkeit  dazu  geführt  hat. 

Um  diese  Steigerung  des  tastbar  Körperlichen  ins  Über- 
menschliche deutlich  zu  machen,  kann  Michelangelo  keine  Gewänder 
brauchen;  daher  bevorzugt  er  die  Nacktheit:  am  Giuliano  nicht, 
den  er,  wenn  nicht  als  Porträt,  so  doch  wenigstens  als  ein  irdisches 
Individuum  maßvoller  behandelt  hat;  wohl  aber  zeigen  dies  die 
Sarkophagfiguren.  Auch  für  die  strenge  zentrale  Symmetrie  der 
Komposition    braucht    er    die  reinen    Linien  des   Nackten;  sogar  an 


-     38 

der  bekleideten  Figur  (Giuliano)  ist  das  Kostüm  nach  Möglichkeil  den 
Gliedern  angeschmiegt.  Dann  braucht  er  das  Nackte  für  die  Dar- 
stellung der  Tiefenausladungen,  das  optische  Schattenspiel  bändigt 
er  wieder  durch  den  Gegensatz:  die  taktische  Linie.  Also  die  ge- 
steigerte Empfindung  bekämpft  mit  Erfolg  die  gesteigerte  Willensstärke 
in  der  Bewältigung  und  Lenkung  der  gesteigerten  physischen  Kraft. 

Nebenfiguren:  Nacht  und  Tag.  Der  Name  ist  gleichgültig. 
wenngleich  er.  wie  es  scheint,  wirklich  auf  Michelangelo  selbst 
zurückgeht.  Warum  nicht  Tugenden?  Er  konnte  sie  nicht  brauchen, 
denn  er  wollte  gar  nichts  Symbolisches,  sondern  nur  die  Macht 
der  gesteigerten  inneren  Empfindung  darstellen.  In  der 
Nacht  hat  man  seit  jeher  die  vollendetste  Lösung  von  Michel- 
angelos Kunstproblem  erblickt.  Diese  Figur  war  auch  am  geeignetsten 
dazu;  ihrethalben  hat  er  wohl  die  übrigen  übernommen.  Hier 
ist  die  Auffassung  ganz  deutlich:  die  Figur  hat  den  Willen  zum 
Schlafen  (Eule,  Mohnkopf,  Traummaske  zum  Überfluß).  Aber  dieser 
Wille  wird  gebrochen  durch  Träume,  die  die  Figur  innerlich 
erschüttern,  wie  die  Haltung  der  Hände  beweist.  Das  Pathetische, 
die  innere  Affektion  ist  ganz  deutlich  betont,  aber  es  ist  nicht 
physischer  Schmerz  (Laokoon,  Herkules,  sterbender  Gallier),  sondern 
er  kommt  aus  den  Tiefen  der  Seele;  er  ist  auch  nicht  motiviert 
(wie  bei  Pcnelope.  bei  den  trauernden  Gefangenen  der  Antike,  die 
übrigens  nie  ihre  Würde,  die  ihre  Willenskraft  vergessen).  Die  Figur 
wieder  im  ganzen  in  Ruhe:  schlafend!  Im  einzelnen  die  denkbar 
stärkste  Bewegung.  Tag.  Den  Willen  verrät  die  Wendung  nach  der 
\\  and,  der  Kopf  ist  zurückgeworfen.  Der  Kopf  ist  nicht  vollendet, 
um  das  Individuelle  nach  Möglichkeit  zu  vermeiden,  nur  das  Große. 
Ernste,  Übermenschlich-Tragische  und  Willensstarke  zu  schildern: 
eine  menschliche  Physiognomie  reichte  hier  der  Nacht  gegenüber 
nicht  aus,  es  war  eine  Verlegenheitsauskunft.  Aber  Michelangelo 
gesteht  die  Unzulänglichkeit  des  Menschlich-Individuellen  hier  offen 
ein  und  gerade  dadurch  sagt  es  zu. 

DasGrabmal  des  Lorenzo  de'Medici  zeigt  dieselbe  Absicht, 
aber  in  entschieden  abgeschwächtem  Maße.  Alles  ist  ruhiger  gehalten, 
die  Kontraste  sind  nicht  so  schreiend  und  zugespitzt.  Komposition:  das 
Rotieren  leiser,  nicht  so  heftig,  daher  auch  die  Bewegungen  der 
einzelnen  Figuren  maßvoller.    Auffassung:   Lorenzo   il  Pcr.siero,  ein 


-    39    - 

Brüten,  freilich  ein  dumpfes  Brüten,  beherrscht  von  herben,  sorgen- 
schweren Empfindungen,  was  in  den  Propheten  der  sixtinischen 
Decke  so  oft  wiederkehrt.  Wo  ist  der  Kontrast?  Weil  er  ein  Feld- 
herr ist,  der  aber  weder  handelt  noch  klar  ausschaut.  Die  Neben- 
figuren Morgen  und  Abend,  minder  umhergeworfen  von  innerer 
Unruhe,  aber  doch  deutlich  in  leidender  Stimmung  befangen.  Also  die 
Empfindung  gewinnt  schon  mehr  die  Oberhand,  der  Wille  zieht  sich 
allmählich  zurück.  Daher  sind  die  Köpfe  nicht  mehr  so  dämonisch  groß 
wie  am  Giuliano-Grabmal.  Der  Kopf  des  Lorenzo  selbst  ist  nicht  völlig 
sichtbar. 

Moses  für  das  Julius-Grabmal,  jetzt  in  S.  Pietro  in  Vincoli.  Auf- 
fassung ähnlich  wie  Giuliano,  aber  noch  gesteigerter  und  konzentrierter, 
noch  mehr  innere  Spannkraft  des  Willens  und  der  Empfindung,  die 
eruptiv  zu  werden  droht.  Er  wendet  den  Kopf  zur  Seite,  besonders 
wirksam  das  Greifen  der  Hand  in  den  langen  Bart,  um  seine  innere 
Erregung  mit  mechanischem  Griffe  zu  bemeistern,  sogenannte  un- 
zweckmäßige Bewegung.  Die  Italiener  stellen  nur  dar,  wie  die 
Empfindung  den  Willen  beeinflußt,  daher  die  Körperbewegungen, 
mittels  deren  sich  der  Wille  äußert.  Bei  Michelangelo  reagiert  der 
Wille  dagegen,  bei  Bernini  gibt  er  nach;  es  ist  bei  ihm  ein  Aus- 
gleich wie  bei  Raffael,  nur  daß  jetzt  die  Empfindung  den  Willen 
beherrscht,  während  bei  Raffael  der  Wille  die  Empfindung  beherrschte. 
Die  Holländer  stellen  dar,  wie  die  Empfindung  den  Willen  aus- 
schaltet. Sie  stellen  reine  Empfindung  dar:  Entvvilligung  und  Ent- 
materialisierung. 

Michelangelo  als  Maler.  Propheten  und  Sibyllen  der 
Sixtina,  noch  unter  Julius  II.  gemalt.  Einzelfiguren,  sitzend,  mit 
umhergeworfenen,  gleichsam  rotierenden  Gliedern,  die  Putten  für  den 
Tiefraumeindruck  und  als  Anzeiger  der  Empfindungen.  Also  wieder 
Parallele.  Ezechiel.  Komposition:  en  face,  den  Oberkörper  vorgeneigt, 
dabei  etwas  zur  Seite  gewendet,  das  rechte  Bein  vorgesetzt,  das 
linke  zurück,  die  rechte  Hand  vorgestreckt;  also  verschiedene 
Körperteile  in  verschiedenen  Ebenen.  Dahinter  zwei  Putten, 
von  einem  nur  der  Kopf  sichtbar.  Dafür  das  Ganze  in  ein 
regelmäßiges  Viereck  gebracht;  daher  der  Mantel,  der  lange  im 
Rücken  wegflattert,  der  Puttenkopf  im  Nacken  des  Propheten.  Also 
wieder    verschiedene    Ebenen,     streng     regelmäßige     Komposition. 


-    40    - 

Dann  die  Linien  ^^—-s  ,  namentlich  im  Nackten  der  Putten, 
fest,  gesetzlich,  aber  in  Arkaden  bewegt,  zur  Bändigung  der  Schatten- 
wirkung. Gesamthaltung  ruhig:  Sitzen,  alle  Glieder  außer  der 
Ruhelage,  dazu  das  gesträubte  Haar  mit  Bart,  der  wehende  Mantel, 
die  gespreizten  Beine;  wie  die  Linke  die  Rolle  faßt.  Die  Figuren 
rotieren  vielfach.  Auffassung:  Der  Wille  wendet  die  Figur  nach  vorne, 
die  Empfindung  läßt  den  Kopf  zur  Seite  drehen.  Konflikt. 

Jercmias.  Komposition:  en  face,  vorgebeugt,  den  Kopf  weit 
vorgeneigt,  auch  beide  Knie  vorgestoßen.  Die  zwei  Putten  dahinter 
wurden  benützt,  um  wieder  ein  Viereck  herzustellen.  1.  Linien  und 
Schatten.  2.  Sitzen  und  bewegte  Glieder.  Wieder  Zwiespalt  zwischen 
Ruhe  der  Gesamtfigur  und  unzweckmäßigen  Bewegungen  der  Teile: 
wie  die  Rechte  den  Bart  faßt,  wozu?  Das  wirre  Haar,  wozu?  Die 
Spreizung  der  Finger,  wozu?  Das  Materielle  wird  uns  recht  zum  Be- 
wußtsein gerufen,  auch  durch  die  gewaltige  Leibcsbildung,  dann  durch 
die  Bewegungen,  während  Rembrandt  das  Materielle  möglichst  unter- 
drückt. Auffassung:  Der  Konflikt  hier  am  wenigsten  schroff,  weil 
Jercmias  ganz  in  trauerndes  Sinnen  versunken  ist.  Strzygowski  hat 
daher  diese  Figuren  in  Parallele  mit  Rembrandts  sinnenden  Aposteln 
gestellt.  Aber  bei  Rembrandt  ist  es  wirklich  Sinnen:  geistiges  Schauen; 
hier  ist  es  pathetisch  gemeint:  Trauer..  Tiefster  Seelenschmerz,  wie 
schon  das  förmliche  Verbeißen  in  die  Hand  beweist.  Rembrandts 
Apostel  sind  stimmungsvoll;  dagegen  die  gewaltigen  Leiber  und  ener- 
gischen Willensäußerungen  bei  Michelangelo!  (Schon  die  Antiken 
kannten  den  Affekt  der  Trauer,  die  von  außen  veranlaßt  ist,  aber 
nicht  innere  Stimmung,  deren  Affekt  aus  dem  Inneren  stammt.) 

Libysche  Sibylle.  Komposition:  Merkwürdige  Haltung, 
diesmal  hincingewendet,  Rücken  und  beide  Arme  verkürzt,  und 
wieder  ein  Viereck.  Kostüm  merkwürdig,  bloßer  Oberleib,  auf- 
geschürztes  Kleid,  um  eine  plastisch  scharfe  Linienbegrenzung  zu 
bekommen,  nicht  verhüllendes  Gewand.  Auffallend  wieder  die  Be- 
weglichkeit im  Detail,  namentlich  das  linke  Bein  und  die  große 
Zehe  daran.  Auffassung:  Sie  blickt  weg  von  dem  Buche,  das  sie 
hält:  alles  gewaltsam. 

Jüngstes  Gericht.  Komposition:  Drei  Darstellungen,  Auf- 
erweckung,  Belohnung,  Bestrafung,  waren  zu  vereinigen.  Die  Be- 
strafung sollte  natürlich  das  Hauptthema  sein,  weil  es  das  dramatischeste 


-     41     — 

war;  schon  das  Mittelalter  hat  allmählich  dieses  Thema  in  den 
Vordergrund  gestellt.  Viele  Figuren  daher  Schwierigkeit,  es  so  wie 
in  den  Mediceergräbern  zu  machen.  Ließ  sich  nicht  durch  ein 
Dreieck  zusammenfassen,  also  Viereck  mit  dreieckigen  Unterteilungen. 
Rotierung  um  die  Achse.  Links  unten  Auferstehung,  dann  Be- 
wegung nach  oben  durch  die  Sceligen,  die  in  den  Himmel  drängen, 
darüber  lagern  Engel  mit  Leidenswerkzeugen,  Zug  nach  aufwärts,  rechts 
dagegen  scharf  abwärts  einander  überstürzend.  In  diesen  oberen 
Gruppen  ist  die  Bewegung  am  heftigsten,  dann  die  heiligen  Märtyrer, 
endlich  die  Verdammten,  die  abwärts  in  die  Hölle  gestürzt  werden. 
Dieses  Rotieren  kulminiert  in  der  Hauptperson  —  wenngleich  es 
am  heftigsten  oben  ist,  aber  nicht  im  Scheitel,  der  frei  ist  —  in  dem 
Weltenrichter  Christus,  der  die  Mitte  einnimmt.  Auch  er  dreht  sich 
von  links  nach  rechts,  bildet  die  Mittelachse  eines  kleineren  oberen 
rotierenden  Kreises,  unter  ihm  dreht  sich  die  Schar  von  Posaunen- 
engeln. Verteilung  auf  verschiedene  Ebenen  unten  nicht  durch- 
führbar, hier  überhaupt  lose  Komposition,  nur  Massensymmetrie; 
unten  ist  auch  zu  starke  Nahsicht,  die  Zentralsymmetrie  kann  erst 
höher,  weil  ferner,  wirken.  Erst  um  Christus  schließt  sich  die  Masse 
in  symmetrischem  Dreieckaufbau  zusammen.  Adam,  Petrus  laden  stark 
aus  gegenüber  ihren  Hintermännern.  Dafür  einzelne  Figuren  in  ge- 
suchtesten Verkürzungen,  fast  alle  vorgeneigt  oder  zurückgebogen, 
und  zwar  aus  dem  Bilde  heraus  oder  in  das  Bild  hinein.  Auch  das 
Schweben  und  Fliegen  vollzieht  sich  so;  sogar  kubische  Wolken 
treten  schon  auf,  wie  bei  Correggio.  Die  Menschen  sind  Massen, 
die  sich  nach  der  Tiefe  strecken  und  dehnen.  Das  viele  Nackte 
mit  Modellierung  der  Muskeln,  das  er  braucht  für  Tiefenverrat.  So 
ist  es  zu  verstehen,  wenn  Burckhardt  sagt:  die  malerischen  Gedanken 
wären  die  maßgebenden  im  Bilde  gewesen.  Auffassung:  Die  Körper 
werden  konvulsivisch  bewegt,  aber  nicht  durch  den  Willen,  sondern 
durch  die  Empfindung.  Christus  in  merkwürdiger  Verkürzung; 
er  saß  eben,  die  innere  Erregung  zwingt  ihn,  sich  zu  erheben  und 
zugleich  das  Verdammungsurteil  auszusprechen.  Ist  das  ein  ge- 
rechter Richter?  Nein,  ein  leidenschaftlich  befangener  Sterblicher, 
die  Leidenschaft  —  subjektive  Aufwallung  des  Momentes  —  be- 
herrscht ihn  momentan  vollständig.  Mit  der  Linken  weist  er  jede 
Gemeinschaft  mit  den  Verdammten  ab:    auch  eine  Reflexbewegung 


des  Gefühles.  Das  Momentane  verstärkt  durch  das  Zusammenzucken 
der  heiligen  Jungfrau.  (Man  denke  an  ältere  Darstellungen,  z.  B. 
Camposanto  in  Pisa.  Ähnlicher  Gestus,  aber  welche  objektive 
Hoheit!)  Die  Miene  eisig,  erbarmungslos,  kaltvcrächtlicher  Ausdruck, 
nichts  vom  Liebe  predigenden  Gottmenschen.  Ebenso  die  Heiligen 
ringsum:  die  Spannung  erhält  sie  außer  Atem,  ihre  Körper  zeigen 
sich  ganz  beherrscht  von  der  Begierde,  den  Urteilsspruch  zu  hören. 
Adam,  Petrus  wie  gebannt,  man  merkt  die  Mühe,  die  sie  haben, 
ihre  gewaltigen  Leiber  zu  meistern  und  ruhig  auf  dem  Platze  zu 
verharren.  Dazu  die  Märtyrer,  die  nach  Vergeltung  rufen,  indem  sie 
die  Marterinstrumente  vorzeigen:  Bartholomäus,  Simon,  Katharina, 
ein  Chor  der  Rache!  Statt  Vermittler  des  Vergebens  und  Vcr- 
zeihens  hier  Schürer  des  Hasses  und  Rachedurstes.  Wie  sie  zugleich 
selbst  dabei  vor  Christus  zurückbeben,  namentlich  Bartholomäus! 
Lauter  unzweckmäßige  Bewegungen,  die  nicht  der  Wille  diktieren 
kann,  also  nur  die  Empfindung.  Daß  Empfindung  den  Willen  be- 
herrscht, beweisen  die  Verdammten:  sie  sind  willenlos,  sträuben  sich 
nicht  gegen  die  Teufel,  wie  gelähmt  von  der  Empfindung.  Anders 
bei  Rubens:  da  kämpfen  sie.  Den  Weltenrichter  aber  hat  Rubens 
ganz  untergeordnet  behandelt. 

Die  Idee,  die  Fresken  des  Perugino  von  der  Altarvvand  der 
Capeila  Sistina  herabschlagcn  und  Michelangelo  daselbst  das 
Jüngste  Gericht  malen  zu  lassen,  geht  auf  Clemens  VII.,  also 
in  die  zwanziger  Jahre  zurück.  Zur  Ausführung  ist  es  erst  unter 
Paul  III.  seit  1534  gekommen.  Vollendet  war  das  Fresko  1541.  Wie 
war  der  Effekt?  Die  Auffassung  im  Jüngsten  Gericht  mußte  doch 
an  der  Kurie  viele  verblüffen.  Nicht  bloß  das  viele  Nackte:  bloß 
Maria  war  ursprünglich  bekleidet;  alle  Heiligen,  männliche  und 
weibliche,  völlig  nackt.  Das  Befremdende  und  Anstößige  lag  aber 
in  der  Auffassung  des  ganzen  Richtcraktcs:  Christus  als  Welten- 
richter vollzieht  nicht  einen  Akt  objektiver  Notwendigkeit,  sondern 
subjektiver  Rachgier.  Dieser  Gott  läßt  sich  durch  momentane  Emp- 
findungen hinreißen.  Ist  das  nicht  schlankweg  heidnisch  gedacht? 
Pietro  Aretino  hat  ihm  auch  gerade  wegen  des  Jüngsten  Gerichtes 
den  Vorwurf  des  Protestantismus  gemacht,  freilich  aus  persönlicher 
Gehässigkeit,  denn  Pietro  Aretino  war  selbst  alles  Glaubens  bar, 
die    personifizierte    Gewissenlosigkeit,    während    Michelangelo    nicht 


-     43     — 

nur  eine  ernste  und  gewissenhafte,  sondern  auch  eine  ticfrcligiüse 
Natur  gewesen  ist.  Aber  damals  regierte  noch  ein  Renaissanccpapst, 
der  über  den  Meister  seine  schützende  Hand  hielt:  Paul  III.  Farncse. 
Aber  bald  nach  ihm  kam  ein  Papst,  der  einsah,  daß  eine  Refor- 
mation des  Katholizismus  unabweislich  war  und  die  Kirche  solche 
Darstellungen  nicht  dulden  durfte:  Paul  IV.  Caraffa  (seit  1555).  Er 
wollte  das  Fresko  herabschlagen  lassen;  aber  noch  gab  es  am  päpst- 
lichen Hofe  Leute,  die  eine  freiere  Auffassung  vertraten.  Man  bewog 
den  Papst,  daß  er  sich  damit  begnügte,  wenn  an  den  anstößigsten 
Stellen  der  nackten  Leiber  Gewänder  angebracht  würden.  Michel- 
angelo wurde  zugemutet,  dies  selbst  zu  tun.  Er  ließ  dem  Papste 
sagen:  das  wäre  leicht,  Bilder  könne  man  schon  ändern,  der  Papst 
möge  die  Menschen  ändern.  So  tief  war  sich  Michelangelo  bewußt, 
nicht  bloß  sein  persönliches  Kunstbegehren,  sondern  dasjenige  seiner 
ganzen  Zeit  mit  seinen  Werken  erfüllt  zu  haben.  —  Die  Übermalung 
nahm  Michelangelo  nicht  vor;  ein  Schüler,  Daniele  da  Volterra, 
hat  es  mit  vielem  Geschick  und  Pietät  besorgt.  Der  heilige  Blasius 
und  die  heilige  Katharina  wurden  ganz  neu  gemalt.  Aber  vor  der 
Übermalung  wurde  eine  Kopie  genommen  durch  Venusti,  jetzt  im 
Museum  zu  Neapel.  Im  18.  Jahrhundert  wurde  das  Fresko  noch 
einmal  übermalt.  Jetzt  ist  es  namentlich  wegen  des  Rauches  der 
Meßopfer  eine  Ruine.  Später  noch  fallen  die  Fresken  der  Capeila 
Paolina  im  Vatikan.  Sie  lehren  dasselbe. 

Michelangelos  barockes  Kunstwollen  in  der  Archi- 
tektur. Die  Architektur  schafft  leblose  Werke,  d.  h.  willenlose  und 
empfindungslose,  bewegungslose  Werke,  die  nicht  Wiedererschaffungen 
lebendiger  Werke  (Menschenfiguren)  sind.  Daher  kann  das  Psychische 
darin  nicht  unmittelbar  zum  Ausdruck  gebracht  werden:  keine 
Auffassung  möglich.  Nur  das  Physische.  Wir  fragen  also  nur  nach 
der  Komposition.  Aber  nichtsdestoweniger  wirken  auch  Gebäude  auf 
uns  psychisch:  schwer,  leicht,  düster,  heiter,  ruhig,  unruhig  u.  s.  w. 
Das  sind  also  Empfindungen,  die  wir  vom  Bauwerk  empfangen.  Also 
muß  ein  Parallclismus  zwischen  Komposition  und  Auffassung  vor- 
handen sein.  Wie  ist  es  nun  bei  Michelangelo?  Michelangelo  strebt 
in  der  Komposition  an:  Emanzipation  des  Tiefraumes;  in  der  Auf- 
fassung: Emanzipation  der  Empfindung.  Also  Tiefraum  und  Emp- 
findung sind  ParalIclerscheiinuiL,ren,  gewissermaßen  zwei  verschiedene 


-     44    — 

Seiten  eines  und  desselben  Wesens,  eine  Psyche  und  Physis.  Dessen 
muß  man  sich  bewußt  sein,  um  zu  verstehen,  warum  Michelangelo 
überhaupt  den  Drang  in  sich  gehabt  hat.  sein  Kunstwollcn  auch  in 
der  Architektur  zu  verwirklichen.  Derjenige  Bau,  an  dem  er  dies 
verhältnismäßig  am  reinsten,  ungestörtesten  tun  konnte  —  bei  allen 
anderen  bahnbrechenden  Bauten  mußte  er  an  Vorangegangenes  an- 
knüpfen: Farnese,  S.  Peter  —  ist  die  Treppen-Vorhalle  der 
Biblioteca  Laurenziana  in  Florenz.  Auch  der  anstoßende  Biblio- 
thekssaal wird  ihm  zugeschrieben;  aber  da  fehlt  es  nicht  an  Bedenken, 
ob  er  wirklich  ganz  so  von  ihm  entworfen  war.  Aber  die  Vorhalle 
und  die  Treppe  sind  von  ihm.  Die  Entwürfe  sind  von  1523;  die 
Ausführung  allerdings  zum  Teil  später,  die  Treppe  erst  nach  1558 
von  Vasari  gebaut.  Es  handelt  sich  um  einen  Innenraum,  zu  klein, 
um  eine  bedeutende  Raumwirkung  als  solche  damit  anzustreben. 
Also  blieben  die  vier  Wände.  Hier  gibt  er  uns  ein  Zeugnis  dessen, 
was  er  sich  von  der  Funktion  der  Wand  dachte. 

Was  seit  jeher  auf  den  ersten  Blick  befremdet  hat.  ist  die  Ver- 
wendung der  Säulen.  Ihre  Funktion  war  seit  jeher  diejenige  des 
Tragens,  namentlich  des  Gebälkes,  weshalb  sie  aus  der  neutralen 
Wand  vorsprangen.  Sie  sind  sogar  verdoppelt,  d.  h.  ihre  Trag- 
fähigkeit und  Stärke  ist  erhöht:  also  der  verstärkte  Wille  zum  Tragen 
ist  vorhanden.  Nun  aber  ist  alles  getan,  um  zu  zeigen,  daß  sie  in 
dieser  Funktion  gestört  werden.  Denn  unten,  rechts  und  links  dringt 
aus  dem  Inneren  der  Mauerkern  vor,  so  daß  die  Säulen  gleichsam 
in  Kasten  eingesperrt  werden:  unten  ein  Sockel,  auf  dem  die  Säulen 
mittels  Konsolen  stehen,  rechts  und  links  aber  breite  Wandflächen. 
Die  Säulen  wollen  ein  Kompartimcnt  nach  der  Breite  abschließen:  die 
Mauer  bricht  es  vorquellend.  Die  Gesimse  wollen  ein  Geschoß  nach 
der  Höhe  abschließen:  die  Mauer  bricht  es  durch  Verkröpfung.  Also 
die  Tiefe  sucht  sich  auch  hier  zu  emanzipieren,  auch  in  Teilen:  blinde 
Wandfüllungen  der  vortretenden  Mauerflächen.  Aber  die  Steigerung 
der  Tiefe  ist  begleitet  von  solcher  der  Ebene:  in  Höhe  und  Breite 
durch  symmetrische  Linien.  Der  Zusammenhang  in  der  Höhe,  Ver- 
doppelung von  Säulen  und  Pilastern,  durch  Ohren  und  Krücken, 
der  Fenster,  durch  aufschießende  Hermenpilaster.  Zusammenhang 
in  der  Breite  durch  durchlaufende  wuchtige  Gesimse,  namentlich 
ruhiger  Abschluß  oben      Stärkerer  Schattenschlag,    aber    energische 


Linien,  messerscharfe  Profile.  Oben  fester  Abschluß  durch  Beruhi- 
gung der  Wandrahmen,  durch  Pilaster  statt  Säulen.  Im  einzelnen 
Verlassen  der  Ebene,  im  ganzen  schroffe  Zusammenfassung  in  sym- 
metrische Ebene.  Bei  Michelangelo  gibt  es  noch  keine  Risalite,  aber 
Vor-  und  Rücksprünge  in  Menge,  die  Schatten  werfen  (Schatten- 
schlag am  Gebäude  für  das  Barock  charakteristisch).  Erinnern  wir  uns 
der  Wand  der  Medicecrgräber:  dort  dasselbe,  aber  das  Umgekehrte: 
der  Mauerkern  hatte  sich  eingezogen.  Die  Doppelpilastcr  treten 
zwar  heraus,  aber  auch  in  ihrer  tragenden  Funktion  erdrückt,  weil 
tiefe  Nischen  dazwischen  sind.  Die  Nischen  repräsentieren  schon  genug 
Höhe,  es  bedarf  nicht  mehr  der  Pilaster.  Aber  Durchbrechungen 
schließt  Michelangelo  grundsätzlich.  Denn  dadurch  gewinnen  die 
tragenden  Zwischenglieder  selbständigen  Wert,  genau,  wie  wenn  es 
geschlossene  Reliefgrundcbcnen  wären:  und  das  will  Michelangelo 
um  jeden  Preis  vermeiden.  Die  Blindfenster  sind  weder  durch- 
gebrochen, noch  mit  Reliefs  und  Statuen  besetzt.  Von  Details:  Tür- 
giebel, unten  durchbrochen:  also  aus  der  Mauer  vorquellend,  nicht 
getragen,  außerdem  verkröpft. 

Burckhardt  sagt:  „das  ist  jenes  ewig  lehrreiche  Bauwerk,  an 
welchem  zuerst  dem  Sinn  aller  Einzelformen  absichtlich  Hohn  ge- 
sprochen wurde".  Treppe.  Vorquellen  aus  der  Tiefe  durch  abge- 
rundete Stufen,  aber  strenges  Zusammenfassen  in  Symmetrie  durch 
Dreiteilung,  in  der  Höhe  durch  das  Geländer.  Die  Stufen  seit  jeher 
halsbrecherisch  befunden.  Für  alle  barocken  Details:  gesprengte 
Giebel,  Verkröpfungen,  sogar  Einsperren  von  Säulen  in  der  Wand 
und  dergleichen,  hat  Michelangelo  gewiß  überall  im  einzelnen  Belege 
aus  der  Antike  gehabt,  das  heißt  aus  der  römischen  Kaiserzeit. 
Vieles  noch  heute  nachzuweisen,  man  muß  nur  Caninos  römische 
Denkmäler  durchblättern,  dann  namentlich  an  den  syrischen:  Baalbek, 
Palmyra,  Petra! 

Die  Architektur  der  römischen  Kaiserzeit  wurde  schon  von 
Wölfflin  eine  Barockarchitektur  genannt,  er  wollte  sie  bearbeiten, 
ist  aber,  wie  es  scheint,  nicht  mehr  dazugekommen.  Es  wäre  eine 
lohnende  Aufgabe,  die  Denkmäler  zu  sammeln  und  dann  nachzu- 
weisen, worin  der  Sinn  und  die  Anwendung  dieser  barocken  Archi- 
tekturglieder der  Antike  sich  von  dem  16.  und  17.  Jahrhundert 
unterscheidet. 


—     46     - 

Bei  den  Details  sieht  man  überall,  daß  Michelangelo  dabei 
auf  das  Ganze  sieht;  wobei  das  einzelne  Detail,  für  sich  in  Unter- 
sicht isoliert  betrachtet,  geradezu  häßlich,  proportionslos  wird  (von 
Burckhardt  als  schwerer  Mangel  empfunden:  Ornament  bedeutet 
immer  schönes,  behagliches  Genießen,  bei  Michelangelo  ist  rastlose 
Arbeit);  spielende  Verzierung  einzelner  Felder  um  ihrer  selbst  willen 
kennt  er  nicht,  angeklebten  bloßen  Zierat  gibt  es  nicht;  wo  sie 
vorzukommen  scheinen,  haben  sie  doch  einen  Gemeinzweck,  wie 
zum  Beispiel  die  Laubkränze  zwischen  den  Ohren  der  Füllungsrahmen, 
um  die  einseitige  Höhenrichtung  durch  etwas  Breite  abzuschwächen 
und  zu  mildern.  Die  Laurcnziana-Vorhallc  zeigt  Michelangelos  archi- 
tektonisches Kunstwollen  ganz  rein,  in  seinen  Grundlagen.  Seine 
bahnbrechenden  Leistungen  lagen  aber  nicht  nach  der  Seite  der 
Innendekoration,  sondern  nach  der  der  Außenarchitektur  und  der 
inneren  Raumbildung:  Entwicklung  des  italienischen  Palazzo,  des 
neukatholischen  Kirchenbaucs.  Aber  bei  diesen  Werken  mußte  er 
überall  mit  dem  historisch  Gegebenen  rechnen.  Daher  will  ich 
zunächst,  wo  von  Grundlagen  die  Rede  ist,  besser  unterbrechen 
und  Correggio  einschalten.  Dann  nehmen  wir  die  Betrachtung  des 
Michelangelo  als  Architekten  wieder  auf. 

Correggio.  Man  pflegt  Correggio  als  Antipoden  des  Michel- 
angelo zu  betrachten,  und  doch  sind  es  im  Grunde  die  gleichen 
Elemente,  mit  denen  er  seinen  Stil  gegenüber  der  Renaissance 
begründet;  Auffassung:  gesteigerte  seelische  Empfindung,  in  der 
formellen  Wiedergabe:  gesteigerte  optische  Aufnahme,  Emanzipation 
des  Tiefraumes.  Der  Tiefraum  überwindet  bei  ihm  die  Ebene,  die 
Empfindung  den  Willen.  Aber  dies  geschieht  bei  ihm  ohne  Kampf, 
es  fehlt  ihm  die  tragische  Größe.  Dafür  steht  er  uns  modernen 
Nordländern  so  nahe  als  irgendein  italienischer  Meister,  er  hat  die 
Verbindung  mit  dem  Räume  weiter  gebracht  als  irgendein  Italicner 
seiner  Zeit. 

Steigerung  der  seelischen  Empfindung:  der  Wille  ist 
ganz  unterjocht,  Correggio  herrscht  Widerspruches  durch  die 
Empfindung,  die  mit  außen  verbindet.  Unterschied  gegenüber  den 
Nordländern:  es  ist  die  sinnliche  Empfindung,  nicht  die  geistige 
Übereinstimmung,  die  den  Willen  ausschaltet.  Der  Wille  ist  ganz 
konzentriert    auf    sinnliches  Begehren.    Verbindend  die  Empfindung, 


47 

isolierend  das  sinnliche  Moment,  das  sich  in  Bewegungen  äußert. 
Die  Figuren  von  größtem  Liebreiz,  aber  ohne  alle  Energie;  der 
Wille  tut,  was  die  Empfindung  will. 

Optische  Aufnahme:  1.  Bewußte  Raumkomposition  um 
ein  Zentrum,  subjektive  Aufnahme  vom  Beschauer.  2.  Bewußter 
Subjektivismus  der  optischen  Aufnahme.  3.  Helldunkel,  Anfänge  bei 
Lionardo,  das  zwar  nicht  volles  nordisches  Raumdunkel  ist,  aber  uns 
doch  einen  verwandten  Eindruck  macht.  (Schatten:  1.  Modcllicrungs- 
schatten  isolierend,  2.  Schlagschatten  von  Figur  zu  Figur  verbindend, 
3.  Schlagschatten  von  Figur  zum  Raum  verbindend,  unantik.  Hell- 
dunkel ist  Nr.  3.  also  Raumdunkcl  schon  seit  dem  15.  Jahrhundert  an- 
gestrebt, zuletzt  von  Lionardo,  sogar  von  Raffael  ein  Nachtstück,  keiner 
so  weit  wie  Correggio.)  4.  Tonmalerei.  Deshalb  gilt  er  schon  seit 
Burckhardt  als  der  modernste  aller  jener  Renaissance-Italiener,  und 
namentlich  den  Nordländern  sympathisch  im  Physischen;  das 
Psychische  allerdings  erscheint  uns  minder  befriedigend. 

Madonna  des  heiligen  Franciscus  in  Dresden.  Santa 
conversazione.  Thronende  Madonna  mit  anbetenden  Heiligen. 
Nicht  neu,  schon  vom  Quattrocento  geschaffen.  Auffassung  des 
Quattrocento  und  der  Renaissance:  eine  relative  Isoliertheit,  Würde, 
die  auf  sich  selbst  hält;  die  Madonna  nimmt  Huldigungen  entgegen 
ohne  besonderes  Entgegenkommen  und  ohne  Protzigkeit  und  Stolz; 
die  Heiligen  verehren  mit  Reserve,  sie  sind  hingegeben,  aber  sie 
bewahren  eine  gewisse  Selbstachtung.  Komposition  des  Quattrocento: 
mehr  oder  minder  symmetrisch,  schön  aufgelöste  Symmetrie,  Madonna 
dominiert,  aber  in  mäßiger  Überhöhung  über  die  anderen.  Hier  bei 
Correggio  Auffassung:  die  Verbindung  der  Figuren  untereinander 
schon  lebhafter,  Franciscus  und  Katharina  mit  sehnendem  Ausdruck, 
Johannes  und  die  anderen  Mönche  mit  dem  Beschauer  verbunden, 
Johannes  lebhaft  hinweisend  auf  die  Madonna.  Im  Sinne  der  Ver- 
bindung wirkt  der  lächelnde  Zug  (noch  kein  Lachen  wie  bei  Frans 
Hals,  aber  selbst  ein  Lächeln  war  in  der  Antike  unerhört,  wohl  aber 
im  gotischen  Mittelalter).  Im  Sinne  der  Isolierung  wirkt  die  über- 
menschliche Grazie  (ebenso  übermenschlich  wie  die  Riesenleiber 
des  Michelangelo);  man  will  jeden  Kopf  für  sich  betrachten. 

Komposition:  eher  strenge  zentrale  Symmetrie  mit  Mittelachse 
als  früher  (wie  bei  Michelangelos  Medicecrgräbern).  Dann  das  Rotieren 


-    48    — 

unten,  verkehrte  Symmetrie  in  Haltung  und  Blick,  in  der  Madonna 
Drehung,  zwei  Engel  direkt  rotierend  (auch  wie  bei  den  Mcdicecr- 
gräbern).  Schon  Tendenz  auf  Bewegung  der  Teile  bei  ruhendem 
Ganzen  wie  bei  Michelangelo.  Im  Sinne  der  Stabilität,  Isolierung 
wirkt  relative  Ruhe  in  äußerer  Haltung,  die  Rümpfe  noch  gerade, 
trotz  geneigter  Köpfe.  Auffallende  Betonung  der  Höhefaktoren: 
steiles  Dreieck,  Säulen.  Helldunkel  im  linken  Fuß  des  Johannes, 
Lokalfarbe  ausgeglichen,   auf  Ton   ausgehend. 

Madonna  mit  dem  heiligen  Sebastian,  Dresden,  von 
zirka  1525.  Ein  viel  stärkeres  Empfindungsleben.  Die  persönliche 
Würde,  dcrWillensernst  ist  aufgegeben,  lächelnder  Kopf  der  Madonna! 
Jubelnde  Teilnahme  untereinander:  S.  Gcminian  zeigt  auf  Beschauer 
und  Madonna.  Gesteigerte  Grazie,  viel  Nacktes:  Sebastian,  Rochus  mit 
der  Schcnkclwunde,  viel  Putten.  Tiefraum:  denn  Madonna  ist  jetzt 
hinten,  davor  ein  Halbkreis  von  Engeln  und  vor  diesem  die  drei 
Heiligen  mit  der  bella  Madonnina.  Trotzdem  strenge  Symmetrie. 
Linzelfiguren,  bewegte  Glieder,  obzwar  meist  sitzend!  Aber  feste 
Konturen,  höchst  auffallender  Mangel  jeder  Horizontalen.  Madonna 
thront  auf  einer  Wolke,  unter  den  Füßen  der  Heiligen  sieht  man 
kaum  einen  Boden.  Keine  Figur  schreitet,  läuft  oder  fliegt,  und  doch 
ist  jedes  Glied  in  Bewegung,  die  körperliche  Handlung  ebenso 
gesteigert  wie  die  Empfindung.  Schon  stärkeres  Helldunkel;  aber 
trotzdem  feste  Linien  zur  Begrenzung;  man  sehe  die  plastischen 
Wolken!  In  den  Linien  liegt  die  Grazie;  sie  sind  regelmäßig,  aber 
nicht  so  schroff  gesetzliche  Kurven  wie  bei  Michelangelo.  Damit 
wirkt  er,  und  trotzdem  wirkt  auch  das  Helldunkel  auf  uns:  es  dient 
aber  doch  hauptsächlich,  um  die  Glieder  plastisch  herauszutreiben, 
von  dem  vordersten  (Madonnina)  zum  hintersten  Punkt  (Landschaft, 
rechts)  eine  Diagonale  in  der  Komposition. 

Madonna  mit  dem  heiligen  Georg,  Dresden,  aus  letzter 
Zeit.  Auffassung:  lebhafte  Wendung  —  der  Wille  ist  Hauptsache,  der 
aber  ganz  von  der  Empfindung  beherrscht  ist  —  der  Figuren  zu- 
einander oder  zum  Beschauer.  Namentlich  der  h.  Petrus  Martyr. 
Anderseits  gesteigerte  körperliche  Bewegung:  Auftreten  des  Johannes 
und  des  Georg,  Leisetreterei.  Unterdrückung  des  Horizontalen. 
Grazie  in  den  Linien  und  der  weichen  Modellierung,  dabei  viel 
Nacktes:  am  Johannes  geradezu  auffallend.  Willensgrößc  fehlt  ganz, 


-    49    - 

dafür  herzliche,  fröhliche  Hingebung,  ein  fast  buhlerisches  Fixieren. 
Tiefraum:  Halbkreis  mit  Vorder-  und  Hintergrund,  trotzdem  starre 
Symmetrie.  Verkürzte  Brust  der  Madonna.  Tiefer  Augenpunkt, 
Subjektivität. 

Heilige  Nacht,  Dresden,  Anbetung  der  Hirten.  1522  bestellt, 
erst  1530  aufgestellt.  Auffassung:  Maria  ganz  zärtliche  Mutter,  keine 
Distanz  mehr  zwischen  Gott  und  Mensch.  Josef  einen  Esel  bändigend: 
genrehaiter  Zug.  Die  Hirten  mit  der  Hirtin  auch  nicht  anbetend, 
sondern  neugierig  schauend  und  Bemerkungen  austauschend  unter- 
einander, mehr  Wohlgefallen  am  Anblick  als  tiefes  Interesse:  nordisch 
genrehaft  —  die  Schranke  zwischen  Gott  und  dem  Menschen  ist  gefallen 
und  damit  ein  wesentlich  Isolierendes  —  aber  nicht  tiefaufmerksam 
genug  für  Nordländer  (Rcmbrandt):  die  Hirtin  wehrt  blendendes  Licht 
ab,  der  eine  Hirte  greift  sich  an  den  Kopf  vor  Staunen,  der  andere 
schaut  zu  diesem  auf.  Lebhafter  Austausch  von  Gefühlen,  Empfindungen 
(mütterliches,  nachbarliches  Interesse).  Äußere  Bewegung;  jeder  Kopf 
verkürzt.  Komposition:  nicht  zentrale  Symmetrie,  sondern  fast  raffiniert 
behobene  Symmetrie,  drei  Figuren  gegen  eine;  aber  Inhaltssymmctrie, 
indem  Maria  dreien  die  Wage  hält,  dann  Konkordanz  der  Linien, 
die  aber  sehr  versteckt  ist,  namentlich  weil  die  Hauptfigur  außer- 
halb dieser  Konkordanz  ist.  Einheitlicher  Augenpunkt:  Einbekenntnis 
des  Subjektivismus;  man  pflegt  immer  zuerst  in  die  Mitte  zu  schauen, 
diese  ist  hier  überraschenderweise  leer.  Raum:  schwebende  Engel 
auf  Wolken  in  Untersicht,  Fußsohlen  und  Gesäß  sind  die  Teile,  die 
sonst  ruhen,  jetzt  bewegt  sind:  Hochdrang.  Der  riesenhafte  Hirt 
auch  von  tiefem  Augenpunkt.  Landschaft.  Helldunkel  durch  Licht, 
das  vom  Kind  ausgeht,  aber  doch  nicht  den  Raum  erleuchtet,  sondern 
die  Ränder  der  Figuren,  deren  tastbare  Begrenztheit  damit  hervor- 
tritt. Vorläufer:  Petrus  im  Gefängnis  von  Raffael  in  den  Stanzen. 
Merkwürdige  Haltung  der  ungeschlachten  Hirten  (beim  Maler 
der  körperlichen  Grazie!)  ganz  links.  Stünde  der  Beschauer  in  der 
Mitte,  so  müßte  er  den  Hirten  halb  von  vorne  sehen,  seine  Brust 
wenigstens  in  halber  Verkürzung.  So  aber  sehen  wir  ihn  nur  von 
der  Seite,  die  Brust  ganz  verkürzt  und  durch  faltiges  Gewand  über- 
dies verschleiert.  Auch  der  Arm  fast  ganz  verkürzt,  das  heißt,  der 
Standpunkt  des  Beschauers  ist  an  der  linken  Ecke  knapp  vor  dem 
Hirten  zu  nehmen,    weswegen  er  auch  so  groß  erscheint,  natürlich 

RicgI,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  4 


50     — 

alles  absichtlich  übertrieben,  um  den  Beschauer  ja  nicht  im  Zweifel 
zu  lassen,  daß  die  Einheit  subjektiv  gemeint  ist.  Die  Linien  laufen 
nach  der  Tiefe  zusammen.  In  Santa  Conversazionc  war  die  Einheit 
objektiv  gegeben  durch  den  zentral-symmetrischen  Aufbau.  Hier 
fehlt  diese  Einheit,  dafür  ist  sie  eine  subjektive:  vom  Beschauer  aus. 
Damit  ist  die  Antike  endgültig  überwunden.  Daher  auch  die  Beine 
und  Gesäße,  die  man  von  den  Engeln  sieht;  auch  hierin  Über- 
treibung, denn  der  Anblick  ist  so  ungewöhnlich  wie  jener  der  Hirten. 

Um  die  moderne  Kunst  zu  verstehen,  muß  man  die  bahn- 
brechende Rolle  kennen,  die  Michelangelo  und  Correggio  in  der 
Entwicklung  gespielt  haben.  Die  moderne  Kunst  par  excellcncc  ist  die 
Malerei;  darum  läßt  sich  das  Moderne  in  Correggio  für  uns  leichter 
verständlich  und  deutlich  machen  als  in  Michelangelo,  der  von  Haus 
aus  Bildhauer  war  und  seiner  Neigung  nach  stets  Bildhauer  ge- 
blieben ist.  Mit  Michelangelo  und  Correggio  ist  dasjenige,  was  die 
moderne  Kunstanschauung  von  der  antiken  trennt,  zuerst  in  eine 
entschiedene  selbstbewußte  Phase  getreten.  Mit  kurzen  Worten 
handelt   es  sich   um   Folgendes: 

1.  In  der  Auffassung  des  Psychischen  im  Kunstwerk. 
Die  Antike  hat  die  Dinge  grundsätzlich  isoliert,  die  menschlichen 
Handlungen  als  Willensäußerungen  dargestellt  und  nicht  als 
Empfindungsäußerungen.  Das  psychisch  Isolierende  ist  der  Wille, 
der  immer  egoistisch  ist:  Erhaltung  des  Individuums  in  irgend- 
einer Form.  Das  Verbindende  ist  Empfindung,  Gefühl,  das 
stets  auf  Vereinigung  mit  dem  Universum,  Aufhebung  des  Indivi- 
duums strebt.  Die  reifere  Entwicklung  in  der  antiken  Kunst  hat 
zwar  zu  verbinden  begonnen,  also  die  Empfindung  emanzipiert, 
aber  auch  nur  als  Ausfluß  des  Willens.  Reaktion  des  Willens. 
Laokoon  trauert,  weil  seinem  persönlichen  Leib  ein  materielles  Weh 
geschieht,  weil  etwas  wider  seinen  Willen  mit  ihm  geschieht.  Die 
neuere  Kunst  strebt  die  Verbindung  der  Dinge  um  der  Verbindung 
selbst  willen  an,  nicht  um  einer  raffinierteren  Isolierung  willen.  Also 
die  menschlichen  Handlungen  sollen  als  Empfindungsäußerungen 
erscheinen.  Seit  dem  15.  Jahrhundert  bricht  sich  dies  Bahn:  aber 
das  ganze  15.  Jahrhundert  war  bestrebt,  das  Neue  mit  dem  über- 
lieferten Antiken  auszugleichen.  Den  vollendeten  Ausgleich  bedeutet 
die  Renaissance,  die  uns  gerade  deshalb  ähnlich  wie   die  klassische 


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Antike  in  ihrer  Art  stets  als  ein  Vollkommenes  erscheinen  wird. 
Michelangelo  und  Correggio  sind  nun  aus  dieser  Renaissance  her- 
vorgegangen; aber  sie  bleiben  nicht  dabei  stehen,  sondern  sie  gehen 
über  den  Ausgleich  hinaus  und  verstärken  die  Empfindung.  Das 
Moderne  beginnt  bei  ihnen  zu  überwiegen;  bei  ihnen  zuerst  be- 
gegnet eine  grundsätzliche  Abkehr  von  den  Zielen  der  Antike,  wenn- 
gleich das  mindestens  dem  Michelangelo  keineswegs  in  vollem 
Maße  bewußt  geworden  ist.  Bei  Correggio  äußert  es  sich  darin. 
daß  Empfindung  und  Wille  einander  nicht  mehr  koordiniert  die 
Wage  halten,  sondern  die  Empfindung  den  Willen  vollständig  er- 
obert, aber  nun  selbst  als  Wille  auftritt,  als  Begehren.  Es  fehlt  bei 
ihm  alle  persönliche  Zurückhaltung,  aller  Stolz,  alle  Willensstärke,  alle 
Größe;  dafür  ist  er  voll  Liebreiz.  Wille  kann  aber  im  letzten  Grunde 
doch  nur  isolierend  wirken,  das  heißt  er  muß  auf  Sinnliches, 
Materielles  gerichtet  sein.  Daher  ist  Correggio  der  Maler  des  sinn- 
lichen Wollcns  und  Empfindens,  des  Dranges  nach  sinnlicher  Ver- 
bindung, der  sinnlichen  Hingabe  und  des  Begehrens  zugleich  (Emp- 
findung und  Wille)  im  umfassendsten  Sinne  des  Wortes.  Er  hat  es 
geschildert  in  religiösen  und  profanen  Bildern;  er  zuerst  hat  die 
äußerste  sinnliche  Vereinigung  zweier  Menschen  im  Bilde  geschildert, 
und  ist  dabei  doch  innerhalb  der  Grenzen  der  Kunst  geblieben, 
denn  er  wirkt  damit  gar  nicht  lasziv,  das  heißt  er  wirkt  damit  eher 
sinnlich  reinigend,  als  sinnlich  aufreizend.  Es  ist  bei  dieser  Emp- 
findungsmalerei  noch  immer  ein  Willcnsmoment  und  ein  sinnliches 
Moment:  darüber  ist  der  Italicner,  das  ist  der  orientalisiertc  Indo- 
germanc.  nicht  hinausgekommen.  Erst  die  Nordländer  haben  das 
Willcnsmoment  und  das  sinnliche  Moment  aus  der  Empfindungs- 
äußerung in  der  Kunst  völlig  ausgeschaltet. 

2.  In  der  Komposition.  Wir  wissen,  die  modernen  Künstler 
suchen  die  Naturdinge  in  der  Kunst  so  wiederzugeben,  wie  sie  sie 
sehen,  nicht  wie  die  Dinge  sind:  Subjektivismus.  Die  antike 
Kunst  ist  davon  ausgegangen,  die  Dinge  möglichst  so  wiederzu- 
geben, wie  sie  sind,  nicht  wie  sie  dem  Subjekt  einmal  zufällig 
optisch  erscheinen:  Objektivismus.  So  erklärt  sich,  daß  die 
antike  Kunst  die  Dinge  isoliert  hat,  vom  Beschauer  und  unter- 
einander, und.  soweit  sie  sie  verbunden  hat,  in  der  Ebene  ver- 
bunden hat.     Nach  Möglichkeit    aber    hat    sie    die    Darstellung    des 


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Raumes  gemieden,  denn  er  ist  die  subjektivste  aller  Dimensionen. 
Völlig  war  er  aber  von  Anfang  an  nicht  zu  vermeiden,  denn  er 
ist  so  gegeben  wie  im  Psychischen  die  Empfindung  und  drängt  sich 
von  selbst  auf. 

Wie  verrät  sich  der  Raum? 

1  Durch  Deckung,  a)  Figuren  decken  einander  nur  vom 
Beschauer  aus,  nicht  objektiv;  schon  bei  den  Ägyptern,  obzwar 
vermieden;  b)  von  Figur  zu  Figur,  bei  den  Ägyptern  ausnahmsweise, 
bei  den  Griechen  allmählich  offen  zugelassen,  Alexanderschlacht 
(daher  die  Antike  öfter  als  Raumkunst  bezeichnet);  c)  es  gibt  aber 
auch  eine  Deckung  von  Raum  und  Figuren:  Luftraum  vor  Figuren, 
die  sogenannte  Luftperspektive.  Die  hat  das  Altertum  nie  gekannt:  weil 
es  den   freien   Luftraum   nie  als  künstlerischen   Faktor  anerkannt  hat. 

2.  Durch  die  sogenannte  Linienperspektive,  das  ist  durch 
Verkürzungen  (Verkürzungen  erscheinen  nur  vom  Beschauer  aus,  sind 
nicht  objektiv  vorhanden).  Von  den  Ägyptern  in  der  handgreiflichsten 
Weise  gemieden:  Relieffiguren;  bei  den  Griechen  an  der  Einzelfigur 
und  höchstens  an  zwei  bis  drei  Figuren  zugelassen,  die  miteinander  in 
der  Ebene  in  nächster  Verbindung  stehen.  Niemals  aber  an  ent- 
fernteren Figuren  und  vollends  niemals  an  Dingen  hintereinander. 
In  der  reifsten  Antike  kleine  Figuren  im  Vordergrunde,  größere 
hinten.  Das  heißt  die  Orientierung  des  Ganzen  geht  in  der  ganzen 
Antike  bis  in  die  späteste  Zeit  immer  vom  Objekt,  niemals  vom  Subjekt 
aus.  Vom  15.  Jahrhundert  an  beginnt  nun  das  Streben  nach  Ver- 
bindung der  Figuren  in  der  Komposition  nach  allen  Richtungen, 
also  auch  im  Tiefraum,  und  damit  unvermeidlichermaßen  eine  grund- 
sätzliche Orientierung  vom  Subjekt  aus.  Man  sagt  daher:  das  15.  Jahr- 
hundert habe  die  Gesetze  der  Linienperspektive  gefunden.  Das  heißt 
es  hat  sie  gefunden,  weil  es  sie  gesucht  hat;  frühere  Zeiten  haben 
sie  schlechtweg  gemieden.  Nicht  sie  konnten  früher  nicht  per- 
spektivisch darstellen,  sondern  sie  wollten  nicht  perspektivisch  dar- 
stellen. Wiederum  ist  die  Renaissance  die  Zeit  des  Ausgleiches  ge- 
wesen, auch  zwischen  der  antiken  und  der  modernen  Komposition: 
der  objektiven  Ebenkomposition  und  der  subjektiven  Raumkompo- 
sition. Und  bei  Corrcggio  (wie  bis  heute)  treffen  wir  das  Über- 
schreiten des  Renaissanceausgleichcs.  Bei  ihm  zuerst  ist  das  Be- 
streben, wirklich    das  ganze  Bild  rücksichtslos   von    einem  Augen- 


punkte  aus,  also  rein  vom  Subjekt  aus  zu  komponieren.  In  der 
Madonna  des  hl.  Franciscus  strebt  er  noch  nach  Ausgleich:  die 
strenge  objektive  Symmetrie,  die  in  der  Ebene  wirkt,  und  die  sub- 
jektive Komposition  um  ein  Raumzentrum.  Die  strenge  Symmetrie 
nimmt  in  den  späteren  Bildern  immer  mehr  ab;  in  der  Heiligen 
Nacht  ist  der  subjektive  Augenpunkt  ein  auffallend  einheitlicher  durch 
Übertreibung  in  der  Verkürzung  der  Hirten  zur  Seite.  Der  Blick 
folgt  dieser  Schrägachse.  Die  objektiv-gesetzlichen  symmetrischen 
Linien  treten  ins  Unauffallcnde  zurück,  wenngleich  sie  noch  nicht 
ganz  fehlen,  um  doch  eine  Bildwirkung  in  der  Ebene  zu  erzwingen. 
Dazu  die  Engel  oben  in  der  linken  Ecke,  von  denen  man  das 
sieht,  was  eben  von  unten  zu  sehen  wäre:  Gesäße  und  Fußsohlen, 
zugleich  das  gewöhnlich  Gestützte,  was  nun  frei  schwebt  (Hochdrang 
auch  im  Hirten  mit  zagenden  Füßen).  Helldunkel.  Nachtstück  und 
doch  Begrenzung  der  Einzelformcn,  Herausmodellicrung  der  Kon- 
turen: Bein  des  großen  Hirten.  Auffassung:  Heilige  Personen.  Maria, 
das  Weib,  das  persönliches  Wohlgefallen,  persönliche  Beglückung  am 
Kinde  hat  (nicht  jene  sorgende  Zärtlichkeit  wie  bei  Rembrandt,  die 
mehr  an  das  Kind  als  an  sich  selbst  denkt);  Josef  mit  dem  Esel 
beschäftigt,  genrehaft,  den  Respekt  vor  ihm  nicht  erhöhend;  Hirten 
absichtlich  derbe  Köpfe;  Nachbarn,  die  aus  persönlicher  Neugierde 
schauen,  was  es  gibt,  aber  kein  tieferes,  verbindendes  Interesse 
bekunden,  dabei  lebhafte  Äußerung  der  oberflächlichen  sinnlichen 
Empfindungen.  Wo  ist  die  scheue  Ehrfurcht'  Jede  isolierende 
Schranke  zwischen  Göttlichem  und  Weltlichem  ist  gefallen.  Das 
Göttliche  ist  auf  Erden  herabgezogen,  Rembrandt  hat  das  Irdische 
zum  Göttlichen  emporgehoben. 

Der  Tag,  Parma.  1528  vollendet,  wahrscheinlich  nach  der 
Nacht  entstanden.  In  der  Nacht  war  eine  historische  Darstellung,  hier 
aber  ist  der  Stoff  eine  Santa  Convcrsazionc.  Trotzdem  keine  zentral- 
symmetrische Komposition.  Wieder  der  übergroße  Mann  (Hieronymus) 
in  der  linken  Ecke,  wieder  die  nach  der  Tiefe  zusammenlaufenden 
Linien,  aber  Linienkonkordanz  auch  schon  überflüssig  befunden: 
die  reine  malerische  Gruppe,  wobei  die  Einheit  im  betrachtenden 
Subjekt  liegt,  als  Raumausschnitt  in  einem  bestimmten  Momente.  Wieder 
kein  Anbeten,  lächelndes  Schäkern  mit  dem  Kind,  der  Engel  des  Bildes 
zeigt  ein  Buch,  Hieronymus  schaut  gemütlich  zu,  Magdalena  berühmt 


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durch  ihre  innige  Anschmiegung.  das  Knäblein  riecht  am  Salbgefäß: 
ganz  genrehaft.  Überhaupt  in  der  Auffassung  viel  Nordisches.  Wieder 
die  Beweglichkeit:  Magdalena!  Das  zagende  Aufsetzen  der  Füße. 
Die   Landschaft,  das  Helldunkel. 

Domkuppel  zu  Parma.  Die  ganze  Entwicklung  geht  von  hier 
aus.  Man  denke  an  ältere  objektive  Deckenverzierung:  altchristliche 
Mosaiken,  giotteske  Fresken,  noch  Pinturicchio,  immer  ganze  Figuren 
in  Draufsicht,  nicht  vom  Subjekt  orientiert,  dem  die  Figuren  so  er- 
scheinen könnten.  Zuerst  bei  Mantegna  im  Castello  di  Corte  zu 
Mantua:  Putten  mit  Jagdgeräten.  Untersicht,  Beine  und  Gesäße  zu 
sehen  (nicht  objektive  Draufsicht).  Die  schreitenden  Apostel  ver- 
kürzt, mit  lebhaften  Gebärden,  ihre  Füße  absichtlich  verborgen. 
Gegensatz  zu  Michelangelo,  der  äußere  Ruhe  anstrebt,  Correggio 
dagegen  um  jeden  Preis  Ortsveränderung,  daher  konnte  er  kein 
Architekt  sein. 

Wien,  Hofmuseum.  Ganymed:  ein  Engel  aus  einer  der 
Parmeser  Kuppeln  (daher  von  Ricci  und  Thode  die  Echtheit  des 
Wiener  Bildes  angezweifelt),  bei  Rcmbrandt  weinend,  weil  Lachen 
ihm  nicht  am  Platze  schien,  sondern  das  entgegengesetzte  Gefühl ; 
bei  Correggio  vergnügt  schauend.  Er  schwebt  vom  Adler  getragen 
in  den  Lüften.  Unten  die  Erde:  weite  Landschaft,  von  links  nach 
rechts  absinkende  Täler  (also  keine  Horizontale),  in  der  Ecke  links 
ein  Hund  dem  Knaben  nachschauend,  nur  im  oberen  Teile  (ohne 
Beine)  sichtbar,  im  äußersten  Vordergrunde;  dahinter  ein  Baumstrunk 
und  nun  dahinter  gestufte  Landschaft.  Schon  drei  Gründe  vorgebildet: 
braun,  grün.  blau.  Luftperspektive.  Am  Knaben  entzückende  Linien 
von  hinreißender  Grazie  ganz  scharf  und  klar  und  doch  nicht  hart. 
Dann  ein  wunderbares  Helldunkel  im  Nackten.  Bewegt  ist  der  Adler. 
ruhig  der  Knabe,  aber  alle  seine  Glieder  sind  aus  der  Ordnung. 
Packend  raumwahr. 

Ähnlich  lo  ebenda:  höchstes  sinnliches  Begehren  und  zugleich 
Hingabe  rein  künstlerisch  gelöst,  ohne  Spur  von  Frivolität.  Dazu  war 
die  Mythologie  willkommen;  auch  darin  ist  er  wegweisend  gewesen. 
Bei  den  Barockmalern  wie  bei  Correggio  werden  wir  immer  religiöse 
und  mythologische  Bilder  finden:  religiöse  Ekstase  und  sinnliche 
Ekstase.  Dagegen  kein  Porträt,  weder  bei  Michelangelo  noch  bei 
Correggio. 


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Michelangelos  Leistung  im  Profanbau.  Notwendig  vor- 
erst die  Orientierung,  was  Michelangelo  vorgefunden  hat,  wie  weit 
die  Hochrenaissance  hierin  gelangt  war.  Hier  ist  ein  weiteres  Aus- 
greifen unvermeidlich,  weil  Geschichte  der  mittelalterlichen  und 
Renaissancebaukunst  in  Italien  nicht  gelesen  wird.  In  aller  Kürze 
will  ich  die  Entwicklung  skizzieren.  Es  handelt  sich  um  den  privaten 
Wohnhausbau,  aus  dem  dann  der  monumentale  Privatpalast  und  der 
öffentliche  Monumentalbau  profaner  Bestimmung  (Rathaus,  Theater  etc.) 
erwachsen  ist.  Im  Gegensätze  dazu  steht  seit  dem  Mittelalter  der 
Kirchenbau,  und  das  ist  selbst  bis  auf  den  heutigen  Tag  geblieben. 

Im  Altertum  war  die  Kluft  zwischen  Tempel  (Gotteshaus)  und 
profanem  Monumentalbau  keine  so  große.  Sie  begann  wesentlich 
erst  in  der  römischen  Kaiserzeit  sich  aufzutun,  namentlich  mit  dem 
Siege  des  Christentums.  Daher  hat  der  profane  Monumentalbau  im 
Altertum  wesentlich  die  Formen  des  Tempelbaues  gebraucht.  Wir 
haben  daher  erst  von  der  römischen  Kaiserzeit  an  das  antike  Privat- 
haus in  Betracht  zu  ziehen.  Mittel  dazu  sind  vorhanden:  namentlich 
Pompeji. 

Das  Wesentliche  ist:  dem  antiken  Privathaus  mangelt  gerade 
dasjenige,  was  heule  die  Hauptsache  ist,  die  Fassade.  Das  antike 
Privathaus  schließt  sich  nach  außen  nach  Möglichkeit  ab,  es  hat 
keine  Fenster;  nur  nackte  Mauern  sehen  wir  in  Pompeji.  Eine 
Gliederung,  also  Architektur  in  höherem  Sinne  entfaltet  sich  erst 
im  Inneren,  und  auch  da  nicht  in  den  einzelnen  Gemächern,  sondern 
in  dem  Raum,  der  den  Zugang  vermittelt,  im  Atrium,  im  Hofe.  Das 
Wesentliche  im  pompejanischen  Haus  ist  das  Atrium  (Peristyl): 
viereckiger  Hof,  von  Säuleuportiken  begrenzt,  oben  offen,  also  kein 
geschlossener  Innenraum;  künstlerisch  wirken  nur  die  vier  Ebenen, 
welche  die  vier  Säulenhallen  bilden;  Reihen  von  Säulen  (geschlossene 
Einzelformen  als  Höherepräsentanten)  mit  geradem  Gebälk  darüber 
(Repräsentant  der  Breite,  materielle  Dimension);  was  dahinter  lag, 
war  künstlerisch  irrelevant.  Dahinter  die  Gemächer,  auch  vorne 
offen,  mit  Vorhängen  verschließbar.  Also  der  älteste  Profanbau, 
von  dem  wir  auszugehen  haben,  ist  ein  Hofbau  gewesen.  (Der 
Monumentalbau,  der  auch  das  Äußere  gegliedert  hat,  hat  sozu- 
sagen Atrien  nach  außen  verlegt:  Pcripteros).  Auch  der  Monumental- 
bau hat  keine  Fenster  oder  Seitenlichter,  sondern  hypäthrale  Ober- 


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lichter  Natürlich  hat  es  für  bestimmte  Notzwecke  seit  jeher 
heilster  gegeben,  wie  auch  Bogenwölbungen :  und  doch  gilt  als 
unumstößlich,  daß  die  klassische  Antike  nur  das  gerade  Gebälk 
gebraucht  hat  (wo  immer  sie  den  Bogen  entbehren  konnte».  Am 
frühesten  scheint  das  Fenster  in  den  Monumentalbau  an  öffent- 
lichen Gebäuden  ohne  monumentalen  Zweck  eingedrungen  zu  sein, 
namentlich  an  Marktbasiliken,  die  auch  Höfe  sind,  aber  überdeckte 
Höfe,  für  die  man  Seitenlicht  brauchte.  Die  Fassade  war  erst  mit 
Fenstern  möglich,  die  eine  Verbindung  zwischen  Innerem  und 
Äußerem  herstellten.  Das  Vorhandensein  eines  Innenraumes  mußte 
am  Monumentalbau  öffentlich  einbekannt  werden.  Wann  ist  das 
geschehen?  Das  Pantheon  aus  Hadrians  Zeit  hat  noch  keine  Fenster. 
Minerva  Medica  (aus  dem  3.  Jahrhundert?)  hat  sie  schon  systematisch 
durchgeführt.  Basiliken  und  andere  Profangebäude  nichtmonumentaler 
Art  waren  schon  etwas  früher  vorangegangen;  vermutlich  gehen 
die  Anfänge  bis  in  die  Diadochenzeit  zurück. 

Also  spätestens  vom  Beginne  der  christlichen  Zeit  an  haben  wir 
neben  dem  ältesten  Element  des  Profanbaues:  dem  Hof,  ein  zweites: 
die  Fassade.  Nun  laufen  beide  nebeneinander  her,  bis  auf  den 
heutigen  Tag,  aber  der  Hof  verliert  von  Tag  zu  Tag  an  Terrain. 
Heute  hat  er  seine  Bedeutung  ziemlich  verloren;  in  kleinen  Häusern 
nimmt  er  überflüssigen  Raum  ein  (Lichthof,  daher  zu  klein  für 
künstlerische  Wirkung),  in  großen  ist  er  zu  groß  für  künstlerische 
Wirkung.  Man  vergleiche  die  Wirkung  der  Sapicnza  dagegen.  Säulen- 
hüfe  müssen  noch  viel  kleiner  sein,  um  zu  wirken,  die  Säule  ist 
ein  nahsichtiges  Element,  das  für  sich  selbst  betrachtet  sein  will, 
auch  wenn  die  Interkolumnien  dazwischen  optisch  mitwirken  sollen; 
beim  Pfeiler  sieht  man  eher  vom  Einzelnen  hinweg  auf  das  Ganze. 

Aber  immerhin  hat  der  Hof  die  Bedeutung,  die  er  in  der 
Antike  besaß,  noch  lange  beibehalten;  die  Verdrängung  erfolgte 
erst  allmählich.  Wir  haben  daher  das  ganze  Mittelalter  hindurch  mit 
Hallcuhöfen  zu  rechnen  und  auch  noch  in  der  Renaissance.  Die  Be- 
deutung der  Barockzeit  ruht  größtenteils  darin,  daß  zum  ersten  Male 
die  Fassade  entschiedenes  Übergewicht  über  den  Hof  erhält.  Daher 
müssen  wir  den  Hofbau  immerhin  in  Betracht  ziehen,  und  zwar  an 
erster  Stelle,  weil  er  der  ältere  ist;  wenigstens  bis  zu  dem  Punkte, 
wo  er  mit  der  Fassade  zusammenfließt.   Ausgangspunkt  war  also  das 


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Atrium  des  antiken  Privathauses.  Von  der  Entwicklung  im  Mittel- 
alter sei  nur  so  viel  gesagt,  daß  es  infolge  des  geschlossenen  Städte- 
baues und  aus  ästhetischem  Hochdrange  (den  auch  die  Italiener  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  geteilt  haben)  zur  Obereinandertürmung 
mehrerer  Hallen  gekommen  ist:  der  Stockwerkbau  ist  aufgekommen 
Schon  die  Antike  hat  ihn  gekannt:  die  Verbindung  der  Stockwerke 
scheint  namentlich  durch  Freitreppen  hergestellt  gewesen  zu  sein. 
Jedenfalls  hat  sich  ein  antiker  mehrstöckiger  Hallcnhof  nicht  erhalten. 
Aber  die  Emporen  in  altchristlichen  Kirchen,  namentlich  in  orienta- 
lischen, geben  uns  Beispiele  von  zwei  solchen  Hallen,  in  vereinzelten 
Fällen,  wie  in  Saloniki,  sogar  eine  dritte  eingeblendete  Halle,  frei- 
lich nicht  ringsum  laufend,  höchstens  auf  drei  Seiten.  Wir  können 
einfach  tagen,  daß  der  Hofhallenbau  in  Profangebäuden  des  Mittel- 
alters parallel  gegangen  ist  mit  dem  Emporenbau  in  Kirchen  (Kreuz- 
gangbau in  Klöstern?),  und  wenden  uns  zur  italienischen  Renaissance, 
zunächst  zum  15.  Jahrhundert.  Die  Renaissance  strebt  nach  har- 
monischem Ausgleich  überall:  Einheit  der  Gliederung,  an  Fassade 
wie  im  Hof.  Also  hat  sie  auch  den  Hallcnhof  in  diesem  Sinne  aus- 
gebildet. 

Florentiner  Frührenaissancc.  Zwei  Extreme  waren  im 
Mittelalter  nebeneinander  gewesen:  Massivität  im  ganzen  und  Zier- 
lichkeit im  einzelnen.  Extremer  Drang  in  die  Höhe,  bei  schwerstem 
Eindruck  der  rohen  Materialität:  Drang  in  die  Breite.  In  den  Höfen 
äußerte  es  sich  einerseits  in  schwerfälligen  Pfeilern,  anderseits  in 
aufstrebenden  Spitzbogen  mit  ihrem  Stabwerk  und  Maßwerk.  Die 
Florentiner  machen  daraus  schlanke  Säulen  und  mehr  an  die  Breite 
erinnernde  Rundbogen.  Im  obersten  Stockwerk  gerne  gerades  Gebälk 
zum  horizontalen  Abschluß,  statt  unbegrenzten  Hochdranges  der 
Gotik.  Hie  und  da  schon  das  mittlere  Stockwerk  geschlossen,  als 
Dominante.  Diese  Säulenportikcn  sind  Ebenen,  wie  die  antiken  Atrien, 
aber  schon  mit  Andeutung  der  Tiefräumlichkeit.  Denn  sie  tragen 
Bogen,  seit  Diocletians  Bauten  in  Spalato,  Anfang  des  4.  Jahrhunderts, 
nachgewiesen.  Der  Bogen  aber  erklärt  sich  nicht  aus  Höhe  und  Breite  wie 
Säule  und  Gebälk,  sondern  er  setzt  innere  Strukturkräfte  voraus:  die 
Mauer.  Darin  ruht  der  unüberbrückbare  Unterschied  zwischen  Renais- 
sance und  Antike,  selbst  dort,  wo  sie  anscheinend  einander  beinahe 
berühren. i  Die  Intcrkolumnien  sind  nicht  Rclicfgrund.  wie  am  Peripteros. 


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sondern  freier  Raum,  wie  schon  seit  spätrümischcr  Zeit.)  Die  Florentiner 
haben  den  Bogen  niemals  aufgegeben. 

Römische  Höfe.  Die  Florentiner  heiteren  Säulcnhöfc  wollten 
.ich  in  Rom  nicht  recht  einbürgern.  Palazzo  Venezia.  Für  Paul  II. 
gebaut,  zirka  1470,  nicht  Säulenhalle,  sondern  Pfeilerhalle.  Nur 
vorgesetzte  Halbsäulen.  direkt  entlehnt  von  den  altrüinischcn 
Theatern;  unteres  Geschoß  schlanker,  oberes  schwerer,  gedrückter. 
Wo  ist  der  Effekt  der  Pfeiler?  Weniger  freier  Zwischenraum,  relativ 
mehr  Geschlossenheit,  Annäherung  an  die  Fassade.  Dann  durch 
ausladende  Halbsäulen  mehr  Schattenwirkung.  Charakteristisch  für 
ilie  römische  Auffassung.  Hof  der  Cancellcria,  lange  dem 
Bramante  zugeschrieben;  unter  Sixtus  V.  für  Kardinal  Raffael  Riario 
gebaut.  Dreigeschossiger  Hof.  Führt  das  florentinische  Säulensystem 
ein,  aber  etwas  ernster;  in  den  Ecken  Pfeiler  statt  der  florentinischen 
Säulen;  die  Säulenschäfte  antik,  aus  S.  Lorenzo  in  Damaso;  das 
dritte  Geschoß  ist  geschlossen,  mit  Pilastern  besetzt  und  von  zwei 
Reihen  Fenstern  durchbrochen,  also  fassadenmäßig  behandelt. 

Die  weiteren  Etappen  bezeichnet  Bramante,  von  dem  an 
sich  die  weitere  Entwicklung  teilt:  1.  in  die  römische,  vertreten 
durch  den  jüngeren  Antonio  da  San  Gallo  und  an  diesen  unmittelbar 
sich  anschließend  an  einem  und  demselben  Bau  Michelangelo;  2.  in 
die  oberitalienische,  wo  umgekehrt  die  Eassaden  nach  Hofart 
aufgeschlossen  werden.  Auch  hier  Zusammenhang  mit  der  Fassade. 
Da  diese  Höfe  schon  in  unverkennbarem  Bezug  zur  Entwicklung  des 
Fassadenbaues  stehen,  so  müssen  sie  zusammen  mit  den  bezüglichen 
Fassaden  besprochen  werden. 

Es  wurde  schon  gesagt,  daß  der  Hof  allmählich  verschwindet, 
wenigstens  in  seiner  kunsthistorischen  Bedeutung.  An  seine  Stelle 
treten  andere  Räume,  die  zwischen  außen  und  innen  vermitteln, 
aber  von  geringer  Bedeutung  sind.  1.  Das  Vestibül,  in  der  Regel 
eine  Durchfahrt  (früher  schmale  Korridore  ohne  architektonischen 
Charakter),  mehrschiffige  Halle,  die  erste  bedeutende  dort,  wo  der 
Hof  zum  ersten  Male  mit  Bewußtsein  größtenteils  geschlossen  wird: 
im  Palazzo  Farnese,  wahrscheinlich  vom  jüngeren  Antonio  da  San  Gallo. 
2.  Das  Treppenhaus,  eigentlich  ein  allseitig  zugemauerter  Hof. 
Schon  früher  gab  es  Treppen:  Freitreppen  seit  der  Antike.  Dann 
Wendeltreppen,  öfter  in  eigenen  Türnichen,  im  Norden  sogar  archi- 


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tektonisch  ausgebildet:  aber  auch  Wendeltreppen  sind  ohne  rechte 
monumentale  Wirkung,  weil  nur  in  kleinen  Abschnitten  sichtbar 
Jetzt,  wo  Halle  und  Hof  zurücktritt,  dazu  Fenster  den  Zutritt  zu 
den  Gemächern  vermittelt  hatten,  bilden  sie  sich  aus,  nebst  den 
Korridoren;  mit  mehrfachen  Absätzen,  in  einem  Zug  oder  Doppel- 
treppen in  symmetrischem  Aufstieg.  Ein  eigenes  Element,  grundwichtig 
für  die  ganze  Wirkung  wurden  sie  in  Genua,  in  der  frühen  Barock- 
zeit, in  Verbindung  mit  den  Höfen.  In  Rom  aber,  im  strengen 
Barock  überhaupt,  sind  sie  geschlossen:  eine  der  ersten  wiederum 
im  Palazzo  Farncse;  letztes  berühmtes  Beispiel  im  Palazzo 
Braschi. 

Die  Fassade  ist  eine  Wand,  die  uns  zugleich  verrät,  daß  hinter 
ihr  ein  Raum  ist.  der  sich  in  die  Tiefe  dehnt.  I.  „Hinter  ihr  ein 
Raum  ist";  die  antike  Monumentalaußcnwand  hat  das  nicht  verraten, 
sondern  grundsätzlich  verhehlt,  denn  sie  hatte  keine  Fenster.  Die  Tür 
war  ein  notwendiges  Übel,  nur  bescheiden  behandelt.  Das  „Portal" 
kennt  erst  die  neuere  Kunst,  die  Fassadenkunst.  Name  Fassade:  Face, 
Gesicht,  Spiegel  der  Seele:  wie  kein  Gesicht  ohne  Auge,  so  keine 
Fassade  ohne  Fenster.  2.  „Ein  Raum,  der  sich  in  die  Tiefe  dehnt",  der 
Anfang  und  Ende  hat.  der  eine  bestimmte  Tiefenrichtung  einschlägt: 
also  ein  Langbau.  Auch  der  Zentralbau  birgt  einen  inneren  Tiefraum. 
der  sich  durch  Fenster  verraten  darf,  aber  dieser  ist  ebenso  lang 
als  breit,  hat  keine  Richtung  oder  vielmehr  alle  denkbaren  Richtungen 
zugleich.  Sein  Anfang  liegt  im  Zentrum,  unsichtbar  nach  außen,  und 
bezeichnet  durch  die  Spitze  der  Kuppel  darüber.  Der  Zentralbau  hat 
keine  Fassade,  denn  er  hat  keinen  Anfang  (wo  sie  sich  dennoch  findet, 
ist  sie  ein  äußeres  Hinzugefügtes,  z.  B.  an  der  Karlskirche  in  Wien; 
freilich  ist  dieser  Fall  nicht  selten,  wegen  der  Neigung  der  Modernen 
zum  Langbau).  Die  Fassade  verrät,  daß  etwas  dahinter  ist.  Die  antike 
klassische  Baukunst  hatte  keine  Fassade,  sie  war  in  sich  abgeschlossen, 
wollte  an  nichts  Unsichtbares  erinnern.  Die  Fassade  erinnert  an 
etwas,  was  nicht  gleichzeitig  sichtbar  und  noch  weniger  tastbar  ist. 
Die  Fassade  ist  von  Haus  aus  ein  „malerisches"  optisches  Element. 
Da  die  Antike  keine  Fassade  gekannt  hat,  so  haben  wir  nach  antiken 
Fassaden  nicht  zu  fragen.  Erst  in  der  römischen  Kaiserzeit  mögen 
sie  sich  allmählich  ausgebildet  haben,  aber  es  ist  keine  erhalten. 
In  der  Barockzeit  soll  allerdings  eine  vorhanden  gewesen  sein,    da 


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stand  noch  der  Sonnentempel  des  Aurelian  auf  dem  Quirinal,  jetzt 
längst  demoliert.  Canina  II.  50  gibt  vom  rückwärtigen  Teil  eine 
Fassade,  wie  sie  seinerzeit  noch  zu  sehen  war:  mehrere  Geschosse 
übereinander,  durch  horizontale  Gesimse  getrennt,  in  der  Mitte  aber 
eine  offene  Loggia,  die  an  den  venezianischen  Palastbau  erinnert. 
Keine  vertikalen  Elemente:  Halbsäulen  oder  Pilastcr.  Das  wäre  ein 
Bau  aus  der  zweiten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  n.  Chr.  Freilich  eine 
vereinzelte,  jetzt  unkontrollierbare  Ausnahme.  Ein  antiker  Bau.  der 
aber  gewöhnlich  in  die  Franken-  oder  Longobardcnzcit  gerückt  wird, 
ist  der  Palazzo  delle  Torri  in  Turin.  Schnaasc  hat  schon  gegen 
solche  Datierung  Bedenken  gehabt;  ich  setze  ihn  in  das  3.  oder 
4.  Jahrhundert.  Mehrgeschossiger  Bau,  durch  horizontale  Gesimse  und 
durch  vertikale  Pilaster  gegliedert,  die  I  enster  auch  in  sehr  fein- 
sinnig harmonischen  Verhältnissen  eingesetzt.  Würde  einem  Baumeister 
der  Frührenaissance  alle  Ehre  gemacht  haben. 

Die  Entwicklung  im  Mittelalter  kennzeichnet  sich  für  Italien 
durch  ein  stetes  Festhalten  an  der  Symmetrie:  die  Fenster  (die  als 
Tiefraumverräter  den  Begriff  der  Fassade  zum  wesentlichen  Teile 
ausmachen,  Augen  des  Gesichtes)  stehen  in  gleichmäßigen  Reihen 
nebeneinander  und  untereinander,  wogegen  im  Norden  häufig  ver- 
stoßen wurde.  Damit  ist  der  Eindruck  der  gesetzmäßigen  objektiven 
Ebene  festgehalten.  Aber  die  Proportionen  wurden  nicht  beachtet: 
Verhältnis  der  Geschosse  zum  Ganzen,  der  Fenster  zu  den  Geschossen. 
Einmal  waren  zu  viel  Fensteröffnungen,  ein  andermal  zu  viel  Mauer 
izu  viel  Höhe,  zu  viel  Breite).  Die  italienische  Frührenaissance  im 
15.  Jahrhundert  hat  nun  Höhe  und  Breite  in  das  richtige  Verhältnis 
zu  bringen,  auszugleichen  getrachtet;  der  Bau  soll  solide  lasten. 
Stabilität  verkünden,  aber  auch  Aufschwung,  Tendenz  zum  Aufstreben 
verraten.  Das  betraf  also  hauptsächlich  Höhe  und  Breite.  Die  Fenster 
wurden  nur  nach  diesen  beiden  Dimensionen  verändert;  in  der  Tiefe 
änderte  sich  zunächst  nichts,  sie  wurde  durch  die  Fensterdurchbrechungen 
angedeutet;  ein  unbegrenzter  Tiefraum,  der  nicht  künstlerisch  geformt 
abgegrenzt  wurde;  dann  die  Rustika.  Die  Fassade  blieb  eine  reine 
Ebene,  aus  der  nichts  vorsprang,  um  die  Tiefe  anzuzeigen. 

Palazzo  Pitti  von  BruncIIcsco.  Am  Anfange  gleich  ein  Wurf, 
wie  Masaccios  Fresken  in  der  Malerei;  im  ganzen  Quattrocento  in  seiner 
Art  nicht  mehr  übertroffen.  Mit  Wand  und  Fensteröffnungen  darin  will 


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er  Harmonie  von  Höhe  und  Breite  geben:  drei  Geschosse  aus  Rustika, 
das  obere  niedriger  und  in  feinerer  Rustika  gehalten;  das  unterste 
am  wenigsten  durchbrochen,  das  Erdgeschoß  also  als  Sockel  be- 
handelt (die  Parterrefenster  mit  Rahmen  und  Giebeln  später  im 
lö.  Jahrhundert  eingesetzt);  die  beiden  oberen  reicher,  und  zwar 
mit  großen  Rundbogenfenstern  ohne  alle  Unterteilung,  in  gemessenen 
Abständen,  nicht  allzu  dicht.  Die  Abstufung  der  Stockwerke  erregt 
vor  allem  den  Eindruck  größter  solidester  Stabilität,  die  Bogen- 
fenster aber  streben  in  die  Höhe  empor.  Überdies  ist  das  oberste 
Stockwerk  minder  breit  und  erhöht  damit  den  Eindruck  des  erfolg- 
reichen Aufstrebens,  aber  genau  in  Proportion  zur  Masse.  Endlich  fehlt 
noch  ein  abschließendes  Kranzgesims,  das  zugleich  aus  der  Tiefe 
ausladet,  aber  auch  das  Ausstrahlen  in  einen  Zinnenkranz.  Die  Fenster 
haben  keine  Rahmen,  noch  keine  Ticfcnprofilierung,  nur  in  der  Ebene, 
wie  im  Mittelalter  gleich  dem  Maßwerk.  Dagegen  wirkt  die  Rustik;: 
im  Sinne  der  Tiefenerstreckung  der  Mauer,  weil  die  rohen  Blöcke 
Schatten   werfen. 

Die  späteren  Palazzo  Strozzi  (Bencdctto  da  Majano  und 
Cronaca),  Riccardi  (Michelozzo)  sind  zurück,  weil  sie  mit 
Maßwerk  unterteilte  Fenster  haben,  vorgeschritten  durch  horizontalen 
zusammenfassenden  oberen  Abschluß,  Strozzi  überdies  durch  ein 
zentrales  Portal:  maßvolle  Subordination.  Palazzo  Strozzi  bedeutet 
überhaupt  die  Krönung  des  Altflorentincr  Palastbaues. 

Palazzo  Rucellai  (L.  B.  Albert  i?  Bern.  Rosseil  in  o?).  Ist  eher 
eine  Kuriosität,  weil  ein  Versuch,  Pilaster  einzuführen  neben  Rustika  und 
Maßwerkfenstern.  Erster  Versuch,  abgeschlossene  geformte  Repräsen- 
tanten der  Tiefe  mit  Pilastern  hineinzubringen.  Repräsentanten  dei 
formlosen  Tiefe.  Sieht  wunderlich  aus  und  wurde  auch  fast  nicht  nach- 
geahmt. Pilaster  sind  selbst  ausladend  und  gehören  nur  vor  die  glatte 
Wand;  die  Rustika,  wenn  nicht  sehr  maßvoll,  macht  ihnen  Kon- 
kurrenz, Pilaster  und  Rustika  schlagen  einander  wechselseitig  in  der 
Wirkung.  Dann  liegt  das  Maßwerk  in  der  Ebene  und  ist  ein  Widci- 
spruch  zum  Pilaster.  Zu  diesem  gehört  ein  ausladendes  Rahmenwerk. 
Das  Kranzgesims  ist  nur  für  den  obersten  Stock  ein  Abschluß:  maß- 
volle Subordination. 

In  Rom  wurde  zirka  1464  der  Palazzo  Venezia  für  den 
Venezianer  Paul  II.  von  unbekanntem  Meister  erbaut,  man  glaubt  von 


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einem  Florentiner.  Einerseits  noch  geradezu  mittelalterlich  mit  seinem 
Zinnenkranz  —  kein  Breitenabschluß  nach  oben,  sondern  Ausstrahlen  in 
die  1  lohe  und  seinem  finsteren,   festungsartigen  Aussehen,  anderes 

Extrem  der  rohen  Materialität.  Anderseits  aber  schon  vorgeschrittener 
als  alle  Florentiner  Quattrocentopaläste,  weil  schon  mit  ausladenden 

erprofilen  versehen,  ohne  alles  Maßwerk  und  ohne  Rustika, 
obzwar  diese  zu  dem  düsteren  Zinnenbau  gepaßt  hätte.  Drei  hori- 
zontale Geschosse,  nach  oben  verjüngt,  nicht  in  gefälligen  Verhält- 
nissen. Die  Fensterformen  wechselnd,  vier  im  Erdgeschoß  rundbogig, 
im  Mittelgeschoß  viereckig  mit  Steinkreuz,  was  der  gotische  Profan- 
bau namentlich  im  Norden  überall  hatte.  Das  Wichtige  sind  aber  die 
ausladenden  Abschlußgesimse  über  den  Fenstern,  die  sich  auch  im 
obersten  Geschoß  wiederholen.  Ebenso  an  den  Türen.  Auch  die 
Gewände  der  Rundbogenfenster  erhalten  schon  Ausladungen  an  dem 
Rahmen,  nicht  mehr  die  Stabwerkprofilierungen  in  den  Laibungen 
wie  im  mittelalterlichen  Bogenfenster.  Also  deutliche  Tendenz  auf 
ausladende,  schattenwerfende,  tiefraumandeutende  Behandlung  der 
Wandflächen,  charakteristisch  römisch.  Derselbe  römische  Palazzo 
hat  die  besprochenen  Pfeilerarkaden  im  Hof.  Die  Loggia  über  dem 
Portal  aus  späterer  Zeit. 

Cancelleria.  Echter  Hochrenaissanceversuch  der  Ausgleichung 
von  Höhe,  Breite  und  Tiefe  an  geformten  Elementen.  Die  Tiefe 
noch  das  Schüchternste.  Enthält  Eigentümlichkeiten,  bezeichnend  für 
die  Entwicklungsstufe,  zum  Teil  aber  ohne  besondere  Nachfolge. 
Ungeheuere  Länge  der  Front.  Die  Heraushebung  des  Mittclgcschosses 
wirkt  subordinierend  in  der  Höhe;  aber  das  Portal  liegt  nicht  in  der 
Mitte,  weil  die  Kirche  S.  Lorenzo  in  Damaso  mit  eingebaut  ist 
i Portal  des  Palastes  von  Dom.  Fontana,  100  Jahre  später;  Portal  der 
Kirche  von  Vignola).  Die  Risalite  daher  angebracht,  zur  Subordi- 
nierung in  der  Breite. 

Die  wichtigen  Neuerungen  sind  folgende:  1.  Rustika  dient  nur 
zum  Breitenausdruck,  ist  Elorizontalclcmcnt  geworden;  also  diese 
äußerliche  Charakterisierung  der  Mauer  als  tiefräumlich  tritt  nun  zurück. 

2.  Die  Fenster  haben  kein  Maßwerk,  aber  dafür  vorspringende 
schattende  Rahmen.  Die  Bedeutung  des  Fensters  als  bloße  Durch- 
brechung tritt  zurück,  die  Bedeutung  der  Mauer  als  von  innen 
heraus  wirksam   nimmt  zu. 


3.  Die  Fenster  werden  von  der  Rundform  zur  Viereckform 
übergeführt,  im  mittleren  Geschoß  mittels  Kopfrahmen.  Es  ist  der 
Übergang  von  äußerer  Bewegung  zu  äußerer  Ruhe.  Das  Schwer- 
gewicht, die  Materie,  das  der  Bewegung  entgegenwirkt,  wächst.  Der 
gerade  Abschluß  wirkt  etwa  im  Sinne  der  materiellen  Breite,  lastend. 

4.  Pilaster  werden  im  mittleren  und  obersten  Geschoß  ange- 
setzt, in  der  rhythmischen  Travee  nach  dem  goldenen  Schnitt.  Doppcl- 
pilastcr.  aber  mit  Abstand  dazwischen.  Die  Folge  ist  die  Ver- 
minderung der  Fensterdurchbrcchungcu.  Überhaupt  wird  jetzt  die 
Wand  die  sichtbare  Hauptsache;  bei  den  Maßwerkfenstern  sah  man 
mehr  die  Durchbrechungen. 

5.  Die  Ecken  treten  als  Risalite  vor  halben  Pilastern  aus  dem 
Räume  vor.  Allerdings  sehr  mäßig.  Brechnung  der  Ebene!  Auch 
das  Kranzgesims  verkröpft  sich  entsprechend. 

Gesamtrcsultat:  Steigerung  der  Höhe:  Doppelpilaster;  Steige- 
rung der  Breite:  Horizontalrustika  und  Gesimse,  auch  an  Fenstern; 
aber  auch  Steigerung  der  Tiefe:  ausladende  Profile  an  Fenstern  der 
Risalite.  Steigerung,  aber  in  Harmonie,  nicht  in  Konflikt.  Für  unser 
Empfinden  eher  zu  wenig  Tiefe. 

Palazzo  Giraud  ist  eine  Wiederholung  der  Cancelleria  im 
kleinen.  Zentralisierter,  aber  ohne  Risalite,  weil  das  Portal  in  die 
Mitte  kommen  konnte  und  Subordination  ergab.  Das  Portal  auch 
hier  später,   wenn   auch   für   diese  Stelle   von  Anfang  an  berechnet. 

Donato  Bramante.  Seine  Tätigkeit  in  der  Lombardei  haben 
wir  nicht  zu  berücksichtigen,  nur  seine  sogenannte  ultima  maniera, 
die  er  in  Rom  entfaltet  hat  und  worin  er  der  Hauptmeister  der 
italienischen  Hochrenaissance  geworden  ist;  das  Wesentliche  dabei 
ist  eine  Steigerung  des  Ticfencindruckes  durch  geformte  Ausladungen, 
aber  nicht  über  die  harmonische  Grenze  hinaus,  ohne  Konflikt  mit 
Höhe  und  Breite.  Nach  Rom  kam  er  1499,  dort  ist  er  1514  ge- 
storben. Gewöhnlich  wird  seine  Tätigkeit  für  den  Kirchenbau  auf  das 
höchste  geschätzt,  wo  er  eine  maßvolle  Subordination  im  Zentral- 
bau durchgeführt  hat.  Davon  später  die  Rede.  Jetzt  ist  nur  seine  Tätig- 
keit für  den  Profanbau  zu  untersuchen.  Er  war  sowohl  für  Fassaden 
als  für  den  Hofbau  tätig.  Erhalten  haben  sich  nur  zwei  Höfe,  von  seinen 
Palastfassaden  keine;  aber  eine  in  Aufnahme  von  Palladio,  die  uns 
Genügendes  sagt.  Die  beiden  Höfe  repräsentieren  beide  Richtungen. 


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die  von  ihm  ausgehen:  die  römische,  die  auf  Schließung  der  Höfe 
hinläuft,  die  oberitalienische  auf  Offenhaltung;  wie  er  selbst,  ein 
Urbinatc,  aus  Oberitalien  kommend,  in  Rom  sich  niedergelassen  hat, 
Oberitalienisches  und  Römisches  in  sich  vereinigt.  Die  romische 
Variante  vertritt  sein  großer  vatikanischer  Hof  mit  der  großen 
Nische.  Er  sollte  die  auseinanderliegenden  Teile  des  Vatikans  ver- 
binden; die  sistinischen  und  borgiaschen  Bauten  einerseits,  das  Bcl- 
vedere  Innocenz'  VIII.  anderseits.  Es  entstanden  zwei  Höfe:  der  kleinere. 
Cortile  di  S.  Damaso,  mit  den  Loggien:  er  erhebt  heute  keinen 
Anspruch,  uns  Bramantes  Kunstwollen  deutlich  zu  vergegenwärtigen; 
und  der  große  Hof,  der  im  unteren  Teil  (gegen  S.  Peter)  mit 
amphitheatralischen  Stufen  versehen  war,  dann  mittels  Treppen  und 
Rampen  in  einen  oberen  Teil  überging,  der  endlich  oben  in  der 
Mitte  mit  einer  in  ungeheueren  Verhältnissen  entworfenen  Nische 
abschloß. 

Das  Ganze  war  das  Zentrum  des  heiteren  prächtigen  Wohnsitzes 
eines  weltlichen  Territorialherrn,  also  nur  unter  einem  Renaissancc- 
papst  denkbar,  unter  Julius  II.  Um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  war  er 
schon  zwecklos  geworden,  übrigens  nie  ganz  ausgebaut,  jetzt  zum 
Teil  arg  umgestaltet  und  mißhandelt.  Der  erste  gegenreformatorische 
Papst,  der  wieder  gebaut  hat.  Sixtus  V..  durchschnitt  den  Hof 
mit  der  Bibliothek  und  schuf  dadurch  zwei  Höfe:  Cortile  del  Bel- 
vedere  und  Giardino  della  Pigna.  Um  1800  kam  dann  noch  der 
Braccio  nuovo  für  die  vatikanische  Skulpturensammlung  hinzu. 

Ein  so  ungeheuerer  Hof  konnte  gar  kein  Säulenhof  sein.  An 
der  Abschlußwand  mit  der  Nische  zwei  Geschosse,  das  untere  eine 
Arkadenhalle,  das  obere  geschlossen.  Aber  auch  das  untere  nicht 
einmal  mehr  Pfeilerhalle  (der  Hof  war  schon  zu  groß,  um  damit  zu 
wirken,  geschweige  mit  Säulen),  sondern  es  sind  Mauerteile,  die  die 
Stelle  von  Pfeilern  vertreten.  Jeder  Mauerteil  nach  der  rhythmischen 
Travcc  behandelt,  mit  zwei  Pilastern.  dazwischen  eine  aufstrebende 
halbrunde  Nische  und  darüber  ein  eingeblendetes  Mauerquadrat  (also 
Vorläufer  Michelangelos,  indem  schon  der  Mauerkern  mitspricht,  aber 
ohne  Konflikt).  Der  Fries  samt  Gebälk  über  den  Doppelpilastem 
kröpft  sich  leicht  vor,  auch  darin  Vorläufer  Michelangelos.  Die  Bogen 
sind  jetzt  zugemauert,  das  Ganze  auch  durch  eingebrochene  Fenster 
sehr  entstellt.  Das  Untergeschoß  aufstrebend,  hier  vollendete  Harmonie 


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zwischen  Höhe,  Breite  und  Tiefe.  Die  Pilaster  schon  starker  und 
kräftiger  ausladend.  Das  Obergeschoß  niedriger,  lastender,  weil  es  oben 
abschließt  in  der  Breite.  Wieder  mit  rhythmischer  Travee,  ohne  Bogen, 
nur  je  ein  viereckiges  Fenster  dazwischen.  Keine  Verkröpfung  über 
den  Doppclpilastern.  Also  unten  mäßige  allgemeine  Bewegung  nach 
aufwärts  und  vorwärts,  Höhe  und  Tiefe.  Oben  nahezu  Ruhe,  ver- 
hältnismäßiges Überwiegen  der  Breite.  Hat  man  sich  in  diese  Ver- 
hältnisse einmal  hineingesehen,  so  erscheinen  sie  einem  als  unver- 
änderlich, ewig.  Daher  Norm  bei  Burckhardt  und  anderen.  Schade, 
daß  er  jetzt  so  vielfach  entstellt  ist. 

Die  abschließende  Nische  (der  Nicchionc)  ein  besonders  gran- 
dioses Motiv,  schon  an  und  für  sich  ein  fernsichtiges  Motiv,  in  seinen 
Dimensionen  nur  aus  einem  größeren  Ganzen  und  aus  Fernsicht 
verständlich.  Bei  Michelangelo  auch  dies  gesteigert.  Die  halbrunde 
Wandung  der  Nische  ist  in  zwei  Geschosse  geteilt  durch  starke 
Gesimse,  die  aber  nicht  von  Pilastern  getragen  werden.  Die  Mauer 
modelliert  sich  aus  sich  selbst  heraus  in  vorstrebenden  Streifen; 
unten,  wo  sie  am  breitesten  sind,  schlitzen  sie  sich  in  zwei  halbe 
Streifen.  Das  ist  schon  so  im  Geiste  Michelangelos,  daß  man  die 
Meinung  ausgesprochen  hat,  die  Nische  wäre  gar  nicht  mehr  nach 
Bramantes  Ideen  ausgeführt.  Man  erwartete  eine  vorgeblcndctc  Säulen- 
halle vor  der  halbrunden  Nischenwand.  Die  Halbkuppel  ist  geschaffen 
aus  dem  gleichen  Geiste  wie  der  Kuppelbau  von  S.  Peter,  wie  ihn 
Bramante  sich  gedacht  hat.  Fenster  darin,  die  ins  Dunkle  führen, 
also  Blendfenster.  Gliedernde  ausladende  Mauerstreifen,  nicht  Flächen 
allein.  Auch  außen  an  den  Zwickeln  Maucrschlitze.  Die  Bekrönung 
der  Nische  bildet  eine  halbkreisförmige  Kolonnade  mit  zwei  Front- 
giebelhallen. (Unten  davor  eine  Freitreppe  mit  der  Antoninusbasis 
und  der  Pigna.)  Das  kunsthistorisch  Bemerkenswerteste  ist  nun  der 
Gedanke  der  Einfügung  eines  höchst  monumentalen  Motives  in  einen 
Profanbau,  mit  bestimmter  Fassadenwirkung  im  Hof.  Schon  Burck- 
hardt hat  es  ausgesprochen,  daß  diese  Nische  den  feierlichsten  Ein- 
gang zu  dem  größten  Paläste  der  Welt  bilden  könnte.  In  seiner 
jetzigen  Lage  ist  er  aber  verborgen  und  unbeachtet,  sinnlos. 

Einen  oberitalienischcn  Hof  dagegen  hat  das  Kloster  von 
S.  Maria  della  Pace  in  Rom.  Zwei  Geschosse.  Unten  Pfcilcrarkaden, 
hoch  hinaufsteigend,  also  wenig  schließende  Zwickel,  mit  vorgesetzten 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrli.  5 


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Pilastcrn,  nicht  Halbsäulen;  weil  er  hier  die  Intcrkolumnien  nicht  ganz 
übertönen  will.  Darüber  ein  Geschoß  mit  geradem  Gebälk  (wegen 
des  Abschlusses),  offen,  mit  Säulen  zwischen  je  zwei  Pfeilern;  erinnert 
geradezu  an  mittelalterliche  Stützenwechsel.  Reiche  Abwechslung, 
alles  Detail  mit  großer  Liebe  gearbeitet.  Also  es  wirken  die  Stützen 
mitsamt  den  schattenden  Intcrkolumnien  (ungeformter  Tiefraum); 
die  ausladenden  Glieder  treten  zurück.  Das  war  möglich  in  diesem 
kleinen  Klostcrhof;  im  großen  vatikanischen  Hof  war  also  neben 
den  geschlossenen  Teilen  auch  auf  die  optische  Wirkung  der  Durch- 
brechungen gerechnet. 

Wohnhaus  Bramantes,  später  Raffaels,  Sterbehaus  beider. 
Nächst  S.  Peter.  Längst  demoliert.  Von  Palladio  skizziert,  unter 
seinen  Handzeichnungen  in  Chiswick  Castle  von  Geymüllcr  entdeckt. 
Vier  Geschosse,  als  zwei  behandelt,  zwei  Mezzanine,  ganz  versteckt. 
Er  vermeidet  eine  größere  Zahl,  weil  um  so  strengere  Subordination 
nötig  wäre;  er  will  sie  aber  nur  maßvoll.  Die  zwei  Geschosse  streng 
getrennt,  das  untere  ein  solider  Sockel,  aber  mit  hochaufstreben- 
den Arkaden;  das  höhere  aufstrebend,  aber  durch  das  Gesims 
darüber  doch  niedergehalten.  Die  Dominante  ist  keine  erdrückende. 
Unten  Rustika,  in  lauter  Rundbogen  geöffnet:  eigentlich  Hofhallc 
oder  Loggia.  Aber  unterteilt  mit  geradem  Sturz,  wodurch  Mezzanin- 
fenstcr  entstehen.  Im  Obergeschoß  doppelte  Halbsäulen,  schon  enger 
als  in  der  rhythmischen  Travee,  aber  doch  noch  mit  Spielraum  da- 
zwischen; drei  Fenster  mit  schattenden  Giebeln  auf  Stützen,  nach  dem 
Vorbild  der  Panthconaltäre,  aber  auf  Gesimsen  stehend,  also  noch 
selbständig.  Tendenz  auch  hier,  die  Mauer  zu  beseitigen.  Oberes 
Mezzanin  in  den  Metopen  des  Triglyphenfriescs  verborgen.  Also 
überall  stärkere  Bewegung:  vorwärts  (Halbsäulcn,  Fensterrahmen», 
aufwärts  (enggcstellte  doppelte  Halbsäulen,  Rundbogen),  Breite  (Fries 
und  Gesims). 

Also  auch  hierin  unmittelbarer  Vorläufer  Michelangelos.  Nach 
Bramante  spaltet  sich  die  Entwicklung  der  italienischen  Baukunst  in 
zwei  Richtungen.  Die  eine  möchte  am  gewonnenen  Ausgleich  fest- 
halten: man  nennt  sie  daher  die  Spätrenaissance;  sie  möchte  die 
Wand  plastisch  beleben,  also  einen  verstärkten  Ticfcncindruck  her- 
vorrufen, aber  ohne  mit  den  Ebendimensionen  Höhe  und  Breite  in 
Konflikt  zu  geraten.  Wo  dies  aber  nicht  angeht,  dort  räumt  sie  die 


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Wand  einfach  hinweg  und  läßt  die  ungcformte  Tiefe,  die  absolute 
Fensteröffnung  in  optisch-koloristischer  Weise  wirken  (Sie  berührt 
sich  hierin  also  im  Konstruktivsinne  mit  der  Gotik.)  Diese  Richtung 
verläuft  folgendermaßen  (Geymüllcr  hat  diese  Richtung  speziell 
verfolgt):  sie  geht  zunächst  von  Bramante  auf  seinen  Schüler  und 
Landsmann  Raffael  über.  Durch  Raffael  und  seine  Schüler  erhält  sie 
sich  in  Rom  eine  Zeitlang,  dann  aber  kann  sie  sich  hier  neben  der 
spezifisch  römischen  Richtung  des  Michelangelo  nicht  länger  halten 
und  wandert  nach  Oberitalien,  wo  sie,  zum  Teil  in  neuem  Geiste, 
bis  ins  18.  Jahrhundert  weiterlebt  und  vom  Klassizismus  neu  auf- 
gegriffen wird.  Palazzo  Vidoni  ist  nur  eine  Kopie  nach  dem  Wohn- 
haus des  Bramante. 

Villa  Farnesina  strittig,  ob  nicht  dem  Peruzzi  gehörig, 
als  Villa  nur  von  sekundärer  Bedeutung.  Mitteltrakt  zwischen  zwei 
Risaliten,  was  schon  an  Innocenz'  VIII.  Belvedere  vorgebildet 
war;  an  einer  Villa  eher  angängig,  an  einem  Palazzo  nicht  —  der 
gemessene  repräsentative  Palazzo  verträgt  keine  so  ungezwungene 
Bewegung  —  daher  die  Cancelleria  so  wichtig.  Palastrisalite  im  allge- 
meinen erst  im  17.  Jahrhundert:  zweigeschossig,  mit  verhehlten 
Mezzaninen.  Der  Mitteltrakt  unten  ganz  durchbrochen  von  einer 
Pfeilerloggia:  kleine  Zwickel,  weil  die  Arkaden  bis  hinauf  reichen 
an  das  Gebälk,  also  die  Hofhalle  auf  die  Fassade  übertragen.  Die  ge- 
schlossenen Teile  mit  Pilastern  belegt  wie  in  der  Frührenaissance, 
mit  Fenstern  ohne  starke  Tiefenentfaltung  dazwischen.  Mezzanine 
verhehlt;  im  Fries  unter  dem  Kranzgesims  Relieffestons.  Alles  leicht, 
heiter,  ungezwungen,  selbständig,  die  Seiten  der  Mitte  freimütig 
untergeordnet. 

Palazzo  Pandolfini  in  Florenz.  Raffael  sandte  einen  Schüler 
nach  Florenz,  um  seinen  Entwurf  auszuführen.  Nur  eine  Hälfte  ganz 
ausgeführt,  auch  die  bloß  im  Erdgeschoß.  Das  Portal  hätte  strenge 
Dominante  gegeben.  Zwei  Geschosse,  schon  durch  Behandlung  der 
Fenster  auf  den  ersten  Blick  streng  getrennt,  wiewohl  unten  keine 
Rustika.  Unten  Fenster  mit  starken  Giebeln,  alternierend  rund  und  spitz 
(relative  Selbständigkeit).  Vielleicht  das  erste  Beispiel  starker 
Fensterrahmen  (Vergleich  mit  den  Florentiner  Palästen  des  15.  Jahr- 
hunderts!). Der  ganze  Rahmen  an  der  Wand  vorgequollen  und  bis 
zum  Sockel  herab  verkröpft,  aber  auf  diesem  am  Boden  aufliegend, 


-    68    - 

nicht  auf  Konsolen  gesetzt,  die  ans  der  Wand  herauswachsen.  Das 
Erdgeschoß  ohne  Rustika,  daher  viel  Wandfläche  (Solidität);  nur  die 
Ecken  mit  Ortsteinen  verziert  (Abschluß  mit  tiefräumlicher  Wirkung). 
Die  wechselnde  Breite  der  Steine  läßt  den  Umriß  minder  hart  er- 
schauen. Das  Obergeschoß  interessiert  uns  besonders:  die  Fenster 
mit  Giebelarchitektur,  die  fest  mittels  Sockeln  auf  dem  Gesimse 
ruht.  Die  Wand  zwischen  den  Fenstern  in  lauter  viereckige  Blend- 
fenstcr  verarbeitet,  die  Profile,  die  oben  die  Blcndfenster  abschließen, 
verkröpfen  sich  um  die  Giebel  der  Hauptfenster:  Kampf  zwischen 
Tiefe  und  Breite!  Raffael  geht  über  Bramante  hinaus  in  der  Richtung 
auf  Michelangelo. 

Als  das  älteste  Beispiel  von  Verwendung  der  starken  Fenster- 
rahmen an  Profanbauten,  d.  h.  Erklärung  einer  Hauswand  für  Fassade, 
gilt  bei  Vasari  Palazzo  Bartolini  in  Florenz,  von  Baccio 
d'Agnolo,  aber  erst  im  Sterbejahr  Raffaels  (1520)  entstanden,  also 
später  als  Palazzo  Pandolfini.  An  den  Flanken  härterer  Umriß,  das 
Erdgeschoß  wahrscheinlich  verändert.  Ein  gewaltiger  wagrechter  Fries 
darüber  und  ein  aus  der  Tiefe  ausladendes  Kranzgesims.  Gewaltiges 
Rustikaportal  (Subordination). 

Palazzo  Spada  nicht  von  Raffael  erbaut;  doch  nach  dem 
Muster  des  von  Raffael  erbauten,  heute  nicht  mehr  bestehenden 
Palazzo  d'Aquila.  Allerdings  ist  hier  ein  drittes  Geschoß  dazu- 
gefügt,  aber  davon  abgesehen,  erinnert  er  in  vielem  an  Raffael.  Das 
Erdgeschoß  diesmal  rustiziert,  die  Fenster  schon  auf  Konsolen 
gesetzt,  aber  doch  noch  nicht  so  barocke  Fincstroni  wie  in  den 
gleichzeitigen  Erdgeschossen  streng  römischer  Paläste.  Das  Mittel- 
geschoß  hat  nun  die  ganze  Wand  zwischen  den  Fenstern  plastisch 
verarbeitet;  die  Fensterrahmen  sind  daher  nicht  so  stark  ausladend, 
zwischen  den  Fenstern  sind  Nischen  mit  Figuren  darin,  darunter 
Festons  und  Grotesken,  dazwischen  maskierte  Mezzaninfenster.  Man 
sieht,  es  ist  viel  Abwechslung,  die  für  sich  gesehen  sein  will.  Darin 
verrät  sich  Raffaels  Kunstweisc.  Michelangelo  geht  auf  einen  einzigen, 
großen  Masseneffekt,  der  über  das  Einzelne  hinwegzusehen  zwingt.  Der 
Palazzo  Spada  bezeichnet  das  Gegenteil  von  Michelangelos  Wollen, 
obzwar  die  Wurzel  dieselbe  ist.  Raffael  hatte  immer  die  verschiedensten 
Tendenzen  in  seiner  Hand,  nicht  um  auszubilden,  sondern  um  aus- 
zugleichen. Hat  in  Rom  gar  keine  Nachahmung  gefunden.  Es  verrät 


-    69     - 

sich  der  auf  das  Zierliche   ausgehende  Urbinate  und  der  Anhänger 
der  Renaissance,  die  dem  Einzelnen  in  der  Ebene  recht  läßt. 

Aber  auch  das  Hinwegräumen  der  Wandflächen  findet  sich  bei 
Raffael  (wie  in  der  Farnesina),  namentlich  in  der  Villa  Madama,  wo  er 
das  sogenannte  Palladiomotiv  n~n  angewendet  hat  (wahrscheinlich 
schon  von  Bramante  angewendet  am  Entwurf  von  S.  Peter).  Einige 
andere  Meister  der  Hochrenaissance  gehören  hierher,  die  sich  speziell 
an  Raffael  angelehnt  hatten: 

Baldassare  Peruzzi,  Palazzo  Massimi  alle  Colonne.  Die 
Fassade  ist  konvex  gekrümmt,  wegen  der  Straße,  die  wieder  durch 
den  Zirkus  des  Pompcius  so  bedingt  war.  Mit  der  Fassade  war  nicht 
viel  zu  machen.  Aber  die  schattende  Säulenhalle  mit  geradem  Ge- 
bälk in  der  Mitte,  mit  ungleichen  Interkolumnien  —  subordinierend 
wirkend  —  verrät  eine  koloristische  Absicht  auf  Öffnen  der  Mauer- 
flächen, wo  es  angeht.  Berühmt  ist  der  Hof  (eigentlich  zwei  kleine 
Höfe  mit  schmalen  dunklen  Durchgängen,  mit  herrlichem  Durch- 
blick von  der  Straße  aus,  den  freilich  Peruzzi  als  solchen  nicht  be- 
absichtigt hatte),  wieder  Säulen  mit  geradem  Gebälk;  einer  der 
malerischesten  Innenräume,  bestritten  mit  den  klassischesten  Mitteln. 
Die  Lichtabwechslungen  in  der  Tiefe  hatte  Peruzzi  wohl  noch  nicht 
beabsichtigt,  wohl  aber  diejenigen  in  der  Ebene. 

Ein  anderer  Schüler  ist  Giulio  Romano.  Palazzo  Ciccia- 
porci,  Rom.  Erdgeschoß  Rustika,  freilich  abgeflacht,  mit  Rundbogen- 
arkaden, in  dem  Mezzanin  verhehlt  gleich  dem  Wohnhaus  Bramantes. 
Im  Mittelgeschoß  eine  Verarbeitung  der  Wand,  aber  nicht  ganz  so 
wie  am  Palazzo  Pandolfini;  das  dritte  Geschoß  anscheinend  nicht 
mehr  von  ihm,  wegen  der  Form  der  Fenster.  Giulio  Romano  ist  nach 
Oberitalien,  nach  Mantua  gezogen.  Dort  hat  er  im  Palazzo  delTe 
unter  anderem  das  Palladiomotiv  eingeführt:  Wegräumung  der  Wand 
durch  schattende  Interkolumnien.  (Ein  anderer  Schüler  Raffaels, 
Picrino  dcl  Vaga,  ging  nach  Genua.)  In  Rom  war  kein  Boden 
für  diese  architektonische  Richtung,  sondern  dort,  woher  sie  Bramante 
importiert  hatte,  in  Oberitalien.  Aber  nicht  erst  bei  Palladio,  schon 
bei  Sansovino  und  Sanmicheli  finden  sich  lebhafte  Anklänge  daran. 

Die  oberitalienische  Spätrenaissance  kennzeichnet  sich 
dadurch,  daß  sie  im  Profanbau  die  Wand  möglichst  vollständig 
wegzuräumen  trachtet;    es  bleiben    bloß   Repräsentanten    des    Vcrti- 


—     70     - 

kalcn  übrig,  lieber  Säulen  als  Pilastcr,  von  sehr  lebhaft  schattender 
Ausladung,  und  dazwischen  sind  die  Fensteröffnungen,  hoch  und 
breit,  die  ungeformte  Tiefe  andeutend.  Diese  breiten,  schattenden, 
ungeformten  Flächen  machen  das  koloristische  Element  in  dieser 
oberitalienischen  Baukunst  aus. 

In  höchster  Ausbildung  treffen  wir  diesen  Kolorismus  in 
Venedig,  der  Stadt  der  koloristischen  Malerei.  Die  venezianische 
Malerei  berücksichtigt  auch  den  unendlichen  Raum  als  solchen,  nicht 
bloß  in  der  farbigen  Wirkung,  rein  in  seiner  verbindenden  Existenz: 
die  Venezianer  haben  eine  Landschaftsmalerei  bis  zu  einem  gewissen 
Orade.  Die  Hauptbaumeister,  die  in  Betracht  kommen,  sind  folgende: 

Michele  Sanmicheli,  namentlich  in  Verona  tätig  (gestorben 
1559),  noch  verhältnismäßig  der  reservierteste,  geschlossenste. 
Als  Festungsbaumeister  baut  er  die  Tore:  z.  B.  Porta  Nuova, 
hier  barockes  Vortreten  und  Verkrüpfen,  wenig  Durchbrechung,  aber 
er  weiß  mit  ihr  ähnlich  wie  Brunellesco  am  Palazzo  Pitti  zu  wirt- 
schaften. Die  Linien  verleihen  dem  rohen  Zweck-  und  Zwingbau 
ein  befreiendes,  künstlerisches  Aussehen.  Palazzo  Bevilacqua. 
Vorliebe  für  zwei  Geschosse  mit  verhehlten  Mezzaninen.  Das 
Alternieren  der  Fensteröffnungen  und  der  Intervalle  ist  schon  ein 
Schritt  zur  Subordination.  Man  wird  gewaltsam  genötigt,  das 
Einzelne  anzuschauen,  nicht  zusammenzuziehen.  Palazzo  Canossa, 
an  das  Wohnhaus  Bramantes  erinnernd,  mit  verhehlten  Mezzaninen 
in  zwei  Geschossen.  Auch  hier  eigentlich  keine  Mauer  mehr  übrig, 
nur  Bogenzwickel  über  den  Rundbogenfenstern.  Palazzo  Pompei, 
jetzt  Museo,  schon  einfacher,  uniformer,  immer  weniger  Abwechslung, 
nur  ein  Portal  in  der  Mitte.  Zunehmende  Subordination. 

Jacopo  Tatti,  Sansovino  (gestorben  1570),  ein  Florentiner 
Künstler,  hat  aber  den  größten  Teil  seines  Lebens,  über  40  Jahre,  in 
Venedig  zugebracht.  Das  Berühmteste  ist  die  Bibliothek  von 
S.  Marco,  ein  frühes  Werk,  seit  1536  gebaut.  Zweigeschossig,  nichts 
als  Rundbogenfenster  zwischen  Säulen,  und  auch  die  Zwickel  ver- 
kleidet durch  Plastik,  gelagerte  Figuren.  Ein  Fries  im  Mezzanin; 
sehr  reiche  Dekoration,  also  schattenwerfende  Plastik  und  schattende 
(koloristisch  wirkende)  Durchbrechungen  nebeneinander.  Als  das 
reichste  Bauwerk  der  Welt  berühmt.  Üppigkeit  der  Handelsstadt! 
Solche  Prospekte  verwendet  Paolo  Veronese.  Hof  der  Universität 


-    71    - 

in  Padua,  seit  1552  gebaut.  Doppclhallc  ohne  Bogenzwickel,  mit 
geradem  Gebälk,  wie  ein  antikes  Atrium.  Also  nur  koloristischer 
Effekt.  An  einer  Fassade  das  durchzuführen  hat  Jacopo  Sansovino 
noch  nicht  gewagt. 

Das  tat  erst  Andrea  Palladio  (gestorben  1580)  am  Palazzo 
Chieregati  in  Vicenza  (jetzt  Museo).  Mittlerer  Risalit,  alle  Wände 
vorne  in  Säulen  mit  geradem  Gebälk  aufgelöst,  nur  die  Mittelpartie 
im  Obergeschoß  geschlossen,  aber  mit  Fenstern  mit  Giebelfiguren 
(zur  Wandverdeckung)  und  das  Mezzanin  darüber  reich  durch- 
brochen. —  Ein  öffentliches  Gebäude,  Umbau  der  alten  Stadthallc, 
die  Basilika  zu  Vicenza,  zweigeschossig,  ähnlich  wie  Sansovinos 
Bibliothek,  aber  lauter  Palladiomotive  und  weit  weniger  Zierwerk, 
fast  gar  nichts  rein  spielend.  Weit  ernsterer  architektonischer  Sinn, 
schon  mehr  im  barocken  Geiste;  aber  vollendet  koloristisch,  gerade 
weil  der  plastische  Schwulst  mehr  zurücktritt.  Palazzo  Valmarana 
in  Vicenza.  Kolossalordnung  von  Komposit-Pilastern  und  das 
gewaltige  Portal  geben  zusammen  strenge  Subordination.  Anderseits 
auch  hier  Wegräumung  der  Wand. 

In  Venedig  hält  sich  das  System  das  ganze  17.  Jahrhundert 
hindurch,  wie  auch  die  Malerei  stehen  bleibt  bei  der  Koloristik  vom 
Ende  des  16.  Jahrhunderts.  Longhena  war  der  Hauptarchitekt  dieser 
Zeit.  Von  ihm  Palazzo  Pesaro  und  Rezzonico:  Erdgeschoß 
sockelartig,  wie  es  eben  Bramantc  angegeben  hatte,  in  den  beiden 
Obergeschossen  das  System  der  Bibliothek  von  S.  Marco.  Nach 
dem  Norden  wirkt  anfangs  des  17.  Jahrhunderts  die  oberitalienischc 
Baukunst  durch  Scamozzi  (Dom  von  Salzburg,  aber  mit  Kuppel- 
system  von  S.  Peter).  Aber  es  siegt  auch  hier  im  katholischen  Süd- 
deutschland die  gegenreformatorische  Richtung,  die  von  Rom  aus- 
gegangen ist,  das  strenge  Barock:  Jesuitenkirche  in  Wien,  kein  Zentral- 
bau, sondern  der  einschiffige  Saal  des  römisch-barocken  Bausystems. 
Wir  verfolgen  die  römische  Richtung  als  die  im  größten  Teil 
Italiens  zur  Herrschaft  gelangte.  Sie  spaltet  sich  ebenfalls  sofort 
in  zwei  Richtungen:  1.  Die  Raffacls  und  seiner  Genossen,  die 
wesentlich  bei  Bramante  stehen  bleibt,  aber  die  Tiefenwirkung  so 
viel  als  möglich  steigert;  2.  die  römische  Richtung,  die  von  Bramante 
zum  entschiedenen  Bahnbrecher  des  Barock,  Michelangelo  überführt; 
hier    bildet    den  Übergang  der  jüngere    Antonio    da    San   Gallo, 


-     72     - 

gestorben  1546,  an  den  sowohl  im  Profan-  als  Kirchenbau  Michel- 
angelo anknüpfen  mußte;  nntl  zwar  hat  er  das  von  San  Gallo  in 
barockem  Sinne  schüchtern  Begonnene  überall  energisch  und  kon- 
sequent im  neuen  Sinne  zu  Lndc  geführt.  Ganz  beglaubigt  als  sein 
Werk  ist  sein  Wohnhaus,  jetzt  Palazzo  Sacchctti  in  der  Via  Giulia, 
1543  erbaut.  Strengere  Subordination:  Mittelgeschoß  mit  Mezzanin. 
Hauptportal  mit  Balkon.  Strenger  Abschluß,  nicht  bloß  in  Höhe 
i  Kranzgesims)  nach  der  Breite,  sondern  auch  in  Breite  nach  der 
Höhe  durch  Eckpfeiler,  allerdings  nur  im  Erdgeschoß  durchgeführt. 
Kein  Bogen  (äußere  Bewegung),  kein  Pilastcr.  Nur  viereckige 
Fenster  markieren  I  lohe  und  Tiefe.  Die  Tiefe  aber  schon  durch  starken 
Schattenschlag  sich  äußernd.  Keine  besondere  Trennung  der  Stock- 
werke (durch  Rustika  oder  Pilastcr),  sondern  Uniformierung.  Daß 
es  Mauertiefe  ist,  verraten  die  Konsolen,  die  von  innen  heraus,  als 
Sendlinge  aus  der  Mauer,  die  Gesimse  tragen,  namentlich  an  den 
Finestroni  des  Erdgeschosses.  Die  schlanken  Proportionen  der 
Fenster  verraten  inneren  Hochdrang  —  der  sich  im  Erdgeschoß 
über  ein  Breitensims  hinwegsetzt,  aber  überall  durch  die  lastenden 
Deckgesimse  zum  Stehen  gebracht  wird  —  die  ausladenden  Gesimse 
Tiefdrang,  aber  noch  verhalten.  Die  Fensterpfosten  setzen  noch  auf 
den  horizontalen  Gesimsen  ab,  es  ist  noch  insoferne  eine  Verbindung 
in  der  Ebene  als  Schein  festgehalten.  Dann  die  nahsichtige  Schönheit 
aller  Details,  z.  B.  Konsolen,  es  ist  also  noch  auf  das  Einzelne 
gesehen,  trotz  der  Subordination.  Burckhardt  fand  den  Bau  charakterlos. 
Das  ist  richtig:  es  ist  nicht  mehr  Renaissance  und  doch  noch  kein 
entschiedenes  barockes  Wollen. 

Jetzt  kommen  wir  zu  dem  entscheidenden  Bau,  dem  Palazzo 
Farnesc,  der  noch  von  Antonio  da  San  Gallo  begonnen  und 
größtenteils  ausgeführt  worden  war.  Aber  die  Vollendung  erfolgte 
nach  1546  durch  Michelangelo.  Man  sieht  daran,  wie  der  große 
Bahnbrecher  des  Barockstiles  mit  einem  Ruck  die  Zaghaftigkeit  San 
Gallos  abstreift  und  entschlossen  die  entscheidenden  Neuerungen 
zur  Durchführung  bringt,  wenngleich  sie  mit  den  anderen,  älteren 
Teilen  begreiflicherweise  nicht  ganz  harmonisch  übereinstimmen 
konnten.  Wichtig  ist  die  Fassade,  aber  auch  der  Hof,  nicht  als 
solcher,  sondern  wegen  des  Fassadengedankens,  der  darin  aus- 
gesprochen ist. 


-    73    - 

Fassade.  Von  San  Gallo  sind  die  beiden  unteren  Stockwerke. 
Man  sieht,  er  beabsichtigte  schon  Subordination:  herrschendes  Mittel- 
geschoß und  Mittelportal  mit  Balkon  (Mittelfenster  von  Michelangelo). 
Ferner  Abschluß  in  Flanken  durch  Ortsteine;  jedenfalls  oben  ein  Kranz- 
gesims beabsichtigt.  Es  ist  der  Geist  des  Palazzo  Sacchetti,  namentlich 
beim  Erdgeschoß  mit  den  Fincstroni.  Im  Hauptgeschoß  erscheinen 
die  Fenster  noch  breit,  die  alternierenden  Giebel  in  antikisierendem 
Sinne  nach  dem  Beispiel  im  Pantheon,  auf  Halbsäulen  aufgesetzt,  die  auf 
breiten  Sockeln  ruhig  lagern.  Aber  die  Fenster  sind  enger  zusammen- 
gerückt, der  Mauergrund  wird  eingeschränkt,  in  den  Giebeln  wechseln 
spitze  und  segmentförmige  ab  (Alternanz,  isolierend  wirkend).  Was 
stammt  von  Michelangelo  am  dritten  Geschoß?  Jedenfalls  nach- 
weislich das  Kranzgesims,  in  wuchtiger  Breite  alles  darunter  ab- 
schließend und  in  Ruhe  niederhaltend.  Es  ist  ganz  in  seinem  Geiste: 
ein  entschiedener,  harmonischer  Abschluß  des  Ganzen,  wie  auch 
die  Rustikabänder  an  den  Ecken.  Die  Lagerung  der  Quadern  beweist 
schon,  daß  keine  Pilaster  beabsichtigt  waren.  Im  Detail  erwarten 
wir  bei  Michelangelo  Kontraste,  Bewegungen.  Und  diese  sind  auch 
im  dritten  Stockwerk  weit  schärfer  ausgesprochen  als  unten,  trotz  der 
Übereinstimmung  in  den  Hauptsachen:  1.  Die  Fenster  sind  schlanker, 
an  sich  aufstrebender;  daher  sogar  Rundbogen,  aber  mit  uniformen 
Giebeln  darüber.  2.  Die  Halbsäulcn,  die  den  Giebel  tragen,  ruhen 
auf  Konsolen  mit  bewegter  Umrißlinie,  nicht  auf  ruhigen  Würfcl- 
klötzen:  die  Konsolen  sind  überdies  in  der  Mitte  geschlitzt,  wodurch 
sich  innere  wirkende  Kraft  verrät.  3.  Die  Giebel  haben  eine  unter- 
brochene Basislinie;  sehr  wichtig!  Damit  beginnt  die  Sprengung  des 
Giebels.  4.  Das  Fensterbankgesims  stärker  verkröpft.  Das  Portal  von 
San  Gallo,  das  Fenster  darüber  von  Michelangelo.  Wichtig,  weil  hier 
zuerst  die  Heraushebung  der  Dominante,  auch  entsprechend  Michel- 
angelos Tendenz  nach  Zusammenfassung  der  Massen  in  eine  Einheit 
zutage  tritt. 

Hof.  Auch  hier  sind  die  zwei  unteren  Stockwerke  von  San 
Gallo.  Noch  ganz  wie  im  Palazzo  Venezia  im  Sinne  der  antiken 
Theater  (das  obere  zugemauert).  Das  untere,  wie  bei  Bramantc, 
aufstrebender,  doppeltes  Arkadengesims  überwindend,  das  mittlere 
schon  ruhiger.  Das  dritte  Geschoß  ist  wieder  von  Michelangelo. 
Hier  ist  der  Gegensatz   noch  ein  weit  schäferer  als  außen.    1.  Statt 


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Säulen,  die  immer  der  Wand  gegenüber  eine  fremde  Zutat  bilden, 
mauergeborene  Pilastcr,  und  zwar  einer  vor  den  anderen  tretend; 
ungestüm,  Konflikt  zwischen  Höhe  und  Tiefe,  im  Gesims  zwischen 
Breite  und  Tiefe,  an  der  Wand  die  Mauer  herausgepreßt,  dem  ent- 
sprechend auch  die  Sockelgesimse  doppelt  verkröpft.  Die  Wand- 
felder dazwischen  zum  größten  Teil  eingenommen  durch  die  Fenster, 
also  Beschränkung  des  Grundes  durch  das  Muster,  Beseitigung  der 
Wandflächen  nicht  durch  das  Zierwerk,  sondern  durch  das  Geformte, 
scheinbar  aus  innerer  Strukturnotwendigkeit.  2.  Behandlung  der 
Fenster:  a)  an  sich  schlank  emporstrebend,  eingedeckt  mit  flachen 
Rundgiebcln,  die  an  den  abschließenden,  horizontalen  Gesimsfries 
anstoßen,  so  daß  dieser  die  Flachbogcn  niederquetscht,  in  Ruhe 
niederhält,  b)  Die  Gewände  sind  begleitet  durch  pilastcrartige  Mauer- 
streifen; diese  ruhen  aber  nicht  auf  dem  Sockelgesims,  sondern 
hängen  damit  gar  nicht  zusammen,  entsenden  aber  Verlängerungen 
nach  unten,  Bewegungen  von  innen  heraus.  Trennung  von  Stock- 
werkgesims  und  Fenster,  das  bisher  stets  auf  dem  Gesimse  auf- 
ruhte, jetzt  aus  der  Mauer  herausgeboren  wird  (schon  Laurcn- 
ziana).  3.  Die  Segmcntgiebel  schon  überaus  schattig  wirkend. 

Die  kapitolinischen  Bauten.  Das  Kapitol  war  immer 
Gegenstand  des  Lokalpatriotismus  geblieben.  Auch  im  christlichen 
Mittelalter  hielt  man  die  Stätte  in  Ehren,  von  wo  aus  die  Bürger 
der  Stadt  Rom  einstmals  die  Welt  beherrscht  hatten.  Freilich  hatte 
es  im  Mittelalter  nur  mehr  die  Bedeutung  eines  städtischen  Rat- 
hauses, und  diese  Bedeutung  ist  bis  heute  geblieben.  Der  eigent- 
liche kapitolinische  Palast,  der  den  Abfall  des  kapitolinischen  Hügels 
gegen  das  Forum  hin  einnimmt,  ist  im  Inneren  ein  Gemenge  aus 
antiken  Substruktionen  und  Oberbauten  und  mittelalterlichen  Zutaten. 
Das  sollte  erhalten  bleiben,  aber  es  sollte  der  Platz  davor,  der  den 
Hügel  krönt,  gegen  die  neuere  Stadt  hin  entsprechend  architektonisch 
neugestaltet  werden;  dazu  war  es  natürlich  erste  Bedingung,  dem 
alten  kapitolinischen  Palast,  dem  jetzigen  Senatorcnpalast  eine  neue 
Fassade  zu  geben.  Also  zwei  Aufgaben:  der  alte  Palast  sollte  eine 
neue  Fassade  erhalten,  und  der  freie  Platz  davor  in  entsprechender, 
harmonischer  Weise  verbaut  werden.  Beide  werden  von  Anbeginn 
in  Verbindung  miteinander  gesetzt:  schon  das  ein  Massen- 
gedankc.    (Das  Mittelalter  hat  jedes   Gebäude  für   sich   behandelt, 


-    75    - 

um  die  Nachbarschaft  sich  nicht  bekümmert.)  Nicht  bloß  an  einem 
Gebäude  sollte  alles  der  Dominante  subordiniert  sein,  sondern  von 
mehreren  Gebäuden  sollten  alle  einem  Gebäude  subordiniert 
sein:  fernsichtiger  Massengedanke  (Vorläufer:  Bramantcs  vatikanischer 
Hof).  Dem  Michelangelo  war  ein  solcher  Massengedanke  offenbar 
sympathisch.  Gerne  hat  er  den  Auftrag  übernommen,  einen  Plan 
zu  entwerfen.  Das  Ganze  wurde  langsam  ausgeführt.  Wir  haben 
u.  a.  einen  Stich  aus  dem  Jahre  1569,  der  den  Plan  des  Michel- 
angelo wiedergibt  (bei  Springer,  Raffael  und  Michelangelo,  abgebildet), 
es  ist  im  wesentlichen  dasselbe,  was  wir  heute  ausgeführt  sehen. 
Schon  der  Zugang  von  der  unteren  Stadt  aus  ist  monumental  ge- 
halten, durch  den  bequemen  Aufgang  mit  den  breiten  fließenden 
Stufen:  die  Cordonnata.  Mit  Leichtigkeit  erklimmt  man  den  Hügel 
und  wird  in  monumentalem  Sinne  vorbereitet.  Nun  stellen  wir  uns 
ans  Ende  der  Cordonnate  oben,  wo  der  Platz  beginnt.  Ein  kleiner 
Platz,  künstlich  vergrößert  durch  Auseinanderrücken  der  zwei  Seiten- 
fassaden nach  hinten,  in  schräger  Linie.  In  der  Mitte  steht  die  antike 
Reiterstatue  des  Marc  Aurel  in  Bronze;  der  Sockel  wahrscheinlich 
auch  von  Michelangelo  (bezeichnend  die  Abrundung  des  Oblongums 
zum  Oval  an  den  beiden  Schmalseiten).  Die  Statue  ist  groß  genug, 
um  den  kleinen  Platz  wirksam  zu  beleben,  aber  doch  nicht  so  groß, 
um  den  Eindruck  der  dahinterstehenden  Fassade  zu  beeinträchtigen, 
zu  durchschneiden. 

Geradeaus  blickt  das  Auge  auf  die  Hauptsache,  den  Scnatoren- 
palast.  Strenge  Subordination  der  Mitte  in  Höhe  und  Breite  durch 
das  Portal,  starke  Risalite,  die  er  aber  nicht  absichtlich  anlegte, 
sondern  die  durch  Türme  gegeben  waren,  und  sie  dienen  ihm 
zur  Verbindung  mit  den  Zugangskulissen.  Das  Erdgeschoß  als 
Sockel  behandelt,  mit  horizontaler  Rustikastreifung,  aber  ohne 
Durchbrechungen;  also  wirklicher  Sockel,  aber  sein  Brutales  ver- 
liert er  durch  die  Vorlegung  der  um  die  Risalite  verkröpften  Frei- 
treppe mit  der  Brunncnanlage,  wodurch  das  Erdgeschoß  zum  größten 
Teile  verdeckt  erscheint.  Darüber  nun  eine  Kolossalordnung 
von  Pilastern,  durch  zwei  Geschosse  reichend,  mit  unterlegten 
Wandstreifen;  man  sieht  schon:  wo  Michelangelo  die  Pilaster  über- 
haupt gebraucht,  dort  sind  sie  nicht  spielendes  Zierwerk  (wie  in 
der  Renaissance),    sondern  dort  verwendet   er  sie  im  grandiosesten 


76 

Sinne,  nicht  zur  Charakterisierung  der  Teile,  sondern  des  Ganzen. 
Ausgeführt  ist  allerdings  das  Obergeschoß  als  Mezzanin;  Michel- 
angelo hatte  auch  im  Obergeschoß  Vollfenster  geplant,  also  eine 
wirkliche  Kolossalordnung,  die  die  Horizontalteilung  in  zwei  Ge- 
schossen durchbricht.  Was  er  damit  beabsichtigt  hatte,  wird  sich  besser 
an  den  Seitenfassaden  des  Platzes  zeigen  lassen,  wo  Michelangelos 
Anordnung  ganz  unverändert  beibehalten  wurde,  und  daher  klarer 
hervorgeht.  Es  ist  charakteristisch,  daß  man  gegen  Ende  des  lö.Jahr- 
hunderts,  als  man  die  Fassade  ausführte  (durch  Girolamo  Rainaldi), 
an  der  Kolossalordnung  oder  an  den  oberen,  ebenfalls  aufstreben- 
den Fenstern  Anstoß  nahm.  Die  quadratischen  Fenster  bedeuten  an 
der  ausgeführten  Fassade  wenigstens  eine  Abschwächung  des  Verti- 
kalismus, eine  Beruhigung  unter  dem  Gesimsabschluß.  Eine  ent- 
schiedene Bewegung  bedeuten  die  beiden  Risalite.  Dieser  Bewegung 
gegenüber  ist  eine  entschiedene  Zusammenfassung  zu  einer  Einheit 
durch  eine  Dominante,  die  in  der  Mitte  liegt.  Unten  im  dreieckigen 
Aufbau  der  Freitreppe,  oben  im  krönenden  Turm  (von  Martino 
Lunghi  unter  Gregor  XIII.  Unterschied  gegenüber  der  Gotik:  kon- 
zentrierter Abschluß;  Verwandtschaft:  die  Wandverneinung,  die  Auf- 
lösung in  struktive  Glieder).  Der  Turm  bedeutet  ein  freies  Glied, 
das  sich  über  das  lastende  Gesims  emporhebt  (von  Michelangelo?). 
Die  Freitreppe  mit  lagernden  Flußgöttern  und  Roma  in  der 
Mitte  (geplant  war  ein  kolossaler  Zeus),  der  mit  der  Breite  ge- 
kämpft hatte.  Zu  der  Hauptsache  —  dem  Senatorenpalast  —  verhalten 
sich  die  beiden  Seitengebäude  wie  Kulissen.  Rechts  war  ein  älterer 
Bau  (im  Hofe  noch  heute  Reste  sichtbar),  der  Konscrvatoren- 
palast;  noch  zu  Michelangelos  Lebzeiten  ausgeführt  und  daher 
ganz  genau  nach  seinem  Plan.  Gegenüber  das  kapitolinische 
Museum,  von  Girolamo  Rainaldi  erst  unter  Innoccnz  X.  (nach 
1545)  aufgeführt,  aber  genaue  Kopie  des  Konservatorenpalastes: 
eben  als  Kulisse,  die  in  der  allcrstreugsten  Symmetrie  verbleiben 
mußte.  Das  ist  der  Massengedanke,  die  Komposition  im  großen,  die 
sich  darin  ausspricht,  ein  Zusammenfassen  in  höhere  Einheit.  Darin  ist 
ihm  die  Barockzeit  durchwegs  gefolgt,  vor  allem  Bernini  in  den 
Kolonnaden  von  S.  Peter;  Michelangelo  entwirft  noch  alles  aus  der 
geraden  Linie  heraus.  Die  beiden  Seitenpalästc  waren  nur  als  Kulissen 
gemeint  und  vor  allem  daraufhin  anzusehen:  dem  Kommenden  bot 


-    77    - 

sich  Pilastcr  hinter  Pilaster,  die  den  Blick  weiterführten  zum  Sena- 
torenpalast;  daher  kein  Fortal  sichtbar. 

Kolossalordnung,  ohne  Sockel,  also  keine  so  betonte  Domi- 
nante, nur  im  mittleren  Fenster  ausgesprochen,  das  aber  angeblich 
von  Giacomo  del  Duca  herrührt;  dieses  Fenster  stoßt  an  allen 
Seiten  an,  allseitiger  Konflikt.  Diese  Kolossalordnung  scheint  Gebälk 
zu  tragen;  aber  die  Mauerstreifen  dahinter  beweisen,  daß  sie  aus 
der  Mauer  hervorgequollen  zu  denken  ist.  Sic  repräsentiert  Ein- 
heit, aber  im  einzelnen  Kampf,  namentlich  im  unteren  Portikus. 
Gerader  Architrav  (kein  Bogen  mehr,  wie  noch  bei  Raffael  an  der 
Farnesina)  auf  zwei  Säulen;  die  Säulen  bilden  keine  dreiteiligen 
Durchgänge  wie  im  Pantheon,  sondern  sind  an  die  Pfeiler  ange- 
rückt. Der  Architrav  darüber  droht  zu  brechen,  er  \xird  für  das 
Auge  gehalten  durch  die  ungeheueren  Kolossalstützen,  die  das 
Intervall  zusammenquetschen  und  so  zusammenhalten.  Wieder  die 
raffinierteste  Methode,  um  bei  äußerer  Ruhe  einen  inneren  Kampf 
zu  versinnlichen. 

Die  Fenster  von  Halbsäulcu  flankiert,  wegen  Übereinstimmung 
mit  den  unteren  Säulen.  Der  Segmentbogen  auf  unterbrochener  Basis 
ruhend.  Die  Muschel  in  der  Mitte  gewählt  als  Symbol  der  michel- 
angclesken  Kunstabsicht:  die  Muschel  ist  ein  Mischding  aus  Or- 
ganischem und  Anorganischem.  Als  solche  anorganisch,  hat  aber 
bewegte  Form,  weil  sie  von  einem  organischen  Wesen  hervor- 
gebracht wird.  Organische  Gestaltung  der  anorganischen  Materie 
von  innen  heraus.  Nicht  äußerlich  angeklebtes  Organisches,  wie  die 
Renaissance  gebraucht  hatte,  Akanthusranken  u.  dgl. 

Die  Kapitale  der  Kolossalordnung  sind  hier  noch  korinthisch, 
um  in  den  Ernst  wenigstens  ein  spielendes  Motiv  zu  bringen.  Da- 
gegen sind  die  unteren  ionischen  Kapitale  schon  ganz  muschelartig 
behandelt.  Also  die  Einheit  über  dem  Kampf.  Aber  die  höhere  Ein- 
heit unter  einer  Dominante  wie  am  Senatorenpalast  wird  hier  nicht 
gesucht,  weil  es  sich  nur  um  eine  Kulisse  handelt,  die  als  solche 
nicht  für  sich  betrachtet  werden  will  (das  wäre  Renaissanceidce  und 
nicht  barocke  Massenkompositionsidee);  aber  das  mittlere  Fenster 
ist  doch  hervorgehoben  in  mehrfacher  Brechung  nach  innen:  1.  Kon- 
sole, 2.  Gewände,  3.  Halbsäulen.  Dementsprechend  dreifache  Bre- 
chung   der  Giebelbasis;    im    innersten    Grunde    ein    Segmentbogen, 


-     78    - 

der  äußerlich  von  dem  Giebel  umrahmt  wird.  Ein  gesteigerter  Wider- 
spruch gegen  die  antike  Verwendung  dieser  Motive,  weshalb  man 
dieses  Fenster  dem  Giacomo  del  Duca  zugeschrieben  hat.  Es  soll 
nicht  Dominante  sein  (dann  wäre  das  Erdgeschoß-Intervall  dement- 
sprechend auch  etwas  ausgezeichnet),  sondern  allmähliche  Unter- 
brechung des  Einerlei.  Das  mochte  am  Konscrvatorenpalast  not- 
wendig erscheinen,  als  er  isoliert  dastand.  Am  Stich  von  1569  sind 
alle  Fenster  samt  dem  mittelsten  noch  einheitlich  behandelt. 


KIRCHENBAU. 

Wie  weit  war  die  Entwicklung  des  Kirchenbaues  zur  Zeit 
Michelangelos  gediehen?  In  Rom  war  der  Kirchenbautypus  die  Basi- 
lika. Im  ganzen  Mittelalter  festgehalten,  sogar  strenger  als  ander- 
wärts; erst  spät  kam  es  zur  Einwölbung  der  Basilika,  sie  blieb  bis 
in  das  13.  Jahrhundert  der  offene,  nur  provisorisch  eingedeckte  Hof; 
ein  Problem  wie  anderwärts  (in  Obcritalien  seit  der  romanischen, 
in  Toskana  seit  der  gotischen  Zeit)  hat  also  diese  Einwölbung  in  Rom 
nicht  gebildet.  Die  Einwölbung  aber  ist  Vorbedingung  dazu,  daß 
der  Innenraum  als  ein  wirklich  architektonisch  geschlossener  gelten 
darf.  Die  Einwölbung  führt  von  selbst  zur  Zusammenfassung,  Sub- 
ordination. Das  war  auch  die  Tendenz  der  Frührenaissance,  sie 
tendiert  von  vornherein  zur  entschlossensten  Subordination:  zum 
Zentralbau,  sie  tendiert  zugleich  zum  möglichsten  Ausgleich  zwischen 
Höhe,  Breite  und  Tiefe:  das  ist  wieder  der  Zentralbau  (Kuppel  die 
vollkommenste  Form).  Im  15.  Jahrhundert  vollzieht  sich  allmählich 
der  Übergang  zu  diesem  Endziele.  Noch  die  ersten  Renaissance- 
Florentiner  hatten  versucht,  sich  mit  der  Basilika  abzufinden: 
Brunellesco,  trotz  aller  seiner  Begeisterung  für  den  Kuppelbau 
(dem  er  am  Dom  und  in  der  Capella  Pazzi  Genüge  getan  hatte). 
In  Rom  entstanden  noch  im  15.  Jahrhundert  basilikale  Kirchen: 
S.  Agostino,  S.  Maria  del  Popolo.  Aber  die  Maler,  die  damals 
nur  dasjenige  malten,  was  man  gerne  gehabt  hätte,  werden  nicht 
müde,  Zentralbauten  in  ihren  Bildern  anzubringen.  Nicht  erst  Pcru- 
gino  und  Raffacl,  sondern  schon  Benozzo  Gozzoli  und  Filippino 
Lippi.  Und  so  kam  es  schließlich  in  der  Tat  zur  praktischen  Wieder- 
aufnahme des  Zentralbaues  im  Kirchenbau;  unter  den  Renaissance- 
päpsten durften  die  Bedenken  der  kirchlichen  Tradition  zurücktreten. 
Derjenige  aber,  der  ihn  zum  endlichen  Durchbruch  gebracht  hat 
und  den  Grund  zum  herrlichsten  Denkmal  des  Zentralbaues,  über- 
haupt   dem    monumentalsten    Bauwerk    der    Erde    gelegt    hat,    war 


-    80     - 

Donato  Bramante.    Das   Bauwerk    aber    ist   der   neue  S.   Peters- 
dom im  Vatikan. 

Die  Geschichte  von  Neu-S.  Peter  ist  im  kleinen  eine  Kunst- 
geschichte vom  15.  bis  zum  17.  Jahrhundert  —  namentlich  wenn  man 
die  Skulpturen  und  Malereien,  die  darin  Aufstellung  fanden,  in  die 
Betrachtun»-  einbezieht  —  und  zugleich  eine  Geschichte  des  Papst- 
tutnes  dieser  Zeit.  Im  höchsten  Grade  symptomatisch  ist  schon  die 
Idee  der  humanistischen  Päpste  des  15.  Jahrhunderts,  die  alte  Peters- 
kirche überhaupt  abzubrechen.  Jede  andere  Zeit  wäre  lediglich  darauf 
bedacht  gewesen,  dieses  ehrwürdigste  und  stattlichste  Denkmal  aus 
der  konstantinischen  Zeit,  den  Anfängen  der  römischen  Staatskirche, 
zu  retten  und  zu  konservieren.  Nikolaus  V.  fand  aber  die  alte  Kirche 
der  Würde  und  Bedeutung  des  Papsttumes  seiner  Zeit  nicht  mehr 
entsprechend.  Die  mittelalterliche  ideale  Wirkung  auf  das  Gemüt 
genügte  nicht,  man  verlangte  starke  Wirkung  auf  die  Sinne.  Immerhin 
war  als  Neubau  doch  wieder  eine  Basilika  geplant,  wovon  der  Chor 
durch  Bernardo  Rossellino  noch  im  15.  Jahrhundert  zur  Aus- 
führung gekommen  ist.  Den  Höhepunkt  in  dieser  Richtung  bezeichnet 
am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  Julius  II.,  er  läßt  alles,  was  im 
15.  Jahrhundert  von  der  alten  Kirche  noch  stehen  geblieben  war, 
endgültig  niederreißen,  und  gibt  Bramante  den  Befehl,  einen 
Zentralbau  an  der  Stelle  zu  errichten.  Aber  es  gab  auch  damals 
Anhänger  des  Basilikalsystcms,  und  Bramante  hatte  manchen  Kampf 
zu  bestehen.  Die  nächste  Generation,  durch  Michelangelo  repräsen- 
tiert, führt  den  Plan  vollständig  aus,  steigert  sogar  zum  Teil  noch 
die  Entfremdung  von  der  ursprünglichen  religiösen  Idee,  nähert  sich 
aber  derselben  doch  wieder  auf  der  anderen  Seite.  Also  ein  Um- 
schwung kündigt  sich  an  in  demselben  Momente,  in  dem  die  ur- 
sprüngliche Rcnaissanccidcc  Julius  II.  ihre  Verwirklichung  gefunden 
hatte,  und  dieser  Umschwung  erscheint  vollzogen  unter  Paul  V. 
Borghesc  am  Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  Er  läßt  durch  Maderna 
ein  Langhaus  vorlegen  und  macht  so  aus  dem  Zentralbau  wieder 
eine  Basilika,  und  die  früher  herrschende  Kuppel  wird  nunmehr 
wieder  degradiert  zu  einer  Vierungskuppel,  wie  ihrer  so  viele  im 
Mittelalter  entstanden  waren.  Das  17.  Jahrhundert  hat  nur  noch  die 
Aufgabe,  das  Äußere  gegen  den  Petersplatz  und  diesen  Platz  selbst 
monumental  auszugestalten.  Wir  haben  diesen  Prozeß  nicht  in  seiner 


-    81    - 

Gänze  zu  verfolgen.  Namentlich  die  Absichten  der  humanistischen 
Päpste  des  15.  Jahrhunderts  interessieren  uns  nicht,  zumal  sie  keine 
dauernde  Verwirklichung  gefunden  haben.  Erst  bei  Bramante  haben 
wir  einzusetzen  (der  Chor  des  Rossellino  wurde  von  Bramante 
scheinbar  zum  Teil  geduldet,  unter  Sixtus  V.  1585  beseitigt)  und 
auch  hier  nur  insoweit,  als  dies  nötig  ist,  um  daraus  klar  ersehen 
zu  können,  was  Michelangelo  vom  Plane  Bramantes  übernommen 
und  was  er  davon  fallen  gelassen  hat,  um  also  die  neue  Kunst- 
absicht Michelangelos  gegenüber  der  Renaissanceabsicht  Bramantes 
zu  erkennen.  Bramante  hatte  sich  in  der  Lombardei  für  den  Zentral- 
bau ausgebildet,  kannte  wohl  Lionardos  Entwürfe  für  den  Zentral- 
bau; Consolazionc  zu  Todi,  der  reifste  Zentralbau  des  Bramante 
griechisches  Kreuz  mit  zentraler  Kuppel. 

Bramantes  Plan  für  Ncu-S.  Peter  war  ein  griechisches 
Kreuz  mit  abgerundeten  Kreuzannen  und  zentraler  Kuppel.  Im 
einzelnen  war  er  nicht  bedacht  auf  Kontraste,  aber  auf  Über- 
gänge. Das  gibt  sich  kund:  1.  Im  Inneren.  Die  abgerundeten 
Enden  der  Kreuzarme  durchbrochen  in  Säulen.  Die  Wandfläche 
wird  durch  Freistützen  verkleidet;  klassisch,  an  antike  Tempel  er- 
innernd. Aber  die  Einheit  wird  dadurch  nicht  zerstört,  sondern  nur 
eine  Bereicherung  des  Eindruckes  herbeigeführt.  Unten  blickt  der 
unendliche,  ungeformte  Raum  herein  und  wirkt  in  koloristischem 
Sinne.  Es  gibt  aber  doch  Räume,  die  der  Kuppel  nicht  streng  sub- 
ordiniert sind.  Zuerst  trifft  das  Auge  auf  die  durchbrochene  Pfeilcr- 
reihe,  die  zerstreuend  wirkt,  dann  sammelt  es  sich  an  der  Halb- 
kuppel und  dem  Tonnengewölbe  darüber,  und  endlich  wird  es 
zum  vollen  Bewußtsein  der  Einheit  durch  die  alles  beherrschende 
Kuppel  gebracht.  Das  Auge  dringt  von  der  Mitte  aus  in  alle  vier 
Räume,  und  bleibt  sich  doch  der  Einheit  bewußt;  nichts  ist  unklar, 
unbegrenzt,  trotz  des  Reichtumcs.  2.  Im  Äußeren.  In  den  Ecken 
werden  —  nebst  Seitenräumen  für  Kapellen  und  Sakristeien,  die  im 
Inneren  nicht  mitwirken,  aber  für  des  Äußere  sehr  notwendig  waren, 
um  die  einspringenden  Winkel  auszugleichen  —  Türme  angelegt, 
um  der  Kuppel  als  Trabanten  zu  dienen.  Auch  hier  gibt  es  also 
Elemente,  die  der  Kuppel  nicht  streng  subordiniert  sind.  (Die  Höhc- 
entwicklung der  Kuppel  an  und  für  sich  hätte  unharmonisch  be- 
drückend gewirkt,  und  dann  braucht  die  Kuppel  einen  Maßstab,  an 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  o 


—    82     - 

dem  man  ihre  alles  überragende  Gewall  messen  kann.")  Zwischen 
Apsiden  und  Türmen  sind  offene  hallen  und  die  (notwendiger- 
maßen)  geschlossenen  Apsidenwände  werden  mit  starken  Halbsäulen 
besetzt,  so  daß  sie  die  Wand  übertönen,  gleichsam  wie  Säulen 
wirken,  ähnlich,  wie  an  den  römisch  antiken  Theatern.  Also  wieder 
die  Tendenz  wie  im  Inneren:  die  Wandfläche  als  solche  zurückzu- 
drängen, in  Einzelstützen  scheinbar  aufzulösen,  wie  am  griechischen 
Tempel.  Diesen  leichten  Einzelstützen  verdankt  der  Bau  nach  der 
Rekonstruktion  Geymüllers  innen  und  außen  seine  wunderbare 
Leichtigkeit.  Das  gleiche  gilt  von  der  Kuppel.  Auch  an  ihr  ist  das 
Lagernde,  Horizontale,  der  Tambour  verkleidet  mit  Säulen:  der 
reine  Peripteros.  Die  Kuppelwölbung  selbst  ist  in  der  Höhe 
beschränkt,  dem  Pantheon  nachgebildet,  mit  den  gleichen  horizon- 
talen Absätzen  der  Calotte  gegen  ihre  Basislinie  hin.  Also  die 
Hauptsache  ist  der  Tambour,  das  Ruhende;  dagegen  wird  das 
Strebende,  nach  der  Tiefe  Bewegte,  Kämpfende,  die  Wölbung 
möglichst  niedrig  gehalten,  möglichst  ruhig,  möglichst  mit  der 
Breite  ausgeglichen.  Der  Gesamteindruck  nach  außen:  reich  und 
doch  einheitlich  durch  die  Kuppel;  die  Kuppel  beherrschend,  aber 
doch  nicht  überwältigend.  Alles  in  notwendigem  Zusammenhang: 
Kraft  und  Last,  und  zwar  trägt  eines  mit  vollendeter  Leichtigkeit 
das  aiulere.  Von  diesem  Plan  hat  Bramantc  im  wesentlichen  bloß 
die  vier  Kuppclpfcilcr  ausgeführt  (struktiv  freilich  das  Aller- 
wichtigste).  Auch  die  Bekleidung  dieser  Pfeiler  hat  er  durchgeführt 
mit  einer  einzigen  korinthischen  Pilastcrordnung  unter  Anlehnung 
an  die  rhythmische  Travee.  Die  Pfeiler  sind  gegliedert  nach  Ana- 
logie der  Gotik  (der  Kern  spricht  nach  außen,  darin  äußert 
sich  die  ultima  maniera  des  Bramantc,  worin  er  sich  nach  Gey- 
müller  schon  mit  dem  Barockstil  berührt),  aber  überdies  noch  be- 
kleidet mit  kolossalen  Pilastcrn  (eine  einzige  Kolossalordnung  be- 
herrscht das  Innere,  alle  Späteren  haben  sich  daran  gehalten). 
Auch  die  Anfänge  des  südlichen  Armes  hat  Bramantc  noch  durch- 
geführt. Also  was  das  Innere  betrifft,  so  sind  vielleicht  die  aller- 
maßgebendsten  Elemente  der  Wirkung,  die  der  Bau  heute  ausübt, 
dem  Bramantc  zuzuschreiben:  namentlich  das  System  der  Pfeiler, 
die  Höhe  der  Kreuzarme  und  der  Durchmesser  der  Kuppel.  Dann 
aber  starb  er   1514. 


-    83    - 

Es  ist    bezeichnend,    daß    gleich    nach    ßramanies    Tode    sich 
wieder    Einflüsse    zugunsten    eines    basilikalen    Langhauses    geltend 
machten.  Es  ist  der  Geist  des  römischen  Altchristentums  und  der  streng- 
gläubige Katholizismus,  der  gegen  die  Renaissance  Front  macht.  Die 
Ballführung    erhielt    Raffacl  und    behielt    sie  bis    zu    seinem    Tode 
1520.    Schon    jetzt    ward    die    Frage   aufgeworfen:    soll  die   Kuppel 
Zentralkuppel  sein  oder  nur  Vierungskuppcl?  Jedenfalls  hat  sich  Raffacl 
mit  der  Frage  eines  Langhauses  beschäftigen  müssen;    es  liegen  dafür 
Pläne  vor.  Zu  einer  Entscheidung  ist  es  aber  nicht  gekommen.  Nach 
Raffaels  Tode  erhielt  der  jüngere  Antonio  da  San  Gallo  die  Bau- 
leitung von   S.  Peter,    neben  ihm  Baldassare  Peruzzi.   der  1536 
starb.  Durch  14  Jahre  blieb  der  Bau  überhaupt  liegen.  Hadrian  VI.,  der 
Niederländer,  hatte  bei  seiner  nach  innen  gekehrten  Richtung  keinen 
Sinn  für  einen  monumentalen  Tcmpclbau,  für  äußere  materielle  Pracht- 
cntfaltung.    Unter  seinem  Nachfolger  Clemens  VII.  Mcdici  erfolgten 
die  politischen  Wirren,    die  zum  Sacco  di  Roma  führten,  seit  jeher 
für  das  entscheidende  Ereignis  angesehen,  das  die  Päpste  belehrte. 
daß  ihre  weltlichen  Machtbestrebungen  nur  zum  Schaden  der  geist- 
lichen Gewalt  gereichten.    Erst  Paul  111.  Farnesc    hat  seit   1534    die 
Bauführung    wieder   aufgenommen.    Es    wurde  bezeichnendermaßen 
nicht  an  der  Kuppel  weitergebaut,  sondern  zunächst  an  den  Kreuz- 
armen  rings  um  die  Kuppelpfeiler;  die  Frage  des  etwa  vorzulegen- 
den Langhauses    blieb    damit    immer    noch    offen.    Antonio  da  San 
Gallo  starb   1546  und  nun  kam  die  Bauleitung  an  Michelangelo. 
Es  wurde  ihm    sofort  die  entscheidende  Frage   gestellt:    Zentralbau 
oder  Basilika?    Es  ist  zweifellos,  daß  die  allgemeine  Stimmung  sich 
inzwischen    überwiegend    von    der  Renaissance    entfernt    hatte    und 
daß  man  schon  gerne  eine  Basilika  wieder  gesehen  hätte,  wie  Alt- 
S.  Peter    eine    gewesen  war.    Aber  der  greise  Michelangelo  erwies 
sich  auch  hier  als  der  unbeugsame  Erbe  der  Renaissance,  er  stellte 
die  Frage    bloß:    welche    ist  die    nach    seiner   persönlichen    Kunst- 
auffassung monumental  wirksamste  Form  des  Gotteshauses?    Nicht: 
welche  ist  die  durch    die  Tradition   geheiligte  Form?    Nun    kennen 
wir    seine  Lieblingskomposition:    ein    rotierender   Kegel,    d.  i.    der 
Zentralbau    mit    strengster    Subordination,     unter    Steigerung    aller 
Dimensionsrichtungen    bis    zum    Konflikt.    Und    so    mußte    er    aus 
innerster    Überzeugung    Bramantes    Idee    des    griechischen  Kreuzes 


-     84     - 

mit  zentraler  Kuppel  zu  seiner  eigenen  machen.  Paul  III.  unterwarf 
sich  wie  im  Jüngsten  Gericht  der  künstlerischen  Autorität  des 
Meisters  und  Michelangelo  durfte  zur  Ausführung  eines  Zentralbaues 
schreiten.  Aber  wenn  Michelangelo  die  Zcntralbauidce  des  Bramante, 
das  griechische  Kreuz  mit  zentraler  Kuppel,  übernahm,  so  war  er  doch 
anderseits  weit  davon  entfernt,  den  Plan  des  Bramante,  wie  ihn  Julius  II. 
akzeptiert  hatte,  ohne  weiteres  zur  Ausführung  zu  bringen.  Die  vier 
Kuppclpfciler  mit  der  sie  bekleidenden  korinthischen  Pilasterordnung 
und  die  Anfänge  der  tonnengewölbten  Kreuzarme  waren  allerdings 
gegeben  und  mußten  beibehalten  werden.  Um  diese  Grundelemcntc 
nun  entwarf  Michelangelo  einen  neuen  Plan,  für  das  Innere  wie  für 
das  Äußere:  namentlich  das  Äußere  hat  dadurch  ein  ganz  anderes 
Aussehen  bekommen,  als  Bramante  beabsichtigt  hatte.  Und  in  diesem 
Neuen  enthüllt  er  sich  uns  als  der  Vater  des  Barockstiles. 

Welche  Neuerungen  sind  es  nun,  die  Michelangelo 
gegenüber  Bramante  am  zentralen  Grundplan  von  Neu- 
S.  Peter  vorgenommen  hat?  Wir  können  nicht  auf  alle  Details 
eingehen;  beschränken  uns  nur  auf  die  allerwesentlichsten  Punkte. 
1.  Im  allgemeinen.  Schon  an  den  Mediccergräbern  und  dem 
Jüngsten  Gericht  konnten  wir  sehen,  wie  Michelangelo  in  demjenigen, 
worin  er  an  die  Renaissance  anknüpfte,  der  Subordination,  ent- 
schieden rücksichtsloser  verfuhr  als  die  Renaissance  selbst.  So  auch 
hier:  die  Idee  der  zentralen  Kuppel  hat  er  einseitig  weit  über  das 
von  Bramante  hinaus  geplante  Maß  gesteigert.  Die  Kuppel  sollte 
unbedingt  über  ihre  Umgebung  herrschen,  während  bei  Bramante 
im  Äußeren  vier  Türme  als  Trabanten  einigermaßen  die  Wage  hielten, 
im  Inneren  die  Ausblicke  in  die  Abschlüsse  und  Scitenräume  der 
Kreuzarme  neben  der  an  und  für  sich  etwas  niedriger  geplanten 
Kuppclschale  sich  geltend  machten:  also  die  ausgleichende  Tendenz 
der  Renaissance  auf  gleichmäßige  Durchbildung  der  Teile,  neben 
der  sichtbaren  Zusammenfassung  in  eine  Einheit.  Infolgedessen  zeigt 
der  geplante  Bau  des  Bramante  eine  gewisse  Auflockerung  und 
Leichtigkeit  im  Inneren  und  Äußeren.  Michelangelo  dagegen  faßte  das 
Ganze  in  eine  gedrungenere,  massivere  Gesamtform  zusammen  und 
konzentriert  die  ganze  Wirkung  auf  die  eine,  alles  überragende 
und  übertönende  Kuppel,  der  alles  Nebenwerk  in  sklavischer 
Unterordnung  dienen  soll. 


-     85     - 

2.  Im  Inneren.  Das  Sprechendste  ist  hier  die  Beseitigung  der 
Umgänge  an  den  Enden  der  Kreuzarme.  Das  Auge  sieht  die  Mauern 
selbst,  von  denen  sich  die  vortretenden  Pilastcr  mühselig  losringen, 
statt  ihrer  phantasicreizenden  Verhüllung  durch  die  schattenden 
Arkaden.  Die  unendliche,  formlose  Tiefe  ist  ausgeschlossen  (auf  die 
Fenster  beschränkt),  keine  koloristische  Wirkung  mehr,  aber  dafür 
viel  geformte  Tiefe,  Schlagschatten,  der  mit  den  Lichtflächen  kämpft. 
Das  Resultat  ist  eine  Vereinfachung,  Verarmung  des  Gesamtbildes, 
aber  dafür  wird  das  Auge  um  so  weniger  von  der  Hauptsache, 
der  Kuppel,  abgezogen.  Diese  Kuppelschalc  aber  wird  im  Inneren 
überhöht.  Auch  die  Seitenräume  der  vier  Kreuzarme  werden 
vereinfacht  und  mehr  zusammengezogen.  Ein  ferneres  Resultat  ist 
die  größere  Geschlossenheit,  Einheit  der  Raumwirkung,  nicht  erst 
durch  den  Anblick  der  Kuppel  herbeigeführt,  sondern  schon  unten 
unwillkürlich  empfunden.  Der  Barockstil  ist  erst  eigentlicher  Raum- 
stil, nicht  die  Renaissance. 

3.  Im  Äußeren.  Hier  ist  die  zentrale  Wirkung  der  Kuppel  wo- 
möglich noch  ausschlaggebender  gewesen.  Nichts  läßt  den  Unter- 
schied zwischen  Bramante  und  Michelangelo  so  klar  und  deutlich 
mit  einem  Blick  erkennen,  als  die  Verglcichung  der  Kuppeln,  wie 
sie  der  eine  und  der  andere  entworfen  hatte.  Bei  Bramante  ist  der 
Tambour  die  Hauptsache:  die  kreisrunde  Mauer  ist  wieder  verhüllt 
durch  einen  Peripteros  von  Säulen.  Die  Wölbungsschale  selbst  ist 
ähnlich  derjenigen  des  Pantheon,  also  außen  ziemlich  flach;  als 
Abschluß  eine  von  einfachen  Säulen  getragene  Laterne.  Es  ist  ein 
ruhiges,  leichtes  Schweben.  Bei  Michelangelo  wird  die  Wölbungs- 
schale  zur  Hauptsache,  sie  wird  steil  überhöht  und  beherrscht  nun 
nicht  bloß  den  Tambour,  sondern  alles  darunter  Liegende  voll- 
ständig. Die  Umrißlinie  der  Kuppel,  wie  sie  auch  ausgeführt  wurde 
und  heute  so  erscheint,  ist  eine  hinreißend  schöne,  aber  sie  ist  eine 
aufstrebende,  bewegte.  Dem  Tambour  sind  Strebepfeiler  vorgesetzt, 
an  der  Front  mit  je  zwei  Säulen  besetzt;  diese  Säulen  sollen  nicht 
dem  Auge  schmeicheln,  sondern  durch  die  Verdoppelung  den 
Kraftaufwand  versinnlichen,  der  zur  Stützung  der  Kuppel  notwendig 
ist;  von  diesen  Streben  schwingen  sich  die  Rippen  der  Kuppel- 
wölbung aufwärts,  bis  sie  sich  in  der  Laterne  treffen.  Bei  Bramante 
waren    weder  Rippen    noch    Streben    zu    sehen.    Auch    die    Laterne 


-     86     - 

ist  bei  Michelangelo  von  Doppelsäulen  umgeben,  nicht  von  einfachen, 
was  auch  wieder  den  Eindruck  des  schweren  Tragens  hervorruft. 
Also  das  aufstrebende  gotische  Konstruktionsprinzip  ist  wiederum 
ein  enger  Berührungspunkt  zwischen  beiden  Stilen. 

Es  wirkt  erheiternd,  wenn  man  beobachtet,  wie  die  Zeitgenossen 
diese  innere  Verwandtschaft  zwischen  Gotik  und  Barockstil  ganz  und 
gar  übersahen.  So  oft  Vasari  auf  die  maniera  gotica  zu  sprechen 
kommt,  dankt  er  dem  Himmel,  daß  Michelangelo  die  Italicner 
davon  erlöst  hat.  Daß  aber  die  von  ihm  als  das  Resultat  aller  Re- 
naissance der  Antike  gepriesene  Richtung  des  Michelangelo  gerade 
den  Kernpunkt  der  Gotik  —  die  organische  Wachstumsbewegung  an 
Stelle  des  harmonischen  Lagcrns  gemäß  der  Schwerkraft  —  wieder 
zum  Aufleben  brachte,  ist  ihm  vollständig  entgangen.  Auch  alle 
übrigen  Änderungen,  die  Michelangelo  am  Äußeren  vorgenommen 
hat,  atmen  den  gleichen  Geist. 

Vor  allem  mußten  wieder  die  Umgänge  wegfallen,  sowohl  die 
wirkliche  Halle  als  auch  die  angelehnten  Halbsäulen.  Die  Mauermasse 
sollte  sich  1.  geschlossen,  2.  nackt  als  solche  zeigen  und  wie  an 
der  Laurenziana  eine  Bewegung  von  innen  heraus  offenbaren.  Zur 
Gliederung  waren  ihm  Halbsäulen  unbrauchbar,  denn  wie  die  Säule 
äußert  auch  die  Halbsäule  eine  Tendenz  zur  Trennung  von  der 
Wand;  nur  der  Pilaster  kann  das  Vorquellen  des  Mauerkerns  ver- 
sinnlichen. Und  so  wird  an  die  Abschlußwände  der  Kreuzanne 
außen  eine  Kolossalordnung  von  Pilastem  gelegt  (wie  am  Konscr- 
vatorenpalast),  und  zwar  auch  wieder  vorgelegt  vor  eine  pilastcr- 
artige  Wandeinstufung,  die  das  organische  stufenweise  Hervorbewegen 
der  Mauer  von  innen  heraus  versinnlicht.  In  die  Wandfeldcr  dazwischen 
werden  abwechselnd  zwei  und  drei  Fenster  gelegt  —  etwas  ganz  Un- 
erhörtes —  was  natürlich  auch  Unruhe  und  den  Eindruck  der  Be- 
wegung, des  Kampfes  erzeugt.  Freilich  erreicht  er  damit,  daß  man 
sofort  merkt,  es  handle  sich  nicht  um  Fensterreihen  bewohnter  Stock- 
werke (die  Gotik  half  sich  da  mit  riesigen  Fenstern;  die  Italiener 
hätten  diese  schon  der  Disproportionalität  halber  nicht  anwenden 
dürfen).  Ober  diese  ungeheuere  Wandordnung  wird  nun  eine  gewaltig 
lastende  Attika  gesetzt,  durch  Pilasterbündel  gegliedert  und  von  ins 
Breite  gequetschten  Fenstern  mit  barocken  Rahmen  durchbrochen. 
Diese  erdrückend  schwere  Attika  stellt  wieder  die  Einheil  her  über 


-     87     — 

dem  unteren  Kampfe:  zum  Unterschied  von  der  Gotik,  die  die  empor- 
strebenden Kräfte  rein  in  Spitzen  ausklingen  läßt.  Und  auf  diesem 
soliden  Riesensockel  schnellt  dann  endlich  die  Kuppel  empor.  Auch 
die  Türme  konnten  nicht  bestehen  bleiben,  denn  auf  dem  verengerten 
Grundplan  wären  sie  bloß  Konkurrenten  gewesen.  Um  das  Auge 
aber  einigermaßen  an  die  dämonische  Größe  der  Kuppel  zu  ge- 
wöhnen, wurden  vier  kleine  Eckkuppeln,  um  die  Höhe  in  der  Ge- 
samtsilhouette etwas  mit  der  Breite  auszusöhnen,  in  den  Plan  auf- 
genommen, und  die  zwei  vorderen  ausgeführt  (am  Dach  oben 
nehmen  sie  sich  größer  aus  als  die  Zentralkuppeln  mancher  Groß- 
stadt-Kathedralen). Im  ganzen  ist  ihre  Wirkung  eine  unendlich  ge- 
ringere, als  diejenige  der  bramantesken  Türme  gewesen  wäre.  Die 
Wirkung  der  Mcdicecrgräber  und  des  Jüngsten  Gerichtes  wurde  wesent- 
lich dadurch  charakterisiert,  daß  ihnen  jede  eigentlich  religiöse  Weihe 
fehlt.  Ähnliches  ist  auch  von  Neu-S.  Peter  zu  sagen:  man  sehe  nur 
das  Äußere  der  hinteren  Partien  an,  soweit  eben  Michelangelos 
Tätigkeit  daran  reichte.  Schon  die  Behandlung  der  Wand  mit  den 
Fenstern.  Sie  macht  entschieden  einen  weltlichen  Eindruck,  trotz 
der  Verwischung  des  Stockwcrkcindruckes.  Die  Wirkung  ist  gewiß 
nicht  die  eines  Wohnhauses,  sondern  eine  monumentale:  aber  es 
könnte  auch  ein  weltlicher  Monumentalbau  sein.  In  dieser  —  reli- 
giösen —  Hinsicht  hat  die  spätere  Hinzufügung  eines  Langhauses 
verbessernd  gewirkt.  Fragen  wir  uns  aber  nach  den  künstlerischen 
Grundprinzipien,  nach  denen  Michelangelo  hier  verfahren  ist,  so 
erhalten  wir  abermals  harmonisch  geschlossene  Einheit  im  Ganzen, 
Kampf  in  den  Teilen.  Heinr.  Wölfflin:  „Massigkeit  und  Bewegung." 
Bramante:  ..Malerische  Gesamtwirkung,  plastische  Detailwirkung." 
Michelangelo:  ,,Malcrische  Detailwirkung,  plastische  Gcsamtwirkung." 
Auch  der  plastische  und  der  malerische  Eindruck  bemißt  sich 
danach,  je  nachdem  wir  das  Bauwerk  als  Ganzes,  in  der  Silhouette, 
oder  aber  im  Detail  ins  Auge  fassen.  Im  ganzen  war  der  Bau 
Bramantes  malerischer,  mit  seinen  Türmen,  schattenden  Hallen, 
reichen  Teilglicderungcn.  Der  Bau  des  Michelangelo  ist  gedrungener- 
und  darum  in  seinen  Hauptformen  greifbarer,  also  nahsichtiger, 
strenger  harmonisch  in  den  Gcsamtlinien.  Im  einzelnen  aber  hob 
sich  bei  Bramante  alles  klar  und  scharf  plastisch  heraus,  jede 
einzelne  Säule,  jedes  Profil   war  wert    der  nahsichtigen   Betrachtung. 


während  bei  Michelangelo  Verkürzungen  und  Schattenschlag  be- 
ständig abwechseln  und  den  plastischen  Eindruck  verwirren,  ins 
malerisch  Zweidimensionale  auflösen:  Michelangelos  Bau  darf  nur 
als  Ganzes  genossen  werden.  Zu  Michelangelos  Lebzeiten  konnte 
allerdings  der  Riesenbau  nicht  vollendet  werden,  aber  von  seinem 
Plane  hat  man  dann  zunächst  auch  nach  seinem  Tode  nicht  mehr 
abzuweichen  gewagt.  Nach  1564  bis  1573  war  Vignola  Bauleiter  und 
dann  bis   1604  Giacomo  della  Porta. 

Beide  haben  bis  1590  den  Bau  zu  Ende  geführt,  wie  ihn 
Michelangelo  verlangt  hatte.  Sixtus  V.  hatte  die  Bauführung  schließ- 
lich sehr  beschleunigt,  da  er  den  Dom  noch  zu  seinen  Lebzeiten 
vollendet  sehen  wollte. 

Es  handelte  sich  da  nur  mehr  um  die  Kuppel:  sie  wurde  1588 
bis  1590  wirklich  noch  knapp  vor  dem  Tode  des  Papstes  fertig- 
gestellt. Da  stand  die  Verwirklichung  des  Traumes  der  Renaissancc- 
geschlcchtcr,  als  wirklicher  Zentralbau,  fassadcnlos  als  solcher,  denn 
der  viersäulige  Portikus  gegen  den  Petersplatz  zu  konnte  nur  in 
nächster  Nähe  als  Zugangsdekoration,  als  besonderes  monumentales 
Portal  empfunden  werden.  Als  aber  Michelangelos  letzter  Schüler. 
Giacomo  della  Porta,  gestorben  war,  da  ging  die  Gegenreformations- 
kunst daran,  dasjenige  durchzuführen,  was  sie  schon  seit  dem  Nieder- 
gange  des  Renaissancezeitalters  immer  offen  und  heimlich  begehrt 
und  betrieben  hatte:  S.  Peter  wurde  zur  christlichen  Basilika  um- 
gestaltet. 

Das  Kirchenbau-Ideal  Michelangelos  war  also  gewiß  der  Zentral- 
bau, noch  zu  einer  Zeit,  wo  der  Langhausbau  —  ich  sage  absicht- 
lich nicht  Basilikalbau,  denn  zu  diesem  ist  es  streng  genommen 
nicht  mehr  gekommen  —  wiederum  in  der  italienischen  Kirchen- 
baukunst Eroberungen  zu  machen  begann.  Es  wäre  nun  interessant, 
zu  wissen,  wie  sich  Michelangelo  zur  zwingenden  Aufgabe  ge- 
stellt hätte,  einen  Langhausbau  herzustellen.  In  solcher  Form  wurde 
ihm  diese  Aufgabe  allerdings  nicht  gestellt,  aber  doch  in  einer 
verwandten  Form.  Es  waren  von  den  ehemaligen  Thermen  des 
Diocletian  zahlreiche  große  Säle  wohlerhalten  (noch  heute  steht 
vieles  davon  aufrecht).  Papst  Pius  IV.  beschloß  im  letzten  Lebens- 
jahre Michelangelos  den  größten  Saal  zur  Kirche  S.  Maria  degli 
Angel  i  einrichten  zu  lassen  und  betraute  damit  Michelangelo.  Dieser 


-    89    - 

entwarf  sonach  den  Plan,  der  hauptsächlich  nach  seinem  Tode,  bis 
1566  ausgeführt  wurde.  Es  blieben  aber  immer  noch  anliegende 
Räume  disponibel,  und  das  gab  im  18.  Jahrhundert  Veranlassung 
zur  neuerlichen  Erweiterung  der  Kirche  durch  Vanvitelli;  der 
Saalbau  Michelangelos  wurde  dann  zum  Querschiff  gemacht.  Dadurch 
ist  der  ganze  ursprüngliche  Eindruck  verloren  gegangen.  Aber  wir 
können  doch  im  allgemeinen  sagen,  was  Michelangelo  an  der 
ganzen  Aufgabe  interessiert  hatte:  er  hat  im  wesentlichen  einen 
einzigen  kolossalen  Saal,  einen  länglichen  Innenraum  geschaffen, 
d.  h.  zur  Kirche  adaptiert.  Es  ist  nicht  zufällig,  daß  er  die  Neben- 
räume nicht  einbezogen  hat,  während  das  18.  Jahrhundert  sie  auf- 
genommen hat,  weil  es  die  geschlossene  Raumwirkung  des  großen 
Saales  langweilig  empfand,  unbestimmte  vage  Reize  von  Durch- 
blicken in  verschiedener  Beleuchtung  und  von  ungewissen  Dimen- 
sionen verlangte.  Der  Saal  zerfällt  in  drei  aufeinanderfolgende 
Quadrate:  Zentralbauten.  Rechts  und  links  schlössen  sich  daran  bloß 
Kapcllennischen,  innere  Tätigkeit  der  Wände,  also  wie  im  Pantheon 
in  tastbarer  Nähe  Formen,  darüber  aber  in  optischer  Ferne  ge- 
schlossene Wände  und  Wölbungen.  Die  Wölbung  war  vorhanden 
und  gewiß  nicht  nach  Michelangelos  Geschmack:  ein  Kreuzgewölbe, 
zwar  bewegter  als  das  ruhende  Tonnengewölbe  oder  gar  die 
Kuppel,  aber  es  ist  eine  unklare  Bewegung,  die  Michelangelo  gerade 
oben  an  der  Decke  gerne  durch  ein  ruhendes  Zwangsmotiv  ge- 
bändigt gesehen  haben  wollte.  Aber  die  Wölbung  war  einmal  vor- 
handen und  so  behielt  sie  auch  Michelangelo  bei,  wiewohl  er  eine 
gerade  Decke  wahrscheinlich  vorgezogen  hätte;  ebenso  das  Auf- 
stützen der  Wölbung  auf  die  kolossalen  Säulen  ganz  nach  antiker 
Empfindung,  und  ganz  gegen  die  Empfindung  der  Laurenziana,  wo 
die  Wand  selbst  kämpft  gegen  den  oberen  lastenden  Druck,  und 
nicht  vorgestellte  Säulen.  (Diese  Säulen  sind  nichts  anderes  als 
Strebepfeiler,  die  die  Antike  nach  innen  gezogen  hat,  gemäß  ihrer 
Empfindung.) 

Das  einzige  Sympathische  muß  dem  Michelangelo  die  gewaltige, 
geschlossene,  einheitliche  Räumlichkeit  gewesen  sein,  wie  er  sie 
auch,  im  Gegensatz  zu  Bramante,  im  Inneren  von  S.  Peter  angestrebt 
hat.  Und  darin  berührt  er  sich  auch  mit  den  Architekten  der  gegen- 
reformatorischen    Langhauskirchen,     wie    sie     damals    schon    z.    B. 


-     90 

Giacomo  della  Porta  mehrfach  aufgeführt  hat.  Wir  werden  diese 
grundwichtige  Entwicklung  noch  besonders  kennen  lernen;  hier  sei 
mir  gesagt:  auch  die  Langhauskirche  der  Gegenreformation  ist  keine 
Basilika  mehr,  sondern  ein  einziger  gewaltiger  Saal,  begleitet  von 
seitlichen  Kapellen.  Insofern  verrat  sich  also  auch  in  S.  Maria  degli 
Angeli  der  Zusammenhang  Michelangelos  mit  der  werdenden  römi- 
schen Barockkunst,  der  Kunst  des  gegenreformatorischen  Zeitalters. 

Wie  der  Profanbau,  so  spaltet  sich  auch  der  Kirchenbau  nach 
Braminte  in  zwei  Richtungen:  1.  in  die  spezifisch  römisch-barocke 
des  Michelangelo;  2.  in  die  Spätrcnaissancc.  die  hauptsächlich  in  Ober- 
italien blüht.  Der  Hauptvertreter  in  Oberitalien  im  16.  Jahrhundert 
ist  auch  hier  Andrea  Palladio.  Sehen  wir  seine  zwei  vornehmsten 
Kirchen  in  Venedig  an.  Fassade:  1.  S.  Giorgio  Maggiorc  (male- 
risches Gesamtbild,  aber  erst  durch  die  Canalctti  entdeckt.  Paolo 
Veronesc  sah  mehr  auf  das  Nähcrc).  Nicht  eine  Wand,  die  sich 
in  Teilen  vor-  und  rückbewegt,  sondern  zwei  Wände,  eine  vorn, 
die  andere  hinten,  daher  größere  Ruhe.  Also  zwei  Ebenen,  aber 
durch  Linienkonkordanz  zu  einer  verbunden.  2.  Redentore  ge- 
steigert, eigentlich  mindestens  drei  Ebenen,  aber  durch  je  sechs 
Parallele  beiderseits  vereinigt  zu  einer  Sehebenc.  Parallel  mit  Tin- 
toretto,  der  auch  Figuren  im  Tiefraum  verstreut,  aber  durch  Kon- 
kordanz und  Kontrapostc  vereinigt.  (Die  manierierte  Haltung  der 
Arme  und  Oberkörper,  auch  bei  Paolo  oft  so  auffallend.) 

Inneres:  1.  S.Giorgio  Maggiorc  noch  Basilika,  aber  Chor 
durchbrochen!  Ähnlich  wie  bei  Bramante  in  S.  Peter.  Kreuzarme, 
leider  durch  die  Orgel  beeinträchtigt.  2.  Redentore  hat  schon  den 
Grundriß  der  Jesuitenkirchen  im  Prinzip!  Aber  wieder  durch- 
brochener Chor,  hier  besonders  reizend.  Zentralisierung  (in  der 
Fassade  und  im  Inneren)  ist  barockes  Symptom,  aber  trotzdem 
Festhalten  am  Klassizistischen. 


BAUKUNST   VON    1550  BIS   1630. 

Hier  könnte  man  unterteilen:  1.  Zirka  1550  bis  1590  strenger 
Barockstil:  Architektur.  2.  Zirka  1590  bis  1630  Lockerung,  Übergang 
zu  Bernini:  Malerei.  Wir  haben  gesehen,  daß  die  figurale  Skulptur 
und  Malerei  zur  Zeit  der  strengen  Gegenreformation  verhältnismäßig 
wenig  Anwendung  finden  konnten:  hauptsächlich  nur  Grabdenk- 
mäler und  dekorative  Fresken.  Der  streng  kirchliche,  zum  Altchristen- 
tum zurückneigende  Geist  der  Zeit  konnte  natürlich  die  Bildung 
organischer  Formen  mittels  der  Kunst,  die  eine  unmittelbare  psy- 
chische Wirkung  ausüben  konnten,  nicht  berücksichtigen  (die  Figuren- 
malcrei  wurde  dekorativ,  also  nicht  auf  psychischen  Ausdruck 
berechnet).  Diesbezüglich  stand  es  begreiflichermaßen  besser  mit 
den  Werken,  die  bloß  dem  Gebrauchs-  und  Schmückungszweck  zu 
dienen  hatten,  wo  das  Psychische  erst  mittelbar  zum  Ausdruck 
kam,  sie  waren  eben  unentbehrlich.  Und  was  namentlich  die  Bau- 
kunst betrifft,  so  schien  sie  gerade  in  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  in  Rom  ganz  besonders  unentbehrlich:  es  betrifft 
gleichmäßig  den  Kirchenbau  wie  den  Profanbau,  Palastbau,  Villen- 
bau, Brunnenbau  bis  herab  zu  den  Nutzbauten  von  bestimmtem 
künstlerischem  Charakter,  z.  B.  Wasserleitungen. 

Es  ist  interessant,  darüber  zwei  Berichterstatter  zu  vergleichen. 
Der  eine  schrieb  einige  Jahre  vor  1550,  der  andere  einige  Jahr- 
zehnte danach.  Der  ältere  ist  Scbastiano  Serlio,  ein  bekannter 
Architekt,  der  zur  Entwicklung  im  großen  wenig  beigetragen  hat, 
aber  in  gewisser  Hinsicht  doch  von  symptomatischer  Bedeutung  ist. 
Weil  ich  ihn  hier  zitiere,  will  ich  einige  Worte  über  ihn  einschalten. 
Er  war  ein  Bolognese,  der  aber  dann  nach  Rom  gekommen  ist, 
also  ein  Vorläufer  jener  großen  Bolognesen,  die  später  geradezu 
eine  römische  Schule  begründet  haben,  allerdings  nicht  so  sehr 
in  der  Baukunst,  sondern  in  der  Malerei;  aber  gerade  unter  den 
Bolognesen  waren  oft  Maler  auch  zugleich  Architekten:  wie  z.  B. 
Tibaldi,  Domenichino.  Serlio  geht  parallel  mit  Michelangelo  (ist   im 


-     92     - 

gleichen  Jahre  1175  geboren),  aber  er  hat  sich  nicht  an  Michel- 
angelo angeschlossen,  sondern  er  ist  einer  der  sogenannten 
Theoretiker  geworden,  die  man  auch  als  Meister  der  Spät- 
renaissance bezeichnet;  in  der  Anwendung  auf  Meister  von  der 
Art  des  Scrlio  hat  die  Bezeichnung  Spätrenaissance  noch  am 
ehesten  etwas  Berechtigtes.  Die  Theoretiker  wollen  den  glücklich 
gefundenen  Ausgleich  ein  für  allemal  zur  Norm  erheben:  „Aka- 
demiker". Diese  Theoretiker  suchen  eine  Theorie  des  Schönen  in 
der  Baukunst,  und  zwar  suchen  sie  dieselbe  in  der  Antike,  wie 
sie  ihnen  in  Denkmälern  aus  der  römischen  Kaiserzeit  vor  Augen 
lag.  Sie  erkannten  das  Maßgebende  dafür  in  den  Proportionen,  wie 
sie  sich  wiederum  in  den  Säulenordnungen  offenbarten;  darin  wurden 
sie  bestärkt  durch  die  Lektüre  des  Vitruv,  der  damals  eifrig  kom- 
mentiert wurde.  Es  kam  sogar  zur  Gründung  einer  vitruvianischen 
Akademie  in  Rom  im  Jahre  1542.  Diese  Meister  suchten  also  nach 
gewissen,  absolut  schönen  Maßverhältnissen,  nach  einer  allgemein 
gültigen  „Regola".  Diese  Regola  wollen  sie  literarisch  fixieren,  sie 
publizieren  daher  große  Werke,  um  sie  zur  allgemeinen  Geltung  zu 
bringen.  Alle  Theoretiker  sind  zugleich  Publizisten.  Sie  bedeuten 
den  Gegensatz  zu  Michelangelo,  der  nicht  stehen  bleiben  will, 
sondern  im  letzten  Lebensjahre  den  Übergang  zum  Langbau  ge- 
funden hat. 

Diese  theoretische  Strömung  ist  ein  kunstgeschichtlich  sehr 
wichtiges  Symptom.  Es  bedeutet  genau  dasselbe,  was  die  Bestrebungen 
der  deutschen  gotischen  Steinmetzen  im  15.  Jahrhundert,  die  auch 
nach  absolut  mustergültigen  Zahlenverhältnissen  in  der  Baukunst  auf 
der  Suche  waren.  Es  ist  eine  sozusagen  materialistische  Auffassung 
der  Baukunst;  man  entwickelt  das  Schönheitsziel  der  Baukunst  nur 
aus  den  äußeren  Maßverhältnissen  der  Materie.  Der  Zusammenhang 
mit  den  allgemeinen  geistigen  Strömungen  des  15.  und  des  be- 
ginnenden 16.  Jahrhunderts  ist  ganz  klar.  Dieser  theoretischen 
Strömung,  die  bezeichnend  ist  für  den  Höhepunkt  der  Hoch- 
renaissance, hat  Michelangelo  ein  Ende  bereitet.  Aber  in  der  ganzen 
ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  hat  sie  sich  neben  Michelangelo 
in  Rom  behauptet  —  praktisch  war  in  Rom  nach  Raffacl  die 
Spätrenaissance  tot,  theoretisch  hat  sie  sich  noch  lange  behauptet 
-    da    Michelangelo    als    Architekt    überhaupt    erst    seit    1546    in 


-    93    - 

Frage  kam  und  einflußnehmend  wirken  konnte,  und  in  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  hat  sie  in  Oberitalien  und 
namentlich  in  Venedig  dauernd  Fuß  gefaßt,  durch  Palladio 
und  später  namentlich  durch  Scamozzi  und  Longhena.  Die  Be- 
deutung des  Serlio  ruht  daher  nicht  in  den  Bauten,  die  er  ausge- 
führt hat,  deren  ihm  einige  in  Oberitalien  zugeschrieben  werden 
(keiner  mit  absoluter  Sicherheit),  sondern  in  seiner  literarischen 
Tätigkeit:  seinen  sieben  Büchern  dell' architettura,  die  auch  heute 
noch  wichtig  sind,  weil  er  darin  nicht  bloß  seine  Aufnahmen  nach 
römischen  antiken  Bauresten  publiziert,  sondern  auch  Pläne  von 
Bauten  seiner  eigenen  Zeit  (z.  B.  Pläne  für  S.  Peter  von  den  ver- 
schiedenen Meistern,  die  bis  zu  seinerzeit  solche  entworfen  haben; 
für  die  Baugeschichte  von  S.  Peter  wichtig;  auch  Entwürfe  von 
seiner  Hand,  die  uns  seine  eigene  Richtung  zeigen;  Kirchenentwürfe 
mit  ovalem  Grundriß  darunter  beweisen,  wie  frei  er  von  der  klassi- 
schen Antike  sein  konnte,  besonders  die  Neigung,  Grade  in  Kurven 
zu  verwandeln).  1541  ist  er  zu  Franz  I.  nach  Frankreich  gegangen  und 
hat  dort  die  Publikation  seines  Werkes  vollendet;  er  starb  1552  zu 
Fontainebleau.  Charakteristisch,  daß  so  viele  Meister  der  älteren 
Richtung  nach  Frankreich  ausgewandert  sind:  man  spricht  ja  von 
einer  Malerschule  von  Fontainebleau,  die  nur  aus  Italienern  gebildet 
war:  Primaticcio  an  der  Spitze.  Allerdings  die  Aufstrebenden 
—  wie  Vignola  —  sind  auch,  alsbald  nach  Italien  zurückgekehrt: 
auch  charakteristisch. 

Serlio  klagt  also  im  fünften  Buche  (offenbar  in  den  vierziger 
Jahren  redigiert),  daß  die  Architekten  damals  nur  so  geringe  Be- 
schäftigung fanden.  Dagegen  haben  wir  ein  Zeugnis  für  die  zweite 
Hälfte  des  Jahrhunderts  bei  einem  anderen  Schriftsteller,  namens 
Armenini,  dessen  Buch  dei  veri  precetti  della  pittura  zu 
Ravenna  1587  gedruckt  worden  ist.  Er  sagt  darin,  daß  die  kirch- 
liche Baukunst  in  Italien  nach  der  Publikation  der  Beschlüsse  des 
tridentinischen  Konzils  (natürlich  nicht  materialistisch  so  zu  er- 
klären, daß  die  Paragraphen  des  Konzils  das  herbeigeführt  haben; 
es  ist  ein  Zusammenhang  zwischen  Gegenreformation  und  Barock- 
kunst, aber  beide  gleichmäßig  von  einem  dritten  Höheren  bedingt: 
das  Ethische  und  das  Ästhetische  nur  Ausdruck  eines  gemeinsam 
höheren  Dritten,    das    hier   nicht  festzustellen  ist),    also    nach    1563 


-    94    - 

-  d.  h.  nachdem  die  Ideen  der  Gegenreformation  in  Italien  auch 
äußerlich  den  vollen  Sieg  errungen  hatten  —  einen  ungemeinen 
Aufschwung  genommen  hätte.  Daneben  findet  er  es  auffällig  und 
der  ausdrücklichen  Anmerkung  wert,  daß  die  Skulptur  und  Malerei 
mit  jenem  Aufschwung  keineswegs  gleichen  Schritt  hielten.  In  der 
Tat  sind  auf  dem  Gebiete  der  italienischen  Baukunst  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  ganz  entscheidende  Schritte  geschehen. 
Wiederum  handelt  es  sich  hier  um  die  Nachfolge  Michelangelos. 
Man  wird  von  vorneherein  erwarten,  daß  die  Schüler  auch  hier  wie 
in  der  Skulptur  und  Malerei  dein  großen  Meister  in  seinen  eigensten 
Intentionen  zu  folgen  nicht  wagen  würden.  Eine  Zeitlang  hat  man 
es  in  der  Tat  nicht  gewagt.  Auch  Vasari  hat  zwar  die  eigenartigen 
Formen  der  Laurenziana  gelegentlich  getreu  kopiert,  aber  aus  dem- 
selben Geiste  heraus  ein  völlig  Neues,  Selbständiges  zu  schaffen, 
sich  von  der  Renaissance  mit  ihrer  ruhigen  Ausgleichstcndenz 
zwischen  Horizontalem  und  Vertikalem  ganz  loszusagen,  hat  Vasari 
niemals  unternommen.  Die  Bauten  des  Vasari  tragen  daher  eher 
einen  gemäßigteren  Charakter  an  sich  als  diejenigen  ihrer  Vorbilder 
selbst.  Aber  es  liegt  eben  im  Wesen  der  Baukunst,  als  einer  an- 
organischen Formkunst,  daß  sich  binnen  kurzem  doch  einige  be- 
gabte Meister  gefunden  haben,  die  auf  Michelangelos  Intentionen 
völlig  eingegangen  sind,  weit  tiefer  eingegangen,  als  es  einem  Maler 
und  Bildhauer  jemals  möglich  gewesen  wäre.  Der  entscheidende, 
grundsätzliche  Punkt,  in  dem  Michelangelo  für  seine  Nachfolger  an- 
stoßgebend, wegweisend  geworden  ist,  liegt  in  seiner  entschlossenen 
Abkehr  von  der  antiken  Regel,  wie  sie  die  Theoretiker  verfochten. 
Nur  muß  man  sich  diese  Abkehr  nicht  vorstellen  wie  einen  gewalt- 
samen Bruch  mit  der  Vergangenheit  (wie  dies  heutzutage  vor 
sich  geht). 

Nirgends  begegnet  in  den  überlieferten  Äußerungen  Michel- 
angelos oder  seiner  Freunde  irgendeine  Spur,  die  sich  als  Feind- 
seligkeit gegen  die  Antike  auslegen  ließe.  Ja  ich  habe  schon  bei 
Gelegenheit  der  Diskussion  der  Laurenziana  bemerkt,  daß  Michel- 
angelo wahrscheinlich  zu  jedem  einzelnen  seiner  „barocken"  Details 
Belegstücke  aus  der  römischen  Antike  der  Kaiserzeit  bereit  gehabt 
haben  dürfte.  Man  gab  den  größten  Respekt  vor  der  Antike  vor, 
und  begann  doch  daneben  eigene  Wege  zu  gehen.  (Sogar  bei  Scrlio, 


-    95     - 

dem  die  antiken  Säulenordnungen  als  etwas  Unantastbares  galten, 
begegneten  ovale  Grundrisse.)  Ganz  charakteristisch  hierfür  sind 
einige  Bemerkungen  des  Vasari:  einmal  bezeichnet  er  die  antiken 
Baureste  als  eine  verehrungswürdige  cosa  santa;  aber  allmählich 
beginnt  er  doch  einzusehen  —  offenbar  unter  dem  Einflüsse  des 
Michelangelo  — ,  daß  man  nicht  immer  dieselbe  gemeine  Straße 
wandeln  könne;  er  findet  schließlich  das  Hauptverdienst  des  Michel- 
angelo darin,  daß  er  die  .,Fesseln  und  Ketten"  zerrissen  hat,  die 
die  Künstler  auf  jenem  Gemeinwege  festgehalten  hatten.  In  der  Tat 
sehen  wir  etwa  seit  den  sechziger  Jahren  alle  namhaften  Architekten 
Roms  dem  Beispiele  Michelangelos  folgen,  sich  von  der  antiken 
Regel,  d.  h.  von  der  strengen  Umsetzung  aller  Tiefe  in  Höhe  und 
Breite,  alle  Tiefe  zu  verbinden  mit  der  Höhe  und  mit  der  Breite, 
emanzipieren.  Diesen  verhältnismäßig  raschen  Umschwung  in  der 
Baukunst  versteht  man  erst  dann  so  recht,  wenn  man  sieht,  daß 
parallel  damit  eine  allgemeine  Antikenfeindlichkeit  als  Kultursymptom 
sich  entwickelt  hatte.  Sie  hängt  natürlich  zusammen  mit  der  Gegen- 
reformation und  erweckt  sogar  Erinnerungen  an  die  altchristliche 
Zeit,  wenigstens  in  den  Tagen  des  allerstrcngsten  Papstes,  Pius  V. 
Diese  merkwürdige  Erscheinung,  ein  so  radikaler  Umschwung  in 
wenigen  Jahren,  ist  auch  deshalb  kunstgeschichtlich  wichtig,  weil 
sie  sich  in  etwas  veränderter  Gestalt  seither  öfter  wiederholt  hat. 
Man  kann  geradezu  sagen,  von  nun  an  in  der  ganzen  neueren  Zeit 
wird  das  Verhältnis  zur  klassischen  Antike  immer  zum  Barometer 
für  die  großen  Geistesströmungen,  die  zwischen  Glauben  und  Wissen 
hin-  und  herführen  und  mit  die  Entwicklung  der  lebenden  Kunst 
des  Tages  zugleich  entscheidend  beeinflussen. 

Es  erscheint  mir  daher  passend,  weil  es  von  vorneherein  ein 
Licht  auf  den  Verlauf  der  Entwicklung  wirft,  wenigstens  mit  kurzen 
Worten  eine  Darstellung  darüber  einzuflechten,  wie  sich  das  Ver- 
hältnis der  Römer  im  16.  Jahrhundert  zur  klassischen  Antike  ge- 
staltet hat.  Ich  beschränke  mich  dabei  lediglich  auf  das  Verhältnis 
zu  den  Denkmälern  der  bildenden  Kunst.  Aber  auch  hinsichtlich 
des  Verhältnisses  zu  der  Literatur  der  Alten  ließe  sich  Paralleles 
vorbringen,  was  uns  hier  zu  weit  führen  würde.  Einige  wertvolle 
Andeutungen  finden  Sie  in  Rankes  Geschichte  der  Päpste.  Das 
mittelalterliche    Rom    hatte    die    Denkmäler    des   Altertums    lediglich 


-    96    — 

als  (,uitc  Beute  betrachtet,  die  man  zu  praktischen  Zwecken  aus- 
nützte: das  Kolosseum  direkte  als  Steinbruch,  die  Marmorbildwerke 
fütterten  die  Kalkgruben.  Erst  im  15.  Jahrhundert  begann  mit  der 
materiefreundlichen  GcistcsstrOmung,  die  wir  in  der  Einleitung  er- 
örtert hatten,  eine  Rücksichtnahme  auf  die  antiken  Denkmäler  als 
solche,  weil  man  in  ihnen  teilweise  etwas  entdeckte,  das  dem 
eigenen  Streben  verwandt  war:  maßvolle  Subordination. 

Dieselben  Bildsäulen,  die  die  Altchristen  seinerzeit  gestürzt 
und  zertrümmert  hatten,  wurden  nun  förmlich  unter  den  Schutz 
des  Papsttums  gestellt.  Interessen  der  Künstler  und  Kulturbegeistc- 
rung  der  hohen  Geistlichkeit  für  das  Antike  reichten  sich  die  Hand 
und  unterstützten  einander  auf  das  eifrigste.  Die  Trümmer  der 
antiken  Kunst  schienen  um  ihrer  selbst  willen,  das  heißt  um  ihrer 
materiellen  Schönheit  willen,  der  sorgsamsten  Konservierung  wert. 
Am  Ende  des  Mittelalters  der  direkte  Gegensatz  zu  demjenigen,  was 
am  Anfange  zu  sehen  gewesen  war,  ein  scheinbarer  Rückfall  ins 
Heidentum!  Der  beredteste  Ausdruck  dafür  ist  die  Ernennung 
Raffacls  zum  Direktor  der  römischen  Altertumsausgra- 
bungen mit  päpstlichem  Breve  vom  27.  August  1516.  Man  kann 
sagen,  daß  Raffacls  letzte  Lebensjahre  in  der  Hauptsache  der 
Gcneralaufnahme  der  in  Rom  und  Umgebung  zu  seiner  Zeit  er- 
haltenen antiken  Reste  gewidmet  waren.  Wie  weit  er  darin  gekommen, 
ist  unbekannt;  sein  früher  Tod  verhinderte  das  endgültige  Zustande- 
kommen des  Werkes,  ebenso  der  Tod  Leos  X.  Die  Aufnahmen 
sind  nicht  wiedergefunden;  wahrscheinlich  das  meiste  überhaupt  in 
den  Händen  der  Schüler  geblieben,  die  er  nachweislich  auf  Reisen 
mit  den  Aufnahmen  beschäftigt  hat:  Giulio  Romano,  Perin  del  Vaga 
u.  a.  Einiges  hat  noch  1544  Giulio  Romano  dem  Vasari  in  Mantua 
gezeigt. 

Mit  dem  Tode  Raffacls  und  Leos  X.  war  der  Höhepunkt  der 
ganzen  Richtung  zweifellos  überschritten;  aber  zunächst  hielt  sie 
sich  allein  durch  das  Übergewicht  der  Tradition  im  Ansehen.  Als 
nach  dem  Ablaufe  der  stürmischen  Regierung  Clemens  VII.  wieder 
ruhigere  Zeiten  kamen,  schien  es  sogar,  als  ob  alles  wieder  in  die 
alten  Geleise  einlenken  wollte;  Paul  III.  schien  in  allem  die 
Renaissancetraditionen  Leos  X.  aufnehmen  zu  wollen.  Abermals 
wurden  die  antiken  Denkmäler  unter  päpstlichen  Schutz  genommen. 


-     97     - 

Es  wurde  eine  Art  Zentralkommission  zur  Erhaltung  der  antiken  Denk- 
mäler in  Rom  niedergesetzt,  an  deren  Spitze  Giovenale  Manetti 
als  päpstlich  bestellter  Kommissär  der  Altertümer  stand.  Das  Breve 
datiert  vom  28.  November  1534.  Dem  Manetti  wird  darin  die  In- 
struktion erteilt:  „zu  wachen  darüber,  daß  die  Monumente  der  Stadt 
und  Umgebung  und  alle  Statuen,  Inschriften,  Marmore  soviel  wie 
möglich  bewahrt,  von  Gestrüpp  und  Efeu  gesäubert,  keine  neuen 
Bauwerke  ihnen  angehängt,  nichts  zerschlagen,  zu  Kalk  ver- 
brannt, aus  der  Stadt  entfernt  werde".  Also  ein  Verschleppungs- 
verbot! Bald  darauf  schenkte  man  sie  gerne  weg,  um  sie  nur  los- 
zukriegen. Giovenale  Manetti  blieb  in  seiner  Funktion  bis  zu  seinem 
Tode  1553.  Es  war  die  Frage,  ob  das  Amt  weiter  besetzt  werden  sollte. 
Damals  regierte  Julius  III.,  der  sich  zur  Gegenreformation  auch  nicht 
minder  zögernd  gestellt  hat  als  Paul  III.  Es  ist  die  Konfliktsstimmnng 
des  Michelangelo  überall:  man  möchte  noch  handeln  wie  Julius  II., 
aber  man  wird  gelähmt  durch  die  Empfindung,  daß  es  nicht  mehr 
gehe.  Eine  unbehagliche,  resignierte  Stimmung  der  Kurie.  Er  ernannte 
daher  auch  einen  Nachfolger  Manettis  für  die  Konservierung  der  Alter- 
tümer: Mario  Frangipani.  Das  war  aber  der  letzte  Papst  aus  der 
humanistischen  Schule.  Schon  unter  Pius  IV.,  der  das  tridentinische 
Konzil  durchführte,  begegnen  unzweideutige  Symptome  der  Gleich- 
gültigkeit gegen  die  antiken  Denkmäler.  Wir  haben  schon  früher 
gehört,  daß  Pius  IV.  einen  der  besterhaltenen  Räume  der  Diocletians- 
Thermen  durch  Michelangelo  zu  einer  christlichen  Kirche  umge- 
stalten ließ:  S.  Maria  degli  Angeli.  Das  war  schon  im  Geiste 
Sixtus  V.,  die  Denkmäler  des  Heidentums  zur  Verherrlichung  des 
Christentums  zu  benützen.  Aber  Pius  IV.  hat  die  Denkmäler,  die 
sich  hierzu  nicht  eigneten,  noch  nicht  zerstört.  Der  nächste  Papst 
Pius  V.  war  einer  der  strengsten  unter  den  strengen;  er  ist  es,  und 
er  eigentlich  allein,  der  der  bildenden  Kunst  nahezu  feindlich  gegen- 
übergestanden ist.  Die  antiken  Statuen  nennt  er  bereits  Idola  anti- 
quorum.  Er  stößt  sich  also  schon  am  Heidnischen  daran,  er  verehrt  nicht 
mehr  die  schöne  Form  um  ihrer  selbst  willen.  Der  heidnische  Vor- 
stellungszweck, der  damit  verknüpft  war,  konnte  ihn  doch  nicht 
beunruhigen,  wer  hätte  damals  an  die  antiken  Götter  glauben  mögen? 
Er  fürchtete  den  psychischen  Ausdruck  in  den  Statuen  an  und  für  sich. 
26  Statuen  aus  dem  Belvedere  schenkt  er  an  den  Großherzog  nach 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  7 


Florenz,  ihm  selbst  war  es  nur  darum  zu  tun.  dieselben  aus  seinem 
Palaste  loszubekommen.  Seit  jenem  Vcrschleppungsverbot  Pauls  III. 
waren  nicht  viel   mehr  als  30  Jahre  vergangen. 

Auf  Pius  V.  folgte  Gregor  XIII.,  der  den  Kalender  reformiert 
hat,  und  dann  Sixtus  V.  Es  war  ein  Zeitalter  für  die  Kunst,  wie  es 
seit  Julius  II.  nicht  mehr  dagewesen  war;  aber  die  Kunstfreundlich- 
keit der  Päpste  ging  nicht  über  die  Architektur  hinaus:  höchst  be- 
zeichnend für  das  Zeitalter  der  strengen  Gegenreformation.  In  ihm 
drückt  sich  die  Veränderung,  die  inzwischen  in  dem  Verhältnis  der 
Römer  zur  Antike  Platz  gegriffen  hatte,  zuerst  mit  voller,  entschie- 
dener Bewußtheit  aus.  Für  Sixtus  V.  haben  die  Denkmäler  der 
heidnischen  Antike  nur  den  einzigen  Zweck,  zur  Verherrlichung  des 
Christentums  zu  dienen.  Soweit  die  Denkmäler  hierzu  geeignet 
waren,  schützte  er  sie;  wenn  nicht,  so  mißachtete  er  sie,  ja  er  ging 
in  vielen  Fällen  direkt  an  ihre  Zerstörung.  Am  bekanntesten  aus 
seiner  Regierung  ist  infolge  populärer  Erzählungen  die  Aufstellung 
des  Obelisken  vor  S.  Peter.  Es  war  für  die  damalige  Zeit  eine  be- 
trächtliche mechanische  Leistung;  viele  zweifelten  von  vorneherein 
an  der  Möglichkeit  des  Gelingens,  den  Obelisk  zu  heben,  wo  er 
stand  (hinter  S.  Peter),  zu  transportieren  und  wieder  aufzustellen. 
Sein  Lcibarchitckt  Domenico  Fontana  hat  es  durchgeführt.  Der 
Papst  war  glücklich  darüber.  Unternehmungen  solcher  Art  sind  für 
sein  Kunstwollen  charakteristisch.  Eine  rein  materielle  Leistung,  bei 
der  das  Psychische  gar  nicht  in  Frage  kam.  Auf  die  Spitze  kam 
ein  Kreuz,  das  eine  Kreuzpartikcl  in  sich  schloß.  Noch  andere 
Obelisken  ließ  er  zu  ähnlichen  Zwecken  auf  Plätzen  vor  berühmten 
Kirchen  aufrichten  (z.  B.  den  auf  dem  Lateranplatz).  Ähnlich  verfuhr  er 
mit  den  Säulen  des  Trajan  und  des  Marc  Aurel.  Er  machte  sich  um 
ihre  Konservierung  verdient,  da  er  sie  restaurieren  ließ,  und  be- 
wahrte sie  durch  das  Interesse,  das  er  daran  nahm,  vor  weiteren 
Zerstörungen.  Aber  auf  die  Trajanssäule  ließ  er  eine  Statue  des 
h.  Petrus,  auf  die  Marc  Aurelsäule  einen  h.  Paulus  setzen.  Am 
Kapitol  waren  unter  anderem  antike  Statuen  eines  Jupiter  tonans, 
ein  Apoll  und  eine  Minerva.  Die  zwei  ersteren  ließ  er  entfernen; 
die  Minerva  ließ  er  zu  einer  Statue  des  christlichen  Rom  umarbeiten, 
indem  er  ihr  den  Speer  nahm  und  dafür  ein  riesiges  Kreuz  in  die 
I  land  gab. 


-    99    - 

Was  von  Antiken  sich  zu  solchen  Zwecken  der  Verherrlichung 
des  Christentums  nicht  gebrauchen  ließ,  fand  vor  seinen  Augen 
gar  keinen  Anwert.  Wo  war  die  humanistische  Begeisterung  für  die 
Antike  um  ihrer  selbst  willen  hingeraten?  Der  Papst  schreckte  vor 
Zerstörung  nicht  zurück,  und  leider  ist  die  Annahme  eine  nur  zu 
sichere,  daß  unter  ihm  sehr  viel  zugrunde  gegangen  ist.  Für 
einen  Konservator  der  Altertümer  war  da  keine  Verwendung  mehr. 
So  fiel  als  Opfer  der  Rest  des  Scptizoniums  des  Scptimius  Severus. 
Die  paar  gut  erhaltenen  Säulen  daran  ließ  er  nach  S.  Peter  schaffen. 
Dann  ließ  er  1588  Hand  legen  an  das  Grabmal  der  Cäcilia  Metclla. 
jenen  denkwürdigen  Rest  aus  republikanischer  Zeit,  das  Wahrzeichen 
der  Via  Appia.  Doch  das  ließen  sich  die  Römer  doch  nicht  nehmen. 
Reine  humanistische  Begeisterung  war  es  wohl  nicht,  aber  Lokal- 
patriotismus, der  die  Leute  bewog,  beim  Papst  dagegen  vorstellig 
zu  werden.  Die  Kardinäle  wurden  bestürmt  zu  intervenieren,  daß  der 
Zerstörungssucht  des  Papstes  gegenüber  den  antiken  Denkmälern  Ein- 
halt getan  werde.  Das  Grabmal  der  Cäcilia  Metella  wurde  in  der  Tat 
gerettet;  man  mußte  es  im  17.  Jahrhundert  noch  einmal  retten,  wie 
sich  zeigen  wird.  Wie  vieles  aber  nicht?  Um  die  volle  Tragweite 
dieses  Verhaltens  des  Papstes  richtig  zu  würdigen,  muß  man  sich 
immer  daneben  gegenwärtig  halten,  daß  Sixtus  V.  kein  Barbar  der 
Kunst  gegenüber  war,  und  zwar  besonders  der  Baukunst  gegen- 
über. Im  Gegenteil,  seit  Julius  II.  war  kein  so  gewaltiger,  hoch- 
sinniger Bauherr  auf  dem  Stuhl  Petri  gesessen,  als  Sixtus  V.  Alle 
seine  Bauten  waren  groß  entworfen.  Echte  Römergesinnung  der  alten 
Zeit  sprach  aus  ihnen.  Wasserleitungen  ließ  er  wiederherstellen, 
wovon  die  Bogen  über  die  Campagna  erhalten  waren.  Danach  baut 
er  aus  der  Aqua  Marcia  die  Aqua  Fclicc  (nach  seinem  Taufnamen  ge- 
nannt) mit  monumentalem  Auslaufbrunnen  bei  den  Thermen  des 
Diocletian.  Die  Hügel  sucht  er  zu  besiedeln,  die  Stadtquartiere  inner- 
halb der  aurelianischen  Mauern  wiederherzustellen.  Er  legte  ganze 
Stadtteile  an  zwischen  Esquilin  und  Pincio.  Von  monumentalen 
Kunstbauten  ist  es  vor  allem  S.  Peter,  das  er  am  Herzen  hatte;  wie 
er  den  Ausbau  mit  allen  Mitteln  beschleunigte,  habe  ich  schon 
früher  erzählt.  Von  den  übrigen  Bauten  zu  reden  wäre  zu  weitläufig. 
Von  Palastbauten  sei  bloß  der  Latcranpalast  von  Domenico 
Fontana    erwähnt;    wieder    wurden    dabei    uralte    Bauten    nieder- 


-     100    - 

gerissen,  aus  der  ersten  Zeit  der  Christenheit  (der  Lateran  ist  die  älteste 
Kirche  des  römischen  Bistums).  Man  sieht,  wie  frei  sich  die  Gegen- 
reformation auch  dem  Altchristentum  gegenüber  gefühlt  hat.  Man 
empfand,  daß  man  trotz  äußerlicher  Reformbestrebungen  doch  inner- 
lich mit  dem  Wesen  des  Aitchristcntums  wenig  Gemeinschaft  mehr 
hatte.  Und  überall  ist  es  majestätische  Pracht  und  Größe  des  neuen 
päpstlichen  Rom,  worauf  die  Tendenz  der  Bauführung  gerichtet  ist. 
Die  Tendenz  des  strengen  römischen  Barock  hat  in  Sixtus  V.  als 
Bauherrn  ihre  Inkarnation  erfahren.  Man  will  bauen  so  grandios  wie 
die  alten  Römer,  ja  man  will  sie  darin  übertreffen;  und  zu  diesem 
Zwecke  bedient  man  sich  ihrer  Formen,  ja  ihrer  Werke  selbst;  aber 
von  einem  tieferen,  inneren  Respekte  vor  diesen  antiken  Werken  und 
Formen  fühlte  man  sich  völlig  frei.  So  hatte  sich  innerhalb  eines 
Halbjahrhundcrts  die  Stimmung  gegenüber  der  klassischen  Antike 
gerade  in  ihr  Gegenteil  verkehrt. 

Weil  ich  gerade  dabei  bin,  will  ich  vorgreifend  gleich  einige 
Daten  aus  dem  17.  und  18.  Jahrhundert  beifügen,  um  in  kurzer 
Skizze  zu  zeigen,  wie  sich  das  Verhältnis  der  römischen  Kurie  und  der 
römischen  Kunst  zur  klassischen  Antike  weiterhin  gestellt  hat,  und 
wie  man  schließlich  in  Rom  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts wieder  gewissermaßen  zur  Auffassung  der  Renaissance, 
wenigstens  zu  einer  freundlicheren  Auffassung  der  Antike  zurück- 
gekehrt ist.  Nach  Sixtus  V.  folgten  einander  eine  Reihe  von  Päpsten, 
alle  gewaltige  Bauherren  und  alle  im  Geiste  Sixtus  V.  Einer  der 
berühmtesten  ist  Paul  V.  Borghese,  derselbe,  der  endgültig  den 
Zentralbau  Michelangelos  und  Bramantes  in  einen  Langhausbau  um- 
wandelte. Paul  V.  ließ  nun  den  Rest  des  Mincrvatempels  am  Forum 
transitorium  zerstören,  um  Material  zu  gewinnen  für  seine  eigenen 
Bauten:  einen  großartigen  Nutzbau  in  der  Art  Sixtus  V.,  die  Aqua 
Paola,  und  für  die  Capella  Paolina  in  S.  Maria  Maggiorc,  gleich- 
falls ein  Gegenstück  zu  einem  Bau  Sixtus  V.,  der  Capella  del  Presepio. 
Gleichzeitig  mußten  auf  dem  Quirinal  Reste  der  constantinischen 
Thermen  und  des  aurclianischen  Sonnentcmpcls  dem  Bau  von 
Palästen  weichen:  Palazzo  Rospigliosi  und  Villa  Aldobrandini. 
Gregor  XV.  Ludovisi  bildet  gewissermaßen  eine  Ausnahme,  sein 
Kardinalnepot  brachte  die  Hunderte  von  Statuen  für  die  Villa 
Ludovisi    zusammen;    aber    es  war    mehr  zur  Dekoration    der  Villa 


gemeint.  Urban  VIII.  Barberini,  der  größte  Kunstpapst  des  17.  Jahr- 
hunderts, ist  in  dieser  Richtung  am  bekanntesten  geworden  durch 
die  Entführung  der  Bronzebalken  „decora  inutilia"  aus  der  Vorhalle 
des  Pantheon,  1626,  für  Berninis  Tabernakel  in  S.  Peter  und  für 
Kanonen.  Da  spotteten  selbst  die  Römer:  Quod  non  fecerunt  bar- 
bari,  fecerunt  Barberini.  Das  beweist,  daß  eine  aktion  im  Zuge  war. 
Auch  er  wollte  das  Grabmal  der  Cäcilia  Metella  jrstören  lassen,  um 
Material  für  die  Fontana  Trevi  zu  bekommen;  wieder  hat  es  das  Volk 
verhindert.  Alexander  VII.  Chigi,  der  größte  Kunstförderer  unter 
den  Päpsten  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  (Kolonnaden 
von  S.  Peter!),  ließ  den  Marc  Aurel-Bogen  am  Korso  zerstören; 
allerdings  solche  Zerstörungen  sind  schon  entschuldbarer;  sie 
könnten  vielleicht  auch  heute  vorkommen,  denn  dieser  Bogen  war 
ein  Verkehrshindernis,  das  sich  am  Korso  sehr  fühlbar  machte; 
heute  würde  man  ihn  an  anderer  Stelle  wieder  aufrichten. 

Selbst  noch  im  18.  Jahrhundert  begegnen  einzelne  Akte  der 
Zerstörung:  beim  Bau  der  Ripetta  (des  Tiberhafens),  1704,  wurden 
noch  immer  Travertinquadern  vom  Kolosseum  verwendet.  Unter 
Clemens  XII.  wurden  die  letzten  antiken  Baureste  am  Quirinal,  der 
noch  im  16.  Jahrhundert  damit  ganz  angefüllt  war,  mit  Pulver  ge- 
sprengt, um  für  den  Bau  der  Consulta  Platz  zu  schaffen.  Aber  der- 
selbe Clemens  XII.  ließ  den  Konstantin-Bogen  restaurieren  (das  war 
aber  allerdings  der  Bogen  eines  christlichen  Herrschers).  Ferner 
verwendet  noch  Benedict  XIV.  für  den  Bau  von  S.  Crocc  in 
Gerusalemme  Materialien  aus  den  Trümmern  des  sessorianischen 
Palastes.  Aber  er  ist  der  erste,  der  der  weiteren  Zerstörung  des 
Colosseums  Einhalt  getan  hat,  indem  er  einige  Kapellen  hinein- 
bauen und  das  ganze  zur  Chiesa  pubblica  weihen  ließ.  In  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  entsteht  die  Villa  Albani,  mit 
der  wir  in  Winckehnanns  Sphäre  eintreten,  der  ja  Sekretär  des  Kar- 
dinals Albani  gewesen  ist.  Schon  in  ihrer  Architektur  werden  auf- 
keimende klassizistische  Neigungen  bemerkbar;  aber  besonders 
wichtig  ist  sie  uns  als  Sammelpunkt  für  antike  Kunstwerke,  die 
großenteils  gemäß  Winckehnanns  Rat  gekauft  wurden.  Der  völlige 
Sieg  der  klassizistischen  Richtung,  d.  h.  eines  neuerlichen  Interesses 
für  die  Antike  und  ihre  Überreste  erscheint  besiegelt  um  1800,  als 
im    vatikanischen    Palaste    neue    Museumsräumc    für    antike   Statuen 


—     102    - 

hergerichtet  wurden.  Seit  Pius  IX.  hat  sich  das  Interesse  des  päpst- 
lichen Rom  zunehmend  den  Denkmälern  der  altchristlichen  Zeit  zu- 
gewendet. Überhaupt  ist  diese  Begeisterung  für  die  Antike  seit  der 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  seit  Winckelmann,  sehr  verschieden  von 
derjenigen  unter  Leo  X.  In  der  Renaissance  war  sie  eine  künstlerisch- 
innigere, jetzt  ist  sie  eine  antiquarisch-äußerliche.  Die  Kenntnis 
der  Antike  ist  jetzt  eine  größere;  wärmer  empfanden  sie  die  Re- 
naissancemenschen. Dazwischen  lag  eben  eine  Zeit,  in  der  man  in 
allen  technischen  Fragen  die  antike  Baukunst  zu  übertrumpfen  ge- 
lernt hatte:  die  Barockzeit.  In  ein  so  naives  Schaffensverhältnis  zur 
Antike  wie  zur  Renaissancezeit  konnte  man  nicht  mehr  treten,  und 
wird  es  überhaupt  nie  mehr  können:  das  Zeitalter,  welches  diesen 
Umschwung  einleitete,  war  dasjenige  der  „Aufklärung"! 

Folgende  Meister  sind  es  hauptsächlich,  die  der  römischen  Bau- 
kunst in  der  zweiten  Flälfte  des  16.  Jahrhunderts  und  dem  ersten 
Drittel  des   17.  das  Gepräge  geben: 

1.  Die  ältere  Generation  bis  zirka  1570,  die  noch  vom  tiefsten 
Respekte  vor  den  antiken  Denkmälern  erfüllt  war,  die  von  den 
Theoretikern  ausgeht,  dann  aber  unter  den  bezwingenden  Einfluß 
des  Michelangelo  gerät:  sie  ist  repräsentiert  durch  Vignola,  den 
nach  Rom  zugereisten  Bolognesen  (wie  Serlio,  aber  Vignola  war 
seiner  künstlerischen  Herkunft  nach  Bolognese). 

2.  Eine  jüngere  Generation  bis  zirka  1590,  die  schon  un- 
mittelbar in  der  Schule  des  Michelangelo  aufwächst:  eine  römische 
Schule,  repräsentiert  durch  Giacomo  della  Porta.  Diese  reprä- 
sentiert den  Höhepunkt  der  Baukunst  des  streng  reformatorischen 
Zeitalters;  die  eigentliche  schöpferische  Phase  erreicht  mit  ihm  ihre 
Vollendung  und  ihren  Abschluß. 

3.  Eine  jüngste  Generation,  hauptsächlich  schon  ins  17.  Jahr- 
hundert fallend,  die  aus  dem  lombardischen  Maurerlande  einwandert 
und  sich  in  den  Dienst  eines  schon  fest  gewordenen,  ausgebildeten 
Kunstprinzips  stellt.  (Eine  Befruchtung  der  Römer  durch  Oberitalien 
wie  bei  Bramante,  aber  die  Römer  werden  dadurch  nur  zu  einer 
Stilauflockerung  veranlaßt;  diese  Lombarden  bilden  den  Übergang 
von  Michelangelo  zu  Bernini.)  Hauptsächlich  repräsentiert  durch 
Domenico  Fontana  (daneben  Martino  Lunghi)  und  Carlo 
Maderna. 


—     103     - 

Zuerst  betrachten  wirGiacomo  Barozzi,  nach  seinem  Geburts- 
orte gewöhnlich  kurzweg  Vignola  genannt  (einem  Apenninendorf  in 
der  Nähe  von  Modena),  geboren  1507,  gestorben  als  Dombaumeister 
von  S.  Peter  1573.  Seine  erste  Schule  hat  er  im  nahen  Bologna 
gemacht,  wo  auch  einige  Bauwerke  von  ü  erhalten  sind;  man 
erkennt  daran  die  Nachwirkung  der  obcritalien.  !ien  Frührenaissance, 
z.  B.  in  spielenden  Fcnstergiebelverzierungen,  lie  so  grundsätzlich 
dem  ernsten  römischen  Barockgefühl  widersprechen.  Von  Bologna 
kam  er  nach  kurzem  Verweilen  in  Frankreich  anfangs  der  vierziger 
Jahre  nach  Rom  und  trat  da  in  den  Dienst  der  vitruvianischen 
Akademie,  in  deren  Auftrag  er  die  Baudenkmäler  Roms  aufzunehmen 
hatte.  Die  Akademie  ist  zwar  bald  wieder  eingeschlafen,  aber 
Vignola  hatte  den  Nutzen  davon,  indem  er  selbst  seine  Auf- 
nahmen publizierte  in  der  Regola  delle  cinque  ordini  dcl- 
l'architettura,  1559  bis  1565  in  Rom  erschienen.  Es  ist  dies  die  beste 
Darstellung  der  antiken  Säulenordnungen  aus  jener  Zeit,  die  hie 
und  da  heute  noch  gebraucht  wird.  Vignola  wurde  infolgedessen 
lange  zu  den  Theoretikern  gerechnet  wie  Serlio;  aber  man  darf 
darüber  nicht  übersehen,  daß  er  später,  nach  neuerlicher  Abwesenheit 
in  Oberitalien,  nachdem  er  1550  wieder  nach  Rom  zurückgekommen 
war,  ganz  entschieden  zu  Michelangelo  übergegangen  ist  und  sich 
von  der  peinlich  strengen  Nachahmung  der  Antikenordnungen 
immer  mehr  emanzipiert  hat.  Die  Mittelstellung  zwischen  Theore- 
tikern und  Michelangelo  beweist  er  in  seinen  Arbeiten  an  der 
Vigna  di  Papa  Giulio.  Sein  Anteil  daran  ist  zwar  im  einzelnen 
nicht  genau  festgestellt,  aber  ich  will  das  merkwürdige  Bauwerk  bei 
dieser  Gelegenheit  zur  Sprache  bringen.  Heute  zu  einem  Museum 
etruskischer  Altertümer  eingerichtet,  früher  zeitweilig  als  Kaserne 
verwendet.  Manches,  namentlich  von  der  Detailausstattung,  zugrunde 
gegangen,  aber  die  bauliche  Anlage  noch  in  der  Hauptsache  wohl- 
erhalten, was  wunder  nimmt,  weil  der  Bau,  nur  für  die  private 
Passion  eines  Mannes  erbaut,  seit  seinem  Tode,  1555,  nie  mehr 
einem  wirklich  notwendigen  Zwecke  gedient  hat.  Er  verdient  mehr 
Berücksichtigung,  als  er  in  der  Regel  findet.  Es  handelt  sich  um 
eine  Schöpfung  Papst  Julius  III.,  des  letzten  humanistischen 
Papstes,  der  wohl  einsah,  daß  die  Aufgaben  des  Papsttums 
das    Einschlagen    einer     strengeren    Richtung    zwingend    forderten, 


—     104    - 

und  der  dieser  Richtung  auch  wenigstens  in  passiver  Haltung 
Folge  trug,  aber  dafür  nach  einer  Erholung  von  den  mißliebigen 
Regierungsgeschäften  verlangte.  Diese  Erholung  fand  er  im  Bau 
einer  Villa  oder  Vigna  vor  der  Porta  del  Popolo.  Es  handelt 
sich  weder  um  einen  Weinberg,  noch  um  eine  eigentliche  Villa. 
Es  gab  seit  der  Renaissancezeit  eine  städtische  Villa  (suburbana) 
in  nächster  Nähe  der  Stadt,  oder  wie  die  Villa  Farnesina,  sogar  noch 
innerhalb  der  Stadt  gelegen,  und  eine  Landvilla;  von  letzterer 
konnte  natürlich  gar  nicht  die  Rede  sein,  aber  auch  nicht  von  einer 
suburbana,  denn  bei  dieser  war  das  landschaftliche  Element  —  der 
Garten  —  seit  jeher  ein  ganz  wesentliches  (wie  z.  B.  in  der  Villa 
Madama,  die  Raffacl  und  Giulio  Romano  für  die  Medici  gebaut 
haben).  Es  war  vielmehr  eine  ganz  eigenartige  Aufgabe,  wie  sie 
niemals  wiederkehrte.  Der  Papst  war  gezwungen  im  Vatikan  zu 
residieren;  er  wollte  sich  aber  einen  Palast  schaffen,  in  dem  er 
wenigstens  bei  Tage  öfter  mehrere  Stunden  in  Zurückgezogenheit 
von  den  Geschäften  und  im  heiteren  Genüsse  verfeinerter  Lebens- 
güter zubringen  konnte.  Ein  eigentlicher  Palast  brauchte  es  aber 
auch  nicht  zu  sein,  weil  ein  ständiger  Wohnzweck  nicht  in  Frage 
kam.  Alle  praktischen  Anforderungen  an  einen  ständig  bewohnten 
Palast  fielen  hinweg,  und  darin  liegt  die  ganz  äußere  Berührung 
mit  der  Villa  suburbana,  die  auch  nicht  zum  ständigen  Wohnsitz 
eingerichtet  ist;  aber  der  Papst  wollte  doch  mehr  als  eine  Villa, 
er  wollte  sich  Sommer  und  Winter  und  bei  jeder  Witterung  darin 
behaglich  fühlen. 

Die  Idee  als  solche  ist  also  entschieden  noch  eine  renaissance- 
mäßige,  wenn  man  erwägt,  daß  es  ein  Papst  ist,  der  sie  gefaßt  hat.  Es  ist 
eine  ähnliche  Idee,  aus  der  Bramantes  Entwurf  für  den  großen 
vatikanischen  Hof  hervorgegangen  ist.  Insofcrne  darf  der  Bau  eine 
kulturhistorische  Bedeutung  für  sich  in  Anspruch  nehmen,  um  so 
merkwürdiger,  als  er  noch  in  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  möglich 
war.  War  nun  schon  die  Idee  eines  solchen  Mitteldinges  zwischen 
Palast  und  Villa  ein  spezifisches  Eigentum  des  Papstes,  so  hat  er  offen- 
bar auch  die  leitenden  Punkte  für  die  Ausführung  diktiert.  Vasari  be- 
richtet darüber  folgendes:  er  selbst  hätte  nach  des  Papstes  Wunsch 
und  Angaben  den  Gesamtplan  entworfen;  ausgeführt  hätten  ihn 
Vignola   und  Ammauati    (ein   Florentiner  Baumeister,    der    nächst 


-     105     - 

Vasari  damals  den  größten  Ruf  besaß).  Man  hat  aber  bezweifelt, 
daß  in  der  Tat  ein  einheitlicher  Entwurf  des  Vasari  zugrunde  liegt; 
man  glaubt  gewöhnlich,  der  Papst  habe  seine  Wünsche  beim  Fort- 
schreiten des  Baues  immer  wieder  geändert  und  die  jeweiligen  Bau- 
leiter hätten  sich  dem  anbequemt. 

Wenn  ich  das  Bauwerk  im  einzelnen  vorführe,  so  geschieht 
es  deshalb,  weil  es  insoferne  für  seine  Zeit  ein  Unikum  ist,  als 
daran  fast  gar  keine  praktischen  Gesichtspunkte,  sondern  rein  ästhe- 
tische in  Frage  kamen.  Der  Papst  wollte  zwar  für  sich  abgeschlossen 
leben  (das  verrät  schon  barocke  Empfindsamkeit),  er  wollte  aber 
überall  nur  von  größter  architektonischer  Schönheit  umgeben  sein. 
Wir  erfahren  daraus  das  Ideal  der  Übergangszeit  von  der  Renaissance 
zum  Barockzeitalter. 

Fassade:  zweigeschossig,  unten  wuchtig;  ungeheures  Portal,  das 
in  der  Mitte  vorspringt  und  einen  Balkon  trägt  mit  drei  Nischen  da- 
hinter (Dominante);  (verkröpfte  Rustizierung  der  Säulen  und  Pilastcr, 
für  die  Übergangszeit  charakteristisch,  vom  Norden  begierig  über- 
nommen). Auffallend  die  unbedeutenden  Flügeln  (schon  das  wurde 
sehr  bemängelt;  man  fragt,  ob  nicht  mehr  beabsichtigt  gewesen  ist, 
nach  oben  und  nach  den  Seiten;  sieht  aus  wie  ein  mittlerer  Aus- 
schnitt aus  einem  dreistöckigen  Gebäude).  Im  Erdgeschosse  Finestroni, 
Florentiner  Einfluß;  der  Rustikasturz  sprengt  das  Giebelfeld  kräftigst, 
wird  aber  doch  durch  den  Giebel  gebändigt:  gleichsam  der  Sieg 
des  Schönen  über  das  Starke.  Das  Obergeschoß  viel  sanfter;  hier  liegen 
spielende  Giebel  über  den  Fenstern,  wie  in  der  Bologneser  Früh- 
renaissance, deshalb  dem  Vignola  zugeschrieben.  (Barock:  vorspringen- 
des Portal,  Fensterkonsolen,  Giebelsprcngung.  Renaissance:  Unter- 
scheidung der  Geschosse,  oben  keine  Verkröpfung,  Rundbogen  )  Durch 
ein  Vestibül  betritt  man  den  Hof:  oblong,  gegen  die  Eingangsseitc 
im  Hemicycle  abgeschlossen.  Im  Erdgeschosse  gedrückte  Säulenhalle 
mit  ungeheuerer  Friesfläche  darüber  ( ein  michelangeleskcs  Grundmotiv) : 
zur  Hälfte  ganz  durchbrochen,  zur  anderen  Hälfte  ganz  geschlossen! 
Welcher  schneidende  Kontrast!  Das  Obergeschoß  geschlossen  mit 
Fenstern,  trotzdem  ein  Korridor  dahinterliegt,  den  die  Renaissance 
unbedingt  als  offene  Loggia  gestaltet  hätte.  Dieses  Vordergebäude 
zwischen  Fassade  und  Hemicycle  gibt  nun  die  einzigen  eigentlichen 
Wohnräume  des  Ganzen:    eine  Anzahl  von  Zimmern   mit  Malereien 


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der  Brüder  Zuccaro.  Was  weiter  kommt,  sind  fast  lauter  Schau- 
fassaden mit  wenigen  bedeutungslosen  Gelassen  dahinter,  mehr 
zum  Schein  als  in  Wirklichkeit.  So  einmal  die  zwei  geraden  Kulissen- 
wände, die  den  Hof  zu  Seiten  begrenzen,  auch  zweigeschossig;  das 
Auge  soll  nur  gefällige  harmonische  Verhältnisse  sehen :  Blend- 
arkaden, rundbogig,  durch  Pfeiler  mit  vorgesetzten  ionischen  Halb- 
säulen getrennt;  darüber  Attika :  ganz  Renaissance.  Dann  die  gerade 
Abschlußwand  gegenüber  dem  Hemicycle,  durchbrochen  in  der  Mitte 
von  dreiteiliger  Halle  (gerades  Gebälk  wegen  der  folgenden  Stei- 
gerung im  Abschlüsse),  die  nach  einem  hinteren  Hofe  führt;  dieser 
senkt  sich  vermittels  einer  Terrasse  zu  einer  Wasscranlage  im 
Souterrain,  als  „Bagni"  bezeichnet,  aber  es  ist  zweifelhaft,  ob  sie  jemals 
dazu  benützt  wurde.  An  dieser  abschließenden  Schauwand  ist  wieder 
das  Dekorationssystem  interessant:  unten  ganz  malerisch  in  Formen 
gebrochen,  dunkle  Schatten  zwischen  den  Formen,  die  stehen  ge- 
blieben sind;  im  Mittelgeschosse  schon  etwas  kompakt,  im  obersten  Ge- 
schosse ganz  geschlossen,  aber  in  der  Mittelachse  von  einem  Palladio- 
motiv  durchbrochen  (von  Vasari  auch  an  den  Uffizien  so  wirkungsvoll 
an  der  schmalen  Abschlußseite  gegen  den  Arno  verwertet,  hier 
aufstrebender,  mit  mehr  Spannkraft,  weil  die  zwei  Geschosse 
darüber  zu  tragen  sind).  Die  weiblichen  Hermen  als  Träger  im 
Untergeschosse  auch  bezeichnend:  Verwendung  organischer  Motive 
für  anorganische  Zwecke,  aus  demselben  Grunde,  aus  dem  schon 
Michelangelo  das  Muschelgebilde  verwendet  hat.  Also  auch  barock: 
nicht  zu  verwechseln  mit  den  mittelalterlichen  Trägern,  die  rein 
organisch  sein  wollen,  wirkliche  Träger.  Hier  aber  sind  es  Hermen, 
d.  h.  dekorative  Wesen,  die  nichts  Lebendes  darstellen  wollen,  aber 
sich  der  organischen  Form  äußerlich  bedienen.  Der  nordische  Kunst- 
geschmack hat  daran  besonderen  Gefallen  gefunden.  Der  strenge 
römische  Barockstil  hat  wohl  die  Muschel  akzeptiert,  aber  nicht  die 
Hermen  (nur  in  der  Landvilla,  in  der  dekorativen  Skulptur,  z.  B.  an 
Grabdenkmälern,  und  im  Kunstgewerbe).  Auch  hier  stehen  die  Hennen 
schon  an  untergeordneter  Stelle,  aber  mit  großer  Sorgfalt  gearbeitet. 
Dann  ist  Vignola  für  die  Farnescn  tätig  gewesen.  In  ihrem 
Dienste  hat  er  den  Palazzo  Farnese  in  Piacenza  gebaut,  wichtig 
deshalb,  weil  damit  das  strenge  römische  Barockpalastsystem  nach 
der  Lombardei   überführt    erscheint    (Emanzipierung  der  Mezzanine 


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von  den  Geschossen).  Aber  es  ist  charakteristisch,  daß  das  System 
hier  keinen  Anklang  und  keine  rechte  Nachfolge  gefunden  hat. 

Ferner  hat  er  für  die  Farnesen  das  Schloß  Caprarola  bei 
Viterbo  erbaut,  auch  ein  Unikum,  weil  es  ein  fester  Schloßbau  und 
Luxuspalast  zugleich  ist.  Sonst  waren  in  Italien  die  Schlösser  streng 
festungsmäßig  (Este,  Ferrara);  in  der  Renaissance  werden  sie  ganz 
fallen  gelassen.  Statt  dessen  Luxuspaläste  in  den  Städten.  Die  Ver- 
bindung beider,  wie  im  Norden,  kennt  man  in  Italien  nicht.  Man 
vermutet,  daß  Vignola  zu  dieser  Kombination  durch  seine  Eindrücke 
bei  seinem  kurzen  Aufenthalt  in  Frankreich  angeeifert  worden  ist 
(er  war  mit  Primaticcio  eine  Zeitlang  in  Fontaincbleau).  Das  Schloß 
ist  ein  Fünfeck,  mit  großem  ovalem  Hofe,  heute  noch  erhalten,  aber  ver- 
wahrlost. Die  ovale,  abgerundete  Form  des  Hofes  bemerkenswert! 
Die  Pfeiler  sehr  breit.  Innen  reiche  dekorative  Malereien  des  Federigo 
Zuccaro.  Das  Ganze  bildet  ein  sehr  instruktives  Übergangsdenkmal 
der  italienischen  Kunst  zur  strengen  Gegenreformationszeit.  Für  die 
Farnesen  hat  er  endlich  am  Palatin  die  Orti  Farnesiani  angelegt; 
heute  stark  verändert  und  beeinträchtigt;  einige  Terrassen  mit  Treppe 
und  einiges  Grottenwerk  ist  erhalten.  Vignola  hat  damit  auch  Anteil 
am  eigentlichen  Villcnbau  genommen;  auch  die  Villa  Lante  bei 
Viterbo  wird  ihm  zugeschrieben.  Doch  ist  sein  Anteil  an  der  Ent- 
wicklung des  Villenbaues  nicht  rein  auszumachen.  Wir  werden  den 
Villenbau  erst  bei  seinem  Nachfolger  Porta  ins  Auge  fassen, 
dessen  Anteil  daran  klarer  zutage  liegt.  Aber  so  bedeutend  sein 
Schloßbau  von  Caprarola  den  Zeitgenossen  erschien,  seine  ent- 
scheidende Tätigkeit  in  Michelangelos  Spuren  hat  er  doch  im  Kirchen- 
bau entwickelt.  Nicht  so  sehr  als  Dombaumeister  von  S.  Peter,  als 
der  er  nur  die  Pläne  Michelangelos  auszuführen  hatte.  Die  zwei 
Nebenkuppcln,  die  er  ausführte,  hat  er  Michelangelo  gegenüber  etwas 
in  die  Höhe  gestreckt,  um  sie  nicht  ganz  durch  die  Hauptkuppel 
erdrücken  zu  lassen.  Seine  Hauptbedeutung  liegt  aber  in  seiner 
Tätigkeit  als  Architekt  der  Gesü,  der  Mutterkirchc  des  Jesuitenordens 
in  Rom,  seit  1568  gebaut.  Der  Orden  war  eben  in  Italien  und 
Spanien  zu  seiner  höchsten  Machtfüllc  gelangt  und  trat  seinen  Sieges- 
lauf in  den  übrigen  katholischen  Ländern  an. 

Bedeutung  dieses  Baues:  eine  Jesuitenkirche  in  Rom. 
Die  Jesuiten  kämpfen  für  die  geistliche  Weltherrschaft  des  Papstes  in 


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Rom;  das  ist  ja  die  gegenrcformatorischc  Tendenz,  deren  Träger 
eben  die  Jesuiten  sind.  Am  Zentralsitz  dieser  Weltmacht,  wo  auch 
der  Zentralsitz  ihrer  eigenen  Tätigkeit  ist,  errichten  sie  ein  Gottes- 
haus. Es  muß  also  1.  die  gegenreformatorische  Empfindung  darin 
zum  reinsten  Ausdruck  gelangen;  2.  schon  mit  Rücksicht  auf  den 
unweigerlichen  Gehorsam  der  Jesuitennicderlassungcn  gegenüber 
der  römischen  Zentralleitung  muß  diese  römische  Jesuitenkirche  ein 
Typus  werden  für  die  Jcsuitcn-Tochterkirchcn  in  den  übrigen  Ländern, 
aber  auch  für  den  neukatholischen,  gegenreformatorischen  Kirchen- 
bau überhaupt,  da  er  auch  von  den  Jesuiten  geführt  wird.  Die  Innen- 
anlage ist  zuerst  zu  nennen,  weil  von  ihr  alles  ausgeht;  jetzt  ist  der 
Innenraum  das  zuerst  Gegebene  (im  Altertum  die  äußere  begrenzende 
Hülle).  Wo  war  man  bei  Michelangelo  stehen  geblieben?  Bei  dem 
Zentralbau.  Raumstil:  ein  geschlossener  Innenraum,  in  dem  sich  alle 
Dimensionen  die  Wage  hielten;  aber  bei  Michelangelo  war  die  Tiefe, 
die  ja  den  Raumstil  wesentlich  bedingt,  so  weit  gesteigert,  als  es 
überhaupt  möglich  war,  ohne  den  Zentralbau  zu  sprengen.  Es  war 
schon  der  Konflikt  zwischen  Tiefe  einerseits,  Höhe  und  Breite  an- 
derseits gegeben.  Was  war  der  nächste  Schritt?  Noch  größere 
Steigerung  des  Tiefdranges,  also  Sieg  der  Tiefe  über  Höhe  und 
Breite,  Sprengung  des  Zentralbaues,  Übergang  zum  Langbau.  Ist  das 
nicht  eine  Rückkehr  zum  Alten?  Zum  Mittelalter,  zum  Altchristlichen, 
zur  Basilika?  Nein. 

Die  altchristlichc  Basilika  war  wohl  ein  Langbau,  aber  es  war 
kein  wirklicher  Raumstil,  wenigstens  so  lange  sie  1.  eine  flache  Holz- 
decke hatte.  Die  altchristlichc  Basilika,  d.  h.  das  Mittelschiff,  ist  ein 
provisorisch  gedeckter  Hof.  nichts  mehr.  Nach  oben  sollte  er  sich 
eigentlich  nach  dem  freien  Himmel  öffnen.  2.  Nach  den  Seiten  aber 
war  sie  in  Säulcnstellungen  aufgelöst,  hinter  denen  die  Seitenschiffe 
liefen.  —  Das  wird  heute  leicht  übersehen.  In  S.  Paolo  fuori  lc 
mura  empfängt  man  einen  gewaltigen  Raumeindruck  und  Übersicht, 
daß  die  Seiten  in  zwei  Säulenstellungcn  hintereinander  durchbrochen 
sind  (je  breiter  das  Mittelschiff,  desto  mehr  Seitenschiffe,  d.  h.  Säulen- 
reihen brauchte  man,  um  dem  Mittelschiff  den  Charakter  des  Ge- 
schlossenen zu  benehmen).  Das  ist  aber  erst  heute,  oder  seit  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  so.  Das  Mittelschiff  der  altchristlichen  Basilika 
bot  vielmehr  gar  keinen  Raumeindruck.    Das   Mittelschiff    war   ganz 


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versteckt  mit  Einbauten:  der  Priesterchor  mit  seinen  Schranken 
(S.  demente,  erst  am  Ende  des  11.  Jahrhunderts),  dann  zwei  Kanzeln; 
auf  dem  Bauriß  von  S.  Gallen  sogar  Altäre,  zwar  nordisch,  aber  die 
Liturgie  der  karolingischen  Zeit  war  auch  im  Norden  die  römische.  Erst 
die  Barockzeit  verlangte  ein  geschlossenes  Raumbild  und  beseitigte 
fast  überall  diese  Einbauten,  wie  wir  vielfach  überliefert  wissen,  aus 
Sixtus  V.  Zeit  namentlich.  Der  Jesuit  Grisar  bedauert  dies  als  Ent- 
stellung, und  doch  ist  es  die  Konsequenz  gerade  des  in  den 
Jesuitenkirchen  zum  herrschenden  Ausdruck  gelangten  Geistes.  Auch 
die  zahlreichen  Fenster  oben  wurden  in  dieser  Zeit  zum  Teil  ver- 
mauert. Also  der  neurömisch-katholische  Kirchenbau  ist  wieder  ein 
Langbau  wie  die  altchristliche  Basilika,  aber  es  ist  ein  geschlossener 
Innenraum,  wie  der  Zentralbau  der  vollendeten  Hochrenaissance. 
Die  Seitenschiffe  fallen  weg,  das  Querschiff  wird  vereinfacht,  die 
Kuppel  über  der  Vierung  bewahrt  den  Eindruck  der  Zentralität, 
statt  flacher  Decke  ein  einheitliches  Tonnengewölbe. 

Grundriß:  einschiffiger  Saal,  kurzes  Langhaus,  so  daß  man 
schon  vom  Eingang  aus  die  Kuppel  wahrnimmt.  Sic  ist  ebensowenig 
wie  das  Querhaus  etwas  Überraschendes,  Unbegrenztes;  begleitende 
Kapellen,  als  Formen  der  raumbegrenzenden  Flächen  in  tastbarer 
Nähe.  Die  Querarme  fast  nicht  ausladend,  bloß  breitere  Kapellen. 
Die  Kapellen  alle  breit  geöffnet,  gleichsam  Nischen  in  der  Mauer, 
nicht  selbständige  Teile  mit  eigenem  Zugang,  nur  vor  der  Kuppel 
eine  schmale  Öffnung,  um  zum  Aufschwung  der  Kuppel  vorzu- 
bereiten. Die  Kuppel  macht  sich  auch  am  Anfang  des  Langhauses 
schon  geltend  Das  Langhaus  ist  eben  kurz;  auch  darin  äußert  sich 
die  Beziehung,  in  der  man  immer  noch  gewissermaßen  zum  Zentral- 
bau bleibt. 

Aufriß:  von  der  Umfassungsmauer  sind  unten  nur  Pfeiler  stehen 
geblieben,  verkleidet  mit  einer  Kolossalordnung  von  Doppclpilastcrn 
(nach  Bramantcs  Vorbild;  an  den  Kuppelpfeilcrn  Häufung  von  vor- 
tretenden Pilastcrn  nach  Michelangelos  Vorbild).  Dazwischen  öffnen 
sich  in  Rundbogen  die  Kapellen;  über  den  Rundbogen  sind  Emporen 
(offenbar  vom  Meister  durch  den  Orden  gefordert)  angebracht,  die 
aber  mezzaninartig  verhehlt  sind,  statt  offener  Loggien  wie  die 
mittelalterlichen  Emporen.  Über  der  Kolossalordnung  unverkröpftes 
Gebälk  und  eine  wuchtige,  lastende  Attika  und  darüber  das  Tonnen- 


gcwölbc;  in  das  Tonnengewölbe  sind  die  Fenster  eingeschnitten, 
eine  gewaltsame  Lösung,  weil  Fensterlaibungen  nicht  parallelogram- 
matisch  bleiben  können  (wie  es  die  Antike  nie  getan  hätte,  wohl 
aber  die  byzantinische  Kunst,  z.  B.  in  S.  Vitale).  Das  Auge  trifft 
nirgends  auf  eine  glatte  Wandfläche,  sondern  überall  auf  Geformtes. 

Lichtführung:  wird  ein  sehr  wesentliches  Moment  in  der 
Raumkunst,  die  ja  auf  optischer  Aufnahme  beruht.  Am  vollendetsten 
ist  sie,  wie  im  Pantheon,  als  reines  Oberlicht  im  Gewölbescheitel: 
gleichmäßiges  Erleuchten  aller  Partien.  Das  kann  bei  einem  Lang- 
haus nicht  sein,  weil  die  Abmessungen  nicht  mehr  gleiche  sind. 
Aber  der  Barockstil  will  auch  nicht  mehr  gleichmäßige  Beleuchtung. 
Auch  hier  will  er  Kampf.  Er  will  Abwechslung,  freilich  zunächst 
noch  nicht  in  raffinierter  Weise,  dafür  ist  er  zunächst  zu  ernst,  nicht 
äußere  Licht-  und  Schattenspiele  um  ihrer  selbst  willen.  Aber  die 
Kapellen  bleiben  schon  jetzt  ganz  dunkel  (die  Altarbilder  zum  großen 
Kummer  der  Beschauer  oft  gar  nicht  auszunehmen).  Am  hellsten  ist 
der  Kuppclraum,  das  Langhaus  hat  zwar  oberes  Seitenlicht,  bleibt 
aber  doch  in  der  Helligkeit  hinter  dem  Kuppelraum  zurück. 

Immerhin  verträgt  der  einheitliche  Raum  keine  allzu  große 
Zersplitterung  in  der  Beleuchtung.  Aber  der  Keim  war  gegeben;  wir 
werden  sehen,  wie  eine  spätere  Periode  der  italienischen  Barock- 
kunst geradezu  den  Hauptreiz  in  den  Belcuchtungscffekten  gesucht 
hat.  Wir  fragen  nun,  woher  hat  Vignola  dieses  System  geschöpft? 
Die  Frage  ist  berechtigt,  denn  war  Brauchbares  vorliegend,  dann 
konnte  es  benutzt  werden,  nur  wäre  es  dazu  auch  dann  gekommen, 
wenn  kein  Vorbild  dagewesen  wäre.  Einschiffige  Säle  hat  es  immer 
gegeben:  1.  die  großen  Säle  der  römischen  Thermen  der  Kaiserzeit 
(S.  Maria  degli  Angeli),  mit  begleitenden  Kapellen;  2.  in  der  alt- 
christlichen  vorconstantinischen  Zeit;  da  waren  die  Scholac,  die 
ältesten  Versammlungsorte  der  Christen,  einfache,  einschiffige  Säle 
mit  Apsis  und  seither  so  viele  isolierte  Kapellen  im  ganzen  Mittel- 
alter bis  in  die  Neuzeit  herein;  diese  stammen  von  den  Scholae  ab, 
sind  aber  halb  und  halb  Nutzbauten;  3.  in  der  südfranzösischen 
Baukunst  der  romanischen  Periode,  einschiffige,  tonnengewölbte  Säle, 
mitunter  mit  begleitenden  Nischen  in  den  Scitenwänden.  Das  ist 
schon  sehr  wichtig,  es  ist  nämlich  das  spezifisch  Antikisierende,  die 
Nachfolge  der  Thermensäle  der  römischen  Profankunst,  gegenüber  dem 


—   111    - 

fränkisch-romanischen  System  der  Nordfranzosen,  das  zur  Gotik  ge- 
führt hat.  Die  südfranzösischen  Säle  kommen  auch  im  nördlichen  Spanien, 
in  Katalonien  vor.  Gurlitt  meint  nun:  der  Jesuitenorden  war  eine 
spanische  Gründung;  auch  das  System  der  Jesuitenkirchen  wäre 
durch  den  Bauherrn,  den  Jesuitengeneral  Borgia,  aus  seiner  kataloni- 
schen  Heimat  gebracht  worden:  Gesü  wäre  also  ein  spanischer 
Grundriß,  verquickt  mit  der  Kuppel  von  S.  Peter.  4.  Näher  liegen 
italienische  Vorbilder.  Die  Frührenaissance  hat  schon  um  die  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts,  bevor  man  es  gewagt  hat,  den  Zentralbau 
selbst  als  Ideal  des  christlichen  Kirchenbaues  hinzustellen,  heraus- 
gefunden, daß  der  einschiffige  Saal  der  ideale  Typus  eines  kirch- 
lichen Langhausbaues  wäre;  Leone  Battista  Alberti  hat  in  diesen 
Formen  S.  Andrea  zu  Mantua  aufgeführt  (einschiffiger  Saal  mit 
begleitenden  Kapellen  und  Vierungskuppel).  Das  ist  aber  eine 
Kirche  in  einer  bescheidenen  Provinzstadt.  Da  ist  das  Langschiff 
noch  sehr  lang,  das  Querschiff  sehr  ausladend,  die  Apsis  klein: 
alles  der  Einheitlichkeit  der  Raumwirkung  widerstreitend.  Das  Beispiel 
hatte  Nachfolge,  aber  wieder  nur  in  unbedeutenden  Exemplaren. 
Das  Verdienst  Vignolas  ist  es,  das  System  eben  an  einem  gewaltigen, 
entscheidenden  Kirchenbau  in  Rom  selbst  durchgeführt  zu  haben. 
Nur  an  einem  großen  Bau  konnte  das  volle  künstlerische  Er- 
gebnis dieses  Systems  zur  Geltung  gelangen:  der  gewaltige  Raum- 
eindruck. Und  dieser  wurde  jetzt  Postulat  seit  Michelangelo.  Da- 
mit kommen  wir  auf  die  eigentliche  Hauptabsicht,  die  dem  Ganzen 
zugrunde  liegt.  Der  Raum  hat  Fernsicht  zur  Voraussetzung.  Daher 
hatte  die  Antike  diesen  Begriff  erst  dann  geschöpft,  als  die  Kunst- 
auffassung sich  allmählich  von  der  streng  nahsichtigen  schon  weit 
entfernt  hatte.  Aber  die  klassische  Antike  wollte  jedes  Extrem  ver- 
meiden (wie  wir  am  Pantheon  gesehen  haben),  daher  schuf  sie  den 
Zentralbau.  Er  ist  ein  Raum,  aber  ein  klarer,  allseitig  in  gleich- 
mäßigen Abständen  begrenzter.  Die  gleiche  Ausgleichsstimmung  be- 
herrscht nun  die  Renaissance:  auch  Bramantc  will  in  S.  Peter  einen 
gewaltigen  einheitlichen  Raum  schaffen,  aber  das  Auge  sieht  nach 
allen  Seiten  gleiche  Abstände  —  ein  Gesetz  —  und  dabei  beruhigt 
es  sich.  Michelangelo  hat  in  S.  Peter  diese  Tendenz,  wie  wir  sehen, 
auf  die  Spitze  getrieben,  in  S.  Maria  degli  Angeli  ist  er  aber  dar- 
über hinausgegangen.  Auch  hier  ist  ein  einheitlicher,  gewaltiger  Raum, 


-    112    - 

aber  ein  oblonger,  d.  h.  die  Abmessungen  sind  nach  der  Länge 
und  Breite  verschieden.  Das  merkt  das  Auge,  und  es  vermißt  jenen 
Eindruck  der  gesetzmäßigen  Ordnung,  wie  ihn  der  Zentralbau  bietet. 
Es  entsteht  der  Eindruck  der  Ungewißheit,  Spannung,  Unruhe,  Be- 
wegung, des  Kampfes.  Das  suchte  schon  Michelangelo,  eben  weil  es 
das  Zcitgeschlecht  überhaupt  verlangte,  und  Vignola  hat  sich  darin 
nur  Michelangelo  angeschlossen.  Gewiß  ist  es  das  System  des  Alberti, 
aber  Vignola  hat  es  aus  ganz  anderen  Gründen  verwendet  (bei 
Alberti  sehr  langes  Langschiff,  sehr  ausladende  Querarme,  kleine 
Apsis:  alles  noch  im  mittelalterlichen  Geiste),  und  vor  allem  an 
einem  gewaltigen  Tempel,  was  Alberti  wohl  nie  getan  hätte.  Damit 
war  sein  Sieg  entschieden.  Natürlich  ist  die  Vereinigung  des 
Langhauses  mit  der  Kuppel  erst  recht  nicht  Vignolas  Erfindung 
(schon  romanisch,  auch  an  S.  Andrea  zu  Mantua);  nur  die  harmo- 
nische Art  der  Einfügung,  so  daß  die  Einheitlichkeit  nicht  wesent- 
lich gestört  wird,  trotz  der  Zusammenfügung  zweier  verschiedener 
Teile  unter  zwei  verschiedenen  Achsen,  ist  Vignolas  Meisterleistung. 
Die  Jesuiten  haben  das  System  nach  Möglichkeit  durchaus  fest- 
gehalten. Hat  man  dieses  System  als  solches  im  Auge,  dann  darf 
man  noch  am  ehesten  von  einem  Jesuitenstil  sprechen,  allerdings 
denkt  man  dabei  an  sinnbetörenden  Schwulst,  der  erst  später  hinein- 
gekommen ist. 

Wir  fragen  nun  nachdem  Äußeren,  das  doch  im  Zentralbau 
so  wichtig  ist,  aber  auch  im  Langbau,  hier  aber  besonders  die 
Fassade.  Die  mittelalterliche  Kirche  hat  am  Ende  noch  vier  Fassaden, 
die  Barockkirche  hat  nur  eine,  die  sich  zum  subjektiven  Beschauer 
wendet.  Da  ist  nun  ein  entscheidendes  Merkmal  für  diesen  barocken 
Langkirchenbau:  das  Äußere  wird  ganz  vernachlässigt  gegen- 
über dem  Inneren,  mit  einziger  Ausnahme  der  Fassade 
und  der  Kuppel,  die  aber  für  die  Nahsicht  ohnehin  verloren  ist; 
auf  die  Fassade  aber  wirft  sich  die  ganze  Gestaltungskraft  der 
Künstler.  Wir  ahnen,  daß  sich  hierin  wiederum  eine  der  tiefsten 
und  prinzipiellsten  Regungen  des  barocken  Kunstgeistes  äußert,  wir 
bemerken  einen  Kontrast  zwischen  äußerster  Schlichtheit  und  größtem 
Reichtum.  Die  Vernachlässigung  des  Äußeren  hat  der  Barockstil 
wiederum  mit  der  altchristlichen  Baukunst  gemein:  bei  dieser  ist 
es  —  wie  wir  schon  gesehen  haben  —  aus  Verachtung  gegenüber 


-     113    - 

der  äußeren  materiellen  schönen  Form  geschehen.  Gewiß  ist  ähnliches 
auch  in  der  gegenreformatorischen  Kunst  im  Spiele,  auch  sie  sucht 
wieder  nach  Verinncrlichung,  aber  eine  Seite,  und  zwar  die  Schau- 
seite wird  doch  auf  das  verschwenderischeste  hervorgehoben,  was 
die  altchristliche  Baukunst  nicht  getan  hatte,  die  auch  auf  die  Fassade 
keine  Rücksicht  genommen  hat.  Vignola  hat  für  den  Gesü  auch 
eine  Fassade  entworfen.  Aber  zu  seinen  Lebzeiten  war  der  Bau 
noch  nicht  so  weit  gediehen,  und  als  es  endlich  dazu  kam,  war 
der  Stil  inzwischen  über  das  von  Vignola  Gewollte  hinausgegangen, 
wie  es  immer  in  Zeiten  eines  werdenden  Kunstaufschwunges  zu  ge- 
schehen pflegt.  So  rasch  war  die  Entwicklung  noch  nie  gewesen. 
Infolgedessen  wurde  die  Fassade  in  reiferen  Formen  durch  den 
würdigsten  Nachfolger  des  Vignola,  durch  Giacomo  della  Porta 
aufgeführt.  Wir  werden  sie  dann  betrachten;  aber  Vignolas  Entwurf 
hat  sich  auch  erhalten;  es  wird  uns  nützlich  sein,  diesen  zum  Ver- 
gleich heranzuziehen. 

Ein  noch  instruktiveres  Beispiel  für  ein  barockes  Kirchen- 
äußeres bietet  S.Andrea  della  Valle.  Baustein,  ohne  Travertinvcr- 
kleidung.  Abteilung  nach  Kapellen  durch  flache  Pilaster,  eigentlich 
Wandstreifen.  Querschiff  hier  etwas  mehr  ausladend  als  im  Gesü 
(charakteristisch  für  die  Entwicklung,  schon  von  Maderna  ausgeführt, 
also  nach  1600).  Hohe  Attika  verbirgt  die  Strebemauern:  Gegensatz 
zur  Gotik,  die  daraus  ein  ästhetisches  Element  macht.  Neben  der 
Fassade  macht  sich  nur  noch  eines  nach  außen  bemerkbar:  die 
Kuppel.  Diese  aber  für  die  Fernsicht,  für  das  Stadtbild  im  ganzen, 
während  die  Fassade  für  die  Nahsicht.  Sie  folgt  im  Detail  und  in 
der  Umrißlinie  im  allgemeinen  der  Kuppel  von  S.  Peter.  Für  die  ita- 
lienischen Städte  sind  diese  Barockkuppeln  ebenso  charakteristisch, 
wie  für  die  nordischen  Städte  die  gotischen  Türme.  Dasselbe  auf- 
strebende Prinzip,  aber  bei  den  Italienern  proportioneller,  maß- 
voller, minder  einseitig. 

Giacomo  della  Porta,  nach  Baglione  ein  Römer,  nach  an- 
deren aber  ein  Oberitaliener,  aus  Porlezza  gebürtig.  Er  hat  sich  un- 
mittelbar an  Michelangelo  gebildet  und  darf  als  der  eigentliche 
Hauptmeister  der  römischen  Baukunst  der  strengen  gegenreforma- 
torischen Zeit  betrachtet  werden.  Er  starb  1604.  Seine  Bedeutung 
erstreckt    sich    gleichmäßig    auf    die  Kirchen-    und    Profanbaukunst. 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  S 


—     114     — 

Wir  betrachten  zuerst  seine  Leistungen  als  Kirchcnbaumeistcr.  Er 
hat  überall  das  Erbe  des  Vignola  angetreten;  als  Dombaumeister 
von  S.  Peter  und  als  Baumeister  der  Jesuitenkirche  Gesü.  Als  Dom- 
baumeister von  S.  Peter  hat  er  jedoch  nur  die  Pläne  des  Michel- 
angelo ausgeführt. 

Man  hat  zwar  die  definitive  Bildung  der  Kuppel,  wie  sie  heute 
erscheint,  durchaus  dem  Porta  zuschreiben  wollen.  Wahrscheinlich 
ist  dies  aber  nur  hinsichtlich  der  inneren  Schale  der  Fall,  die  er 
etwas  erhöht  hat  über  das  von  Michelangelo  gegebene  Maß  und 
worin  er  nur  dasjenige  gesteigert  hat,  was  Michelangelo  selbst  ge- 
wollt hat.  Aber  man  hat  ihm  auch  die  äußere  Umrißlinie  zuschreiben 
wollen,  ohne  zureichenden  Grund.  Wichtiger,  bahnbrechender  sind 
Portas  Leistungen  als  Baumeister  des  Gesü.  Hier  war  vielleicht 
noch  das  Tonnengewölbe  des  Inneren,  sicher  aber  die  Fassade 
fertigzustellen.  Er  verwarf  den  Plan  des  Vignola  und  stellte  einen 
neuen  auf.  der  auch  ausgeführt  wurde  und  in  der  heutigen  Er- 
scheinung der  Fassade  auf  uns  gekommen  ist.  Wir  gelangen  hier- 
mit zu  einem  der  wichtigsten  Kapitel  der  Kunstgeschichte:  zur  Ent- 
stehung der  katholischen  Kirchenfassade  der  neueren  Zeit. 
Dieses  Kapitel  war  bei  Michelangelo  nicht  zu  besprechen,  denn 
Michelangelo  hat  eine  solche  Aufgabe  nicht  durchgeführt.  Sie  war 
ihm  zwar  einmal  gestellt  worden,  noch  von  Leo  X.  Er  sollte  eine 
Fassade  für  S.  Lorenzo  in  Florenz  entwerfen;  aber  ich  habe  schon 
seinerzeit  erwähnt,  daß  die  bezüglichen  Entwürfe  nicht  zur  Reife 
gediehen  sind  und  uns  Michelangelo  keineswegs  als  den  entschlossenen 
Bahnbrecher  enthüllen,  als  der  er  sich  wenige  Jahre  später  in  den 
I  utw  iirfen  zur  Laureuziana  geoffenbart  hat.  Das  läßt  vermuten,  daß 
er  selbst  nicht  völlig  zufrieden  war  mit  den  Entwürfen,  und  selbst 
nicht  auf  ihre  Durchführung  gedrängt  hat. 

Als  Michelangelo  aber  zum  vollen  Bewußtsein  dessen  gelangt 
war.  was  er  für  die  Zukunftsbaukunst  hielt,  hat  er  sich  um  eine 
Kirchenfassade  nicht  mehr  annehmen  können,  denn  da  galt  ihm 
der  Zentralbau  über  alles.  Ein  Zentralbau  ist  aber  streng  genommen 
fassadenlos.  Für  seinen  Zentralbau  von  S.  Peter  hat  er  zwar  gegen 
den  Petersplatz  hin  eine  Fassade  entworfen,  die  aber,  für  die 
speziellen  Verhältnisse  berechnet,  auf  einen  Langhausbau  nicht  an- 
wendbar war. 


-     115     - 

Als  also  den  Nachfolgern  Michelangelos  die  Aufgabe  gestellt 
winde,  die  Fassade  eines  Kirchenlanghauses  zu  entwerfen,  da  hatten 
sie  kein  unmittelbares  Vorbild  des  Meisters,  an  das  sie  sich  an- 
zuhalten gehabt  hätten.  Infolgedessen  waren  sie  genötigt,  auf  die 
Tradition  zurückzublicken,  d.  h.  die  Fassaden,  die  vor  dem 
Zentralbau  von  S.  Peter  in  Rom  entstanden  sind,  gewannen  für 
die  Meister  nach  1550  Bedeutung.  Das  zwingt  auch  uns,  etwas  nach 
dieser  Seite  hin  auszugreifen. 

Die  italienische  Fassade  im  Mittelalter  ist  in  der  Regel  turm- 
los, das  gibt  ihr  den  Charakter  gegenüber  der  nordischen.  Das 
System  war  durch  die  Basilika  gegeben:  zweigeschossig,  wegen  ver- 
schiedener Höhe  der  Seiteuschiffe  und  des  Mittelschiffes,  das  letztere 
konnte  dadurch  dominieren,  mit  und  ohne  Giebel.  Dieses  System 
der  Basilika  begegnet  noch  an  den  spätesten  mittelalterlichen  Kirchen 
in  Rom:  S.  Agostino,  seit  1483  gebaut,  Pfeilerbasilika  mit  Kreuz- 
gewölben; auch  hier  gotischer  Hochdrang  sich  äußernd,  daher  hoch- 
ansteigend,  das  verrät  sich  auch  in  der  Fassade.  Zwei  Geschosse, 
das  untere  überaus  hoch.  Tendenz  auf  Ausgleich  der  drei  Dimensionen: 
Höhe  durch  Pilaster.  die  zur  Mauer  gehören  deichte  Verkröpfung 
des  Gesimses),  aber  flach,  nicht  stark  ausladend,  allzu  schlank,  trotz 
unterlegten  Sockelgcsimses.  das  durch  Türen  auffallend  durchbrochen 
wird;  Breite  durch  Gesimse,  Sockelstreifen,  Friese;  Tiefe  durch 
maßvolle  Ausladung  der  Gesimse  an  den  Türen,  namentlich  der 
Giebel  des  Hauptportals  auf  Konsolen  und  durch  Rahmenwerk  in 
den  Wandflächen  charakterisiert  (was  früher  durch  Inkrustation  be- 
werkstelligt worden  war).  Fenster  bloß  Rundfester  von  einem  Quadrat 
umzogen:  absolute  Ruhe,  weil  weder  Höhe  noch  Breite.  Im  Ober- 
geschoß die  gleiche  Behandlung.  Abschließende  Giebel.  Die  aus- 
springenden Winkel  zur  Ausgleichung  zwischen  Höhe  und  Breite, 
durch  Voluten  ausgefüllt,  wie  von  Alberti  an  S.  Maria  Novclla, 
aber  hier  plastischer,  mit  eben  solchen  Zwickelpalmetten.  Die  Aus- 
gleichung auch  sonst  unbefriedigend.  Die  nächste  Fassade  ist  die 
der  Anima  von  1514.  Man  gibt  das  Organische  der  Basilika  ganz 
preis,  und  teilt  die  Fassade  nach  den  Pilastern  in  drei  Geschosse: 
entschiedene  Verweltlichung,  aber  zugleich  Vereinheitlichung  mit 
Bezug  auf  das  Innere.  Gewöhnlich  für  den  Ausgangspunkt  wird 
die  Fassade  von  S.  Spirito  in  Sassia   genommen,    angeblich    von 


-     116     - 

Antonio  da  San  Gallo,  aber  höchstwahrscheinlich  später  gebaut. 
S.  Caterina  de'  Funari,  ziemlich  dasselbe  System  wie  S.  Spirito  in 
Sassia,  von  1563,  angeblich  von  Giacomo  della  Porta,  zweigeschossig, 
aber  statt  der  breiten  Seitenschiffe  ganz  schmale  Seitenpartien,  weil 
sie  bloß  Kapellen  entsprechen;  deshalb  auch  die  Voluten  sehr  steil. 
Die  Pilaster  stehen  einzeln  ruhig  nebeneinander  in  symmetrischer 
Reihung.  Ober  dem  Ganzen  ein  ruhiger,  ungebrochener  Giebel.  In 
der  Fassade  ist  noch  wenig  Kampf.  Überhaupt  stärkeres  Aufstreben, 
stärkere  Tiefe.  Nur  fällt  auf,  daß  alle  Flächen  verarbeitet  sind,  also 
Tendenz  auf  möglichst  reiche  Behandlung  der  Schauseiten  (an  S. 
Agostino  und  der  Anima  war  dies  noch  nicht  der  Fall);  zwischen 
den  Pfeilern  Nischen  und  eingestufte  Tafeln,  als  architektonisch-an- 
organische Gliederungen,  aber  in  den  Kapitellzonen  Festons  und 
Kartuschen,  also  sogar  organisches  Zierwerk.  Steigerung  der  Höhe 
und  Breite.  Fenster  aufstrebend,  Pilaster  zahlreicher,  Horizontalzoncn 
zahlreicher;  unten  Hochdrang,  oben  zentrales  Rundfenster!  Das 
Ganze  eine  Ebene,  aber  an  der  Mauer  tritt  der  mittlere  Teil  um 
einen  Schritt  heraus,  auch  sonst  Details  mehr  schattenwerfend. 
Portal  ausladender,  aber  Giebel  ruhig  auf  kannelierten  Säulen  ruhend 
(später  glatte  beliebt). 

Ist  die  Fassade  wirklich  von  Porta,  dann  hat  er  in  zehn  Jahren 
einen  ganz  wesentlichen  Fortschritt  in  der  von  Michelangelo 
gewiesenen  Richtung  gemacht.  Von  1573  datiert  die  entschei- 
dende Fassade  des  Gesü.  Auf  den  ersten  Blick  hat  man  Mühe 
zu  erkennen,  daß  hier  dieselben  Elemente  vorlagen  wie  bei 
S.  Caterina  de'  Funari,  zweigeschossig,  breiteres  Untergeschoß, 
schmäleres  Obergeschoß  mit  Giebel.  Ausgleich  der  einspringen- 
den Winkel  durch  Voluten.  Aber  man  empfängt  sofort  den  Ein- 
druck schwerer  Massigkeit;  das  Gegenteil  zur  Renaissance,  die 
immer  den  Eindruck  spielender  Leichtigkeit  erstrebt  hat.  Wir  fragen 
uns,  wodurch  ist  dieser  Eindruck  bedingt?  Durch  eine  ungeheuere 
Wand,  in  der  aber  alles  in  Bewegung  geraten  ist,  nach  Höhe. 
Breite  und  Tiefe.  Alle  Architcktursprachc  beruht  auf  dem  Gegen- 
satz zwischen  Horizontalismus  und  Vertikalismus.  Die  Last  der 
Materie  drückt  in  horizontaler  Lagerung  zu  Boden,  die  Kraft  des 
Wachstums  wirkt  gerade  aufrecht  entgegen.  In  der  Renaissance 
will  man    an  dieses  Kräfteverhältnis  möglichst  wenig  erinnern;  man 


soll  gar    nicht    daran   erinnert  werden,    daß    das  Gleichgewicht    ge- 
stört werden  könnte. 

An  dieser  Fassade  nun  ist  sowohl  das  Gewicht  der  horizon- 
talen Masse  als  die  Kraft  des  Aufwärtswachsens  auf  das  schärfste 
und  nachdrücklichste  betont.  1.  Vertikal:  Pilaster,  doppelt,  aber  nicht 
in  rhythmischer  Travee,  sondern  Schulter  an  Schulter,  um  besser 
stützen  zu  können.  2.  Horizontal:  vor  allem  die  Attika  über  dem  Ober- 
geschoß, die  hier  neu  ist  gegenüber  S.  Caterina.  Dann  die  hohen  Sockel, 
die  horizontalen  Akroterien  an  den  Seiten  des  Giebels,  die  schweren, 
unter  eigenem  Gewicht  niederrollenden  Voluten.  Man  sieht  beide 
Gegensätze  miteinander  ringen.  Man  sieht  den  Aufwand  an  Last  und 
ist  besorgt  darum,  ob  sie  auch  getragen  werden  kann.  Man  sieht 
den  Aufwand  an  Kraft  und  wird  dadurch  aufmerksam  gemacht,  daß 
es  eine  ungewöhnliche  Last  zu  tragen  gilt.  Diese  Betonung  der 
Massen  entspricht  genau  demjenigen,  was  wir  an  den  Figuren  des 
Michelangelo  angetroffen  haben:  ein  Übermaß  an  verwendeter 
Materie,  die  ausdrücklich  betont  erscheint.  Daneben  fanden  wir  aber 
dort  innere  Bewegung  aus  der  Tiefe  heraus;  sie  äußert  sich 
hier  in  doppelter  Art:  als  Steigerung  der  architektonischen 
Ausdrucksmittel  gegen  die  Mitte  zu,  und  parallel  damit 
ein  Heraustreten  einzelner  Mauerteile  aus  der  Fläche. 
1.  Steigerung  gegen  die  Mitte.  Die  Flanken,  die  unten  den 
Kapellen  des  Inneren  entsprechen,  sind  ganz  glatt  belassen,  man 
läßt  die  nackte  Mauer  zutage  treten,  weil  ja  doch  das  Auge  durch 
andere  Teile  angezogen  wird.  Oben  die  Voluten.  Im  nächsten 
Intervall  finden  sich  schon  Türen  und  Nischen  unten,  Nischen  und 
Tafeln  oben,  aber  auch  noch  in  geringeren  Dimensionen  als  die 
Ausfüllung  des  dritten  Intervalls,  das  die  Mitte  einnimmt:  die  eigent- 
liche Dominante,  mit  dem  Hauptportal  und  dem  Wappen  unten  und 
einem  einzigen  Fenster  darüber,  im  Giebelfeld  zu  oberst  ein  Wappen. 
Höchst  bedeutsam  ist  hier  die  Portalbildung.  In  S.  Caterina  war 
es  noch  ein  einfaches  Portal,  von  einer  Größe,  wie  sie  für  Menschen 
eben  paßt,  d.  h.  es  ist  der  menschliche  Maßstab  dabei  angewendet. 
Auch  am  Gesii  ist  die  eigentliche  Eingangsöffnung  (auch  die  mittlere. 
die  schon  größer  ist  als  die  seitlichen)  nach  menschlichem  Maß- 
stabe gebildet;  aber  das  Auge  wird  davon  ganz  abgelenkt  durch 
ein  grandioses  Schauportal,  das  die  volle  Höhe  des  Untergeschosses 


118     - 

einnimmt.  Es  ist  oben  abgeschlossen  mit  zwei  Giebeln,  die  inein- 
andergeschachtelt  sind.  Auch  hierin  äußert  sich  der  Drani;  ins  Über 
menschliche.  Die  Kunst  hat.  wie  dies  Michelangelo  zuerst  verkündig! 
hat.  ihre  eigenen  Gesetze,  die  keine  menschlichen  mehr  sind.  Die 
Eingangstür  erscheint  demgegenüber  nur  als  notwendiges  Übel  für 
die  unvollkommenen  Menschen  2.  Bewegung  der  Mauerteile. 
Natürlich  muß  die  Dominante,  also  der  mittlere  Teil  am  vordersten 
stehen;  das  Portal  mit  seinen  Halbsäulen  tritt  am  meisten  heraus. 
dann  kommt  gleichsam  die  Portalumrahmung  aus  zwei  Pilastern  mit 
dem  Segmentgiebel  darüber,  noch  weiter  zurück  treten  die  beiden 
Seitenintervalle;  endlich  die  flanken.  Wir  haben  also  vier  Pläne,  in  denen 
sieh  die  Mauer  bewegt.  Das  setzt  sich  fort  ins  Obergeschoß,  ja  selbst 
in  den  Giebel,  d.  h.  in  die  Fußlinie  des  Giebels  und  ins  Giebelfeld, 
hier  nur  in  einmaliger  Brechung.  Man  sieht,  wie  man  noch  Bedenken 
trägt,  die  einfache  klare  Dreieckstruktur  des  Giebels  zu  verwirren;  die 
Giebelschenkel  sind  das  einzige  Unverkröpfte,  hier  ist  die  Bewegung 
zum  Stillstand  gekommen.  Das  ist  etwas  Unerhörtes.  Wir  fanden 
die  Risalitbildung  schüchtern  an  der  Cancelleria.  aber  keines- 
wegs zielbewußt,  um  eine  Dominante  herzustellen;  an  S.  Caterina 
sahen  wir  den  ersten  Anlauf,  die  Hauptfront  gegen  die  Kapellcn- 
flankcn  etwas  herauszurücken,  aber  so  mäßig,  daß  es  kaum  einen 
Ausschlag  gibt.  Hier  ist  mit  einem  Schlage  schon  die  äußerste 
Konsequenz  gezogen:  die  Mauer  ist  als  ein  Bewegliches  erklärt. 
Den  Eindruck  der  Bewegung  erzeugen  auch  die  verschiedenen 
Pilasterintervalle;  die  kristallinische  Baukunst  erwartet  lauter  ganz 
gleiche  Intervalle  (S.  Caterina):  nun  sind  sie  aber  verschieden,  also 
nicht  kristallinisch  ruhend,  sondern  organisch  bewegt. 

Noch  eine  weitere  Art  der  Bewegung  hat  man  an  dieser 
Fassade  und  an  den  Barockfassaden  überhaupt  finden  wollen: 
den  Hochdrang.  Dieser  ist,  wie  wir  gesehen  haben,  aller- 
dings vorhanden,  aber  er  ist  nicht  einseitig  um  seiner  selbst  willen, 
sondern  als  Gegenwirkung  gegen  den  gleichzeitigen  Horizontal- 
drang  der  Masse.  Einen  wirklichen  Hochdrang  als  Selbstzweck 
hatte  die  nordische  Gotik  entwickelt.  Die  Barockkunst  kennt  ihn 
nur  als  notwendiges  Mittel  zum  Zweck.  Der  Hochdrang  ist  in 
der  Barockarchitektur  vorhanden,  um  mit  dem  Niederdruck  zu 
kämpfen. 


-     119     - 

Man  hat  gefunden,  daß  der  Hochdrang  namentlich  im  unteren 
Geschoß  herrscht,  im  oberen  aber  innehält  und  sich  gleichsam  löst. 
Man  sieht  z.  B.  unten  die  Nischengichcl  sich  in  die  Kapitcllzone 
hinaufdrängen,  oben  dagegen  unter  dieser  Zone  verbleiben  und  durch 
sie  niedergequetscht  werden.  Das  ist  begreiflich,  oben  ist  eben  nur 
mehr  der  Giebel  zu  tragen,  während  das  Untergeschoß  die  Attika, 
das  Obergeschoß  und  den  Giebel  zu  tragen  hat.  Der  Hochdrang 
muß  dort  am  stärksten  sein,  wo  auch  der  Niederdruck  am  stärksten 
ist.  Man  sehe  sich  nur  die  Voluten  an:  in  S.  Caterina  sind  sie 
leichte  spielende  Füllsel,  die  sich  an  die  beiden  Arme  des  Winkels 
bequem  und  mühelos  anlehnen.  Hier  sehen  wir  die  Voluten  deutlich 
herabrollen,  die  größere  Einrollung  ist  unten  und  lastet  herab; 
dagegen  hat    sie    gar    nichts    zu  tun    mit   dem  Tragen   des  Giebels. 

Detail.  Die  Formengcbung  mit  gesprengten  Giebeln,  Fuß- 
verlängerung der  Rahmenprofile  u.  dgl.,  kennen  wir  von  Michel- 
angelo. In  den  unteren  Nischen  sind  Heiligenfiguren  (Freiskulpturen) 
eingestellt  (das  nur  im  Untergeschoß,  nicht  auch  im  oberen,  be- 
deutet wohl  auch  absichtlichen  Nachdruck  auf  das  Untergeschoß). 
Das  wird  allmählich  Regel.  Der  Barockstil  verlangt  viel  Bildwerke 
zur  Dekoration,  darin  sich  mit  der  Gotik  wieder  berührend.  Dagegen 
ist  ein  Unterschied  gegenüber  S.  Caterina  scharf  hervorzuheben : 
in  den  Kapitellzonen  sind  die  Festons  und  die  Kartuschen  ver- 
schwunden. Das  Zierwerk,  der  Nachklang  der  schmuckfreudigen 
Renaissance,  muß  zurücktreten.  Es  drückt  sich  darin  die  herbe 
Kunstauffassung  des  Michelangelo  ebenso  aus  wie  der  strenge  Geist 
der  Gegenreformation,  der  an  den  kirchlichen  Werken  keine  über- 
flüssigen, spielenden,  den  Geist  ablenkenden  Zierwerke  duldete. 

Wenn  man  überhaupt  von  Kunstwerken  als  Repräsentanten 
des  gegenreformatischen  Geistes,  von  Erzeugnissen  einer  Jesuiteu- 
kunst  sprechen  kann,  so  ist  es  diese  Fassade  der  ersten  Jesuiten- 
kirche in  Rom.  Aber  daran  ist  noch  keine  Spur  von  jenem  über- 
quellenden Reichtum  an  Detail,  wie  man  ihn  gewöhnlich  mit  dem 
Begriff  der  Jesuitenkunst  verknüpft.  Nur  äußere  Erhabenheit  und 
innere  Bewegung  erscheint  angestrebt.  Es  war  dies  ganz  im  Geiste 
Michelangelos.  Es  darf  auch  gesagt  werden,  daß  die  Architekten  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  ihrem  großen  Vorbilde  weit 
näher  gekommen    sind    als  die  gleichzeitigen  Maler    und  Bildhauer. 


-     120     - 

Freilich  lag  das  nicht  so  sehr  an  den  höheren  künstlerischen 
Qualitäten  der  Künstler,  als  an  den  besonderen  Verhältnissen  der 
Kunstgebiete.  Was  Michelangelo  angestrebt  hat,  war  auf  die  Dauer 
nur  auf  die  künstlerische  Durchbildung  anorganischer  Massen  an- 
wendbar; daher  die  Erfolge  der  barocken  Baukunst  und  die  Wert- 
schätzung, die  wir  ihr  heute  noch  entgegenbringen.  In  Skulptur  und 
Malerei  konnte  Michelangelo  keine  Nachfolge  haben  in  dem  Sinuc, 
wie  er  sie  wünschen  mußte. 

Interessant  ist  der  Vergleich  des  Fassadenentwurfes  des  Vignola, 
wie  er  uns  in  einem  Stich  von  Villamena  erhalten  ist,  und  der 
Fassade  des  Porta.  Der  Vergleich  zeigt  nämlich,  was  man  1573  als 
überwunden  angesehen  hat.  Bei  Wölfflin  ist  die  Vergleichung  bequem 
gemacht.  Hauptabweichungspunkte:  1.  Die  Pilaster  zwar  doppelt, 
aber  noch  in  rhythmischer  Travee,  also  im  Hochdrang  gemäßigt,  und 
auch  die  Horizontalen  gemäßigt.  Die  Attika  niedriger  und  öfter 
gebrochen,  also  deutlich:  der  Kampf  zwischen  Vertikal  und  Horizontal 
noch  nicht  auf  die  Spitze  getrieben,  der  Vertikalen  mehr  Geltung 
eingeräumt;  geringerer  Aufwand  an  materieller  Elementargewalt. 
Infolgedessen  auch  geringerer  Hochdrang.  2.  In  der  Bewegung:  nur 
drei  Pläne:  die  mittlere  Dominante  zwar  ausgeprägt,  aber  das  Portal 
noch  versucht,  dem  menschlichen  Maßstab  anzunähern,  namentlich 
durch  den  Rundbogen,  der  zwischen  Eingangsportal  und  Schauportal 
vermittelt.  Nur  die  Mitte  stark  betont,  rechts  und  links  davon  alles 
gleichmäßig  durchgebildet,  nicht  wie  im  Gesü  nach  der  Mitte  alles 
gesteigert.  3.  Im  Detail  noch  mehr  Schmuckfreudigkeit:  Festons  in 
der  unteren  Kapitellzone.  Hcrmenpilastcr.  (Hereinziehen  organischer 
Schmuckmotive.  > 

Die  Fassade  des  Vignola  atmet  noch  zum  Teil  Renaissancegeist. 
Man  sieht  daran,  wie  man  mit  fast  genau  denselben  Mitteln,  unter 
bloßer  Verschiebung  der  Verhältnisse,  so  ganz  andere  Wirkung 
erzielen  kann  Es  beweist  aber  auch,  daß  erst  Giacomo  dclla  Porta 
auf  die  Ideen  des  Michelangelo  mit  voller  Entschlossenheit  ein- 
gegangen ist.  Die  Haltung  des  Vignola,  der  von  den  Theoretikern 
der  Spätrenaissance  herkommt,  war  noch   eine  zögernde. 

Dem  Porta  wird  auch  die  Fassade  von  S.  Luigi  de'  Fran- 
cesi,  der  französischen  Nationalkirche,  zugeschrieben.  Sie  beweg! 
sich  zwar  in  der  gleichen  prinzipiellen  Richtung,    aber   es  erscheint 


-     121     - 

ein  ganz  anderer  Weg  eingeschlagen;  man  glaubt  daher,  daß  Porta 
daran  höchstens  im  Untergeschosse  beteiligt  war.  Aber  wir  werden 
Porta  auch  im  Profanbau  tastend  vorgehen  sehen,  ohne  daß  das 
von  ihm  gewählte  System  Nachfolge  gefunden  hätte.  Die  Fassade 
ist  zweigeschossig,  aber  das  Obergeschoß  gleich  breit  mit  dem 
unteren,  also  für  Voluten  kein  Raum.  Das  ist  vielleicht  eine  direkte  An- 
lehnung an  das  alte  System,  wie  an  der  Anima,  an  S.  Giacomo  degli 
Spagnuoli.  Auffallend  ist  auch,  daß  die  mittlere  Dominante  nur  schwach 
hervorgehoben  erscheint  —  es  fehlt  das  Schauportal  —  fast  schwächer 
als  an  S.  Catcrina.  Auch  fehlt  die  Vorwärtsbewegung  in  mehreren 
Plänen:  ein  fortwährendes  Vor-  und  Zurücktreten  in  einer  Ebene,  an 
Stelle  des  vierfachen  Vorwärtsschreitens.  Statt  dessen  bewegen  sich 
die  Pilaster,  deren  immer  jeder  einzelne  (statt  der  doppelten  des  Gcsü) 
vor  zwei  hintere  vortritt:  auch  ein  von  Michelangelo  am  Palazzo 
Farnese  eingeführtes  Motiv.  Der  Giebel  oben  entspricht  nur  der 
Mitte  und  ist  ganz  ruhig.  Nur  der  Schattenschlag  ist  ein  mächtiger. 
Das  Obergeschoß  ist  größer  und  lastender  als  das  Untergeschoß. 
Dafür  könnte  nur  eine  Erklärung  zu  finden  sein:  daß  die  Fassade 
ursprünglich  in  enger  Straße  stehen  sollte,  wo  man  das  Obergeschoß 
nur  schräg  aufwärts  sehend  wahrnehmen  konnte,  also  in  Verkürzung. 
Heute  ist  allerdings  ein  verhältnismäßig  geräumiger  Platz  davor. 
Dagegen  die  Seitenfassade  etwas  reicher  behandelt  und  detailliert, 
sogar  mit  vorgeblendetem  mittleren  Portalbau  versehen. 

Das  sind  also  alles  Dinge,  die  man  anscheinend  grundsätzlich 
und  absichtlich  ganz  anders  gewählt  hat  als  an  den  übrigen  Fassaden, 
die  das  System  des  Gesü  befolgen,  als  ob  man  alles  absichtlich  auf 
den  Kopf  gestellt  hätte.  Aber  es  ist  richtig:  diese  Fassade  bedeutet 
eine  Abweichung  von  der  geraden  Linie  der  Entwicklung.  Sie  hat 
daher  auch  keine  Nachfolge  nach  sich  gezogen. 

Profanbau.  Hier  waren  zunächst  einige  Aufgaben,  in  denen 
Porta  Michelangelos  Arbeiten  zu  vollenden  hatte;  man  schwankt  daher, 
ob  er  oder  Vignola  bei  diesen  Vollendungen  den  Hauptanteil  hatten. 
Ausbau  des  Palazzo  Farnese,  gegen  den  Garten  hin,  auf  der 
Tiberseite.  Von  Michelangelo  wissen  wir  nur,  daß  er  eine  großartige 
Perspektive  geplant  hatte;  man  sollte  durch  Vestibül  und  Hof  des 
Palastes  in  den  Garten  sehen,  wo  in  der  geraden  Sehlinie  die  Gruppe 
des   farnesischen   Stiers   (jetzt    in    Neapel)    aufgestellt  werden  sollte, 


und  dann  weiter  bis  über  den  Tiber  hinüber  in  tue  Lungara  (den 
jenseitigen  Stadtteil),  wohin  eine  Brücke  geschlagen  werden  sollte. 
Wir  sehen  also  die  perspektivischen  (echt  fernsichtigen)  Neigungen, 
die  bezeichnend  sind  namentlich  für  die  spätere  Barockzeit,  schon  bei 
Michelangelo  auftreten:  nur  sind  sie  später  mit  größerem  Raffinement 
gehandhabt  worden.  In  der  strengen  Zeit  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  hat  man  sich  darin  eher  Schranken  auferlegt. 

Und  so  hat  auch  Porta  das  Projekt  des  Michelangelo  fallen 
lassen  müssen.  Man  begnügte  sich  damit,  die  Gartenseite  des  Palastes 
etwas  fröhlicher  zu  gestalten.  Überhaupt  ist  die  Fassadenbildung 
des  Palastes  nach  seinen  vier  Seiten  hin  völlig  bezeichnend  für  die 
Denkweise  des  Barockzeitalters.  Die  Schauseite  gegen  den  Platz 
hin  entwickelt  die  volle  gravitä  und  grandezza.  den  vornehmen 
Ernst,  den  ablehnenden  Stolz.  An  den  langen  Seitenfluchten  dasselbe, 
aber  hier  hat  schon  Michelangelo,  weil  eine  Dominante  mittels 
Portals  nicht  angebracht  schien,  eine  Zusammenfassung  der  lang- 
weiligen Fensterreihen  in  je  drei  Gruppen  durchgeführt:  Ausdruck 
der  Bewegung,  weil  nicht  reine  kristallinische  Reihung,  sondern  ein 
Rhythmus;  doch  auch  diese  Seitenfronten  streng  für  sich  abgeschlossen. 
An  der  Gartenseite  aber  öffnet  sich  in  der  Mitte  eine  Loggia  in 
allen  drei  Geschossen:  im  obersten  ist  sie  offen.  Zwischen  Loggia 
und  Flügeln  ist  eine  Einziehung,  ein  Anlauf.  Die  tragenden  Pilaster 
sind  wie  die  des  Michelangelo  im  Hofe  gegen  ein  hinteres  Pilastcr- 
paar  vortretend.  Der  Eindruck  ist  ein  überaus  wirkungsvoller:  ein 
wohltuender  Kontrast  gegenüber  dein  Ernst  der  seitlichen  Partien. 
Datf  das  gewaltige  Kranzgesims  des  Michelangelo  in  der  Mitte 
durch  die  Loggia  unterbrochen  erscheint,  hat  man  ihm  zum  Vorwurf 
gemacht,  doch  wirkt  es  nicht  störend.  Die  Lösung  ist  höchst 
interessant  und  eigenartig.  Die  Loggia  scheint  vorzuspringen, 
aber  das  Kranzgesims  weicht  zurück,  beide  um  nur  geringes,  so 
daß  doch  keine  Risalitwirkung  entsteht.  Auf  große  Ferne  ist  die 
Wirkung  geringer  als  in  einiger  Nähe. 

Mit  Michelangelo  wird  auch  ein  anderer  Bau  des  Porta  in 
Verbindung  gebracht,  derjenige  derSapicnza:  der  Universität  von 
Rom.  Berühmt  ist  sie  namentlich  durch  ihren  Hof;  ob  Michelangelo 
denselben  in  der  Tat  entworfen  hat.  ist  unbewiesen:  wahrscheinlich 
ist    er    eine  Schöpfung  des  Porta.    Allerdings    nur   zum  Teil,    denn 


später  ist  Borromini  über  den  Bau  gekommen.  Schwerere  Verhältnisse 
als  bei  San  Gallo.  Messerscharfe  Profile,  tiefe  Einziehungen  zwischen  den 
Vorsprüngen,  so  daß  in  allen  Gesimsen  Licht-  und  Schattenlinien  ab- 
wechseln. Der  Hof  der  Sapienza  ist  natürlich  ein  Pfeilerhof,  aber  nicht 
mehr  mit  Halbsäulenvorlagen,  sondern  mit  Pilastervorlagen,  was 
einen  ernsten  Eindruck  hervorruft.  Charakteristisch  sind  die  Beigaben 
des  Borromini:  das  Hcmicycle  als  Abschluß,  mit  S.  Ivo  und  dem 
Schneckenturm,  ferner  das  dritte  Geschoß.  Noch  geschlossener,  reine 
Lisenenarchitektur,  aber  anderseits  doch  wieder  äußerlich  bewegter. 

Endlich  hat  Porta  auch  eine  Anzahl  von  Palästen  selbständig  ge- 
baut und  spielt  eine  Rolle  in  der  Entwicklung  der  römischen  Palast- 
fassade. Freilich  mehr  eine  episodische  Rolle.  Der  Profanpalast  war 
dem  echt  monumentalen  Kunstwollen  des  Michelangelo  nicht  so 
zugänglich  wie  die  monumentalen  Kirchenbauten.  Porta  hat  fürs 
erste  Fassaden  entworfen,  in  denen  er  an  den  ruhigen  Typus  des 
Palazzo  Sacchetti  anknüpft:  Palazzo  Paluzzi.  Nur  das  Erdgeschoß 
wird  nicht  mit  so  wuchtigen  Finestroni  gebildet.  Der  Sinn  ist: 
Dominante  des  Mittelgeschosses  in  der  Horizontalen,  des  Portals 
mit  Balkon  darüber  in  der  Vertikalen.  Das  Kranzgesims  gilt  nur  für 
das  oberste  Stockwerk,  darin  Zurückweichen  hinter  die  Absicht  des 
Michelangelo.  Der  Schattenschlag  gibt  Kampf,  die  Symmetrie,  die 
namentlich  durch  die  stark  betonte  Mitte  zum  Bewußtsein  gebracht  wird, 
stellt  die  Harmonie  her.  Das  schien  ihm  aber  nicht  zu  genügen.  Er 
verlangt  einen  stärkeren  Kampf  der  Teile,  ruhigen  Beginn  in  den 
Flanken,  Steigerung  gegen  die  Mitte  hin,  dann  Beruhigung  in  der 
Mitte  selbst.  Das  heißt,  Porta  wollte  in  der  Profanfassade  ähnliches 
durchführen  wie  an  den  Kirchenfassaden.  Sein  Vorbild  war  offenbar 
Michelangelos  Palazzo  Farnese  (dort  aber  noch  nicht  so  raffiniert) 

Palazzo  Chigi:  die  Fenster  nicht  zusammengerückt  zu  einem 
zwei-  bis  drei-  bis  vierfachen  Fenster,  sondern  einzeln  für  sich,  und 
doch  eine  engere  Gruppe  (bei  Michelangelo  bleiben  auch  die  mitt- 
leren Fenstergruppen  gleich  weit  voneinander  entfernt  wie  die 
seitlichen). 

Palazzo  Serlupi  wiederholt  dasselbe  und  zeigt,  daß  Porta 
ein  Prinzip  daraus  machen  wollte.  Aber  das  System  ist  unbefriedi- 
gend, weil  es  allzu  unmotiviert  ist:  man  versteht  nicht,  warum  es 
so  wider  alle   kristallinische  Regel  ist.    Es  mußten  die  Flanken  von 


-     124     — 

der  Mitte  durch  Risalitbildungen  getrennt  sein,  die  aber  Porta  ge- 
rade vermeiden  wollte,  oder  durch  Lisenen  oder  Pilastcr.  Diese  Art 
der  Belebung  einer  Fassadenfront  war  eine  allzu  gezwungene.  Sie 
hat  auch  keine  Nachfolge  gefunden. 

Schon  dieses  Tasten  und  Versuchen  allein  ist  bezeichnend. 
Die  früheren  Zeiten  waren  von  einem  viel  sichereren  und  festeren 
Geschmacksurteil  geleitet.  Auch  dies  ein  Symptom  des  Subjektivismus, 
lindlich  hat  Porta  eine  Bedeutung  auch  für  den  in  der  Barockzeit 
sehr  wichtigen  Villenbau  erlangt.  Es  handelt  sich  hier  zunächst  um 
die  ländliche  Villa,  wo  es  vor  allem  gebieterisch  ein  Zusammen- 
wirken zwischen  Architektur  und  Landschaft  galt.  Die  Richtschnur 
war  im  allgemeinen  folgende:  die  Architektur  wird  am  Lande  zwang- 
loser, darf  sich  ungebunden  vom  städtischen  Zwange  ergehen;  die 
Landschaft  dafür  wird  eingefangen,  gezähmt.  So  erfolgt  eine  An- 
näherung zwischen  der  anorganisch-kristallinischen  Architektur  und 
der  organisch-wildwachsenden,  freibewegten  Landschaft. 

Recht  glücklich  hat  Porta  dieses  Programm  ausgeführt  in  der 
Villa  Aldobrandini  bei  Frascati,  gebaut  für  die  Familie  Cle- 
mens' VIII.  Die  Absicht  ist  eine  überwiegend  fernsichtige,  es  sollen 
die  Massen  aus  der  Ferne  wirken.  Am  Bergabhange  gelegen.  Durch 
ein  System  von  Rampen  gelangt  man  zum  Wohngebäude.  Eine 
malerische  Silhouette:  die  große  Masse  eher  schwerfällig,  oberflächlich 
durch  Lisenen  und  Gesimse  zerteilt;  nachdrückliche  Zerschneidung 
in  vertikale  und  horizontale  Teile;  auch  die  Fenstcrumrahmungen 
ebenso  nachdrücklich  durch  farbige  Linien  hervorgehoben.  Auf  die 
Ferne  wirkt  nur  der  obere  Abschluß,  der  sich  gegen  die  Luft  ab- 
zeichnet, und  der  ist  danach  behandelt:  in  der  Mitte  ein  schlanker 
Gicbelaufbau  mit  seitlichen  Voluten,  an  jeder  Ecke  die  Hälfte  eines 
gesprengten  Giebels.  Das  Ganze  also  eine  dekorative  Giebelarchi- 
tcktur,  die  man  nie  an  einem  Stadtpalast  anzuwenden  sich  herab- 
gelassen hätte,  die  aber  an  der  fröhlichen  Villa  als  erlaubt  und 
passend  galt. 

Dahinter  ist  ein  schmaler,  ebener  Raum  und  sofort  steigt  der 
Berg  empor.  Unten,  wo  er  endigt,  wird  die  rohe  Natur  zurück- 
gedrängt und  abgedämmt  durch  eine  dekorative  Architektur  im  Hemi- 
cycle.  Hier  verrät  sich  noch  Renaissancegeist,  denn  hier  darf  er  es: 
vielfach  Hermen  statt  Pilastcr.  Reliefs  in  die  Wände  eingelassen,  grotten- 


-     125    — 

artige  Behandlung  der  Nischen,  also  Naturalismus,  dann  Wasserkünste 
Man  fand  Portas  Dekorationsfiguren  mürrisch.  Das  ist  vielleicht  zu 
viel  gesagt,  aber  sicher  ist,  daß  die  Späteren  in  solchen  Figuren  den 
heiteren  Ton  besser  getroffen  haben;  die  ernste  Zeit  des  Porta  war 
dafür  ungünstig.  Übrigens  ist  die  Villa  schon  nach  1600,  in  den  letzten 
Jahren  des  Porta  gebaut. 

Nun  der  Berg  selbst:  er  soll  belebt  sein  durch  Bäume  und 
durch  Wasser,  aber  beide  in  dienende  Rolle  eingefangen.  Die  Laub- 
bäume mit  dichten  Kronen  (Steineichen  zumeist,  sehr  willkommene 
Bäume),  mit  kleinen  Blättern,  dichtem  Laub,  das  sich  zu  festen  Um- 
rissen zusammenballt,  in  großen  Massen  zusammengedrängten  symme- 
trischer Verteilung  rechts  und  links  von  der  Mittelachse.  Aber  sie  sind 
noch  nicht  beschnitten  wie  später  bei  den  Franzosen.  In  der  Mittel- 
achse ist  das  Wasser  verwendet.  Es  kommt  von  weit  oben  herunter,  ab- 
wechselnd in  eiligem  Schwall  über  schiefe  Ebenen  oder  von  Treppe 
zu  Treppe  fallend,  dann  in  horizontalen  Absätzen  sich  sammelnd, 
dann  in  Kaskaden  abstürzend.  Vom  Mittelportal  des  Kasino  hat  man 
einen  geschlossenen  Blick  auf  den  Wasserlauf,  der  hier  wie  in  ein 
Bild  eingefangen  ist.  Sehr  wirksam  sind  die  festonumwundenen  Säulen, 
die  Springbrunnen  entsenden  und  die  Mittelachse  wirksam  betonen 
und  die  am  letzten  Absätze,  den  man  von  unten  wahrnimmt,  gleich- 
sam Grenzen  der  Laubmasse  ausstecken.  Weiter  unten  fließt  das 
Wasser  nicht  in  ein  totes  Becken.  Wir  sehen  es  aus  der  Kugel  eines 
Atlas,  den  es  wie  ein  Schleier  einhüllt,  von  allen  Seiten  hervor- 
quellen und  zerstäuben:  also  immer  die  Bändigung  bis  zuletzt  und 
nirgends  die  träge  Masse. 

Etwas  früher,  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts,  fällt  die  Villa 
d'Este  bei  Tivoli,  an  der  verschiedene  Meister  Anteil  hatten.  Sie  hat 
eher  noch  etwas  vom  Gepräge  der  Renaissance,  von  Raffaels  Villa 
Madama  bewahrt  (natürlich  nur  in  der  allgemeinen  Auffassung). 
Diesmal  liegt  das  Kasino  auf  der  Höhe.  Ein  Rampensystem  führt 
hinauf,  von  einem  Zypressenrondell  ausgehend.  Oben  liegt  das  Kasino 
in  schlichten  Formen,  rein  auf  Fernsicht  berechnet,  nur  in  der  Mitte 
als  Endpunkt  der  Perspektive,  zu  der  das  Auge  durch  die  aufsteigende 
Gartenarchitektur  gezwungen  wird,  eine  Veranda  mit  Palladiomotiv. 
Auf  jedem  Absätze  genießt  man  neue  überraschende  horizontale 
Querprospekte.    Das  Wasser   ist    hier   aufgespart    auf   einen   solchen 


-     126     — 

Querprospekt,  der  aber  nicht  in  der  Horizontalen  verläuft,  sondern 
auch  ansteigend.  Das  Hauptmotiv  ist  ein  Triumphbogen  mit  Balu- 
strade davor,  von  der  eine  mächtige  Kaskade  herabstürzt  (geliefert 
durch  das  Wasser  des  Anio.  dessen  Fülle  freilich  nicht  leicht  wo 
anders  zur  Verfügung  stand),  unten  gesammelt  in  ruhigem  Teich- 
becken. Namentlich  in  den  Quergängen  wird  man  durch  die  üppige 
Vegetation,  die  unablässig  murmelnden  Wässer  in  eine  traumhafte 
Stimmung  versetzt. 

Die  Villa  suburbana  bezweckt  auch  die  Vereinigung  von 
Architektur  und  Landschaft,  aber  die  wechselseitige  Annäherung  ist 
doch  hier  eine  gemessenere;  die  Architektur  darf  nicht  so  ins 
Spielende  gehen,  die  Landschaft  muß  sich  in  engeren  Grenzen  und 
in  größerer  Unterordnung  halten.  Der  Unterschied  gegenüber  der 
ländlichen   Villa  ist  also   nur  ein   quantitativer,  nicht   ein   qualitativer 

Villa  Medici  von  Annibale  Lippi.  gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts, am  Pincio.  Nach  außen  wieder  einfacher  abweisender 
Hau.  Über  das  Dach  ist  ein  Oberbau  gestülpt,  von  großer  Ein- 
fachheit, eigentlich  nur  eine  Terrasse  mit  zwei  Ecktürmchen,  aber 
von  unsagbarer  Wirkung,  wozu  freilich  die  hohe  Lage  der  Villa 
beiträgt.  Überall,  wo  in  Rom  ein  aussichtsreicher  Punkt  ist,  ge- 
wahrt man  die  Villa,  weil  sie  durch  den  Aufbau  auffällt.  Dieser 
Aufbau  sagt  auch  deutlich,  daß  wir  es  mit  einem  villenartigen  Ge- 
bäude zu  tun  haben.  Das  Gebäude  selbst  würde  in  seiner  Ein- 
fachheit mißfallen,  der  Aufbau  entschuldigt  alles.  Grundprinzip: 
Vermeidung  aller  durchlaufenden  Horizontalen,  bis  auf  die  krönende, 
zusammenfassende  Balustradenterrassc.  von  der  die  beiden  Türmchcn 
aufsteigen.  Also  auch  ein  Kampf,  der  oben  abgeschlossen  wird, 
nur  in  den  Türmchcn  fortklingt;  die  Teile  sind  zu  selbständig  in 
ihrer  Bewegung,  als  daß  dieses  System  für  den  Palastbau  brauchbar 
gewesen  wäre.  Das  Gefällige  müssen  wir  von  vorneherein  im 
Inneren,  gegen  den  Garten  zu,  suchen.  Die  Gartenseite  ist  als 
Architektur  auch  nicht  bedeutend,  wirkt  aber  unendlich  gefällig  und 
reich.  Wodurch?  Einmal  Brechung  in  1.  Mittelbau  zwischen  zwei 
Risaliten,  2.  Aufbau  mit  Türmchen.  Der  Mittelbau  mit  Palladio- 
inotiv  durchbrochen.  Aber  das  allein  würde  es  nicht  machen.  Der 
Reichtum  an  spielenden  architektonischen  Dekorationen,  wie  z.  B.  in 
der  Villa  Aldobrandini.  ist  hier  ersetzt  durch   einen   Wandschmuck. 


—     127     — 

den  allerdings  nur  Rom  liefern  konnte:  durch  antike  Reliefs  von 
Sarkophagen,  Friesen,  Ehrenbasen  u.  dgl.  Die  Vegetation  des  kleinen 
Gartens  erscheint  sehr  zahm;  es  geschah  dies  auch,  um  von  höheren 
Punkten  des  Gartens  den  ganz  einzigen  Blick  auf  die  Stadt, 
namentlich  auf  S.  Peter  freizuhalten. 

Endlich  gehört  dieser  Periode  noch  die  Villa  Borghese  an, 
unterhalb  des  Pincio.  Mittelding  zwischen  Villa  suburbana  und 
rustica.  Den  Dimensionen  nach  eine  Landvilla,  aber  das  Kasino  hatte 
seiner  Lage  gemäß  die  Dienste  einer  Villa  suburbana  zu  versehen. 
Die  Lage  des  Kasino  ist  tief  und  aussichtslos.  Das  Landschaftliche 
hat  seither  starke  Veränderungen  erfahren.  Das  Kasino  ist  gebaut 
durch  Vasanzio,  angeblich  einen  Niederdeutschen,  Hans  von 
Xanten.  Es  ist  die  am  meisten  im  Barockstil  gehaltene  Villa.  Die 
Außenfront  wieder  ganz  einfach.  Die  Gartenfront  mit  Risaliten,  die 
sich  aber  erst  in  der  Höhe  des  Obergeschosses  losringen,  unten 
noch  im  gemeinschaftlichen  Mauerkerne  stecken.  Unten  in  der  Mitte 
eine  Pfeilerloggia,  aber  mit  gewaltigem  Druck  der  Attika  darüber. 
Der  Mittelteil  des  Gebäudes  tritt  zwischen  zwei  vorspringenden 
Hügeln  stark  zurück  und  ist  mit  Figuren  in  Nischen  reich  verziert. 
Ein  bestimmter  Kontrast:  1.  Zwischen  der  durchbrochenen  Loggia 
und  den  geschlossenen  Teilen.  2.  Zwischen  den  nackten  Steinflächen 
und  der  überreichen  zurückliegenden  Mittelwand. 

Die  zweite  Hälfte  der  ersten  Periode  (1590  bis  1630)  repräsen- 
tieren zugewanderte  Comasken-Familien,  wieder  in  zwei  Gene- 
rationen. In  der  ersten  Generation  sind  die  bedeutendsten  die  F  on- 
tana,  nächst  ihnen  die  Lunghi.  Für  sie  ist  charakteristisch,  daß 
sie  vortreffliche  Techniker  sind  (das  gilt  namentlich  für  die  Fon- 
tana), und  daß  sie  alles  gelehrig  ausführen,  was  man  von  ihnen 
verlangt,  daß  sie  aber  anscheinend  keine  selbständige  Künstler- 
meinung haben.  Das  Römische  imponiert  ihnen  zu  sehr,  als  daß 
sie  ihr  Lombardisches  offen  zu  betätigen  Mut  fänden.  Den  findet 
erst  die  zweite  Generation  mit  Maderna,  aber  ein  klassizistisches 
Element  bringen  sie  hinein.  Infolgedessen  erfährt  die  Entwicklung 
unter  ihnen  zunächst  in  der  ersten  Generation  einen  Stillstand.  Da 
sie  aber  sehr  bedeutende  Werke  hinterlassen  und  namentlich  für 
Sixtus  V.  viel  gebaut  haben,    so  muß   ich   sie  zur  Sprache  bringen. 


—     128    - 

Man  begegnet  ihren  Werken  in  Rom  auf  Schritt  und  Tritt.  Fon- 
tana, zwei  Brüder,  Domenico  und  Giovanni;  dann  Domenicos  Sohn 
Ccsarc;  im  weiteren  Sinne  zählt  dazu  auch  ihr  Neffe  Carlo  Maderna, 
der  sich  aber  schon  romanisiert  und  den  Stil  weiterbildet;  er  re- 
präsentiert daher  das  erste  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  in  der  römi- 
schen Baukunst  und  ist  nicht  mehr  hicrhcrzuzählen. 

Den  größten  Ruf  hat  sich  Domenico  Fontana  erworben,  so 
daß  man  eigentlich  nur  von  ihm  hört.  Er  war  der  vielbcneidetc 
Hofarchitekt  unter  Sixtus  V.  Gewiß  hat  an  vielem,  was  Domenico 
zugeschrieben  wird,  Giovanni  seinen  Anteil  gehabt,  namentlich  an 
den  monumentalen  Brunnen,  überhaupt  an  den  Wasserleitungen. 
Doch  war  gewiß  auch  Domenico  ein  tüchtiger  Techniker.  Fr  war 
es,  der  die  Obelisken  aufgerichtet  hat,  und  namentlich  den  viel- 
besprochenen auf  dem  Petersplatz,  und  das  war  doch  wesentlich 
eine  technische  Leistung.  Dann  war  er  an  den  Tiberbrücken  be- 
schäftigt. In  Verbindung  mit  Papst  Sixtus  V.  ist  Domenico  Fontana 
schon  getreten,  als  jener  noch  Kardinal  Montalto  gewesen  ist. 
Schon  damals  begann  er  für  ihn  die  Capella  dcl  Presepio  in 
S.  Maria  Maggiore.  Merkwürdig  daran:  griechisches  Kreuz  mit  zentraler 
Kuppel.  Also  Zcntralsystem  (das  ist  ein  offenbares  Stillstandssymptom), 
freilich  bei  einer  Kapelle  von  geringcrem  architektonischem  Belang. 
Aber  schon  da  zeigte  Domenico,  daß  er  kein  eigenes  Zeitprogramm 
besaß.  Dann  die  Dekoration:  nicht  in  figuralen  Fresken,  wie  im  Trc- 
cento,  Quattrocento,  in  der  Renaissance  (noch  bei  Michelangelo  in  der 
Capella  Paolina  im  Vatikan),  sondern  mit  äußerst  kostbaren  Stein- 
sorten, also  der  anorganischen  Materie  überlassen,  allerdings  der 
kostbarsten.  Auch  ein  Zeichen  des  Umschwunges.  Es  äußert  sich 
darin  das  Ferngefühl  für  die  Fläche,  die  nur  dann  Fresken  tragen 
kann,  wenn  Nahsicht  vorausgesetzt  wird. 

Derselbe  Meister  hat  freilich  auch  für  S.  Peter  einen  Langhaus- 
plan entworfen  (schon  damals  schien  also  Aussicht  auf  das,  was 
erst  Paul  V.  verwirklichte).  Aber  es  blieb  am  Papier;  Maderna  hat 
sich  später  daran  stark  angelehnt. 

Auch  für  den  Villenbau  war  er  tätig.  In  der  Nähe  von 
S.Maria  Maggiore  wurde  die  Villa  Montalto  (Negroni)  angelegt, 
jetzt  fast  ganz  verschwunden.  Dann  stammen  von  ihm  die  Bauten 
am  Lateran,   wo  Altchristliches  zerstört  werden  mußte.    An  dieser 


-    12g   - 

ältesten  Kirche  des  römischen  Bistums  stammt  von  Fontana  die 
Benediktionsloggia  (das  17.  Jahrhundert  hat  das  innere  umgestaltet, 
erst  das  18.  eine  neue  Fassade  gegeben).  Sie  hat  zwar  Pfeiler, 
aber  die  zwei  Arkadenstellungen  übereinander  wirken  doch  renais- 
sancemäßig heiter:  beweist  auch  die  künstlerische  Charakterlosigkeit 
des  Meisters.  Michelangelo  hätte  das  Problem  wohl  anders  aufgefaßt. 
Die  Türmchen  stammen  von  der  mittelalterlichen  Fassade  des  Quer- 
schiffes; aber  daß  er  sie  ließ,  ist  bezeichnend. 

An  der  großen  Frage  des  Tages  hat  sich  Domenico  gar  nicht  be- 
teiligt: an  der  Ausbildung  der  Fassade.  Allerdings  wird  auf  ihn  die 
Fassade  von  S.  Trinitä  ai  Monti  zurückgeführt,  mit  doppeltürmiger 
Front!  Also  auch  die  soll  er  eingeführt  haben!  Wenn  dies  richtig  ist, 
dann  ist  es  ein  neuer  Beweis  seiner  künstlerischen  Charakterlosigkeit. 

Daneben  entstand  der  Lateranspalast  (jetzt  Museum  der 
christlichen  Altertümer,  schon  von  Benedikt  XIV,  Mitte  des  18.  Jahr- 
hunderts dazu  eingerichtet).  System  des  Palazzo  Farncse:  dominierende 
Mitte  in  Portal  und  mittlerem  Geschoß  (durch  größere  Höhe  des 
Geschosses),  kein  Drängen  nach  Neuem,  überhaupt  maßvoll.  Der 
Pfeilcrhof  streng  wie  bei  Porta,  aber  schon  schlankere,  aufstreben- 
dere Verhältnisse;  die  Hermen  des  obersten  Geschosses,  als  Teile 
der  Attika,  immerhin  spielende  Beimischung,  die  Michelangelo  nicht 
gebraucht  haben  würde. 

Auch  am  Vatikan  und  am  Quirinal  war  er  beteiligt;  beide 
Paläste  aber  wurden  von  so  vielen  Meistern  gebaut,  daß  der  An- 
teil nicht  ganz  rein  auszumachen  ist,  übrigens  auch  von  geringem 
Werte,  da  keiner  von  beiden  Palästen  für  die  Entwicklung  von 
bahnbrechender  Bedeutung  ist. 

Aber  wenigstens  auf  einem  Punkte  hatte  er  eine  selbständige 
Aufgabe  zu  lösen.  Besonders  bekannt  haben  sich  die  Fontana 
gemacht  durch  ihre  monumentalen  Brunnen.  Es  handelt  sich 
namentlich  um  zwei,  die  zugleich  die  Mündungen  großer  Wasser- 
leitungen markieren  sollten.  Der  Brunnenbau  hat  auch  im  Barocksti 
eine  große  Rolle  gespielt.  Es  ist  nötig,  zu  sehen,  wie  der  Ent- 
wicklungsstand dieser  Kleinarchitcktur  beschaffen  war  in  der  Zeit, 
da  die  Fontana  in  dieselbe  eintraten.  Es  wird  sich  zeigen,  daß 
allerdings  für  einen  monumentalen  Brunnen  nach  römischer  Auf- 
fassung keine  Vorbilder  da  waren. 

Ricgl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  9 


-     130 

Die  Fontänen  in  dieser  Zeit  standen  noch  unter  florentinischem 
Einfluß:  man  möchte  sagen  kunstgewerblich,  nicht  anspruchsvoll 
architektonisch!  Plastische  Einzelwerke,  die  in  der  Nähe  genossen 
sein  wollen,  das  Einzelne  will  noch  für  sich  betrachtet  sein.  An- 
organische Masse  geformt,  nicht  große  Flächen  bildend  wie  die 
Architektur;  das  Organische  freie  schmückende  Zutat.  Fontana 
delle  Tartarughe  von  dem  Florentiner  Taddeo  Landini.  Den 
Kern  bildet  ein  Baluster  auf  breitem  Postament,  das  in  einem 
Wasserbassin  steht.  Der  Baluster  trägt  eine  flache  Schale  mit  Spring- 
brunnen, aus  der  in  vier  dünnen  Strahlen  Wasser  in  das  Bassin 
fließt.  Um  den  Baluster  vier  nackte,  schlanke  Jünglingsgcstalten 
aus  Bronze  in  gefälligen  Stellungen  in  paralleler  Diagonale  herum 
gelehnt,  deren  jeder  eine  Schildkröte  mit  erhobenem  Arm  in  das 
Becken  hinaufschiebt.  Die  Jünglinge  haben  nur  die  rein  künst- 
lerische Bestimmung,  mit  ihren  schlanken,  geschmeidigen,  gefällig 
gebogenen  Gliedern  einen  wohllautenden  Übergang  zwischen  der 
oberen  Schale  und  dem  breiten  Postament  herzustellen.  Unten  am 
Postament  sind  vier  große  Ohrmuschelbecken,  in  welche  Delphine 
Wasser  speien.  Das  Wasser  fließt  aus  den  Muscheln  über  in  das 
Bassin.  Das  Ganze  wirkt  höchst  reizvoll  in  der  Silhouette.  Die 
Jünglinge  sind  nicht  michelangelesk,  sondern  in  der  Formengebung 
kommen  sie  von  Giovanni  da  Bologna,  also  florentinische  Schule. 
Auch  das  Wasser  ist  noch  renaiss  neemäßig  verwendet:  viele 
Wasserstrahlen,  aber  in  symmetrischer  Verteilung  und  nur  schwach 
(kein  rauschender  Schwall;  die  Naturkraft  also  nirgends  ins  Un- 
bändige gesteigert,  das  der  Mensch  dann  schließlich  doch  bändigt, 
wie  es  der  Barockstil  will).  Was  ist  daran  barock?  Eigentlich  nichts 
als  die  Ohrmuscheln,  die,  wie  erwähnt,  von  Michelangelo  in  die 
römische   Kunst   eingeführt  wurden. 

Die  Monumentalbrunnen  boten  also  eine  Aufgabe.  Und  ge- 
rade diese  haben  die  Fontana  nicht  glücklich  gelöst,  sie  zeigen 
darin  Mangel  an  künstlerischer  Originalität.  Man  verlangte  ein  be- 
deutendes Motiv,  aber  keine  Idee;  das  wäre  gar  nicht  im  Sinne 
Sixtus  V.  gewesen.  Allerdings  waren  große  Wassermassen  zu  be- 
wältigen, um  die  Mündung  großer  Wasserleitungen  zu  versinnlichen. 
Das  macht  diese  Fontänen  für  das  Stadtbild  wichtig.  (Die  zu  dekora- 
tiven Zwecken  verwendbare  Wasserfülle  ist  für  Rom  charakteristisch.) 


-     131     - 

Sie  verwendeten  ein  schweres  architektonisches  Motiv:  eine 
riesige  Schauwand.  Acqua  Feiice,  Fontana  di  Termini  bei  den 
Dioclctian-Thernien.  Triumphbogenartig,  drei  Nischen,  aus  deren  jeder 
das  Wasser  in  großem  Bogenschwall  hervorbricht,  durch  Pfeiler 
mit  ionischen  Halbsäulenvorlagen  getrennt,  darüber  eine  ungeheuere 
Attika  mit  der  üblichen  pompösen  Inschrift  und  einer  barocken 
Giebelkrönung  mit  Eckobelisken.  In  der  mittleren  Nische  der  Moses 
des  Prospero  Bresciano,  tragisch  durch  das  mißlungene  kühne 
Unternehmen,  mit  Michelangelo  zu  wetteifern.  Der  Moses  ist  auf- 
gestanden. Michelangelo  hatte  den  verhaltenen  Ausbruch  gegeben. 
Prospero  gibt  den  vollzogenen.  Er  scheint  ihn  für  einen  höheren 
Standpunkt  berechnet  zu  haben;  jetzt  erscheint  er  auffallend  zu  kurz 
für  den  mächtigen  Kopf  und  Oberleib.  (Das  sind  die  Fährlich- 
keiten  der  malerischen  Skulptur.)  In  jeder  seitlichen  Nische  ein  Relief. 
Das  Wichtige  ist:  das  Wasser  strömt  unvermittelt  frei  aus  den  Löchern 
hervor,  aus  dem  Inneren. 

Acqua  Paola,  für  Paul  V.  durch  Giovanni  Fontana  errichtet, 
von  Maderna  vollendet.  Auf  der  Höhe  des  Janiculus,  weithin  sieht 
bar.  Dasselbe  System  wie  bei  der  Feliee.  aber  entschieden  auf- 
strebender und  noch  um  zwei  Flächen  vermehrt.  Augenscheinlich 
unter  dem  Einflüsse  der  barocken  Kirchenfassaden.  Riesige  Inschrift- 
tafel an  der  Attika,  der  Giebel  noch  bewegter:  Veräußerlichung 
der  Bewegung  (um  sie  zu  steigern).  Schon  deutlich  kontrastierender 
Schwung  im  Zentralgiebel.  Zweifellos  monumental,  aber  nüchtern 
und  poesielos,  das  meiste  dabei  tut  das  Wasser,  das  hier  im  reichsten 
Schwalle  hervorstürzt,  wahrhaft  imponierend;  aber  nicht  vertikal  auf- 
springend, sondern  nur  der  Schwerkraft  folgend,  niederplätschernd. 
Aber  merkwürdig,  das  Problem  wurde  erst  im  17.  Jahrhundert 
befriedigend  gelöst  an  der  Fontana  Trcvi.  unter  Zuhilfenahme 
naturalistischer  Motive.  Es  scheint,  daß  die  nackte  Architektur  allein 
das  wilde  Wasser  nicht  befriedigend  einzurahmen  vermag,  daß  aber 
die  Figuren  allein  ebenfalls  nicht  ausreichen,  um  einen  hinreichend 
monumentalen  Eindruck  hervorzurufen  Bernini  vereinigte  beides 
und  erzielte  die  größte  Wirkung. 

Es  wiederholt  sich  immer  in  diesen  Zeiten,  daß  die  Günstlinge 
des  einen  Papstes  bei  seinem  Nachfolger  in  Mißkredit  stehen  (auch 
Bernini     hat     diese    Erfahrung    machen    müssen).     Als     Sixtus     V. 


-    132    - 

starb,  und  nach  einigen  Eintagspontifikaten  Clemens  VIII.  Aldo- 
brandini folgte,  da  änderten  sich  die  Verhältnisse  für  Domenico 
Fontana  in  Rom.  Man  forderte  von  ihm  Rechnungslegung;  für  einige 
päpstliche  Bauten.  Das  war  der  zum  Ritter  erhobene  Architekt  nicht 
mehr  gewöhnt  und  er  begab  sich  nach  Neapel,  wo  ihn  der  spanische 
Vizekönig  mit  offenen  Armen  empfing.  Domenico  und  sein  Sohn 
Cesare  haben  dort  wichtige  Bauten  aufgeführt,  die  für  den  neapoli- 
tanischen Palastbau  im  17.  Jahrhundert  von  Bedeutung  wurden.  Die 
meisten  älteren  Paläste  der  Stadt  stammen  aus  dem  17.  Jahrhundert, 
beeinflußt  durch  Fontana.  Kurz  darauf  kam  der  Anstoß  zur  neapoli- 
tanischen Malerei  durch  Caravaggio.  Von  Domenico  ist  der  Palazzo 
Reale  nach  römischem  Schema;  aber  die  riesige  Ausdehnung  wird 
dadurch  nicht  hinreichend  belebt,  und  dann  ist  er  zu  ernst  für  die 
lachende  Umgebung  an  dem  unvergleichlichen  Golf:  die  rote  Be- 
malung hilft  etwas  ab,  aber  nicht  ausreichend:  aber  die  spanische 
Grandezza  hat,  wie  es  scheint,  wohl  entsprochen.  Die  lebenslustigen 
Bourbonen  haben  das  Schloß  im  18.  Jahrhundert  gründlich  um- 
gestaltet. Sein  Sohn  Cesare  baute  das  heutige  Museo  Nazionale. 
damals  Palazzo  de'  Studi,  in  demselben  römischen  Stil,  kleinere 
Fronten,  in  verhältnismäßig  enger  Straße,  daher  besser  wirkend,  und 
überhaupt  in  glücklicheren  Verhältnissen. 

Die  zweite  Familie  sind  die  Lunghi.  Der  Vater,  Martino 
der  Ältere,  gehört  allein  hierher.  Der  Sohn  Onorio  hat  hauptsäch- 
lich unter  Paul  V.  gebaut.  Der  jüngere  Martino  ist  aber  ein  sehr 
tüchtiger  Meister  in  der  Zeit  des  Bernini  geworden  und  gehört  der 
zweiten  großen  Barockperiode  an.  Auch  das  Schaffeusbild  des 
älteren  Martino  Lunghi  ist  ein  recht  charakterloses. 

Kirchenbaukunst.  Die  Fassade  der  Chiesa  Nuova  (S.  Maria 
della  Vallicella,  berühmt  durch  die  Bilder  des  Rubens),  soll  wenig- 
stens zum  Teil  auf  ihn  zurückgehen  (nach  anderen  auf  Faust o 
Rugheri);  gegenüber  dem  Gesü  eher  ein  Rückschritt  zu  Vignola; 
aber  Tendenz  zur  Erleichterung  des  senkrechten  Hochdruckes,  die 
Flanken  ganz  nebensächlich  behandelt,  so  daß  die  Voluten  nicht 
mehr  ausgleichen,  sondern  Seitenkontur  geben.  Das  Mittelportal 
mit  dem  Fenster  darüber  erdrückt  alles,  die  Flanken  der  Kapellen 
sind  überhaupt  nur  mehr  Anläufe.  Auch  oberitalicnische  Neigung 
zu  Zierwerk   in    Relief   gibt  sich    kund.    Das  Merkwürdigste    ist   die 


133 


Bildung  der  rechten  Seitenfassade,  an  der  die  geschlossenen  Kapcllen- 
atißenwände  durchbrochen  und  in  drei  Seiten  gebrochen  sind,  um 
für  zwei  Fenster  Platz  zu  schaffen  und  in  die  Kapelle  auf  solche 
Weise  Licht  zu  bringen. 

Palastbau.  Palazzo  Borghese,  ursprünglich  Dezza,  soll  ihm 
zukommen.  Fassaden  ganz  im  römischen  System  (Hauptgeschoß  in 
der  Mitte.  Portal  mit  Fortsetzung  darüber),  aber  gerade  hier  sieht 
man.  wie  die  langen  Fronten  kasernenartig  langweilig  wirken  und 
Brechung  durch  Risalite  notwendig  wird.  Die  Schmalfront  hat  daher 
Lisenenteilung;  die  andere  Schmalfront  gegen  die  Ripetta  aus  dem 
17.  Jahrhundert  reich  gegliedert,  wenngleich  ganz  schmal.  Ihm 
werden  zwei  Höfe  zugeschrieben:  Der  Hof  des  Palazzo  Bor- 
ghese, ein  Säulenhofi!)  mit  gekuppelten  Säulen,  nicht  mit  einfachen 
wie  bei  den  florentinischen  Renaissancehöfen;  darin  verrät  sich 
Barockstimmung,  aber  anderseits  ist  er  ganz  durchbrochen,  während 
die  Römer  sie  schlössen.  Von  herrlicher  Schönheit,  aber  gar  nicht 
römisch,  sondern  ganz  wie  die  Höfe  des  Galeazzo  Alessi  in  Genua, 
auch  mit  den  Durchblicken,  oberitalienisch!  Auch  der  Hof  des 
Palazzo  Altctnps  wird  ihm  zugeschrieben.  Ein  Hof  in  römi- 
schen Pfeilerformen,  mit  Pilastci  vorlagen,  ganz  geschlossen,  aber 
mit  breiten  Interkolumnen,  ernst  und  schwer.  Das  dritte  Stockwerk 
mit  seinen  eingestuften  Feldern,  in  denen  die  Fenster  sitzen,  wie 
bei  Peruzzi  und  Raffacl;  auch  das  in  obcritalienischcm  Sinne.  Aber 
die  Behandlung  als  Attika  mit  gequetschten  Fenstern  ist  echt  römisch. 

Parallel  damit  geht  noch  eine  Reihe  anderer  Meister.  Ich  erwähne 
nur  den  Quirinalpalast,  weil  er  ein  päpstlicher  Palast  war  und 
heute  königlicher  Palast  ist.  Durch  Mascherino  begonnen,  aber  eine 
ganze  Anzahl  von  Meistern  war  daran  beteiligt  bis  auf  Bernini. 
Römisches  System;  die  Abweichungen  in  den  verschiedenen  Höhen, 
die  Portalstellung  durch  Terrainverhältnisse  bedingt.  Als  Kuriosum 
nenne  ich  die  Torfassade  der  Casa  Zuccaro  mit  den  Fratzen- 
umrahmungen an  Türen  und  Fenstern:  für  den  Eintretenden  gleich- 
sam ein  Apotropaion.  Es  ist  ein  lustiger  Malercinfall,  Verwertung 
des  Ohrmuschelmotivs.  Man  kann  nicht  sagen,  daß  dies  nicht  im 
Geiste  Michelangelos  gewesen  wäre  (nur  war  der  Meister  eines 
Scherzes  überhaupt  nicht  fähig).  In  der  Zeit  des  Stillstandes  der 
römischen    Entwicklung    war    auch    für    Florentiner    Platz;    da    kam 


134     - 

Luigi  Cardi,  genannt  Cigoli,  als  Maler  berühmt.  Er  baute  den 
Palazzo  Madama  (jetzt  Senat)  ganz  in  Anlehnung  an  das  römische 
System,  nur  mit  der  reicheren  Anwendung  von  Plastik.  Die  plasti- 
schen Details  sind  mit  größerer  Liebe  und  Sorgfalt  für  das  Einzelne 
behandelt. 

Vierte  Phase  der  ersten  Barockperiode:  Übergang  zur  zweiten 
Barockperiode.  Ein  Zeitraum,  der  das  Pontifikat  Clemens  VIII.,  Pauls  V., 
dann  das  kurze  Gregors  XV.  und  die  Anfänge  Urbans  VIII.  umfaßt. 
Beteiligt  sind  also  die  Familien  Aldobrandini.  Borghese.  Ludovisi. 
Carlo  Maderna  war  nicht  nur  ein  Neffe  des  Giovanni  und 
Domenico,  sondern  auch  Schüler  derselben;  ihm  ist  aber  der  Geist 
des  römischen  Barockstiles  vertrauter  geworden  als  seinen  beiden 
Onkeln.  Er  hat  die  Stilentwicklung  in  der  Tat  um  ein  Stück  weiter- 
gebracht. Sein  Name  ist  noch  bekannter  geworden  als  jener  des 
Fontana,  schon  allein  deshalb,  weil  er  der  Meister  des  Langhauses 
und  der  Fassade  von  S.  Peter  ist.  Paul  V.  Borghese  hatte  sofort 
nach  seinem  Regierungsantritt  (1605)  den  Befehl  dazu  gegeben; 
Maderna  war  aber  schon  unter  Clemens  VIII.  der  vornehmste 
Architekt,  sozusagen  Nachfolger  des  Domenico  Fontana  geworden, 
so  daß  er  unter  Paul  V.  für  das  neue  große  Werk  überhaupt  allein 
in  Betracht  kam.  Natürlich  stieg  seine  Bedeutung  nur  noch  mehr  durch 
den  Bau  von  S.  Peter  und  er  war  bis  in  die  Zeit  Urbans  VIII.  der 
angesehenste  Baumeister  von  Koni.  Er  starb  1629,  und  in  allen  seinen 
unvollendeten  Unternehmungen  trat  Bernini  in  seine  Stellung  ein. 
Damit  ist  schon  gesagt:  Maderna  ist  der  äußerste  Ausläufer  der 
älteren  Barockrichtung,  die  auf  grandiose,  einheitliche  Raumwirkung 
im  Inneren  und  nicht  auf  malerische  Abwechslung  von  Licht  und 
Schatten,  auf  wirksame  Disponierung  der  Massen  nach  außen  aus- 
geht, aber  die  Bewegung  im  Sinne  Michelangelos  mehr  als  eine 
innerliche  auffaßt  und  daher  äußerlich  maßvoll  bleibt.  Bernini  ist  sofort, 
nachdem  er  das  Heft  in  die  Hände  bekommen  hatte,  über  Michel- 
angelo hinausgegangen,  er  hat  die  Bewegung  der  Baumassen  durch 
Veräußerlichung  gesteigert  und  damit  den  zweiten  Abschnitt  der 
Barockbaukunst  inauguriert.  Maderna  steht  aber  selbst  nicht  mehr 
auf  dem  Boden  des  Giacomo  della  Porta  oder  seines  Oheims  Fon- 
tana. Ober  diesen  Standpunkt  ist  er  selbst  schon  hinausgeschritten 
in    der  Richtung    auf    Bcrnini   zu.    Noch    vor    S.  Peter   hat  er    eine 


135 


gute  Probe    seines    Könnens    und    künstlerischen   Wollens    abgelegt 
in    der    Fassade    von    S.    Susanna,    die    merkwürdigerweise    auch 
bei  Gegnern  des  Barockstiles  allgemeinen  Beifall  gefunden  hat.  Das 
sagt  schon  etwas!  Auf  den  ersten  Blick  sieht  man :  das  Gedrückte,  Schwere 
des  Gesü  ist  großenteils  weg,  noch  mehr  als  an  der  Chiesa  nuova.  Die 
Gesamtwirkung  ist  schlanker,  aufstrebender;  die  Attika  in  der  Mitte 
macht  sich  nicht  so  wuchtig  geltend.  Nicht  mehr  ein  so  schwerfälliges 
Sichlosringen,  sondern  ein  leichtes  Heraustreten,  aber  auch  ein  eiligeres 
Heraustreten  aus  der  Tiefe,   gesteigerter  Hochdrang    und  Tiefdrang; 
die  Eingangstür  wird    schlank  und  groß  gebildet  und    das  mensch- 
liche Maß  durch  die  architektonisch  nur  halb  zahlende  Holztür  her- 
gestellt, von  der  nur  der  untere  Teil  offen  ist,  d.  h.  das  große  Portal 
ist   offen    und    doch   geschlossen,    ähnlich    wie    die  gotischen  Glas- 
fenster. Daß  darin  bewußte  Absicht  lag,  beweisen  die  Voluten:  sie 
sind  nicht  der  Schwere  folgend  niederrollend  wie  am  Gesü,  sondern 
unter  Kraftaufwand  emporstrebend,  hinaufbäumend  in  kontrastierendem 
Schwünge.    Diese  aufstrebende  Bewegung    pflanzt  sich  deutlich    bis 
ins  Giebelfeld  fort,    aber  die  Giebelsparren   sind  noch  unverkröpft, 
die  Balustrade  wirkt  wieder  leicht.  Drei  Pläne:  also  Vereinfachung  in 
der  Mittclpartie  herbeigeführt,  die  dennoch  Dominante  bleibt  unter 
Steigerung  von  den  Flanken  her.  Bemerkenswert,  daß  nun  Dreiviertel- 
säulen nicht  bloß  am  Portal  (dem  ja  eine  gewisse  Selbständigkeit  auch 
von   Porta  eingeräumt  wurde),  sondern  auch  in  dem  zweiten  Plane 
unten  vorkommen.  Die  Säule   bedeutet  Verselbständigung,   ist  nicht 
mehr   wie  der  Pilaster  rein  aus  der  Mauer  geboren,  reine  Bewegung 
von  innen  heraus.  Sie  ist  hier  gewählt  offenbar  der  stärkeren  Schatten- 
wirkung zuliebe,  also  aus  äußeren  Gründen,  d.  h.  die  strengste  Auffassung 
ist  vorüber,  die  innere,  gedankenhafte  Auffassung  von  der  Architektur 
als  Kampf  zwischen  der  horizontalen  Last  der  anorganischen  Schwer- 
kraft  und  vertikal  stützender,  organischer  Wachstumskraft   wird  ge- 
brochen um  äußerer  malerischer  Effekte,  um  optischer  Täuschungen, 
um  einer  gefälligen  Augenweide  willen.  Das  Reich  des  Michelangelo 
naht    seinem    Ende.    Aber    zunächst    handelt  es    sich    nur    um    eine 
Durchbrechung  der  Regel,  nicht  um  eine  bewußte  Außerkurssetzung. 
Bemerkenswert    ist  auch,  daß    rechts  und  links  von  der  Fassade  in 
symmetrischer  Flankierung   Profangebäudefronten   sich   anschließen; 
sie  sind  deutlich  Trabanten  der  Fassade;  das  drückt  sich  ganz  greifbar 


-      136     - 

aus  in  der  Balustrade,  die  sie  kröni  und  die  sich  sogar  über  den 
Schrägen  des  Kirchengiebels  fortsetzt  (wo  sie  gar  keinen  Sinn  hat). 
Auch  das  ein  fernsichtiger,  malerischer  Gedanke,  der  für  die  zweite 
Barockperiode  charakteristisch  ist  Man  behandelt  die  Fassade  mit  Rück- 
si<  In  auf  die  Umgebung,  als  Teil  eines  großen  Ganzen  (ganz  unmittel- 
alterlich).  Freilich   ist   damit   der  Keim   zur  Profanierung  gegeben. 

Madernas  Tätigkeit  an  S.  Peter.  Fs  handelte  sich  grund- 
sätzlich um  eine  Verwandlung  des  Zentralbaues  in  einen  Longitudinal- 
bau.  Das  erforderte  also  Anfügung  eines  Laughauses.  Unweigerlich 
ergab  sieh  daraus  auch  die  Forderung  einer  entsprechenden  Fassade: 
man  empfand  dann  die  Notwendigkeit,  zwischen  Fassade  und  Lang- 
haus auch  eine  Vorhalle  als  würdige  Vorbereitung  auf  das  Innere 
einzuschalten  Wo  die  Fassade  schon  so  Großes  versprach,  durfte 
der  Besucher  nicht  mit  einem  Schlage  in  das  geschlossene  Heiligtum 
selbst  eingelassen  werden,  sondern  sollte  eine  halbgeschlossenc 
Zwischenstufe  passieren. 

Langhaus.  Hier  war  die  nächste  Frage:  Rückkehr  zur  Basilika 
oder  Übernahme  des  Systems  des  Gesü?  Es  war  eigentlich  gar 
nicht  zu  vermeiden,  daß  man  gerade  an  S.  Peter  wieder  zur 
Basilika  zurückgriff,  sobald  man  schon  überhaupt  einen  Longitudinal- 
bau  im  Sinne  hatte.  Und  so  geschah  es  auch;  aber  1.  wurden 
nur  zwei  Seitenschiffe  (statt    der  vier    der  alten  Kirche)  zugelassen; 

2.  sind  diese  Seitenschiffe  so  untergeordnet  behandelt,  daß  sie  für 
die    architektonische   Wirkung    fast    gar    nicht    in   Betracht   kommen; 

3.  wurde  das  Mittelschiff  überdies  noch  auf  Kosten  der  Seitenschiffe 
erweitert.  Die  Schiffspfeiler  erhielten  die  Breite  der  Kuppelpfcilcr, 
wurden  aber  in  der  Mitte  durchbrochen;  diese  Durchbrechungen 
bilden  die  Seitenschiffe.  Die  Seitenschiffe  sind  also  eigentlich  bloß 
ungewöhnlich  tiefe  Kapellen,  die  untereinander  in  Verbindung 
stehen.  Es  ist  also  im  Grunde  nichts  anderes  als  das  System  des  Gesü, 
nur  mit  besonders  tiefen  Kapellen  (auch  im  Gesü  stehen  die 
Kapellen  untereinander  in  Verbindung).  Also  möglichste  Weiträumig- 
keit des  Mittelschiffes  ist  angestrebt.  Die  Seitenschiffe  machen  sich 
gar  nicht  bemerkbar.  Die  Verlängerung  am  Langhause  über  den 
alten  Kreuzarm  beträgt  nur  drei  Joche,  bedeutet  aber  doch  das 
Areal  der  alten  Peterskirche,  das  beim  Zentralbau  außerhalb  des 
geweihten  Raumes  gefallen  war.  Das  ist  die  Neuerung  des  Maderna. 


In  allem  übrigen  schloß  er  sich  eng  an  die  Vorgänger  an.  Die 
Pfeiler  wurden  mit  einer  Kolossalordnung  von  Doppclpilastern  be- 
kleidet, wie  schon  Bramante  an  den  Kuppelpfeilern  angegeben  hatte, 
und  die  Wölbung  war  eine  Tonne,  wie  ebenfalls  in  den  Kreuzannen 
des  Bramante  angegeben  war.  Das  Langhaus  ist  also  in  allem  eine 
einseitige  Fortsetzung  des  westlichen  Kreuzarmes,  nur  mit  dem  Unter- 
schiede, daß  er  etwas  breiter  ist  und  seitliches  Oberlicht  durch 
in  die  Wölbung  eingeschnittene  Fenster  bekam  (auch  wie  in  Gcsü  i. 
Und  hier  ist  gleich  eine  wichtige  Beobachtung.  Der  alte  Kreuzarm 
selbst  hatte  keine  Fenster,  seine  Fortsetzung  erhielt  Fenster.  Was 
war  die  Folge?  Die  Partie  des  Langhauses  gegen  die  Kuppel  hin 
hatte  kein  Oberlicht  und  war  daher  dunkler;  wenn  man  also  die 
Kirche  betritt,  hat  man  den  Vordergrund  durch  die  Oberfenstcr  und 
Frontfenstcr  hell  beleuchtet,  dann  kommt  die  dunkle  Partie  unter 
dem  ehemaligen  Kreuzarm,  dann  der  strahlend  helle  Kuppelraum 
und  dahinter  wieder  gegen  den  jetzigen  Chor  eine  dunkle  Partie. 
Also  das  gab  eine  mehrfache  Abwechslung  von  Hell  und  Dunkel. 
Licht  und  Schatten:  einen  auffallend  optischen  Reiz.  Wie  war  das 
früher  gewesen?  Da  war  nur  Kuppellicht,  das  alles,  auch  die  Kreuz- 
arme gleichmäßig  beleuchtet  hat.  Es  ist  natürlich  ausgeschlossen, 
daß  man  die  neue  Lichtwirkung  nicht  sogleich  bemerkt  hätte.  Man 
hätte  sie  beseitigen  können,  wenn  man  nun  durch  die  ehemaligen 
Kreuzarme  Fenster  durchgeschlagen  hätte.  Da  man  es  nicht  tat, 
müssen  wir  annehmen,  daß  es  mindestens  nicht  mißfiel.  Darin 
kündigt  sich  auch  eine  Wendung  an:  es  erwacht  deutlich  der  Sinn 
für  äußere  malerische  Reize  in  der  Architektur;  ähnliches  haben  wir 
schon  an  S.  Susanna  beobachtet.  Solche  Symptome  sind  zu  be- 
achten; sie  weisen  uns  den  Weg  der  zukünftigen  Entwicklung.  Die 
Wirkung  des  Inneren  des  Langhauses  wird  heute  auch  stark  beein- 
flußt durch  die  Ausstattung  mit  Marmorinkrustation  und  mit  dekora- 
tiven Skulpturen.  Diese  gehören  der  zweiten  Barockperiode  an; 
namentlich  Bernini  hat  daran  einen  Hauptanteil.  Man  findet  viel 
daran  zu  tadeln;  aber  denkt  man  sich  diese  rauschende,  fröhliche 
Dekoration  hinweg,  so  würde  der  ungeheuere  Raum  wahrscheinlich 
kalt  und  ungemütlich  wirken. 

Was    ist    aber    vom    kritischen    Standpunkte    gegen    Madernas 
Langhaus  einzuwenden?    Es   ist  pure  Verschwendung,    weil    er  den 


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Raum  nicht  vergrößert,  sondern  eher  verkleinert.  Natürlich  ist  dies 
optische  Täuschung,  aber  diese  ist  maßgebend  für  die  künstlerische 
Wirkung.  Der  Hauptraum  ist  und  bleibt  der  Kuppelraum;  die  vier 
Kreuzanne  sollen  nur  seine  Trabanten  sein.  Nun  wird  einer  dieser 
Trabanten  vergrößert,  verlängert,  gesteigert;  den  Kuppelraum  kann 
er  doch  nie  erreichen,  geschweige  denn  übertreffen.  Infolgedessen 
muß  das  Langhaus  kleiner  aussehen,  als  es  ist.  Daher  die  Enttäuschung 
eines  jeden,  der  das  Langhaus  zum  ersten  Mal  betritt.  Das  soll  der 
größte  Innenraum  der  Welt  sein?  Man  ist  noch  nicht  unter  der 
Kuppel,  aber  schon  vom  Eingang  her  wirkt  sie  unvermeidlich  als 
Maßstab  des  Ganzen.  Und  durch  diese  künstliche  Verkleinerung, 
die  das  Langhaus  von  der  Kuppel  erfährt,  wirkt  es  ungünstig,  verklei- 
nernd auf  das  Ganze.  Also  insoferne  hat  die  Kritik  recht,  wenn  sie  das 
Langhaus  des  Maderna  als  Unglück,  als  Beeinträchtigung  von 
S.  Peter  erklärt  hat.  Sollte  das  Langhaus  zur  Kuppel  sich  verhalten 
wie  etwa  im  Gesü,  dann  müßte  es  noch  in  ganz  anderen  Dimensionen 
ausgeführt  werden,  dann  wären  aber  völlig  übermenschliche  Ver- 
hältnisse herausgekommen,  die  wir  gar  nicht  zu  denken  wagen. 
Auch  Maderna  hat  es  offenbar  nicht  gewagt,  er  hat  sich  möglichst 
an  die  Verhältnisse  der  Vorgänger  angeschlossen  und  betrachtete 
sich  dadurch  wenigstens  in  der  Hauptsache  gedeckt.  Das  Äußere 
konnte  man  jetzt  hinsichtlich  der  Gesamtwirkung  ganz  preisgeben. 
da  der  Zentralbau  preisgegeben  wurde.  Infolgedessen  hat  man  auch 
die  Kapellen  an  den  Seiten  nicht  in  eine  Flucht  gebracht.  Daher 
war  die    notwendige  Folge,    daß    man  jetzt    eine  Fassade    brauchte: 

1.  Das  Langhaus  verlangt  absolut  eine  Schauseite  gegen  den  Platz, 

2.  zur  Verdeckung  der  dahintcrliegenden  Seiten. 

Fassade.  Die  Zentralwirkung  und  die  Kuppclansicht  war  für  die 
Nahsicht  preisgegeben ;  die  Aufgabe  war.  eine  möglichst  prächtige  Schau- 
seite gegen  den  Petersplatz  zu  schaffen.  Da  sie  aber  die  beiden  Flanken 
mit  den  ausladenden  Kreuzarmen  und  den  hinteren,  den  Übergang 
zum  Langhaus  bildenden  Kapellen  dem  Auge  entziehen  sollte,  so 
mußte  sie  noch  überdies  eine  außerordentliche,  ganz  ungewöhnliche 
Breite  erhalten.  Die  Aufgabe  war  eine  ganz  ungeheuere:  die  größte 
und  schwierigste,  die  dem  neueren  Kirchenbau  überhaupt  je  gestellt 
worden  ist.  Maderna  war  sich  dessen  bewußt.  Er  machte  es  ähnlich 
wie  im  Inneren  und  schloß  sich  möglichst  eng  an  seine  Vorgänger 


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an.  Vorgänger  war  eigentlich  nur  einer  und  dieser  eine  hatte  seine 
Fassade,  soweit  man  von  einer  solchen  überhaupt  reden  kann,  als 
Eingangshalle  für  einen  Zentralbau  berechnet  gehabt:  Michelangelo. 
Er  wollte  vor  den  westlichen  Kreuzarm  zehn  Säulen  mit  horizontaler 
Attika  darüber  aufstellen  und  in  der  Mitte  noch  einen  Portikus  von 
vier  Säulen  mit  Giebel  darüber  vortreten  lassen.  Das  wäre  keine 
Fassade  gewesen  (weil  eine  solche  der  Kuppel  Konkurrenz  gemacht 
hätte),  sondern  nur  eine  Vorhalle  analog  der  Vorhalle  des  Pan- 
theon. Maderna  übernahm  diesen  Gedanken  der  Vorhalle,  aber 
er  übersetzte  ihn  in  ein  vorgeschrittenes  Barock.  Er  bildete  die 
Vorhalle  halb  geschlossen,  indem  er  die  Säulen  als  eine  Kolossal- 
ordnung  vorblendete,  statt  der  bisherigen  zweigeschossigen  Anlagen. 
Nur  Palladio  hat  die  eingeschossigen  vorgezogen.  Eingeschossige 
Fassade,  aber  weil  die  Wand  geschlossen  ist,  mußte  sie  gebrochen 
werden,  die  untere  durch  Eingänge,  die  obere  durch  Fenster.  Das 
ergab  doch  zwei  Geschosse.  Damit  es  nicht  so  aussehe,  sind 
Fenster  und  Türen  von  wechselnder  Größe,  ähnlich,  wie  es 
Michelangelo  an  der  Außenwand  seines  Zentralbaues  durchgeführt 
hatte,  um  den  Anschein  des  Geschoßbaues  zu  vermeiden.  Also 
1.  Bewegung  in  der  Horizontalen.  Natürlich  Bewegung  nach  auf- 
wärts, also  vertikalisch  wirkend;  um  so  notwendiger  war  die  schwere 
Attika,  die  ihrerseits  durch  die  Apostclfiguren  nur  in  ganz  unzu- 
reichendem Maße  frei  ausklingt.  Aber  auch  die  Intervalle  der  Halb- 
säulen sind  verschieden.  2.  Bewegung  in  der  Vertikalen,  gegen  die 
Mitte  zu.  wiederum  an  den  Ecken  langsam,  in  der  Mitte  ebenfalls 
Ruhe,  dazwischen  raschere  Aufeinanderfolge  der  Stützen.  Die  klas- 
sische Kunst  hätte  gleiche  Intervalle  und  gleiche  Geschoßhöhen 
verlangt. 

Was  war  damit  entstanden?  Eine  Barockfassade,  aber  nicht  zwei- 
geschossig, sondern  eingeschossig,  d.  h.  mit  einer  Kolossalordnung, 
wie  es  den  Intentionen  Michelangelos  entsprach;  man  wird  unmittelbar 
an  den  Konservatorenpalast  erinnert;  auch  das  Motiv  der  an  die 
Pfeiler  gerückten  Säulen  findet  sich  hier,  aber  doch  nicht  mehr 
mit  dem  entschlossenen  Ernst  durchgeführt  wie  am  Kapitol.  Die 
Dominante  ist  dagegen  strenger  durchgeführt:  nicht  bloß  durch 
den  Giebel  über  den  mittleren  vier  Halbsäulen  (das  hatte  schon 
Michelangelo    beabsichtigt),   sondern    auch  durch  Verbreiterung  des 


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mittelsten  Interkolumniums,  durch  tue  vortretende  Bewegung  von  den 
Ecken  gegen  die  Mitte  zu.  wie  schon  seit  dem  Oesii.  Auch  die  unter- 
einander verschiedenen  lnterkolumnien  waren  als  Mittel  zur  Versinn- 
lichung  der  Bewegung  nicht  mehr  neu.  Über  dieses  ganze  empor- 
schießende kolossale  Vcrtikalsystcm  wurde  nun  eine  ungeheuere 
Attika  gewälzt:  auch  darin  im  Anschlüsse  an  die  Behandlung  der 
hinteren  Partien  der  Kirche  durch  Michelangelo.  Oben  stehen  die 
Kolossalfiguren  Christi  und  der  Apostel.  Damit  war  eine  ungeheuer 
breite  Schauwand  hergestellt,  von  erdrückender  Breite;  sie  erforderte 
einen  Abschluß  nach  oben,  ein  Ausklingen  in  der  Richtung  des 
Wachstums.  Die  Barockfassade  hatte  hierfür  den  Giebel.  Der  durfte 
hier  nicht  angebracht  werden,  denn  er  hatte  die  Kuppel  für  die 
Fernsicht  beeinträchtigt;  daher  wurde  der  Giebel  in  die  Attika  hinein- 
komponiert. So  bleibt  nur  ein  Ausklingen  an  den  beiden  Ecken; 
Maderna  hat  in  der  Tat  vorgehabt,  auf  die  beiden  Eckrisalite  Türme 
aufzusetzen;  sie  widersprechen  zwar  dem  italienischen  Gefühl,  hier 
aber  waren  sie  notwendig,  wie  sie  ja  auch  Bramante  an  den  vier 
Ecken  seines  Zentralbaues  geplant  hatte.  Türme  von  viereckiger 
Gestalt,  nicht  allzu  hoch,  die  für  die  Nahsicht  einen  vertikalen 
Abschluß  gegeben  hätten,  für  die  Fernsicht  aber  Trabanten  der  trotz- 
dem herrschenden  Kuppel  geworden  wären  (analog  wie  bei  Bra- 
mante). Aber  das  sind  doch  nicht  entfernt  solche  Türme  wie  an 
S.  Trinitä  ai  Monti,  wo  sie  dominierend  geworden  sind,  oder 
vollends  in  der  nordischen  Gotik,  wo  sie  die  Mitte  dazwischen 
ganz  erdrücken.  Diese  Türme  haben  später  ihre  Geschichte  gehabt 
und  sind  nur  teilweise  zur  Ausführung  gekommen;  heute  ist  jede 
Spur  davon  verschwunden;  man  ist  aber  —  was  ich  gleich  be- 
merke —  nur  aus  rein  technischen  Gründen  später  davon  ab- 
gegangen. 

Die  weiteren  Geschicke  der  Fassade  fallen  aber  nicht  mehr  ins 
Leben  des  Maderna;  er  selbst  hat  die  Türme  nicht  mehr  gebaut, 
sondern  Bernini.  Wir  aber  müssen  festhalten:  die  Fassade,  wie  sie 
jetzt  für  sich  dasteht,  in  ihrer  ungeheueren,  in  der  Nahsicht  erdrücken- 
den Breite,  die  man  so  oft  tadeln  hört,  war  durch  Maderna  mit  zwei 
Ecktürmen  geplant.  Dagegen  hat  Maderna  an  keine  Kolonnaden  ge- 
dacht; die  Fassade  sollte  für  sich  wirken,  ohne  dieses  perspektivische 
fernsichtige   Hilfsmittel.    (.Bei  Gurlitt    eine    Restauration    der   Fassade 


Madernas  mit  den  Türmen.)  Danach  müßte  man  beurteilen.  Aber 
im  allgemeinen  hat  es  selbst  angesichts  dieser  Restauration  den 
Anschein,  als  ob  Maderna  damit  nicht  dasjenige  getroffen  hätte, 
was  man  von  dieser  herrlichsten  Aufgabe,  die  ihm  gestellt  wurde, 
erwarten  durfte.  Das  Hauptunglück  war:  Maderna  empfand  selbst 
seine  Unzulänglichkeit,  das  Problem  aus  sich  selbst  heraus  selb- 
ständig zu  lösen;  er  suchte  immer  die  Verantwortlichkeit  auf  die 
Vorgänger  abzuwälzen. 

Was  ist  das  Neue  an  der  Fassade  von  S.  Peter? 

1.  Eine  Kolossalordnung  statt  der  zwei  Ordnungen  von  früher. 

2.  Einführung  der  Türme  in  die  Fassadenwirkung.  Es  ist  kein 
vereinzelter  Zufall,  sondern  Problem  der  folgenden  Zeit:  Synthese 
des  Zentralbaues  mit  Fassadenwirkung.  Der  Zentralbau  soll  sich  nicht 
mehr  objektiv  in  sich  abschließen. 

Noch  einige  Worte  über  die  Vorhalle.  Hier  war  Maderna  ohne 
Vorbild  und  mußte  selbständig  vorgehen.  Sie  ist  auch  das  Beste 
und  hat  selbst  vor  Burckhardts  Augen  Gnade  gefunden.  Eine  ein- 
schiffige Halle  in  vortrefflichen  Verhältnissen,  mit  fünf  großen  Por- 
talen, die  die  Eingangswand  zur  Kirche  wirksam  brechen,  während 
vom  Platz  her  durch  die  fünf  Interkolumnien  breite  Lichtfluten  hercin- 
dringen.  Die  Decke  mit  stuckiertem  Spiegelgewölbe  in  maßvoller 
architektonischer  Einteilung.  Abschluß  und  Öffnung  zugleich,  für 
den  italienischen  Barocksaal  der  zweiten  Periode  (Palazzo  Colonna) 
charakteristisch.  Maderna  mochte  wirklich  einen  geschlossenen  Saal 
mit  abschließenden  Nischen  geplant  haben;  die  Eckräume  sind  durch 
weite  Rundbogen  heller  beleuchtet,  daher  Abwechslung  von  Hell  und 
Dunkel.  Die  Schmalseiten  wurden  durch  Bernini  mit  perspektivischen 
Abschlüssen  versehen,  wozu  er  (höchst  bezeichnend  für  die  zweite 
Barockperiode)  die  figurale  Skulptur  gewählt  hat:  zwei  Reiterstatuen 
vor  rauschenden  Draperien,  rein  skulpierte  Bilder,  auf  bloße  Fern- 
sicht berechnet.  Auf  der  einen  Seite  sieht  man  Karl  den  Großen 
von  Cornacchini;  auf  der  entgegengesetzten  Seite  steht  Berninis 
Konstantin,  dessen  Standort  aber  als  Absatz  in  die  Scala  regia  ein- 
bezogen und  von  der  Vorhalle  durch  eine  Tür  abgesperrt  ist,  so 
daß  hier  der  Abschluß  unsichtbar  bleibt. 

Maderna  hat  auch  dem  Platze  selbst  wesentliche  Zierden  ver- 
schafft   durch    die    zwei    Fontänen;    auch    ganz    im    Sinne    dieser 


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ersten  Barockperiode,  die  im  Anorganischen  selbst  die  innere  Kraft 
zu  verkörpern  sucht.  Einfacher  architektonischer  Aufbau  mit  mehreren 
Schalen.  Eine  ungeheuere  Wassermasse  springt  aus  dem  krönenden 
Kegclstutz  in  die  Höhe  und  sprüht  in  tausend  Strahlen  zur  Erde. 
Es  ist  nicht  mehr  die  zarte  Wirkung  des  Wassers  und  nicht  mehr 
die  Mitwirkung  oder  vielmehr  Hauptwirkung  der  figuralen  Skulptur 
wie  bei  Landini.  Es  ist  schon  Massenwirkung,  aber  doch  nicht  mehr 
jene  einseitig  niederstürzende,  der  Schwere  allein  folgende  wie  an 
den  Brunnen  Fontanas.  Zur  Belebung  des  riesigen  Platzes  tragen 
sie  wesentlich  bei.  (Massenwirkung  und  Kontrastwirkung.  Wasser 
Hauptsache  als  Wasscrschleier,  dahinter  die  festen  Massen  des  Auf- 
baues. Niederstürzen  auf  konkave  Krönung,  Schale,  Bassin.  Keine 
Skulptur  wie  an  Aqua  Paola.  Während  Aqua  Paola  reine  Architektin. 
so  hier  rein  kunstgewerbliches  Werk.  Also  der  gleiche  Obergang 
zu  Bernini.  Aber  noch  kein  Kausalitätsverhältnis  zwischen  Wasser- 
strahl und  Kunstwerk.  Man  merkt  das  Vorhandensein  einer  inneren, 
treibenden,  kämpfenden  Kraft,  die  aber  nicht  sichtbar  wirkend  nach 
außen  hervortritt.) 

Auch  für  den  Palastbau  ist  Maderna  tätig  gewesen;  aber 
zumeist  hat  er  von  anderen  Begonnenes  vollendet,  oder  das  selbst 
Begonnene  nicht  mehr  vollenden  können.  Einen  wesentlichen  Fort- 
schritt im  römischen  Barockpalastbau  bedeutet  sein  Entwurf  für  den 
Palazzo  Barberini,  denn  er  ist  darin  ein  großer  Bahnbrecher. 
(Der  Palazzo  Barberini  muß  im  Äußeren  1630  im  wesentlichen 
vollendet  gewesen  sein.  1629  ist  Maderna  gestorben,  seine  Be- 
teiligung dabei  ist  zweifellos,  also  muß  er  den  Plan  entworfen  haben.) 

Hof  des  Palazzo  Mattei  di  Giove.  Ganz  geschlossen,  lehr- 
reich durch  Heranziehung  der  Mitwirkung  der  antiken  Statuen  und 
Reliefs;  dann  durch  die  Konzentrierung  der  Perspektive  vom 
Eingangstor  aus  auf  ein  bedeutsam  gefälliges  Motiv,  hier  auf  den 
mit  architektonischem  Aufwand  behandelten  Eingang  zum  grünenden 
Barockgarten.  Das  ist  auch  ein  Symptom  der  beginnenden  Abkehr 
von  der  Strenge  des  Palastbaues,  wie  sie  noch  Porta  repräsentiert. 
Das  Äußere  dieses  Palastes  noch  streng  nach  römischem  Schema 
des  San  Gallo 

Der  bedeutendste  Kirchenbau  der  Zeit  war  neben  S.  Peter 
derjenige    von    S.  Andrea    della   Valle,    seit    1594    von    Olivieri 


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gebaut,  bald  von  Maderna  übernommen  und  fortgesetzt.  Das  gleiche 
System  wie  am  Gesü,  mit  Doppclpilastern  etc.,  aber  Fortschritt  in 
S.  Andrea  della  Valle:  schlanker  aufstrebend,  keine  Emporen,  dafür 
Verkröpfung  des  Architravs.  Im  Gesü  ist  der  ungeheuere  Reichtum 
an  Malerei  und  Skulptur  aus  der  zweiten  Barockperiode;  das  fälscht 
den  Eindruck.  S.  Andrea  ist  weit  ernster  und  erhabener  als  Gesü, 
wo  der  überreiche  Schmuck  auffallend  kontrastiert  mit  dem  schweren 
Ernst  des  architektonischen  Aufbaues  im  Ganzen.  Fassade  mit  Säulen, 
wie  in  S.  Susanna  loskommend  von  der  Wand;  sehr  viele  Reliefs. 
Die  Fassade  von  S.  Andrea  della  Valle  ist  schon  aus  der  zweiten 
Periode  des  römischen  Barockstiles,  von  Carlo  Rainaldi,  daher 
der  Giebel  auch  schon  gesprengt. 

S.  Ignazio,  zweite  Jesuitenkirche  in  Rom,  beimColleggio  Romano, 
seit  1626  durch  Domcnichino  gebaut,  auch  das  gleiche  System, 
das  Querschiff  gar  nicht  ausladend;  die  Verhältnisse  nicht  mehr  so  breit 
und  gedrückt  (wie  in  der  altchristlichen  Basilika),  sondern  schlanker 
und  aufstrebender;  es  ist  der  Zug,  der  den  nordischen  Kathedralen 
des  Mittelalters  innewohnt.  Die  Breiträumigkeit,  die  sich  die  Italiener 
das  ganze  Mittelalter  hindurch  gewahrt  hatten,  wird  nun  aufgegeben. 
Von  Details  fällt  auf:  das  Einstellen  der  Säulen  in  die  Arkaden,  die 
die  Zugänge  zu  den  Kapellen  bilden.  Die  Bogen  sollen  nun  wieder 
durch  die  Säulen  getragen  werden;  das  ist  gegen  Michelangelo, 
bedeutet  eine  Rehabilitierung  der  Freistütze,  eine  Emanzipierung  der 
tragenden  Glieder  von  der  Mauer,  zugleich  eine  Verselbständigung 
der  Kapellen.  Man  sieht:  es  beginnt  wieder  eine  mildere  Auffassung. 
Allerdings  kommen  wir  mit  dieser  Kirche  schon  in  die  Zeit  des 
Aufschwunges  des  Bernini;  sie  soll  uns  also  den  Übergang  re- 
präsentieren. Es  ist  also  klar:  der  Kampf  der  Teile,  wie  ihn  Michel- 
angelo eingeführt  hat  als  Kunstprinzip  an  Stelle  des  ruhenden  Seins, 
mußte  zum  zunehmenden  Aufstreben  in  die  Höhe  führen.  Michel- 
angelo hat  dieses  Aufstreben  niedergehalten  durch  gewaltige, 
schwere,  lastende  Krönungen,  die  er  darübergestülpt  hat.  Eine 
spätere  Zeit  erleichtert  den  Druck  der  oberen  Teile  und  naturgemäß 
müssen  die  unteren  immer  höher  und  lebhafter  emporschnellen. 
Fassaden.  Giovanni  Battista  Soria  setzt  das  alte  System  etwa 
in  der  Entwicklungsstufe  von  S.  Susanna  bis  in  die  dreißiger  Jahre 
fort.    S.    Maria    della    Vittoria    (nach    der    Schlacht    am    Weißen 


Berge):  Dominante  in  der  Mitte,  unten  mächtig  empordrängend.  Die 
Voluten  beruhigt,  die  Strebemauern  als  rollende  Voluten  gestaltet. 
Eine  Treppe  führt  empor;  Aufstreben  von  unten!  Vorhalle  von 
S.  Oregorio  Magno,  altchristliche  Kirche  mit  ihrem  Atrium; 
bedeutet  Verkennung  des  Wesens  des  Atriums  (die  heiteren  Säulcn- 
höfe),  wofür  diese  Zeit  gar  kein  Organ  gehabt  hat.  Die  Fassade 
mußte  also  dem  Atrium  über  einem  Treppenaufbau  vorgelegt 
werden  (was  sehr  zur  malerischen  Wirkung  beiträgt).  Zwei- 
geschossig, oben  Fenster  wie  bei  einem  Profanbau,  die  allerdings 
nicht  unmittelbar  in  die  Kirche  hineinführen.  Das  Vortreten  der 
Pilaster  und  der  Mittelteile  aus  der  Mauer  schon  scharf  markiert, 
so  daß  schon  geradezu  perspektivische  Wirkung  damit  erzielt  wird. 
Deckungen  von  vier  Plänen  hintereinander.  In  der  Mitte  allein,  weil 
sie  als  Risalit  heraustritt,  ist  der  Giebel  ganz  unverkröpft;  äußere 
Bewegung  an  Stelle  der  inneren.  Man  begegnet  in  dieser  Periode 
auch  anderen  Versuchen.  S.  Domenico  e  Sisto  von  Vincenzo 
dclla  Orcca;  schlank,,  zweigeschossig,  aber  ohne  Scheidung  in 
Mitte  und  Kapellenflügel,  sondern  einfach  dreiteilig  in  beiden  Ge- 
schossen, mit  ruhigem,  hohem  Giebel.  Gleiche  Intervalle.  Ein 
bestimmtes  Renaissancegefühl  lebt  wieder  auf  darin.  Unten  Pfeilcr- 
loggia.  Das  ist  fast  noch  reine  Renaissance.  Aber  trotzdem  Losringen  der 
Pilaster  und  Verknüpfungen  des  Gebälkes.  Freitreppe.  Alles  charakte- 
ristisch für-  Versuche  auf  Übergang.  Man  wird  des  inneren  Kampfes 
satt,  verlangt  nach  Sieg  und  Ruhe.  S.  Francesca  Romana  am 
Forum,  früher  dem  Maderna  zugeschrieben,  jetzt  dem  Carlo 
Lombardo.  Offenbar  das  System  Palladios  vom  Redentore  in 
Venedig.  Eine  Kolossalordnung  in  der  Mitte,  tempclartiger  Mittelbau, 
vereinigt  mit  Voluten  über  den  tiefer  stehenden  Seitenschiffen,  statt 
einfacher  Diagonalen,  die  bei  Palladio  mit  dem  Mittelgiebel  parallel 
laufen.  Die  Teile  sind  der  Mitte  untergeordnet,  scheiden  sich  aber 
sehr  bestimmt  von  der  Mitte,  mehr  als  der  Barockstil  verträgt.  Auch 
die  großen  Rundbogendurchbrechungen  (in  den  Seitenschiffen  jetzt 
größtenteils  zugemauert)  gehören  nicht  der  Barockempfindung  an. 
Wenn  sie  Maderna  gebaut  hätte,  wäre  das  eine  ähnliche  Charakter- 
losigkeit, wie  sie  die  Fontana  zur  Schau  getragen  haben.  Die  Ein- 
geschossigkeit ist  das  einzige  verbindende  Glied  mit  Maderna 
(S.   Peter),    und    gerade    darin  liegt  ein  grundsätzlicher  Unterschied 


—     145     - 

in  Auffassung  und  Durchführung.  In  S.  Francesca  klare  Tendenz, 
in  S.  Peter  mühseliger  Kampf.  Das  Stieben  nach  einfacher  Größe  ist 
römisch.  Ruhiger,  unverkröpfter  Giebel,  ähnliche  Reaktion  wie  bei 
S.  Domenico  e  Sisto.  Auch  Freitreppe.  Man  sieht:  ein  Suchen  nach 
Anderem,  Neuem;  man  will  hinaus  über  die  drückende  Enge  des 
strengen  Barockstiles.  Man  erwartet  einen  neuen  Bahnbrecher,  der 
die  begehrte  Formel  findet:  Bernini. 


:gl,  Kam.  Kunst  dts  lo .  Jahrh. 


DIE  SKULPTUR 
DER  GEGENREFORMATIONSZEIT. 

Für  die  Figurenkunst  war  die  strenge  Gegenreformationszeit 
nicht  günstig;.  Nur  im  Materiellen  soll  der  innere  Konflikt  gezeigt 
werden,  in  der  Architektur,  nicht  im  Psychischen  der  mensch- 
lichen Figuren.  Wo  sie  auftreten,  dort  fehlt  die  geistige  Tiefe 
des  Michelangelo,  aber  Renaissance  ist  es  auch  nicht  mehr,  die 
stille  Geisteshoheit,  die  latente  Empfindungsfähigkeit.  Namentlich  in 
der  Malerei  macht  sich  die  dekorative  Oeistlosigkeit  fühlbar.  Die 
Skulptur  wird  überhaupt  wenig  geübt.  Wer  hätte  wohl  mit  der 
„Nacht"  konkurrieren  wollen?  Die  klugen  Schüler  mäßigten  daher 
das  geistige  Moment  (d.  h.  gerade  dasjenige,  das  Michelangelo  um 
jeden  Preis  gesteigert  sehen  wollte),  in  dem  sie  dem  Meister  doch 
nicht  nachkonnten,  und  so  entstanden  Kunstwerke,  die  freilich  der 
Renaissance  näher  stehen  als  dem  Barockstil,  aber  doch  auch  den 
Stempel  des  Einflusses  Michelangelos  unverkennbar  aufweisen. 

Als  Typus  dafür  mag  das  Grabmal  Pauls  III.  von  Guglielmo 
della  Porta  im  Chor  von  S.  Peter  genannt  sein;  das  Allgemeine 
ganz  wie  in  den  Mediceergräbern;  drei  Figuren,  oben  der  thronende 
Papst,  darunter  der  Sarkophag  mit  zwei  Voluten,  auf  denen  zwei 
allegorische  weibliche  Figuren  lagern  (Gerechtigkeit  und  Klugheit). 
Der  Aufbau  streng  symmetrisch  und  streng  proportional-dreieckig 
Aber  der  Kampf  im  einzelnen  fehlt  zwar  nicht  vollständig,  ist  aber 
sehr  maßvoll  ausgedrückt.  Der  thronende  Papst:  eine  Figur  voll 
ruhiger  Hoheit,  wie  sie  aber  auch  der  Renaissance  schon  zur  Ver- 
fügung stand;  dazu  jene  olympische,  unbefangene,  nicht  absichtlich 
gemessene  Ruhe,  wie  wir  sie  bei  Michelangelo  ganz  vermissen: 
ganz  Wille,  keine  innere  Aufregung.  Lorenzo  Medici  ist  ein  sinnender 
Grübler  dagegen.  Schon  das  Zerreißen  in  zwei  räumlich  getrennte 
Objekte:  Sarkophag  vor  der  Wand  und  Figur  in  der  Wand  (Nische) 
ist  hier  nicht  so  offenbar;  alles  mehr  eine  plastische  Einheit.  Die 
gelagerten   Figuren  in  invertierter  Symmetrie.    Sie  blicken  entgegen- 


gesetzt    zur    Körperrichtung.    Gerechtigkeit:    mit    dem    Oberkörper 
zurückgelehnt,    die    Beine    vorstoßend,    so   daß    die    linke   Schulter 
und  das  rechte   Bein   vorwärts   kommen.    Klugheit:    hält   die   hintere 
Schulter  mehr  hervor,   legt  die  beiden  Beine  übereinander,  läßt  aber 
das  rechte  vordere  vorstoßen  wegen  der  Invertierung  mit  der  hori- 
zontalen linken  Schulter.    Ruhiges  Lagern  im  ganzen,    bei  bewegten 
Gliedern;    Beine.    Arme,  Hände    im  Winkel  gebogen,  ebenso  Köpfe 
gewendet.  Nur  in  den  Köpfen,  im  Gesichtsausdruck   ist  kein  Kampf, 
darin  also  gegen  (Michelangelo  zurückstehend.  In  äußeren,  materiellen 
Mitteln    (wie  in    der  Architektur  überhaupt,    die  gerade  darum  jetzt 
führend  wird)    darf  der  Kampf  dargestellt  werden.   Papstfigur:    Kopf 
seitlich    abwärts    gewendet.    Vorstoßen  des  linken  Beines   und    des 
rechten  Armes.    Aber   alles  das  ist   maßvoll,   mehr  Kontrapost.    Da- 
gegen weniger  Nacktes,    und  wo  es  auftritt,  dort   weniger  in  plasti- 
schen Vorsprüngen.    Buckeln  gegliedert.    Weniger  scharfe  Konturen 
als    bei  Michelangelo.    Aber  auch   weniger  Rücksichtnahme    auf    die 
Umgebung.  Die  Papstfigur   allein   schon  als  Ganzes  predigt  Gleich- 
gewicht zwischen  Körper  und  Seele:  renaissancemäßige  Ausgleichung. 
worin  eben  die  enge  Berührung  mit  der  klassischen  Antike  liegt.  Der 
Kopf  hat  aber  unleugbar  auch  einen  idealen  Zug  des  sinnlich  Schönen; 
wir  kennen    den  Kopf   aus  dem  Porträt   von  Tizian    in  Neapel,    ein 
häßlicher  Kopf    mit   hinterhältig  schlauen  Zügen,    gebeugte  Haltung 
des  Körpers.  Hier  groß  und  frei;  bei  Tizian  ist  eben  die  Farbe  das 
Element,    womit    er    uns  das  Bildnis  näherbringt.    Dann  die  beiden 
allegorischen  Figuren.    Erstens  schon  ein  Aufwand   an  Kleidung  — 
nicht  mehr  klassisch,  schon  etwas  knitterig  —  wie  ihn  Michelangelo 
an  einer  allegorischen  Figur    unbedingt   verschmäht  hätte.    Die  Ge- 
rechtigkeit ist  sogar  mit  einem  bestimmten  Maß  sinnlicher  Schönheit 
ausgestattet,    so   daß   der   Kopf    ein    geistig    gleichgültiges   Gepräge 
erhielt.    Wenn  ein  Kampf   hier  gesucht   wird,   so  liegt  er  höchstens 
in    einem    ganz    Äußerlichen:    in    der    knitterigen  Faltenlegung,    die 
aber  etwas  kleinlich   wirkt  und  eher  zu  dem  Gegenteil  von  Michel- 
angelos Absichten  führt.    Am   ehesten    verrät   sich    das  Vorbild    der 
Mcdiccergräber   in   der  Klugheit:    dem  gewaltigen  Rumpf,    der  Lage 
des  linken  Armes,   dem  Kopfe    mit  dem  ernsten  Ausdruck,    in  dem 
eine  Gedankenwelt    schlummert.  Am  meisten  barock  ist  das  äußere 
architektonische  Detail:    die  Gliederung  des  Sockels    in   zahlreichen 


-     148     - 

Stufenvorsprüngen  an  den  Ecken,  anknüpfend  an  Michelangelos 
Pilasterbildung.  (Gugliclmo  della  Porta  repräsentiert  die  Zeit  des 
Vignola  und  Giacomo  della  Porta.  Dann  folgt  der  Rückschlag  der 
Comaskenperiode.) 

Das  ist  die  Signatur  der  nächstfolgenden  Bildhauergeneration. 
Da  sie  im  Geistigen  dem  Meister  nicht  nachkommen  können,  schränken 
sie  den  Ausdruck  des  Geistigen  überhaupt  ein.  Ja  man  geht  sogar 
in  den  folgenden  Papstgrabmälern  auf  ein  früheres  Stadium  zurück: 
auf  das  Mittel  der  äußeren  Erzählung.  Die  Taten  des  Papstes  sollen 
wiederum  für  ihn  sprechen,  wie  das  in  früheren  Zeiten  der  Fall 
gewesen  war.  Es  wird  äußerlich  die  einheitliche  Renaissancewand 
restituiert,  mit  Reliefs  und  mit  Freifiguren  in  Nischen.  Aber  es  fehlt 
die  harmonische  Gliederung  von  früher.  So  beschaffen  sind  die 
berühmten  Grabmäler  in  S.  Maria  Maggiore.  Sic  befinden  sich 
zu  zweien  in  der  Capella  Sistina  und  Capella  Paolina  (jedes  einen 
Querarm  einnehmend).  Berühmt  weniger  wegen  ihrer  künstlerischen 
Bedeutung,  als  wegen  der  ungeheueren  Aufwendung  an  kostbarem 
Material.  Diese  Gräber  bezeichnen  den  Stand  der  römischen  Skulptur 
vor  Bernini  und  einen  Rückschritt  gegenüber  Michelangelo.  Erst 
Bernini  ist  wiederum,  und  dann  mit  voller  Entschlossenheit,  auf  die 
Weise  Michelangelos  eingegangen.  Er  hat  vor  allem  das  Geistige 
darzustellen  gesucht,  aber  er  faßt  es  nicht  mehr  so  tief  wie  Michel- 
angelo auf,  nicht  mehr  als  erschütternden  Kontrast,  sondern  bloß 
als  momentanen  Affekt;  der  Leib  folgt  willig  dem  inneren  Impuls. 
Damit  hätte  sich  Michelangelo  nicht  begnügt.  Die  Wirkung  ist  doch 
mehr  eine  materielle  als  eine  geistige. 

Körper  und  Geist  bedeuten  seit  der  Antike  Gegensätze.  Immer 
war  die  Kunst  bestrebt,  diesen  Gegensatz  zu  versöhnen.  Einmal 
folgte  der  Geist  willig  dem  Körper,  das  andere  Mal  der  Körper 
willig  dem  Geiste.  Michelangelo  ist  der  erste,  der  den  Gegensatz 
zwischen  beiden  als  solchen  darstellt.  In  der  früheren  Kunst  war 
eine  gewisse  Analogie  nur  einmal  vorgekommen:  in  der  hellenisti- 
schen Kunst,  wofür  der  Laokoon  das  charakteristische  Beispiel  immer 
bleiben  wird.  Daher  das  Interesse,  das  Michelangelo  am  Laokoon 
genommen  hat,  der  zu  seinen  Zeiten,  am  Anfange  der  Regierung 
Julius  IL,  zu  Rom  gefunden  worden  war.  Wie  verhält  sich  dazu 
Bernini?  Er  läßt  den  Körper  der  geistigen  Aufwallung  des  Momentes 


—     149    — 

willig  folgen.  Den  Körper  kostet  es  zwar  Kampf,  den  Inipuls  aus- 
zuführen, aber  nicht,  ihm  zu  gehorchen.  Bei  Bernini  ist  wieder 
Harmonie  zwischen  Körper  und  Geist  hergestellt. 

Das  Charakteristische,  das  den  eingetretenen  Umschwung  aus- 
drückt: die  Welt  hatte  wieder  begonnen,  an  der  Materie  selbst 
Gefallen  zu  finden;  die  Gegenreformation  war  vorüber.  Das  ist  die 
Ursache,  warum  in  der  Skulptur  die  Weise  des  Michelangelo  erst 
zwei  Generationen  nach  seinem  Tode  eine  wirkliche  Fortsetzung 
finden  konnte.  Die  figurale  Skulptur  spielt  in  der  Zeitperiode,  die 
auf  Michelangelo  gefolgt  ist,  also  in  der  strengsten  Zeit  der  Gegen- 
reformation, überhaupt  eine  bloß  nebensächliche  Rolle.  Hier  ist  an 
eine  historische  Parallele  zu  erinnern.  Vor  der  Gegenreformation 
hat  es  auch  schon  eine  Zeit  tiefster  religiöser  Erregung  gegeben, 
die  noch  mehr  als  das  16.  Jahrhundert  auf  geistige  Vertiefung  in 
christlich-religiösem  Sinne  hinarbeitete:  die  altchristliche  Zeit.  Und 
in  dieser  altchristlichen  Zeit  begegnen  wir  im  Grunde  ganz  der 
gleichen  Erscheinung:  die  Figurenskulptur  tritt  vollständig  zurück; 
sie  wird  durchaus  nicht  ausdrücklich  verboten,  aber  man  sah  ein, 
daß  man  mit  ihr  dasjenige  nicht  vollkommen  genug  auszudrücken 
vermochte,  wonach  der  religiöse  Sinn  der  dadurch  bestimmten  Kunst- 
absicht der  Zeit  begehrte.  Die  Aufgaben  der  Skulptur  sind  in  der 
Zeit  der  strengen  Gegenreformation  hauptsächlich  dekorativer  Natur 
(wie  der  bildenden  Kunst  überhaupt),  z.  B.  Grabmäler.  Daraus  folgt, 
daß  wir  die  Entwicklung  der  römischen  Skulptur  der  ganzen  ersten 
Barockperiode  gleich  hier  mit  wenigen  Worten  abtun  können.  Es 
genügt  die  Betrachtung  der  vier  Grabmäler  in  S.  Maria  Maggiore. 
Schon  die  Uniformität  fällt  auf,  trotz  des  langen  Zeitraumes,  der 
zwischen  dem  ersten  und  letzten  dieser  Grabmäler  liegt.  Es  ist 
immer  der  gleiche  architektonische  Aufbau  des  Grabmales  und  die 
gleiche  skulpturale  Behandlung:  unten  aufstrebendes  Geschoß  mit 
vorgesetzten  Säulen  nach  Triumphbogenart  und  darüber  ein  zweites, 
niederes  Geschoß  als  Attika  (daher  nur  Hermen  oder  Karyatiden 
als  Pfeiler  und  Trägen,  wagerecht  abschließend,  in  der  Mitte  mit 
michelangelesken,  gesprengten  Stichbogen  bekrönt.  Unten  in  der 
Mitte  eine  Nische  für  die  Papstfigur.  In  den  übrigen  fünf  Teilen 
Reliefs  der  Taten  des  Papstes;  gar  nichts  Allegorisches.  Es  beweist, 
daß   durch  ein  halbes  Jahrhundert  hindurch  in  der  römischen  Skulptur 


keine  originelle  Schaffenskraft  zur  Entwicklung  gekommen  ist.  Ver- 
schiedene Meister  haben  daran  gearbeitet:  ihre  Namen  hat  Baglione 

überliefert,  aber  es  ist  keiner  darunter,  der  über  die  Mittelmäßigkeit 
hinausragen  würde,  \v;is  freilich  nicht  ein  zufälliges  Spiel  der  Natur 
ist,  sondern  in  den  Forderungen  der  Zeit  begründet  ist.  Nur  wenn 
man  Einzelheiten  verfolgt,  beobachtet  man  eine  Entwicklung. 

Grabmal  Pins'  V.  Der  Papst  thronend,  geradeaus  gewen- 
det, segnend  in  der  Nische.  Kontrapost  in  der  Haltung.  Ein  milder 
und  lächelnder  Zug  im  Antlitz,  der  zu  dem  überaus  strengen  Geiste 
dieses  Papstes  eigentlich  schlecht  stimmt;  absolut  ruhige,  feierliche 
Haltung,  in  den  Reliefs  perspektivische  Einblicke  in  tiefe  Hallen, 
mit  viel  Freiraum  zwischen  Vorder-  und  Hinterfiguren.  Grabmal 
Sixtus'  V.  Der  Papst,  der  Gesinnungsverwandte  Pius'  V.,  betet 
kniend,  also  in  demütiger  Haltung,  zu  Gott  und  nicht  zu  den  Men- 
schen gewendet.  Der  Kopf  ist  leise  geneigt,  sonst  fest  geradeaus, 
willensstark.  In  allem  übrigen  genau  die  gleiche  Behandlung  wie 
dort:  ruhig  entschlossen.  In  den  Reliefs  etwas  mehr  Tendenz  auf 
Raumfüllung.  Also  1.  Rückkehr  zum  architektonischen  Aufbau.  2.  Ver- 
meidung der  Allegorie  (Frciskulpturen);  dafür  historische  Reliefs. 
Auch  darin  altchristliche  Auffassung.  Das  Grabmal  Clemens'  VIII 
in  der  Capella  Paolina  zeigt  äußerlich  noch  die  Hauptformcn 
der  beiden  früheren,  aber  leise  Verschiedenheiten  sind  doch  zu 
merken.  So  geringfügig  diese  Veränderungen  scheinen,  kündigen 
sie  doch,  wie  sich  zeigen  wird,  einen  nahenden  Umschwung  an. 
In  der  Figur  des  Papstes  äußerlich  die  Gebärde  Pius'  Vi:  segnend 
thronend,  aber  die  unruhige  Beinstellung  erinnert  wieder  etwas 
an  diejenige  des  Moses  und  des  Giuliano  von  Michelangelo.  Die 
Haltung  nicht  mehr  so  geradeaus,  sondern  etwas  ins  Schräge  ge- 
dreht. Der  Thronsessel  ist  ganz  deutlich  gemacht:  naturalistische 
Lokalisierung.  Auch  sonst  ist  eine  Bewegung  in  die  Figuren  gekommen, 
die  einen  gesteigerten  inneren  Affekt  verrät;  sie  verrät  sich  sogar  im 
Beiwerk,  z.  B.  in  den  Falten  Im  Aufbau:  unteres  Geschoß,  die 
Kränze  zwischen  den  Säulenkapitcllen  sind  nicht  mehr  einzeln,  son- 
dern verdoppelt,  und  zwar  sind  die  mittleren  Enden  durch  einen 
Engelskopf  gehalten.  Vergleicht  man  es  mit  jenem,  so  ist  ein  Moment 
der  Bewegung  auch  hier  hineingekommen.  Oberes  Geschoß:  statt 
Hermen  sind  Karyatiden  —  also  vollkommener  lebende  Kräfte,  orga- 


-     151     - 

nischcrc  Wesen  als  Hermen:  organisch  ist  aber  zugleich  Leben.  Be- 
wegung gegenüber  dem  Anorganischen  —  von  denen  namentlich 
die  mittleren,  die  den  Segmentgiebel  tragen,  die  Arme  in  un- 
gewöhnlicher, auffallender  Haltung  aufwärtsheben,  um  die  Last  zu 
stützen.  Also  wiederum  Bewegung.  Dann  sind  zwischen  die  Köpfe 
und  die  harten  Kapitelle  Polster  geschoben:  ein  geradezu  naturali- 
stisches Moment.  Gesteigerte  Bewegung  und  Naturalismus  sind 
aber  die  Elemente  der  berninischen  Skulptur,  von  der  wir  hier  zeit- 
lich nicht  mehr  weit  entfernt  sind.  In  den  Reliefs  sind  die  Figuren  in 
den  Vordergrund  gedrängt,  aber  mit  Luft  dazwischen,  dafür  ist  der 
Tiefraum  beseitigt.  Berninis  Vater  Pietro  hat  die  vier  Karyatiden  und 
die  Papstkrönung  oben  in  der  Mitte  gearbeitet,  die  drei  Vorder- 
figuren sind  charakteristisch  durch  malerische  Lebendigkeit  der  Be- 
wegung. 

Grabmal  Pauls  V.  Sein  Kardinalnepot  Scipio  Borghesc  war 
bereits  ein  Gönner  des  jugendlichen  Bernini.  Der  Aufbau  hat  die 
Neuerungen  des  clemcntinischcn  Grabmals.  Der  Papst  ist  wiederum 
kniend  dargestellt,  auf  Polster  diesmal,  und  betend.  Man  vergleiche 
den  Kopf  mit  dem  Sixtus'  V.;  es  ist  ein  inbrünstiger  Zug  in  den 
Kopf  gekommen,  der  Künstler  hatte  also  das  Bestreben,  die  innere 
Gemütsbewegung  des  Betenden  wiederzugeben.  Schon  die  schwach 
geneigte  Kopfhaltung  im  Vergleich  zu  der  ganz  festen  und  nahezu 
kerzengeraden  des  Sixtus.  In  den  Reliefs  sind  die  Tiefräume  minder 
lief  und  dann  schräg  komponiert.  Endlich  die  Gewandbchaiullung : 
das  Gcfältel  ist  ganz  kleinlich  geworden.  Man  überschaue  die  Ent- 
wicklung hierin  seit  Pius  V.  und  wird  in  der  Tat  eine  Entwick- 
lung finden.  Bei  Pius  V.  noch  ein  großartiger  plastischer  Falten- 
wurf nach  antiker  Art;  auch  noch  bei  Sixtus,  wenngleich  schon 
weniger  scharf  und  tief.  Bei  Clemens  VIII.  kleinlich  und  knitterig,  bei 
Paul  V.  ein  ganz  zartes  Gefältel,  das  die  Plastik  geradezu  vermeidet. 
Dieser  Progreß  ist  die  Voraussetzung  für  Bernini.  Dieser  schreitet 
wieder  zu  einem  gewaltigen  Faltenwurf  über,  aber  in  ganz  anderem, 
entgegengesetztem  Sinne,  als  ihn  die  Antike  und  die  Renaissance 
gebraucht  hatte.  Bernini  strebt  in  der  Falte  an,  was  Michelangelo 
mit  dem  nackten  Körper  angestrebt  hatte.  Damit  ist  sogar  wörtlich 
gesagt:  Bernini  gibt  mit  äußerlichen  Mitteln,  was  Michelangelo  mög- 
lichst innerlich  gefaßt  haben  wollte.  Michelangelo  hätte  sich  mit  so 


äußerlicher  Unruhe  nie  begnügt.  Aber  auch  seine  Zeit  nicht.  Das 
17.  Jahrhundert  dagegen  verlangte  wieder  nach  äußerlichen  Rei- 
zungen Was  ist  das  Fazit  der  Entwicklung  der  römischen  Skulptur 
im  10.  Jahrhundert?  Dem  Michelangelo  kam  sie  in  seiner  eigensten 
Weise  nicht  nach;  so  muß  sie  sich  darauf  beschränken,  die  alte  er- 
erbte Weise,  die  Renaissanceweise  allmählich  ad  absurdum  zu  führen. 
Eine  solche  destruktive  Tendenz  konnte  keine  großen  Künstler  her- 
vorbringen; diese  werden  nur  durch  ein  großes  positives  Problem 
hervorgebracht.  Das  Zerstören  besorgt  immer  eine  ganze  Generation; 
das  Aufbauen  besorgen  einzelne  in  führender  Stellung.  In  Ober- 
italien gab  es  eine  Skulptur,  die  mit  Correggio  parallel  läuft  und 
auch  dem  Bernini  in  gewisser  Hinsicht  präludiert.  Sic  hat  auch  in 
der  Nähe  Corrcggios  ihren  Sitz  gehabt,  namentlich  in  Modena: 
eine  realistische  Tonplastik,  durch  Guido  Mazzoni.  gestorben  151S, 
berühmt  geworden  (der  Naturalismus  der  schmutzigen  Fußsohlen 
u.  dgl.  ist  hier  in  edlem  Sinuc  vorgebildet;  kein  Überschwang, 
dafür  echteres  Gefühl,  das  sich  um  den  Beschauer  nicht  kümmert). 
Dagegen  ist  schon  subjektivistisch  im  Sinne  Correggios  Antonio 
Begarelli  (gestorben  1565).  Seine  Heiligen  stehen  nicht  sicher  auf 
den  Füßen,  streben  schlank  aufwärts,  schmachten  in  die  Höhe,  haben 
magere  Glieder,  viel  Absicht  auf  konturenbrechende  Schattenwir- 
kung, Querfalten  in  den  Draperien.  In  Rom  konnte  diese  Richtung 
im  16.  Jahrhundert  nicht  Fuß  fassen;  erst  im  17.  durch  Bernini.  der 
natürlich  nicht  daran  direkt  angeknüpft  zu  haben  braucht. 


DIE   MALEREI    DER   OEGENREFORMATIONSZE1T. 

I.  Die  Manieristen.  Die  zweite  Hälfte  des  strengen  Barock- 
stiles repräsentiert  durch  den  Manierismus  in  unbestrittener  Herr- 
schaft. Was  nennen  wir  Manierismus?  Äußere  Nachahmung  der 
charakteristischen  Merkmale  in  der  Kunst  Michelangelos  oder  auch 
Raffaels  in  seiner  letzten  michelangeleskcn  Periode;  aber  die  geistige 
Vertiefung  tritt  ganz  zurück  nicht  so  sehr  wegen  Nichtkönnens,  sondern 
wegen  Nichtwollens,  man  verlangte  es  nicht  in  der  strengen  gegen- 
reformatorischen  Zeit.  Sie  entzog  sich  der  Nachahmung,  weil  sie 
innerlich  erfaßt  und  erlebt  werden  muß.  Dagegen  war  wohl  nach- 
zuahmen: 1.  die  nackten,  übergewaltigen  Glieder  in  übernatürlichen 
Verrenkungen,  Verkürzungen  heraus  und  hinein,  2.  die  Behandlung 
der  Farbe  als  bloße  Zugabc,  in  der  Regel  hell,  bunt  und  kühl:  in 
der  Farbe  äußert  sich  am  ehesten  ein  gewisser  selbständiger 
Geschmack.  Einige  geben  dem  Fleische  verschiedener  Personen  ver- 
schiedene Färbung,  worauf  Michelangelo  gar  keinen  Wert  gelegt 
hätte.  Gerade  darin  äußert  sich  der  Sinn  für  Lokalfarbe  in  ihrer 
taktischen  Begrenzung.  Darin  gehören  sie  noch  zu  der  früheren 
mittelalterlichen  Malerei;  es  fehlt  noch  das  Koloristische,  Tenebrose, 
das  Dunkel.  Gerade  den  Beschauer  germanischer  Rasse  sprechen 
diese  Bilder  am  wenigsten  an,  weil  ihnen  jede  Beseelung  fehlt. 
Schon  Michelangelos  Gestalten  wirken  nicht  gerade  herzerwärmend; 
sie  sind  zwar  beseelt  in  höchstem  Maße,  aber  ihre  Beseelung  zeigt 
keinen  individuellen  Charakter,  sondern  einen  gewissermaßen 
abstrakten  und  allgemeinen.  Die  Nacht  ist  kein  Individuum,  sondern 
ein  Gattungsbegriff.  Bei  den  Nachahmern  des  Michelangelo  versagt 
nun  der  Ausdruck  der  Beseelung  überhaupt;  daher  erscheinen  ihre 
Werke  dem  nordischen  Beschauer  gleichgültig  und  leer.  Interessant 
ist  es.  die  Bilder  der  niederländischen  Manieristen  daneben  zu  ver- 
gleichen. Auch  diesen  gelingt  es  nicht,  die  geistige  Vertiefung  des 
Michelangelo  zu  erreichen;  aber  sie  bemühen  sich  wenigstens  und 
schaffen    damit  Karikaturen.    Die    Bilder  befriedigen  uns  nicht,    aber 


wir  finden  doch  wenigstens  die  Absicht  der  Beachtung  wert.  Die 
italienischen  Manieristen  haben  tue  Grenzen  der  Karikatur  dagegen 
nur  selten  überschritten;  sie  sind  im  allgemeinen  korrekt  in  Zeichnung 
und  Proportionen.  Wir  müssen  fragen:  wodurch  haben  sie  auf  ihr 
Zeitgeschlecht  gewirkt?  Was  fand  das  gegenreformatorische  Zcit- 
geschlecht  an  ihnen  Sympathisches?  Die  Antwort  kann  nur  lauten, 
die  dekorative  Wirkung.  Dekorativ  wirkt  das  Linienspiel  der  Formen, 
und  dekorativ  wirkt  die  bunte,  kalte,  aber  klare,  helle  und  bestimmte 
Färbung.  Dies  ist  die  Färbung  des  Fresko,  die  sie  aber  auf  die 
Ölbilder  übertragen.  Beides  —  die  Tendenz,  im  Fresko  alle  Wände 
zu  bedecken,  und  die  helle  Färbung  —  beweist  den  Zusammen- 
hang mit  dem  Mittelalterlichen,  Antiken.  Der  tenebrose  Kolorismus 
ist  neuzeitlich.  Gerade  die  Färbung  lehrt,  daß  diese  Meister  nicht 
bloß  leere  Nachahmer  und  Wiederholer  eines  typischen  Vorbildes 
gewesen  sind,  sondern  auch  eine  ganz  bestimmte  Geschmacksrichtung 
repräsentieren.  Die  rosenroten  und  himmelblauen  Töne  waren  vor 
ihnen  nicht  (Raffael  oder  gar  die  Oberitaliener)  und  nach  ihnen 
nicht  (die  schweren,  dunklen,  warmen  Töne  der  Barockmaler);  erst 
im  IS.  Jahrhundert  kommt  der  Geschmack  am  Hellen  und  Kühlen 
im  allgemeinen  wieder  auf  (Ausnahmen  kapriziöser  Art  hat  es  immer 
gegeben,  z.  B.  Sassofcrrato).  Es  ist  auch  ganz  natürlich,  daß  die 
strenge  Gegenreformation  an  die  bildende  Kunst  hauptsächlich  nur 
dekorative,  schmückungszweckliche  Aufgaben  gestellt  hat.  Man  war 
eben  zum  Bewußtsein  gelangt,  daß  man  sich  in  der  Renaissancezeit 
etwas  allzutief  in  eine  heidnische  Vorliebe  für  das  Materielle  in  der 
Kunst  eingelassen  hatte.  Wie  ursprünglich  in  der  altchristlichen  Zeit, 
fand  man  auch  jetzt  wieder  in  den  strengkirchlichen  Kreisen,  daß 
die  bildende  Kunst  im  Grunde  nur  für  Aufgaben  des  Gebrauchs- 
zweckes und  des  Schmiickungszweckes  unbedingt  notwendig  und 
unentbehrlich  wäre.  Die  Verkörperung  der  Naturgesetze  und  der 
Sittengesetze,  wie  sie  die  antike  Kunst  und  die  Renaissancekunst 
dargeboten  hatte,  wurde  in  der  strengen  gegenreformatorischen 
Periode  von  der  bildenden  Kunst  nicht  bloß  nicht  verlangt,  sondern 
sogar  nach  Möglichkeit  vermieden.  Das  muß  man  sich  gegenwärtig 
halten,  wenn  man  verstehen  will,  wie  die  geistig  so  tief  erregie 
Zeit  der  strengsten  Gegenreformation  sich  mit  der  leersten  und 
äußerlichsten  Kunstauffassung  begnügen  konnte.  Wir  verknüpfen  mit 


der  Bezeichnung  der  römischen  Barockkunst,  der  Jesuitenkunst,  in 
der  Regel  den  Begriff  der  rauschenden  Fülle,  der  Üppigkeit,  des 
üherqucllcndcn  Reichtums  an  Formen  und  an  Bewegungen.  Das  ist 
aber  alles  erst  nach  1600  eingetreten,  als  die  strenge  Phase  des 
gegenreformatorischen  Zeitalters  vorüber  war  Die  Gegenreformation 
selbst  war  in  gewissem  Sinne  kunstfeindlich,  genau  wie  ihr  Gegen- 
part,  der  Protestantismus  im  Norden. 

Die  Manieristen  sind  in  Italien  keine  Bahnbrecher  (im  Norden 
waren  sie  es.  sie  bereiten  Rubens  vor);  ihre  Kunstweise  kann  nur 
symptomatische  Bedeutung  beanspruchen.  Daher  erscheint  ein  Ein- 
gehen auf  die  einzelnen  Meister  unnötig.  Zumeist  sind  die  Meister, 
die  diese  Kunst  in  Rom  vertreten,  noch  von  der  florentinischen 
Malerei  ausgegangen;  der  Manierismus  war  noch  von  Florenz  aus- 
gegangen, und  eine  Richtung,  die  strengere  michclangeleske,  bleibt 
auch  an  Florenz  gebunden.  Der  Herold  der  ganzen  Richtung  — 
Giorgio  Vasari  —  ein  direkter  Schüler  Michelangelos,  ist  immer 
ein  Florentiner  geblieben,  wenn  er  auch  jahrelang  in  Rom  gemalt 
und  gebaut  hat.  In  Rom  selbst  war  eine  Richtung  maßgebend,  die 
sich  mehr  an  Raffael,  aber  an  den  michelangelesken  Raffael,  ange- 
schlossen hat.  Dort  waren  eine  Zeitlang  die  Gebrüder  Zuccaro  die 
tonangebendsten;  der  eine  Bruder.  Taddeo,  ist  zwar  schon  1566 
gestorben,  der  andere  aber,  Fedcrigo,  hat  bis  1609  gelebt.  Er  war  der 
eigentliche  römische  Hauptmaler  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhun- 
derts und  hat  namentlich  die  wichtigsten  Aufgaben  der  Freskomalerei 
in  den  Palästen  besorgt.  Vornehmlich  heitere  Landsitze  wie  Capra- 
rola  und  Vigna  di  Papa  Giulio  schmückte  er  mit  Malereien,  aber  auch 
die  Sala  regia  im  Vatikan  und  die  Florentiner  Domkuppel.  Neben 
ihm  ist  dann  für  Rom  noch  der  Cavalier  d'Arpino  zu  nennen 
(Giuseppe  Cesari  war  sein  Name),  von  dem  man  noch  viele  Bilder 
in  Rom  findet;  er  hat  bis  1640  gelebt,  also  den  Manierismus  noch 
tief  in  die  Zeit  Berninis  hinein  fortgesetzt. 

Ein  mittelitalienischer  Meister  steht  abseits  in  dieser  Zeit.  Er 
empfand  es,  auf  welchem  Wege  über  den  Manierismus  der  römisch- 
florentinischen  Schule  hinauszukommen  war;  durch  den  optischen 
Subjektivismus  der  Oberitaliencr.  Das,  was  Comasken  in  die  Archi- 
tektur gebracht  haben  in  der  zweiten  Hälfte  des  strengen  Barock- 
stiles, haben  die  Carracci  und  die  Caravaggisten  in  die  Malerei  ge- 


-     156     - 

bracht.  Ihr  Vorläufer  aber,  noch  zu  der  Zeit,  wo  Vignola  und  Giacomo 
della  Porta  die  Mode  beherrschten,  war  Fcderigo  Baroccio  von 
Urbino,  gestorben  1602.  Das  hat  man  bald  in  Italien  eingesehen 
und  Beitori  nennt  ihn  auch  einen  Bahnbrecher;  allerdings  sah  er 
in  ihm  hauptsächlich  einen  Erneuerer  Raffaels  gegenüber  Michel- 
angelo, der  mit  seinem  taktischen  Subjektivismus  bis  dahin  geherrscht 
hatte.  Er  hat  fast  nur  Religiöses  gemalt,  in  öl.  Man  sieht  im  Ver- 
gleich zu  den  übrigen  Manieristen  erstens  weichere  Behandlung  der 
Umrisse,  wiewohl  die  Farbe  noch  hell  und  kühl  ist.  Dieser  Färbung 
halber  hatte  man  ihn  hauptsächlich  den  Manieristen  zugezählt,  denn 
er  verwendet  noch  keine  Schatten  wie  Correggio  und  die  Vene- 
zianer, was  die  Carracci  getan  haben,  also  er  war  kein  Kolorist. 
Aber  die  lockere,  weiche  Behandlung  erinnert  in  bescheidenen  Gren- 
zen an  Tintoretto.  Bezeichnend  ist  es  daher  auch,  daß  er  radiert 
hat.  nicht  gestochen,  was  immer  den  Koloristen  verrät.  Diese 
weichere,  flockigere  Behandlung  ist  entschieden  subjektiv,  denn  die 
Farben  sind  objektiv  einheitlich,  nur  dem  Beschauer  scheinen  sie 
im  Luft-  und  Lichtraum  zu  flimmern;  zweitens  eine  gesteigerte  Innig- 
keit der  psychischen  Auffassung  im  Sinne  des  Correggio. 

S.  Michelina  in  der  vatikanischen  Pinakothek.  Viel  Schatten, 
Dunkel,  Eingehen  auf  das  Atmosphärische,  die  Konturen  mit  dem  Raum 
verbunden,  so  daß  es  keine  harte  Trennung  mehr  zwischen  Figur  und 
Grund  gibt;  die  rechte  Hand  mit  scharfen  Beleuchtungsuntcrschieden. 
Die  Draperien  etwas  flauer,  unplastischer,  rein  optischer.  Zur  Auffas- 
sung: sehnsüchtiges  Emporblicken,  aber  keine  krankhafte  Aufregung:  die 
Hände  ausgebreitet,  das  Gewand  flatternd,  wie  vom  Winde  bewegt. 

Verkündigung  ebenda.  Entschieden  natürliche  Auffassung, 
nicht  ein  überirdisches  Ereignis,  das  Köpfchen  der  Madonna  wenig 
hohcitsvoll,  wenn  auch  nicht  direkt  porträtartig.  Das  schlummernde 
Kätzchen  im  Vordergrunde  links  erinnert  an  nordische  Auffassung, 
ist  aber  zu  untergeordnet  behandelt;  der  Nordländer  hätte  daraus 
ein  Stimmungselement  gemacht.  Dann  die  Landschaft,  die  durch 
das  Fenster  hereinschaut,  subjektiv  aufgefaßt  und  mit  der  Haupt- 
szene räumlich  richtig  verbunden,  man  sieht  deutlich  die  Sonnen- 
lichtwirkung draußen. 

Was  der  Malerei  dieser  Zeit  ihre  Bedeutung  gibt,  liegt  nicht 
so  sehr  in  den   künstlerischen  Persönlichkeiten    und    ihren  Werken, 


—     157     — 

als  in  einigen  Beobachtungen  allgemeiner  Art.  zu  denen  sie  Anlaß 
geben  und  die  daher  hier  Anmerkung  finden  sollen.  Es  begegnen 
da  Erscheinungen,  die  damals  ganz  neu  waren,  aber  sich  bis  auf 
unsere  modernste  Zeit  fortgesetzt  haben;  es  zeigt  sich  in  dieser 
Erscheinung  deutlich,  daß  die  Manieristen  nicht  mehr  zur  Renaissance 
zählen,  zu  einer  sogenannten  Spätrenaissance,  von  der  man  gerne 
spricht,  sondern  daß  mit  Michelangelo  eine  neue  Zeit  angebrochen 
war.  im  strengsten  Gegensatz  zu  aller  vorausgegangenen  antiken 
und  mittelalterlichen  Kunst. 

Diese  Erscheinungen  sind:  1.  Die  Romfahrten  der  Künstler. 
(In  anderem  Sinne  als  die  Jubiläumsfahrt  Rogiers  van  der  Weyden 
1450.  den  hauptsächlich  der  Gewinn  gelockt  hat,  wie  auch  andere 
nordische  Maler.  Die  Konzilien  gaben  namentlich  Verdienst.)  Es 
wurde  zuerst  bei  den  Florentinern  unvermeidliche  Mode,  nach  Rom 
zu  pilgern  und  die  dortigen  Hauptwerke,  namentlich  die  des  Michel- 
angelo, sich  anzusehen,  später  auch  die  des  Raffael.  Man  glaubte. 
wer  diese  Werke  nicht  gesehen  hätte,  könne  kein  großer  Meister 
werden.  Diese  Tendenz  ist  aber  auf  die  Italiener  nicht  beschränkt 
geblieben,  sie  hat  schon  damals  auch  auf  das  Ausland  übergegriffen. 
Der  niederländische  Manierismus  wäre  nicht  möglich  gewesen  ohne 
die  Romfahrten  der  flämischen  und  holländischen  Maler.  Ebenso 
kamen  die  Spanier  nach  Rom,  zunächst  weniger  die  Deutschen  und 
Franzosen:  die  Franzosen  aber  im  17.  Jahrhundert,  die  Deutschen 
auch  schon  im  17.,  namentlich  aber  seit  dem  18.  Jahrhundert.  Das 
hat  sich  fortgeerbt  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Selbst  die  Holländer 
des  17.  Jahrhunderts  haben  sich  dagegen  nicht  ganz  ablehnend 
verhalten;  erst  heute  macht  sich  ein  lauter  und  allgemeiner  Wider- 
spruch dagegen  geltend,  womit  wieder  gesagt  erscheint,  daß  wir 
abermals  in  eine  neue  Phase  der  Entwicklung  der  Malerei  cinge 
treten  sind. 

2.  Die  Gründung  von  Akademien.  So  in  Florenz  unter  dem 
Einflüsse  des  Giorgio  Vasari,  in  Rom  die  Accademia  di  San  Luca, 
die  noch  heute  existiert,  unter  dem  Einfluß  des  Federigo  Zuccaro, 
beide  in  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts.  Freilich,  bis  es 
zur  Ausbildung  der  Akademien  zu  Staatsinstituten  im  modernen 
Sinne  gekommen  ist.  hat  es  lange  gedauert;  anfangs  waren  es  mehr 
unverbindliche  private  Vereinigungen.   Die  Basis  dafür  erkennt  man 


158     — 

aber  alsbald  im  systematischen  Unterricht;  und  dieser  wird  bald, 
schon  in  der  Akademie  der  Carracci,  noch  im  16.  Jahrhundert. 
zum  Hauptzweck  der  Vereinigung.  Der  Subjektivismus  fordert  die 
Akademie,  so  paradox  es  klingt.  Gegenüber  dem  Neuen,  das  jeder 
erstrebt,  soll  bewährte  Errungenschaft  konserviert  und  überliefert 
werden.  Aber  in  Florenz  und  Rom  hat  man  schon  das  Kommende 
geahnt;  auch  hierin  ist  die  Zeit  des  Manierismus  die  symptomatische 
Vorläuferin  des  kommenden  herrschenden  Elementes.  So  ist  es  ge- 
blieben bis  auf  unser  Jahrhundert;  auch  diesbezüglich  werden  heute 
Meinungen  laut,  daß  die  Akademien  ihrem  Zwecke  nicht  mehr  ent- 
sprechen. Der  äußerste  Subjektivismus  braucht  sie  also  nicht  mehr, 
daher  schon  die  Holländer  nicht.  Was  war  ihre  Bedeutung  vom  16. 
bis  zum  IQ.  Jahrhundert?  Sie  waren  ein  konservatives  Element:  der 
Lehrer  wollte  den  Schüler  bei  seiner  eigenen  Weise  festhalten,  die 
ihm  eben  als  die  beste  schien.  Eines  solchen  konservativen  Elementes 
hatte  es  früher  nicht  bedurft,  weil  die  Veränderungen  in  der  Kunst 
sich  sehr  langsam  vollzogen.  Heute  dagegen  vollziehen  sie  sich 
so  rasch,  daß  die  Akademien  nur  als  Hindernis  dafür  empfunden 
werden.  Eine  weitere  Begleiterscheinung  ist  die  Anlegung  von 
Galerien:  Sammlungen  von  Bildern  für  den  privaten  Genuß, 
eine  Nebenform  des  modernen  Kapitalismus.  Das  hat  sich  erst  im 
1  7.  Jahrhundert  ganz  scharf  ausgeprägt,  beginnt  aber  auch  schon  im 
16.  Jahrhundert,  noch  in  Form  von  Kunstkammern,  vielfach  mehr 
Raritätenkammern.  Dagegen  heute  Reaktion  in  der  Forderung  einer 
Volkskunst. 

3.  Die  erwachende  Neigung  der  Künstler  zum  geistreichen 
Theoretisieren;  sie  wollen  Regeln  geben,  aber  sie  geben  nur 
das,  was  ihnen  selbst  richtig  dünkt;  so  blieb  es  bis  auf  den  heuti- 
gen Tag.  Das  beweist,  daß  die  Künstler  nicht  mehr  unter  dem 
inneren  Zwange  schaffen  wie  früher,  das  verrät  am  schärfsten  den 
Subjektivismus.  (Thcophilus'  diversarum  artium  schedula  hatte  nur 
technische  Anweisungen  gegeben;  über  das  andere  gab  es  über- 
haupt nichts  zu  sagen  und  nichts  zu  lehren.)  Das  äußert  sich  selbst 
schon  bei  Vasari,  wo  er  auf  seine  eigene  Zeit  zu  sprechen  kommt. 
Auch  Federigo  Zuccaro  hielt  sich  verpflichtet,  seine  Meinung  über 
ilie  Aufgaben  der  bildenden  Künste  den  Mitmenschen  nicht  vorzu- 
enthalten.   Er    schrieb    eine    „Idea    de' scultori,    pittori  cd'  architetti" 


-     159     - 

Das  ist  einmal  ein  Punkt,  in  dem  heute  kein  Umschwung  merkbar 
ist.  Im  Gegenteil,  die  modernen  Maler  ergreifen  fast  alle  mit  Ver- 
gnügen die  Gelegenheit,  über  ihre  Kunstauffassung  Aufschluß  zu 
geben.  Es  drückt  sich  darin  der  künstlerische  Subjektivismus  aus,  wie 
er  zuerst  bei  Michelangelo  scharf  hervortritt.  Heute  ist  dies  so  weit 
gediehen,  daß  der  Künstler  kategorisch  verlangt,  der  Beschauer  habe 
sich  in  seine  —  in  des  Künstlers  —  Absicht  zu  fügen,  nicht  —  wie 
es  in  der  Antike,  im  Mittelalter  bis  zur  Renaissance  der  Fall  war  — 
der  Künstler  in  die  Absicht  der  genießenden  Beschauer,  für  die 
das  Kunstwerk  bestimmt  ist.  Bilder  auf  Bestellung  waren  einst  die 
Regel,  heute  sind  sie  nur  Ausnahme.  Es  ist  daher  nur  natürlich, 
daß  der  Künstler  das  Bestreben  haben  muß,  den  Beschauer  litera- 
risch —  wo  nicht  mündlich  —  über  seine  eigentlichen  Absichten 
zu  unterrichten.  Doch  geschieht  es  heute  nicht  mehr  so  mit  dem 
Anspruch,  das  allein  Gültige  mitzuteilen.  Die  Künstler  beginnen 
selbst  einzusehen:  alles  Schöne  ist  relativ.  Hierin  liegt  einer  der 
charakteristischesten,  aber  auch  bedenklichsten  Züge  im  modernen 
Kunstlcben.  Es  ist  fraglich,  ob  hierin  noch  eine  Steigerung  mög- 
lich ist  und  ob  es  nicht  zu  einem  Umschwung  kommen  muß.  — 
Uns  interessiert  aber  dieser  Punkt  nur  insoferne,  als  wir  feststellen 
können,  daß  auch  diese  Neigung  der  modernen  Künstler,  über 
ihre  eigene  Kunst  zu  theoretisieren,  zuerst  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  größeren  Umfang  angenommen  hat.  Vorläufer 
waren  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts:  Lionardo.  Dürer. 
Diesen  hat  es  sich  aber  doch  noch  um  etwas  anderes  gehandelt 
als  Vasari  und  Zuccaro:  nicht  um  Entfaltung  ihrer  subjektiven 
Ansichten,  sondern  um  Findung  der  objektiven  Wahrheit.  Diese 
erinnern  noch  an  den  Thcophilus.  der  mehr  auf  das  Handwerkliche 
eingeht.  Sie  wollen  gar  nicht  neu  erfinden,  nur  das  bewährte  Alte 
nachschaffen,  das  Neue  stellt  sich  dann  von  selbst  ein;  der  Sub- 
jektivismus sucht  mit  Fleiß  das  Neue. 

II.  Zweite  Hälfte  der  strengen  Barockmalerei.  Gibt  es 
eine  römische  Malerei  dieser  Zeit?  Eine  Antwort  gab  schon  das 
lange  Wirken  des  Cavalicr  d'Arpino.  Das  spezifisch  Römische  war  bis 
in  die  Zeit  des  Bernini  im  Grunde  doch  der  Manierismus.  Aber 
man  gestattete  daneben  auch  anderen,  zersetzenden  Richtungen 
den  Einfluß,    die  gleichzeitig  mit   den  Comasken    aus    dem  Norden 


-     160 

Italiens  kamen.  Nur  ist  charakteristisch,  daß  alle  diese  Meister  ans 
der  Fremde  wieder  wegziehen,  nachdem  sie  in  Rom  eine  Weile 
geschaffen  hatten  und  in  Mode  gestanden  waren.  Nur  der  Cavalier 
d'Arpino  blieb.  —  Daß  die  Meister  aus  der  Fremde  nach  Rom  kamen, 
wäre  nicht  auffallend,  denn  alle  römische  Kunst  wurzelt  ja  in  der 
fremde,  sie  ist  international  wie  der  römische  Katholizismus,  nur 
ihre  Blüte  ist  das  spezifisch  Römische.  Aber  daß  die  Meister  nicht 
bleiben,  beweist,  daß  sie  empfanden,  ihre  Kunst  hätte  in  Rom  nicht 
eigentlich  Wurzel  gefaßt.  Die  Carracci,  die  Begründer  des  Eklektizis- 
mus, kommen  aus  Bologna  und  gehen  dahin  zurück,  nur  Annibale 
stirbt,  da  er  im  Begriffe  steht,  Rom  zu  verlassen.  Die  großen  Schüler 
der  Carracci,  Reni,  Domcnichino  usw.  sind  alle  nach  Rom  gekommen 
und  alle  weggegangen.  Die  bedeutendsten  oder  doch  originellsten, 
Reni,  Guercino,  Albani,  sind  wieder  zurück  nach  Bologna;  die  Meister 
zweiten  Ranges  sind  zeitweilig  nach  Neapel  gegangen. 

Nicht  anders  steht  es  mit  der  zweiten  Richtung  jener  Zeit.  die. 
von  Obcritalien  ausgehend,  in  Rom  Eingang  gefunden  hat,  dem 
sogenannten  Naturalismus.  Sein  Begründer  Michelangelo  da 
Caravaggio  kam  aus  der  Lombardei;  in  Rom  ändert  er  sich, 
ebenso  wie  die  Carracci,  aber  er  romanisiert  sich  nicht;  er  findet, 
daß  Neapel  ein  dankbarerer  Boden  für  seine  Kunst  wäre  und 
wandert  dahin  aus.  In  der  Tat  hat  seine  Richtung  auf  italienischem 
Boden  am  ehesten  in  Neapel  Nachfolge  gefunden.  Auch  der  Norden. 
Holland  und  Frankreich,  haben  ihn  höher  zu  schätzen  gewußt  als 
die  Römer. 

Es  handelt  sich  also  um  eine  Zersetzung  des  taktischen 
Subjektivismus  des  Michelangelo  durch  den  optischen  Subjektivismus 
der  Oberitaliencr.  Diese  hatten  sich  in  zwei  Richtungen  gespalten: 
1.  den  überwiegenden  Formensubjektivismus  des  Correggio,  2.  den 
überwiegenden  Farbensubjektivismus  der  Venezianer.  Correggio 
steht  den  Toskanern  und  Römern  näher;  die  freien,  kühnen  Be- 
wegungen, die  er  seinen  Körpern  gibt,  haben  ihre  Parallelen  in  den 
Schöpfungen  des  Michelangelo.  Daher  wird  sich  von  Correggio  zum 
römisch -florentinischen  Manierismus  leichter  eine  Brücke  finden 
lassen,  als  von  den  Venezianern  her.  Dazu  auch  die  Verwandtschaft 
in  der  Auffassung:  bei  Correggio  begegneten  wir  der  lauten, 
freudigen  Hingabe,  der  Empfindungssprache  von  Person  zu  Person. 


Bei  Michelangelo  kämpft  dieses  Bedürfnis  nach  Hingabe  an  die 
Empfindung;  mit  dem  Willen  auf  Isolierung.  Bei  den  Venezianern 
dagegen  spielt  die  Empfindung  eine  ganz  nebensächliche  Rolle, 
selbst  bei  Tintorctto.  Auch  darin  steht  also  Correggio  den  Mittel- 
italienern näher.  Wo  wird  die  Brücke  geschlagen  werden  zwischen 
dem  oberitalienischen  Correggismus  und  den  Mittelitalienern?  Man 
könnte  den  Ort  a  priori  auf  der  Landkarte  feststellen;  es  mußte 
eine  Stadt  sein,  die  Ober-  und  Mittelitalicn  verbindet,  geographisch, 
politisch,  geistig  und  sozial.  Alle  diese  Bedingungen  erfüllt  Bologna. 
Bis  Bologna  war  der  Manierismus  gedrungen;  weiter  hinauf  in 
Oberitalien  herrschten  Correggio  und  die  Venezianer.  Von  Bologna 
aus  konnte  das  Unternehmen  gewagt  werden,  für  diese  ausgleichende 
Richtung  auch  Rom  zu  gewinnen.  Wie  schon  gesagt  wurde,  ist  das 
nur  vorübergehend  gelungen.  Wie  wenige  Aussicht  mußte  das 
andere  mögliche  Unternehmen  haben:  der  Versuch,  den  venezia- 
nischen Farbensubjektivismus  nach  Rom  zu  verpflanzen.  Das  haben 
die  sogenannten  Naturalisten  gewagt.  Es  ist  im  wesentlichen  das  Unter- 
nehmen nicht  einer  ganzen  Schule,  sondern  nur  eines  einzelnen  Mannes 
gewesen;  Caravaggios  Auftreten  und  Aufenthalt  in  Rom  war  von 
Anfang  bis  Ende  ein  Kampf  gegen  Manieristen  und  Bolognesen. 
Doch  hat  er  zeitweilig  selbst  auf  die  in  Rom  anwesenden  Bolognesen 
tiefen  Eindruck  gemacht.  Nachhaltige  Wirkung  haben  aber  die  Römer 
von  ihm  noch  weniger  empfangen  als  von  den  Bolognesen;  dagegen 
haben  ihm  die  Neapolitaner  einerseits,  einige  oberitalienische  Schulen 
anderseits  vieles  zu  verdanken. 

Wie  aber  die  Florentiner?  Im  16.  Jahrhundert,  selbst  zu 
Vasaris  Zeit  noch,  der  die  Venezianer  samt  Tizian  noch  recht  von 
oben  her  behandelte,  konnten  sie  sich  dem  Wahne  hingeben,  daß 
sie  noch  immer  der  italienischen  Kunst  die  Gesetze  diktierten,  wie 
im  Quattrocento  und  in  den  Jugendjahren  Raffaels  und  Michelangelos. 
Der  eigentliche  Bahnbrecher  des  römischen  Barockstiles,  Michelangelo, 
war  ja  ein  ganz  typischer  Florentiner  von  Haus  aus  gewesen.  Der 
Manierismus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  bildete  sich 
zwar  hauptsächlich  an  römischen  Werken,  der  Capella  Sistina  und 
den  Stanzen,  aber  diese  waren  doch  Werke  der  Florentiner  und 
Umbroflorentiner.  Es  gab  zwar  eine  Nuance  zwischen  dem  Floren- 
tiner Manierismus  des  Vasari  und  dem  römischen  der  Zuccari,  aber 

Ricgl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  H 


-     162     - 

es  war  nur  eine  lokale  Nuance.  Als  aber  am  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts in  Rom  neue  Kunstapostel  auftraten,  die  nicht  aus  Florenz, 
sondern  aus  Bologna  oder  gar  aus  der  Lombardei  kamen,  da  vollzog 
sich  der  künstlerische  Bruch  zwischen  Florenz  und  Rom.  Florenz 
tat  nicht  mehr  mit  und  ging  seine  eigenen  Wege,  es  blieb  der 
taktischen  Richtung  und  dem  Objektivismus  treu,  so  gut  es  eben  noch 
damals  möglich  war.  Damit  hatte  aber  Floren/  die  führende  Stellung 
endgültig  aus  der  Hand  gegeben  und  seither  nicht  wieder  gewonnen. 
Die  Florentiner  Malerei  des  17.  Jahrhunderts  ist  daher  vielleicht 
die  eigenartigste  in  ganz  Italien,  aber  für  die  Entwicklung  un- 
bedeutendste; ihre  Bilder  finden  wir  fast  nur  in  Florenz,  in  den 
Offizien  und  in  der  Pittigalerie.  Nur  einer  ist  in  auswärtigen  Galerien 
häufiger  und  dieser  fällt  heraus:  Dolci.  Wir  Kunsthistoriker  inter- 
essieren uns  natürlich  weit  mehr  für  die  Richtungen,  die  im  führenden 
rinnischen  Barockstil  wenigstens  vorübergehend  eine,  wenn  auch  nur 
zersetzende  Rolle  gespielt  haben:  für  den  bolognesischen  Eklektizis- 
mus und  den  lombardisch-venezianischen  Caravaggismus  oder  Natura- 
lismus. Für  uns  Nordländer  sind  naturgemäß  die  Naturalisten  die 
interessanteren.  Aber  historisch  für  die  italienische  Entwicklung  sind 
die  Eklektiker  wichtiger.  Daher  sind  diese  voranzustellen.  Das  IS.  Jahr- 
hundert hat  sie  sehr  hochgeschätzt.  Wir  sehr  wenig.  Wir  gehen 
durch  die  Säle  hindurch,  ohne  sie  recht  anzuschauen.  Woran  liegt 
das?  Wir  sehen  nichts  Neues  daran;  was  sie  bieten,  haben  wir  wo 
anders  zusagender  gesehen:  das  Taktische  in  der  Renaissance,  das 
Optische  bei  den  Venezianern.  Der  Ausgleich  zwischen  beiden,  den 
die  Carracci  gefunden  hatten,  besitzt  für  uns  nichts  Überzeugendes. 
Für  unseren  Geschmack  sind  diese  zwei  Tendenzen  überhaupt  nicht 
auszugleichen,  sondern  eine  muß  das  eminente  Übergewicht  haben. 
Dieser  Ausgleich  erscheint  uns  langweilig.  Die  Bilder  erscheinen 
uns  charakterlos,  sie  packen  uns  nicht,  weder  durch  Gefallen  noch 
durch  Mißfallen.  Wir  stoßen  uns  an  nichts,  cs  ist  im  allgemeinen 
eine  subjektive  Auffassung  der  Figuren,  wie  sie  auch  uns  heute  noch 
geläufig  ist;  es  ist  nicht  der  Reiz  des  Aparten,  wie  im  Quattro- 
cento. Die  Verbindung  der  Dinge  mit  dem  Räume  vom  Standpunkte 
des  subjektiven  Betrachters  ist  zu  wenig  einseitig  betont,  zu  wenig 
übertrieben,  um  unser  Interesse  herauszufordern.  Aber  historisch  ver- 
dient diese  Richtung  natürlich   betrachtet  zu  werden.  Die  Bedeutung 


-     163     - 

erhellt  schon  daraus,  daß  der  Katholik  bis  heute  keine  besseren 
Kirchenbilder  kennt  als  die  bolognesischen.  Noch  heute  kopiert  man 
Reni,  wie  ja  auch  noch  heute  der  gegenreformatorische  Katholizis- 
mus in  Herrschaft  steht. 

Bologna  gehörte  ursprünglich  auch  künstlerisch  zu  Ober- 
italien (S.  Petronio);  erst  seit  Julius  IL  gehörte  die  Stadt  zum  Kirchen- 
staat. Noch  jetzt  hat  man  den  Eindruck,  daß  in  Bologna  die  Romagna 
beginnt.  Schon  Serlio  und  Vignola  waren  aus  Bologna  nach  Rom 
gekommen.  Die  Verbindung  mit  Rom  war  besonders  rege  geworden, 
seitdem  ein  Bolognese,  Gregor  XIII.,  den  Stuhl  Petri  innegehabt  hatte. 
Es  war  dies  einer  der  Päpste  der  strengsten  Gegenreformationszeit, 
der  Vorgänger  Sixtus  V.  Auch  Gregor  XIII.  Buoncompagni  hat,  wie 
die  späteren  Päpste  bolognischer  Herkunft,  seine  Landsleute  massen- 
haft   nach   Rom  gezogen. 

Wie  stand  es  in  Bologna  mit  der  Malerei  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts?  Der  Manierismus  hatte  auch  in  Bologna  seine 
Anhänger  gefunden:  Pellegrino  Tibaldi,  Maler  und  Architekt,  war 
hier  der  Hauptmeister.  Schon  in  den  siebziger  Jahren  fanden  sich  nun 
in  Bologna  einige  Maler  zusammen,  die  nicht  bloß  die  Empfindung 
hatten,  daß  der  Manierismus  sich  überlebt  habe  —  das  ist  allein 
schon  etwas  ganz  Neues,  bisher  war  das  Vorhandene  immer  das 
beste;  die  Veränderung  geschah  unmerklich  —  sondern  auch  die 
Absicht  faßten,  der  Malerei  wiederum  einen  anderen  Charakter  zu 
geben;  das  ist  das  zweite  ganz  Neue:  das  Subjektivistische;  man  will 
es  besser  machen.  Der  erste,  der  diese  Absicht  bestimmt  und 
bewußt  gefaßt  hat,  war  allen  Nachrichten  zufolge  Lodovico 
Carracci;  die  nächsten,  die  sich  ihm  dann  Ende  der  siebziger 
Jahre  anschlössen,  seine  beiden  Vettern,  die  Brüder  Agostino 
und  Annibale  Carracci.  Was  würde  einer  heute  in  diesem  Falle 
tun?  Die  Natur  studieren.  Von  den  Carracci  hören  wir  anderes. 
Wir  wissen  vor  allem,  daß  sie  eifrige  Studien  zuerst  in  Parma, 
Modena,  Reggio  (wo  Correggios  Hauptwerke  sich  befanden)  und 
dann  in  Venedig  (namentlich  nach  Tintoretto,  offenbar  wegen  des 
bei  diesem  parallel  mit  dem  Kolorismus  gesteigerten  Linienele- 
mentes in  den  Kontraposten,  rhythmischen  Bewegungen)  gemacht 
haben.  Also  sie  studierten  nicht  die  Natur,  wie  es  heute  heißt, 
sondern  die  Bilder  der  Oberitaliencr.  Und  doch  war  das  im  Grunde 


—     164     - 

auch  nichts  anderes  als  Naturstudium.  Sie  ahnten,  daß  es  ihnen 
Bedürfnis  war,  die  Natur  zu  sehen  wie  Corrcggio  und  die  Venezianer; 
also  die  Natur  bei  Corrcggio  und  den  Venezianern,  das  war  die 
richtige  Natur.  Das  Naturmodell  als  solches  haben  sie  gewiß  vor 
Augen  gehabt,  ebenso  wie  die  Naturalisten. 

Wie  sie  nun  selbst  durch  Studium  die  Zukunftsrichtung  der 
Malerei  zu  begründen  suchten,  glaubten  sie  auch,  daß  auch  andere 
von  nun  an  nur  mehr  durch  Studium  und  Unterricht  zu  einer 
erfolgreichen  Malertätigkeit  gelangen  könnten.  Und  so  begründeten 
sie  im  Jahre  1582  in  Bologna  die  erste  Unterrichtsanstalt  für 
bildende  Künste:  die  Accademia  dei  Incamminati  (die  Akademie 
der  auf  den  Cammino  —  gangbaren  Weg  —  Gebrachten).  Es  war 
wirklich  eine  Kunstschule,  ganz  wie  die  modernen,  die,  wie  es 
scheint,  freilich  auch  bald  wieder  nur  mehr  ein  überwundener 
Standpunkt  sein  werden.  Unterrichtsgegenstände  waren:  1.  il  Naturale, 
d.  i.  das  Modell;  es  dreht  sich  also  hauptsächlich  um  die  Wieder- 
gabe der  optischen  Erscheinung  der  menschlichen  Figur  in  ihrer 
taktischen  Begrenzung  und  Modellierung,  2.  die  Proportionslehre, 
3.  Anatomie,  4.  Perspektive,  5.  Architektur.  D.  h.  man  war  sich 
damals  noch  des  engeren  Zusammenhanges  zwischen  der  Figuren- 
komposition, dem  inneren  Aufbau  eines  Bildes  und  der  Architektur 
bewußt,  man  betrachtete  das  Bild  im  ganzen  doch  noch  als  etwas 
Objektives,  ganz  außer  dem  Beschauer  und  unabhängig  von  ihm 
Existierendes,  welches  Bewußtsein  den  Modernen  gänzlich  abhanden 
gekommen  ist.  Das  sind  nun  alles  Gegenstände,  die  sich  früher 
einer,  der  sich  der  Malerei  widmen  wollte,  allmählich  in  der  Werk- 
statt eines  Meisters  als  Lehrling  aneignete. 

Jetzt  aber  fanden  die  Lehrer,  die  Carracci,  daß  man  das  Voll- 
kommene in  der  Malerei  nicht  bei  einem,  sondern  bei  mehreren 
großen  Meistern  suchen  müsse.  Sic  verlangten  von  ihren  Schülern 
nicht,  daß  sie  malen  sollten  genau  wie  sie  —  die  Carracci  —  selbst, 
sondern  sie  wiesen  hin,  wie  die  sichere  Lienienbegrcnzung  sich 
insbesondere  bei  den  großen  römisch-florcntinischen  Meistern,  bei 
Raffael  und  Michelangelo  offenbart,  die  äußere  Grazie  und  die 
innere  Sceligkeit  bei  Correggio,  die  farbige,  optische  Naturwahrheit, 
d.  i.  die  Verbindung  mit  dem  Räume  bei  den  Venezianern.  Sic  fanden 
also  an   den  Meistcrleistungen    aller    bisherigen    italienischen  Maler- 


—     165     - 

schulen  etwas  Bleibendes,  Nachahmenswertes,  und  dies  kommt  natürlich 
auch  in  ihren  Bildern  zum  Ausdruck.  Darin  offenbart  sich  der  Objekti- 
vismus, der  ihrer  Tendenz  zugrunde  liegt.  Sie  wollen  gar  nicht  ganz 
Neues  schaffen;  der  moderne  Subjektivist  dagegen  will  um  jeden 
Preis  etwas  Neues,  Unerhörtes:  auch  Borromini,  auch  Caravaggio 
hat  dies  gewollt.  Die  Carracci  vertreten  also  den  relativen  Objek- 
tivismus, wiewohl  sie  sich  zur  Nachahmung  der  subjektivistischen 
Richtungen  der  Oberitaliener  entschließen.  Daher  die  Gepflogenheit, 
italienische  Bilder,  die  man  sonst  niemandem  zuweisen  kann,  den 
Carracci  zuzuteilen.  Diese  mitunter  fast  charakterlose  Vielseitigkeit, 
die  lebhaft  an  die  Comasken-Architekten  erinnert,  hat  den  Carracci 
die  Bezeichnung  Eklektiker  verschafft;  damit  will  man  sagen:  sie 
hätten  in  bewußter  Absicht  nichts  Eigenes  schaffen,  sondern  nur 
aus  dem  schon  Vorhandenen  das  Beste  auswählen  wollen.  Als 
Beweis  dessen  hat  man  ihre  eigenen  Äußerungen,  ein  Sonett  des 
Agostino  Carracci  an  Nicolö  dell'  Abate  (einen  manieristischen 
Maler)  angeführt,  worin  es  heißt:  wer  ein  großer  Maler  sein  wolle, 
der  müsse  den  Raffael,  den  Michelangelo,  den  Tizian  usw.  in  sich 
vereinigen,  wer  es  aber  so  macht  wie  Nicolö  dell' Abate.  der 
braucht  das  alles  nicht.  Diese  Äußerung  darf  man  aber  nicht  zu 
schwer  und  nicht  gar  zu  wörtlich  schätzen;  es  handelt  sich  offenbar 
um  eine  Schmeichelei  für  den  befreundeten  Maler,  und  nicht  um 
zweckbewußte  Entwicklung  eines  künstlerischen  Programmes.  Im  all- 
gemeinen haben  es  aber  die  Carracci  in  der  Tat  so  gemeint; 
nur  haben  sie,  gewissermaßen  wider  ihren  Willen,  etwas  Neues  ge- 
schaffen. Man  versteht  ihre  Stellung  vielleicht  am  besten,  indem  man 
sich  zum  Bewußtsein  bringt,  daß  die  Carracci  die  ersten  Retrospek- 
tiven waren.  Die  „historische"  Kunstperiode  unseres  Jahrhunderts, 
die  das,  was  sie  ausdrücken  wollte,  in  allen  möglichen  verflossenen 
Stilarten  suchte,  hat  bei  den  Carracci  zuerst  Ausdruck  gefunden.  Es 
fehlte  zum  ersten  Male  den  Künstlern  die  Sicherheit  der  Natur- 
anschauung. Daß  aber  die  Carracci  bei  allem  Respekt  vor  den  älteren 
großen  Meistern  durch  die  zwingenden  Umstände,  durch  die  eklekti- 
schen Aufgaben  selbst  zu  Neuerungen  geführt  wurden,  beweist  schon 
allein  ein  Umstand,  den  sie  allerdings  als  untergeordnet  gar  nicht  her- 
vorheben, den  wir  aber  heute  umso  deutlicher  zu  würdigen  wissen: 
sie  haben  so  wie  alle  großen  Bahnbrecher  (wie  die  van  Eyck,  wie  Rem- 


-     166     - 

brandt)  ein  neues,  folgenschweres  technisches  Verfahren  erfunden.  Es 
ist  die  durch  Lodovico  Carracci  erfundene  braune  Grundierung,  an 
Stelle  der  früher  üblich  gewesenen  weißen  Grundierung.  Dadurch  ge- 
wannen die  Bilder  an  Stelle  der  früheren  hellen,  kühleren  Färbung  (die 
den  Absichten  Michelangelos  und  der  Manicristen  so  gut  entsprach) 
eine  dunklere,  schwerere,  wärmere  Grundfärbung,  die  im  allgemeinen 
der  ganzen  Carraccischulc  eigentümlich  geworden  ist,  und  die  für 
ein  stärkeres  Helldunkel,  Raummalerei,  Verbindung  der  Dinge  im 
Luftraum  geradezu  Voraussetzung  war  (allerdings  sind  einige  der 
Schüler  mit  der  Zeit  zu  einer  kühleren  Farbengebung  übergegangen). 
Es  hatte  dies  den  Nachteil,  daß  der  dunkle  Bolusgrund  durch  die 
helleren  Lokalfarbcn  öfter  durchgewachsen  ist,  so  daß  viele  ihrer 
Bilder  heute  stark  nachgedunkelt  sind  und  dadurch  an  koloristischem 
Wert  wesentlich  verloren  haben.  Was  wollte  aber  Lodovico  damit? 
Offenbar  ganz  ähnliches  wie  die  Venezianer,  den  gesamtstimmenden 
Ton,  nur  daß  die  Venezianer  diesen  Ton  als  letztes  oberflächlich 
über  die  Lokalfarbe  breiteten,  während  Lodovico  den  Ton  von 
Grund  aus,  also  von  innen  her,  vorbereitete  (abermals  ein  Zug  zur 
Innerlichkeit,  wie  er  in  der  werdenden  Barockkunst  so  oft  begegnet), 
aber  den  obenaufkommenden  Lokalfarbcn  mehr  selbständige  Geltung 
beließ.  Infolgedessen  haben  die  Carracci  und  ihre  Schule  allerdings 
nur  in  seltenen  Fällen  (z.  B.  in  Guercinos  Bildern),  einen  Ton- 
eindruck erreicht,  wie  wir  ihn  bei  den  Venezianern  ständig  finden. 
Einige  Beispiele  von  Lodovico  Carracci  (1555  bis  1619). 
Thronende  Madonna  mit  den  Heiligen  Franz,  Dominicus. 
Clara  und  Magdalena  von  15S8.  Die  Figuren  lauter  Porträts 
einer  bestimmten  Familie;  die  bestimmte  Lokalisierung:  Halle 
mit  Bologna  im  Hintergrund.  Beides  Dinge,  die  auf  Naturwahrheit 
abzielen  (im  Sinne  des  Kausalitätsgesetzcs).  Komposition:  nicht 
einmal  mehr  wie  bei  Corrcggio,  die  Madonna  nicht  mehr  in  der 
Mitte,  sondern  seitwärts,  also  nicht  mehr  der  kristallinisch-sym- 
metrische Aufbau,  ferner  nicht  en  face,  sondern  im  Profil,  d.  h. 
schräg  in  die  Tiefe  des  Bildes  hinein.  Das  war  bei  den  Vene- 
zianern aufgekommen,  bei  Veronese  und  namentlich  bei  Tinto- 
retto,  bei  dem  es  oft  geradezu  als  Manier  erscheint.  Lodovico 
war  diese  Komposition  noch  ungewohnt;  Clara  blickt  ins  Leere, 
statt    auf  die  Madonna,    Magdalena    kann    nur    das   verlorene  Profil 


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zeigen.  Jetzt  schauen  die  hintersten  aus  dem  Bilde  heraus,  die 
vordersten  hinein,  bei  Correggio  umgekehrt.  Die  Figuren  sind  zum 
Teil  in  einem  lebhaften  Affekt,  aber  nicht  alle.  Die  Madonna  blickt 
kühl  aus  dem  Bilde  heraus;  auch  das  Christuskind  blickt  vornehm 
gelangweilt,  statt  der  herzlichen  Anteilnahme  bei  Correggio.  Das  ist 
charakteristisch  für  die  gegenreformatorische  Kunst:  das  naive  Ver- 
hältnis zwischen  Gottheit  und  Menschen  wie  in  der  Renaissance 
hat  aufgehört;  es  beginnt  ein  zeremoniöser  Ton  zu  herrschen  (wie 
in  der  gleichzeitigen  Gesellschaft,  die  auch  wieder  auf  das  Formal- 
wesen  eingegangen  ist);  die  göttlichen  Personen  und  Maria  werden 
unnahbar,  ein  Byzantinismus  reißt  ein,  der  seine  Analogie  auch  auf 
anderen  Gebieten  hat.  Dafür  ist  der  Affekt  der  Heiligen  außer- 
ordentlich gesteigert,  aber  in  der  äußerlichen  Gebärdensprache,  mit 
den  Händen  namentlich;  Dominicus  streckt  sie  gerade  vor  sich  aus, 
Franz  breitet  sie  wieder  seitwärts  aus,  eine  stürmische  Hingebung. 
Naturalismus:  zerrissene  Kette  des  Franciscus.  Maßvoller  sind  die 
beiden  Frauen.  Clara  betet  ruhig,  Magdalena  hält  das  Salbgefäß 
empor,  letztere  fast  ohne  Modellierung,  noch  ziemlich  hart,  wie  bei 
Tibaldi.  Die  beiden  Engel  hinten:  der  lautcnspielende  beleuchtet, 
der  singende  dahinter  in  Halbschatten,  absichtlich  so  zusammen- 
gestellt. Im  Hintergrund  die  Stadt  Bologna,  an  den  schiefen  Türmen 
kenntlich.  Die  heranwirbclnden  Engclknäblein  offenbar  durch  Cor- 
reggio angeregt,  bei  dem  sie  ein  Element  bedeuteten,  das  zur 
Erzeugung  des  Eindruckes  der  wonnigen  Seeligkcit  beitragen  sollte. 
Jetzt  werden  sie  immer  mehr  eine  zeremonielle  Beigabe,  eine  Art 
Hofstaat  der  Maria  namentlich;  sie  müssen  Konzerte  aufführen  und 
mitunter  direkt  in  die  Handlung  eingreifen.  Damit  soll  das  Über- 
natürliche wirklich  gemacht  werden. 

Madonna  auf  dem  Halbmond  mit  den  Heiligen  Franz 
und  Hieronymus.  Auf  dem  Halbmond  als  Immaculata  (auch  bedingt 
durch  die  gegenreformatorische  Geistesrichtung,  weshalb  auch  z.  B. 
Murillo  die  Immaculata  so  oft  gemalt  hat).  Komposition:  hier  nimmt  die 
Madonna  allerdings  die  Mitte  ein,  aber  das  Ganze  vollzieht  sich  auch 
in  einem  idealen  Raum,  in  den  Wolken.  Der  schimmernde  Nimbus  und 
der  große  Mond  verleihen  dem  Bilde  einen  visionären  Charakter, 
der  auch  öfter  in  dieser  Kunst  begegnet.  (Die  mittelalterliche  Kunst 
war  ideal;    man   denkt  bei  ihren  Glorien  nicht  an  die  Wirklichkeit; 


-     168    - 

tlic  visionäre  Kunst  will  das  Übernatürliche  wirklich  machen.) 
Affekt:  die  Madonna  wieder  gleichgültig,  aber  hier  eine  anmutige 
Wendung,  die  sogar  einen  naiv-schalkhaften  Zug  einschließt;  dadurch 
wird  allein  die  Hoheit  der  Renaissancemadonnen  ausgeschlossen. 
Je  natürlicher,  menschlicher  diese  Madonnen  aussehen,  desto  be- 
wußter, absichtlicher  schließen  sie  sich  von  den  übrigen  ab. 
Spannung  der  Gegensätze.  Das  Kind  neigt  sich  zwar  zum  hl.  Franz, 
aber  ohne  die  naive  Zutraulichkeit  der  Christuskinder  Correggios, 
die  jetzt  durch  Herablassung  ersetzt  wird,  und  überläßt  sein 
Händchen  dem  Heiligen  zum  Handkuß.  Das  Zeremoniöse,  Devote, 
Unterwürfige  erreicht  hiermit  seinen  Gipfel.  Der  hl.  Franz  ist  ganz 
dementsprechend  behandelt.  Offenbar  ein  begeisterter  Eiferer,  mit 
tiefliegenden,  brennenden  Augen;  die  Linke  ausgestreckt  zum  Zeichen 
der  Ergriffenheit.  Auf  der  anderen  Seite  der  hl.  Hieronymus,  auf- 
blickend, mit  dem  Buche,  ein  prächtiger  Greis  von  Riesengestalt. 
Hier  hat  Rubens  seine  Inspirationen  für  seine  prächtigen  Männer- 
typen geschöpft.  Besonders  Lodovico  hat  gerne  solche  glieder- 
gewaltige Figuren  noch  eingestreut,  förmlich  als  Kontrast  zu  den 
ganz  in  geistiger  Erregung  aufgehenden  Gestalten.  Die  geleitenden 
Engel  verschwimmen  im  Halbdämmcr,  eben  um  des  visionären 
Charakters  halber,  um  das  Übernatürliche  zu  verwirklichen.  Das 
Kostüm  geradlinig  begrenzt,  die  Plastik  des  Körpers  verhüllend. 

Agostino  Carracci  ist  1597  nach  Rom  gegangen,  er  starb 
1602  in  Parma,  vornehmlich  bedeutend  als  Kupferstecher.  (Die 
Carracci  waren  alle  Stecher  oder  Radierer,  auch  ihre  Schüler;  der 
Bahnbrecher  war  hier  Agostino,  in  der  Malerei  Lodovico.)  Aber 
auch  eine  Anzahl  beglaubigter  Bilder  existieren  von  ihm.  Letzte 
Kommunion  des  hl.  Hieronymus  in  der  Pinakothek  zu  Bologna. 
Der  Heilige  in  der  gewohnten  herkulischen  Körpcrbildung  kniet 
rechts,  gestützt  von  zwei  Mönchen.  Nach  Bellori  hat  der  Maler  einen 
dalmatinischen  Slawen  (Schiavone)  zum  Modell  genommen,  weil  der 
hl.  Hieronymus  ein  gebürtiger  Illyricr  war  (auch  das  ist  ein  natura- 
listisches Element).  Die  Mitte  nimmt  der  Priester  ein,  der  dem 
Kranken  die  Hostie  darreicht,  links  im  Vordergründe  kniet  ein  Fackel- 
träger; außer  diesen  drei  Hauptpersonen  noch  eine  Anzahl  von 
Figuren.  In  den  Köpfen  herrscht  durchwegs  große  Innigkeit  (darin 
weit    über  Correggio,    das    hat    den    Carracci    Rom    erobert),    nicht 


-     169    - 

einmal  viel  äußeres  Pathos.  Man  muß  aber  die  damaligen  Schrift- 
steller lesen,  um  zu  erfahren,  was  hauptsächlich  gefallen  hat. 
Z.  B.  Bellori,  der  doch  auf  das  Natürliche,  die  Beobachtung  des 
Kausalgesetzes  verhältnismäßig  weniger  gegeben  hat.  Er  rühmt  vor 
allem  die  beständige  Abwechslung  beleuchteter,  halbdunklcr  und 
beschatteter  Flächen.  Wie  die  Griechen  den  Rhythmus  in  den  Linien 
suchten,  so  die  Barockitaliener  in  Licht  und  Schatten;  sie  suchen 
auch  dieses  naturalistische  Element  in  idealistischem  Sinne  (Rhythmus) 
zu  verwenden;  zum  Unterschiede  von  den  Nordländern,  die  ein- 
heitliche Wirkung  suchen,  wie  sie  eben  einzig  dem  Kausalverhältnis 
entspricht.  Von  Einzelfigurcn  fesselt  ihn  besonders  der  Fackelträger. 
Die  linke  Hand  mit  der  Fackel  hält  er  in  Verkürzung  aus  dem 
Bilde  heraus,  während  er  den  Kopf  aufwärts  ins  Bild  hineinwendet. 
Das  Licht  wird  von  der  Glatze  reflektiert;  den  tiefen  Kontrast  dazu 
bildet  der  Bart.  Besonders  ist  der  linke  Arm  zu  beachten;  er  ist  im 
allgemeinen  in  tiefem  Schatten,  nur  der  oberste  Rand  des  Ärmels 
ist  grell  beleuchtet  und  desgleichen  die  Nägel  von  zwei  Finger- 
spitzen. Solche  kleine  Beleuchtungseffekte  tragen  besonders  dazu  bei, 
den  Eindruck  des  wirklichen  Geschehens,  des  kausalen  Zusammen- 
hanges aller  Dinge  im  Bilde  hervorzurufen.  Eine  weitere  rhythmische 
Tendenz  drückt  sich  darin  aus,  daß,  da  keiner  ruhig  vor  sich  hin- 
blicken  soll  (das  verlangt  der  Affekt),  möglichst  viel  Kontraste 
nebeneinander  vorkommen  sollen  im  Aufschauen  und  Niederschauen 
(namentlich  vier  Figuren  links,  aber  auch  rechts).  Dann  wurde  noch 
gerühmt  der  jugendliche  Mönch  rechts  hinter  dem  hostienspendenden 
Priester.  Der  Schatten,  den  der  Priester  wirft,  halbiert  den  Kopf  und 
streift  auch  die  linke  Hand  des  Mönches.  Für  unsere  Empfindung 
ist  aber  doch  die  Lichtführung  keine  einheitliche,  es  ist  zu  wenig 
„Haltung"  im  Bilde.  Das  nordische  Gefühl  verlangt  eine  weit 
genauere  Beobachtung  des  Kausalitätsgesetzcs.  Bei  den  Italienern 
wird  es  niemals  Selbstzweck;  es  soll  nur  in  sekundärer  Linie  zur 
Hervorbringung  rhythmischer  Abwechslung  mithelfen. 

Annibale  Carracci,  der  fruchtbarste  und  in  malerischem 
Sinne  der  begabteste,  seit  1597  beständig  in  Rom  und  dort  1609 
gestorben,  nach  kurzer  Abwesenheit  in  Neapel.  Von  ihm  hat  schon 
Bellori  gefunden,  daß  er  in  Rom  durch  das  Studium  der  Antike, 
dann  Raffaclsund  Michelangelos  beeinflußt  wurde.  Bellori  sagt,  er  habe 


-     170     — 

besser  koloriert  in  Bologna,  besser  gezeichnet  in  Rom.  Der  Genius 
des  Ruhms  in  der  Dresdener  Galerie  kann  uns  ein  Beispiel  seiner 
allegorischen  Kunst  sein  und  die  Auffassung  des  Nackten  zeigen. 
Geflügelter  Jüngling,  bekränzt,  im  Weltenraum  schwebend,  von 
Engclsknaben  und  Wolken  umgeben,  scharf  aufwärtsfliegend.  Mit 
der  Linken  eine  Krone  hoch  emporhaltcnd.  um  den  Arm  sind 
Kränze  gelegt.  Der  Körper  zeigt  weder  die  Schönheit  Raffaels  noch 
die  Grazie  des  Correggio,  wohl  aber  Beobachtung  des  Naturale. 
Auch  vom  Kopfe  gilt  dasselbe.  Es  ist  kein  Idealkopf,  sondern  ein 
gewöhnlicher,  aber  durch  den  momentanen  ernsten  Ausdruck,  durch 
Haltung,  Lockenhaar  wird  er  in  eine  höhere  Sphäre  erhoben.  An 
Schönheitssinn  steht  er  hinter  Agostino  zurück,  der  überhaupt  diesen 
Sinn  am  stärksten  besessen  hat.  Die  Beleuchtungseffckte  sind  hier 
namentlich  an  einigen  Engeln  unten  zur  Verwendung  gelangt.  Im 
Hintergrund  durch  den  Bogen  (malerischer  Ausschnitt!)  wird  eine 
Landschaft  sichtbar,  auch  Massenwirkung  des  Laubes,  wie  sie  in  den 
Gärten  angestrebt  wurde,  im  Gegensatz  zu  der  älteren  römisch- 
florcntinischen  Kunst.  Auch  darin  sind  die  Carracci  bahnbrechend, 
in  Anlehnung  an  die  Venezianer.  Die  Landschaft  muß  immer  dann 
berücksichtigt  werden,  wenn  der  Naturalismus  vordringt.  Ereilich  von 
der  intimen  Naturbeobachtung  der  Nordländer  ist  bei  ihnen  keine  Rede. 
Der  Bohnenesser  in  der  Galleria  Colonna.  Ein  Mann  aus  dem 
Volke,  in  grobem  Kittel  und  breitkrempigem,  verknittertem  Strohhut, 
sitzt  vor  einem  Tische  und  führt  einen  Löffel  Bohnen  zum  geöffneten 
Mund.  Auf  dem  Tisch  einfache  Eßwaren;  links  eine  Fensterluke. 
Moment,  da  der  Löffel  noch  nicht  am  schon  geöffneten  Mund. 
Ein  Genrebild!  Eine  seltene  Ausnahme.  Um  ihrer  selbst  willen 
haben  die  Italiener  solche  Bilder  nicht  gemalt.  Sie  sind  gemeint  wie 
bei  Velazquez  und  Murillo:  als  Studien  der  Naturbeobachtung. 
Irgendein  Liebhaber  hat  solche  Studien  dann  erworben;  aber  um 
ihrer  selbst  willen  hätte  sie  der  Maler  nie  gemalt,  denn  das 
italienische  Publikum  hätte  sie  nie  bestellt.  Annibalc  Carracci  läßt 
das  Licht  links  einfallen  und  beobachtet  das,  man  sieht  es  am  Wein- 
glas namentlich.  Aber  wie  ganz  anders  malt  solchen  Lichtfall 
Rembrandt.  Dem  Gegenstande  nach  ist  es  ein  Genrebild,  ganz  wie 
die  niederländischen  des  16.  Jahrhunderts,  etwa  seit  Quentin  Massys. 
Eine  Figur    aus  dem    niederen  Volke    in  einer  Alltagsbeschäftigung. 


-     171     - 

Und  doch  ist  die  Wirkung  nicht  diejenige  wie  die  der  nieder- 
ländischen Genrebilder.  Wir  möchten  sagen,  es  fehlt  der  Humor, 
der  bei  den  Nordländern  die  gemeine  Szene  verklärt.  Humor  ist 
aber  irn  Grunde  nichts  anderes  als  die  Überzeugung  von  der 
kausalen  Notwendigkeit,  die  als  solche  etwas  Beruhigendes,  Stillendes, 
Versöhnendes  hat:  es  muß  so  sein.  Dazu  ist  aber  höchst  wirksam 
das  Beiwerk:  ein  Raum  mit  Kleinigkeiten,  die  auch  Gelegenheit 
geben  zu  entsprechender  Beleuchtung.  Hier  ist  nicht  bloß  kein 
Beiwerk,  sondern  undurchdringliches  Dunkel.  Hier  ist  bloß  die 
Figur,  und  zwar  zu  aufdringlich  und  gewaltsam,  daß  infolgedessen 
keine  Stimmung  im  Beschauer  aufkommen  kann.  Das  ist  das 
wichtigste.  Nüchterne  Ncbeneinanderstellung  der  Eßwaren  etc.  auf 
dem  Tisch.  Die  Fensterluke  allein  hilft  dem  noch  nicht  hinreichend 
ab;  wäre  sie  nicht,  dann  wäre  das  ganze  Bild  für  uns  überhaupt 
so  gut  wie  wirkungslos.  Es  ist  gewiß  ein  Ausschnitt  aus  der 
Wirklichkeit,  aber  gerade  dieses  Bild  beweist,  daß  ein  solcher 
Ausschnitt  aus  der  Wirklichkeit  das  Genrebild  noch  nicht  ausmacht. 
Ebensowenig  sind  seine  Bologneser  Straßenfiguren  (durch  Stich  ver- 
breitet) Genrebilder  von  Stimmungscharakter. 

Mascaronc,  Porträt,  Dresden.  Ungewöhnlich  in  die  Bild- 
fläche hineinkomponiert,  oben  fast  mit  dem  Kopf  anstoßend. 
Der  Kopf  als  Vornehmstes  herausspringend  und  doch  an  solcher 
Stelle!  Porträt  vorzüglich,  individuell,  Falten  unter  der  rechten 
Wange.  Dabei  ein  Empfindungsleben  latent,  durch  Falten  unter 
der  Stirne,  dann  Krähenfüße,  dann  eine  leise  Wehmut  im  Blick, 
namentlich  im  linken  Auge;  vielleicht  deshalb  das  Spiel  auf 
der  Laute.  Feine  Modellierung  in  der  Stirne  durch  unmerkliche 
Übergänge  von  Licht  und  Schatten.  Das  Licht  wirksam  ab- 
gestuft, keineswegs  flau.  Und  doch  kein  vollkommenes  Porträt 
nach  unserem  Sinne,  weil  isoliert.  Die  Verbindung  mit  dem  Lokal 
durch  das  Notenblatt,  der  halbe  Federkiel  genügt  uns  nicht.  Warum 
leuchtet  der  Kopf  und  nicht  die  ganze  Luft?  Es  fehlt  die  Verbin- 
dung mit  dem  Raum.  Der  Kopf  drängt  sich  aus  dem  Raum  heraus 
zu  stark  vor.  Er  will  subjektivistisch  wirken,  durch  Verbindung 
mit  dem  Beschauer,  der  Blick  ist  auch  in  der  Tat  sehr  lebendig, 
aber  zu  einseitig  packend.  Der  Kopf  ganz  allein  würde  vielleicht 
besser  wirken. 


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Beispiele:  Annibalc  Carracci.  Madonna  mit  dem  Kind, 
London.  Braun  1237.  Silcnce  de  Carrache,  Louvre.  Braun  1218. 
Viergc  aux  cerises,  Louvre.  Braun  1217.  Lodovico  Carracci. 
Madonna  mit  dem  Kind,  Louvre.  Braun   1237. 

So  lange  die  Tätigkeit  der  Carracci  sich  auf  Bologna  beschränkte, 
konnte  sich  ihre  Bedeutung  nicht  über  eine  rein  lokale  hinaus 
erheben.  Wollten  sie  Italien  gewinnen,  dann  mußten  sie  zuerst  in 
Rom  Anerkennung  gefunden  haben.  Gelegenheit  dazu  bot  sich  1597. 
Von  Bologna  aus  waren  die  Carracci  mit  den  Farnesen  bekannt 
geworden,  die  im  benachbarten  Parma  und  Piacenza  residierten. 
Wie  das  bei  den  mächtigen  italienischen  Fürstcngeschlechtern  Brauch 
war,  zählten  auch  die  Farnesen  in  der  Regel  ein  Mitglied  im  heiligen 
Kollegium.  Der  jeweilige  Kardinal  Farnese  residierte  in  Rom  im 
Palazzo  Farnese.  In  diesem  hatte  Giacomo  della  Porta  einen 
großen  länglichen  Saal,  die  sogennannte  Galleria,  eingerichtet,  der 
von  nun  an  überhaupt  in  den  neueren  Palastbauten  begehrt  wurde: 
eine  Raumgröße,  wie  man  sie  im  Mittelalter  gar  nicht  begehrt  hatte 
(mehr  lang  als  breit,  also  Tendenz  des  Gesü,  noch  gesteigert  später  in 
der  Galleric  d'Apollon,  die  schon  korridorartig  ist).  Diese  Gallcria  sollte 
mit  Fresken  ausgeschmückt  werden,  es  war  die  größte  monumentale 
Aufgabe,  die  dazumal  an  die  Maler  zu  vergeben  war.  Der  Kardinal 
war  nun  auf  die  Bolognesen  aufmerksam  geworden,  und  es  war  für 
diese  jedenfalls  entscheidend,  daß  an  sie  der  Auftrag  erging.  (Es  wäre 
Fcderigo  Zuccaro  und  der  Cavalier  d'Arpino  vorhanden  gewesen.) 
Lodovico  Carracci  kam  1597  nach  Rom  und  leitete  als  Schulhaupt 
die  geschäftlichen  Verhandlungen  ein;  die  Ausführung  selbst  aber 
übernahmen  Agostino  und  Annibale.  Vom  erstcren  ist  verhältnis- 
mäßig wenig  ausgeführt;  nach  einiger  Zeit  schied  er  aus  Rom, 
spätestens  im  Jahre  1600,  angeblich,  weil  er  sich  mit  seinem 
Bruder  nicht  vertrug.  Annibale  setzte  hierauf  die  Arbeit  allein 
fort  und  vollendete  sie  bis  etwa  1607  bis  1608.  Die  Fresken  der 
Carracci  erstrecken  sich  nicht  bloß  auf  die  Galerie,  sondern  auch 
auf  ein  kleines  Zimmer  Die  Galleria  Farnese  ist  neben  der 
Capeila  Sistina,  der  Farnesina  und  etwa  der  Villa  Maser  der  be- 
rühmteste Innenraum,  was  die  Freskendekoration  betrifft.  Wenn  man 
sie  heute  betritt,  merkt  man,  daß  es  etwas  ist,  dessen  die  heutige 
Zeit  nicht  fähig  wäre:    dieser  Zusammenklang    der    Historienmalerei 


und  Dekoration  zu  einem  ungeheuer  festlichen  Eindruck,  der  un- 
widerstehliche Lebenslust  erweckt.  Von  allen  jenen  dreien  zeigt 
sie  sich  beeinflußt.  Es  ist  das  größte  Werk  der  Carracci  und  ihr 
berühmtestes.  Aber  gerade  dasjenige,  was  den  positiven  Anteil  der 
Carracci  an  der  Kunstentwicklung  ausmacht,  zeigen  die  Fresken  der 
Galleria  in  minderem  Grade.    Das   liegt   an  folgendem: 

1.  Sind  es  Fresken.  Zwar  sind  die  Carracci  von  Haus  aus 
so  gut  Fresko-  (viele  Palazzi  in  Bologna)  wie  Ülmaler,  darin  so  recht 
Übergangsmeister.  Aber  im  Fresko  zeigen  sie  deutlich  mehr  Neigung 
zu  Manierismus  und  Renaissance;  in  Rom  kam  dazu  der  Einfluß 
Michelangelos  und  Raffaels.  Der  weiße  Mörtelbewurf  bedingte  hellen 
Grund  und  infolgedessen  helle  Farbenwirkung.  Die  braune  Grund- 
tönung, die  so  charakteristisch  ist  für  die  Carracci,  fehlt  hier. 
Allerdings  ist  die  Farbe  so  kräftig  und  tief,  als  es  im  Fresko  über- 
haupt möglich  war.  Darin  liegt  der  Unterschied  gegenüber  den 
Manieristen.  Der  Gesamteindruck  ist  daher  ein  überaus  festlicher. 
Die  Gesamtwirkung  ist  entschieden  eine  entzückende. 

2.  Sind  es  mythologische  Szenen,  die  darzustellen  waren: 
antike  Fabeln,  die  zusammen  den  Triumph  der  Liebe  darstellen.  Da 
aber  die  Fresken  für  einen  Kardinal  bestimmt  waren,  hat  man  eine 
moralisierende  Deutung  dafür  vorgeschützt.  Die  Themata  wurden 
von  einem  gelehrten  Prälaten  (Agucchia)  angegeben,  doch  nimmt 
man  wohl  mit  Recht  an,  daß  der  kundige  Agostino  auch  in  diesem 
Punkte  wesentlichen  Anteil  gehabt  hat.  Bei  mythologischen  Szenen 
konnte  es  sich  nun  ausschließlich  nur  um  die  Verherrlichung 
körperlicher  Schönheit  handeln. 

Die  Stärke  der  Carracci  (wodurch  sie  eben  in  Rom  Reforma- 
toren geworden  sind),  ihre  Fähigkeit,  seelische  Empfindungen  zu 
versinnlichen,  konnte  hier  gar  nicht  zum  Ausdrucke  gelangen.  Es 
handelte  sich  wesentlich  um  eine  Deckendekoration.  Da  fragte  es  sich, 
ob  die  Carracci  das  System  der  Sistina  (architektonische  Kompo- 
sition, Einteilung  in  Felder,  die  für  sich  abgegrenzt  sind,  Verbindung 
durch  füllende  und  tragende  Figuren,  auch  in  regelmäßiger,  ruhiger 
Verteilung;  nicht  eigentlich  Untersicht)  oder  dasjenige  der  Dom- 
kuppel  von  Parma  (Untersicht,  malerische  Komposition)  befolgen 
würden.  Sie  befolgten  dasjenige  der  Sistina;  ob  dies  die  Farnese 
gewünscht    haben,  ist  nicht  überliefert.    Aber  es  ist  doch  ein  Fort- 


-     174     — 

schritt  in  der  naturalistischen  Richtung  über  Michelangelo  hinaus: 
1.  Die  Köpfe  sind  nicht  so  traumhaft,  maskenhaft  wie  bei  Michel- 
angelo, sie  sind  mehr  menschlich-natürlich,  freilich  aber  auch  geistig 
unbedeutender.  2.  Die  tragenden  Figuren,  die  bei  Michelangelo 
einfach  ihre  Funktion  ausüben,  als  ob  sie  die  Last  nicht  spürten, 
scheinen  jetzt  unter  derselben  zu  stöhnen,  sind  bewegt,  wenn  auch 
steinfarben  und  dadurch  als  tote  Masse  gekennzeichnet.  3.  Der 
Subjektivismus  nach  corregesker  Art  zeigt  sich  in  der  Beleuchtung 
von  unten,  von  den  vorhandenen  Fenstern  her.  Dazu  kommt  noch 
etwas  anderes:  Notwendigkeit  des  Zusammenstimmen,  Abwägen 
der  Farbenwerte,  steinfarbene  Atlantenträger,  bronzene  Medaillons 
als  dekoratives  Beiwerk  zusammengestimmt  mit  den  farbigen 
Bildern. 

1.  Schmal  wand,  in  der  Kehle:  Polyphcm  mit  wuchtigen 
Gliedern  (Nachfolge  Michelangelos).  Die  Frauengruppe  nach  Raffael 
(die  dritte  rechts:  Venus  vor  Jupiter  in  der  Farnesina).  Darunter 
auf  der  Wand  selbst:  Andromeda,  von  Domcnichino  voll- 
endet. Der  König  in  manierierter  Haltung,  im  geöffneten  Mund  die 
Hand  verbeißend,  die  Königin  maßlos  bewegt  im  Schmerz.  Dagegen 
die  Gruppe  im  Hintergrunde  trefflich.  2.  Schmalwand,  in  der  Kehle: 
Polyphem  ein  Fclsstück  nach  Acis  schleudernd.  Auf  der  Wand: 
Phineus  und  Perseus.  Schwach,  Pcrseus  mit  unbedeutendem 
Kopf.  Manierierte  Bcinstellungen.  1.  Langwand.  Jupiter  und  Juno 
auf  Ida.  Zusammenklang  von  Dekoration  und  Bild.  Galatea,  von 
Agostino,  als  Bestes  gerühmt.  Raffaels  Einfluß  unverkennbar.  Monu- 
mentaler Aufbau.  Gesteigerte  Bewegung  gegenüber  Raffael.  Bildung 
der  Körper  mehr  venezianisch,  nicht  so  straff  wie  bei  Raffael,  son- 
dern mehr  weich  und  lebenswarm.  Lima  und  Eudymion.  Die 
Putten  auf  dem  Bilde  im  Hintergründe  correggesk.  2.  Langwand. 
Anchises  und  Venus.  Letztere  an  Sodomas  Roxane  erinnernd. 
Anchises  manieriert.  Ein  correggesker  Amor  dabei.  Genus  unde  lati- 
nuin  (Vergil,  Aeneis  I,  6).  Aurora  und  Cefalus  von  Agostino. 
Herkules  und  Omphale.  Decke.  Paris  (mit  correggeskem  Ge- 
sicht) und  Merkur.  Bacchuszug  (Rubens).  Kinder  correggesk. 
Bewegung  lebendig  (z.  B.  gegenüber  Mantegna!).  Die  Panther 
schwitzen  förmlich  beim  Ziehen.  Die  großen  mächtigen  Augen  von 
Correggio,  auch  der  stupid-sinnliche  Liebreiz  ohne  Bedeutung  (z.  B. 


-     175     - 

die  Korbträgerin  rechts  vorne),  aber  gesunde,  robuste  Sinnlichkeit 
wie  bei  Rubens  (eher  als  bei  Correggio).  Pan  der  Artemis  die 
Wolle  opfernd.  Vortrefflich  der  Bock. 

Die  Schule  der  Carracci.  Die  Schule  hatte  ihren  Sitz  zu 
Bologna,  und  darin  änderte  sich  auch  nichts  nach  1597,  nach 
dem  Abgange  des  Agostino  und  Annibale,  denn  Lodovico  war  ja  in 
Bologna  verblieben.  Aber  die  bedeutenderen  Schüler  gingen  sämtlich, 
sobald  sie  eine  selbständige  Leistungsfähigkeit  erlangt  hatten,  nach 
Rom.  Allerdings  sind  die  bedeutenden  darunter  später  fast  alle 
wieder  nach  Bologna  zurückgekehrt.  Rom  selbst  war  offenbar  kein 
rechter  Boden  für  die  Ausbildung  einer  Schule,  erst  in  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  ist  es  dazu  gekommen;  eine  solche 
gedieh  besser  im  Schatten  provinzieller  Ruhe  und  Zurückgezogen- 
heit. Die  bedeutendsten  Schüler  waren  zweifellos  Reni  und  Do- 
menichino;  an  dritte  Stelle  wird  Guercino  zu  setzen  sein,  der 
aber  kein  unmittelbarer  Schüler  (d.  h.  kein  Zögling  der  Akademie) 
gewesen  ist;  er  bildet  auch  gewissermaßen  den  Obergang  von  den 
bolognesischen  Akademikern  zu  den  Naturalisten.  Endlich  haben 
auf  speziellen  Gebieten  Albani  und  Lanfranco  Bedeutung  ge- 
wonnen; ihnen  schließen  sich  Cavcdonc  und  Tiarini  an. 

Guido  Reni  wurde  schon  zu  Lebzeiten  und  seither  beständig 
unter  allen  italienischen  Malern  nach  Raffacl  und  Michelangelo, 
Correggio  und  Tizian  (also  rund  nach  der  Renaissance)  am  höchsten 
gestellt.  Auch  wir  heutzutage  sind  geneigt,  dieses  Urteil  zu  unter- 
schreiben, offenbar  einzig  darum,  weil  Reni  noch  am  meisten  inner- 
halb der  Grenzen  der  spezifisch  italienischen  Kunstneigung  und 
Begabung  verblieben  ist.  Er  hat  sich  von  der  Konkurrenz  mit  dem 
nordischen  Naturalismus,  die  natürlich  nur  zu  Ungunsten  der 
Italiener  ausfallen  mußte,  relativ  am  freiesten  gehalten.  Was  Reni 
sucht,  ist  vor  allem  körperliche  Schönheit  des  tastbar  begrenzten 
menschlichen  Körpers,  und  zwar  nicht  so  sehr  der  sinnliche  Liebreiz  des 
Correggio,  sondern  eher  die  göttliche  Schönheit  des  Raffacl,  und  die 
Dosis  Naturalismus,  die  er  hinzufügt,  beschränkt  er  auf  jenes 
knappste  Ausmaß,  wie  es  eben  die  Zeit  verlangt  und  die  äußere 
Gebärdendarstellung  gefordert  hat.  Er  ist  empfindlicher,  nervöser  als 
die  Carracci;  er  knüpft  an  Michelangelo  an,  in  der  Farbe  an  die 
Venezianer,  namentlich  durch  seinen  Gold-  und  Silberton.  In  dieser 


-     176     - 

Hinsicht  ist  cs  auch  höchst  bezeichnend,  daß  Reni  sich  wiederum  an 
antike  Vorbilder  zu  halten  begonnen  hat,  wenigstens  was  die 
Köpfe  betrifft.  Und  zwar  begegnet  bei  ihm  besonders  häufig  der 
Kopf  der  Niobe;  auch  das  charakteristisch,  denn  in  diesem  Kopf 
fand  er  zugleich  Schönheit  und  Pathos,  innere  seelische  Aufregung; 
dieses  letztere  war  aber  der  Zeit  und  namentlich  den  Römern  ganz 
unentbehrlich.  Der  Niobekopf  enthielt  geradezu  typisch,  wonach 
Reni  seiner  persönlichen  Art  nach  begehrte.  Ferner  ist  im  Zusammen- 
hange damit  nur  verständlich,  daß  cs  sich  Reni  geradezu  aus- 
schließlich um  die  Darstellung  der  menschlichen  Figur  handelt. 
Porträt  und  Genrebild  spielen  bei  ihm  eine  noch  geringere  Rolle 
als  bei  den  Carracci.  Die  Landschaft,  die  die  Carracci  wenigstens 
in  sekundärer  Linie  zu  berücksichtigen  begonnen  hatten,  interessiert 
ihn  gar  nicht;  aber  auch  in  der  Darstellung  animalischer  Wesen, 
z.  B.  der  Pferde,  ist  er  oft  auffallend  mangelhaft,  offenbar,  weil  er 
nichts,  was  außerhalb  des  Menschen  lag,  einer  aufmerksameren,  liebe- 
volleren Betrachtung  würdigte.  Porträt  und  Genre  erscheinen  bei  ihm 
nur  ganz  vereinzelt,  mehr  als  kapriziöse  Ausnahme.  Es  ist  daher  von 
vornherein  klar,  daß  er  auch  auf  die  Neuerungen  der  Venezianer 
und  des  Corrcggio,  die  sich  als  Beobachtung  des  Kausalitätsgcsetzes 
erklären  lassen,  nur  zögernd  eingegangen  ist.  Auf  einheitliche 
Haltung  von  Licht  und  Schatten  ist  er  noch  weniger  bedacht  ge- 
wesen als  die  Carracci,  obzwar  er  nach  einem  schwachen  Hell- 
dunkel im  Nackten  öfter  strebt.  Dagegen  hat  er  von  Anbeginn  nach 
einer  stärkeren  Tonwirkung  gestrebt  als  die  Carracci,  aber  1.  nach 
einer  künstlichen  Tonwirkung,  ähnlich  derjenigen  der  Venezianer, 
und  2.  nur  innerhalb  einzelner  Figuren,  nicht  im  ganzen  Bilde 
(ähnlich  beschränkt  wie  die  Beobachtung  der  Schattcngebung).  Das 
ist  wiederum  ein  idealistisches  Moment.  Er  strebte  damit  nach  einer 
Verklärung  des  Bildes,  nicht  nach  einer  Verwirklichung  des  Dar- 
gestellten: Beobachtung  des  Kausalitätsgcsetzes  an  und  für  sich.  Wir 
sehen  ihn  ausgehen  von  einem  Goldton,  der  ihm  offenbar  durch 
die  Venezianer  eingegeben  ward,  und  dann  zu  einem  Silberton 
übergehen.  Er  hat  also  eine  eigenartige  persönliche  Entwicklung 
durchgemacht,  und  das  allein  deutet  schon  an,  daß  wir  es  mit 
einem  schöpferischen  Meister  zu  tun  haben,  nicht  mit  einem  bloßen 
Eklektiker.     Eine     Zeitlang     hatte     er     sogar     das    Kcllerlicht     des 


177    - 


Caravaggio    studiert.     Zum    Schluß    wird    er    aber    tonloser,    bunt- 
farbiger, kälter. 

Äußere  Daten:  geboren   1575  zu  Bologna,   aus    gutem  Hause, 
Sohn    eines    Musikers    (Künstlers    also),    war    zuerst    in    der  Schule 
eines  niederländischen  Manicristen    (Calvacrt),    der  sich  in  Bologna 
niedergelassen  hatte,    ist    aber  bald  zu   den  Carracci  übergegangen. 
Ende  der  neunziger  Jahre  soll  er  vorübergehend  in  Rom  gewesen  sein; 
sein  entscheidender  römischer  Aufenthalt,   während    dessen    er  sich 
den  Ruf  des  ersten  italienischen  Malers  der  damaligen  Zeit  eroberte, 
fällt  in    die    Jahre   1605  bis   1612.  Später  hat  er   sich  hauptsächlich 
wieder    in  Bologna  aufgehalten,    wo  er    namentlich    seit    dem  Tode 
des  Lodovico  Carracci    (1619)    als    Haupt    der    ganzen  Schule  galt. 
Er   war  ein  feiner  Mann   von  Kavaliersmanieren,    der    sich  gewählt 
kleidete    und    das  Geld    verachtete,    daher  ein    schlechter  Wirt.    Er 
erinnert  darin  sehr  an  van  Dyck.    Er  verhält  sich  auch  in  der  Kunst 
zu  den  Carracci    wie  van  Dyck  zu  Rubens.    Seit  dem  Anfange  der 
zwanziger  Jahre  begann  er  dort  seinen  Silberton  auszubilden:  auch 
das  hat  Parallele  zu  van  Dyck.  Einem  Ruf  nach  Neapel,  wo  wichtige 
Aufgaben    zu  vergeben  waren,    ist    er    zwar  gefolgt,    hat    aber  dort 
nichts  ausrichten  können,  aus  Gründen,    die  besser    im  Zusammen- 
hange mit  Domcnichino    zur  Sprache   zu    bringen  sein  werden.    In 
der  "letzten  Zeit  seines  Lebens  war  er  durch  Spielschulden  bedrängt, 
trotz  der  unerhörten  Honorare,   die  er  sich  für  seine  Bilder  zahlen 
ließ:    auch    eine    Parallele    zu    van    Dyck    (immer    ein    ungesundes 
Symptom  der  Überschätzung,  das  einem  Abfall  voranzugehen  pflegt: 
die  Maler  natürlich  haben    ihm  das  hoch  angerechnet,    daß  er  ihre 
Kunst  so  kostspielig  gemacht  hat).  Im  Jahre  1642  ist  er  in  Bologna 
gestorben  und  hat  ein  fürstliches  Begräbnis  gefunden.  Keines  Malers 
Hinscheiden  wurde  so  tief  empfunden  in  ganz  Italien  seit  dem  Tode 
Raffaels.    Die   späteren    Römer    haben    auch    Rcni     als    den    eben- 
bürtigsten   Nachfahren    Raffaels    betrachtet.     Die    neuere    römische 
Schule  der  zweiten  Hälfte  des   17.  Jahrhunderts  (Carlo  Maratta)  hat 
sich    Raffael    und    Reni    zugleich    zum    Vorbild    genommen:    Raffael 
theoretisch,  Reni  praktisch. 

Zuerst  einige  Bilder,  die  für  seine  Entwicklung  lehrreich  und 
denkwürdig  sind.^Simson  (Pinakothek  Bologna,  Jugendbild).  Über- 
treibung der  Dimensionen,  Steigerung  der  Höhe,  Breite,  Tiefe,  aber 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jalirli.  12 


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Überragen  der  Höhe  im  Simsonmotiv.  Aufblick!  Simson.  nachdem 
er  die  Philister  erschlagen  hat,  stärkt  sich  mit  einem  Trünke 
aus  der  Eselskinnbacke  Die  Haltung  Simsons  ist  eine  höchst 
gesuchte,  gewaltsame  (Nachklang  des  Manierismus).  Auch  das 
Gewand  ist  in  ganz  unnatürlicher  Weise  um  die  Hüften  herum 
drapiert,  nur  um  eine  möglichst  bewegte  Gesamtsilhouette  zu  be- 
kommen. Das  Motiv  an  sich  ist  geradezu  roh:  ein  übermütiger 
Kraftburschc,  der  seinen  blutigen  Sieg  genießt,  aber  eine  biegsame 
Eleganz  ist  ihm  gegeben,  anstatt  der  derben  Schwere  der  Carracci. 
Das  Versöhnende  ist  aber  hier  genau  wie  bei  den  größten  Vene- 
zianern die  Farbe:  das  Fleisch  strahlt  im  herrlichsten  Goldton,  ohne 
die  modellierenden  Schatten,  alles  andere  soll  daneben  gar  nicht 
ins  Auge  fallen.  Die  weite  Landschaft  am  Mecrcsufer  ist  uninteressant, 
absichtlich  ein  grauer  Dämmcrschleier  darübergebreitet.  Die  Philister. 
die  schräg  bildeinwärts  am  Boden  liegen,  lenken  auch  nicht  von 
der  Hauptfigur  ab,  wie  auch  der  Rahmen  für  die  Figur  zugerichtet  ist. 
um  leeren  Raum  abzuschneiden,  ßetlehemitischer  Kindermord 
(Pinakothek  Bologna).  Komposition:  abgewogen  mit  leerer  Mitte 
(wie  der  Hieronymus  des  Agostino).  Starke  Bewegung  in  den  Figuren, 
aber  trotzdem  eine  gewisse  künstlerische  Ordnung,  herbeigeführt 
durch  abwechselnde  Richtung,  rechts  und  links,  in  vier  Plänen 
hintereinander.  Je  weiter  nach  hinten,  desto  ruhiger,  zuletzt  reine 
Horizontale  und  Vertikale.  Das  Inkarnat  ist  noch  goldig;  die  übrigen 
Farben  waren  dazu  gestimmt,  besonders  angenehm  auffallend  der 
zinnoberrote  Ärmel  der  Frau  im  Vordergrunde  rechts.  Licht-  und 
Schattenrhythmus  deutlich  beobachtet.  Der  Schönheitssinn  zeigt  sich 
hier  schon  in  Kopftypen  und  Linien,  ebenso  in  der  Behandlung 
des  Gegenstandes:  nirgends  wird  das  Schlachten  als  solches  dar- 
gestellt, sondern  nur  die  Vorbereitung  (die  Zeit  hatte  eine  Vorliebe 
für  das  Gräßliche,  für  Martyrien;  Reni  sucht  dabei  immer  das  Ver- 
söhnende); damit  malt  er  aber  eher  für  die  Feinschmecker,  als  für 
das  Volk,  das  man  jetzt  nur  mehr  mit  dem  Gräßlichen,  nicht  mehr 
mit  dem  Schönen  packen  konnte.  Diese  gegenreformatorische 
Malerei  ist  die  letzte  volkstümliche,  die  es  gegeben  hat.  Nach  der 
Frau  links  hinten  hat  Bernini  seine  Daphne  gestaltet. 

In    Rom    würden    von    Guido     bezcichncndcrmaßen    meistens 
Fresken  begehrt.  Die  berühmtesten  darunter  sind:   1.  Ein  kirchliches 


—     179     - 

Fresko  in  der  Andreaskapelle  von  S.  Gregorio  Magno,  1608 
gemalt  (in  der  Silviakapelle  derselben  Kirche  ein  Engelskonzert). 
Zwei  Wände  waren  zn  schmücken  mit  Szenen  aus  der  Legende 
des  hl.  Andreas.  Eine  Marterszene  —  die  Geißelung  —  malte  Dome- 
nichino,  Rcni  dagegen  den  Gang  zum  Richtplatz:  der  Moment, 
da  der  Heilige  auf  dem  Gange  plötzlich  des  Kreuzes  ansichtig  wird, 
in  die  Knie  sinkt,  mit  gefalteten  Händen  das  Kreuz  verehrend  und 
Gott  dankend,  daß  es  ihm  vergönnt  war,  den  gleichen  Tod  zu 
sterben  wie  der  Heiland.  Der  Heilige  nimmt  die  Mitte  ein,  ein  ehr- 
würdiger Greis,  aber  von  kräftigem  und  schönem  Gliederbau, 
flankiert  von  zwei  Schergen  im  Kontrapost.  In  dem  Momente  stockt 
der  ganze  Zug;  die  heidnischen  Soldaten  machen  ihre  Bemerkungen 
über  die  Störung;  ein  Knecht  wartet  auf  das  Signal  des  berittenen 
Kommandanten,  um  den  Heiligen  emporzureißen;  vorne  gibt  den 
Ton  der  Soldat,  der  den  Gestus  macht:  wozu  der  Aufenthalt5 
Charakteristisch  ist  die  nachlässige  Behandlung  der  Landschaft;  die 
isolierten  und  einzeln  plastisch  auszunehmenden  Bäume,  ganz  nach 
Renaissancemanier.  Man  hat  keine  richtige  Tiefraumempfindung,  denn 
sie  wird  von  Reni  bekämpft.  Die  Schwäche  der  Pferde.  Die  Zu- 
schauer sind  nicht,  wie  bei  Domenichino,  voll  innerer  Bewegung 
und  voll  aufgeregtem  Anteil  an  der  Handlung  dargestellt,  sondern 
auch  an  ihnen  entwickelt  er  seine  Schönheitsprobleme.  Zählt  zu  seinen 
schwächsten  Werken,  weil  ihm  die  Verbindung  mit  dem  Raum 
gleichgültig  war.  Am  besten  ist  er  in  einzelnen  Köpfen  (aber 
nicht  Porträtköpfen).  2.  Ein  mythologisches  Fresko:  die  Aurora  im 
Casino  Rospigliosi,  ein  Deckengemälde  in  stuckiertem  Rahmen. 
Ohne  correggeske  Untenansicht,  also  mit  Außerachtlassung  des 
Kausalgesetzes.  Dargestellt  ist  die  Ausfahrt  des  Sonnenwagens  Apolls. 
Hören  (oder  Musen,  der  Neunzahl  nach?)  umtanzen  den  Wagen, 
der  von  zwei  Isabellen  gezogen  wird.  Voran  schwebt  Aurora,  Rosen- 
kränze streuend,  ihr  nach  ein  Amoretto  mit  Fackel.  Es  ist  das  ge- 
priesenste  Bild  der  neueren  italienischen  Malerei.  Namentlich  die 
Aurora  gilt  für  die  schönste  Figur,  die  seit  Raffaels  Tod  geschaffen 
worden  ist.  Leider  geht  jetzt  ein  Sprung  quer  über  die  untere 
Partie  des  Kopfes,  der  dadurch  etwas  entstellt  wird.  Auch  das  vom 
Morgenwinde  gebauschte  Gewand  ist  vortrefflich  benützt,  um  die 
Gestalt  zu  verklären:  in  solchen  idealen  Darstellungen  fallt  natürlich 


-     180    - 

das  Absichtliche  keineswegs  als  solches  auf,  es  ist  vielmehr  nur  an 
seinem  Platze.  Auch  hinter  dem  Apoll  bauscht  sich  der  Mantel 
in  mächtigem  Bug  nach  rechts  hin  sehr  wirkungsvoll.  Auch  in  den 
Hören  hat  Reni  hier  seinen  Schönheitssinn  in  unübertroffener  Weise 
betätigt.  Allerdings  schöpft  er  dabei  aus  zweiter  Hand:  der  Niobe- 
kopf  der  vordersten,  der  Raffaclkopf  der  vorletzten  Höre.  Nur  die 
drittletzte  macht  eine  Ausnahme  (in  dieser,  mit  ihrem  halbverblühten, 
schwammigen  Gesicht  scheint  er  sich  mit  Absicht  an  ein  bestimmtes 
Modell  gehalten  zu  haben).  Sogar  mit  den  Pferden  hat  er  sich 
diesmal  mehr  Mühe  gegeben  als  sonst.  Daß  das  Bild  auch  auf  uns 
heute  bedeutend  wirkt,  erklärt  sich  daraus,  daß  in  der  Tat  ein  hohes 
Lebensgefühl  daraus  spricht.  Wir  glauben  an  diese  Ausfahrt  und 
werden  durch  den  Eindruck  mitgerissen.  Nicht  minder  entzückend 
ist  die  Färbung.  Die  Farben  sind  frisch,  zart  und  duftig,  aber 
keineswegs  kühl,  ja  für  ein  Fresko  auffallend  warm.  Der  goldige 
Schein,  der  von  Apollo  ausstrahlt,  verklärt  alles.  Tief  unten  liegt 
das  tiefblaue  Meer  und  die  menschenbewohnte  Küste  im  Morgen- 
schlummcr. 

Auf  der  Höhe  seines  künstlerischen  Könnens  stand  Reni,  als 
er  1612  nach  Bologna  zurückgekehrt  war.  Diese  Höhe  bezeichnet 
unter  anderem  die  berühmte  Pictä  in  der  Pinakothek  zu  Bologna 
von  1616.  Ein  Doppelbild,  das  oben  die  Pietä  und  ganz  getrennt 
davon  unten  die  Schutzheiligen  von  Bologna  (mit  der  Ansicht 
der  Stadt)  darstellt.  Die  Komposition  zeigt  wieder  einen  Rückschritt 
zur  vorcorreggesken  Auffassung,  wie  sie  der  älteren  Santa  con- 
versazionc  zugrunde  liegt.  Auch  das  ist  bezeichnend  für  Guido, 
der  sich  möglichst  wenig  tief  in  den  Naturalismus  einlassen  will. 
Daher  ist  es  eines  der  wenigen  Bilder,  die  Burckhardts  Beifall  ge- 
funden haben.  Die  Pietä  ist  streng  kristallinisch,  ganz  regelmäßig 
pyramidal  aufgebaut.  In  der  Mitte  als  das  Vorherrschende  die 
Madonna,  ihr  zu  Füßen  der  Leichnam  des  Heilands,  symmetrisch 
zu  beiden  Seiten  je  ein  Engel  (deren  Flügel  deutlich  zur  Raumaus- 
ftillung  ausgebreitet  sind).  Die  Landschaft  im  Hintergrunde  ist  so  an- 
geordnet, daß  die  seitlich  aufsteigenden  Hügel  gegen  die  Mitte  hin 
sich  senken  und  dem  freien  hellen  Abcndhimmel  Raum  gewähren, 
in  den  dann  der  Oberkörper  der  Madonna  einschneidet  und  sich 
von  ihm    wirkungsvoll  abhebt.    Im  Kopf    der  Madonna    verrät    sich 


—     181     — 

wiederum  der  Einfluß  der  Niobe.  Diese  Schmerzensmutter  ist  nicht 
die  verweinte,  jammernde  Gestalt  wie  sonst,  sondern  ein  starkmütiges 
Weib,  das  offenbar  mehr  Schmerz  in  sich  verbirgt,  als  sie  nach 
außen  hin  durch  ihre  Gebärden  verrät.  Aus  dem  zum  Himmel  gerichteten 
Blick  spricht  die  stumme,  vorwurfsvolle  Frage:  Mußte  es  denn  sein? 
Durch  die  beiden  Trauercngcl  wird  die  Wirkung  eher  abgeschwächt 
als  gesteigert.  In  der  Farbe  noch  goldig  im  Inkarnat,  aber  viel 
tiefere  Schatten  im  Bilde. 

Ein  vortreffliches  Beispiel  seines  Silbertons  zeigt  die  Pro- 
zessionsfahne von  1630  in  der  Pinakothek  zu  Bologna,  auf  Seide 
gemalt.  Die  Madonna  in  Wolken  auf  dem  Regenbogen  thronend,  dar- 
unter auf  einer  Wolkcnbank  eine  Gruppe  von  sieben  Heiligen.  Zunächst 
wird  wieder  die  Stadt  Bologna  sichtbar.  Die  Komposition  ist 
wenigstens  unten  noch  ziemlich  symmetrisch.  Hier  ist  Guido  auf 
einmal  Hellmaler  geworden;  alle  Schatten  sind  klar.  Es  dominiert  im 
Bilde  ein  kühles  Grau,  das  selbst  durch  den  gelben  Schein  hinter 
der  Madonna  nicht  gebrochen  wird.  Das  Zinnoberrot  und  das 
dunkle  Blau  sind  verschwunden,  die  Madonna  trägt  rosenrotes 
Gewand  und  himmelblauen  Mantel.  Also  eine  ganz  andere  Farben- 
empfindung als  diejenige,  von  der  er  ausgegangen  war.  Genau  die- 
selbe Wandlung  hat  van  Dyck  zur  gleichen  Zeit  durchgemacht. 
Die  Madonna  sieht  hier  recht  gclangweilt  aus;  überhaupt  scheint 
sie  in  diesem  Falle  den  Maler  nicht  in  erster  Linie  interessiert  zu 
haben,  weil  er  ihr  nicht  einmal  den  gewohnten  idealen  Schönheits- 
charakter verliehen  hat.  Auch  das  Kind  ist  von  einem  ganz  unkind- 
lichen Ernst.  Von  den  Heiligen  schauen  die  zwei  hintersten,  jugend- 
lichen aus  dem  Bilde  heraus  und  halten  Zwiesprache  mit  dem 
Beschauer.  Als  jugendliche  Krieger  zeigen  sie  in  den  Köpfen  einen 
rötlichen  Ton,  der  gegenüber  demjenigen  des  danebenhängenden 
Simson  kalt  und  kreidig  wirkt.  Die  übrigen  fünf  Heiligen  äußern 
lebhaften  Affekt  von  bedeutender  und  überzeugender  Wirkung,  am 
hinreißendsten  ist  diejenige  des  Franciscus,  aber  seiner  Wirkung  tun 
die  übrigen  Eintrag.  Das  ist  überhaupt  der  Fehler,  daß  dieser 
Affekt  sich  allzu  oft  wiederholt,  wodurch  der  Beschauer  gegen  seine 
Wirkung  abgestumpft  wird.  Auf  ein  merkwürdiges  Detail  sei  noch 
hingewiesen:  in  den  Falten  des  Fleisches  treten  rötliche  Schatten 
auf,  namentlich  am  Christkind  sichtbar;    wir  kennen  diese  Schatten 


-     182     - 

von  Rubens  her.  der  sie  schon  früher  verwendet  hatte.  Sollte  dies 
bei  Reni  auf  Rubens'  Einfluß  zurückzuführen  sein?  Auch  auf  den 
knitterigen  Faltenwurf  der  Draperie  mit  den  gesuchten  Querbügen, 
namentlich  am  Gewände  der  Madonna,  muß  hingewiesen  werden. 
Dasselbe  führt  zur  gleichen  Zeit  Bernini  in  die  Skulptur  ein. 

Seine  größte  Bedeutung  hat  Reni  gewonnen  für  das  religiöse 
Andachtsbild  des  gegenreformatorischen  Katholizismus.  Dies  ver- 
dankt er  der  Kraft,  die  ihm  gegeben  war,  die  religiöse  Hingebung 
in  äußeren  Gebärden  überzeugend  zu  schildern,  wenigstens  in 
Einzelbildern  (denn  wo  mehrere  Personen  in  der  gleichen  Ekstase 
nebeneinander  vorkommen,  schwächen  sie  sich  wechselseitig  und 
wirken  auf  unser  heutiges  Empfinden  oft  geradezu  unausstehlich). 
Namentlich  den  Aufblick  nach  oben  hat  er  immer  und  immer  wieder 
von  neuem  mit  großer  Innigkeit  zu  treffen  gewußt.  Er  hat  auf 
solche  Weise  einige  Typen  von  geradezu  ikonographischer  Bedeutung 
geschaffen.  Diese  Kunst  ist  nicht  bloß  die  letzte  von  volkstümlicher, 
sondern  auch  die  letzte  von  ikonographischer  Bedeutung;  Eines  ist 
durch  das  Andere  innig  bedingt.  Die  Stimmungskunst  kennt  keine 
Ikonographie  mehr.  Die  neuere  kirchliche  Kunst  von  1600  an  hat 
mit  diesen  Typen  zu  rechnen,  auch  noch  die  heutige.  Guido  hat 
sie  namentlich  in  der  zweiten  Schaffensperiode,  in  Bologna,  gemalt, 
wo  dann  jeder  einzelne  Kopf  teuer  bezahlt  wurde. 

Ecce  Homo  (schon  bezeichnend,  daß  es  der  Schmerzens- 
mann ist:  das  pathetische  Moment!)  in  zahlreichen  Wiederholungen. 
Kreidezeichnung  dazu  in  der  Pinakothek  zu  Bologna.  Behandlung 
in  Licht  und  Schatten  daraus  zu  erkennen;  keine  reine  Linienmanier 
mit  Schraffierung  mehr,  statt  dessen  vorwiegend  Töne.  Crucifixus, 
Modena,  aus  der  Silbertonzeit,  mit  klaren  Schatten;  ohne  Beifiguren 
und  ohne  landschaftliches  Detail,  bloß  ein  Stück  kahlen  Erdbodens 
sichtbar;  so  am  wirkungsvollsten;  ringsumher  Nacht,  unheimlicher 
fahler  Schein  von  links  hereinbrechend.  Nur  der  wcgflatterndc 
Zipfel  des  Schamtuches  stört  uns  heute;  wir  glauben  zu  sehr  an  das 
Kausalitätsgesetz,  als  daß  wir  annehmen  könnten,  sogar  die  toten 
Tuchmassen  wären  in  jenem  schicksalsschweren  Moment  in  Bewegung 
geraten.  Kreuzigung.  Pinakothek  Bologna,  aus  der  Goldtonzeit,  mit 
schwereren  Schatten.  Mit  Maria,  Johannes  und  Magdalena.  Daran  sieht 
man,    woran   sich  van  Dyck  gebildet  hat.  Die  Figuren  sind  aus  dem 


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Dunkel  herausmodelliert.  Symmetrische  Komposition.  Keine  Manier 
in  Linien  und  Formen,  aber  dafür  in  anderen  Dingen.  Der  Mantel  der 
Madonna  blau,  der  der  Magdalena  gelb,  der  des  Johannes  rot  (die  drei 
Grundfarben  zusammen).  Der  Ausdruck  der  Maria  auffallend  schwach, 
dagegen  der  des  Johannes  innig  und  wahr,  aber  uns  stört  aufs 
höchste  der  absichtlich  drapierte  Mantel,  der  scheinbar  von  den 
Schultern  herabglcitet:  die  damaligen  Italiener  sahen  eine  gewisse 
Größe  darin ;  wir  sehen  nicht  bloß  einen  groben  Verstoß  gegen 
das  Kausalitätsgesetz,  sondern  sogar  eine  dreiste  Zumutung,  daran 
zu  glauben.  Wir  wollen  kein  Wunder,  kein  persönliches  Eingreifen 
weder  eines  Gottes  noch  des  Künstlers,  der  seiner  Schöpfung 
gegenüber  auch  Gott  ist.  Die  Magdalena  soll  allzu  auffällig  nur  einen 
Vorwand  abgeben,  um  ein  schönes  rotblondes  Haar,  eine  pikant 
beleuchtete  Nase  und  ein  paar  Händchen  von  sinnlich  warmem 
und  blühendem  Ausdruck  ins  Bild  zu  bringen  und  zugleich  einen 
Kontrast  zu  den  harten  Formen  des  sterbenden  Christus  darüber. 
Sehr  beliebt  war  sein  reuiger  Petrus  und  die  büßende  Magda- 
lena. Die  Magdalena  als  Halbfigur  im  kapitolinischen  Mu- 
seum fast  flau,  von  wenig  Kraft.  Diejenige  in  ganzer  Figur  in  der 
Galeric  Corsini,  mit  tröstenden  Engeln  in  der  Luft,  schon  recht 
oberflächlich  und  gleichgültig. 

Ein  Liebling  der  römischen  Galeriebesucher  ist  der  hl.  Seba- 
stian in  der  kapitolinischen  Galerie.  Allerdings  hat  Guido 
hier  seinen  Schönheitssinn  wieder  voll  bewährt  und  in  den  Auf- 
blick ein  starkes  Gottvertrauen  ohne  Süßigkeit  zu  legen  gewußt. 
Dabei  ist  es  das  Idealbild  eines  kraftvollen,  gesunden  Jünglings.  Da 
er  aber  schon  von  drei  Pfeilen  durchbohrt  ist,  wird  unserer  kausali- 
tätsgewohnten Betrachtung  eine  starke  Zumutung  gestellt.  Die  Land- 
schaft ist  in  diesem  Falle  ausgeführter  als  sonst,  mit  kompakteren 
Bauminassen,  aber  ohne  rechte  Überzeugungskraft. 

Als  Probe  seiner  mythologischen  Bilder  diene  Venus  und 
Amor,  Dresdener  Galerie.  Venus  gelagert  wie  auf  den  analogen 
Bildern  des  Tizian;  zwischen  schweren  Vorhängen  sieht  man  über 
eine  Balustrade  hinweg  nach  Baumgruppen  im  Hintergrunde.  Amor 
reicht  ihr  einen  Pfeil  dar,  den  sie  prüfend  betrachtet.  Verglichen 
mit  den  Bildern  Annibales  ist  es  schon  mehr  auf  wohlige  bequeme 
Weichheit  des  Lagerns  abgesehen.  Aber  es  herrscht  doch  noch  eine 


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Straffheit  des  Fleisches  und  ein  bestimmter  Ernst  in  der  Gesichts- 
bildung, die  von  dem  kindisch-verbuhltcn  Gesichtsausdruck  und  der 
absichtlichen  Lüsternheit  der  Formen  der  späteren  Barockzeit  weit 
entfernt  ist.  Der  Amor  mit  ausgeschwungener  Hüfte  über  dem 
Standbein  (wie  schon  beim  Simson). 

Domenico  Zampieri,  genannt  Domenichino  (geboren  zu 
Bologna  1581,  gestorben  zu  Neapel  1641).  Stammte  von  armen 
Eltern  und  seine  Entwicklung  ist  ihm  daher  nicht  so  leicht  gemacht 
worden  wie  Reni,  was  vielleicht  den  größeren  Ernst  seines  Kunst- 
strebens erklärt.  Er  repräsentiert  diese  bolognesisch-römische  Kunst 
gewissermaßen  auf  ihrem  relativen  Höhepunkte;  dem  absoluten  Werte 
nach  schätzen  wir  Guido  höher.  Domenichino  gilt  in  der  Tat  der 
Ernst  der  geistigen  Auffassung  über  alles.  Bei  den  Carracci  verrät 
sich  daneben  oft  allzu  lebhaft  die  Reminiszenz  an  die  oberitalie- 
nischen Vorbilder  mit  ihrem  Streben  nach  äußerer  subjektiver  Er- 
scheinung in  Linien,  Licht,  Farbe;  bei  Guido  Reni  steht  doch  in 
erster  Linie  die  Befriedigung  des  Schönheitssinnes,  dem  er  alles 
andere,  manchmal  selbst  den  geistigen  Ausdruck,  unterordnet.  Do- 
menichino ist  in  weit  höherem  Maße  Realist  als  alle  anderen  und 
überragt  sie  auch  an  Gedankenreichtum;  er  erinnert  darin  sogar 
gelegentlich  an  deutsche  Meister,  denen  er  sich  auch  durch  einen 
bestimmten  gemütlichen  Zug  nähert.  Auch  im  Kolorit  sucht  er  nicht 
einen  verklärenden  idealen  Ton  wie  Guido,  sondern  trachtet  in  den 
Lokalfarben  selbst  ein  bestimmtes  Maß  von  Wahrheit  zu  erreichen. 
Seine  Farben  erscheinen  daher  eher  bunt  zusammengestellt,  wie- 
wohl auch  er  den  rhythmischen  Wechsel  von  Licht  und  Schatten 
beobachtet  hat,  aber  in  minderem  Grade  als  Guido.  Er  hat  weder 
Gold-  noch  Silberton,  weder  schwere  noch  klare  Schatten.  Hier 
ist  aber  auch  gleich  anzumerken,  daß  Domenichino  überwiegend 
mit  Freskomalerei  beschäftigt  wurde,  was  naturgemäß  einer  kolo- 
ristischen Ausbildung  hinderlich  war,  aber  das  kam  offenbar  auch 
seiner  Neigung  entgegen.  Der  stärkere  Realismus  brachte  es  mit  sich, 
daß  Domenichino  der  Landschaft  mehr  Aufmerksamkeit  geschenkt 
hat  als  Guido.  Doch  bleibt  er  darin  allezeit  härter  und  plastischer 
als  die  Carracci.  Während  die  Carracci  eine  ideale  Landschaft  zu 
schaffen  trachteten,  ist  Domenichino  mehr  innerhalb  der  Grenzen 
des  Naturalistischen  geblieben,  erzielt  aber  damit  nicht  jene  Einheit 


-     185     - 

wie  die  Nordländer,  die  infolgedessen  durch  die  carracceske  Land- 
schaft in  höherem  Maße  befriedigt  wurden.  Dies  gilt  noch  mehr 
von  den  Tieren;  er  vernachlässigt  sie  nicht  so  wie  Guido,  aber  er 
weiß  sie  nicht  recht  malerisch,  ja  nicht  einmal  zeichnerisch  zu  be- 
wältigen. Äußere  Daten  aus  seinem  Leben:  wie  Guido  zuerst  bei 
Calvaert  (was  vielleicht  bei  ihm  nachgewirkt  hat),  dann  bei  den 
Carracci,  mit  denen  er  anfangs  des  17.  Jahrhunderts  nach  Rom 
geht.  Um  1616  ist  er  wieder  in  Bologna;  unter  Gregor  XV.  Ludo- 
visi  (1621bisl623),  dem  Bolognesen,  treffen  wir  ihn  wieder  in  Rom; 
er  ist  nicht  mehr  nach  Bologna  zurückgekehrt  Er  beweist  damit,  daß 
er  verhältnismäßig  am  meisten  romanisiert  und  neapolitanisiert  wurde. 
Im  Jahre  1630  geht  er  nach  Neapel,  wo  er  im  Dom  die  Capella  dcl 
Tesoro  auszumalen  hatte.  In  Neapel  hatte  sich,  seitdem  Caravaggio 
sich  dort  aufgehalten  hatte,  eine  lokale  Malcrschulc  mit  stark  natura- 
listisch-koloristischen Absichten  auszubilden  begonnen.  Sie  erhielt 
namhafte  Stütze  durch  einen  zugewanderten  Spanier,  Jusepe  Ribera 
aus  Valencia,  Spagnoletto.  Diese  Maler  sahen  es  ungern,  daß  die 
Bolognesen  Fuß  fassen  wollten.  Als  Guido  eingeladen  war,  wurde 
sein  Gefolge  attackiert;  der  feine  Guido  räumte  das  Feld.  Dann 
wurde  Domenichino  eingeladen.  Er  nahm  sich  vor,  den  Anfein- 
dungen zu  trotzen;  auch  er  mußte  einmal  fliehen,  wurde  aber 
wieder  zurückberufen  und  hat  in  der  Tat  zehn  Jahre  in  der  Capella 
gearbeitet,  unter  unangenehmen  Verhältnissen.  Als  er  1641  plötzlich 
starb,  behauptete  seine  Frau,  die  Einheimischen  hätten  ihn  vergiftet. 
Mit  seinem  Realismus  kam  er  den  Neapolitanern  näher  als  Guido, 
aber  doch  nicht  nahe  genug,  um  sich  in  Neapel  siegreich  zu  be- 
haupten; er  war  ihnen  zu  ernst,  sie  verlangten  mehr  äußerlichen 
Subjektivismus,  den  ihnen  Lanfranco  bot,  der  als  dritter  Bolognese 
nach  Neapel  gekommen  und  schlau  genug  war,  sich  mit  den  Nea- 
politanern gut  zu  stellen.  Er  setzte  sich  nämlich  in  Gegensatz  zu 
Domenichino,  mit  dem  er  schon  in  Rom  Differenzen  gehabt  hatte. 
In  der  Tat  erhielt  Lanfranco  nach  dem  Tode  des  Domenichino  die 
noch  ausständigen  Arbeiten  in  der  Capella  del  Tesoro.  Was  Dome- 
nichino in  Neapel  gemalt  hat,  zählt  nicht  zu  dem  Besten  und  Cha- 
rakterischesten. 

Domenichinos  Fresko  in  S.  Gregorio  Magno:  Geißelung  des 
hl.  Andreas  von  1608,  im  Wettstreit  mit  Guido.  Das  Thema  an  sich  un- 


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dankbarer,  aber  für  einen  Realisten  das  geeignetere.  In  der  Tat  ist  ein 
weit  stärkeres  dramatisches  Leben  darin,  als  im  Fresko  des  Guido. 
Der  Heilige  wird  von  Folterknechten  gefesselt  und  einer  schlägt 
schon  mit  dem  Besen  zu.  Die  Gottergebenheit  des  greisen  Apostels 
und  der  grausame  Eifer  der  Henker.  Das  Gedränge  löst  sich  schon. 
Links  drängt  das  Volk  heran  (nicht  die  koketten  Draperiestudien 
des  Guido)  und  wird  durch  einen  Soldaten  zurückgeschoben.  Da- 
hinter der  Imperator  auf  einem  erhabenen  Thronscssel  und  eine 
Tcmpelhalle  mit  Zuschauern.  (In  Rom  malt  er  viel  antikes  Bei- 
werk in  Architekturen,  dann  nach  antiken  Statuen  den  Imperator. 
an  Studien  des  Mantegna  erinnernd.)  Von  rechts  her  fällt  ein 
schräger  Schatten,  der  das  Ganze  zweiteilt;  aber  trotzdem  bleibt 
auch  die  beschattete  Hälfte  so  gut  wie  ganz  hell,  die  Figuren  im 
Schatten  sind  ebenso  beleuchtet  wie  diejenigen  in  der  Sonne.  Das 
Kausalifätsgesetz  wird  nur  äußerlich,  im  Gröbsten  beobachtet.  Wir 
haben  Berichte  über  die  Meinungen,  die  unter  den  Römern  bei  Ent- 
hüllung beider  Bilder  verbreitet  waren.  Annibale  Carracci  wurde 
befragt,  er  sagte:  er  wäre  durch  ein  Weib,  das  mit  ihrem  Kinde 
in  die  Kapelle  gekommen  war,  darüber  belehrt  worden,  was  davon 
zu  halten  sei.  Zuerst  besah  sie  das  Bild  des  Domcnichino  und 
zeigte  daran  ihrem  Knaben,  wie  der  Heilige  gottergeben  sein  Schick- 
sal erträgt,  und  wie  der  eine  Knecht  mit  aller  Anstrengung  die 
Stricke  zusammenzieht,  wie  der  andere  den  Heiligen  höhnt,  wie  der 
Knabe  die  Stricke  herbeibringt  und  vom  Anblick  des  Heiligen  er- 
griffen den  Schritt  anhält  und  ihn  anstarrt,  so  daß  der  Henker  ihm 
den  Strick  aus  den  Händen  reißen  muß.  Dann  trat  sie  mit  dem 
Knaben  vor  das  Bild  des  Guido,  wußte  aber  ihrem  Knaben  nichts 
zusagen  und  ging  hinaus.  Das  will  also  sagen:  Domcnichino  malte 
das.  was  das  Volk  wollte  und  sprach  zum  Volke.  Guido  malte  für 
Feinschmecker. 

Befreiung  Petri.  San  Pietro  in  Vincoli.  Der  Engel  wacht 
bei  Petrus,  der  auffährt.  Zwei  Wächter  schlafen,  einer  stehend,  einer 
liegend.  Nachtstück  mit  scharfem  Lichteinfall,  vom  Engel  ausgehend. 
Die  Figuren  heraus  oder  hinein  bewegt.  Der  liegende  Soldat  ver- 
kürzt gegen  den  Beschauer.  Starkes  Gedränge  der  Figuren,  die 
herkulischen  Glieder!  Alles  Schule  des  Lodovico  Carracci,  entgegen- 
gesetzt  dem  Streben  Guidos   nach  Ebene.    Im  weit    ausschreitenden 


-     187     - 

Engel  und  Petrus  in  Doppelbewegung  ein  hastiges  Momentanes,  das 
mit  dem  grellen  Lichtschein  übereinstimmt.  Dieser  Lichtschein  erhellt 
aber  wieder  nur  die  Figuren,  nicht  die  Luft  dazwischen.  Auch  die 
Wände  sind  erhellt,  aber  in  matter,  unauffälliger  Weise,  ohne  Steige- 
rung. 

Kommunion  des  hl.  Hieronymus.  Vatikan.  Pinakothek. 
Zeigt,  worin  er  sich  von  den  Carracci  emanzipiert.  Im  Wett- 
streit mit  Agostino  gemalt,  noch  in  Rom  zirka  1608.  Bei  Ago- 
stino  Gedränge,  der  streng  barocke  Zwang,  bei  Domcnichino 
klare  Zweiteilung;  links  Hieronymus  mit  den  Seinigen,  rechts  der 
Priester  mit  Ministranten.  Die  Handlung  einheitlicher:  bei  Agostino 
schauen  viele  vom  Heiligen  weg,  in  persönlichem  Sinnen,  zum  Teil 
zu  den  Engeln  oben  aufblickend,  bei  Domenichino  sind  fast  alle 
Blicke  auf  den  Heiligen  gerichtet,  niemand  sieht  die  Engel,  was 
auch  im  naturalistischen  Kausalitätssinne  wirkt.  Der  Heilige  ist  hier 
ein  natürlich  verfallener,  sterbender  Greis,  bei  Agostino  war  er  ein 
Hüne,  übermenschlich.  Der  Kerzenträger  des  Agostino  im  Vorder- 
grund fehlt  bei  Domenichino.  der  Türke  ist  in  den  Hintergrund 
geschoben,  neu  eingeführt  ist  bei  Domenichino  eine  Frau,  die  die 
Hand  des  Sterbenden  küßt,  dann  ein  kniender  Ministrantenknabc 
mit  langem,  goldblondem  Lockenhaar  in  rührender  Haltung.  Ge- 
samtfazit: Steigerung  des  Psychischen,  der  Empfindung,  durch  Ver- 
meidung der  Zersplitterung  und  Übertreibung  in  äußeren  Aktionen. 
Der  Engel  bei  Agostino  stürmisch  die  Arme  aufwärts  hebend,  bei 
Domenichino  nach  Kinderart  gemütlich  tänzelnd,  aber  doch  ernster 
als  bei  Correggio.  Hintergrund:  der  Bogen  bei  Domenichino  offener, 
stößt  oben  an  den  Rand  an,  der  Blick  braucht  sich  nicht  durch- 
zuzwängen nach  der  Landschaft  draußen.  Die  Landschaft  detail- 
lierter, klarer,  mehr  auf  das  Einzelne  eingehend  bei  Domenichino, 
freilich  stößt  der  Mangel  der  Verbindung  mit  dem  Luftraum  mehr 
auf  als  bei  der  uniform  hingestrichenen  (daher  mehr  impressio- 
nistisch wirkenden)  carraccesken  Landschaft.  Auch  in  der  Schatten- 
gebung  ist  Domenichino  malerischer.  Schönstes  Bild  in  Rom  nächst 
der  Transfiguration  Raffaels  nach  der  Meinung  des  Nicolas  Poussin. 

Marter  der  hl.  Agnes,  Bologna,  Pinakothek.  Wieder  Himmel 
und  Erde,  hier  ist  die  irdische  Begebenheit  Hauptsache.  Der  rohe 
Henker  (Typus  des  Bösen)   stößt  ihr  (Kontrast)  das  Messer  gerade 


-     188    - 

in  die  Kehle,  während  sie  umsinkt.  Der  Moment  des  Zutodc- 
getroffenseins  ist  gut  zum  Ausdrucke  gebracht.  Links  gefühllose 
Soldaten,  rechts  drei  Frauen  als  Zuschauerinnen,  alle  drei  in  ver- 
schiedenen Gebärden  des  Entsetzens,  auch  im  Gegensatz  zu  den 
Soldaten.  Klare  Komposition,  kein  Gedränge.  Im  Hintergründe  ein 
Säulenviadukt,  den  eine  Menschenmenge  bis  zum  Brechen  anfüllt. 
Zwischen  den  Säulen  blickt  eine  weite  Landschaft  herein.  Dann  ein 
Gegensatz  zwischen  der  Not  unten  und  dem  eitlen  Jubel  oben. 
Musizierende  Engel  um  die  Dreifaltigkeit,  Cäcilie  tritt  die  Pedale, 
Christus  und  Gott  Vater  majestätisch-behaglich  gelagert;  Christus 
reicht  herablassend  einem  dienstbeflissenen  Engel  Krone  und  Palme 
zum  Hinabtragen,  wie  ein  Preisrichter,  der  einen  Preis  spendet.  Das 
ist  der  Realismus,  den  wir  im  Übernatürlichen  störend  empfinden. 
Dagegen  empfand  man  damals,  wo  der  Glaube  alles  galt,  die  äußerste 
Ekstase,  jedes  Wunder,  als  durchaus  mögliche  Wirklichkeit. 

Madonna  del  Rosario,  nach  der  Rückkehr  nach  Bologna 
gemalt,  jetzt  in  der  Pinakothek  zu  Bologna.  Es  ist  etwas  Kaltes, 
Studiertes  darin,  das  den  Beschauer  befremdet.  Wieder  Zusammen- 
fassung disparater  Dinge  in  einem  Moment  des  Geschehens;  die 
Deutschen  haben  es  weit  naiver  dargestellt.  Domenichino  befriedigt 
hier  nach  keiner  Seite  hin.  Die  Komposition  bedeutet  einen  Rück- 
fall ins  Mittelalter,  das  aber  solche  Szenen  nicht  visionär,  sondern 
ideal  aufgefaßt  hat.  Eine  Wolkenbank  teilt  das  Ganze  in  zwei  Teile: 
oben  Himmel,  unten  Erde.  Oben  Madonna  mit  dem  Kind,  das  Rosen 
auf  die  Erde  hcrabstreut.  Rechts  ein  weinender  Engel  mit  den  Leidens- 
werkzeugen, links  hält  der  hl.  Dominicus  einen  Rosenkranz  empor 
und  weist  die  Beschauer,  die  er  anblickt,  pathetisch  auf  die  Madonna. 
(Das  ist  charakteristisch  für  das  Römisch-Barocke  und  ist  fortwährend 
zu  beobachten,  daß  die  Heiligen  direkt  mit  dem  Beschauer  ver- 
kehren; es  ist  eben  der  christliche  Geist,  der  die  Gottheit  persönlich 
faßt.  Wir  stoßen  uns  heute  daran,  wenn  jemand  im  Bilde  so  tut, 
daß  er  uns  sieht  und  uns  direkt  beeinflussen  will.  Das  Kausalgesetz 
kümmert  sich  nicht  um  uns.)  Darüber  schwebt  ein  Engel  mit  der 
Aufcrstchungsfahne,  halbwüchsige  Mädchen,  wie  sie  ihm  besonders 
glücklich  gelingen,  oft  mit  schalkhaft-naivem  Köpfchen:  Soubretten- 
köpfchen hat  man  sie  genannt.  Unter  dem  Flügel  kommt  ein  Putto 
hervor,  der  sich  eine  Krone  aufs  Haupt  setzt.  Links  davon  baumelt 


-     189    - 

außerdem  noch  eine  ganze  Anzahl  von  Engeln  im  Wolkcnraume 
herum.  Auf  der  Erde:  Menschen  mit  Rosenkränzen  in  den  Händen, 
die  sich  in  ihrer  Bedrängnis  an  die  Madonna  wenden;  in  der  Mitte 
zwei  Mädchen,  die  sich  umschlingen,  weil  sie  von  einem  heran- 
sprengenden Reiter  mit  der  Lanze  bedroht  werden  (das  fast  miß- 
lungene Pferd  verrät  sein  geringes  Verständnis  für  Ticrbildung).  Links 
ein  Mädchen  von  einem  Krieger  mit  dem  Stilett  bedroht,  am  Boden 
ein  halbnackter  Greis  mit  brechendem  Blick  und  ausgebreiteten 
Armen.  Rechts  einige  Priester,  darunter  der  vorderste  in  sehr  in- 
brünstiger Haltung,  geradezu  seltsam  verrenkt,  weit  weniger  glück- 
lich als  die  Mädchenfiguren.  In  der  Mitte  dazwischen  zwei  nackte 
Knäblein,  die  um  einen  Rosenkranz  raufen.  Also  Zusammenbringen 
verschiedener  Geschehnisse  in  ein  Bild,  wie  z.  B.  die  modernen 
Neoidealisten  tun  (Puvis  de  Chavanne  z.  B.i.  Hintergrund  weite 
Landschaft  mit  abschließenden  Bergfernen. 

Tod  des  hl.  Petrus  Martyr,  Pinakothek  Bologna  (in  An- 
lehnung an  Tizian  geschaffen).  Realistische  Marterszene.  Diese  sind 
jetzt  sehr  beliebt  geworden,  weil  sie  auf  das  Volk  Eindruck  machten. 
Im  Bilde  ist  die  grelle  Farbenwirkung  unangenehm.  Die  rote  Hose 
des  Mörders  und  die  weißen  Kutten  der  Mönche!  Der  Heilige  am 
Boden  wehrt  sich  mit  gekreuzten  Armen  und  strampelt  mit  den 
Beinen,  trotzdem  die  Engel  ihm  die  Belohnung  zeigen  für  das 
Martyrium.  Noch  Correggio  ließ  die  Heiligen  sich  ruhig  abschlachten. 
Der  Realist  denkt,  man  kann  das  auch  einem  Heiligen  nicht  zu- 
muten. Das  ist  realistisch,  aber  erhöht  das  Entsetzliche.  Der  ent- 
setzte Ausdruck  der  Todesangst  im  fliehenden  Mönch  mit  gebauschtem 
Gewand  ist  gewiß  sehr  ausdrucksvoll,  ja  aufregend.  Aber  es  ist  nichts 
harmonisch  Versöhnendes  dabei,  das  namentlich  durch  koloristische 
Färbung  und  durch  Tonwirkung  hätte  hervorgebracht  werden  können, 
was  aber  Domenichino  geradezu  absichtlich  vermieden  zu  haben 
scheint.  Grell,  schreiend  in  Handlung  und  Farbe.  Auch  die  Baum- 
blätter springen  plastisch  heraus.  Bezeichnet  das  Gegenteil  von 
Stimmung.  In  der  tiefen  Landschaft  ein  spitzer  Bergkegel,  man  sieht 
einige  Details  in  der  Ferne  aufblitzen.  Muß  auch  noch  in  die  frühe 
Zeit  gehören. 

Fresken  in  S.  Andrea  della  Valle:  in  der  Tribuna  die  Legende 
des  hl.  Andreas,  in    den  Kuppclzwickeln    die   vier  Evangelisten. 


-     190    — 

Noch  hincinkomponicrt  in  die  Zwickel,  nicht  auf  Blechausschnitten 
hinausragend  in  die  Luft.  Auch  die  Untersicht  nur  mäßig  berück- 
sichtigt. Hier  zeigt  er  sich  im  großen  Stil;  das  Beste,  was  in  dieser 
Auffassung  seit  Michelangelos  Propheten  und  Sibyllen  geschaffen 
wurde.  Wirklich  echte  Begeisterung  in  den  Mienen,  so  daß  die 
grandios  bewegten  Leiber  nicht  manieriert  erscheinen.  Pathetisch 
ist  nur  einer:  Johannes  von  oben  (außen)  die  Inspiration  empfangend. 
Die  übrigen  sind  mehr  beschaulich,  aber  sie  brauchen  Raum,  am 
meisten  Matthäus  (verhältnismäßig  der  Bewegteste,  aber  wie  ein 
Theaterzuschauer),  aber  doch  ganz  im  Meditieren  versunken.  Marcus 
ist  der  correggeskeste.  Lucas  faßt  die  Beschauer  scharf  ins  Auge. 
Nach  dem  Vorbild  des  Jupiter  des  Annibale  Carracci  in  der 
Oallcria  Farnese.  Im  Johannes  kommt  er  verhältnismäßig  nahe  an 
Rcni  heran.  Funktion  der  Engel:  einerseits  jene  ernste,  wie  sie  schon 
Michelangelo  seinen  Propheten  und  Sibyllen  gegeben  hat,  indem 
sie  bei  der  Lektüre  das  Buch  halten  oder  in  anderer  Weise  assi- 
stieren. Dann  aber  auch  wie  die  Putten  des  Correggio,  die  mit  den 
Symbolen  spielen  und  auf  den  Wolken  ihre  Purzelbäume  schlagen. 
Ein  so  ernster  Realist  wie  Domcnichino  war  natürlich  wenig 
befähigt  zur  mythologischen  Malerei,  bei  der  es  sich  um  sinnliche 
Schönheit  handelt.  Es  wurden  ihm  aber  doch  solche  Aufgaben  gestellt, 
und  da  ist  es  höchst  interessant  zu  sehen,  wie  er  sie  aufgefaßt  und 
gelöst  hat.  Unter  anderem  verdanken  wir  einer  mythologischen  Auf- 
gabe, die  ihm  der  Kardinal  Borghcse  gestellt  hat,  eines  seiner 
reizendsten  Bilder,  das  heute  noch  allgemeinen  Beifall  findet,  auch 
bei  nordländischcn  Beschauern.  Es  ist  die  Jagd  der  Diana  in  der 
Gallcria  Borghese.  Der  Auftraggeber,  Kardinal  Scipio  Borghese, 
wünschte  offenbar  ein  Bild  mit  Diana  und  Aktäon.  Also  Diana  und 
die  Nymphen  badend,  erschreckt  auffahrend  und  sich  verhüllend 
beim  Auftauchen  des  Aktäon,  der  in  den  Hirsch  verwandelt  und 
von  den  Hunden  angefallen  wird.  Das  gab  Gelegenheit,  reife  weib- 
liche Körper  enthüllt  zu  zeigen.  Das  entsprach  aber  dem  Domcni- 
chino nicht.  Er  begriff,  daß  er  da  nicht  zulange.  Und  so  hat  er 
Diana  gemalt  im  Kreise  einer  Schar  junger  Mädchen  von  unent- 
wickelten, halbwüchsigen,  jungfräulich  herben  Formen,  denen  das 
Verfängliche  der  Reife  noch  abgeht.  So  wenig  ihn  die  reife  weib- 
liche Körperschönheit  künstlerisch  anzog,  so  sehr  interessierten  ihn 


-    191     - 

die  keuschen,  knospenden  Mädchenformen.  Diana  selbst  ist  be- 
kleidet; sie  ist  die  am  wenigsten  interessante  Figur.  Sie  gibt  das 
Zeichen  zum  Schießen.  Die  Mädchen  aber  sind  alle  überaus  leben- 
dig erfaßt  in  ihrer  kindlichen  Ausgelassenheit,  in  der  unschuldigen 
Lebhaftigkeit  und  Beweglichkeit,  wie  sie  für  dieses  Lebensalter 
charakteristisch  ist.  Die  Hauptgruppe  nächst  der  Diana  ist  beschäftigt 
mit  einem  Vogelschießen  (nach  unseren  Begriffen  ein  unweiblicher 
Sport,  aber  nach  italienischem  Begriffe  gibt  es  keine  Tierquälerei). 
Das  Wasser  zum  Bade  ist  zwar  da,  aber  es  sind  nur  zwei  Mädchen 
hineingeplumpst  und  plätschern  darin  behaglich  nach  Kinderart.  Statt 
Aktäons  sind  zwei  lauschende  Hirten  hinter  einem  Gebüsch  rechts 
erkennbar;  es  droht  ihnen  aber  keine  Gefahr;  ein  Jagdhund  fährt 
zwar  in  ihrer  Richtung  los,  aber  er  wird  am  Halsbande  von  einem 
Mädchen  zurückgerissen,  es  ist  dies  vielleicht  die  wirkungsvollste 
Gruppe  von  allen  durch  die  kontrastierende  Doppelbewcgung; 
sogar  der  Hund  ist  diesmal  gut  gezeichnet.  Im  Hintergrunde  üben  sich 
einige  Mädchen  im  Laufen  und  Ringen;  andere  tragen  einen  er- 
legten Hirsch.  Es  ist  also  eigentlich  kein  mythologisches  Bild,  sondern 
wir  könnten  es  eher  ein  Genrebild  nennen:  Waldausflug  eines 
Pensionats.  Die  Landschaft  zeigt  wieder  die  summarische  Behandlung, 
einzelne  plastische  Bäume  und  tiefe  Erstreckung  in  Bergfernen. 

War  Domenichino  der  Anschauung,  daß  die  Malerei  haupt- 
sächlich ernste  und  erhabene  Vorstellungen  im  Menschen  zu  er- 
wecken bestimmt  ist,  so  hatte  sein  Freund  und  Schulgenosse 
Francesco  Albani  genau  die  entgegengesetzte  Auffassung.  Er 
fand,  daß  die  Malerei  vornehmlich  die  Aufgabe  habe,  die  Menschen 
zu  erfreuen.  Albani  vermeidet  grundsätzlich  alle  Gelegenheit  zu 
geistiger  Aufregung,  aber  auch  pathetischer  Schaustellung  mensch- 
licher Größe,  die  römische  Maniera  grandc  (schon  deshalb  war  für 
ihn  in  Rom  kein  dauernder  Platz);  er  will  dem  Beschauer  nur 
glückliche,  wohlgenährte  Menschen  zeigen,  mit  leuchtendem  Fleische 
und  gefälligen  Umrissen,  allenfalls  unter  Hinzufügung  einer  an- 
mutigen landschaftlichen  Umgebung,  aber  ohne  Individualisierung. 
Albani  ist  daher  der  mythologische  Maler  der  Carracci-Schulc 
geworden.  Es  mag  diese  Neigung  auch  in  seiner  Herkunft  begründet 
gewesen  sein.  Er  stammte  aus  einem  reichen  Kaufmannshause  in 
Bologna,  wo  er  1578  geboren  ward.  Sein  Entwicklungsgang  ist  der- 


-     192    - 

selbe  wie  bei  den  schon  Genannten.  Zuerst  die  Schule  bei  Calvacrt, 
dann  bei  den  Carracci  in  der  Akademie,  endlich  in  Rom.  Von 
dort  hat  er  sich  aber  ebenso  wie  Guido  nach  Bologna  zurück- 
gezogen, von  wo  aus  er  Mühe  hatte,  allen  Bestellungen  gerecht  zu 
werden.  In  Bologna  (la  grassa)  war  er  mehr  am  Platze  als  in  Rom, 
nicht  so  sehr  wegen  der  übermäßigen  Wertschätzung,  die  er  genossen, 
sondern  weil  er  es  sich  bequem  gemacht  hat,  Lebensgenuß.  Dichtung, 
wissenschaftliche  Studien  getrieben  hat.  Er  hat  daher  viele  Schüler 
in  der  Werkstatt  beschäftigt.  Gestorben  ist  er  erst  1660.  Die  Land- 
schaften besorgte  ihm  Viola,  doch  sind  seine  Landschaften  von 
ganz  bestimmter  Bedeutung,  so  daß  wohl  das  Wesentliche  daran, 
die  Erfindung,  von  Albani  selbst  stammt.  Das  Wasser  malte  ihm  ein 
Galli-Bibbiena.  der  Stammvater  der  Architektenfamilie  dieses 
Namens.  Albani  hat  die  mythologische  Malerei  nun  so  getrieben. 
wie  sie  eben  im  ersten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  möglich  war, 
d.  h.  ohne  ausgesprochen  sinnliche  Beimischung,  er  malte  Nacktes, 
aber  ohne  Lüsternheit.  Das  äußert  sich  schon  darin,  daß  in  seinen 
Bildern  in  der  Regel  wie  bei  Domenichino  nicht  bloß  Erwachsene 
vorkommen,  aber  auch  nicht  halbwüchsige  Mädchen,  sondern  direkt 
Kinder-Amoretten.  Man  hat  seine  Bilder  mit  den  pompejanischen 
sehr  verwandt  gefunden,  und  mit  Recht.  Auch  seine  Lebens- 
anschauung war  eine  alexandrinische.  Leuchtendes  Fleisch  und 
gefällige  Konturen,  sowie  heiteres  Leben  und  anmutige  Bewegun- 
gen ließen  sich  damit  erreichen.  Diese  Amoretten  sind  für  ihn 
völlig  charakteristisch.  Er  hat  sie  auch  in  den  verhältnismäßig 
wenigen  Altarbildern  angebracht,  die  er  namentlich  in  seiner 
Jugendperiode  gemalt  hat,  wo  sie  natürlich  Engel  sind.  Aller- 
dings konnte  er  nicht  Themata  ausschlagen,  in  denen  Erwachsene, 
namentlich  weibliche  Figuren  vorkommen,  und  auch  an  diesen 
sucht  er  die  Grazie  des  nackten  Leibes  vorzutragen.  Aber  diese 
Grazie  hat  noch  absolut  nichts  Absichtliches.  Der  Beschauer 
empfindet  wirklich  nur  die  reine  Freude  darüber,  daß  es  so  herr- 
liche Geschöpfe  Gottes  gibt.  In  seinen  Jugendjahren  hat  er  viel 
Fresken  gemalt,  die  bedeutendsten  die  Deckenfresken  im  Palazzo 
Torlonia  (damals  Verospi),  auch  das  Thema  der  Aurora,  wie  bei 
Guido  und  Guercino.  Besser  ist  er  in  Ölbildern  als  in  Fresken, 
in    kleinen  Figuren    als    in    großen.    Er    malt    zwar    nicht    Kabinett- 


193    — 

bilder,  aber  doch  Zwischenstufen  zwischen  diesen  und  lebens- 
großen Figuren. 

Raub  der  Proserpina  in  der  Brera.  Der  Raub  im  Hinter- 
grunde links,  dagegen  im  Vordergrunde  tanzen  singende  Amoretten 
einen  Reigen  um  einen  Baum,  in  dessen  Zweigen  andere  Amoretten 
musizieren.  Oben  rechts  in  den  Wolken  Venus  den  Amor  küssend. 
Das  Hauptmotiv  bilden  also  die  Amoretten  unten  in  der  Mitte.  Die 
Landschaft  zeigt  große  Linien,  möglichst  wenig  gebrochen  durch 
Bäume  und  Buschwerk,  links  einen  ragenden  Bergzug,  rechts  einen 
Rundtempel. 

Toilette  der  Venus  in  der  Galerie  Borghese  (Beispiel  eines 
mythologischen  Bildes  mit  erwachsenen  Figuren).  Venus  von  drei 
Dienerinnen  betreut.  Es  ist  die  Freude  an  schönen  Formen  und 
Gesichtszügen,  aber  es  ist  doch  noch  eine  Handlung  darinnen  (was 
diese  Zeit  selbst  von  mythologischen  Darstellungen  begehrte).  Jede 
Figur  ist  beschäftigt  und  ganz  bei  der  Sache,  nicht  bloß  äußerlich, 
sondern  auch  seelisch.  Venus  mit  Interesse  ihr  Bild  im  Spiegel 
schauend,  die  eine  Magd  kräuselt  ihr  'aufmerksam  das  Haar,  die 
zweite  flicht  ihr  Zöpfe,  hält  aber  gerade  inne  und  wendet  sich  um 
nach  der  dritten,  die  sie  wegen  einer  langen  Halskette  befragt; 
ringsherum  aber,  am  Boden,  auf  dem  Baume,  im  Wasser,  tummeln 
sich  wieder  die  Amoretten,  die  ganz  wesentlich  zur  Szene  gehören. 
Die  Landschaft  ist  diesmal  geschlossener,  aber  im  ganzen  dieselbe 
Komposition  mit  dem  in  schräger  Linie  abfallenden  Höhenzug. 

Magdalena  als  Büßerin,  Kapitol.  Beispiel  einer  pathetischen 
Darstellung,  weinend.  Ist  nicht  die  verkörperte  Reue,  sondern  eine 
Dame  in  sehr  guten  Verhältnissen,  die  eben  etwas  Schmerzvolles 
erlebt  hat  und  weinend  die  Hände  ringt.  Was  Albani  getroffen  hat, 
ist  der  Charakter  des  Wohllebens,  der  äußeren  Glückseligkeit.  Der 
Typus  als  schön  gemeint,  aber  er  erreicht  Guido  nur  in  Äußerlich- 
keiten, wie  in  den  kokett  aufgelösten  Haaren.  Hand  und  Finger 
oberflächlich,  ohne  Gelenke.  Merkwürdig  der  schiefe  Fels  und  die 
abfallende  Landschaft.  Die  reinen  Horizontalen  liebt  er  nicht.  Das 
Schroffe  paßt  zum  Pathetischen. 

Franciscus,  Louvre.  Halbes  Kabinettsbild,  wie  sie  Guido 
nicht  gemalt  hat,  aber  bei  Annibale  Carracci  kommen  sie  gelegentlich 
vor.  Halbfigur    des  Heiligen,    der  vor    dem  Kruzifix   in  Verzückung 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrh.  13 


—     194     — 

gerät.  Ganz  tadellos  in  Zeichnung  und  Ausdruck,  aber  nichts 
Interessantes,  Packendes,  allerdings  auch  nichts  Übertriebenes,  nicht 
im  Habitus  und  nicht  im  Pathos.  Er  sucht  wieder  durch  den  Felsen 
pikant  zu  wirken. 

Verkündigung,  Louvre.  Das  erstaunte  Auffahren  der  Maria, 
mehr  Überraschung  als  Aufregung,  die  devote  Haltung  des  Engels 
auf  der  Wolke,  nicht  zeremoniöse  Unterwürfigkeit,  aber  es  fehlt  die 
Maniera  grandc,  dadurch  bekommt  die  Szene  etwas  Intimeres,  das 
etwas  an  das  Quattrocento  erinnert.  Hier  treten  schon  oben  die 
Engclputten  auf,  die  neugierig  von  ihren  Wolken  hcrablugen.  Auf- 
fallend sind  seine  Draperien  mit  gleich  tief  scheinenden  verknitterten 
Falten,  deren  erhabene  Büge  gleichmäßig  beleuchtet  sind. 

Erschaffung  der  Eva,  Dresden.  Rundbild.  Nach  Michel- 
angelo. Auch  Albani  interessierte  hierbei  die  Gelegenheit  Nacktes 
zu  malen,  aber  in  ganz  anderer  Absicht,  viel  irdisch-natürlicher,  als 
wenn  er  absichtlich  mit  Michelangelo  konkurriert  hätte.  Adam 
schnarcht  ganz  natürlich,  die  Arme  sind  auch  natürlich  gelegt  Eva 
kauernd  in  devoter  Haltung.  Im  Gott  Vater  ganz  das  Motiv  des 
Michelangelo,  wie  er  daherfährt  von  seinem  Mantel  umwallt,  wie 
der  verkörperte  Wille,  aber  die  Geste  ist  nicht  so  gebieterisch,  der 
Kopf  ist  menschlich  befangen,  und  die  Putten  gucken  neugierig  und 
kindisch  unter  den  Falten  des  Mantels  hervor.  Weite  Landschaft  mit 
ruhigen  Linien,  einige  wenige  Tiere  zur  Andeutung  des  Paradieses 
darin  sichtbar.  Dafür  links  halbwüchsige  Engel,  dann  Engelsköpfe; 
rechts  bei  Gott  Vater  die  dritte  Gattung:  Putten. 

Der  auferstandene  Christus  seiner  Mutter  erscheinend, 
Pitti.  Maria  ist  auf  die  Knie  gesunken  und  breitet  die  Arme  dem 
Sohne  entgegen,  aber  ohne  besonderes  Pathos.  Christus  zeigt  hier 
den  gemütlichen  bärtigen  Typus  eines  Tiroler  Bauern.  Die  Haupt- 
rolle spielen  wieder  Engel  der  drei  Gattungen,  namentlich  die 
Putten,  wie  sie  am  Boden  knien  und  zugleich  Spalier  bilden,  wie 
sie  Christus  schieben  und  ihm  Mantel  und  Fahne  halten.  Der 
große  Engel  aber  expliziert.  Hier  ist  ein  seltener  Fall  bei  Albani: 
das  Interieur.  Die  Wand  ganz  unkenntlich,  nur  ein  Stück  Fuß- 
boden, der  vorne  in  eine  Stufe  abbricht,  darauf  zwei  Betpultc 
und  eine  Bettstatt.  Man  sieht:  der  Innenraum  interessiert  ihn  gar 
nicht. 


—     195     — 

Der  auferstandene  Christus  und  Magdalena,  Louvre. 
Hier  versucht  er  sich  mehr  in  der  Maniera  grande.  Christus  zwar 
auch  von  gemütlichem  Typus,  aber  etwas  ernster,  mit  geneigtem 
Haupt,  die  kniende  Magdalena  schreit  auf,  wie  sie  ihn  erkennt,  und 
streckt  die  Arme  gegen  ihn  aus,  instinktiv.  Es  ist  aber  noch  immer 
ein  gemäßigtes  Pathos.  Und  wie  in  der  Halbfigur  der  Magdalena 
fordert  auch  hier  das  Pathos  Felsen,  zwischen  denen  der  Blick  sich 
durchzwängen  muß  nach  der  landschaftlichen  Tiefe.  Eine  gebogene 
Linie  beschreibt  der  Fels,  Christus  und  die  Bäume.  Engel,  nur  zwei 
erwachsene  am  Grabe,  passen  nicht  zum  Pathetischen. 

Giov.  Francesco  Barbieri,  Guercino  (der  Schielende),  war 
nicht  in  der  Akademie  der  Carracci  herangezogen.  Aber  er  ist  erstens 
seiner  Geburt  nach  ein  halber  Bolognese,  weil  er  aus  Cento  stammt, 
zweitens  hat  er  eingestandenermaßen  seine  Richtung  durch  die  An- 
schauung von  Lodovico  Carraccis  Werken  erhalten,  die  er  ja  von  Cento 
aus  leicht  studieren  konnte.  Übrigens  waren  Bilder  Lodovicos  in  Cento 
selbst  zu  sehen.  Aber  zu  den  Akademikern  darf  man  ihn  doch 
nicht  zählen,  denn  in  seinen  Anfängen  sah  es  ganz  danach  aus,  als 
ob  er  die  Bahnen  Caravaggios  wandeln  würde;  erst  in  der  letzten 
Periode  seines  Schaffens  ist  er  entschieden  zur  akademischen  Richtung 
übergegangen.  Geboren  1590,  gestorben  1666  zu  Bologna.  Er  ist 
den  beiden  größten  Carracci-Schülern  unmittelbar  anzureihen,  ja  er 
ergänzt  sie  nach  zweifacher  Richtung:  1.  Im  Ausdruck  bildet  er 
den  Übergang  zu  den  Naturalisten  (schon  Domenichino  steht  in 
der  Mitte,  Guido  am  äußersten  idealistischen  Flügel);  er  malt  seine 
Figuren  noch  strenger  nach  dem  Modell.  2.  Im  Kolorit,  er  ist  der 
einzige,  dem  es  vornehmlich  und  überwiegend  auf  das  Kolorit  an- 
gekommen ist,  d.  h.  auf  eine  koloristische  tonige  Wirkung.  Dann 
lockert  er  die  Konturen  mehr  als  irgendein  anderer  Bolognese, 
daher  erreicht  er  eine  weitgehende  Verbindung  mit  dem  Räume.  Es 
gibt  von  ihm  Bilder,  die  fast  farblos  erscheinen:  wie  der  Verlorene 
Sohn  im  Wiener  Hofmuseum.  Die  Farbe  ist  in  Licht  und  Schatten 
umgebracht,  ertränkt.  Es  ist  dieselbe  Richtung,  die  die  gleichzeitigen 
Holländer  genommen  haben,  die  aber  zu  einer  braunen  Tonmalerei 
gelangt  sind.  Bei  Guercino  dominiert  ein  schmutziger,  brauner 
Schatten;  es  fehlen  die  klaren  Halbschatten  des  Rembrandt.  Die 
Komposition  ist  bei  ihm  immer  schwach  geblieben;    darin    steht  er 


-     196     - 

hinter  denen  zurück,  die  eine  Akademiebildung  genossen  hatten. 
Die  Hoheit  und  ideale  Schönheit  des  Guido  sucht  er  anfangs  nicht, 
weder  im  Nackten  noch  in  den  Draperien;  man  hat  ihn  deswegen 
oft  als  roh  und  bäuerisch  gescholten,  namentlich  die  Römer  (Passeri); 
aber  auch  den  Ernst  und  die  erhabene  Gedankentiefe  des  Domeni- 
chino  erreicht  er  nur  selten;  sein  Hauptverdienst  bleibt  die  Farbe. 
Man  unterscheidet  auch  bei  Guercino  drei  Perioden.  Die  erste  ist 
die  Jugendzeit,  die  er  in  Cento  verbringt.  Da  ist  er  am  nächsten 
dem  Caravaggio,  nicht  bloß  im  Ausdruck,  sondern  auch  in  der  Fär- 
bung; es  ist  zweifelhaft,  ob  er  bei  ihm  gewesen  ist;  man  vermutet 
eher  den  Einfluß  des  Lionello  Spada  in  Bologna.  Aber  auch  das  halbe 
Autodidaktcntum,  das  ihn  wie  Caravaggio  damals  auf  den  Natura- 
lismus bringen  mußte,  muß  man  in  Betracht  ziehen.  Scharfe  Lichter 
hart  neben  schweren  Schatten.  Er  hat  das  eigentliche  Kellerlicht, 
dem  es  nicht  um  Plastik,  sondern  um  optische  Wirkung  zu  tun  ist. 
Caravaggio  strebt  dagegen  plastische  Wirkung  an.  Gegen  die  zwanziger 
Jahre  hin  lernt  er,  vielleicht  durch  die  Carracci  angeregt,  die 
Venezianer  kennen,  und  nun  eignet  er  sich  eine  tiefe,  warme  Färbung 
an,  die  sich  im  Lichte  gelegentlich  bis  zum  Goldton  steigert;  aber 
noch  immer  hält  er  daneben  an  den  schweren  Schatten  fest.  Dies 
kennzeichnet  seine  zweite  Periode,  aus  der  seine  bekanntesten 
Bilder  stammen.  1621  geht  er,  angezogen  durch  Gregor  XV.,  nach 
Rom,  wo  er  für  den  Papst  beschäftigt  ist  Er  galt  jetzt  schon  nächst 
Guido  und  Domenichino  als  der  größte  Bolognese  im  engeren 
Sinne.  Jetzt  entsteht  sein  berühmtestes  Fresko  und  Tafelbild.  Die 
Fresken  im  Casino  Ludovisi;  namentlich  die  Aurora  an  der  Decke. 
Dafür  langte  er  nicht  zu;  das  Kolorit  ist  zwar  bestechend,  aber  beim 
Fresko  kommt  nicht  bloß  und  nicht  so  sehr  das  Kolorit  in  Betracht  als 
die  Komposition.  Das  war  weniger  Guercinos  Sache.  Die  Unter- 
sicht ist  nicht  ganz  gelungen;  von  den  Pferden  sieht  man  zu  sehr 
die  Bäuche;  die  Figuren  haben  nicht  das  Hinreißende  wie  Guidos 
Aurorafiguren.  Die  Köpfe  verraten  geringeren  Schönheitssinn;  aber 
auch  naturalistisch  kann  man  sie  nicht  nennen.  Man  sieht,  der 
naturalistischen  Richtung  entspricht  mehr  das  Tafelbild,  selbst  in 
kolossalen  Dimensionen.  Das  war  die  hl.  Petronella,  in  der 
kapitolinischen  Galerie.  Beliebte  Zweiteilung:  oben  Himmcl- 
empfang  der  Heiligen,  unten  die  Hauptsache,  die  Hebung  der  Heiligen 


-    197    - 

aus  dem  Grabe.  Die  Würdigung  wird  etwas  erschwert  durch  die 
tiefen  Schatten,  aber  die  Behandlung  von  Hell  und  Dunkel  ist  doch 
meisterhaft.  Nach  Gregors  XV.  Tode  kehrt  Gucrcino  nach  Cento 
zurück  und  wirkt  hauptsächlich  dort  bis  1642.  Guido  starb,  der 
Posten  des  Hauptmeisters  in  Bologna  war  frei,  denn  Guido  hatte 
keinen  Schüler  von  überragender  Bedeutung  mehr  erzogen;  Albani 
war  zu  einseitig  und  zu  bequem,  um  große  Schule  halten  zu  können. 
Guercino  übernimmt  seine  Nachfolge;  nicht  bloß  in  persönlicher 
Stellung,  sondern  auch  künstlerisch:  er  eignet  sich  Guidos  letzte 
Manier  an.  wird  kälter  und  pathetischer.  Ein  eigentümlicher  Ent- 
wicklungsgang! Vom  Naturalismus  ausgehend,  wird  er  dann  unter 
venezianischem  Einfluß  Farbenidealist  und  zuletzt  nähert  er  sich 
sogar  dem  Idealismus  Guidos.  Freilich  in  seiner  vorgeschrittenen  Zeit! 
Darin  spiegelt  sich  überhaupt  die  Entwicklung  der  italienischen 
Malerei  im   17.  Jahrhundert. 

Giovanni  Lanfranco,  geboren  1580  zu  Parma,  gestorben 
1647  in  Rom.  Sein  Geburtsort  wurde  für  ihn  bedeutungsvoll;  er 
lernte  früh  die  Kuppelfresken  des  Correggio  kennen  und  ist  auch  der 
Nachfolger  Correggios  in  dieser  Richtung  geworden.  Darin  liegf  seine 
Bedeutung.  Denn  damit  knüpft  die  italienische  Malerei  wieder  an 
jene  materiefreundliche  Richtung  der  Oberitaliener  an,  die  in  der 
streng  gegenreformatorischen  Zeit  verlassen  worden  war.  Die  Kuppel 
von  S.  Peter  war  wieder  im  alten  System,  auch  die  Decke  der 
Aurora  des  Guido  war  im  System  der  Farnesina.  Nun  ist  man  wieder 
reif  für  die  neuerliche  Aufnahme  der  correggesken  Untersicht. 
Natürlich  eminent  fernsichtig,  daher  es  auf  sorgfältige  Durchführung 
im  einzelnen  nicht  ankam,  sondern  auf  dekorative  Gesamtwirkung. 
So  wurde  flüchtig  und  rasch  gemalt,  Verlockung  zur  Nachlässigkeit. 
Lanfranco  ist  einer  der  ersten  Fapresto-Maler,  darin  Vorläufer  des 
Luca  Giordano.  Auch  bei  ihm  ist  das  Fresko  bereits  hauptsächlich 
dekorativ.  Auf  Durchbildung  der  Einzelheiten  geht  er  nicht  mehr 
aus,  nur  auf  Erzielung  eines  möglichst  günstigen  Gesamteindruckes. 
Das  ist  nun  bei  Kuppelgewölben  in  erster  Linie  durch  Lichtwirkung 
bedingt.  Es  soll  die  Herrlichkeit  des  Paradieses  dargestellt  werden, 
das  hoch  über  den  Menschen  schwebt.  Das  Paradies,  der  Himmel 
ist  das  Hellste,  der  Lichtquell  selbst.  Darauf  konzentriert  er  sein 
ganzes    Streben    und    Können.    Natürlich    kam    die    Zeichnung,    der 


-   loa   - 

Ausdruck  der  einzelnen  Figur  dabei  zu  kurz,  von  Burckhardi 
„frech"  gescholten.  Aber  das  verlangte  man  auch  damals  nicht.  Er 
stand  darin  einzig  da.  und  man  bewunderte  ihn  darum.  Es  wird 
ihm  als  häßlich  vorgeworfen,  daß  er  den  Domcnichino  von  der 
Ausmalung  der  Kuppel  in  S.  Andrea  della  Vallc  verdrängt  hat. 
Aber  Domenichino  hätte  es  gewiß  nicht  so  gut  gemacht,  wenigstens 
nicht  für  die  Zeitgenossen.  Es  ist  dies  Lanfrancos  bestes  Kuppcl- 
gemälde.  Gegenstand  auch  nach  Correggio:  Himmelfahrt  Mariac. 
Das  Emporschweben  der  Maria,  ihr  Empfang  durch  den  entgegen- 
schwebenden Christus;  dazu  der  ganze  himmlische  Hofstaat. 

Von  römischen  Fresken  ein  Saal  in  der  Villa  Borghese  mit 
olympischer  Sitzung  auf  der  Decke,  von  Atlanten  gehalten,  deren 
Tragen  völlig  realistisch.  Die  Götter  im  Olymp  in  gesuchten  Ver- 
kürzungen. Im  Jahre  1630  wurde  er  nach  Neapel  berufen,  um  die 
Kuppel  des  Gcsü  nuovo  zu  malen.  Er  hat  sich  merkwürdigerweise  mit 
den  neapolitanischen  Malern  vertragen  und  gemeinsam  Front 
gemacht  gegen  die  anderen  (so  wie  der  Bergamaske  Fansaga,  der 
Spanier  Ribera).  Domenichino  hatte  von  ihm  zu  leiden,  weil  Lan- 
franco  fortwährend  auf  die  einträglichen  Malereien  in  der  Casa 
del  Tesoro  aspirierte.  Es  ist  ihm  nicht  gelungen,  den  Domenichino 
zu  verdrängen,  der  selbst  Hand  an  die  Kuppel  legte,  aber  1641 
starb,  und  dann  kam  allerdings  nur  Lanfranco  für  diese  Arbeit  in 
Betracht.  Hierauf  ging  er  nach  Rom  zurück;  sehr  beschäftigt  starb 
er  1647.  Auch  Tafelbilder  sind  von  ihm  vorhanden,  aber  minder 
charakteristisch,  obzwar  er  auch  hier  hohe  Begabung  zeigt,  aber 
auch  ziemlich  flüchtig  ist;  sie  zeigen  den  Durchschnitt  der  carrac- 
cesken  Weise,  sie  würden  nicht  rechtfertigen  ihn  hier  zu  nennen. 
Seine  Bedeutung  ruht  in  der  Kuppelmalerei;  was  Pozzo  dazu- 
gebracht  hat,  war  nur  die  Scheinarchitcktur.  Von  den  übrigen 
Carracci-Schülern,  die  noch  unmittelbar  aus  der  Akademie  hervor- 
gegangen sind,  erwähne  ich  zwei,  weil  sie  Eigenartiges  aufzu- 
weisen haben. 

Giacomo  Cavedone;  von  ihm  ein  hl.  Sebastian  im  Hof- 
museum in  Wien.  Der  Ausdruck  ist  der  pathetische  des  Guido, 
ohne  seinen  Schönheitssinn.  Auch  im  Inkarnat  strebt  er  nach  einem 
Goldton,  der  ihm  nicht  übel  gelingt,  er  erinnert  darin  direkt  an  die 
Venezianer.    Aber  im  Halbdunkel  versagt  er,  die  beschatteten  Teile 


-    199    - 

des  Körpers  haben  nicht  die  wirkliche  Leuchtkraft  des  Correggio, 
sondern  einen  unwahren  roten  Schein. 

Alessandro  Tiarini.  mit  einer  Kreuztragung  im  Hof- 
museum in  Wien  vertreten,  mit  merkwürdig  gequälter  und  ge- 
preßter Komposition.  Ein  Meister  von  ernstem  monumentalem  Wollen, 
der  der  Betrachtung  würdig  ist.  Von  diesem  Bilde  trifft  haarscharf 
zu,  was  Wörmann  von  seiner  Weise  überhaupt  sagt:  daß  er  große 
Linien,  plastische  Modellierung  und  studierte  Verkürzungen  liebte. 
Im  Kolorit  bevorzugt  er  ein  mattes  Violett,  Gelblich  und  Rotbraun; 
milder,  kühler  Gesamtton,  in  der  Beleuchtung  offenbar  von  den 
Naturalisten  beeinflußt. 

Von  den  Carracci-Schülern  hat  die  größte  Wirksamkeit  als 
Lehrer  Guido  Reni  entfaltet,  der  ja  seit  1612  mit  geringen  Unter- 
brechungen in  Bologna  der  erste  Meister  gewesen  ist.  Neben  ihm 
war  Albani  in  Bologna  tätig  und  kommt  daher  auch  als  Lehrer  in 
Betracht.  Unter  ihren  Schülern  ist  kein  einziger  Meister  ersten  Ranges. 
Die  technische  Meisterschaft  und  die  Fähigkeit,  alles  darzustellen, 
verführt  sie  zu  nachlässiger  und  rascher  Produktion.  Infolgedessen 
geben  sie  sich  keine  Mühe,  weder  in  der  Komposition,  noch  im 
Ausdruck,  noch  im  Kolorit.  Sic  wiederholen  und  übertreiben  das 
Pathos  des  Guido;  sie  eifern  ihm  auch  im  Kolorit  nach,  erzielen 
einen  bestimmten  faden  gelblichen  Ton.  der  den  Goldton  darstellen 
soll.  Ich  erwähne  nur  einige,  die  auch  im  Hofmuseum  in  Wien 
vertreten  sind.  Kein  Bild,  das  recht  zum  Genüsse  einladen  würde. 
Am  ehesten  noch  eine  Madonna  mit  dem  hl.  Franciscus,  dem 
Simone  Cantarini  zugeschrieben  (nach  einem  Guido  in  Peters- 
burg). Was  sonst  von  Cantarini  vorhanden  ist,  fällt  daneben  stark 
ab.  Er  ist  nur  tüchtig  in  engster  Anlehnung  an  Guido,  mit  dem  er 
schon  zu  Lebzeiten  gelegentlich  verwechselt  wurde.  Dann  sind 
Bilder  von  Sementi  Vermählung  der  hl.  Katharina,  geradezu 
häßliche  Typen  darauf,  ferner  von  Gessi,  der  eine  Zeitlang  Lieblings- 
schülcr  des  Guido  gewesen  war,  ein  Morpheus  und  Halkyone, 
kaum  des  Anschauens  wert.  Ferner  von  Elisabetta  Sirani,  deren 
Vater  auch  Maler  (unmittelbarer  Guido-Schüler)  gewesen  ist,  eine 
Maria  und  Martha,  dann  ein  Anton  von  Padua  mit  dem  Christ- 
kind, visionär,  liebenswürdig  durch  den  knabenhaften  Zug  im  Anton. 
Die  drei  albanischen  Engelsgattungen,  der  orientalische  Teppich    bei 


-    200    - 

Sirani  beliebt.  Aber  die  Auffassung  des  Murillo,  eines  Realisten,  ist 
ganz  anders  packend.  Das  Interessanteste  daran  ist  für  mich  wenig- 
stens der  orientalische  Teppich  auf  dem  Tische.  Ferner  Canlassi 
oder  Cagnacci,  von  dem  mehrere  Bilder  in  Wien  sind:  erklärlich, 
weil  er  Hofmaler  Leopolds  I.  in  Wien  gewesen  ist,  1681  hier  gestorben. 
Ein  größeres  Bild  ist  die  Kleopatra  mit  mehreren  Figuren,  die 
neugierig  um  die  Gebissene  herumstehen,  die  Auffassung  wirkt 
direkt  komisch.  Versagt  schon  im  Ausdruck,  den  die  unmittelbaren 
Carracci-Schüler  so  nachdrücklich  betont  und  in  der  Regel  auch 
getroffen  haben.  Magdalena  mit  dem  Kopf  einer  alten  Jungfer, 
von  der  es  höchst  überflüssig  ist,  daß  sie  den  Oberkörper  ent- 
blößt. Zeigt,  mit  wie  Geringem  man  sich  damals  in  Wien  zufrieden- 
gab, eröffnet  traurigen  Ausblick  auf  den  Stand  der  heimischen 
Malerei  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  hat  Bologna 
wenigstens  einen  Meister  hervorgebracht,  der  sich  durch  eine  be- 
stimmte Gewissenhaftigkeit  ausgezeichnet  hat,  zum  Unterschiede  von 
den  Schnellmalern  der  Zeit:  Carlo  Cignani,  gestorben  erst  1719, 
vom  Papst  zum  Conte  erhoben  (was  in  Italien  nicht  gar  viel  be- 
deuten will).  Das  Bedeutendste  sind  Fresken  im  Dome  zu  Forli.  Ein 
Schüler  von  ihm  ist  Marc  Antonio  Franceschini,  von  dem  zahl- 
reiche Bilder  im  Hofmuseum  und  bei  Liechtenstein  existieren.  Seine 
Wirksamkeit  fällt  zum  großen  Teil  erst  in  die  Zeiten  des  Aufschwunges 
der  habsburgischen  Monarchie  am  Anfang  des  18.  Jahrhunderts. 
Daher  sind  so  viele  Bilder  von  ihm  nach  Österreich  gekommen. 

Das  sind  jene  Namen  der  späteren  Bologncsen,  die  am 
häufigsten  aufstoßen. 


DER  NATURALISMUS. 

Wie  schon  der  Name  besagt,  wollen  sie  die  Natur  malen,  wie 
sie  ist,  d.  h.  so,  wie  sie  dieselbe  sahen  oder  zu  sehen  glaubten. 
Natürlich  meinten  sie  darunter  das  optische  Sehen,  das  aber  bei 
ihnen,  wie  bei  allen  Italienern,  immer  noch  wesentlich  körperliche 
Elemente  mitenthielt,  das  immer  ein  mehr  oder  minder  subjektives 
ist.  Also  zum  ersten  Mal  das  offene  Einbekenntnis  des  bewußten 
Subjektivismus,  und  zwar  des  optischen:  daher  sind  sie  Koloristcn 
und  sehen  die  Dinge  als  farbige  Erscheinungen,  nicht  bloß  als 
Körper.  Hand  in  Hand  damit  geht  die  offene  Verachtung  aller 
übrigen  Malweisen,  aller  vergangenen  sowohl  als  aller  gleichzeitigen. 
Der  Naturalismus  ist  das  einzig  Richtige.  Er  bricht  alle  Brücken 
hinter  sich  ab.  Sie  glaubten  von  der  historischen  Entwicklung  der 
Malerei  in  Italien  ganz  abschen  zu  können.  Das  scheidet  sie  von 
den  Bolognesen.  Die  Carracci  verehren  noch  immer  die  großen 
Cinquecentisten,  sie  hassen  nur  die  Manieristen.  Aber  ihr  Ehrgeiz 
ist,  die  Linienführung  Raffaels  mit  der  Farbe  Tizians  zu  vereinen. 
Den  Naturalisten  ist  das  eine  wie  das  andere  gleichgültig.  Sie 
bekümmern  sich  nicht  um  die  herkömmlichen  Schönheitstypen, 
die  von  der  tastbaren  Begrenzung  der  Teile  unzertrennbar  sind: 
die  Figuren  nehmen  sie  von  der  Straße  und  malen  dieselben,  wie 
sie  eben  aussehen,  ohne  sich  um  die  von  Raffael  und  anderen 
geschaffenen  Schönheitstypen  zu  kümmern.  Der  Vorwurf  wurde  ihnen 
gemacht:  ohne  Modell  treffen  sie  überhaupt  nicht  einen  Menschen 
zu  zeichnen.  Sie  kümmern  sich  auch  nicht  um  die  herkömmlichen 
Stoffe;  sie  sind  wohl  Historienmaler,  aber  von  Haus  aus  sind  sie 
eher  Genremaler.  Als  Koloristcn  arbeiten  sie  hauptsächlich  in 
Ölgemälden  (Tafelmalerei),  nicht  im  Fresko.  Schon  Baglione  und 
Bellori  haben  darauf  hingewiesen:  Caravaggio  hat  niemals  ein 
Fresko  angerührt,  und  auch  seine  Nachfolger  haben  sich  ablehnend 
dagegen  verhalten.  Das  wurde  ihnen  als  Bequemlichkeit  vorgeworfen, 


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lieg!  aber  doch  tiefer.  Auch  in  der  Farbengebung  bilden  sie 
etwas  eigenes  aus;  von  Haus  aus  konnten  sie  freilich  darin  nicht 
selbständig  sein,  sondern  mußten  so  malen,  wie  es  ihnen  gelehrt 
wurde.  Aber  in  der  Folge  bilden  sie  auch  eine  eigene  Farben- 
gebung  aus,  die  für  ihre  schroffe  naturalistische  Auffassung  am  ent- 
sprechendsten scheint.  Sie  stehen  den  Venezianern  nahe,  dann  aber 
emanzipieren  sie  sich  von  ihnen,  weil  sie  Schatten  brauchen,  und 
bilden  nun  die  Gegensätze  von  Licht  und  Schatten  in  einer  Weise 
aus.  wie  sie  in  der  italienischen  Malerei  nicht  ihresgleichen  findet. 
Endlich  kümmern  sie  sich  oft  nicht  um  den  Aufbau  der  Komposition. 
Freilich  gerade  darin  konnten  sie  die  große  Vergangenheit  nicht 
leugnen.  Aber  von  Caravaggio  gibt  es  Bilder,  die  ganz  unsymme- 
trisch aufgebaut  sind  (Grablegung  im  Vatikan).  Daß  es  überhaupt  bei 
einem  Italiener  möglich  war,  ist  schon  zu  verzeichnen! 

Diese  Gegensätze  von  Licht  und  Schatten  nähern  sie  aber  nicht 
den  Nordländern,  sondern  entfernen  sie  von  ihnen.  Der  Grund  ist 
dunkel,  ohne  alle  Reflexe,  und  die  Figuren  springen  in  metallischer 
Schärfe,  in  taktischer  Begrenzung  aus  dem  Grund  heraus,  und  ebenso 
sind  die  einzelnen  Teile  aus  dem  Dunkel  heraus  modelliert  Daher 
heißen  sie  die  Tenebrosen.  Es  sind  ihrer  verhältnismäßig  nicht  viele, 
die  man  als  reine  Naturalisten  bezeichnen  kann;  beeinflußt  aber  haben 
sie  die  ganze  folgende  Malerei  des  17.  Jahrhunderts.  Ich  erinnere 
nur  an  Guido,  der  eine  Zeitlang  den  Caravaggio  nachgeahmt  hat. 
Die  ganze  neapolitanische  Schule  ist  wesentlich  von  Caravaggio  ab- 
hängig. Dem  Durchschnittsitalicner  stand  seine  historisch  gewordene 
Kultur  ungeheuer  hoch;  er  hätte  sie  nicht  gerne  preisgegeben.  Daher 
haben  alle  Literaten,  alle  Kunstschriftstellcr  des  17.  Jahrhunderts 
die  Naturalisten  mit  Worten  verabscheut;  offenbar,  weil  sie  in  be- 
wußten Gegensatz  zu  der  gewordenen  Kultur  und  namentlich  zur 
glorreichen  Kunst  des  Cinquecento  getreten  waren.  Baglione,  der 
um  1640  schrieb,  hielt  ihren  Einfluß  bloß  für  einen  schädlichen. 
Bellori  dagegen,  der  Klassizist,  um  1680,  gibt  offen  zu,  daß  sie  auch 
etwas  Gutes,  als  Reaktion  gegen  den  Manierismus,  stifteten;  es  hat 
ihm  die  Erkenntnis  aufgedämmert,  daß  sie  die  eigentlichen  Bahn- 
brecher des  Fortschrittes  gewesen  sind,  aber  im  Grunde  sind  sie 
ebenso  extreme  Übertreiber  wie  die  Manieristen  nach  der  anderen 
Seite.  Der  Maler,  der  hier  den  Anfang  gemacht  hat,  mußte  fast  mit 


-     203     - 

Naturnotwendigkeit  ein  ungebildeter  Mensch  sein,  dem  die  Kultur- 
vergangenheit gleichgültig  war.  weil  er  sie  nicht  kannte.  Aber  zu- 
gleich ein  Genie,  das  andere,  Gebildete,  mit  sich  mitzureißen  gewußt 
hat,  durch  die  Art  und  Weise,  wie  er  seine  originelle  Auffassung 
in  die  Tat  umgesetzt  hat.  Das  trifft  zu  bei  dem  Bahnbrecher: 
Michelangelo  da  Caravaggio.  Ein  ungebildeter  Mann,  aber  ein  Genie. 
Michelangelo  Merigi,  genannt  Caravaggio,  geboren  1569 
in  Caravaggio  im  Bergamaskischen,  also  auch  ein  Maestro  Comacino. 
Er  war  ein  Maurer  von  Haus  aus  und  mußte  in  Mailand  für  die  An- 
streicher Mörtel  bereiten  und  Farben  mischen:  es  gelüstete  ihn. 
selbst  Anstreicher  und  Maler  zu  werden.  Von  einem  Lehrer  wußte 
man  nichts,  er  war  offenbar  Autodidakt.  Das  erklärt  vieles  an  seiner 
Richtung.  Ohne  erlernte  Kenntnis  von  der  großen  Tradition  malt 
er,  was  er  mit  seinen  Augen  sieht,  und  die  Leute  nahmen  es  willig 
an,  weil  die  realistische  Strömung  in  der  Zeit  lag.  Nur  das  Kolorit 
war  zu  erlernen,  und  das  geschah  am  besten  Ort.  Er  kommt  dann 
flüchtig  nach  Venedig,  wo  er  die  Koloristen  kennen  lernt.  Er  fühlt 
einen  verwandtschaftlichen  Zug  zu  ihnen,  namentlich  zu  Giorgione, 
wie  berichtet  wird.  Darauf  taucht  er  um  1600  in  Rom  auf.  Er  kümmert 
sich  nicht  um  Raffael  und  nicht  um  die  antiken  Statuen,  sondern 
malt  unbekümmert  seine  Naturdinge.  Ein  komischer  Zufall  führt  ihn 
in  die  Werkstatt  des  Cavaliere  d'Arpino,  der  ihn  für  die  Darstellung 
untergeordneter  Dinge  (Pflanzen,  Früchte)  verwendet;  für  sein 
manieriertes  Historienfresko  konnte  er  natürlich  den  ungebildeten 
Lombarden  nicht  brauchen.  Caravaggio  lief  ihm  davon,  weil  er 
durchaus  Figuren  malen  wollte.  Dann  soll  er  auf  eigene  Faust  sich 
versucht  haben,  wozu  ihn  ein  geriebener  Kunsthändler  veranlaßt  zu 
haben  scheint.  Bei  Baglione  ist  interessant  zu  lesen,  wie  man  sich 
das  vorgestellt  hat.  Es  heißt:  er  habe  Dinge  im  Spiegel  porträtiert  (um 
sie  so  in  eine  Bildebene  zu  bringen).  Bacchus  mit  Weintrauben: 
Naturstudie.  Dann  einen  Knaben,  der  von  einer  Eidechse  gebissen 
wird  und  schreit;  namentlich  das  Schreien  soll  drastisch  gewesen 
sein,  also  physiognomische  Studien,  wie  sie  Rembrandt  so  vielfach 
vorgenommen  hat.  Er  fand  auch  einen  kunstverständigen  Liebhaber, 
der  für  den  Naturalismus  gestimmt  war,  den  Kardinal  del  Monte, 
und  dieser  gab  ihm  auch  figurale  Aufträge.  Wir  erfahren  von  einigen 
charakteristischen    Aufträgen    für     ihn:     Konzert    einiger   Jünglinge; 


-     204     - 

in  dem  Bilde  malte  er  ein  Blumenglas  mit  Wasser,  in  dem  sich  das 
Fenster  und  andere  Dinge  im  Zimmer  spiegelten  (schon  von  van 
Eyck  versucht  als  Spicgclreflcxct,  und  über  den  Blumen  lag  der 
Tau.  Caravaggio  selbst  soll  das  sein  Bestes  genannt  haben,  was  er 
jemals  gemalt  hat. 

Dann  eine  Zigeunerin,  einem  Jüngling  weissagend,  con  bei 
colorito.  Der  Stoff  wiederum  genremäßig.  Das  Kolorit  dieser  Zeit  war 
aber  schlankweg  das  venezianische.  Bellori  unterscheidet  sehr  gut 
die  zwei  Entvvicklungspcrioden  im  Kolorit  des  Caravaggio:  1.  die 
venezianische  und  2.  die  des  sogenannten  Kcllcrlichtes.  Die  Ent- 
stehung des  Zigcunerinbildes  wird  anekdotenhaft  überliefert,  aber  ben 
trovato.  Man  wies  ihn  auf  Raffael  und  die  Antike  als  zu  studierende 
Vorbilder,  er  aber  wies  auf  die  Leute  hin,  die  in  der  Umgebung 
standen  und  gingen  und  sagte:  das  sind  die  Meister,  die  man  nach- 
zuahmen hat.  Dann  engagierte  er  die  erste  beste  Zigeunerin  und 
benutzte  sie  als  Modell  für  das  erwähnte  Bild.  —  Nun  da  haben 
wir  den  ganzen  Naturalismus  des  Caravaggio  in  stofflicher  Hinsicht. 
Es  ist  ein  Modell  aus  dem  Volke,  aber  ein  gewähltes  Modell,  ein 
interessantes  romantisches  Modell,  nicht  ein  zechender  Bauer  wie 
bei  den  Holländern  Andere  Bilder  behandelten  eine  Lautenspielerin, 
auch  ein  gewähltes  Motiv,  dann  Falschspieler,  ein  romantisch- 
abenteuerliches  Motiv.  Dem  Humor  sind  sie  nicht  zugänglich;  am 
ehesten  berühren  sie  sich  mit  dem  holländischen  Gesellschaftsgenre 
des  Dirck  Hals,  Picter  Codde,  Duystcr.  Mit  diesen  Genrebildern 
fand  er  Liebhaber,  aber  bei  anderen  stieß  er  auf  Verachtung.  Aber 
Rom  war  damit  nicht  zu  erobern,  weder  mit  Genrebildern  noch  mit 
dem  venezianischen  Kolorit.  Er  mußte  den  Übergang  zu  Michelangelo 
herstellen,  und  dies  tat  er,  indem  er  zu  malen  begann  1.  pathe- 
tische Historienbilder,  2.  in  stärkerer  Modellierung  der  Figuren  mittels 
Licht  und  Schatten.  Er  verließ  den  venezianischen  Goldton  und 
bildete  sich  sein  sogenanntes  Kellerlicht,  indem  er  die  Figuren 
aus  pechschwarzem  Grunde  herausspringen  läßt,  in  greller  Beleuch- 
tung, die  er  von  oben  einfallen  läßt.  Aber  die  Bezeichnung 
„Kellerlicht"  ist  keine  glückliche:  das  Licht  ist  ganz  und  gar  un- 
natürlich. Statt  rhythmischer  Abwechslung  von  Licht  und  Schatten 
(Correggio)  schafft  er  schroffe  Kontraste  (die  allerdings  auch,  nicht 
der    strengen    Kausalität    entsprechen).    Der    Hintergrund    wird    in 


der  Regel    pechschwarz;  auch  die  warmen  Lokaltöne  verschwinden. 
Bcllori    beschreibt    das    folgendermaßen:     Caravaggio    verließ    den 
früheren  schlichten  und  weichen  Ton  mit  wenig  Farben  und  begann 
ungemein    kräftige    Schatten    anzuwenden,    um    durch    das  Schwarz 
den  Körpern  Relief  zu  geben.  Und  er  verrannte  sich  so  weit  in  diese 
Manier,  daß  er  niemals  mehr  eine  seiner  Figuren  in  offenes  Sonnen- 
licht stellte,    sondern    in    die    bräunliche  Luft    einer   verschlossenen 
Kammer,    in    die    er    das  Licht    senkrecht  von    oben    herab  auf  die 
wichtigsten  Teile  des  Körpers  auffallen,  alles  übrige  aber  im  Schatten 
ließ,    um    dem  Ganzen    mit    der  Gewalt    des  Heli    und  Dunkel    ein 
kräftiges    Aussehen    zu    verleihen.    Infolgedessen    auch    gebrochene 
Farben:    nach  Bellori  kennt    er  Zinnoberrot  und  Azurblau  nicht,  er 
sagte,  es  wäre  das  Gift  (also  Tonwirkung,  Verbindung  mit  dem  Raum). 
Nun  erst  hatte  Caravaggio  seine  eigene  Weise    gefunden  und 
jetzt  folgten  hauptsächlich  religiöse  Bilder,  Genrebilder  bildeten  dann 
nur    mehr    eine    Ausnahme    (ähnlich    also    wie    bei  Velazquez    und 
Murillo,  die  auch  in  der  Lernzeit  Genre  malten,  später  nicht  mehr), 
aber  von    religiösen  Bildern  malt  er  mit  Vorliebe:    Emmaus  (Wirts- 
stube),   Tomas    (Naturalismus),    die    Magd    mit    dem  verleugnenden 
Petrus.     Der    offene  Kampf    mit    Manieristen    und    Bolognesen    ent- 
zündete   sich  an  seinen  Gemälden  in  der  Capella  Contarelli    in 
S.  Luigi  de'  Francesi,    mit  Szenen  aus    der  Matthäuslegende;  die 
Decke    derselben    Kapelle    hatte    der    Cavalier    d'Arpino    zu    malen, 
förmlich    ein  Wettkampf.  Ganz  Rom  war  für  und  wider.  Seine  An- 
hänger   priesen    es    als    das  neue  Evangelium    der   Kunst.  Natürlich 
fühlten  sich  namentlich  die  Manieristen  zu  Tode  getroffen.  Federigo 
Zuccaro    war    noch  am  Leben.    Baglione  erzählt  uns,    er  wäre  nach 
der    Kirche    gekommen  und    hätte  gefragt:    was  gibt's  denn    da  für 
Lärm?  Schaute  sich  die  Bilder  an  und  sagte:  das  ist  nichts  anderes, 
als  was  man  ohnehin  schon  lange  kennt:  Giorgione.    Dann    zuckte 
er  lächelnd  die  Achseln,  sagte,  er  begreife  den  Lärm  nicht,  und  ging 
hinaus.  Andere  warfen  ihm  vor,  daß  er  nur  schmutzige  Fußsohlen 
und  zerrissene  schäbige  Mützen  und  dergleichen  malen  könne.    Es 
passiert    ihm    daher    wiederholt,    daß    ihm    Bilder    in    den    Kirchen 
zurückgewiesen  wurden,    aber    er    fand    dafür    immer  wieder  sofort 
Abnehmer.  Er  tat  seinerseits  das  Möglichste,  um  den  Streit  zu  ver- 
schärfen ;    er  war  eine  höchst  selbständige    und  schroffe  Natur.    Er 


-     206     - 

sprach  abfällig  über  alle  anderen  Maler,  lebende  und  tote.  Er  selbst 
habe  alle  übertroffen.  Dagegen  wendeten  ihm  die  Gegner  ein,  er 
habe  die  Malerei  ruiniert  (diese  Wendung  hört  man  auch  heute). 
Aber  es  half  alles  nichts,  Baglione  selbst  muß  zugestehen,  daß  ihm 
einzelne  Köpfe  teurer  bezahlt  wurden  als  anderen  große  vielfigurige 
Historien. 

Zu  dieser  eigentümlichen,  oft  bis  zur  Unheimlichkeit  ge- 
steigerten Beleuchtung  kommt  noch  ein  weiteres,  den  Ausdruck 
Betreffendes:  hat  er  früher  Figuren  aus  dem  Leben,  aus  dem  Kreise 
gegenständlich  unbedeutender  Beschäftigungen  genommen,  so,  wie 
sie  sich  eben  darboten,  so  beginnt  er  jetzt  zu  wählen.  Er  sucht 
absichtlich  nach  charakteristischen  Gestalten,  die  von  einem  all- 
gemeinen Schönheitstypus  möglichst  weit  entfernt  waren.  Das  Indi- 
vidualisieren gelingt  ihm  dabei  weit  weniger  wie  den  Niederländern: 
dazu  war  er  eben  zu  sehr  Italiener.  Daher  bemerken  wir  oft  das  Ge- 
meine daran,  ohne  durch  das  künstlerische  Moment  des  echt  Charakte- 
ristischen versöhnt  zu  werden.  Wir  Nordländer  verbergen  das  Ge- 
meine, wenn  es  uns  als  eine  Naturnotwendigkeit  erscheint:  der 
Maler  muß  also  die  Kraft  haben,  es  so  erscheinen  zu  lassen.  Ferner 
folgt  er  den  Anforderungen  der  Zeit  durch  Darstellung  eines  ge- 
steigerten Pathos.  Dieses  Pathos  ist  niemals  unecht,  immer  packend, 
häufig  ergreifend,  aber  oft  wirkt  es  in  Verbindung  mit  der  un- 
heimlichen Beleuchtung   und    den  wilden  Gesichtstypen    abstoßend. 

Die  wichtigsten  Werke  seiner  zweiten  Manier  sind  Altar- 
bilder, das  berühmteste  darunter  ist  die  Grablegung  im  Vatikan. 
Vor  allem  fällt  schon  der  einseitige,  völlig  asymmetrische  Auf- 
bau der  Szene  auf.  Unter  den  Gesichtstypen  ist  keiner,  an  dem 
man  reine  Freude  empfände;  den  Bewegungen  fehlt  fast  vollständig 
jede  Anmut.  Die  Färbung  ist  düster  und  bräunlich,  mit  einzelnen 
scharf  beleuchteten  Stellen;  nichtsdestoweniger  verfehlt  das  Bild 
nicht  den  Eindruck:  der  ausgedrückte  Schmerz,  das  Pathos  ist  wahr 
und  echt  und  wirkt  erschütternd  auf  den  entsprechend  gestimmten 
Beschauer.  Kein  theatralisches  Händeringen,  Klagen,  Ohnmächtig- 
werden (unkünstlerisch),  sondern  mehr  verhaltener  Schmerz,  den 
muß  der  Künstler  selbst  gefühlt  haben. 

Ein  vortreffliches  Bild  dieser  Richtung,  allerdings  nicht  in  der 
schärfsten  Fassung,    besitzt  das  Hofmuseum  in  Wien,    Madonna 


-     207     — 

del  Rosario.  Madonna  mit  Heiligen  Rosenkränze  verteilend,  Volk 
dieselben  entgegennehmend.  Die  Beleuchtung  düster,  aber  nicht 
gerade  Kellerlicht.  Die  Farbenwahl  dafür  charakteristisch.  Die  Madonna 
ein  Weib  aus  dem  Trastevcre.  Sic  ist  unter  dem  Volke,  nicht  dar- 
über, wie  bei  Domenichino.  Das  Bezeichnendste  sind  aber  die 
Volkstypen,  namentlich  einer,  der  dem  Beschauer  den  Rücken  und 
seine  Fußsohlen  zeigt,  und  zwar  voll  Schmutz,  wie  es  der  Realismus 
verlangte.  Das  Bild  war  früher  in  Antwerpen,  wohin  es  durch 
Rubens  gekommen  ist.  Schon  Bellori  berichtet,  daß  es  bei  den  Zeit- 
genossen großes  Aufsehen  erregt  hat. 

Im  Jahre  1606  fand  ein  unglücklicher  Streit  statt,  in  welchem 
Caravaggio  seinen  Gegner  tötete.  Wie  in  seiner  Kunst,  war  er  auch 
im  Privatleben  einsam  und  unnahbar,  jähzornig  und  von  düsterer 
Stimmung,  leidenschaftlich,  stolz  und  durch  Widerspruch  tief  erbittert. 
(Schon  aus  Mailand  soll  er  eines  Raufhandels  halber  nach  Venedig 
flüchten  haben  müssen.)  Er  ließ  sich  zunächst  in  der  Nähe  von  Rom 
nieder  und  hätte  hier  seine  Begnadigung  ruhig  abwarten  können, 
aber  es  zog  ihn  nach  Neapel,  offenbar  weil  er  empfand,  daß  für 
seine  Richtung  dort  ein  ganz  besonders  empfänglicher  Boden  wäre. 

Für  Untcritalicn  ist  er  auch  höchst  bedeutsam  geworden, 
denn  die  neapolitanischen  und  sizilianischen  Meister  haben  seine 
Eigenart  begierig  übernommen;  diese  scheint  ihnen  mehr  zugesagt  zu 
haben  als  diejenige  der  Bolognesen.  Schon  Bellori  stellt  es  so  dar, 
daß  die  maßgebenden  Neapolitaner  Maler  des  17.  Jahrhunderts  von 
Caravaggio  ihren  Ausgang  genommen  haben.  Von  dort  kam  er  nach 
Malta,  wo  er  den  Großmeister  gemalt  hat,  ein  vortreffliches  Porträt 
im  Louvre.  Auch  von  dort  mußte  er  wegen  eines  Auftrittes  mit 
einem  vornehmen  Ritter  flüchten.  Nach  weiteren  Fährlichkeiten  in 
Unteritalicn  erlangte  er  1609  die  Erlaubnis  vom  Papste,  nach  Rom 
zurückzukehren,  durch  den  Kardinal  Gonzaga  vermitielt  —  man 
sieht,  wie  hohe  Gönner  er  fortwährend  gehabt  hat:  Kardinäle,  dann 
den  Marchese  Giustiniani  ■ — ,  wird  dabei  in  ein  unglückseliges 
Abenteuer  verwickelt,  wodurch  er  um  seine  ganze  Habe  kommt, 
und  stirbt  fieberkrank  zu  Porto  Ercole  an  der  pontinischen  Küste, 
bevor  er  Rom  erreichen  kann,  1609,  im  selben  Jahre,  da  Annibale 
Carracci  zu  Rom  geendet  hat. 


REGISTER. 


Agnolo,  Baccio  d': 

Florenz,  Pal.  Bartolini,  68. 
Albani,  Francesco: 

Dresden,   Galerie,  Erschaffung  der 

Eva,  194. 
Florenz,      Pitti,      Christus     seiner 

Mutter  erscheinend,  194. 
Mailand,  Brera,  Raub  der  Proser- 
pina, 193. 
Paris,     ouvre,    Christus   und  Mag- 
dalena, 195. 
,.  „         hl.  Franciscus,    193. 

,,  ,.  Verkündigung,    194. 

Rom,  Oal.    Borghese,    Toilette    der 
Venus,  193. 

Kapitol,    Galerie,    Magdalena 
als  Büßerin,  193. 
„       Pal.  Torlonia  (Verospi), 

Deckenfresken  (Aurora),  192. 
Alberti,  Leone  Battista: 

Man  tu  a,  S.  Andrea.  111. 
Armenini,  Gio.  Battista: 

Dei  veri  precetti  della  pittura,  93. 
Arpino,  Cavalier  d'  (Gius.  Cesari):  155. 
Baglione,  Giovanni: 

Le  vite  de'  pittori,  scultori  ed  archi- 
tetti,    dal    pontificato    di   Grego- 
rioXHIdel  1572,  in  fino  a' tempi 
di  Urbano  VIII  nel   1642,  18. 
Baldinucci,  Filippo: 

Vita    del    Cavaliere    Gio.    Lorenzo 
Bernino,     scultore,    architetto    e 
pittore,  26. 
Baroccio,  Federigo: 

Rom.  Vatikan,  Pinakothek,  S.  Miche- 
lina, 156. 
»  ,.        Pinakothek,    Verkün- 

digung, 156. 
Bcgarelli,  Antonio:  152. 
Bellori,  Giovanni  Pietro: 

Le  vite  de'  pittori,  scultori  ed  archi- 
tetti  moderni,  20. 


Bernini,  Domenico: 

Vita  del  Cav.  Gio.  Lorenzo  Bernino 
suo  padre,  29. 
Bernini,  Pietro: 

R  o  m,  S.  Maria  Maggiore,  Karyatiden 
und    Papstkrönung    (Relief»    am 
Grabmal  Clemens'  VIII.,  151. 
Bologna,  Pinakothek: 

Carracci,    Agostino,    letzte    Kom- 
munion des  hl.  Hierony- 
mus,  168. 
,,  Lodovico,  Madonna  mit 

den  Heiligen  Franz,  Do- 
minicus.  Clara  und  Mag- 
dalena, 166 
,,  Lodovico,  Madonna  auf 

dem  Halbmond  mit  den 
Heiligen      Franz      und 
Hieronymus,  167. 
Domenichino,    Marter  der    hl. 
Agnes,  187. 
„  Madonna      del 

Rosario,  188. 
Tod  des  hl.  Pe- 
trus Martyr.189. 
Rcni,  Guido.   Bethlehemit     Kinder- 
mord, 178. 
„        Kreuzigung,   182. 
Pietä,  180. 
,.  „        Prozessionsfahne, 

181. 
,,  ,,        Simson,  177 

Bramante,  Donato: 

Rom,  S.  Peter,  seine   Tätigkeit  am 
Bau,  80. 

Vatikan,  Hof,  64. 
Rom,  sein  Wohnhaus,  66. 
Bresciano,  Prospero: 

Rom,  Moses  beider  AcquaFelice,  131. 
Brunellesco,  Filippo: 
Florenz,  Pal.  Pitti.  60. 


-    209     - 


Burckhardt,  Jacob: 

Der  Cicerone,  9,  12. 
Canlassi  (Cagnacci),  Guido: 

Wien,  Hofmuseum,  Kleopatra,  200. 
„  Magdalena, 

200. 
Cantarini,  Simone: 

Wien,  Hoimuseum,  ihm  zugeschrie- 
ben: Madonna  mit  dem  hl.  Fran- 
ciscus,  199. 
Caravaggio,  Michelangelo: 

Paris,  Louvre,  Porträt  des  Malteser- 
Großmeisters,  207. 
Rom,  S.    Luigi    de'    Francesi,    Mat- 
thäuslegende, 205. 
Vatikan.    Pinakothek,    Grab- 
legung, 206. 
Wien,    Hofmuseum,    Madonna    del 
Rosario,  206. 
Carracci,  Agostino: 

Bologna.  Pinakothek,  letzte  Kom- 
munion des  hl.  Hieronymus,  168. 

—  und  Annibale  Carracci: 

Rom.  Pal.  Farnese,  Fresken,  172. 
Carracci,  Annibale: 

Dresden,  Galerie,  Genius  des 
Ruhms,  170. 
„  „         Mascherone, 

171. 
Rom,  Galleria  Colonna,  Der  Bohnen- 
esser, 170. 

—  und  Agostino  Carracci: 

Rom,  Pal.  Farnese.  Fresken,  172. 
Carracci,  Lodovico: 

Bologna,  Pinakothek,  Madonna  mit 
den  Heiligen  Franz.  Do- 
minicus,  Clara  und  Mag- 
dalena, 166. 
„  Pinakothek,  Madonna  auf 

dem  Halbmond  mit  den  Heiligen 
Franz  und  Hieronymus,  167. 
Cavedone,  Giacomo: 

Wien,    Hofmuseum,  hl.   Sebastian. 
198. 
Cignani,  Carlo:  200. 
Cigoli  i Luigi  Cardi): 

Rom,  Pal.  Madama,  134. 
Correggio  (Antonio  Allegri): 

Dresden,  Galerie,  Madonna  des  hl 
Franciscus,    47. 
„  .,         Madonna  mit 

dem    hl.    Seba- 
stian, 48. 
„  „         Madonna  m.  d. 

hl.  Georg,  48. 

Riegl,  Rom.  Kunst  des  16.  Jahrli. 


Dresden,  Galerie,  Heilige     Nacht, 

49. 
Parma,  Galerie,  Der  Tag,  53. 

,,         Domkuppel.  54. 
Wien,  Hofmuseum,    Ganymed,   54. 
Jo.  54. 
Cronaca,  Simone  und  Majano,  Bene- 
detto  da: 
Florenz,  Pal.  Strozzi,  61. 
Domenichino    (Domenico    Zampierii: 
Bologna,  Pinakothek,    Marter    der 
hl.  Agnes,  187. 
„  Pinakothek,  Madonnadel 

Rosario,  188. 
„  Pinakothek,  Tod  des  hl. 

Petrus  Martyr,  189 
Rom.  S.  Andrea  della  Valle,  Legende 
des  hl.  Andreas,  die  vier  Evan- 
gelisten. Fresken,  189. 
Galleria  Borghese,    Jagd    der 
Diana,   190. 

S.  Gregorio  Magno,  Geiße- 
lung des  hl.  Andreas,  Fresko, 
185. 

S.  Ignazio,  143. 
S.  Pietro   in  Vincoli,    Befrei- 
ung Petri,  186. 
Vatikan.    Pinakothek,    Kom- 
munion des   hl.  Hieronymus, 
187. 
Dresden,  Galerie: 

F.    Albani.    Erschaffung   der    Eva, 

194. 
Ann.  Carracci,  Genius  des  Ruhms. 
170. 

Mascherone,  171. 
Correggio,  Madonnades  hl.  Fran- 
ciscus, 47. 
„  Madonna  mit  dem  hl. 

Sebastian,  48. 
,,  Madonna  mit  dem  hl. 

Georg,  48. 
Heilige  Nacht.  49. 
Guido  Reni,  Venus  und  Amor,  183. 
Florenz: 

Pal.    Bartolini    von    Baccio     d'A- 

gnolo,  68. 
Biblioteca  Laurenziana,  Treppen- 
Vorhalle    von   Michelangelo,   44. 
Sagrestia    nuova   bei    S.  Lorenzo, 
Mediceergräber  von  Michelangelo, 
32. 
Pal.  Pandolfini  nach   einem  Ent- 
wurf Raffaels,  67. 
Pal.  Pitti  von  Brunellesco,  60. 


-    210 


Galleria  Pitti,  Fr.  Albani,   Christus 

seiner  Mutter  erscheinend,    194. 

Pal.  Riccardi  von  Michelozzo.  61. 

Pal.   Ru cell ni  von  L.   B.   Albertit?) 

und  B.  Rossellino,  61. 
Pal.   Strozzi.  von  Ben.  da  Majano 
und  S.  Cronaca.  61. 
Fontana,  Cesare: 

Neapel,  Museo  Nazionale  (Pal   de' 
Studj),  132. 
Fontana,  Domenico: 

Neapel,  Pal.  Reale,  132. 
Rom.  Acqua  Feiice.  131. 

Cancelleria.  Portal,  62. 
S.  Giovanni  in  i_aterano, 
Benediktionsloggia,  129. 
,,       Lateranpalast  99. 
„       Lateranpalast,     Fassade    und 

Hof,  129. 
„       S.   Maria   Maggiore.    Capella 
del  Presepio,  128. 
Villa  Montalto,  128. 
Aufstellung  des  Obelisken  vor 
S.  Peter,  98. 

Entwurf  für  einen  Langhaus- 
bau von  S.  Peter.  128. 
Fontana,  Giovanni: 

Rom.  Acqua  Paola.  131 
Franceschini,  Marc  Antonio  :  200. 
Frangipani,  Mario: 

Leiter  bei  der  Konservierung  römi- 
scher Altertümer,  97. 
Frascati : 

Villa  Aldobrandini   von   G.  della 
Porta,  124. 
Fraschetti,  Stanislao: 

II  Bernini,  10. 
Gessi,  Francesco: 

Wien,  Hofmuseum,  Morpheus  und 
Halkyone,   199. 
Greca,  Vincenzo  della : 

Rom.  S.  Domenico  e  Sisto,  1-14 
Guercino   (Giov.  Francesco  Barbieri): 
Rom.    Kapitol.    Galerie,    hl.    Petro- 
nella,  196. 

Casino     Ludovisi,      Fresken 
(Aurora),  196. 
Wien.    Hofmuseum.    Der  verlorene 
Sohn,  195. 
Guriitt,  Cornelius: 

Geschichte  des  Barockstiles,  12. 
Janitschek,  Hubert: 

Die  Malerschule  von  Bologna  in 
Dohrnes  Kunst  und  Künstler. 
II    Abt..  III    Bd.,  9. 


Landini,  Taddeo : 

Rom.  Fontana  delle  Tartarughe.  130. 
Lanfranco,  Giovanni: 

Rom.  S.  Andrea   della   Valle,   Kup- 
pelfresken (Himmelfahrt 
Marine  i.   198. 
„       Villa  Borghese,  Fresken 
(Olymp),  198. 
Lippi,  Annibale: 

Rom,  Villa  Medici,  126. 
Lombardo,  Carlo: 

Rom,    S.    Francesca    Romana.    ihm 
zugeschrieben.   144 
Longhena,  Baldassare: 

Venedig,  Pal.  Pesaro.  71. 

Pal.  Rezzonico,  71. 
Lunghi,  Martino  d.  A.: 

Rom,  Hof   des    Pal.    Altemps.    ihm 
zugeschrieben.  133. 
Pal.  Borghese.   133 
Chiesa   Nuova   (S.   Maria    in 
Vallicella),  Fassade.   132. 
Maderna,  Carlo 

Rom,  S.  Andrea  della  Valle,  142. 
„        Pal.  Barberini,   Entwurf.    142. 
Fontänen    vor  S.   Peter,  141. 
S.    Francesca    Romana.     ihm 
früher  zugeschrieben.   144 
Pal.  Mattei.  Hof,  142. 
S    Peter.  Langhaus   und  Fas- 
sade, 134. 
„       S.  Susanna,  Fassade,  135. 
Majano,  Benedetto  da  und  Cronaca, 
Simone: 
Florenz,  Pal.  Strozzi,  61. 
Mailand,  Brera: 

Fr.    Albani,   Raub    der  Proserpina. 
193 
Malvasia,  Conte  Carlo  Cesare: 

Felsina  pittrice.   Vite  de'  pittori  bo- 
lognesi,  30. 
Manetti,  Giovenale: 

Leiter  bei  der  Konservierung  römi- 
scher Altertümer,  97. 
Mantua: 

S.  Andrea  von  L.  B.  Alberti,  111. 
Pal.    del    Te    von    Giulio    Romano. 
69. 
Mazzoni,  Guido:  152. 
Michelangelo  Buonarroti: 

Florenz.  Sagrestia  nuova  bei  S. 
Lorenzo,  Mediceergrä'ber. 
32. 

Treppenvorhalle  der 
Biblioteca  Laurenziana.  44 


Rom,  Pal    Farnesc.    von   ihm   voll- 
endet, 72. 

Kapitolinische  Bauten,  74. 
„       Konservatorenpalast.  76. 

S.  Maria   degli    Angeli.    Ent- 
wurf, 88. 

S.  Peter,    seine   Tätigkeit    an 
dessen  Bau,  S3. 
S.  Pietro  in   Vincoli,    Moses, 
39 

Sapienza.  angeblich  an  deren 
Bau  tätig,  122. 
Senatorenpalast,  75. 
Capella  Sistina,  Jüngstes  Ge- 
richt. 40. 

Capella    Sistina.     Propheten 
und  Sibyllen,  39. 
Michelozzo,  Michelozzi: 

Florenz,  Pal.  Riccardi,  61. 
Modena: 

Pal.  Ducale,  Guido  Reni,  Cruciiixus, 
182. 
Neapel: 

Dom.  Capella  del  Tesoro,  Fresken 

von  Domenichino,  185. 
Museo  Nazionale  (Pal.  de'  Studj) 

von  Cesare  Fontana.   132. 
Pal.  Reale  von  Dom.  Fontana,  132. 
OH vieri,  Pietro  Paolo: 

Rom.  S.  Andrea  della  Valle.  142 
Padua: 

Universität,  Hot  von   Sansovino, 
70. 
Palladio,  Andrea: 

Venedig,  S.  Giorgio  Maggiore.  90. 

Redentore,  90. 
Vicenza,  Basilika,  71. 

,,  Pal.  Chieregati,  71. 

Pal.  Valmarana,  71. 
Paris,  Louvre: 

Alb  an  i.  Fr..  Christus  und    Magda- 
lena. 195 

hl.  Franciscus,  193. 
Verkündigung,  194. 
Caravaggio.    Michelang..    Porträt 
des    Malteser-Großmeisters.   207. 
Parma: 

Correggio.  Fresken  der  Dom- 
kuppel. 54. 
Galerie,  Correggio.  DerTag,  53. 
Passen',  Giovanni  Battista: 

Vite  de'  pittori,  scultori  ed  architetti 
che  anno  lavorato  in  Roma, 
morti  dal  1641    fino  al  1673,  27. 


Peruzzi,  Baldassare: 

Rom,    Pal    Massimi    alle    Colonnc, 
69. 
Piacenza: 

Pal.  Farnese  von  Vignola,  106. 
Porta,  Giacomo  della: 

Frascati.    Villa   Aldobrandini.    124. 
Rom,  S.  Caterina    de'    Funari,    an- 
geblich von  Porta,  116. 
Pal.  Chigi.  123. 
Ausbau  des  Pal.  Farnese.  121. 
Gesü,  Fassade.  116 
S.    Luigi    de'    Francesi,    Fas- 
sade. 120. 
Pal.  Paluzzi.  123. 
S.  Peter,   seine  Tätigkeit  am 
Bau,  88. 
Sapienza.  122 
Pal    Serlupi,  123. 
Porta,  Guglielmo  della: 

Rom.  S.  Peter,  Grabmal  Pauls  III  . 
146. 
Raffael: 

Leiter  der  römischen    Altertunisaus- 
grabungen. 96. 
Florenz,    Entwurf    zum    Pal.   Pan- 

dolfini,  67. 
Rom,    S.  Peter,  seine  Tätigkeit   am 
Bau,  83 
Rainaldi,  Carlo: 

Rom.    S.  Andrea    della   Valle.    Fas- 
sade. 143. 
Reni,  Guido: 

Bologna,  Pinakothek,   Betlehemiti- 
scher  Kindermord.   178. 
Pinakothek,   Kreuzigung. 
182. 

Pietä.  ISO. 
Prozessions- 
fahne, 181. 
Simson,  177. 
Dresden,  Galerie,  Venus  u.  Amor, 

183 
Modena,    Pal.  Ducale,    Cruciiixus, 

182. 
Rom,  Galleria    Corsini,    hl.  Magda- 
lena, 183. 

S.  Gregorio  Magno,  Andreas- 
kapelle, Gang  des  hl.  Andreas 
zum  Richtplatz,  Fresko.  179. 
S  Gregorio  Magno.  Silvia- 
kapclle,  Engelskonzert,  Fresko, 
179 

Kapitol.  Galerie,  hl.  Magda- 
lena, 183. 

14* 


-     212     - 


Rom,  Kapitol.  Galerie,    hl.  Seba- 
stian, 183. 

Casino     Rospigliosi,    Aurora. 
Fresko,  179. 
Rom: 

Acqua  Felicc  von  Dom.  Fontana, 
131. 

mit     dem     Moses 
von  Prospcro  Bresciauo.  131. 
Acqua  Paola  von  Giov.  Fontana, 

131. 
Fontänen    vor   S.    Peter   von    C. 

Maderna,   141. 
Fontana  delle  Tartarughe  von  Tad- 
deo  Landini,  130. 

S.  Agostino.  115. 
S.  Andrea  della  Valle,  von  P.  P. 
Olivieri  gebaut,  von  C. 
Maderna  fortgesetzt, 
142. 

Fassade    von     C.    Rai- 
naldi. 143. 
,,         Kuppelfresken  (Himmel- 
fahrt Mariae)  von  Giov. 
Lanfranco,  198. 
„         Legende     des    hl      An- 
dreas,  die  vier  Evange- 
listen, Fresken  von 
Domenichino,  189. 
Anima,   IIb 

S.  Caterina  de'  Funari,  angeb- 
lich von  Giac.  della  Porta,  116. 
Chiesa  Nuova  (S.  Maria  in  Valli- 
cella),  Fassade  von  Martino  Lun- 
gin d.  Ä.(?)  oder  Fausto  Rug- 
heri(?),  132. 
S.  Domenico  e  Sisto  von  Vincenzo 

della  Greca,  144. 
S.  Francesca  Romana,  früher  C. 
Maderna  zugeschrieben,  jetzt  C. 
Lombardo,  144. 
Gesii,  Vignolas  Tätigkeit  an  seinem 
Bau,  107. 
„        Fassade  von  Giac.  della 
Porta.   116. 
S.  Giovanni  in  Laterano,  Bene- 
diktionsloggia   von    Dom.    Fon- 
tana.  129. 
S.  Gregorio  Magno,  Vorhalle  von 
G.  B.  Soria,  144. 
„  Andreaskapelle.  Gang 

des  hl.  Andreas  zum 
Richtplatz,  Fresko  von 
Guido  Reni,  179. 


S.  Gregorio  Magno.     Andreaska- 
pclle,    Geißelung   des 
hl   Andreas,  Fresko  v. 
Domenichino,  185. 
„  Silviakapelle,     Engels- 

konzert,   Fresko    von 
Guido  Reni.  179. 
S.  Ignazio  von  Domenichino,  143. 
S.  Luigi    de'    Francesi,     Fassade 
von    G.  della  Porta.    120. 
„         Capella  Conlarelli,  Szenen 
aus  der  Matthäuslegende 
von    M.  Caravaggio,  205. 
S.   Maria    degli    Angeli,    Michel- 
angelos Entwurf,  88. 
S.  Maria  Maggiore,    Capella   del 
Presepio  von  Dom.  Fon- 
tana, 128. 
„        Grabmal  Pins'  V  .  150 

Sixtus'  V.,   150. 
Clemens'    VIII., 
150 
„         Karyatiden     und     Papst- 
krönung (.Relief)  am  Grab- 
mal   Clemens'  VIII.    von 
Pietro  Bernini,  151. 
Grabmal    Pauls  V.,    151. 
S.  Maria  della  Pace,  Hof,  65. 
S.  Maria  della  Vittoria,  Fassade 

von  G.  B.  Soria,  143. 
S.  Peter,  an  seinem  Bau  tätig:  Bra- 
mante,  80.  Raffael,  83.  Mi- 
chelangelo, 83,  Vignola,  88, 
Giacomo  della  Porta,  88. 
„  Entwurf  für  einen  Lang- 

hausbau von   Dom.  Fon- 
tana,  128. 
„  Langhaus     und    Fassade 

von  C.  Maderna.   134. 
„  Chor,   Grabmal  Pauls  III. 

von   Guglielmo  della 
Porta.    146. 
S.  Pietro  in  Vincoli.  Moses   von 
Michelangelo,  39. 
„         Befreiung  Petri  von  Do- 
menichino, 186. 
Cap.   Sistina,    Propheten    und    Si- 
byllen  von    Michel- 
angelo, 39. 
,,  .,  Jüngstes  Gericht 

von  Michelangelo,  40. 
S.   Spirito    in    Sassia,    angeblich 

von  Ant.  da  San  Gallo,  115. 
S.  Susanna,    Fassade    von  C.  Ma- 
derna, 135. 


213 


Pal.  Altemps.  Hof  Martino  Lunghi 
d    Ä.  zugeschrieben,  133. 
Pal.    Barberini.     Entwurf    von     C. 
Maderna,  142. 
Pal.  Borgtiese  von  Martino  Lunghi 

d.  Ä..  133. 
Galleria    Borghese.     Toilette    der 

Venus  von  Fr.  Albani,  193. 
Galleria  Borghese.  Jagd  der  Diana 

von  Domenichino,  190. 
Villa  Borghese,  127. 
„  „  Fresken     (Olymp) 

von  Giov.  Lanfranco,  198. 
Bramantes  Wohnhaus,  66. 
Cancelleria,  Hof,  58. 

„  Fassade.  62. 

Portal  von  Domenico 
Fontana.  62. 
Pal.  Chigi  von   Giacomo  della 

Porta,  123. 
Pal.  Cicciaporci    von   Giulio   Ro- 
mano. 69. 
Galleria      Colon  na,     Bohnenesser 

von  Ann.  Carracci,  170. 
Galleria  Corsini,  hl.  Magdalena  von 

Guido  Reni,  183. 
Pal.   Farn  es  e,    von    Ant.    da    San 
Gallo  begonnen, 
von      Michelangelo 
vollendet.  72. 
„  ,,  Ausbau    durch    Vi- 

gnola  oder  Giacomo 
della  Porta,   121. 
Fresken    von   Ago- 
stino  und  Ann.  Carracci,  172. 
Villa  Farnesina,  67. 
Orti  Farnesiani  von  Vignola,  107. 
Pal.  Giraud,  63. 

Kapitolinische  Bauten  v.  Michel- 
angelo, 74. 
Kapitol,  Galerie,  Magdalena  als 

Büßerin,  von  Fr. 
Albani.  193. 
„  „         hl.  Petronella  von 

Guercino.  196. 
„  „         hl.Magdalenavon 

Guido  Reni,  1S3. 
hl.  Sebastian  von 
Guido  Reni.  183. 
Konservatorenpalast  von 

Michelangelo,  76. 
Lateranpalast    von    Dom.    Fon- 
tana, 99. 
„  Fassade    und  Hof 

von  Dom.  Fontana,  129, 


Casino  Ludovisi.  Fresken  (Aurora) 

von  Guercino,  196. 
Pal.  Madama  von  Cigoli,  134. 
Villa  Madama,    Entwurf    von   Raf- 

fael,  69. 
Pal.    Massimi  alle  Colonne  von 

Bald.  Peruzzi,  69. 
Pal.  Matt  ei,  Hof  von  C.  Maderua, 

142. 
Villa  Medici    von   Annibale    Lippi. 

126. 
Villa   Montalto    von    Dom.    Fon- 
tana, 128. 
Pal.  Paluzzi    von    Giacomo    della 

Porta,  123. 
Vigna   di    Papa    Giulio    von    Vi- 
gnola, 103. 
Quirinalpalast,   133. 
Casino  Rospigliosi,  Aurora, Fresko 

von  Guido  Reni,  179. 
Pal.    Sacchetti    von    A.    da    San 

Gallo,  72. 
Sapienza  von  Giacomo  della 

Porta.  122. 
Senatorenpalast     von      Michel- 
angelo, 75. 
Pal.  Serlupi    von    Giacomo    della 

Porta,  123. 
Pal.  Spada,  68. 

Pal.    Torlonia   (Verospi).   Decken- 
fresken (Aurora)  von  Fr.  Albani, 
192. 
Vatikan,  Hof    von    Bramante,    64. 
„  Pinakothek,  Fed.Baroccio, 

S.  Michelina,  156. 
„  Pinakothek.  Fed.Baroccio, 

Verkündigung.  156. 
„  Pinakothek,      M.     Cara- 

vaggio,  Grablegung,  206. 
Pinakothek,  Domenichino, 
Kommunion  des  hl.  Hicronymus, 
187. 
Pal.  Venezia,  Hof,  58. 

Fassade,  61. 
Casa  Zuccaro,  133. 
Romano,  Giulio: 

Mantua,  Pal.  del  Te,  69. 
Rom.  Pal.  Cicciaporci,  69. 
Rugheri,  Fausto: 

Rom,   Chiesa  Nuova   (S.  Maria   in 
Vallicella),  Fassade  angeblich  von 
Fagheri,  132. 
Salzburg: 

Dom  von  Scarnozzi,  71. 


214 


San  Gallo,  Antonio  da: 
Rom.  Pal.  Farnese.  72. 
Pal.  Sacchetti,  72. 
S.  Spirito  in  Sassia  angeblich 
von  San  Gallo,   115. 
Saninicheli,  Michele: 

Verona,  Pal.  Canossa.  70 

Pal.  Bevilacqua,  70 
Pal.   Pompei    (Museo),  70. 
Porta  Nuova.  70. 
Sansovino  (Jacopo  Tatti): 

Päd  na.  Hof  der  Universität.  70. 
Ve  nedig,  Bibliothek  v.  S.  Marco. 70. 
Scamozzi,  Yincenzo: 

Salzburg,  Dom.  71. 
Schmarsow,  August: 

Barock  und  Rokoko,   15. 
Sementi,  Qiov.  Giacomo: 

Wien,  Hofmuseum,  Vermahlung  der 
hl.   Katharina,  199. 
Serlio,  Sebastiano 

Dell'  architettura,  91. 
Sirani,  Elisabetta: 

Wien.  Hofmuseum,  Anton  von 
Padua,  199. 
Maria  und 
Martha,  199. 
Soria,  Qiov.  Battista: 

Rom,  S.  Gregorio  Magno,  Vorhalle, 
144. 

S.  Maria   della   Vittoria.    Fas- 
sade,  143. 
Spagnoletto,  (Jusepe  Ribera):  185. 
Strzygowski,  Josef: 

Das  Werden  des  Barock  bei  Raphael 
und  Correggio,  10. 
Tiarini,  Alessandra : 

Wien,    Hofmuseum,    Kreuztragung, 
199. 
Tivoli: 

Villa  d'Este,  125. 
Vasari,  Giorgio: 

Le  vite  de'  piü    eccellenti  architetti, 

pittori  e  scultori,  17. 
Vasari  als  Künstler.  155. 
Venedig: 

Bibliothek    von    S.    Marco    von 

Sansovino,  70. 
S.  Giorgio  Maggiore  von  Palla- 

dio.  90. 
Pal.  Pesaro  von  Longhena.  71. 
Redentore  von  Palladio,  90. 
Pal.  Rezzonico  von  Longhena,  71. 
Verona: 

Pal.  B  e  v  j  1  a  c  q  u  a  von  Saninicheli,  70. 


Pal.  Canossa  von  Saninicheli.  70. 
Pal.    Pompei    i Museo»    von    San- 
inicheli. 70. 
Porta  Nuova  von  Saninicheli,  70. 
Vicenza: 

Basilika  von  Palladio,  71. 
Pal.  Chieregati   von   Palladio.  71. 
Pal.  Valmarana  von  Palladio.  71. 
Vignola  (Giacomo  Barozzi): 

regola  delle  cinque  ordini  dell'  archi- 

'  tettura,  103. 
Piacenza,  Pal    Farnese.  106. 
Rom.  Ausbau  des  Pal.  Farnese.  121. 
Orti  Farnesiani,  107. 
,.       Gesii.  107. 

„      S.  Lorenzo  in  Daniaso,   Por- 
tal.-.62. 

Yigna  di  Papa  Giulio.   103. 
S.   Peter,    Vignolas    Tätigkeit 
an  dessen  Bau,  88. 
Viterbo.  Schloß  Caprarola,    107. 
Villa  Laute.  107. 
Viterbo: 

Schloß  Caprarola  von  Vignola,  107. 
Villa  Lante  von  Vignola,  107. 
Wien,  Hofmuseum: 

G.  Canlassi  (Cagnacci).  Kleopatra. 
200. 

Magda- 
lena,   200. 
Sim.  Cantarini zugeschrieben:  Ma- 
donna  mit    dem    hl.   Franciscus, 
199. 
M.     Caravaggio.  •  Madonna     del 

Rosario.  206. 
Giac.  Cavedone,  hl.  Sebastian.  1"S. 
Correggio,  Ganymed.  54. 

Jo.  54. 
Fr.  Gessi.  Morpheus  und  Halkyonc. 

199. 
Guercino,    Der    verlorene     Sohn, 

195. 
Giov.  Giac.  Sementi.   Vermählung 

der  hl.  Katharina.  199. 
Elisabetta  Sirani,  Anton  von  Padua. 
199 
„  ,,       Maria  und  Martha, 

199. 
Aless.   Tiarini.   Kreuztragung.    199. 
Wölfflin,  Heinrich  : 

Renaissance  und  Barock.  13. 
Woltmann     Alfred     und    Wörmann 
Karl: 

Geschichte  der  Malerei.  9. 
Zuccaro,   Taddeo  und  Federigo,    155. 


Werke  von   llofrat  Prof   Dr.  Alois  Riegl: 

Die  ägyptischen  Textilfunde  im  k.  k.  österreichischen  Museum  für  Kunst  und 
Industrie.  Wien.  Waldheim.   1889.  4".  Preis  K  10.—. 

Altorientalische  Teppiche.  Mit  36  Abbildungen.  Leipzig,  T.  O.  Weigel,  1891. 
M.  6.-. 

Stilfragen,  Grundlegungen  zu  einer  Geschichte  der  Ornamentik.  Berlin,  Georg 
Siemens,  1893.  Gr.-8".  XX  und  346  Seiten  mit  197  Abbildungen  im  Text. 
Preis  M.  8.-. 

Volkskunst.  Hausfleiß  und  Hausindustrie.  Berlin,  Georg  Siemens,  1894.  8". 
IV  und  82  Seiten.  Preis  M.  1.— . 

Ein  orientalischer  Teppich  vom  Jahre  1202  n.  Chr.  und  die  ältesten  orientali- 
schen Teppiche.  Folio.  33  Seiten  mit  Illustrationen  und  2  Farbcntafeln. 
Berlin,  G.  Siemens,  1895.  Kart.  M.  8.—. 

Schinnerer,  L.,  Antike  Handarbeiten.  Mit  einer  historischen  Einleitung 
von  A.  Riegl.  25  Seiten  mit  Abbildungen.  Wien,  Waldheim,  1S95.  M.  2.  —  . 

Vom  Österreichischen  Archäologischen  Institut  herausgegeben:  Die  spätrömi- 
sche Kunstindustric  nach  den  Funden  in  Österreich-Ungarn  im  Zusammen- 
hange mit  der  Gesamtentwicklung  der  bildenden  Künste  bei  den  Mittel- 
meervölkern.  Wien,  k.  k.  Staatsdruckerei,  1901.  4".  VI  und  222  Seiten  mit 
23  Tafeln  und  100  Abbildungen  im  Text.  (Vergriffen.) 

(Das  Erscheinen  eines  II.  Bandes  mit  Benützung  der  nachgelassenen 
Schriften  des  Forschers  ist  vom  Österreichischen  Archäologischen  Institute 
in  Aussicht  genommen.) 

Von  der  k.  k.  Zentral-Kommission  herausgegeben:  Der  moderne  Denkmal- 
Kultus,  sein  Wesen,  seine  Entstehung.  Wien,  Anton  Schroll  &  Co.,  1903. 
8".  IV  und  65  Seiten.  Preis  M.  1.-. 

Oströtnische  Beiträge.  11  Seiten  mit  10  Illustrationen  (enthalten  in  ,, Beiträge 
zur  Kunstgeschichte,  Franz  Wickhoff  gewidmet").  Wien,  Anton  Schroll 
&  Co.,  1903. 


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N      Riegl,  Alois 

6920      Die  Entstehung  der 

R5     Barockkunst  in  Rom 


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